Gewerbliche Einzelvorträge: Reihe 4 [Reprint 2020 ed.]
 9783112336786, 9783112336779

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KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN

Gewerbliche Einzelvorträge gehalten in der Aula der

Melshochsckule Berlin Herausgegeben von den

Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin Erste Reihe: I. Die Entwicklung der elektrischen Industrie. Vortrag des Herrn Geheimen Regieruisgsrat Professor Dr. Arori. i— II. Die Einrichtungen an der Berliner Börse. Vertrag des Herrn Kommerziehrat M. R i c h t e r . — III. Geschichte und Technik der Textilindustrie. Vortrag des Herrn Stadtrat Dr. W e i g e r t . — IV. Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte. Vortrag des Herrn H e r m a n n H e c h t . — V. Das Verkehrsbjfreau der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin, Vortrag des Herrn Bureaudirektor H ' a f f m a n n . — VI. Anhang: Literaturnachweise, Von Heita'Dr. R e i c h e , Bibliothekar- der Köipör»tiÄn der Kaufmannschaft von Berlin (Elektrische Industrie. — Berliner Börse. — Textilindustrie.

Exj>ort^esL-häftc.. —. Eisenbahnverkehr).

Zweite Reihe: I. Kaufminnische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit. Vortrag des Herrn W. S c h i m m e l p f e n g . — II. Die wirtschaftliche Bedeutung von Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäften in Waren. Vortrag des Herrn W. K a n t o r o w i e z , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — III. Deutsches Zahlungswesen unter Berücksichtigung des Überweisungs- uiid Scheckverkehrs. Vortrag des Herrn J. K a e m p f, Präsidenten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — IV. Die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekars der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. — V. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e (Kaufmännische Auslcunftserteilung. — Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulaticftigge&chäffc in Waren. — Deutsches Zahlungswesen. — Die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin).

Dritte Reihe: I. Die Stellung der chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. Vortrag.des Herrn Fabrikdirèlttors Dr. W. C o f m s t e i n . — II. Warenhäuser und Spezialgeschäfte. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers F. G u g e n h e i m . — III. Die Organisation des Kupferhandels.- Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers Dr. E. N o a h . — IV. Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengesehäfte. Vortrag des Herrn Qeh. Staatsrats a. D. J. B u d d e , Direktor der Berliner Hypothekenbank. — V. Die Industrie der Lacke und Farben, Vortrag, des Herrn L. M a n n , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, —• VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herm'Bibliothekar Dr. R e i c h e . {Die Stellung der- chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. — Warenhäuser und Spezialgeschafte. — D i e Organisation des KupferhandeU. — D i e wirtschaftliche Bedeutung der Terrainund Hypothelceogeschäfter— Die Industrie der Lacke und Farben).

Preis jeder Reihe- M. a.— VERLAG VON GEORG R E I M E R B E R L I N W . 3 5 .

KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN

Gewerbliche Einzelvorträge Gehalten in der Aula der Handelshochschule Berlin Herausgegeben von den

Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin Vierte Reihe

Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1910

Vorwort zur Vierten Reihe. Das lebhafte Interesse, das den seit einigen Jahren von uns in der Aula der Handelshochschule veranstalteten „Gewerblichen Einzelvorträgen" vom Publikum andauernd entgegengebracht wurde, hat uns bestimmt, auch diese Vierte Reihe der Sammlung durch den Druck zu veröffentlichen. Diese Vorträge, die gleichmäßig für die gewerbetreibende Bevölkerung Berlins und die Studierenden der Handelshochschule bestimmt sind, erhalten ihren eigenartigen Charakter dadurch, daß sie gehalten werden von praktisch tätigen Berliner Großunternehmern über ihre eigenen Geschäftsbetriebe oder über Fragen, auf die sie durch die Praxis geführt werden. Der erste Vortrag ! ¡zieht sich auf die große Kulturfrage in Ostasien in ihrem Zusammenhang mit dem deutschen Exporthandel. Der zweite, vierte und fünfte sind modernen Industrie-Organisationen, und zwar der Holzbearbeitungs-, Calcium-Carbid- und Dünger- sowie Maschinenindustrie, gewidmet; der dritte Vortrag endlich, der die Immobiliengeschäfte behandelt, bildet den Schluß eines Vortrages über das gleiche Thema aus dem Vorjahre. L i t e r a t u r n a c h w e i s e f ü r w e i t e r e S t u d i e n sind in der gewohnten Form beigegeben worden. Allen Herren, die durch ihre selbstlose Arbeit unsere Veranstaltungen ermöglichten, sprechen wir auch an dieser Stelle unseren ganz besonderen Dank aus. B e r l i n , im Oktober 1910.

Die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. Kaempf.

Weigert.

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Inhalt. Seite

I. D i e V o r b e r e i t u n g

des

ostasiatischen

Marktes für

Ausdehnung unseres Exportes dorthin.

D. S a n d m a n n , Mitglieds der Handelskammer zu Berlin II. D i e E n t w i c k e l u n g , A r t

die

Vortrag des Herrn

und Bedeutung

der

. . . .

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modernen

H o l z b e a r b e i t u n g s i n d u s t r i e . Vortrag des Herrn F r a n z B e n d i x , Direktors der Ferdinand Bendix Söhne, Aktiengesellschaft für Holzbearbeitung III. T e r r a i n -

33 und

Geh. Staatsrats

Hypothekengeschäfte.

Vortrag des

Herrn

a. D. J. B u d d e , Direktors der Berliner Hypo-

thekenbank IV. D i e E n t w i c k e l u n g

47 und Bedeutung

und Stickstoffdünger-Industrie.

der

Calciumcarbid-

Vortrag des Herrn Diplom-

Ingenieurs A. M. G o l d s c h m i d t V. D i e O r g a n i s a t i o n e i n e r m o d e r n e n fabrik.

71 Werkzeugmaschinen-

Vortrag des Herrn Dr. \V. W a l d s c h m i d t , Direktors der

Aktiengesellschaft Ludw. Loewe & Co VI. Anhang:

Literaturnachweise.

Dr. R e i c h e

95 Von Herrn

Bibliothekar 121

I. Die Vorbereitung des Ostasiatischen Marktes für die Ausdehnung unseres Exportes dorthin. Vortrag des Herrn D.

Sandmann,

Mitglied der Handelskammer zu Berlin.

Seitdem Deutschland überwiegend Industriestaat geworden ist, tritt mehr als in früheren Jahren die Notwendigkeit in den Vordergrund, die Erzeugnisse nach fremden Ländern auszuführen. Deutschlands Industrie und Handel haben es verstanden, durch Intelligenz und Fleiß in allen Teilen der "Welt Verbindungen anzuknüpfen und sich neue Absatzgebiete zu eröffnen. Aber je mehr die verschiedenen Länder selbst dazu übergehen, die im eigenen Lande vorhandenen Rohmaterialien zu Halb- oder gar zu Fertigfabrikaten weiter zu verarbeiten, und je mehr die einzelnen Länder sich mit Schutzzöllen umgeben, um so stärker wird der Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt und um so schwerer der Absatz unserer Produkte nach fremden Ländern. Wenn auch für den Augenblick die Erschwerung der Einfuhr nach England durch Schutzzölle nicht mehr akut ist, so dürfen wir diese Gefahr für den deutschen Export doch nie aus den Augen verlieren; aber schon jetzt hat z. B. England, dieser große Abnehmer für unsere Konfektionsindustrie, durch Heranziehung geeigneter Arbeitskräfte die Produktion der Erzeugnisse dieser Industrie begonnen, und ebenso hat es durch sein Patentrecht die ausländische Industrie zum Teil gezwungen, im eigenen Lande zu produzieren, und verhindert auf diese Weise die Wareneinfuhr. Mit Kanada liegen wir seit Jahren im Zollkriege. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika waren während der ganzen Zeit ihrer Entwicklung unter dem Einfluß des Deutschland entstammenden Teils der Bevölkerung mit die bedeutendsten Abnehmer deutscher Produkte. Seit einer Reihe von Jahren haben sie aber auch die Einfuhr durch Schutzzölle erschwert, und in neuester Zeit sind sie in staunenswerter Weise dazu übergegangen, ihre Rohmaterialien immer mehr selbst zu verarbeiten und, anstatt dieser, Fertigfabrikate auszuführen. Frankreich ist auf dem Wege, ebenfalls durch Schutzzölle die Einfuhr in sein Gebeit zu erschweren. Andere europäische Länder tun desgleichen.

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Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

Unsere drei Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt: England, Frankreich und die Vereinigten Staaten, besitzen bzw. haben unter ihrem konkurrenzlosen Einfluß von den etwa 130 Millionen Quadratkilometer betragenden bewohnbaren Teilen der Erdoberfläche weit über ein Drittel, nämlich über 50 Millionen Quadratkilometer, und zu ihrer Bevölkerung gehören von den etwa 1520 Millionen Menschen auf der Erde fast 600 Millionen. Nach einer Aufstellung von NeumannSpaller und Juraschek lag von dem Warenhandel der Welt im Jahre 1906 im Betrage von rund 120 000 Millionen etwa die Hälfte, nämlich 60 000 Millionen, in den Händen dieser drei Konkurrenten. Hiergegen nimmt Deutschland inklusive seiner überseeischen Besitzungen nur die Fläche von etwa 3 Millionen Quadratkilometern ein und hat eine Bevölkerungszahl von etwa 75 Millionen. Im gleichen Jahre betrug sein Handel etwa 14 500 Millionen. Er stand zwar noch im Jahre 1906 an zweiter Stelle der Welthandel treibenden Nationen; jedoch dürften schon in diesem Jahre die Vereinigten Staaten uns überholt haben. Man ist gezwungen, sich die Frage vorzulegen, was wohl aus Deutschlands Export werden sollte, wenn die gesamten drei Konkurrenten, etwa durch einen Zollkrieg, uns ihre Gebiete für die Einfuhr unserer Waren verschließen würden. An dem Ringen um Erweiterung der Absatzgebiete, soweit sie nicht unter dem direkten Einfluß dieser unserer drei Hauptkonkurrenten stehen, beteiligt sich noch eine große Zahl nicht zu unterschätzender Konkurrenten, von denen ich nur Japan, Belgien, Italien, ÖsterreichUngarn und die Niederlande zu erwähnen brauche. Es ist deshalb ganz erklärlich, wenn von den Kapitänen unserer Industrie mit größter Aufmerksamkeit nach den Gebieten Ausschau gehalten wird, wohin unser Export für die Zukunft zu erweitern ist und wo unsere Hauptkonkurrenten nicht ihren mächtigen Einfluß ausüben können. Als solche Gebiete müssen vor allem Südamerika mit seinen unabhängigen Republiken und Ostasien, besonders China, bezeichnet werden. Die Bedeutung dieser Gebiete für den Absatz unserer Waren gründet sich auf den Bodenreichtum, der einen Gegenwert liefert, und, wie dies in China der Fall, noch auf die außerordentlich zahlreiche Bevölkerung, die durch ihre Arbeitskraft Gegenwerte schaffen kann. Bis vor kurzer Zeit hat sich das Riesenreich China, das auf eine eigene vieltausendjährige Kultur zurückblicken kann, mit allen Mitteln dagegen gesträubt, westliche Kultur in seinen Grenzen aufzunehmen,

Der östasiatische Markt für den deutschen Export.

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und erst in neuester Zeit regt sich etwas wie ein Erwachen, und dieser Riese beginnt, sich auf sich selbst zu besinnen. Die Entwicklung Chinas nach dem Muster westlicher Kultur dürfte typisch für unser Jahrhundert werden und ihm den Stempel aufdrücken. Als ich im vergangenen Jahre, von Japan und Korea kommend, über Dalni vor Fort Taku, dem Hafen von Tientsin, eintraf, kam mir beim Anblick der zerschossenen Mauern der Gedanke, wie weit wohl damit auch der Widerstand Chinas gegen den Einzug westlicher Kultur zerstört worden sei. AVenn man Städte wie Tientsin, Peking, Hankow, Shanghai, Kanton usw. besucht, ist dort zwar immer noch das oft beschriebene chinesischc Leben zu finden, daneben sind aber schon europäische Viertel mit sauberen Straßen und hübschen Häusern entstanden. Dampfer und Eisenbahnen beginnen ihren Einfluß geltend zu machen. So wächst sich z. B. das bisher verhältnismäßig wenig bedeutende Hankow, infolge der Schiffahrt auf dem Yangtse Kiang und der Eisenbahn nach Peking, zu einem erstklassigen Handelsplatze, zu einem zweiten Chicago aus. In Orten aber, die abseits der großen Verkehrsstraße liegen, sieht man noch keine äußeren Anzeichen westlicher Kultur. Seitdem sich die Japaner die Errungenschaften westlicher Kultur angeeignet haben und sie im Kriege gegen China und dann selbst gegen eine europäische Macht, gegen das bis dahin besonders in Asien als unbesiegbar angesehene Rußland, mit großem Erfolge benutzten, haben die rassenverwandten Chinesen erkannt, daß sie sich dem Einzüge dieser Kultur nicht länger verschließen dürfen, wenn sie sich ihre Selbständigkeit für die Dauer erhalten wollen. Bei dem Einflüsse, den der dadurch zu erwartende riesenhafte Umschwung auf die Weltproduktion und den Weltkonsum ausüben muß, ist das allgemeine Interesse natürlich. China mit über 11 y 2 Millionen Quadratkilometern, bedeckt beinahe ein Zehntel der bewohnbaren Erdoberfläche und stellt mit seinen etwa 430 Millionen Einwohnern etwa ein Viertel der ganzen Menschheit der Erde dar; schon jetzt hat es einen Export von etwa 275 Millionen Haikwan-Tails (1 Haikwan-Tail = 2,74 M.) gleich über 450 Millionen Mark und einen Import von etwa 400 Millionen Tails gleich 1100 Millionen Mark, d. h. pro Kopf etwa 1,80 bzw. etwa 2,45 M. Um sich darüber klar zu werden, was auch nur eine Entwicklung bis zu der Höhe, auf welcher Japan schon steht, für die Welt bedeutet,

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Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

ist es interessant, die Ex- und Importzahlen beider Länder, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet, zu vergleichen. In Japan hat sich der Export auf 7,68 Yen gleich 16,20 M. und der Import auf 8,86 Yen gleich 18,60 M. pro Kopf der Bevölkerung bis jetzt gehoben. Dieser Ex- und Import pro Kopf auf die Bevölkerung Chinas, welche jetzt schon 430 Millionen zählt, übertragen, bedeutet einen Export von 7000 Millionen und einen Import von 8000 Millionen Mark. Wollte man diese Zahlen aber gar mit Zahlen für deutschen Im- und Export vergleichen, so kommt man auf die Summe von fast 100 Milliarden Mark, das ist nicht weit von der Summe des ganzen Welthandels überhaupt, und man darf nicht vergessen, daß man in China auf eine erhebliche Vermehrung der Bevölkerung rechnen muß. Der Export besteht zurzeit hauptsächlich aus landwirtschaftlichen Produkten, besonders Seide und Tee, der Import vorzugsweise aus Baumwollwaren, Eisenbahnmaterial, Reis sowie aus Fertigfabrikaten aller Art. Es ist nicht anzunehmen, daß bei einer Entwicklung, die sich außer in der Ausdehnung und Verbesserung der Landwirtschaft vor allem auf industriellem Gebiete und in der Hebung der Mineralwertc bewegen dürfte, der vergrößerte Import in den Waren, die jetzt von China aufgenommen werden, eintritt. Es wird sich im Gegenteil für die Folge ein vermehrtes Bedürfnis in Eisenbahnmaterial, in landwirtschaftlichen und andern Maschinen sowie in Halbfabrikaten einstellen, und eine veränderte bzw. verbesserte Lebenshaltung muß zugleich, ebenso wie in Japan, einen umfangreichen Konsum zur Deckung dieser Lebensbedürfnisse mit sich bringen. Dagegen werden Waren, die bisher nach China gesandt worden sind, zum Teil oder ganz im Lande selbst produziert werden. Man darf aber nicht erwarten, daß der Einzug westlicher Kultur in China so schnell wie in Japan vor sich geht; dazu ist weder die mehr konservative Bevölkerung geeignet, noch läßt dies die bestehende Regierungsform zu. Die Vizekönige in den einzelnen Provinzen haben zu viel und die Zentralregierung in Peking zu wenig Macht, um einheitliche Maßnahmen, wie sie die Entwicklung zu fördern geeignet wären, immer durchführen zu können. Dies gilt ebenso von Gesetzen wie vom Münzwesen, Finanzen, Schulen usw. Aber, wenn auch langsam, so schreitet doch unzweifelhaft die Entwicklung Chinas fort, und nichts kann sie mehr aufhalten, auch nicht, wenn eine oder die andere Nation

Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

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sie aus eigennützigen Gründen verhindern wollte, um vielleicht ihre bisher dorthin gelieferten Produkte auch weiter absetzen zu können. Der Japaner ist zwar beweglicher und von größerer Stoßkraft, der Chinese dagegen aber gründlicher und hat größere Ausdauer. Die Fähigkeit der Chinesen, sich nach westlichem Muster zu bilden, kann nicht bezweifelt werden; denn man darf nicht vergessen, daß es eine durch tausendjährige Kultur geschulte Nation ist, die, wenn auch in anderer Art, doch eine umfangreiche Bildung selbst in den breiten Volksschichten besitzt. Man darf den Chinesen auch nicht mit dem Eingeborenen der Tropen vergleichen, der nur so viel Arbeit leistet, wie zur Deckung seiner gewohnten Lebenshaltung erforderlich ist. Der Chinese ist immer bereit, seine Lebenshaltung zu verbessern und auf Vorrat zu arbeiten; dies beweist die Aufspeicherung vieler großer Vermögen in chinesischen Händen. Ebenso fehlt es den Chinesen nicht an genügender Geschicklichkeit und Unternehmungslust, um sich die Errungenschaften westlicher Kultur nutzbar zu machen. Eine der Vorbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung ist die Eröffnung von Verkehrswegen. Zurzeit sind an Eisenbahnlinien in China erst etwa 3000 englische Meilen in Betrieb, und weitere 4000 sind projektiert bzw. bereits im Bau. Das ist aber erst ein sehr kleiner Teil der zur Erschließung dieser weiten Fläche notwendigen Geleise, aber nicht nur Ausländer, sondern die Chinesen selbst versuchen bereits, sich ohne fremde Hilfe auf diesem Gebiete zu betätigen und Bahnen zu bauen. Die Eisenbahn Peking-Kalgan, die in Irkutsk mit der sibirischen Bahn verbunden werden soll, ist zum Teil fertig und von Chinesen ohne ausländische Hilfe gebaut. An Fähigkeit und Unternehmungsgeist fehlt es, wie man daraus sieht, dem Chinesen sicher nicht; das haben aber auch Angehörige dieser Nation bei der Entwicklung der Zinnproduktion, vieler Tropenpflanzungen und des Handels im ganzen malayischen Archipel bewiesen. Freilich stehen ihnen dort nicht, wie in China, die Regierung und Gesetze hindernd im Wege. Es ist aber anzunehmen, daß diese Hindernisse mit der Zeit auch in China beseitigt werden. Schon jetzt gibt es auch unter chinesischer Leitung stehende große gewerbliche Unternehmungen, so z. B. bei Hankow das HangangEisenwerk mit einem Chinesen als Direktor. Die Produktion dort war während meiner Anwesenheit bereits per Tag 250 Tons Pigeisen;

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Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

mit der Einführung der Stahlproduktion, die jetzt schon im Betrieb sein soll, ist sie auf 500 Tons vergrößert worden. Unter gleicher Direktion steht auch ein Kohlenbergwerk, das per Tag 2000 Tons einer der Kuhrkohle ähnlichen Kohle fördert. Von diesem Werk werden nicht nur nach Japan, sondern durch die günstigen Frachtverhältnisse der meist leer zurückfahrenden Dampfer auch nach dem westlichen Amerika erhebliche Quanten Eisen geliefert. Ähnliche Unternehmungen gibt es bereits in verschiedenen Teilen Chinas, und auch die Produktion anderer industrieller Erzeugnisse nimmt zu. Wenn auch vorerst manche Mißerfolge bei rein chinesischen Unternehmungen, wie dies in einzelnen. Fällen schon zu verzeichnen ist, nicht ausbleiben werden, so darf man diese nicht auf Unfähigkeit der Chinesen, sondern auf deren unvollkommene Schulung zurückführen. Ich brauche Ihnen nicht im einzelnen auszuführen, in welcher Mannigfaltigkeit und in welchem Umfange der Warenverbrauch in einer Nation von 430 Millionen Menschen einsetzen muß, wenn Bodenschätze gehoben werden, die Landwirtschaft sich ausdehnt, die Industrie sich entwickelt, wenn andererseits die Lebenshaltung sich verbessert und der Konsum steigt. Eine sehr verlockende Aussicht für Deutschlands Industrien wird dort eröffnet. Wie schon gesagt, wird aber die Zunahme weniger die bisher bezogenen Warengattungen betreffen, vielmehr solche, die zur Hebung des Verkehrs, zur Einrichtung von Produktionsstätten, zur Verbesserung der Landwirtschaft sowie zur Befriedigung der veränderten Lebenshaltung nötig sind. Ob die bisher nach China liefernden Nationen in gleichem Maße wie bisher auch die neuen Bedürfnisse decken werden, ist zweifelhaft. Es wird vielmehr in dem Konkurrenzkampf darauf ankommen, wer den Chinesen von der höheren Güte und Brauchbarkeit seiner Waren überzeugen kann. Schon jetzt zeigt es sich, daß Deutschland an der Deckung des gesteigerten chinesischen Bedarfs nicht im Verhältnis der Vermehrung teilnimmt. Deutschland ist mit seiner Einfuhr von der zweiten in die vierte Stelle gedrängt worden, während Großbritannien seinen ersten Platz noch immer behauptet, und Frankreich, das nie eine großa Wareneinfuhr nach China besaß, auch weiter wenig vorwärts gekommen ist. Japan und Amerika dagegen haben ihre Geschäftsverbindung mit China sehr vergrößert und Deutschland überflügelt.

Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

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1894 waren Großbritannien und Hongkong mit etwa 55%, Japan, Nordamerika und Deutschland mit je etwa by2% am Import beteiligt. Von 1894 bis 1903 stieg der Import Chinas um 60%, Deutschlands Einfuhr dagegen ist auf 4,2% gefallen, die Amerikas auf 8 und die Japans auf 15,4% gestiegen. 1907 stellte sich die Einfuhr auf 416,4 Millionen Tails. Deutschland führte davon etwas über 16 Millionen ein, also nicht ganz 4%, Japans Einfuhr war auf 13,8% gefallen, Amerikas Import dagegen stieg weiter auf 9%. Großbritannien inklusive Hongkong hat sich mit seiner Einfuhr auf gleicher. Höhe gehalten. Dieser Rückgang der Beteiligung Deutschlands an dem Import nach China, besonders der Einfuhr Japans und Amerikas gegenübergestellt, fordert die größte Aufmerksamkeit heraus. Bei dem allseitig anerkannten Fleiß und der Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie und des Handels ist nicht Mangel an Eifer im Angebot preiswerter Waren vorauszusetzen, vielmehr ist man gezwungen, nach einem andern Grunde zu suchen, der diesen Mißerfolg nach sich gezogen haben kann. Es ist daher von besonderem Interesse, festzustellen, welches die Gründe für den Rückgang unserer Einfuhr nach China sind, und mit welchen Mitteln unsere Konkurrenz operiert, um den Vorsprung zu erreichen. In bezug auf Japan werden wir untersuchen müssen, wie weit dessen Produktion geeignet ist, auf Grund seiner günstigeren geographischen Lage oder anderer Bedingungen den Bedarf Chinas in noch vergrößerten Maßen zu decken, ja wie weit das "Wort von der „gelben Gefahr" überhaupt zutrifft. Die Entwicklung, die Japan während der letzten vierzig Jahre zeigt, ist staunenswert, auch wenn man sie mit der vielbewunderten Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika vergleicht. Allerdings darf man hier nicht den gleichen Maßstab anlegen wie bei einer Nation, die auf Jahrhunderte der Entwicklung nach gleicher Richtung zurückblicken kann. Man muß in Betracht ziehen, daß die Hauptbevölkerung der Vereinigten Staaten sich aus Europäern rekrutierte, die von ihrer Heimat nicht allein durch Generationen erprobte Erfahrungen, sondern auch eine der europäischen Kultur entsprechende Erziehung und Anschauung dorthin mitbrachten, die gegenseitig ausgetauscht wurden, während in Japan eine von der europäischen ganz verschiedene chinesisch-j apanische Kultur bestand.

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Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

Japan war bis zum Jahre 1868 gegen westliche Kultur, ebenso wie China bis vor wenigen Jahren, vollständig abgeschlossen; nur einige Seehäfen vermittelten notdürftig den Verkehr. Seit dieser Zeit hat es sich aber erstaunlich viel von den Errungenschaften der westlichen Wissenschaften und Technik dienstbar gemacht. Zurzeit besteht bereits in Japan nicht nur ein 5000 englische Meilen umfassendes Eisenbahnnetz, sondern es gibt auch Fabriken der verschiedensten Branchen, die insgesamt mit Maschinen von über 350 000 Pferdekräften arbeiten, obgleich noch viele Gewerbe ausschließlich Handarbeiter beschäftigen und von der etwa 50 Millionen zählenden Bevölkerung etwa 60% noch in der Landwirtschaft tätig sind. Während 1868 der Import Japans etwa 1 by 2 Millionen Yen gleich 32 Millionen Mark, der Export etwa 16 3 /i Millionen Yen gleich 34 Millionen Mark betrug, erreichte der Export 1908 über 378 Millionen Yen (793 Millionen Mark), der Import über 436 Millionen Yen (915 Millionen Mark). Der Import hat sich vom Jahre 1874 mit 0,70 Yen, im Jahre 1908 auf 8,76 Yen, der Export im Jahre 1874 von 0,57 Yen, im Jahre 1908 auf 7,68 Yen pro Kopf der Bevölkerung gehoben. Die Hauptausfuhr Japans besteht in roher und verarbeiteter Seide im Werte von 150 Millionen Yen. Außerdem kommen zur Ausfuhr: baumwollene und wollene Gewebe mit etwa 38 Millionen Yen Metall und Metallwaren über 26 „ „ Getränke und Eßwaren etwa 16 „ „ Tee über 11 „ „ Bekleidungsgegenstände etwa 9 „ „ Meereserzeugnisse über 7 „ „ . Die Haupteinfuhrartikel sind: Garn und Gewebe aus Baumwolle, Wolle, Flachs usw. mit 140 Millionen Yen, Metall und Metallwaren, Maschinen über 160 Millionen Yen, Nahrungsmittel, besonders Körnerfrüchte, Zucker und Reis etwa 66 Millionen Yen, Drogen und Farben etwa 30 Millionen Yen.

Der ostasiatische Markt für den deutschen Esport.

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Das in Industrie, Handel und Verkehrsgesellschaften arbeitende Kapital übersteigt eine Milliarde Yen. Es ist kein Zweifel, daß die Ausdehnung der Produktion in Japan einen immer größeren Umfang annimmt. Sie stützt sich auf den großen Fleiß, die Geschicklichkeit, auf die Genügsamkeit der Bevölkerung, welche mit wenigen Mitteln ihren Lebensunterhalt deckt und dadurch verhältnismäßig billig arbeiten kann. Die zurzeit noch billige Arbeitskraft in Japan verteuert sich aber dauernd, sowie sich auch die Lebenshaltung der Japaner verbessert und verteuert. Seit 1900 beträgt die Steigerung der Arbeitslöhne bereits etwa 40%; je mehr die Industrie aber Fortschritte macht, desto mehr wird der Arbeiter Gelegenheit haben, höhere Löhne durchsetzen zu können. Außerdem aber ist es die Eigenart der Japaner, nicht auf Grund origineller neuer Ideen zu produzieren, sondern immer, oft aber ganz vorzüglich, nachzuahmen. Selbst das Kunstgewerbe, wie die Seidenstickerei, die Cloisonne-Arbeit, die Lackwarenindustrie ist, wenn auch großartig entwickelt, nur Nachahmung der chinesischen, und ebenso ist es mit allen neueren Industrien daselbst. Es war mir interessant, eine Ausstellung „neuer Erfindungen" in Tokio zu besuchen, die, wenn auch nicht groß, doch ein Bild von der Originalität der Japaner hätte geben müssen. Trotzdem ich diese Ausstellung mehrere Stunden mit der größten Aufmerksamkeit besichtigte, konnte ich auch nicht eine neue Idee dort entdecken. Hauptsächlich zeigten die Ausstellungsobjekte Nachahmungen schon bekannter Erfindungen, selten irgendeine Verbesserung, meistens, soweit mir ein Urteil darüber möglich, Verschlechterungen. Diese Unfähigkeit, Originelles hervorzubringen, führt zu dauernder Abhängigkeit. Die zur Herstellung neuer Produkte nötigen Einrichtungen und Modelle müssen infolgedessen immer vom Auslande bezogen werden. Dazu kommt noch, daß der Konsum, den die veränderte Lebenshaltung mit sich bringt, wenigstens zum Teil, immer von der Nation gedeckt wird, nach deren Eigenart sich die kulturelle Entwicklung gebildet hat. Wir in Deutschland wissen ja selbst, wie weit wir z. B. bezüglich der Damenmoden noch immer von Paris abhängig sind. Weiter sind der Produktion dadurch Schranken gesetzt, daß Japan nicht alle Rohmaterialien selbst besitzt und viele Produkte Gewerbliche Einzelvorträge.

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Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

günstiger in der Heimat des Rohmaterials oder mit den in manchem Lande besonders befähigten Arbeitskräften hergestellt werden können. Wenn die japanische Industrie auch heute noch billig produziert, so sind diese billigen Produkte doch nicht imstande, dauernd den Markt für sich zu gewinnen. Es gibt sicher einzelne Artikel, welche dieses ganz tun können, andere aber bereiten den Markt nur für die Aufnahme besserer Qualitäten vor. Ich möchte ein Beispiel aus der Maschinenindustrie anführen. Ein kleiner Schneider, der bisher nur mit der Hand gearbeitet hat und nicht die Mittel besitzt, sich eine teure, dauerhafte Nähmaschine zu kaufen, mit der er seine Einnahmen erhöhen kann, erwirbt sich eine ihm erschwingliche billige, wenn auch nicht so dauerhafte Nähmaschine; er lernt aber durch sie den Wert der Maschinenarbeit kennen und wird, zu Mitteln gekommen, sich eine bessere Maschine kaufen. Dasselbe läßt sich von dem Konsum der Luxusartikel sagen. Erzeugt und vergrößert wird z. B. das Bedürfnis durch billige Zinkgußgegenstände, später aber befriedigt durch Bronzewaren. Eine Klage, die man nicht nur von Deutschen, sondern auch von Angehörigen aller andern Nationen immer wieder hört, sobald überhaupt von einer geschäftlichen Verbindung zwischen Europäern und Japanern gesprochen wird, möchte ich hier nicht unerwähnt lassen. Mehr als sonst üblich und z. B. im Verkehr mit chinesischen Kaufleuten erforderlich, ist es notwendig, mit japanischen Kaufleuten bis ins Kleinste gehende, genaue schriftliche Abmachungen zu treffen, wodurch der Wirtschaftsverkehr sehr erschwert wird. Im Zusammenhange damit wird über die Rechtsunsichcrheit geklagt. Man sagt, daß die Japaner abgeschlossene Geschäfte, sobald ihnen Konjunktur oder sonstige Umstände nicht günstig erscheinen, durch unberechtigte Reklamationen rückgängig zu machen suchen oder den Preis herabdrücken wollen, und daß bei den japanischen Gerichten dagegen nur selten mit Erfolg geklagt werden kann. Auch sagt man, das Patent und Markenschutzgesetz schütze dort nicht gegen Nachahmung. Daß solche Mißstände bestehen, mußte mir auch der frühere Ministerpräsident, Graf Okuma, mit dem ich eine lange Unterredung hatte und der noch heute großen Einfluß auf die Entwicklung des dortigen Handels ausübt, zugeben, ebenso auch verschiedene Parlamentarier und Herren von der Presse. Ich mußte aber andererseits anerkennen, daß seitens der dortigen Behörden versucht wird, nach

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Der ostasiatische Markt für den deutschen Export.

Möglichkeit hierin zu bessern, und daß man den Grund für diese Mißstände in der eigenartigen Entwicklung zu suchen hat. Bevor die Verfassung in Japan eingeführt wurde, bestanden dort streng abgeschlossene Kasten, von denen die Kriegerkaste die vornehmste, die am wenigsten geachtete aber die Kaufmannskaste war. Diese letzte wurde nach Möglichkeit von den Mitgliedern der höherstehenden Kasten ausgebeutet und unterdrückt. Die Folge davon war, daß in diesem Kampfe die Mitglieder der Kaufmannskaste sich nach Kräften dagegen wehrten, und daß ihnen hierzu jedes Mittel recht erschien. Die Kaufleute untereinander richteten sich bei Abwicklung ihrer Geschäfte nach ganz bestimmten Usancen, und es soll nur selten vorgekommen sein, daß das untereinander gegebene Wort nicht, gehalten worden wäre. Sie fürchteten — wie man dort sagt —, ihr Gesicht zu verlieren. Nach Einführung der Verfassung, als das Kastenwesen aufgehoben war, befaßten sich auch Mitglieder anderer Kasten mit kaufmännischen Unternehmungen, und die bis dahin bestehenden Usancen verloren ihren Wert, den sie im begrenzten Kreise der Kaufmannskaste besessen hatten. Der Kampf gegen Außenstehende war durch Generationen so in Fleisch und Blut übergegangen, daß die Empfindung des Unrechts, das wir in dem Verstoß gegen Treu und Glauben sehen, nicht zum Bewußtsein kam. Noch mehr aber als gegen die neu in den Handelsstand eintretenden Japaner macht sich dieser Mißstand gegenüber Kaufleuten anderer Nationen bemerkbar. Japan führte dann ein Handelsgesetz nach deutschem Muster ein. In Deutschland war dieses auf Grund der Anschauungen entstanden, die sich über Treu und Glauben, über Recht und Sitte im deutschen Handelsstande durch viele Generationen gebildet hatten; in Japan sollten aber umgekehrt Recht und Sitte sich erst nach dem toten Buchstaben, nach dem nun gegebenen Gesetze bilden. Es ist ganz natürlich, daß dies nicht in einer Generation möglich ist, und es wird seine Zeit dauern, ehe das Volk sich den im Gesetze zum Ausdruck gebrachten Rechtsgrundsätzen angepaßt haben wird. Wenn der japanische Richter einen Streitfall nach diesem Gesetze beurteilen will, muß er dort ebenso wie hier in den meisten Fällen sein Urteil auf dem, was in Handel und Verkehr üblich ist, begründen. Usancen sind aber, obgleich Handelskammern bestehen, noch nicht gebildet oder festgestellt worden. Der Richter muß deshalb auf Grund von Sachverständigen-Gutachten sein Urteil fällen. Diese Sachver.

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ständigen rekrutieren sich in den meisten Fällen aber auch aus Japanern, die eben noch andere Rechtsanschauungen haben, als man sie in Deutschland bei Sachverständigen zu finden gewöhnt ist. In einem Streite mit Ausländern macht sich noch immer die Abneigung gegen Fremde bemerkbar und verhindert ein unparteiisches Gutachten. Es muß deshalb das Bestreben sein, feststehende Handelsusancen zu schaffen, die gleichmäßig für den In- wie Ausländer Geltung haben, und darauf sollten nicht nur die reell denkenden japanischen Kaufleute, sondern auch die Kaufleute anderer Nationen hinwirken. Bei der fortschreitenden Bildung nach der Art westlicher Kultur, welche durch das Schulwesen in die weitesten Kreise des japanischen Volkes getragen wird, und nach den Fähigkeiten, die der Japaner in bezug auf seine Entwicklung bisher gezeigt hat, ist anzunehmen, daß die Anschauungen über Treu und Glauben nach Grundsätzen, wie sie die westliche Kultur besitzt, in nicht allzu langer Zeit auch dort festen Fuß fassen werden. Die Japaner werden dies auch schon in ihrem eigenen Interesse tun müssen, wenn sie den Verkehr mit den westlichen Nationen ausbauen wollen. Berücksichtigt man alle diese Momente, so kann auf wirtschaftlichem Gebiete, obgleich Japan immer eine beachtenswerte Konkurrenz in China bleiben wird, von einer Gefahr, d. h. von einem Lahmlegen oder einem Verdrängen unserer Industrie durch die Japaner wohl nicht gesprochen werden; im Gegenteil: Japan selbst wird ein sich noch immer steigerndes Absatzfeld für die Produkte anderer Länder bilden. Die Frage, in welchem Umfange wir daran teilnehmen werden, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Deutschlands Einfuhr nach Japan war bisher zwar steigend; sie betrug: 1895 12,2 Millionen Yen, 1908 46,2 Millionen Yen gegenüber der Großbritanniens von 1895 45,1 Millionen Yen, 1908 107,7 Millionen Yen; dagegen steigerte sich die Einfuhr der Vereinigten Staaten Amerikas von 1895 9,2 Millionen Yen auf 1908 77,6 Millionen Yen.

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Aus diesen Zahlen geht hervor, daß, wenn auch die deutsche Einfuhr gestiegen ist, sie doch bei weitem nicht die Steigerung erreicht hat, mit welcher Amerika an dem vergrößerten Import nach Japan beteiligt ist; denn während die deutsche Einfuhr sich noch nicht einmal vervierfacht hat, wenn sie auch immerhin besser abschneidet als die Großbritanniens, steht ihr gegenüber Amerika, dessen Import in der gleichen Zeit beinahe um das Neunfache gestiegen ist. Schon bei meiner Anwesenheit im Jahre 1904 in den Vereinigten Staaten machte die bedeutende Entwicklung der Fertigfabrikateindustrie großen Eindruck auf mich. Die Produktion ist dort auf Massenherstellung aufgebaut, und überall ist es das leitende Prinzip, die Generalunkosten für das einzelne Stück sozusagen auf Null herabzudrücken. Das wird besonders erreicht durch die hohen Löhne, welche einerseits dazu drängen, mehr durch Maschinenarbeit anzufertigen, und andererseits den Konsum davon abhalten, schadhafte "Waren durch Handarbeit oder mit größerem Zeitaufwand zu reparieren; solche schadhaften Waren werden lieber durch neue Stücke ersetzt. Die Massenproduktion findet aber auch eine große Stütze in dem, gegenüber Europa, in geringerem Maße vorhandenen subjektiven Geschmack, der eine gleichartige Produktion in großem Umfange durch Maschinen zuläßt. So wenig aber auf die Bildung des subjektiven Geschmacks dort gegeben wird, um so stärker findet man bei dem Amerikaner den Blick für praktische Maßnahmen zur Erreichung des gewünschten Zweckes geschärft. Es würde zu weit führen, wollte ich auch nur eine Anzahl typischer praktischer Maßnahmen hier anführen. Aber ich werde weiter noch darauf eingehen, auf welchem Wege die Amerikaner den ostasiatischen Markt für sich gewinnen. Auf die Entwicklung Ostasiens wird von den Vereinigten Staaten her der größte Einfluß ausgeübt. Die geographische Lage und die günstige Verbindung zwischen den Ländern hat schon seit langem Japaner und Chinesen nach der Westküste der Vereinigten Staaten geführt, welche nach ihrer Rückkehr in die Heimat zu Pionieren für amerikanische Art und für den Absatz amerikanischer Produkte wurden. AVenn nun auch politische Reibereien gerade zwischen Japan und den Vereinigten Staaten, besonders in den letzten Jahren, nicht ausblieben, so konnten diese doch den Einfluß nicht aufheben.

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Der größte Teil der gebildeten Japaner spricht als fremde Sprache Englisch, und hierbei kommt die Sprachgemeinschaft mit den Engländern dem Amerikaner ebenfalls zugute. Deutsch vrird verhältnismäßig wenig gesprochen. Seit einigen Jahren wird dieser Einfluß noch dadurch verstärkt, daß sich in Japan ein Keiseverkehr ä la Schweiz bzw. Italien entwickelt, zu welchem das Hauptkontingent von Amerikanern gestellt wird. Diese Vergnügungsreisenden werden von der japanischen Bevölkerung, soweit sie der westlichen Kultur zuneigt, natürlicherweise als nachahmenswert angesehen. Der Erfolg ist, daß der Japaner, sobald er seine Nationalkleidung ablegt und sich einen Hut kauft, natürlich einen amerikanischen wählt und, sobald er Stiefel oder sonst irgendein Kleidungsstück zu erwerben gedenkt, nach amerikanischen Produkten greift. Die nahe persönliche Berührung mit den Amerikanern sowie die vielen technischen Faehkurse, welche jene in Japan veranstaltet haben, zeitigen den Erfolg, daß dort in Fabriken und "Werkstätten meist amerikanische Handwerkszeuge und Maschinen zu finden sind, obgleich von vielen Japanern die größere Präzision und die bessere Qualität der deutschen Maschinen anerkannt wird. Wir Deutsche haben zwar auf die Gesetzgebung und Entwicklung des Heeres Einfluß genommen, die Amerikaner hingegen auf die Entwicklung ihres Absatzgebietes. Noch mehr als in Japan selbst haben die Amerikaner in Korea vermittelst der technischen Kurse, die sie dort abhalten ließen, den Absatz ihrer Produkte gefördert. Hierbei hat die „Young Men's Christian Association" einen vorzüglichen Dienst geleistet. Diese dem Namen nach religiöse Gesellschaft kümmert sich recht wenig um die Bekehrung der Buddhisten und Shintoisten. Der Hauptzweck ist, die Asiaten mit der Verarbeitung amerikanischer Materialien, mit amerikanischen Maschinen und Handwerkszeugen vertraut zu machen, um sie als Abnehmer dieser Produkte zu gewinnen. Die aus privaten und besonders aus industriellen und kommerziellen amerikanischen Kreisen für die Bedürfnisse dieser Mission hergegebenen Mittel haben schon nach dem bisher erzielten Erfolge gute Zinsen getragen. Es ist bedauerlich, daß von deutscher Seite für die Gewinnung dieses Marktes so wenig getan wird. Die Einfuhr deutscher Waren hat sich noch nicht über die Höhe von 1% gehoben. Wenn Korea auch von den Japanern politisch nicht richtig behandelt sein mag, so haben diese

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doch für die wirtschaftliche Entwicklung Koreas Staunenswertes geleistet, und ein Weiteraufblühen des Landes ist sicher zu erwarten. Der Vorsprang, den die Amerikaner anderen Nationen gegenüber mit ihrer vergrößerten Ausfuhr nach Ostasien gewonnen haben, scheint mir vor allem in der von ihnen geübten Vorbereitung des Marktes für die Aufnahme ihrer Produkte zu liegen. Auch Japan hat in China mittels instruktiver Tätigkeit den Markt für die. Aufnahme seiner Produkte vorbereitet, und in gleichem Verhältnis, wie dies der Fall war, stieg oder fiel seine Einfuhr. Japan zeigte nach vorangegangenem großen Aufschwung in der letzten Zeit einen prozentualen Rückgang seines Importes nach China. Man glaubt, diesen Rückgang damit richtig zu begründen, daß der japanische Einfluß auf die Entwicklung in China in den letzten Jahren gehemmt worden ist, Aveil in den leitenden chinesischen Kreisen gefürchtet wird, daß die japanische Schulung unter den chinesischen jungen Leuten zu viel Halbbildung verbreitet und damit revolutionäre Elemente hervorbringt, welche die Ruhe und die Gleichmäßigkeit in der Entwicklung gefährden. Man muß in der heutigen Zeit vorgeschrittener kommerzieller Erkenntnis und Entwicklung dafür sorgen, daß für Produkte, die zum Verkauf kommen sollen, auch möglichst großer Bedarf erzeugt wird. Wenn wir uns auf dem Gebiete der elektrischen Industrie umsehen, so finden wir nach dieser Richtung hin ein planmäßiges Vorgehen. Die großen Gesellschaften haben z. B. in den verschiedensten Zentren Anlagen zur Erzeugung elektrischer Kräfte geschaffen, um den Bedarf für Elektromotore und elektrische Beleuchtungskörper usw. zu heben. Der weitsichtige Rockefeiler, der „Petroleumkönig", verkaufte zu ganz minimalen Preisen oder verschenkte sogar viele tausend Petroleumlampen, um den Bedarf an Petroleum in China zu steigern, und dasselbe Prinzip befolgt die amerikanische Regierung, indem sie einen Teil der ihr zugesprochenen Entschädigung infolge der Unruhen von 1900 an China unter der einzigen Bedingung zurückgab, daß jährlich einige hundert Studenten auf amerikanische Universitäten zum Studium entsendet und andererseits amerikanische Lehrer an chinesischen Hochschulen beschäftigt werden. Der Wunsch, Einfluß auf die Entwicklung zu gewinnen, das Streben, amerikanische Art und Sitte in China zu verbreiten, macht auch große private Summen flüssig, um amerikanische Bildungsstätten in China zu errichten; denn die Ameri-

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kaner sehen mit klarem Blick den praktischen Erfolg und wissen, daß der Verbreitung von Art und Sitte die Einfuhr amerikanischer Waren folgen muß. Von deutscher Seite wurde leider nach dieser Richtung hin noch sehr wenig getan, und es spricht viel dafür, daß dies der Grund für den Rückgang unseres Exports nach China ist. Zu dieser Vorbereitung des Marktes rechne ich — wie ich schon erwähnte — die Verbreitung der Art, Sitte, Lebensweise und vor allem der Sprache einer Nation. Der Chinese wird sich denjenigen Produkten mehr zuwenden, die von einer Nation stammen, deren Art, Kultur und Sitte er nachahmenswert findet, und wird sie von demjenigen am ehesten kaufen, dessen Sprache er versteht. Das beste Mittel, um eine fremde Sprache, Sitten und Kultur in ein Volk zu tragen, ist die Schule, und das Verhältnis des Einflusses auf die Schule ist zugleich das des Einflusses auf ein Volk. Aber nur in wenigen Ländern ist die Möglichkeit vorhanden, Einfluß auf die Schule zu nehmen. In China ist dies anders. Die chinesische Regierung und die leitenden Personen dort, die jetzt von der Notwendigkeit der Entwicklung Chinas nach westlichem Muster überzeugt sind, haben richtig erkannt, daß die Grundlage für die Entwicklung die Schule sein muß, und daß deshalb in erster Reihe Schulen errichtet werden müssen. Erst nach Einführung vermehrter Bildung soll dann die Erhöhung der Zentralgewalt, die Verbesserung des Finanzwesens durchgeführt und eine Verfassung gegeben werden. Bei den bestehenden schlechten Finanzverhältnissen und den geringen Erfahrungen auf diesem Gebiet akzeptiert die Regierung deshalb gern die Hilfe der verschiedenen Nationen, bei der Vermehrung und Verbesserung des Schulwesens mitzuwirken. Sicher haben sie sich die Entwicklung Rußlands vor 200 Jahren als Lehre dienen lassen, und das, was dort versäumt ist, hier nicht vergessen. In Rußland macht sich das Fehlen der Schulen ganz besonders bei der ganzen jetzigen Lage geltend. Eine Hilfe bei der Entwicklung des Schulwesens bedeutet nicht etwa nur ein Geschenk an China; es wird damit absolut nicht nur China ein Dienst geleistet, sondern die eigenen Interessen der helfenden Nationen werden so weit gefördert, daß dies mehr als ein Äquivalent darstellt.

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Sehen wir uns an, in welchem Maße sich die verschiedenen Nationen diesen Weg, in China Einfluß zu erlangen, zunutze gemacht haben. Nach Angaben des leider zu früh dahingeschiedenen Herrn Geh. Legationsrats Dr. Knappe waren 1906 in den verschiedenen Teilen Chinas viele Tausende japanischer Lehrer in chinesischen Schulen tätig. Die Franzosen besaßen 4800 niedere, 500 höhere Schulen, die Engländer 722 niedere, 37 höhere Schulen, die Amerikaner 920 niedere, 83 höhere Schulen, die Deutschen dagegen nur 23 niedere und 4 höhere Schulen in China inkl. des Schutzgebietes Tsingtau. Nach dieser Zeit haben sich die Schulen anderer Nationen, besonders die der Amerikaner, erheblich vermehrt. "Wenn man eine Scheidung zwischen religiösen und weltlichen Schulen macht, so gehören zu den ersten alle französischen, ein großer Teil der englischen und ein kleiner Teil der amerikanischen Schulen sowie die 23 deutschen niederen Schulen. Bei dem großen Mißtrauen, das die Chinesen den Bekehrungsvcrsuchen zur christlichen Religion gegenüber besitzen, können die religiösen Schulen keinen so großen Einfluß auf die Förderung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Nation ausüben wie die weltlichen Schulen oder die buddhistisch-japanischen Lehrer. Für die Vermehrung von Deutschlands Einfluß kommen jetzt deshalb nur die bestehenden 4 Mittelschulen, die Medizinschule in Shanghai, eine Bergwerks- und eine Eisenbahnschule, außerdem die neuerdings errichtete Universität in Tsingtau und 7 der chinesischen seitens der deutschen Regierung zur Verfügung gestellten Sprachlehrer in Betracht. Das sind zusammen vielleicht 50 Lehrkräfte, die für die deutsche Sprache wirken gegenüber mehreren Tausend der Amerikaner, Engländer und Japaner. Hierzu kommt noch, daß die Engländer und Amerikaner sich durch ihre Sprachgemeinschaft gegenseitig unterstützen und daß die Japaner infolge der Rassen- und Religionsgemeinschaft, der Sprachverwandtschaft und der geographischen Lage einen Vorsprung haben. Andererseits muß ich hervorheben, daß besonders in letzter Zeit die chinesischen Behörden die Ausbildung junger Leute in Japan recht mißtrausich betrachten, weil diese mit Halbbildung und mit revolutionären Ideen heimkehren. Viele Japaner machen in reklamehafter Weise bekannt, daß sie innerhalb weniger Wochen junge Leute in die westliche Wissenschaft

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einführen können und sie in kurzer Zeit zu Medizinern, Rechtsgelehrten, Chemikern, Physikern usw. auszubilden imstande sind. Daß eine solche Bildung nicht nützlich, sondern sehr schädlich wirken kann, ist auch den Chinesen klar geworden. Die Deutschen besitzen sowohl bei den chinesischen Behörden als auch im Volke, soweit dieses überhaupt etwas von Deutschland kennen gelernt hat, und trotz aller Anfeindungen seitens anderer Nationen, einen guten Namen. Die Studienkommissionen, welche die Regierung zum Studium der Verhältnisse in Europa und Amerika nach den verschiedenen Ländern entsandte, haben gerade über Deutschland besonders günstige Urteile gefällt und die Entwicldung nach deutschem Muster besonders empfohlen. Die Ansicht dieser Kommissionen fand weite Verbreitung im chinesischen Volke. Dies ist eine vorzügliche Grundlage, auf der sich sicher und aussichtsreich weiterbauen läßt. Wir besitzen auch Lehrkräfte, die für eine Aufgabe, wie sie in China zu lösen ist, besser geeignet sind als die irgendeiner andern Nation. Aber das Ziel unserer Tätigkeit muß nach praktischeren Gesichtspunkten hingelenkt werden. Nach dieser Richtung können wir von den Amerikanern besonders viel lernen. Die amerikanischen Schulen begnügen sich nicht damit, die englische Sprache und theoretische "Wissenschaften zu lehren, sondern sie gliedern ihren Anstalten praktische Fachkurse an. In diesen lernt der Chinese den Gebrauch von amerikanischem Handwerkszeug und von amerikanischen Maschinen sowie die Verarbeitung amerikanischer Rohstoffe kennen. Die Amerikaner erreichen damit, daß der Chinese sich nicht nur durch die Kenntnis der Sprache mit amerikanischer Art und Sitte befreundet und seine weitere Ausbildung nach der gleichen Richtung fortsetzt, sondern auch, daß er, wenn er das Ausland besuchen will, seinen Weg nach Amerika nimmt. Wendet sich nun aber ein so vorgebildeter Chinese einer gewerblichen Tätigkeit zu, so bevorzugt er auch amerikanische Produkte, die er nun doch einmal kennt. Die Möglichkeit, sich in amerikanischen Schulen zugleich für einen gewerblichen Beruf eine dem Stande der westlichen Technik entsprechende Ausbildung anzueignen, führt der Schule eine größere Schülerzahl zu.

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Der Chinese besitzt im allgemeinen eine große manuelle Geschicklichkeit und ergreift immer gern die Gelegenheit, sie auszubilden. Hat er bestimmte Werkzeuge und Materialien erst kennen gelernt, so ist-es ganz natürlich, daß er sie auch gern weiter gebraucht und nicht leicht zu andern übergeht; ist er zum Beginn seiner Tätigkeit ein kleiner Handwerker, so steht ihm der Weg offen, ein bedeutender Fabrikant zu werden, der um so mehr der Nation, von der er gelernt hat, nützlich sein kann. Als zukünftiger Beamter wird er, seiner Ausbildung zufolge, ganz natürlich amerikanische Interessen unterstützen. Diese praktische technische Ausbildung hat aber auch den Vorteil, daß sich die aufgewendeten Mittel durch die Eröffnung des Marktes und Absatzes von Waren schneller rentieren und schon die jetzige Generation davon Nutzen ziehen kann. Einen Beweis für die Wirkung der Ausbildung bietet das Schreiben eines sehr versierten, angesehenen Deutschen, das ich vor einiger Zeit erhalten habe. E s heißt darin: „Wir erleben es hier draußen jeden Tag, wie schwer es ist, der Phalanx der englischsprechenden Chinesen gegenüber mit unserem Deutsch zur Geltung zu kommen. Es ist j a nicht die Sprache allein, auf die es ankommt, sondern die natürlichen Folgen ihrer Erlernung. Ohne den durch die Kenntnis des Deutschen deutschem Einflüsse zugänglichen früheren Direktor der neuen TientsinPokau-Bahn wären kaum die Millionenbestellungen für diese Bahn in Deutschland untergebracht worden. Sein Nachfolger, ein der englischen Kantonesenklique angehörender blinder Anhänger englischamerikanischen Wesens, hat sein Amt sofort damit begonnen, daß er einen größeren für deutsche Fabriken bereits vorhergesehenen Auftrag in Eisenbahnwagen usw. nicht unterzeichnete, obwohl die deutschen Angebote die billigsten waren." Solchen Tatsachen gegenüber erscheint es mir überflüssig, mit vielen Worten noch den Wert der amerikanisch-englischen Schulen weiter hervorzuheben. Die seit November vorigen Jahres bestehende Hochschule ohne religiösen Charakter in Tsingtau ist der erste bedeutsame Schritt, den Deutschland gemacht hat, um von der zur Förderung kommerzieller Interessen in Tsingtau dort geschaffenen Basis aus durch Schulen Einfluß auf das große China nehmen zu können. E s ist erfreulich, daß die chinesische Regierung die Bedeuturig deutschen Schulwesens dadurch ausgezeichnet hat, daß sie dieser Hochschule auf deutschem

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Gebiet nicht nur eine finanzielle Unterstützung gewährt, sondern auch die Berechtigung zuerkannt hat, daß die Ausbildung auf ihr zum Eintritt in den Staatsdienst genügt. Es ist dies der erste Fall, daß die chinesische Regierung der Schule einer fremden Nation so viel Entgegenkommen gezeigt hat. Die Hochschule in Tsingtau besteht aus einer Unterstufe mit sechsjährigem Lehrgang, in der die deutschchinesische Sprache sowie die allgemeinen Wissenschaften gelehrt werden, und einer Oberstufe, die vier Abteilungen hat, und zwar eine staatswissenschaftliche, eine medizinische, eine technische und eine forst- und landwirtschaftliche. Der Lehrgang in jeder dieser Abteilungen beträgt drei bis vier Jahre, und für die medizinische Abteilung ist noch ein Jahr praktischer Tätigkeit vorgeschrieben. Die Errichtung der Hochschule in Tsingtau an einem Platze, der sowohl in Architektur und Einrichtungen wie im ganzen Wesen rein deutsch ist, hat insofern größere Bedeutung für uns, als an jedem andern Platze in China, weil in Tsingtau gleichzeitig durch Anschauungsunterricht deutsche Art und deutsches Wesen den Studierenden eingeimpft werden. Eine erfreuliche Folge der Einrichtung der Hochschule in Tsingtau hat sich bereits darin gezeigt, daß ein kaiserliches Edikt neben der englischen die deutsche Sprache als die wichtigste, die in mittleren und höheren Schulen zu lehren sei, vorgeschrieben hat. Erfreulich ist auch, daß endlich in Tsingtau ein Ubersetzungsinstitut geschaffen wurde, welches die deutsche Schulliteratur ins Chinesische übersetzen soll. Der Mangel an deutsch-chinesischer Schulliteratur wird bereits seit langer Zeit sehr unangenehm empfunden, besonders gegenüber der zahlreichen englisch-amerikanisch-chinesischen Schulliteratur, die darum für deutschen Einfluß sehr schädlich ist, weil sie deutsche Verhältnisse zum Teil schief, zum Teil ganz falsch darstellt und schon in den jugendlichen Köpfen eine schlechte Meinung über deutsche Verhältnisse erweckt. Die vom Reichstag hierfür bewilligte Summe dürfte sich sehr bald gut rentieren und wird hoffentlich die Veranlassung sein, weitere Summen für dieses bedeutsame Wirken auszugeben. Die Bedeutung des Besitzes von Tsingtau darf weder vom rein politischen Standpunkt aus, noch von den Zahlen ausgehend beurteilt werden, die als Ein- und Ausfuhr von Waren über den Hafen von Tsingtau sich ergaben. Die große Bedeutung und der hohe Wert für Deutschland liegen vielmehr darin, daß von diesem Stützpunkt aus deutsche Kultur, deutsches Wesen in China mit größtem Erfolge

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verbreitet werden kann. Dies ist aber das beste Mittel, den Absatz deutscher Produkte in China zu fördern, das mit einigen hundert Millionen Mark nicht zu teuer erkauft ist. Es ist notwendig, daß auch in chinesischen Kreisen immer mehr zur Erkenntnis kommt, daß es nicht politische Motive sind, die uns in Tsingtau beschäftigen, sondern daß dieser Hafen ein Stützpunkt für unsere wirtschaftlichen Interessen ist, deren Wahrnehmung zugleich auch für China nützlich und der Entwicklung Chinas besonders förderlich ist. Die Errichtung der Medizinschulc in Shanghai ist ja sehr anerkennenswert. Sie wird unbedingt dazu beitragen, dem Ansehen des deutschen Namens weiter zu nützen, und muß deshalb unter allen Umständen erhalten werden. Es kann unser Ziel jedoch nicht nur sein, die Chinesen zu tüchtigen Ärzten oder gar zu Philosophen auszubilden. Die der Medizinschule angegliederte Sprachschule müßte deshalb einen universellen Charakter erhalten, um nicht nur als Vorschule für die Medizinschule, wie dies jetzt der Fall ist, zu dienen, sondern den Schülern zugleich die Möglichkeit zu geben, nach deren Absolvierung auch jede andere Bildungsanstalt, so z. B. die Hochschule in Tsingtau, zu besuchen und sie ebenso für den Eintritt in jedes kommerzielle wie industrielle Unternehmen zu befähigen. Unsere Hauptaufgabe aber muß weiter die Errichtung möglichst vieler, nicht religiöser Schulen mit Angliedcrung technischer Kurse an allen volkreichen Plätzen Chinas sein, die zugleich für den Besuch der Hochschule in Tsingtau vorbereiten und ihr Schüler aus allen Teilen des weiten Reiches zuführen. Gerade wir in Deutschland besitzen durch unser weit durchgebildetes Fachschulwesen Lehrer, die sich besonders hierfür eignen und die keine andere Nation zu stellen imstande ist. Das sind Mittel, mit denen wir bei Einführung westlicher Kultur in China den Konkurrenzkampf nicht zu scheuen brauchen, auch wenn uns nicht die großen Mittel der Amerikaner zur Verfügung stehen. Allerdings gehört zur Durchführung einer solchen Aufgabe immerhin ebenso wie zur Kriegsführung Geld, Geld und nochmals Geld. England und Amerika haben viele Millionen aus privaten Mitteln hierfür aufgebracht. Englische und amerikanische Industrielle haben die Wahrnehmung ihres eigensten Interesses wohl verstanden, indem

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sie bedeutende Summen für Schulzwecke in China aufwandten und weiter aufwenden. Unsere Regierung, die zur Hebung und zum Schutze unseres Handels in China viele Millionen in Tsingtau verwendet hat, sollte in Verfolg und zur Förderung ihres Zieles für die bedeutende Aufgabe, auf diesem aussichtsreichen Wege in China kommerziell festeren Fuß zu fassen, weitere Mittel bereitstellen. Unsere Industrie und unser Handel aber, die an dem in so riesenhaftem Umfange in China neu entstehenden Bedarf interessiert sind, dürfen ihre Pflicht und ihre eigensten Interessen nicht vernachlässigen; sie müssen größere Summen hierfür aufbringen. Die hierfür aufgewendeten Gelder sind als nichts anderes denn als Handlungsunkosten für Propaganda anzusehen, die in der Zukunft sich ebenso gut rentieren können, ja vielleicht in höherem Maße Erfolge versprechen als z. B. manches hochbezahlte Inserat. Neben dem Schulwesen ist auch die Presse von nicht zu unterschätzendem Einfluß. Aber auch darin sind wir den andern Nationen gegenüber weit im Rückstände. Während in China eine ganze Reihe von Tageszeitungen in englischer Sprache erscheinen, besitzen wir nur eine deutsche Wochenschrift, den „Ostasiatischen Lloyd in Shanghai". Ebenso läßt es unsere hiesige Presse bisher an Besprechungen der ostasiatischen Verhältnisse noch immer fehlen, und gerade die Kenntnis dieses für die Zukunft so besonders wichtigen Teiles der Erde dürfte zu besserer wechselseitiger Beziehung führen. Von welchem Einfluß aber die Presse gerade in einem sich entwickelnden Lande ist, brauche ich hier wohl nicht näher zu besprechen. Es würde auch zu weit führen, wollte ich ihnen Beispiele dafür geben, wie oft englische Zeitungen deutsche Verhältnisse in wenig freundlicher Weise darstellen, ohne daß wir imstande sind, derartige Ausführungen von einer deutschen Zeitung widerlegen zu lassen. Auch zum Besuche Deutschlands sollten chinesische Reisende mehr angeregt und ihnen die Reisen im Lande z. B. durch die Vereine zur Hebung des Fremdenverkehrs erleichtert werden. Sie würden dadurch in vergrößerter Zahl hierher gezogen werden und könnten in China viel zur genaueren Kenntnis deutscher Verhältnisse beitragen. Ein von dem Heimkehrenden gefälltes günstiges Urteil über deutsche Art, Einrichtungen und Produkte wird oft Veranlassung sein, auf den verschiedensten Gebieten Deutschlands als Vorbild bzw. als Lieferant zu wählen.

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Meine Herren, ich habe versucht, Ihnen ein Bild von der Bedeutung des ostasiatischen Marktes zu entrollen. Bei der jetzt einsetzenden Entwicklung dieses Marktes steht für die Zukunft der deutschen Industrie viel auf dem Spiel. Unserer Generation liegt es ob, und sie hat die Verantwortung dafür, die rechten Mittel anzuwenden, dieses große Absatzgebiet für unsere Industrie nutzbar zu machen und es nicht unseren Vettern jenseits des Kanals und des Ozeans zu überlassen. "Wenn wir während der Entwicklung in Japan Adel versäumt haben, so muß uns dies eine Lehre sein, die wir bei der Entwicklung in China beherzigen. Wir dürfen die Aufwendung von Mitteln nicht scheuen, um den Markt für den Absatz unserer Produkte vorzubereiten.

IL

Die Elitwickelung, Art und Bedeutung der modernen Holzbearbeitungsindustrie. Vortrag des Herrn F r a n z

Bendix,

Direktors der Ferdinand Bendix Söhne, Aktiengesellschaft für Holzbearbeitung.

Gewerbliche Einzelvorträge.

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Es gibt wohl kaum eine Industrie, die so mannigfache Fabrikate erzeugt und in den Handel bringt wie die holzbearbeitende, und es gibt wohl keine Industrie, die nicht Artikel der Holzbearbeitung verwendet. Die Holzindustrie ist so alt wie die Weltgeschichte. Man hat schon sehr frühzeitig verstanden, das in den Wäldern wachsende Holz sich nutzbar zu machen, man lernte es schnell, alle möglichen zum Leben notwendigen Instrumente und Gerätschaften aus dem leicht zu bearbeitenden Material herzustellen. Ursprünglich bearbeitete man Holz mit der A x t und mit dem Messer und fertigte sich in primitivster Weise allerlei Gebrauchsgegenstände, Waffen, wie Speere, Lanzen, Schilde, Pfeile usw., auch Ziergeräte an. Dann erfand man die Säge und den Hobel und vervollkommnete die Werkzeuge nach und nach so, daß man imstande war, alle möglichen Arbeiten in guter, sauberer Ausführung herzustellen. Von den holzbearbeitenden Gewerben ist das größte die Tischlerei, und ich werde mir, um Ihnen einen Begriff der darin gebrauchten Werkzeuge zu geben, gestatten, eine Tischlerwerkstätte zu beschreiben. Wir finden als unbedingt notwendig die Hobelbank, auf der der Tischler sein Arbeitsstück auflegen und in den verschiedensten Lagen festspannen kann. Dann gebraucht er verschiedene Sägen, diverse Hobel, Stecheisen, Lochbeutel, Bohrer. Zum Verleimen der Holzteile verwendet er Schraubzwingen, Leimtopf, Pinsel, zum Fournieren Schraubböcke und die nötigen Zinkzulagen. Etliche Hilfswerkzeuge, wie Zollstock, Hammer, Zange, Winkel, Schmiege, Schneidelade vervollständigen seine Einrichtung. Viele Tausende von Tischlereien arbeiten auch heute noch ausschließlich mit diesen Werkzeugen, so z. B. alle kleinen Betriebe in kleinen Orten. Aber auch diese vielen kleinen Betriebe genießen schon den Vorteil der Großindustrie unserer Branche, da sie imstande sind, alle in Massen produzierten Artikel von Spezialfabriken oder 3*

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Handlungen zu billigem Preise zu erwerben. Wer denkt z. B. jetzt noch daran, sich seine Werkzeuge selbst zu machen oder Kehlleisten mit dem Hobel zu arbeiten, oder Spindaufsätze zu schweifen und zu schnitzen? Welcher Tischler leimt sich heute noch seine Jalousien selbst oder schneidet sich Dickten oder Fourniere? In späterer Zeit lernte man die Naturkräfte, hauptsächlich die Wasserkraft, der Holzbearbeitung nutzbar zu machen. Wir finden z. B. die Ihnen allen bekannte primitive Schneidemühle, die, durch Wasserkraft betrieben, eine in einen Gatterrahmen gespannte Säge hinauf und herunter bewegt und immer langsam und bedächtig ein Brett nach dem andern vom Baumstamme abschneidet. In gebirgigen Gegenden wird diese Kraft auch heute noch hauptsächlich für kleine und mittlere Betriebe der Holzbearbeitung sehr viel verwendet. Als man dann die Dampfkraft kennen lernte und diese ihren Siegeslauf über die ganze AVeit unaufhaltsam nahm, da war es nicht zuletzt die Holzindustrie, die sich diese Kraft zu eigen machte. Aber auch für kaum eine Industrie ist die Verwendung der Dampfkraft so geeignet wie für die Holzindustrie. Unsere Maschinen geben uns nämlich in Form von Spänen usw. das zu ihrer Bewegung notwendige Material. Die Späne werden unter dem Dampfkessel zur Erzeugung des Dampfes verfeuert. Man kann also beinahe sagen, unsere Maschinen ernähren sich selbst, indem sie sich ihre Nahrungsmittel als Nebenprodukt erzeugen. Die Kosten, die die Erzeugung der Dampfkraft uns verursacht, sind aus diesem Grunde nur gering. Hatte man jetzt eine für die Holzindustrie besonders geeignete Betriebskraft gefunden, so war auch hiermit sogleich die Basis für die Umwandlung des handwerksmäßigen Betriebes in den Großbetrieb gegeben. Die bedeutende Bevölkerungszunahme und die steigende Kaufkraft des deutschen Volkes mußten diese Umwandlung naturgemäß beschleunigen. Die Städte wuchsen gewaltig, die Bauindustrie florierte und brauchte große Quantitäten an Balken, Fußboden, Fenstern, Türen, Treppen usw. usw. Ähnlich ging es der Möbel- und den andern holzverwendenden Industrien. Überall stieg der Konsum rapide. J e größer der Bedarf an Holzfabrikaten wurde, desto mehr konnte sich die Technik auf diese Massenfabrikation einrichten und erhöhte ihrerseits den Konsum naturgemäß dadurch, daß fast alle Artikel im Preise heruntergesetzt werden konnten.

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Alle Werkzeuge des handwerksmäßigen Betriebes modelten sich, nahmen andere Formen an, um, durch die mechanische Kraft getrieben, ganz ungeahnte Leistungen zu erhalten. Eine moderne Schneidemühle z. B. sieht heute ganz anders aus als die geschilderte einfache Wasserschneidemühle. Man verwendet in der durch Dampf betriebenen Schneidemühle heute fast ausschließlich die sogenannten Vollgatter. In einem Rahmen sind soviel Sägen aufrecht eingespannt, als zum Zerschneiden des ganzen Blockes, also des ganzen Baumes in die verschiedenen Holzteile, meistenteils Bretter, notwendig sind, so daß es häufig genug vorkommt, daß in einem einzigen Gatterrahmen zehn Sägen und mehr arbeiten. Hierdurch ist natürlich eine ganz gewaltig größere Leistungsfähigkeit der Schneidemüllerei gegeben worden. "Welchen Umfang diese Industrie, die uns das Rohmaterial vorarbeitet, angenommen hat, ergibt sich daraus, daß schon vor 15 Jahren im Jahre 1895 im Deutschen Reiche 10 G99 Sägewerke mit 147 000 Pferdestärken gezählt worden sind. Genau wie in der Schneidemüllerei geht es in allen übrigen Zweigen der Holzbearbeitungsindustrie. Dabei ist Holz ein Material, das sich mechanisch sehr schwer bearbeiten läßt. Es hat sehr viele Eigenschaften, die den Holzbearbeitenden die allergrößten Schwierigkeiten verursachen. Holz verändert sich, es wirft sich, wird krumm, es trocknet, es quillt. Auch die Jahresringe bieten bei der maschinellen Bearbeitung manche Unannehmlichkeiten. Ich will nun versuchen, Ihnen in großen Umrissen zu zeigen, wie in der Holzbearbeitungsindustrie sich die Werkzeuge des HandMerkers verändert haben. Aus der Säge eines Tischlers, die ja wohl jeder von Ihnen kennt, wurde ein rundes Sägenblatt, die sogenannte K r e i s s ä g e , ungefähr mit den gleichen Zähnen, wie die Handsäge sie hat. Diese Säge wird auf eine Welle gesetzt und diese Welle in der Minute 1500- bis 3000 mal um sich selbst gedreht. Mit einer solchen Kreissäge kann man an einem Tage mehr schneiden als verschiedene hundert Tischler mit der Handsäge fertig bekommen. Außer der Kreissäge verwendet man Sägen, die in einem Band um zwei angetriebene Scheiben laufen, die sogenannten Bands ä g e n . Ferner außer andern eine feine hinauf und herunter gehende Schweifsäge mit dem Namen Dekoupiersäge, die ungefähr diejenige

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Arbeit leistet wie die Laub- bzw. Schweifsäge von früher, nur daß sie naturgemäß eine bedeutend größere Leistung hat. Aus dem Hobel des Tischlers wurde die H o b e l m a 6 c h i n c , große Wellen, an denen Köpfe befestigt sind, die die Hobelmesser aufnehmen. Diese Messerwellen werden 3000- bis 4000 mal in der Minute um ihre Achse gedreht. Man hobelt so große Quantitäten von Holz an einem Tage und hat außerdem den Vorteil, daß die Maschine genau gleichmäßige Arbeit liefert. Schon seit längerer Zeit werden Hobelmaschinen hergestellt, die Bretter oder Leisten v o n a l l e n v i e r S e i t e n m i t e i n e m M a l e b e a r b e i t e n . Die einzelnen Teile der Maschine sind verstellbar, so daß man eine Maschine für verschieden große Arbeitsstücke einstellen kann. Sind die Größen auf der Maschine richtig eingestellt, so kann man mit großer Bestimmtheit darauf rechnen, daß die nun in die Maschine gesteckten Hölzer gleichmäßig herauskommen. Die Zufuhr zu diesen Messerwellen besorgen geriefte "Walzen. Ein einziger Arbeiter genügt, die Maschine zu bedienen. Ungefähr ebenso k e h l t oder p r o f i l i e r t m a n , nur daß man an Stelle der glatten Hobeleisen profilierte Eisen einsetzt, d. h. man gibt den Schneidewerkzeugen das umgekehrte Profil der Gliederung, die man zu fabrizieren beabsichtigt. In nicht viel anderer Weise wird g e z a p f t und g e s c h l i t z t . An Stelle der komplizierten Arbeit mit der Handsäge ist hier das rotierende Messer getreten. Eine Maschine, die wie die Hobelmaschine gebaut ist, jedoch nur eine untere Messcrwellc hat und einen verhältnismäßig langen Tisch, aber keine Transportwalzen, ist zum A b r i c h t e n d e r H ö l z e r bestimmt. Sie ersetzt die Rauhbank, d . h . den langen Hobel des Tischlers. Man schiebt das gerade zu machende Brett so lange über die rotierenden Messer, bis es genau auf den nach allen Eichtungen hin extakt geraden Tisch paßt, mit andern Worten, bis eine tadellose Fläche entstanden ist. Das Wichtigste ist natürlich, daß das Arbeitsstück nicht unter Druck über die Eisen geht, also wenn es krumm ist, nicht durchgebogen wird. Die F r ä s e profiliert bzw. hobelt geschweifte Hölzer. Ein auf einer Welle steckender Profilkopf hat drei oder mehr Schärfen. Das geschweifte Holz wird an ihm vorübergeführt, und der Profilkopf frißt oder fräst in das Holz das Porfil ein.

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Eine B o h r m a s c h i n e , die einen Bohrer hat, der auch die Fähigkeit besitzt, seitwärts zu schneiden, arbeitet uns längliche Löcher (Stemmlöcher) ins Holz, dadurch, daß der Tisch, auf welchem das Arbeitsstück festgespannt wird, seitwärts bewegt wird. Diese Maschine nennt man L a n g l o c h b o h r m a s c h i n e , und sie ersetzt das Stemmeisen des Tischlers. D i e s e g e s c h i l d e r t e n M a s c h i n e n sind diejenigen, welche hauptsächlich verwendet werden und die fast jede größere Tischlerei heute beschäftigt. Die Großindustrie aber beschäftigt außer diesen noch eine ganze Reihe von Spezialmaschinen, die zum Teil recht kompliziert sind und auf deren Schilderung ich mich hier nicht einlassen kann, von denen ich mir aber gestatten werde, einige zu erläutern bzw. im Bilde zu zeigen. Wir finden also, wenn ich resümieren darf, daß die ganze Holzbearbeitungsindustrie nur wenige Arten von "Werkzeugen verwendet: die Säge, das Messer, den Bohrer, den Fräser. In letzter Zeit erfand man noch ein neues Werkzeug, die K e t t e . Sie besteht aus vielen Gliedern, und jedes Glied hat scharfe Stacheln. Schnell wird die Kette in einer Führung über zwei angetriebene Wellen herumbewegt und frißt nun das hinwegzunehmendc Holz aus dem Arbeitsstück heraus. Sie leistet die gleiche Arbeit wie die Langlochbohrmaschinc, nur vorteilhafter. Die Kettenstemmmaschine arbeitet schneller und liefert die Stemmlöcher viereckig, während die Langlochbohrmaschine nur ovale Löcher arbeiten kann. Die Tischlerei gebraucht aber die Stemmlöcher viereckig, und schon aus diesem Grunde dürfte die Kette den Bohrer bei der Herstellung von Stemmlöchern ersetzen. Die Maschinenindustrie hat uns außerdem eine Menge technischer Hilfsmaschinen gebracht, wie z. B. Sandpapiermaschinen zum Putzen des Holzes, Maschinen zum Schleifen und Feilen der Hobelmesser, Sägen usw. In hygienischer Beziehung hervorragend ist die Einführung von Exhaustoren in unseren Betrieben. Es sind dies große Ventilatoren, die, in Blechkasten eingeschlossen, schnell bewegt werden. Nach beiden Richtungen vom Ventilator aus sind Röhren angeschlossen. Von der einen Seite saugt der Ventilator die Luft in den Röhren an und damit alles, was in diese Röhren kommt. In unserem Falle sind es Späne, die die Messer oder die Sägen eben vom Holze abgenommen

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haben, da die oben geschilderten Röhren bis an die Werkzeuge geführt werden. Von der andern Seite wirft der Ventilator die Späne und spediert sie direkt ins Kesselhaus, wo sie verfeuert werden. Durch diese Einrichtung sind die Maschinenwerkstätten von dem sehr lästigen Holzstaube beinahe befreit worden. Der Holzstaub war den Augen und vor allen Dingen den Atmungsorganen der an den Maschinen beschäftigten Personen nicht ungefährlich. Von ganz besonderer Bedeutung ist es, daß das Holz, das wir zur Bearbeitung bringen, trocken ist. Nicht nur, daß sich trockenes Holz weniger bewegt als feuchtes, ist aber auch eine gute, saubere Arbeit nur bei trockenem Holz zu erzielen. Deswegen hat jeder größere Betrieb unserer Branche T r o c k e n k a m m e r n , in welchen durch hohe Temperaturen und durch reichliche Luftzirkulation in schneller Weise das Holz getrocknet werden kann. Es würde mich natürlich zu weit führen, wenn ich über alle in der Holzindustrie angewandten Einrichtungen mich auch nur beiläufig auslassen wollte. Jedoch möchte ich auf verschiedene neuere maschinelle Einrichtungen eingehen, weil ich annehme, daß sie von allgemeinem Interesse sind. Jeder von Ihnen weiß wohl, daß die Möbel, die an den sichtbaren Flächen edle Hölzer zeigen, nicht vollständig aus diesem Holze gefertigt sind. Man nimmt vielmehr gewöhnliches Kiefernholz oder sonstiges billiges Material und beleimt die sichtbaren Teile mit einem Fournier. Die Erzeugung dieser Fourniere geschah früher und geschieht zum Teil auch heute noch für bestimmte Zwecke auf Fourniersägen, d. h. auf kleinen Horizontalgattern, die für den vorgenannten Zweck besonders konstruiert waren. Neuerdings fabriziert man diesen Artikel wesentlich anders, man kocht oder dämpft die ganzen Blöcke, und ein großes Schneidemesser, das ebenso lang sein muß wie das Holz, schneidet, indem es in der Querrichtung gegen das Holz geführt wird, das Fournier vom Block. Die Hauptsache ist hierbei, daß ein genügend starker Druck so lange das Holz festhält, als das Eisen schneidet. Man kann auf diese Weise Fourniere bis zur Stärke von 4 mm, aber auch solche von y 2 , ja sogar % mm arbeiten. Eine moderne Fourniermaschine schneidet an einem Tage 2500 bis 3000 Blatt. Die Holzindustrie gebraucht zu ihrer Fabrikation vielfach sehr breite Platten. Bisher konnte man sich nicht anders helfen, als daß man das Holz zusammenleimte, um die Breiten zu erhalten, da ja

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bekanntlich die Bäume nicht so stark wachsen, wie der Tischler das Material verwenden muß. Man hat nun mit diesen Platten, um das kostspielige Verleimen nicht mehr nötig zu haben, in folgender Weise manipuliert. Man nimmt die zu verwendenden Blöcke, kocht bzw. dämpft sie, damit sie weich werden, setzt sie zwischen zwei rotierende Klauen und läßt ein Messer gegen dieses rotierende Holz laufen. Dadurch wird der Baumstamm aufgerollt, ungefähr, als wenn man ein fest zusammengewickeltes Band aufrollt. Dieses aufgewickelte Band wird dann durch große Scheren in diejenigen Breiten geschnitten, die benötigt werden. Das Messer kann so eingestellt werden, daß es eine stärkere oder eine schwächere Dickte vom Holz herunterschält. Unter Benutzung von Stapelhölzern werden diese Platten in genau horizontaler Lage so aufgesetzt, daß das Holz gut austrocknen kann. Ist es trocken, verändert es seine Fläche kaum noch. Wir erhalten durch diese Fabrikation ein in der Tischlerei sehr gut verwendbares Material. Diese geschälten Hölzer haben sich denn auch in kurzer Zeit großen Eingang in die Industrie verschafft. Interessant dürfte es Ihnen auch sein, daß z. B. die Zündholzfabrikation das von ihr verwendete Espenholz in derselben Weise aufschält, d. h. in derjenigen Stärke, die die Streichhölzer haben, und dann aus diesen Platten, die vielfach übereinandergelcgt werden, mit einem Schlage durch ein guillotineartig wirkende Vorrichtung viele Tausende Streichhölzer herstellt. Aus diesem geschälten Holze werden auch die Streichholzschachteln hergestellt. Zigarrenkisten werden heute fast ausschließlich aus geschälten Dickten erzeugt, ebenso allerhand andere Kisten, Kasten, Dosen, Fächer, Tabletts usw. usw. Die Dickten, deren Fabrikation ich Ihnen eben schilderte, werden auch vielfach in drei oder mehr zusammengeleimten Teilen verwendet. Man bestreicht die einzelnen Platten, die verleimt werden sollen, mit dem Bindemittel, legt sie dann so zusammen, daß immer bei der einen Dickte die Adern quer und bei der andern lang laufen. Gewaltige Pressen, deren Druckflächen erwärmt sind, sorgen dafür, daß durch starken Druck alle Flächen der Dickten fest aufeinandergepreßt werden, die überflüssige Bindemasse herausgequetscht wird und ein gleichmäßiges Binden an allen Teilen erfolgt. Die Preßflächen müssen genau gerade sein, denn nur mit solchen kann man gerade Platten erzeugen. Durch dieses Verleimen von drei oder mehr Dickten be-

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kommt man ein sehr stabiles, festes Material. Ihnen allen dürften z. B. die perforierten Stuhlsitzc bekannt sein, die aus derartigen Dickten erzeugt werden. Die Stärke eines solchen Stuhlsitzes beträgt 4 mm und die Tragfähigkeit desselben ist noch ganz außerordentlich, obwohl der Sitz durch viele Löcher in seiner Haltbarkeit geschmälert worden ist. Die runden Hutschachteln für die jetzt modernen Riesenhüte der Damen werden aus diesem Material gearbeitet, Füllungen für Türen, Spinde, Tischplatten, Riemenscheiben für Transmissionen und Maschinen, sogar Fässer stellt man aus diesem Material her, und noch -viele tausend andere Artikel. Es ist der Technik mehr oder weniger gelungen, fast jegliche Arbeit, die man bisher mit der Hand leistete, maschinell vorzunehmen. Wir kehlen z. B. die schönsten Profile mit der Maschine, wir pressen alle möglichen Ornamente, wir drehen Tischfüße, Stuhlfüße, Kugeln, Vasen, Treppentraillen usw., wir biegen Holz nach allen möglichen Schablonen. In der Stellmachern kann man heute fast alle Artikel maschinell erzeugen, die Faßfabrikation arbeitet fast ausschließlich mit Maschinen usw. Natürlich hat die Einführung der Maschinen und insbesondere der Spezialmaschinen den Arbeitslohn an den einzelnen Fabrikaten wesentlich reduziert. Für eine Stubentür, wie sie gewöhnlich verwendet wird, bezahlt eine gut eingerichtete Fabrik z. B. noch etwa 1,80 M. Arbeitslohn. Bedingung ist natürlich, daß große Mengen von einer Sorte zusammen gearbeitet werden, im Gegensatz hierzu zahlt der Tischler für eine gleiche Tür 6 bis 7 M. an Löhnen. Dabei haben die Tischler in Werkstätten mit Maschinenbetrieb wesentlich leichtere Arbeiten auszuführen als beim Handbetrieb, da gerade die Maschinen alle schwere Arbeit leisten. Die Elektrizität hat auch in unsere Industrie Eingang gefunden, nicht aber auf Kosten der Dampfkraft. Die großen Betriebe können die Dampfkraft aus vorher gekennzeichneten Gründen nicht entbehren. Dagegen haben mittlere und kleinere Betriebe, für die es sich nicht lohnen würde, Dampfmaschine und Kessel aufzustellen, den Elektromotor verwendet. Natürlich nur dort, wo von öffentlichen Stromabgaben in der Nähe ihm der elektrische Strom zugeführt werden kann. In wenigen ganz großen Betrieben hat man auch die Dampfkraft in Elektrizität umgewandelt, um die Transmissionen und Riemen zu ersparen.

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Die Verwendung der Elektromotoren gibt außerdem den Vorteil, daß man seine Maschinen stellen kann, wie und wo man will, weil man nicht mehr an eine Transmission gebunden ist. An dieser Stelle werde ich mir gestatten, etliche Maschinen im Bilde vorzuführen. Sehr gern hätte ich Ihnen kinematographische Bilder gebracht, weil ich dann die Maschinen bei der Arbeit hätte zeigen können. Ich mußte leider davon absehen, weil die kinematographischen Aufnahmen und die Vorführung gar zu teuer geworden wäre. Die Verwendung der Dampfkraft bzw. die Verwendung der verschiedensten Maschinen hat naturgemäß einen großen Aufschwung in der Holzindustrie veranlaßt. Während z. B. Deutschland im Jahre 1880 für 76 Millionen Mark Holz einführte, führte es im Jahre 1907 für 287 Millionen ein. Dagegen zeigt sich, daß die Ausfuhr heruntergegangen ist; während wir im Jahre 1880 für 41,8 Millionen Mark Rohholz exportierten, haben wir im Jahre 1907 nur noch für 12,80 Millionen ins Ausland geschickt. Der Rückgang in der Ausfuhr an Rohmaterial erklärt sich dadurch, daß Deutschland bei weitem nicht imstande ist, seinen Bedarf an Holz selbst zu produzieren. Unsere Regierung nimmt trotzdem einen namhaften Zoll für die Einfuhr von Hölzern, und deswegen können die andern Holz erzeugenden Länder, die ihr Rohmaterial nicht selbst verarbeiten können, wie z. B. Rußland, Schweden, Norwegen, Amerika usw., wesentlich billiger in die Holz einführenden Länder versenden als wir. Man soll aber trotzdem nicht glauben, daß, weil wir große Quantitäten Holz vom Ausland einführen, wir hier in Deutschland selbst nur eine geringe Holzproduktion haben. Im Gegenteil hat das Deutsche Reich einen gewaltigen Forstbetrieb und ein immenses Vermögen in den Wäldern stecken. Im Jahre 1900 hat man eine Aufstellung gemacht von all den Forstflächen, die hier existieren, und hat festgestellt, daß etwa 14 Millionen Hektar Forstflächen vorhanden sind. Danach taxiert man den gesamten Holzvorrat Deutschlands auf 2 Milliarden Festmeter, und da Sie sich nicht werden vorstellen können, was 2 Milliarden Festmeter Holz sind, so sage ich Ihnen, daß nach meiner ganz oberflächlichen Schätzung diese 2 Milliarden Festmeter etwa 15 bis 20 Milliarden Mark an Wert haben.

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Man ist auch einigermaßen imstande, den Verbrauch des Deutschen Reiches an Holz per Jahr festzustellen, und zwar dadurch, daß man ermittelt hat, daß das Deutsche Reich im Jahre 1900 20018000 Festmeter Holz geschlagen hat. Ich taxiere diesen Einschlag auf ungefähr 180 bis 200 Millionen Mark an "Wert und komme nun zu folgender Rechnung: Die Einfuhr betrug im Jahre 1900 241,2 Millionen die Produktion des eigenen Landes 200 „ zusammen 441,2 Millionen davon ab die Ausfuhr an Rohholz 22,8 „ so daß Deutschland im ganzen etwa für 4 2 0 M i l l i o n e n M a r k konsumiert hat. Über den Aufschwung der Holzindustrie geben folgende Zahlen Aufschluß: Die Holzberufsgenosscnschaft versicherte: im Jahre 1900 28 402 Betriebe, „ „ 1908 46 581 Personen waren versichert: im Jahre 1900 187 360 „ „ 1908 264 516. Anrechnungsfähige Löhne waren ausgewiesen: im Jahre 1900 160 Millionen Mark, „ „ 1908 267 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Deutsche Holzberafsgenossenschaft in den Jahren ihr Augenmerk besonders darauf richtete, alle diejenigen Betriebe, die nach dem Gesetz versicherungspflichtig sind, heranzuziehen, und es ist ihr gelungen, manch eine Tischlerei, die sich vorher von dem Versicherungszwange gedrückt hatte, zu ermitteln und zu versichern. Diese versicherten Personen sind bei weitem nicht alle, die in der Holzindustrie beschäftigt werden, da alle Meister, die ohne Gesellen oder nur mit Lehrlingen arbeiten, nicht versicherungspflichtig sind. Noch besser zeigen den Aufschwung der Holzindustrie folgende Zahlen: Sie hatte nach der Gewerbezählung: im Jahre 1882 284 502 Betriebe, „ „ 1895 262 250 „ „ 1907 241375

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Hierin beschäftigte sie an Personen: im Jahre 1882 521660 Betriebe, „ 1895 647 019 „ „ „ 1907 771059 Wir sehen den Rückgang der Zahl der Betriebe um etwa 43 000 und das Anwachsen der beschäftigten Personen um rund 250 000. Die Personenzahl hat sich also seit 1882 oder in 25 Jahren um etwa die Hälfte vennehrt. Man kann demnach deutlich erkennen, daß die einzelnen Betriebe mehr Menschen beschäftigen und die ganz kleinen Betriebe weniger werden, weil sie gegen die mit Maschinen eingerichteten nicht konkurrieren können. Während im Durchschnitt im Jahre 1882 ein Betrieb 1,8 Personen beschäftigte, arbeiteten im Jahre 1907 schon 3,2 Personen durchschnittlich in einem solchen. Im Jahre 1895 waren 7,2% sämtlicher Gewerbebetriebe Deutschlands holzbearbeitende und 3,42% aller erwerbstätigen Personen in der Holzindustrie beschäftigt. Ich möchte noch einige Zahlen über Import und Export von Holzfabrikaten geben. Im Jahre 1880 hat das Ausland uns für etwa 12 Millionen Mark Holzfabrikate inklusive Flechtwaren, also Korbwaren, geliefert. Später hat man in der Statistik glücklicherweise die Flechtwaren von den Holzwaren getrennt, und deswegen kann ich im Jahre 1907 die Zahlen ohne Flechtwaren geben. Die Einfuhr hat sich um 5% Millionen erhöht und betrug im ganzen 17y 2 Millionen. Die Ausfuhr von Holzfabrikaten betrug im Jahre 1880 42 Millionen Mark inklusive Flechtwaren und im Jahre 1907 34,7 Millionen Mark exklusive Flechtwaren. Wir sehen hier die merkwürdige Erscheinung, daß die Ausfuhr von Holzfabrikaten zwar zurückgegangen, aber immer noch größer ist als die Einfuhr, und das zeugt von der Intelligenz und Betriebskraft unserer Industrie. Denn es ist doch ganz unleugbar, daß aus den schon vorher angegebenen Gründen wir den andern Holz produzierenden Ländern gegenüber auf dem Weltmarkte im Nachteil sind. Nicht nur der Einfuhrzoll des Rohmaterials bringt uns den andern Holz produzierenden Ländern gegenüber in Nachteil; auch die soziale Gesetzgebung hat uns gewaltige Lasten gebracht, die das Ausland kaum kennt. Ferner sorgen Baupolizei und Gewerbeinspektion dafür, daß die Fabrikation bei uns nicht zu billig wird; wir müssen große,

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kostspielige Bauten auffuhren, um den Anforderungen dieser Behörden zu genügen, und große Kapitalien investieren, bevor wir imstande sind, etwas zu erzeugen. Wenn ich hier in diesem Gebäude über Fabrikation vor Zuhörern sprach, die bestrebt sind, sich die Kenntnisse anzueignen, die der H a n d e l heut erfordert, so tat ich es ausschließlich deswegen, weil ich weiß, welchen Anteil der Handel an der Holzindustrie hat. Der Handel liefert fast ausnahmslos der Holzindustrie, sei es dem Großindustriellen, sei es dem kleinen Tischlermeister, das Rohmaterial. Der Handel übernimmt auch fast ausschließlich die Fabrikate der Großholzindustrie und vertreibt sie. Und wenn, wie aus den von mir genannten Zahlen klar und deutlich hervorgeht, sich die deutsche Holzindustrie gewaltig entwickelt hat* so hat daran sicherlich der Handel einen entsprechenden Anteil. Ich beschließe nun meine Erörterungen mit dem Wunsche, daß es unserer Industrie gelingen möge, dem Handel immer mehr Erzeugnisse in die Hände zu geben, die ihm einen großen Markt sichern, und daß der Handel imstande sein wird, die deutsche Holzindustrie so zu vertreten, daß sie weiter wachse, blühe und gedeihe.

III. Die wirtschaftliche Bedeutung der Grundstücks- und Hypothekengeschäfte. Vortrag des Herrn Geh. Staatsrats a . D . J.

Budde,

Direktors der Berliner Hypothekenbank.

Der heutige Vortrag handelt als zweiter Teil des im Vorjahre angekündigten Vortrages über die wirtschaftliche Bedeutung der Grundstücks- und Hypothekengeschäfte lediglich von den letzteren. Wiederum muß ich um Nachsicht bitten, daß ich nur eine Ubersicht über die wirtschaftliche Bedeutung dieses Geschäftes geben, Einzelheiten des Geschäftsbetriebes nicht vortragen oder doch nur andeuten und hierbei nur den Wenigsten Neues bringen kann. Das Thema ist zu umfangreich, um es in einer Stunde erschöpfend zu behandeln. Durch zwei im modernen Rechte ausgebildete Eigenschaften hat die Hypothek die Fähigkeit gewonnen, als Gegenstand des Handels zu dienen, nämlich einmal dadurch, daß sie aus dem Pfandrechte begrifflich losgelöst und zu einem besonderen Rechtsgebildc ausgestaltet ist, und sodann dadurch, daß sie sich befreit hat von der Gebundenheit an die persönliche Forderung, zu deren Sicherung sie bestellt wurde. Im Vetkehrsleben gesteht man der Hypothek diese Selbständigkeit ohne weiteres zu, wenn man sie als eine auf ein Grundstück gerichtete Geldforderung auffaßt. Daneben aber redet man auch vom Verpfänden des Grundstücks, nennt die Hypothek ein Pfandrecht am Grundstücke. Diese Bezeichnungen treffen nur für das ältere Recht zu, nach welchem das Pfandhalten, die Besitznahme des Grundstücks für den Hypothekengläubiger von wesentlicher Bedeutung war. Das antichretische Pfandrecht, kraft dessen der Gläubiger das ihm vom Schuldner zum Pfand bestellte Grundstück in Besitz und Nutzung nahm, war eine, wenn nicht die regelmäßige Form, unter der die Hypothek in Erscheinung trat. Welchen Wert konnte auch eine lediglich vertragliche, wenn auch schriftlich beurkundete Pfandbestellung dem Gläubiger bieten, solange ihm die Sicherheit fehlte, daß durch vorhergegangene oder spätere Besitzeinräumung ein Dritter ein besseres Recht an dem Grundstücke erlangte? Schon früh aber kamen, als Ersatz der Sicherung durch Besitzeinräumung, öffentliche Bücher auf (Hypothekenbücher, Gewerbliche Einzelvorträge.

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Handelsbücher, Stockbücher), in denen die Hypotheken vermerkt wurden, mit der Wirkung, daß nur die hier eingetragenen Hypotheken und zwar in der Reihenfolge der Eintragungen rechtlich anerkannt wurden. Daraus hat sich die Grundbuchverfassung in Deutschland entwickelt, die gegenwärtig nach dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuches Grundlage für Hypothekenrecht und Hypothekengeschäft bildet. In dem Grundbuche, das bei den Gerichten geführt wird und jedem Interessenten zur Einsicht offen liegt, ist das einzelne Grundstück nach Lage und Größe, so wie es in den Grundsteuerkatastern bezeichnet und in der Natur versteinigt ist, eingetragen, dazu der Eigentümer und in besonderen Abteilungen alle an dem Grundstücke bestehenden dinglichen Rechte, vorzüglich die Hypotheken. Die Eintragung in das Grundbuch und diese allein begründet und sichert dem berechtigten Gläubiger das ihm von seinem Schuldner an dem Grundstücke eingeräumte Recht. Die Hypothek entsteht und besteht mit ihrer Eintragung im Grundbuche, sie kann verschenkt, verkauft und vertauscht und selbst wieder verpfändet, mit einem Worte also frei und sicher, wie eine durch Besitzübernahme übertragbare Ware gehandelt werden, solange sie im Grundbuche nicht zur Löschung gebracht ist. Zur Erleichterung des Geschäftsverkehrs mit Hypotheken wird der Re^el nach in der Gestalt eines urkundlichen Auszuges aus dem Grundbuche in Verbindung mit der Urkunde über die Schuld, für welche die Hypothek bestellt ist, ein Hypothekenbriet gebildet, der immer übereinstimmend mit der Eintragung im Grundbuche gehalten wird, und mit dessen Übertragung unter Abtretung des Rechtes die Hypothek von Hand zu Hand gehandelt werden kann. Neben diesen die Hypothek begründenden und erhaltenden Formen hat das Besitzpfand am Grundstücke keine Bedeutung mehr, und der Gesetzgeber, der in der Einräumung der Antichrese an Grundstücken für den Hypothekengläubiger eine verkehrshindernde, wirtschaftlich schädliche Maßnahme fand, hat jeder Abmachung, welche dem Hypothekengläubiger vor Fälligkeit der Forderung Besitz an dem Pfandgrundstücke einräumt, rechtliche Wirkung abgesprochen. Die Rechte des Hypothekengläubigers gegenüber dem Grundstücke und seinem Besitzer sind nur zu verwirklichen durch die Hilfe des Gerichts. Es stehen dem Gläubiger, wenn der Schuldner nicht erfüllt, nur zwei Wege offen: er kann entweder die Zwangsverwaltung oder die Zwangsversteigerung des Grund-

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stücks bei dem Gerichte fordern. Die erstere setzt ihn in die Möglichkeit, über die Erträge des Grundstücks unter Ausschluß des Besitzers zu verfügen, die letztere führt zum Verkaufe des Grundstücks und zu seiner Befriedigung aus dem Erlöse. Diese in ihren Grundzügen gekennzeichneten rechtlichen Vorschriften verleihen der Hypothek ihren gesicherten "Wert und ihre leichte Beweglichkeit, Eigenschaften, durch welche vorzüglich sie befähigt wird, Gegenstand des wirtschaftlichen Verkehrs zu sein. Eine weitere Ausbildung, insbesondere in Bezug auf ihre für den Handel überaus wichtige Beweglichkeit, erhielt sie durch die, freilich im geltenden Rechte noch nicht vollentwickelte Loslösung von der persönlichen Forderung, der regelmäßigen Grundlage für ihre Bestellung. Die Hypothek ist nach neuerem Rechte nicht mehr abhängig von der persönlichen Forderung, sondern bleibt auch nach dem Untergange selbständig bestehen. Dem entspricht die Begriffsbestimmung, welche das Bürgerliche Gesetzbuch ihr gegeben hat. Es definiert sie als ein Recht, auf Grund dessen der Berechtigte die Zahlung einer bestimmten Geldsumme aus einem Grundstücke fordern kann zur Befriedigung wegen einer ihm zustehenden Forderung. Aber die letztere Nebenbestimmung gehört nicht eigentlich zu dem begrifflich wesentlichen. Es kann ein Recht gleichen Inhalts auch ohne Bestehen einer persönlichen Forderung begründet werden, entstehen und bestehen, und zwar unter dem Namen der Grundschuld. Die Hypothek geht ohne weiteres über in eine Grundschuld, wenn die Forderung, für welche sie bestellt ist, nicht zur Entstehung gelangt oder untergeht. In solchen Fällen steht das Recht, die Geldsumme aus dem Grundstücke zu fordern, dem Grundstückseigentümer selbst zu; er ist sein eigener Gläubiger; man redet von einer Eigentümergrundschuld. Hypothek und Grundschuld sind so nahe mit einander verwandt, daß jederzeit die eine sich in die andere verwandeln kann. Hypotheken und Grundschulden repräsentieren, beide als selbständige Forderungen Wertsteile des Grundstücks in der Reihenfolge, in welcher sie im Grundbuche zur Eintragung gelangt sind. Der Grundstückseigentümer kann über sein Grundstück in seinem ganzen Werte durch Bestellung von Hypotheken und Grundschulden verfügen, und zwar so, daß er dem einen Gläubiger den ersten, dem anderen den zweiten, dem dritten den dritten Teil und so fort des Wertes durch Bewilligung von Hypotheken oder Grundschulden 4*

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überweist, oder auch einen Teil, und zwar welchen er will, in einer Grundschuld vorbehält oder später als Eigentümergrundschuld für sich erwirbt. Er kann dann wieder die einzelnen in den Hypothekenund Grundschuldbriefen verbrieften Werte durch Teilung unter Ausstellung von Teilbriefen zerlegen und dadurch, daß er die Teilgrundschuldbriefe auf den Inhaber stellt, den Wert seines Grundstücks in den denkbar kleinsten Teilen und leichtesten Formen zum Umsatz bringen. Das moderne Recht läßt mit anderen Worten zu, daß der Besitzer eines Grundstücks dessen der Natur nach unbeweglichen Wert im Ganzen und in seinen Teilen zu einer beweglichen Ware macht, die durch Übertragung von Hand zu Hand gehandelt werden kann. Freilich ist sowohl das Recht mit der Ausgestaltung, wie auch der Verkehr mit der Anwendung dieser freiesten Formen auf dem Gebiete des Grundkredits noch sehr im Rückstände. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat, obgleich die Grundschuld die einfachere und deshalb eigentlich grundlegende Form hypothekarischer Belastung ist, seine Vorschriften aus der Hypothek heraus entwickelt in Anlehnung an das alte Recht, welches die Hypothek nur als Pfand für eine Forderung kannte. Ebenso ist im Verkehr noch die Hypothek die regelmäßige Gestalt, unter welcher Grundkredit gegeben und mit den Geldforderungen an Grundstücken gehandelt wird. Neben dem Ansprüche in das Grundstück besteht regelmäßig der Anspruch gegen den persönlichen Schuldner, und wenn hierdurch auch die Sicherheit der Hypothek unter Umständen wesentlich erhöht wird, so werden doch die Folgen, die sich daraus als gesetzliche für den Besitzer und Vorbesitzer des Grundstücks ergeben, vielfach im Verkehrsleben schwer empfunden, besonders bei Zwangsversteigerungen. Ich muß mir versagen, dies im einzelnen unter Erörterung der rechtlichen Vorschriften nachzuweisen. Halten wir daran fest, daß unser Grundstücks- und Hypothekenrecht, so viele Mängel man ihm nachsagen mag, das vollendetste aller Kulturstaaten ist, und auf seiner Grundlage sich der Grundkredit zu einem Geschäfte entwickeln konnte, wie es umfangreicher wohl in keinem anderen Wirtschaftszweige besteht. Ich begreife unter diesem Geschäfte die gesamte Vermögensanlage im Grundkredit, die freilich nur im kleineren Teile gewerbsmäßig betrieben wird und ein Handelsgeschäft im rechtlichen Sinne bildet.

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Der gesamte Bestand an Hypotheken und Grundschulden für Deutschland ist schon vor 5 Jahren an der Hand der für einzelne Bezirke angestellten statistischen Ermittlungen auf etwa 42 bis 45 Milliarden Mark berechnet worden, die jährliche Zunahme der letzten Jahre auf etwa V/ 2 Milliarden Mark, davon % auf städtischem Grundbesitze, so daß wir gegenwärtig einen Schuldbestand von etwa 50 Milliarden erreicht haben werden. Vor langer Zeit, ehe noch Handel und Industrie ihren gewaltigen Aufschwung genommen hatten, gingen die Volkswirtschaftslehrer davon aus, daß die Hauptmasse der Hypotheken durch Erbgang und Kauf begründet werde. Für den ländlichen Besitz stellen die Statistiken auch jetzt noch fest, daß 40% und mehr aller Hypotheken Erbgelder sind, die an Stelle reeller Landteilung für die Miterben eingetragen werden. Auch die Kaufgeldhypothek hat für Stadt und Land ihre Bedeutung behalten. Die außerordentliche Steigerung des Grundstücksverkehrs läßt eher auf eine Zunahme dieser Art von Hypotheken schließen; denn aller Verkauf von Häusern und Gütern, von unbebautem und bebautem Land vollzieht sich nur selten durch Barzahlung, vielmehr der Regel nach in der Weise, daß ein mehr oder weniger großer Teil des Preises für den Verkäufer als Hypothek stehen bleibt. Freilich tritt an die Stelle der Xeubewilligung in allen Fällen, in denen das Grundstück bereits hypothekarisch belastet war, eine Übernahme der schon bestehenden Hypotheken, die dann wohl noch durch einen verbleibenden Kaufgeldrest zugunsten des Verkäufers vermehrt werden. In diesem Sinne, wenn man die alten Hypotheken sich neu als Kaufgeldhypothek entstehend oder vielmehr fortbestehend denkt, ist der Anteil, den rückständiges Kaufgeld an dem Hypothekenbestande hat, noch ein weit größerer, als jemals vorher. Abgesehen von diesen beiden Schuldgründen: Erbgang und Kauf, kommen als neue Schuldaufnahmen des Besitzers hauptsächlich solche in Betracht, die für Verwendungen in das Grundstück aufgenommen werden. Auch hier wieder ist die Zunahme der Hypotheken eine natürliche Folge des wirtschaftlichen Fortschritts. Boden und Haus werden immer intensiver genutzt, erfordern, auch wenn sie nicht unmittelbar industriellen Betrieben dienen, immer mehr Einschuß von Kapital; die Verwendung des im Wege des Kredits beschafften und in sie verbrauchten Kapitals steigert ihre Werte und macht sie wieder für neue Zwecke geeignet, die der Besitzer durch neue Schuldaufnahme zu erreichen hofft. Oder

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der "Wert des Grundstücks muß dem Besitzer dazu dienen, ihm die Mittel zu wirtschaftlichen und Erwerbszwecken zu beschaffen, die nicht unmittelbar mit dem Besitze am Grundstücke im Zusammenhang stehen. Die Hypothek wird lediglich zur Sicherung für persönliche Kredite bestellt. Solche Sicherungshypotheken behandelt das Bürgerliche Gesetzbuch in besonderen Vorschriften. Einen größeren Teil des städtischen Hypothekenbestandes bilden die Baugeldhypotheken, mit deren Hilfe unsere Städte zu Großstädten wachsen. Dann die zu Meliorationen der Ländereien, zu Renovierungen von Häusern aufgenommenen Hypotheken und endlich die Darlehen, die in Anspruch genommen werden, um persönlicher Not zu steuern, den Vermögenszusammenbruch zu verhüten, zu denen als letzte die zwangsweise eingetragenen Hypotheken hinzutreten. Alle diese als Hypotheken oder Grundschulden, als Buch-, Brief- oder Sicherungshypotheken bestehenden hypothekarischen Belastungen wechseln unter sich ihren Schuldgrund, wie ihre Form, wenn sie aus der Hand des einen Gläubigers in die des anderen gelangen, wenn sie von dem Grundstückseigentümer bei dem einen Gläubiger abgelöst und einem anderen zu anderen Zwecken überwiesen werden. Sie werden und bleiben, ob nun in dieser oder jener Form eine reelle Verschuldung des Grundbesitzes. Nur einen Teil des Hypothekenbestandes wird man wirtschaftlich nicht zählen dürfen, nämlich den in der Hand des Grundbesitzers selbst verbleibenden. Die nicht zur Löschung gekommenen Hypotheken und Grundschulden, für die ein eigentlicher Gläubiger nicht vorhanden ist, werden in ländlichen Statistiken auf 10—15% aller Hypotheken ermittelt. Unter Abrechnung aller nicht oder nicht mehr valutierten Hypotheken wird die reelle Bodenschuld immer noch mehr wie 45 Milliarden Mark betragen. In welchem Verhältnisse dieser Schuldbestand zu dem Werte des Grundbesitzes steht, ist schwer zu sagen. Man hat im einzelnen berechnet, daß ländlicher Besitz bis zu 40 oder 50% seines Wertes, städtischer Besitz bis zu 70% hypothekarisch belastet sei. Aber diese Zahlen sind ungenau und besonders sehr verschieden für verschiedene Bezirke und noch mehr für verschiedene Arten von Besitz, städtischen oder ländlichen, zu industriellen oder zu Wohnzwecken genutzten, Guts- oder bäuerlichen Besitz u. a. Dabei ist in Betracht zu ziehen, daß der große Besitz von Reich, Staat und Gemeinden durchweg unbelastet, und daß der dem Grundstücksverkehr entzogene

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Fideikommißbesitz, der für Preußen etwa 1 5 % der Bodenfläche beträgt, nur in einem mäßigen Prozentsatze für Erbgeld und Meliorationen hypothekarisch verschuldet ist. Um so schwerer ist alles im freien Verkehre befindliche unbewegliche Gut belastet. Der schuldfreie Besitz wurde für Städte in einzelnen Statistiken auf einen ganz geringen Prozentsatz, nur 7 % , ermittelt; Belastungen bis zu 9 0 % des Wertes sind nichts seltenes, und in Übertreibung der wirklichen Zustände heißt es, daß der städtische Hauseigentümer nichts mehr sei, als Verwalter der Gläubiger, der die Einkünfte seines Grundstücks lediglich zur Zinszahlung für sie verwende. Die unzweifelhaft feststehende Vermehrung der Verschuldung des Grundbesitzes kann man ansehen als Folge einer fortschreitenden Entwicklung unserer Volkswirtschaft. Das Wirtschaftsleben duldet kein Ruhen irgend eines zur Erzeugung von Gütern fähigen Gegenstandes, schafft vielmehr in ständiger Arbeit Um- und Neuwertung aller den menschlichen Bedürfnissen dienenden Güter. Auch der Grund und Boden hat als ruhendes Vermögen kaum mehr einen eigenen Wert, er empfängt ihn erst durch den Gebrauch, der von ihm gemacht wird. Seine Rente und damit sein Wert wird höher, je mehr Kapital und Arbeit in den Boden investiert werden. Durch diese Fähigkeit der Wertsteigerung ist der Grundbesitz zum Gegenstand des Handels und der Spekulation geworden. In meinem vorjährigen Vortrage habe ich für den städtischen Besitz nachgewiesen, wie er durch Handel und Verkehr im Werte fast unbegrenzbar gesteigert wird. In engeren Grenzen gilt das auch für den ländlichen; denn auch der Acker erhält seinen wesentlichen und jedenfalls allen Mehrwert nur durch die Mühe des Besitzers. Was aus ihm herausgewirtschaftet wird, ist nur zum allerkleinsten Teile wirklich reine Rente des Bodens, zum weitaus größeren Rente des Kapitals und der Arbeit, die hineingetragen worden sind und täglich hineingetragen werden müssen. Insbesondere wächst der Bedarf an Kapital für die Bodenwirtschaft stetig durch die fortdauernde Industrialisierung unserer Gesamtwirtschaft, welche nicht nur maschinelle Arbeitsgeräte, sondern neuerdings auch Anwendung maschineller Kräfte zur besseren Nutzung des Bodens fordert. So wird alles unbewegliche Gut in notwendiger Entwicklung in Stadt und Land Gegenstand wirtschaftlicher Spekulation, geht von der Hand des einen Gebrauchers in die Hand des anderen über, der sich als Besitzer Werterhöhung und besseren Nutzen verspricht.

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Tatsächlich hat die neuere Statistik festgestellt, daß nicht nur, wie allgemein bekannt, städtischer, sondern auch ländlicher Besitz immer mehr dem Besitzwechsel unterworfen sind. Schon für 1902 konstatierte die Preußische Besitzwechselstatistik, daß die Güter des Ostens mit über 100 Hektar Grundfläche im Durchschnitt fast alle 10 Jahre den Besitzer wechseln und zwar meistens durch Kauf. Fester soll der bäuerliche Besitz sein, bei dem durchschnittlich alle 25 Jahre und zumeist durch Erbgang ein Besitzwechsel ermittelt wurde. Aus solchen für ländlichen Besitz geltenden Zahlen geht hervor, in welchem Maße selbst der unbeweglichste Teil alles Grundbesitzes gegenwärtig in den Verkehr einbezogen worden ist. Nun aber führt der Wechsel des Besitzers zumeist zur Vermehrung des Hypothekenbestandes, bei Erbgang durch Bestellung von Erbgeldhypotheken, bei Kauf durch Bestellung von Kestkaufgeldhypotheken, • oft auch im einen, wie ; m anderen Falle durch neue Schuldaufnahmen zu neuen gewerblichen und Wirtschaftszwecken. In dieser auf wirtschaftlicher Entwicklung beruhenden Vermehrung der Bodenschuld ist ein bedenkliches Sympton schwerlich zu finden. Die in den Grundbesitz zu Bauten und Meliorationen verwandten Kapitalien vermehren dessen Wert unmittelbar, die bei Erbfall und Verkauf ihnen mehr aufgelegten Hypotheken sind Zeichen seiner Wertsteigerung. Ob die Wertsteigerung des Grundbesitzes im ganzen gleichen Schritt hält mit der Vermehrung der Hypothekenlast, wird schwer festzustellen sein, weit schwerer noch, ob die letztere Symptom einer beginnenden oder gar schon eingetretenen Überschuldung des Grundbesitzes ist. Denn diese Feststellung ist nicht mehr zu trennen von der für jeden Einzelfall zu treffenden Feststellung, ob der Besitzer des Grundstücks nicht anderes Vermögen besitzt, das seine Hypothekenschuld wettmacht. Haus und Land bilden nicht mehr wie in früheren Zeiten d a s Vermögen, sondern sind nur Vermögensteile. Wie ein industrielles Werk seinen Grundbesitz mit einer Millionenanleihe weit über den Bodenwert hinaus belastet haben kann und doch glänzende Bilanzen aufweist, so mag auch oft genug der Bauer den Hof mit Erbgeld beschwert halten und daneben ein beträchtliches Vermögen in Staatsschuldverschreibungen und Pfandbriefen angelegt haben. In den Städten aber sucht der Gewerbetreibende möglichst hohe Hypothek auf sein Haus, um das dadurch gewonnene Geld in seinem Gewerbe nutzen

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zu können. Eben weil auf Hypothek am billigsten und leichtesten Kredit gegeben wird, nutzt man den Wert des Grundbesitzes durch Hypothekenaufnahme aus, nicht tun der Not, sondern um des gewerblichen Betriebes willen, der alles Gut zum Umsatz und zur Erzeugung neuer Güter zu nutzen bestrebt ist. Unter diesen Erwägungen verliert das Gespenst der Überschuldung unserer heimischen Scholle viel von seinem Schrecken. Das Wirtschaftsleben bedingt die fortschreitende Mobilisierung des Grundvermögens; ich bin der Meinung, daß kein künstlicher Damm diese Entwicklung wird aufhalten oder gar zurückleiten können. Von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung des Wesens dieser Entwicklung ist die Untersuchung, woher die Kapitalien stammen, aus denen der Hypothekenbestand sich zusammensetzt. Man kann die Frage mit einem Worte beantworten: aus dem Sparvermögen der Nation. Wo immer Spargeld zusammenfließt, sucht es vorzugsweise Anlage und Rente in hypothekarischer Beleihung. So leihen die öffentlichen Sparkassen, die das Geld der kleinen Sparer aufnehmen, mit deren Wunsch und Wissen ihre Kapitalien vorzugsweise auf Hypotheken aus. Auch das Privatvermögen in der Hand des einzelnen Kapitalisten bevorzugt die sichere Hypothek. Vorzüglich aber wird die Anlage des Spargeldes in Grundstücksbeleihungen durch die ländlichen und städtischen Kreditinstitute vermittelt, welche die Förderung des Grundkredits zur Aufgabe haben. Ich kann bei der knappen Zeit meinen Vortrag nicht ausdehnen auf eine Darstellung der Entstehung und Entwicklung und des Geschäftsbetriebes der landschaftlichen Institute und Hypothekenbanken und der anderen Verbände und Gesellschaften, die sich mit der Hergabe von Hypotheken befassen. Hier seien nur einfache Zahlen über den Umfang der Institutsbeleihungen wiedergegeben. Nach den letzten Veröffentlichungen hatten in Hypotheken und Grundschulden angelegt: die Deutschen Hypothekenbanken etwa 10*4 Milliarden Mark, die Deutschen Privatversicherungsanstalten etwa 4 Milliarden Mark, die Preußischen Landschaften etwa 2 y 2 Milliarden Mark, die Preußischen Sparkassen etwa 6 Milliarden Mark. Rechnet man die von außerpreußischen Sparkassen und von anderen Deutschen Kreditinstituten, Landesversicherungsanstalten, Provinzialhilfskassen, Kulturrentenbanken gewährten Hypotheken hinzu, so erhält man ein 25 Milliarden Mark erheblich übersteigendes Hypothekenkapital in

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der Hand von öffentlichen und Privatgesellschaften, mehr als die Hälfte des Gesamtbestandes. Dazu kommen die Hypotheken der Fonds der öffentlichen Versicherungsanstalten, fast des gesamten Stiftungs- und wohl auch zum bedeutendsten Teile des Mündelvermögens, deren Verwalter nach gesetzlichen und Verhaltungsvorschriften gebunden sind, ihre Kapitalien ausschließlich oder vorzugsweise auf Hypotheken zu begeben, und anderer Sammelstellen des Sparvermögens, insbesondere der Depositenkassen der Kreditbanken und Bankiers, welche gleichfalls einen Teil ihrer Bestände auf Hypotheken geben. Diese ganze Maße des Sparvermögens, die unter Zurechnung des Erbkapitals wohl 4/a des gesamten Hypothekenbestandes ausmacht, hat durch seine Anlagen in Hypotheken den "Wert des Grundbesitzes an sich gezogen, man kann sagen, sich zu eigen gemacht. "Wenn ich vorher bemerkte, der Grundbesitz sei durch die Hypothekenaufnahme in seinem "Werte mobilisiert worden, so kann man umgekehrt auch sagen, ein großer, vielleicht der größte Teil des inländischen beweglichen Vermögens sei durch die Anlage in Hypotheken unbeweglich gemacht worden. Das auf solche Weise im Grundbesitz investierte Kapital stammt her von der Gesamtheit der Bevölkerung, die durch Einlagen in Spar- und Depositenkassen, durch Ankauf von Pfandbriefen und Aufnahme von Versicherungen ihr Erspartes den Instituten einbringt. Und so wird das bewegliche Vermögen einer unendlich großen Zahl von Sparern eingetauscht in unbewegliches Gut, um dessen Wert umzusetzen und im Umsätze zu vermehren ; das Sparkapital bleibt der inländischen Wirtschaft erhalten, in deren Dienst es genutzt wird und seine Rente empfängt. Aus dieser Entwicklung resultiert eine wirtschaftlich und politisch bedeutsame Solidarität der Interessen von beweglichem und unbeweglichem Gute. Das Sparkapital sucht im Hypothekengeschäfte Anlage hauptsächlich wegen der Sicherheit, die ihm diese Anlage gewährt. Die Sicherheit ist eine doppelte, einmal eine rechtliche auf der Grundlage der Gesetzgebung, deren Inhalt und Bedeutung ich bereits vorgetragen habe, sodann eine wirtschaftliche auf der Grundlage des Wertes des zur Hypothek gestellten Grundstücks. Was ist nun der Grundstückswert? Einen sicheren Wert ergibt der Verkauf des Grundstücks, wenn der Erlös an die Stelle des Grundstücks getreten ist. Aber ohne Verkauf kann der Wert nur geschätzt

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werden. Welcher Wert soll durch die Schätzung ermittelt werden? Eine vielgestellte Frage, die tatsächlich nicht beantwortet werden kann. Bei der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches ging man davon aus, daß der Wert lediglich eine wirtschaftliche Größe sei, die begrifflich nicht weiter bezeichnet werden könne. Man könne nur Vorschriften darüber erlassen, wie der Wert zu ermitteln ist, aber den Wert nicht definieren. Es würde deshalb wohl richtiger sein, solche allgemeinen Bezeichnungen, wie „gemeiner Wert", „Verkaufswert", „Verkehrswert" zu vermeiden, weil sie irreführend die Meinung erwecken, daß es wirklich möglich sei, einen Wert für ein Grundstück zu bestimmen, der für jedermann maßgebend sei, zu dem jederzeit verkauft werden könne, den im allgemeinen Verkehr jedermann gelten lasse. Immer und allein hängt der Wert eines Grundstücks für den einzelnen von dem Nutzen ab, den er sich als Besitzer oder Erwerber davon verspricht, und es gibt keine Sache von individuellerem Werte, als eben das Grundstück, das der eine so, der andere anders nutzt oder zu nutzen gedenkt. Grundstücke beispielsweise, auf denen gewerbliche Unternehmungen, Fabriken betrieben werden, empfangen ihren Wert von dem Ertrage des Unternehmens, zur Bebauung bestimmte Grundstücke lediglich von der Spekulation, die ihre künftige Nutzung in Aussicht nimmt. Je allgemeiner der Gebrauch ist, der von einem Grundstücke gemacht wird, mit um so größerer Zuverlässigkeit läßt sich der dafür ermittelte Wert als allgemein gültiger bezeichnen. Der allgemeinste Gebrauch ist zurzeit noch immer bei ländlichen der zur landwirtschaftlichen Nutzung und bei städtischen der für Wohnzwecke; für so genutzte Grundstücke läßt sich also am ehesten ein sogenannter „gemeiner Wert" durch Schätzung ermitteln. Einen für hypothekarische Beleihungen sicheren Wert aber kann keine Taxe feststellen. Denn während die Hypothek der Sicherstellung für die Zukunft bedarf, ist das Grundstück in seinem Werte stets dem Wechsel unterworfen. Mit oder ohne Schuld des Besitzers, durch Vernachlässigung oder infolge veränderter wirtschaftlicher Konjunktur kann sein Wert in kürzerer oder längerer Frist sichtbar oder unmerklich verändert werden. An diesen Tatsachen kann die beste Gesetzgebung über das Taxwesen nichts ändern. Und doch wäre es von großer Bedeutung für das Hypothekengeschäft, daß die Grundsätze für die Wertermittlung einheitlich nach den für die zuverlässigste Schätzung gemachten

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Erfahrungen geordnet und vor allem ihre Handhabung nur sachkundigen, gewissenhaft schätzenden Personen als Taxatoren anvertraut würde. Gegenüber dem Risiko, das dem Hypothekengeschäfte durch die Unbestimmbarkeit des Grundstückswerts anhaftet, erscheinen diejenigen Hypotheken als die sichersten, die sich auf Grundstücke von möglichst allgemeinem Werte erstrecken und in ihrer Höhe am weitesten unter dem Grundstückswerte bleiben. Wer Hypotheken gibt auf ertraglose Grundstücke auf der Grundlage des Wertes, den die Spekulation den Grundstücken beilegt, oder auf Grundstücke, die gewerblichen und industriellen Unternehmen dienen auf Grundlage des Wertes, den das Unternehmen ihnen verleiht, der nimmt teil an der Spekulation oder dem industriellen Betriebe; denn die Sicherheit seiner Hypotheken hängt wesentlich ab von deren Erfolg. Wer Hypotheken bis an die Grenze des Grundstückswerts gibt, leidet das Risiko, das aus jeder Verminderung des Wertes durch Schuld des Besitzers oder durch wirtschaftliche Konjunktur resultiert. Wenn man aber unter der Sicherheit der Hypothek die Gewähr dafür versteht, daß Zinsen und Kapital zur Zeit der Fälligkeit gezahlt werden, so ist auch die beste Hypothek immer noch in ihrer Sicherheit abhängig von der Bonität des Grundstücksbesitzers. Denn Zins und Kapital gewinnt der Gläubiger nicht aus dem Grundstück, sondern durch Leistung des Besitzers; dessen allgemeine Vermögenslage ist für die Erfüllung der Gläubigeransprüchc vorab entscheidend. Wie der Hypothekengläubiger selbst, so kann auch jeder persönliche Gläubiger die Zwangsversteigerung des Grundstücks als eines Vermögensstücks seines Schuldners -betreiben. Die Zwangsversteigerung Schuldenhalber ist sonach regelmäßig Zeichen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Besitzers, nicht regelmäßig, wie vielfach geglaubt wird, Nachweis der Minderwertigkeit des vom Hypothekengläubiger beliehenen Grundstücks. Dieser aber wird in allen Fällen widerwillig zum Interessenten an dem Zwangsverkaufe. Nirgends tritt der Wesensunterschied von Grundstücksund Hypotheken-Geschäft schärfer hervor, als bei der Zwangsversteigerung, in der sich beide begegnen. Das Grundstücksgeschäft ist gerichtet auf Erwerb und Gewinn aus dem Grundstücke durch dessen Nutzung oder Verkauf, das Hypothekengeschäft auf Erhaltung des Kapitals und feste Rente durch gesicherte Anlage; das

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erstere ist ein Erwerbs-, das letztere ein Anlage-Geschäft; von beiden auf unbewegliches Gut gerichteten Geschäften fußt doch nur das letztere auf dessen Unbeweglichkeit. "Wo die Hypothek mit der Absicht gegeben ist, sich auf indirektem Wege, nämlich durch Betreiben der Zwangsversteigerung, den Besitz des Grundstücks zu verschaffen, liegt kein Hypotheken- sondern ein wucherisches GrundstücksGeschäft vor. Man geht, wenigstens für die Gegenwart, fehl, wenn man sich unter dem der Zwangsversteigerung verfallenen Schuldner das Bild eines durch Zinswucher von Haus oder Hof vertriebenen Grundbesitzers vorstellt. So kann es ja auch heute noch vorkommen, wie es nirgends im Wirtschaftsleben an Beispielen unverschuldeter und durch den Zufall herbeigeführter Not fehlt; in der Regel aber bedeutet die Zwangsversteigerung nichts als das Mißlingen eines wirtschaftlichen, auf Gewinn gerichteten Unternehmens. Subhastationen sind häufiger in Städten, als auf dem Lande, weil die Spekulation, namentlich im Terrain- und Bau-Geschäfte, der Zahl und Art nach größer ist, wie die Spekulation in ländlichem Besitz; sie sind bei niedergehender wirtschaftlicher Konjunktur zahlreicher, wie bei aufsteigender; immer bleiben sie unvermeidlich, so lange neben Gewinn auch Verlust im Handel besteht, und ihre Zunahme im allgemeinen ist nur ein Zeichen der zunehmenden Bedeutung des Grundstücksverkehrs. Von den Hypothekengläubigern, die regelmäßig von der Zwangsversteigerung mitberührt werden, kommen diejenigen, die als persönliche Gläubiger des Besitzers Hypothek zur Rettung ihrer Forderungen gewonnen haben, zu denen beispielsweise auch die Lieferanten und Handwerker an Bauten, die Baugläubiger, gehören, hier nicht besonders in Betracht. Ihre Forderungen resultieren aus ihrer persönlichen Beteiligung an dem Unternehmen des Besitzers, bei dem sie Gewinn und nicht Vermögensanlage suchten. Ihre Forderungen werden der Regel nach bei dem Zusammenbruche ihres Schuldners verloren sein, nicht anders, wie die kreditierten Forderungen anderer Kauflcute und Gewerbetreibenden bei dem Vermögensverfalle ihrer Kunden. Anders die Forderungen der Hypothekengläubiger, die im Grundstücke eine seinem Werte entsprechende Vermögensanlage suchten. Je vorsichtiger die Beleihung gegeben ist, um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß sich ein Käufer finden wird, der mehr für das Grundstück bietet, als ihre Hypothek ausmacht, der

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sie herausbietet. Findet sich keiner, so bleibt ihnen freilich nichts übrig, als das Grundstück zur Vermeidung des Verlustes ihrer Forderung selbst zu erwerben. Aus dem Hypothekenlgäubiger wird ein Grundbesitzer vrider Willen; der Preis, zu dem er das Grundstück erwirbt, besteht aus dem eignen bei der Hypotheken-Anlage investierten Kapitale und der Summe der Schulden und Lasten, die er als vor ihm eingetragene nunmehr als eigene Schulden hat übernehmen müssen. Die letztere Verpflichtung kann nur die an zweiter oder dritter Stelle eingetragenen Gläubiger angehen; ihr Risiko wird dadurch wesentlich gesteigert. Man vergegenwärtige sich die Folgen, welche die Zwangsversteigerung für den im normalen Beleihungsgeschäfte an zweiter Stelle eingetragenen Hypothekengläubiger haben kann, an einem praktischen Beispiele. Auf ein Grundstück mit 350 000 ML Taxwert hatte eine Hypothekenbank eine normale Hypothek von 200000 ML gegeben, dahinter gewährte das Privatkapital als durchaus gesicherte Anlage 50000 ML Der Schuldner geriet in Vermögensverfall, hatte das Haus vernachlässigt und die Zinsen nicht mehr pünktlich bezahlt. In der Zwangsversteigerung fand sich keiner, der den zweiten Gläubiger herausbot; dieser erstand das Grundstück unter Übernahme von 200000 Mk. Kapital der ersten Hypothek. Die Hypothekenbank liquidierte nun außer ihrem Kapital noch 11000 Mk. an rückständigen Zinsen und Kosten (sie würde nach dem Gesetze bis zu zwei Jahre rückständige Zinsen vor der zweiten Hypothek haben liquidieren können) und forderte von dem Ersteher zur Herabsetzung ihrer Hypothek 10000 Mk. bare Kapitalrückzahlung. An Gerichtskosten, Stempel und Umsatzsteuer an Reich, Staat und Gemeinde waren ca. 9000 Mk. von dem Ersteher aufzubringen und für Reparaturen des von dem Besitzer verwahrlosten Hauses ca. 4000 Mk. So hatte der Hypothekengläubiger, der sein Vermögen von 50 000 Mk. in dem Werte des Grundstücks gesichert hielt, 35000 Mk. bar aufzubringen und eine Kapitalschuld von 190000 Mk. zu übernehmen, um sich vor dem Vermögensverluste zu. schützen. Es muß ihm das Grundstück nicht 250000 Mk., sondern 275000 ML Kaufpreis bringen, wenn er in der Zukunft schadlos bleiben soll. Zu den Summen, die den Erwerber des Grundstücks in der Zwangsversteigerung belasteten, gehörten auch ca. 9000 Mk. Kosten pp., deren Hauptbestandteil die Umsatzsteuern an Reich und Ge-

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meinden bildeten. In früheren Zeiten beschränkten sich die Kosten auf eine der Mühewaltung des Gerichts entsprechende Vergütung und den immer recht beträchtlichen Auflassungsstempel von 1 % des Kaufpreises oder AVertes. Dazu sind jetzt Umsatzsteuern in Höhe von 2—3 % gekommen, so daß die Gesamtkosten beim Erwerbe in der Zwangsversteigerung 4—6 % ausmachen. Es gibt wohl keine ungerechtere Steuer, als die in der Zwangsversteigerung genommene Umsatzsteuer. Ihrer Art nach ist sie eine Verkehrssteuer, die dem Grundbesitze in dem Zeitpunkte auferlegt werden soll, in dem der Umsatz des Preises zwischen Verkäufer und Käufer stattfindet. AVerden andere Verkehrssteuem der Regel nach auf den wirtschaftlich schwächsten Teil abgewälzt, so wird diese unmittelbar dem wirtschaftlich Schwachen aufgelegt und wandelt dadurch vollständig ihren Zweck und Charakter. Der Hypothekengläubiger, der Erwerber wider AVillen, hatte sie in dem ebenerwähnten Falle zu zahlen, und ihm erhöhte sich dadurch das Verlustrisiko, das er beim Erwerbe des Grundstücks übernehmen mußte. Finden sich aber in den Zwangsversteigerungen dritte Käufer, so bieten sie selbstverständlich so viel weniger, als die Steuer ausmacht, und da kaum jemals durch dies Gebot sämtliche Gläubiger befriedigt werden, so sind es auch in diesen Fällen Hypothekengläubiger, welche die Steuer tragen, weil sie so viel weniger von ihren Hypotheken wieder einbekommen, als die Steuer ausmacht. Hier, wie dort: steuerpflichtig ist, wer mit dem Grundstückshandel gar nichts zu tun hat und nichts zu tun haben will, wer aus dem Kaufgeschäfte nur Kapitalverluste erleidet, und er zahlt die Steuer mit seinen Verlusten. Auch abgesehen von der besonderen Berücksichtigung, welche das Hypothekengeschäft in der Steuergesetzgebung findet (auf andere Steuern will ich hier nicht näher eingehen), gibt es wohl kein Geschäft, das mehr unter dem Zwange von Gesetzgebung und staatlicher Verwaltung steht, wie das Hypothekengeschäft. Die Vorschriften des Gesetzgebers sind fürsorgend sowohl für den kapitalgebenden, berechtigten Gläubiger, wie für den kapitalsuchenden, belasteten Schuldner. Betrachtet man die ersteren, so sind die ältesten Vorschriften dieser Art die des gemeinen bürgerlichen Rechts, welche die Anlage von Mündelvermögen in Hypotheken betreffen. Der Staat verlangt vom Vormunde, daß er nicht über bestimmte AVertgrenzen hinaus Mündelgeld auf Hypotheken ausleiht'. Es hat sich aus diesen Be-

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Stimmungen für die Gegenwart im Verkehre der Begriff der mündelsicheren Hypothek als einer nicht über 50 % des Grundstückswerts hinausgehenden gebildet. Dieselben Grundsätze gelten auch für alle Hypothekenanlagen der unter staatlicher oder kommunaler Verwaltung stehenden Kassen und Kredit-Institute, insbesondere in Preußen der Sparkassen und Landschaften, welche Mündelvermögen oder auch anderes anvertrautes Sparkapital verwalten. Weiter gibt aber die neuere Gesetzgebung auch Vorschriften über die Hypothekenanlage für Hypothekenbanken und Versicherungsgesellschaften, die Aus diesen Bemächtigsten Institute für den Immobiliarkredit. stimmungen hat sich im Verkehre der Begriff der Institutshypotheken entwickelt, als solcher, die nicht über 60 % des Grundstückswerts auslaufen dürfen. Alle diese die Sicherheit der auszuleihenden Hypotheken betreffenden Vorschriften beschränken sich nicht auf Begrenzung der Darlehnshöhe im Verhältnisse zum Grundstückswerte, sondern bestimmen auch über Unzulässigkeit der Beleihung für einzelne Arten von Grundstücken und über die bei der "Wertcrmittelung festzuhaltenden Grundsätze. Das Nähere kann hier nicht ausgeführt werden. Neben diesen materiellrechtlichen Vorschriften besteht eine durch Gesetz verordnete staatliche Aufsicht über die Verwaltung aller durch sie gebundenen Grundkredit-Institute, welche nicht nur die Befolgung des die Hypotheken-Anlage unmittelbar betreffenden Gesetzes, sondern die Überwachung ihrer ganzen Geschäftstätigkeit zum Gegenstande hat. Das Hypothekenanlagegeschäft ist danach zurzeit in seinem weitaus größten Teile staatlich organisiert und kontrolliert. Soweit sie die von staatlichen und kommunalen Behörden venvalteten Anstalten betrifft, versteht sich die Aufsicht von selbst; soweit sie Hypothekenbanken und Versicherungsgesellschaften angeht, ist sie in diesem Umfange erst durch neuste Gesetzgebung ausdrücklich verordnet. Eine Aufsicht über diese Institute bestand von jeher, freilich zunächst kaum in größerem Maße, als über alle Aktiengesellschaften. Als in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit dem enormen Aufschwünge unserer Volkswirtschaft die Schranken fallen gelassen wurden, welche in der Staatsaufsicht über die Privatgesellschaften bis dahin noch bestanden, wurde doch für die Versicherungsgesellschaften und Hypothekenbanken das Aufsichtsrecht beibehalten, für erstere in Rücksicht auf die Art ihres Gewerbebetriebs,

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das einer besonderen Konzession bedurfte, für letztere wegen des ihnen belassenen Privilegs zur Ausgabe von Inhaberpfandbriefen. Die wirtschaftlich und soziale Entwickelung unserer Zeit führte dazu, die beibehaltene Aufsicht fortdauernd in ihren Befugnissen zu mehren und in ihrer Handhabung zu verstärken. Nicht sowohl die Verleihung des Privilegs zur Ausgabe von Inhaberobligationen, das als solches infolge der neueren rechtlichen und wirtschaftlichen Entwickelung wesentlich an Bedeutung verloren hat, ist die Grundlage der gesetzlich neugeordneten Aufsicht über die Hypothekenbanken, sondern nach ausdrücklicher Erklärung des Gesetzgebers die Tatsache, daß ihnen ein ansehnlicher Teil des gesamten Sparvermögens der Nation zur Verwahrung und Verwaltung anvertraut ist. Die noch kein Dezennium in Kraft befindlichen Gesetze über die Privatversicherungsgesellschaften und die Hypothekenbanken enthalten auf solcher Grundlage eingehende Vorschriften über eine ständige Überwachung der Beleihungsgeschäfte und der gesamten Verwaltung dieser Institute. Es ist bekannt, daß wie schon früher, so auch kurz nach dem Inkrafttreten des letzteren Gesetzes Hypothekenbanken zum Zusammenbruche gekommen und Verluste für die Sparer entstanden sind, die in den Obligationen der Banken ihr Vermögen angelegt hatten. Die Verluste sind im Endeffekte nicht eben groß, jedenfalls nicht größer, als sie durch Kursschwankungen in Reichs- und Staatspapieren ebenfalls zu beklagen gewesen sind. Es hat aber seinerzeit der Zusammenbruch eine große Erregung in der Öffentlichkeit mit sich geführt, und die Folgen dieser Erregung äußern sich auch jetzt noch in dem Verlangen nach Erlaß noch schärferer gesetzlicher Bestimmungen zur Vermehrung der Aufsicht über alle Institute, die sich mit Hypothekengeschäften befassen. Man mag über den Nutzen der Aufsicht denken, wie man will (Aufsicht und Revision haben immer ihren Nutzen): jedenfalls ist es eine Illusion, daß durch die denkbar schärfste Aufsicht die Möglichkeit jeden Verlustes vermieden würde. Der Zusammenbruch jener Banken lag, wie man jetzt, wo Ursachen und "Wirkungen offen liegen, feststellen kann, nicht am Mangel gesetzlicher Vorschriften. Auch die besten Gesetze können Fehler und Verschuldung der Leitung nicht verhindern. Jüngst noch haben wir bei einer anderen Bank gesehen, daß auch die Person des Aufsichtsbeamten versagen kann. Man müßte Aufsicht Gewerbliche Einzelvortrlge.

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auf Aufsicht häufen, um die denkbar möglichste Sicherung zu erhangen, ohne doch zu einem vollkommenen Zustande zu gelangen. Auf der anderen Seite aber hat eine noch weitere Steigerung der staatlichen Aufsicht und eine Ausdehnung derselben auf den materiellen Geschäftsbetrieb der Banken große Bedenken. Der ausgesprochene Grund einer Staatsaufsicht in solchem Umfange ist allein die Sorge für die Erhaltung des durch Ankauf von Obligationen der Banken ihnen zur Verwaltung anvertrauten Sparvermögens. Aber nicht nur den Hypothekenbanken als Privatgesellschaften wird Sparvermögen überantwortet, sondern in stets wachsendem Umfange auch Kreditbanken, Genossenschaften und einzelnen Bankiers in den ihnen zur Anlage gegen Verzinsung anvertrauten Depositengeldern. Man fordert konsequent auch für dieses in seinen Summen kaum geringere Vermögen gesetzliche Vorschriften, welche seine Anlage regeln, und dazu eine Überwachung durch Behörden, welche die Anlagen kontrollieren. Das einmal vom Gesetzgeber anerkannte Recht auf Schutz des Sparers, einerlei ob er selbst handlungsfähig ist oder nicht, führt zu immer weiterer Ausdehnung der Aufsichtsrechte des Staates. Unzweifelhaft entspricht dem Aufsichtsrechte eine Aufsichtspflicht, und die Öffentlichkeit wird in jedem einzelnen Falle, in dem trotz derselben ein Schaden entsteht, die Staatsverwaltung verantwortlich machen. Eine solche von den Behörden zu wahrende Verantwortlichkeit muß die mit der Aufsicht betrauten Beamten dazu führen, daß sie in immer ausgedehnterem Maße an dem Geschäftsbetriebe der Gesellschaften teilnehmen. Ein Schritt weiter würde zur Verstaatlichung nicht nur des Hypotheken-, sondern des gesamten Vermögensanlage-Geschäfts in der Hand von Gesellschaften und Einzelkaufleuten führen — ein wesentliches Stück vorwärts zur Staatswirtschaft. Älter, als die auf den Schutz des Sparkapitals bedachte Gesetzgebung, ist die staatliche Sorge für das Wohl der Grundbesitzer, die sich zum Ziele setzt, ihnen zur Förderung der Bodenwirtschaft auf dem Lande und des Häuserbaus in den Städten billiges Hypothekenkapital zu beschaffen. In dieser Fürsorge haben Gesetz und Verwaltung vor Jahrzehnten bei dem Einsetzen unsrer politischen und wirtschaftlichen Entwickelung die Entstehung und Ausbreitung der Verbände und Institute, die das Hypothekengeschäft betreiben ermöglicht und gefördert. Nur durch die Hilfe dieser Institute, der staatlich begründeten und verwalteten Grundbesitzervereine, be-

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sonders der Preußischen Landschaften, einerseits und der staatlich geförderten und privilegierten Hypothekenbanken andererseits, ist der Landwirtschaft das zu ihrer Vervollkommnung, ist Handel und Gewerbe das zum Städtebau nötige Kapital in zureichender Menge zu mäßigem Zinsfuße zur Verfügung gehalten worden. Der Zins, zu welchem diese großen Kreditinstitute ihre Kapitalien bereithalten, ist dauernd nur um ein geringes höher, als der Zins, den Staat und Gemeinden selbst für ihre Anleihen geben müssen. Er überschreitet zurzeit bei normaler Beleihung selten 4 y 2 %, bei Einschluß aller Nebenleistungen, während noch bis in die siebziger Jahre in Gesetzen und Verordnungen, die den Grundkredit betrafen, ein Zinsfuß von 5 % als normaler galt, und in älteren Schuldverschreibungen im privaten Verkehre häufig 6 % und mehr vereinbart wurden. Der kulturelle "Wohlstand unseres Landes, das Anwachsen und Blühen unserer Städte ist wesentlich der dauernden, neuerdings wieder auf das lebhafteste geförderten staatlichen Fürsorge für Beschaffung billigen Grundkredits zu verdanken. Die neueste, von politischen, insbesondere sozialpolitischen Strömungen beeinflußte Gesetzgebung sucht in der Fürsorge für wirtschaftlich Schwache neue Aufgaben durch neue das Hypothekengeschäft berührende Vorschriften zu erfüllen. Die wichtigste Gesetzgebung dieser Art ist die über die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes, welche eine im größeren Umfange statistisch nachgewiesene Uberschuldung desselben zur Veranlassung hat. Soweit die Ursachen solcher Uberschuldung lediglich die Folgen von Uberschätzung der Grundstückswcrte bei Erbteilungen oder Uberspannung wirtschaftlicher Unternehmungen oder Uberspekulationen sind, kann man füglich bezweifeln, ob das hilfreiche Eingreifen des Gesetzgebers Maßgebend wirtschaftlich notwendig oder auch nur nützlich ist. waren wohl überwiegend politische Erwägungen, nämlich die Sorge um Erhaltung des ländlichen Besitzstandes, das staatliche Interesse an der Bodenständigkeit der heimischen Bevölkerung. Der Inhalt dieser Gesetzgebung, die bisher nur für die Provinz Ostpreußen in "Wirksamkeit treten konnte, ist in kurzen Zügen der, daß dem Grundbesitzer mit provinzialer Hilfe über das bisher zulässige Maß hinaus, nämlich bis zu % des Grundstückswertes, oder gar, wie man aus gewissen gesetzlichen Erleichterungen in bezug auf die für die Beleihung maßgebenden Taxen folgert, bis zum vollen Werte des Grundstücks 5*

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Hypothekarkredit zum billigsten Zinssatze gewährt wird, während der Besitzer sich dagegen durch Grundbucheintragung verpflichtet, keinem anderen Gläubiger Hypothekenrechte an seinem Grundbesitz über einen gewissen Betrag hinaus (Verschuldungsgrenze) einzuräumen. Das empfangene Kapital soll zur Melioration des Besitzes verwandt und der Besitzer dadurch instand gesetzt werden, neben dem billigen Zinsfuß eine erhebliche Amortisationssumme zu zahlen, mit welcher die Schuldenlast allmählich getilgt werden soll. Die Bedenken liegen auf der Hand und sind in der Gesetzgebung nicht übersehen: Die Sicherheit der Rentenzahlung und infolge davon der ganze Erfolg der Entschuldungsaktion beruht auf der Person des Grundbesitzers. Gegen die Gefahr des Scheiterns der Aktion durch frühzeitigen Tod soll die Verbindung mit einer Lebensversicherung dienen, welche das Risiko nach dieser Richtung hin zu übernehmen hat. Gegen die Gefahr des Mißbrauchs durch den Besitzer, der die empfangenen billigen Kapitalien anders verwenden oder nutzen kann, sollen andere gesetzliche Kautelen schützen. Immer aber hängt der Erfolg der Maßregel von Fall zu Fall von der Sorgfalt ab, mit welcher die Vorschriften des Gesetzes gehandhabt werden, und diese Sorgfalt setzt in jedem Falle eine eingehende "Würdigung der besonderen Verhältnisse, vorzüglich der Person des Besitzers voraus. Man hat den Erfolg des bisher rein lokalen Experimentes abzuwarten. Seine Verallgemeinerung würde nicht unbedenklich sein; denn es engagiert das Sparvermögen des Volkes (nur aus diesem fließen die Kapitalien, Avelche die Behörden in den Dienst der Entschuldungsaktion bringen) zur Ausführung von zweifellos nicht risikofreien Unternehmungen. Die Entschuldigungsaktion ist deshalb nicht wohl in Einklang zu bringen mit der Sorge, die der Gesetzgeber anwendet, um eine möglichst gesicherte Anlage dieses Sparvermögens bei allen von ihm geleiteten oder seiner Aufsicht unterstehenden Instituten zu erzwingen, jííoch bedenklicher ist die Ausdehnung der Entschuldungsaktion auf städtischen Besitz oder gar die Einführung einer gesetzlichen Verschuldungsgrenze für diesen. Zu den aus sozialer Fürsorge hervorgegangenen gesetzgeberischen Maßnahmen gehören auch die noch nicht in Kraft getretenen Vorschriften des Gesetzes zum Schutze der Bauhandwerker, die unter Verrücken der Grundkreditordnung des allgemeinen Rechts diesem Gewerbestande eine gesetzliche Hypothek für seine persönlichen

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Forderungen gegen den Bauherrn am Baugrundstücke sichern. Ich muß mir versagen, auf diese neueste, vielbesprochene Gesetzgebung und ebenso auf die gesetzgeberischen Projekte näher einzugehen, die im Interesse sozialer Hilfe, insbesondere auch zur Reform des Wohnungswesens Beschränkung des Grundkredits unter Rückbildung unseres Hypothekenrechts fordern. Sie haben auch noch kaum greifbare Gestalt gewonnen. Allen diesen Reformbestrebungen, die von den verschiedensten politischen und wirtschaftlichen Anschauungen getragen und unter sich nicht zu vereinigen sind, ist gemeinsam die Abneigung gegen den freien Handel und Verkehr im Grundstücks- und Hypothekengeschäfte, dem eine Schädigung des sozialen Wohls Schuld gegeben wird. In dem Streite der Meinungen über diese Vorschläge und gesetzgeberischen Projekte sind bisher die eigentlichen Grundstücksinteressenten, die Grundstücksbesitzer und -nutzer, die Grundkreditnehmer und -geber und die nächst ihnen Beteiligten, die Vermittler und Verwalter der Grundstücks- und Hypothekengeschäfte, kaum zu Worte gekommen. Ich möchte meinen Vortrag, der nur ein unvollkommenes Bild geben konnte über Umfang, Wesen und wirtschaftliche Bedeutung der Grundstücks- und Hypothekengeschäfte mit dem Wunsche schließen, daß die neueren Bestrebungen zur Sammlung aller daran Beteiligten Erfolg haben mögen. Die eigene Wahrung ihrer Interessen tut Not.

IV. Die Entwicklung und Bedeutung der Calciumcarbid- und StickstoffdüngerIndustrie. Vortrag des Herrn Diplom-Ingenieurs A . M. G o l d s c h m i d t .

Die Fruchtbarkeit eines Landes und die inneren Bodenschätze, die es birgt, bilden einen wesentlichen Bestandteil seines Reichtums. Von hoher wirtschaftlicher Bedeutung sind daher solche Industrien, die unter Ausnützung der vorhandenen inneren Bodenschätze ein Produkt liefern, das das Land in den Stand setzt, die Fruchtbarkeit seines Bodens zu erhöhen. Solche Industrien sind die beiden heute zu besprechenden. Das Calciumcarbid entnimmt seine Rohmaterialien Kalk und Kohle dem Boden, verarbeitet sie unter Ausnützung der Kraft seiner Flüsse und befriedigt das Lichtbedürfnis. — In seiner Umwandlung zu Kalkstickstoff dient es als Düngemittel der Erhöhung der Nährkraft des Bodens. — Auch die übrigen künstlichen Stickstoffdüngemittel gehen denselben Kreislauf. Das Ammoniak wird aus Kohle gewonnen und als Dünger dem Boden zugeführt, der Kalksalpeter wird mittels der Kraft der Flüsse aus dem Stickstoff der Luft gewonnen und führt diesen, an Kalk gebunden, dem Boden zu. — In zweien der soeben erwähnten drei Industrien wurden die Wasserkräfte als Rohmaterial genannt. Sie sind Träger der Kraft, ebenso wie die Kohle, nur mit dem großen Unterschiede, daß sie nie versiegen. Man hat sie nicht mit Unrecht als die „weiße Kohle" bezeichnet. Ihre Bedeutung als volkswirtschaftlich wichtiger Besitz wurde verhältnismäßig erst vor kurzer Zeit erkannt. Es ist das große Verdienst des noch nicht lange verstorbenen Geheimrats Intze, der besseren Ausnützung der deutschen Wasserkräfte ihre Bahnen gewiesen zu haben. Unterstützt wurden dessen Bestrebungen durch die sich gewaltig entwickelnde Elektrizitätsindustrie. Das markante Ereignis, von dem ab die neue große Epoche in der Ausnützung der Wasserkräfte datiert, war die im Jahre 1891 gebaute und anläßlich der Frankfurter Ausstellung betriebene Kraftübertragung Lauften a. N.—Frankfurt a. M. Illustriert wird die Einwirkung der Elektrizitäts-Iudustrie auf die Entwicklung der Wasserkraftausnützung durch das Wachstum der großen Turbinenfirmen seit der Lauffener Kraftübertragung. So

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haben die Turbinenbauer Escher, Wyß noch im Jahre 1893 nur Turbinen von einer Gesamtleistung von 11000 PS. im ganzen gebaut und abgeliefert, während diese Zahl schon im Jahre 1902 auf 83 000 gestiegen war, und die Turbineneinheiten, die im Jahre 1892 höchstens 600 bis 700 PS. betrugen, stiegen in derselben Spanne Zeit auf 10 000 PS. pro Turbine, eine Größe, die jetzt keine Seltenheit mehr ist. Solche großen Einheiten kommen für unser deutsches Vaterland nicht in Betracht. Trotzdem steht Deutschland mit der Ausnützung seiner Wasserkräfte nach Otto Mayr oben an, indem es bereits 33 % seiner ausnutzbaren Kräfte verwertet, während Frankreich nur 22 %, die Schweiz 25 %, Österreich 9 %, Italien 8,4 % und die an Wasserkräften reichen skandinavischen Länder nur 3 bis 4 % bisher ausnutzten. — Aber auch in Deutschland harren noch ca. 1 Million PS. ihrer Verwertung, wahrlich eine erhebliche Menge unbenützten Nationalvermögens! Möge es der jungen Industrie und besonders den heute zu besprechenden Industrien gelingen, diesen toten Schatz in gangbare Münze umzuprägen! Ich komme zur Besprechung der einzelnen Industrien: Carbide im allgemeinen nennt man die chemischen Verbindungen der verschiedenen Elemente, insbesondere der Metalle, mit Kohlenstoff. Sie zerfallen sehr leicht in ihre Bestandteile, der größte Teil der Carbide schon unter Einwirkung des Wassers, die übrigen unter Einwirkung von Säuren. — Neben dem Siliciumcarbid, das unter dem Namen „Carborundum" als Schmirgelmaterial bekannt ist, hat die weitaus größte praktische Bedeutung das Calciumcarbid, das kurzweg als „Carbid" bezeichnet wird. Im Jahre 1836 fand der Engländer Edmund Davy durch Zufall eine Verbindung, die nach seiner Beschreibung wohl Carbid gewesen sein muß. — Wissenschaftlich erkannt wurde das Calciumcarbid zum ersten Male im Jahre 1861 von Wöhler. Nach ihm blieb es 30 Jahre lang unbeachtet und unbearbeitet. Wieder aufgenommen wurden die Arbeiten mit dem Calciumcarbid erst im Jahre 1892 und zwar unabhängig von einander in Frankreich und Amerika. In F r a n k r e i c h war es Moissan, der Erfinder des elektrischen Ofens, bzw. sein Assistent Bullier, der sich das Verfahren patentieren ließ; in A m e r i k a Willson, der es zunächst ebenfalls als Zufallprodukt fand, dann aber bald seine technische Bedeutung erkannte und die Fabrikation der Willson-Aluminium Co. in Spray übertrug.

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Das technische Calciumcarbid ist je nach seiner Reinheit graurosa amorph bis schokoladenfarbig kristallisch. Die weitaus wichtigste Reaktion, die das Calciumcarbid in kaltem Zustande eingeht, ist die auf "Wasser, mit dem es unter heftigem Aufbrausen sich gierig verbindet. Die Endprodukte der Reaktion sind Calciumhydrat und Acetylen, das bekannte Gas. Die Reaktion mit Wasser geht unter großer "Wärmeentwicklung vor sich. Von der großen Reihe der chemischen Reaktionen in erhöhter Temperatur seien im Rahmen des heutigen Vortrages nur die folgenden genannt: Bei einer Temperatur von 900 bis 1000° C nimmt das Calciumcarbid Stickstoff auf und bildet Calciumcyanamid, in dem Kohle in feiner Verteilung in Form von Graphit eingeschlossen ist. — Diese Reaktion ist die Grundlage der neuerdings zu großer Bedeutung gelangten Kalkstickstoffherstellung. Läßt mau auf erhitztes Carbid Kohlenoxyd oder Kohlensäure einwirken, so tritt eine Oxydation des Carbids unter Abscheidung von reinem Kohlenstoff ein. Caro und Frank fanden diese Reaktion und verwerteten dieselbe zur Herstellung von feinen Rußsorten und Graphit. Die leichte Oxydationsfähigkeit des Carbides führte endlich zu Versuchen und zum Teil auch praktischer Verwertung desselben als Reduktionsmittel von Metallen bzw. deren Erzen. Reines Calciumcarbid enthält 621/2 % Calcium und 37% % Kohlenstoff. Es entwickelt bei 15° C und 760 mm Barometerstand 368 Liter Acetylen. Das technische Carbid ergibt nur 290 bis 330 Liter Acetylen entsprechend 79 bis 90 % der theoretischen Ausbeute. Das Verwendungsgebiet des Calciumcarbids geht aus seinen genannten chemischen Verbindungen hervor. Seine wichtigste Verwendung ist diejenige zur Erzeugung von Acetylen. Acetylen ist ein farbloses Gas von hohem Kohlenstoffreichtum und hoher Verbrennungstemperatur. Leider ist die Meinung in manchen Kreisen noch verbreitet, daß man sich bei Verwendung von Acetylen besonders großen Explosionsgefahren aussetzt. Die Zersetzung des Acetylens ohne Luftbeimischung in seine Bestandteile, Kohlenstoff und Wasserstoff, geht bei gewöhnlichem Druck so langsam vor sich, daß eine Explosion n i c h t eintritt. Anders bei höheren Drücken, wo infolge der starken Annäherung der Moleküle ein explosionsartiger Zerfall eintritt. Die

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Eigenschaft aller brennbaren Gase, in Mischung mit Luft explosiv zu sein, teilt natürlich auch das Acetylen. Hierauf ist bei der Konstruktion und Bedienung, insbesondere Reinigung der Acetylenapparate Rücksicht zu nehmen. Selbstentzündliche Gase, die manchmal in geringen Mengen beigemischt sind, werden, da sie auch die Acetylenflamme trüben und die Brenner verschmieren, gleich nach der Entwicklung des Acetylens in Acetylenreinigungsmassen zurückgehalten. Mit Kupfer bzw. dessen Salzen bildet das Acetylen eine explosible Verbindung, das Acetylenkupfer. Es ist daher mit größter Sorgfalt Kupfer in den Acetylenleitungen zu vermeiden. Alle Vorsichtsmaßregeln, die aus dem Gesagten herzuleiten sind, sind vom Deutschen Acetylen-Verein zusammengestellt worden. Auf Grund dieser Zusammenstellung wurde vom Reichsamt des Innern im Zusammenarbeiten mit dem Deutschen Acetylen-Verein die Benutzung von Acetylenanlagcn im Jahre 1905 gesetzlich geregelt, so daß die Gefahrenquellen tatsäcldich auf ein Minimum beschränkt sind. Leider werden nur allzu häufig Explosionen anderer Gase in den Tageszeitungen fälschlicherweise als Acetylcnexplosionen gemeldet. — Die wenigen seither vorgekommenen Explosionen konnten stets auf grobe Fahrlässigkeit zurückgeführt werden. In den ersten Jahren wurde die junge Acetylen- bzw. Carbidindustrie allerdings dadurch sehr geschädigt, daß die sorgfältig konstruierten Apparate der großen Firmen von kleineren Klempnermeistern verständnislos nachgeahmt wurden und deshalb zu Explosionen Veranlassung gaben, die die Meinung im Publikum enveckten, daß das Acetylen ein gefährlicherer Brennstoff sei als andere Gase. Diese Kinderkrankheit dürfte als längst überwunden anzusehen sein. In erster Linie kommt das Acetylen zu Beleuchtungszwecken in Betracht. — Die Acetylenflamme besitzt eine viel höhere Leuchtenergie als irgend ein anderes zur Beleuchtung verwendetes Gas. — Bezeichnet man als Wirkungsgrad einer Flamme den für die Flächeneinheit erzielten Lichteffekt, so ergeben sich folgende Vergleichszahlen: Leuchtgas (Rundbrenner). Auerglühlicht Petroleum... Elektrische Glühlampe: Acetylen

.0,02 0,07 0,02 0,05 0,105

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Das Acetylen eignet sich sowohl zur direkten Verbrennung in geeigneten Brennern, als auch in Mischung mit Luft verbrannt, zur Erhitzung von Glühkörpern. — Die Farbe des in direkter Verbrennung erhaltenen Acetylenlichts ist derjenigen des Sonnenlichtes sehr ähnlich. Die Hygiene des Acetylenlichtes wird von allen Forschern äußerst günstig beurteilt. Das Acetylen ist praktisch vollkommen ungiftig, insbesondere ist es von dem giftigen Kohlenoxydgas völlig frei. Die Kosten des Acetylenlichtes sind durchaus konkurrenzfähig. Sie betragen pro Normalkerze und Stunde für Acetylen-Glühlichtlampen 0,04 Pf. bis 0,06 Pf., für offene Flammen 0,10 Pf. bis 0,15 Pf. Zum Vergleiche seien genannt: Mctallfadenlampe 0,04 Pf. Elektrische Glühlampe: 0,125 „ Effekt-Bogenlampe 0,0*2 „ Steinkohlengasglühlicht ....0,026 ,, Petroleumlicht 0,07 „ Petroleumglühlicht : 0,03 „ Spiritusglühlicht 0,08 „ Das Acetylenlicht ist schön, hygienisch, billig und nicht gefährlicher als irgend ein anderes Licht — kurz ein ideales Licht. In manchen Ländern, wie Italien, ist es das volkstümlichste Licht, in Deutschland in manchen Provinzen voll anerkannt, ich nenne nur unsere Ostseebäder, in anderen mit Unrecht verlästert. Es wird zur Beleuchtung ganzer Ortschaften angewandt (Professor Vogel schätzt die Zahl der heute in Deutschland in Betrieb befindlichen Ortszentralen auf 150) und noch mehr zur Beleuchtung einzelner Häuser und Gehöfte (nach Vogel in Deutschland 34 000 bis 35 000 Anlagen). Es eignet sich besonders gut für transportable Beleuchtungen: für Fahrräder, Automobile und andere Fahrzeuge, Schaubuden, Sturmfackeln, zur Beleuchtung von Bauplätzen usw.; ferner für Leuchttürme und Bojen. Ein weiteres großes Feld der Betätigung hat sich das Acetylen erst in neuerer Zeit erobert, nämlich die Verwendung für Grubenlampen. Allein nach Oberschlesien werden zu diesem Zweck schon jährlich ca. 3000 Tons Carbid importiert. — Da die Betriebskosten pro Schicht und Lampe ca. 5 Pf. betragen gegen 8 Pf. für Öllampen, so dürfte diese Verwendung sich immer mehr einbürgern.

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Mit der Acetylen-Sauerstofflamme wird eine Temperatur von 3500 bis 4000° C erzielt, gegen 2420° bei der Wasserstoffsauerstoffflamme, die früher als die heißeste angesehen wurde. Diese Eigenschaft des Acetylens, in Zusammenwirkung mit der Vcrbilligung des Sauerstoffes durch das Lindcsche Luftverflüssigungsverfahren, eröffnete dem Acetylen ein großes weiteres Anwendungsgebiet: das Verbinden und Trennen von Metallteilen mittels der Acetylensaucrstofflamme, mit anderen Worten das Schweißen und Schneiden von Metallen. Dieses sogenannte autogene Verfahren läßt sich auf alle Metalle anwenden. — E s kommt in erster Linie für Eisen in Betracht. Von Interesse sind die von Kautny aufgestellten vergleichenden Berechnungen der Kosten für Nietung und Acetylenschweißung pro laufende m. Stärke der Bleche in mm 3 4 6 2 Nieten Mk. 1,75 Mk. 1,414 Mk. 1,65 Mk. 1,83 Schweißen: „ 0,14 „ 0,22 „ 0,39 „ 0,57 Heutzutage fehlt der Acetylensauerstoff-Schweißapparat in keiner größeren Eisenwerkstatt mehr. Von größter Bedeutung besonders für den Brücken- und Hochbau ist das autogene Schneiden, insbesondere, weil die zu schneidenden Materialien an Ort und Stelle, evtl. aus dem Verband heraus ohne jede Erschütterung in einem Bruchteil der Zeit geschnitten werden können, die dazu früher unter größten Unbequemlichkeiten mit viel höheren Kosten und mit mechanischen Schneidezeugen gebraucht wurde. j • Der Verwendung von Aluminium stand früher die Schwierigkeit der Verbindung einzelner Teile gegenüber. Heute werden die Teile: Kabel, Profilstäbe usw. autogen zusammengeschweißt. Eine Mischung von 75 % ölgas auf 25 % Acetylen ist ein auch bei starker Kompression unexplosibles Gas, das bis vor kurzem noch auf den deutschen Bahnen zur Beleuchtung der Waggons benutzt wurde. Neuerdings ist zu reinem ölgas unter Verwendung von Glühstrümpfen übergegangen worden. Wenn die Eisenbahnbehörde gewußt hätte, daß das Carbid so erheblich im Preise zurückginge, wäre sie wohl beim Mischgas geblieben, das große Vorzüge vor der unter Aufwendung großer Kosten eben eingeführten Beleuchtung mit Glühstrümpfen hat.

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Von erheblicher Bedeutung für alle Zwecke der Acetylenverwcrtung ist die Eigenschaft des Acetons, unter einem Druck von 12 bis 15 Atmosphären die etwa 150 fache Menge Acetvlen zu lösen. — In Aceton gelöst, kann Acetylcn völlig gefahrlos transportiert und an beliebigen Stellen verwendet werden, ohne daß man einen Entwickler für das Acetylen aus Carbid an Ort und Stelle haben muß. Das Verfahren wird in mehreren Ländern u. a. auch in Deutschland schon praktisch verwertet. — Es dürfte besonders in der Anwendung für Waggonbeleuchtung und für Schweißzwecke eine große Zukunft haben. Die Versuche, Acetylen unter hohen Drucken durch künstliche Zündung in seine komponenten Wasserstoff und Kohlenstoff, welch letzterer sich sehr fein verteilt als Ruß abscheidet, zu zerlegen, haben eine Reihe von Forschern beschäftigt. Der auf diese Art gewonnene Ruß ist von äußerst feiner Qualität. Praktische Verwertung schien aber diesen Versuchen nicht beschieden zu sein, bis neuerdings Machtolf ein Verfahren ausgebildet hat, nach dem jetzt in Friedrichshafen am Bodensee eine Rußfabrik gebaut wird, die den gleichzeitig gewonnenen Wasserstoff zur Füllung der Zeppelinschen Luftschiffe verwertet. — Da außerdem die Gerippe der Zeppeline mit der Acetylen-Sauerstoffflamme geschweißt werden, so ist diese unsere modernste nationale Errungenschaft mit der Carbid-Industrie in engster Fühlung. Schließlich sei noch die Fabrikation des Acetylentetrachlorids aus Acetylcn erwähnt, eines Extraktionsmittels für öle und Fette. Im übrigen verweise ich auf die Literatur, die in Kürze durch ein Werk von Professor Vogel über Herstellung und Verwendung von Acetylen vermehrt werden wird. Sehr instruktiv ist auch die Arbeit von le Coutre über Calciumcarbid. Als die junge Carbid-Industrie Ende der 90 er Jahre das Licht der Welt erblickte, wurde sie wie ein junger Prinz empfangen. Man knüpfte an sie die höchsten Erwartungen, glaubte an eine Umwälzung der Beleuchtungsindustrie und gründete entsprechende Organisationen. — Der Prinz entwickelte sich aber bald zu einem enfant terrible. Der erwartete große Absatz wollte sich nicht einstellen, der Bau und Betrieb von Acetylenzentralen rentierte sich wegen der hohen Carbidpreise nicht und einige Explosionen, die auf die schon erwähnten Ursachen zurückzuführen waren, brachten das Carbid in schlechten Ruf. Dieser hatte, ohne daß je ein Transportunfall durch Carbid erfolgt wäre, zur Folge, daß für das Carbid die größten Verfrachtungs-

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Schwierigkeiten gemacht wurden. Infolge von Uberproduktion sanken gleichzeitig die Preise so weit, daß die deutschen, österreichischen, schweizerischen und skandinavischen Carbidwerke sich zur Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen zu einem Syndikat zusammenschließen mußten, um unter gegenseitiger Kontingentierung bessere Preise zu erhalten. Das Syndikat aber war zu lose gefügt und umfaßte nicht alle Produzenten, so daß es seine Ziele nicht erreichte und im Frühjahr 1901 wieder in die Brüche ging. Als dann die Preise, die im Jahre 1895 noch 600 Mk. für die Tonne betragen hatten, im Laufe des Sommers 1901 bis auf 200 Mk. und weniger heruntergingen, bildete sich im Herbst 1901 ein neues Syndikat, das zwar enger gefügt war, aber den Fehler machte, die Carbidhändler nicht zu berücksichtigen, so daß diese durch Import von amerikanischem Carbid und Bau eigener Fabriken die Früchte des Syndikats ohne eigene Opfer mitgenossen. — Dieses zweite Syndikat ging im Frühjahr 1904 wieder auseinander. — Die ganze Industrie hatte sich aber inzwischen so weit technisch vervollkommnet und der Absatz sich so sehr gesteigert, daß in einer Reihe guter Jahre bei steter Entwicklung eine innere Festigkeit ermöglicht war. — Die Transportgesellschaften hatten sich nun auch an den Artikel gewöhnt, so daß manche Seefrachten bis unter die Hälfte der früheren Preise gesunken waren. Die schönen Verdienste, die in diesen Jahren erzielt wurden, veranlaßten eine Reihe von Fabriken, sich zu vergrößern; neue Fabriken wurden gebaut, so daß im Jahre 1908 wieder ein allgemeiner Niedergang konstatiert werden konnte. Hierzu trug wohl auch bei, daß inzwischen die Kalkstickstoffindustrie aufgetaucht war, die, wie heute schon kurz erwähnt, das Calciumcarbid als Rohmaterial benutzt, aber für ihr Produkt nicht so rapiden Absatz fand, wie anfänglich erwartet wurde, so daß auch das ursprünglich zur Umwandlung in Kalkstickstofi bestimmte Carbid auf den Carbidmarkt geworfen wurde. — Die Folge ist, daß die Carbidindustrie auch heute wiederum sich in einer Zeit der Krise befindet. Deshalb schlössen sich schon im Sommer 1909 die nordischen und norddeutschen Werke mit einem Teil der Österreicher und Schweizer zu einer einstweiligen Konvention zusammen, um ein internationales Syndikat vorzubereiten. — Die österreichischen Werke sind nun seit einigen Wochen in einem Syndikat vereinigt und es ist zu hoffen, daß ihm ein allgemeines internationales Syndikat in Kürze folgen wird.

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Die geschilderte Entwicklung erhellt am besten durch eine Vergleichung der Preise in den verschiedenen Jahren: Es kostete für den Konsumenten die Tonne Carbid:

1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910

Anfang:

Mitte:

330—370 Mk. 280—290 11 310—340 11 260—280 11 240—260 1' 240—2G0 11 240—260 11 270—290 ca. 250 1 ca. 190 11 ca. 170 11

280—320 Mk. 190—220 „ 270—280 „ 240—260 „ 190—210 „ 220—240 „ 240—260 „ 270—290 „ ea, 210 „ ca. 170 ,, M

,,

Der Jahresverbrauch Deutschlands ist etwa von 13 000 Tons im Jahre 1900 auf 40 000 Tons im Jahre 1909 gestiegen. Damit wäre, wenn Deutschland seinen ganzen Bedarf selbst herstellen würde, für etwa 30 000 PS. Beschäftigung vorhanden. Wenn trotzdem Deutschland im Jahre 1909 nur ca. 9000 Tons fabrizierte, so ist der Grund dafür der, daß bei den letzten Handelsvcrtragsverhandlungen der Carbidindustrie nicht der Schutz zu teil wurde, den fast alle anderen europäischen Staaten ihrer Carbidindustrie durch einen Zoll verschafften. So haben die ausländischen Fabriken die Möglichkeit, zu billigen Preisen über die deutsche Grenze zu gelangen und unsere Fabriken erfolgreich zu bekämpfen. Es wäre zu hoffen, daß bei Abschluß neuer Handelsverträge die Interessen der Carbidindustrie und damit aller "Wasserkraftindustrien nicht wieder vernachlässigt werden. In ganz Europa sind heute etwa 250 000 PS. für Carbidfabrikation reserviert, entsprechend einer Produktionsfähigkeit von ca. 300 000 Tons Carbid. Fabriziert wurden im Jahre 1909 nur 200 000 Tons Der Konsum der für die europäischen Fabriken in Frage kommenden Gebiete betrug in diesem Jahre ca. 170 000 Tons entsprechend einem Umsatz von ca. 35 Millionen Mark. Nach Ländern verteilen sich diese Zahlen wie folgt: Gewerbliche Emzelvorträge.

6

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Produktionsfähigkeit Produktion Tons Tons Norwegen 80 000 55 000 Schweden 22 000 10 000 Deutschland 12 000 9 000 Schweiz 44000 30 000 England 2 000 1 000 Österreich 35 000 30 000 Frankreich 50 000 30 000 Italien 50 000 35 000 Spanien 2 000 2 000 Der Jahresverbrauch von Europa allein beträgt etwa 130 000 bis 140 000 Tons. — Die Absatzgebiete für europäische Fabriken außer Europa sind hauptsächlich: Süd-Amerika, Australien, Süd-Afrika mit Britisch-Indien. Hand in Hand mit der wirtschaftlichen Entwicklung ging die technische. — Die wiederholten Preisstürze lehrten in verhältnismäßig kurzer Zeit die Fabriken, billig zu fabrizieren. Die überall leicht erreichbaren Rohmaterialien sind Kohle, und zwar Holzkohle, Anthrazit oder Koks und gebrannter Kalk. Kalk sowie Kohle müssen sehr rein sein, besonders aber frei von Magnesiumoxyd und Tonerde, da diese das Endprodukt schwerflüssig machen. Phosphor gibt zu Nebelbildungen und Selbstentzündung des aus dem Carbid gewonnenen Acetylens Veranlassung. Es dürfen daher hiervon nur unwägbare Spuren im Rohmaterial sein. Die übrigen vorkommenden Verunreinigungen sind weniger von Interesse. — Diese Rohmaterialien werden zerkleinert, in einem geeigneten Verhältnis gemischt und im elektrischen Ofen unter Reduktion des Calciumoxyds einem Schmelzprozeß unterworfen. Das fertige Produkt wird, nachdem es erkaltet ist, zerkleinert und in gasdichte Eisenblechgefäße verpackt. Ein elektrischer Ofen ist ein runder oder viereckiger tiegelartiger Kasten, dessen Wände mit feuerfestem Material ausgefüttert sind und dessen Boden aus Kohle, der unteren Elektrode, besteht. In den Tiegel hängt ein Kohlenblock, die obere Elektrode, hinein, deren Abstand von der unteren Elektrode mittels Windwerks reguliert werden kann. An der unteren Elektrode wird der eine Pol, an der oberen der andere Pol leitend befestigt. Durch Annäherung der beiden

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Elektroden •wird ein Lichtbogen erzeugt, durch Heben der oberen Elektrode eine bestimmte Stromstärke einreguliert und nun die zu schmelzenden Rohmaterialien in den Lichtbogen, der eine Temperatur von 3000 bis 3500° C hat, hinein und um die obere Elektrode herumgeschüttet. Die älteren Öfen, die sogenannten Blocköfeu, arbeiteten nun in der Weise, daß mit dieser Manipulation so lange fortgefahren wurde, bis der Tiegel voll geschmolzenen Materials war. Dann wurde der Strom abgestellt, ein leerer Tiegel an die Stelle des vollen gebracht und von neuem zu arbeiten begonnen. Diese Arbeitsweise, die noch im Jahre 1903 die überwiegende war, war natürlich irrationell, sie brauchte viel Bedienung und viel Rohmaterial, hatte hohen Elektrodenverbrauch und geringe Wänneausnützung und dementsprechend schlechte Kraftausniitzung. Dadurch, daß man nun zunächst durch Anbohren der Pfanne das feuerflüssige fertige Material ausfließen ließ, erreichte man einen kontinuierlichen Betrieb mit immer ein und demselben Tiegel, und der nächste Schritt war, durch hohe Schichitung des Rohmaterials dasselbe vorzuwärmen und eine noch giinst gere Wänneausnützung zu erzielen. Die letztere Maßregel führte dazu, nicht mehr einen direkten Lichtbogen von Elektrode zu Elektrode zu bilden, sondern zur Bildung des Bogens die Rohmaterialien selbst heranzuziehen, führte somit zu den sogenannten Widerstandsöfen. Hand in Hand mit dieser Entwicklung ging die Größe der einzelnen Öfen. Die Manipulationen mit den Blocköfen erlaubten nur kleine Größen, anfangs 100, später 300 P S . Die ersten Abstichöfen begannen bei der Größe von 300 P S . und heute haben sie, soweit es Einphasenöfen sind, schon Größen von 1600 bis 2000 PS., Dreiphasenphasenöfen 12 000 P S . und Dreiphasendoppelöfen 20 000 bis 24 000 P S . erreicht. Durch die technische Entwicklung ist es möglich geworden, folgende Betriebsverbilligungen zu erzielen. E s betrug pro Tonne Carbid: vor 10 Jahren Rohmaterialienverbrauch

kg 2000 100—120 3—3,5

jetzt kg 1500—1600 15—20 4,4—4,8

Elektrodenverbrauch Ausbeute pro P S . und 24 Stunden Arbeiterkosten 3 0 - 4 0 Mk. 15—20 Mk. So wurde erreicht, daß die Selbstkosten, die früher 240 bis 400 Mk. pro Tonne Carbid betrugen, heute für ein vollbeschäftigtes Werk 6*

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auf 80 bis 110 Mk. exkl. Emballage zu veranschlagen sind. Nur durch diesen ungeheuren technischen Fortschritt ist es ermöglicht worden, daß die Fabriken auch so schwere Zeiten wie die jetzige mit Ruhe überstehen können. Noch zwei wichtige Punkte sind allerdings von Einfluß auf die "Wirtschaftlichkeit einer Carbidfabrik: Einmal die für die Fabrikation günstige Anordnung der Raumdisposition innerhalb der Fabrik und zweitens die Lage der Fabrik zu den Rohmatcrialbezugs- und Fabrikatabsatzstellen. Als Beispiel für das erstcre führe ich Ihnen den Lageplan einer modernen Fabrik nebst photographischer Aufnahme derselben vor. Zum zweiten kann nur gesagt werden, daß die Lage so sein muß, daß alle Frachten auf ein Minimum beschränkt werden. Die Fabrik muß entweder in der Nähe der Rohniaterialquellen und mitten im Absatzgebiet oder sonst frachtlich ganz günstig, also direkt am Hochseehafen liegen. Von letzteren Verhältnissen hängt es auch ab, wieviel eine Fabrik für ihre Kraft verausgaben kann. Die Preise der Jahres-PS. in der Carbid-Industrie variieren zwischen 20 und 50 Mk. Von den direkten Reaktionen des Carbids ohne vorherige Herstellung von Acetylen ist von erwähnenswerter Bedeutung nur das Verfahren, das die Bindung des Luftstickstoffs zum Zwecke der Düngung zum Ziele hat. Dieses scheint allerdings bestimmt zu sein, dem Carbid diejenige breite wirtschaftliche Basis zu verschaffen, die es bisher noch nicht erreichen konnte. Der Stickstoff ist eines der wichtigsten und am meisten vorkommenden Elemente, auf denen unsere "Welt aufgebaut ist. Etwa 78 % der die Erde umgebenden Luft bestehen aus Stickstoff und Birkeland-Eyde haben ausgerechnet, daß die über jedem Quadratkilometer lastende Stickstoffmenge im ungefähren Betrag von 7 Millionen Tonnen genügt, um den Weltbedarf an gebundenem Stickstoff für 25 Jahre zu decken. Die uns umgebende Pflanzenwelt benötigt zu ihrem Aufbau große Mengen Stickstoff, den sie meist dem Erdboden, nur in wenigen Ausnahmefällen direkt der Luft, entnimmt. Es war Justus von Liebig, der uns zuerst mit den Grundgesetzen der Ernährung der Pflanze vertraut machte und dessen Lehre sich kurz dahin zusammenfassen läßt, daß die Pflanze für ihren Aufbau

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folgende Stoffe benötigt: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Kalk, Phosphor, Kali und Stickstoff; Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff entnimmt sie der Luft, die übrigen dem Boden. Das Wachstum einer Pflanze wird sehr beschränkt, wenn sie die nötigen Stoffe an ihrem Standorte nicht in ausreichendem Maße findet. Umgekehrt kann aber auch die Entwicklung durch eine künstliche Zuführung der notwendigen Stoffe erheblich gefördert werden. Wohl selten hat eine theoretische Erkenntnis so weitgehende praktisch wirtschaftliche Konsequenzen gehabt wie diese. Ich erinnere dabei an die große Ausdehnung, die die Superphosphatindustrie heute hat, an das Thomasverfahren der Eisengewinnung, das die Entphosphorung des Eisens zum Ziel hat und in seiner Wirtschaftlichkeit wesentlich dadurch gesteigert wurde, daß die Landwirtschaft ein dankbarer und gut zahlender Abnehmer für die sonst wertlose Phosphorschlacke wurde. Ich erinnere endlich an unsere deutsche Kaliindustrie, die im Laufe eines Menschenalters eine ungeheure Ausdehnung angenommen hat. Weitaus den wichtigsten Anteil an der Ernährung der Pflanze hat jedoch der Stickstoff, der freilich nur in gebundenem Zustande von ihr aufgenommen wird. Die Erfahrung, daß der Ertrag des Bodens durch menschliches Zutun überhaupt gesteigert werden kann, ist schon sehr alt, nur war man sich vor Liebig über die Wirkungsweise der künstlichen Bodenernährung nicht klar. Auf Erfahrungssätze sich stützend, gab man dem Boden durch wcchselweiscn Anbau von Hackfrüchten und Halmfrüchten Zeit, sich zu erholen. Außerdem wurde Stickstoff in Form von Fäkalien zugeführt. Endlich baute man auf stark überanstrengten Böden Pflanzen an, die den Stickstoff aus der Luft aufnehmen und pflügte sie im Herbst als Stickstoffdünger unter. Den wachsenden Ansprüchen an die Leistungsfähigkeit des Bodens genügten diese Methoden nicht und man wandte sich dank Liebigs Lehren der Verwendung anderer Düngemittel zu. Hauptsächlich waren es anorganische Produkte und zwar besonders schwefelsaures Ammoniak und Chilisalpeter, die zur Verwendung gelangten. Neben diesen sind noch Guano, Knochenmehl und Hornmehl zu nennen, die aber wegen ihrer relativ geringen Menge nicht von derselben Bedeutung sind. Die Wirksamkeit der künstlichen Düngung wird durch einige Resutate von Düngeversuchen illustriert, die ich Ihnen im Bilde vorführe.

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Das schwefelsaure Ammoniak ist ein Nebenprodukt, das bei der Trockendestillation der Kohle und zwar sowohl bei der Leuchtgasals auch bei der Koksherstellung für den Hochofenbetrieb gewonnen wird. Da das Ammoniak auf diesem Weg nur als Nebenprodukt rentabel zu gewinnen ist, ist eine Steigerung der Produktion allein abhängig von einer Steigerung der Produktion der Hauptprodukte. Doch genügt die so erreichbare Steigerung nicht, um diejenige des Stickstoffbedarfes zu decken. Der weitaus größte Teil des Stickstoffbedarfs Deutschlands wie der ganzen Welt wurde bisher durch den Chilisalpeter gedeckt. Chilisalpeter ist ein Natriumsalz der Salpetersäure, er wird als Naturprodukt in dem regenlosen Teil Chiles zwischen dem 19. und 28.° südlicher Breite im Tagebau gewonnen. Chile nimmt durch seine Salpeterläger (ebenso wie Deutschland durch sein Kali) eine völlige Monopolstellung ein und hat diese auch in weitgehendem Maße ausgenutzt. Trotz aller Nachforschungen sind ähnliche Läger bisher in der ganzen Welt nicht aufgefunden worden. Der Weltverbrauch an Chilisalpeter möge durch die nachfolgende Tabelle illustriert werden. Tons Jahr Salpeterproduktion 1830 100 000 1850 1870 1890 1910

'

120 210 1 000 2100

000 000 000 000

Dabei ist zu betonen, daß der Weltverbrauch sich nahezu konzentriert auf Europa und hier auch wieder auf die Gebiete dichtester Bevölkerung und intensivsten Anbaues. Denn einmal scheiden die nicht Getreide konsumierenden Gebiete wie Asien und Afrika aus, andererseits hat aber auch der gewaltige Kornproduzent Amerika bis vor kurzem mit seinem Boden Raubbau getrieben und beginnt erst seit wenigen Jahren mit einem stetig steigenden Bedarf ebenfalls an den Salpetermarkt heranzutreten. Die Steigerung des Verbrauches Deutschlands an Stickstoff in den letzten Jahren geht aus der nachfolgenden Tabelle hervor.

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Jahr Verbrauch in Tons Jahr Verbrauch in 1900 108 000 1905 146 000 1901 125 000 1906 160 000 1902 120 000 1907 155000 1903 120 000 1908 166 000 1904 178 000 135 000 1909 In Geldeswert ausgedrückt, dürfte der Verbrauch Deutschlands an Stickstoff jährlich rund 250 Millionen Mark betragen. Dieser Betrag ist jedoeli bei weitem noch keine Maximalzahl, vielmehr kann und muß dieser Aufwand nach Caro noch bis auf das Vierfache erhöht werden, um bei stetiger Bevölkerungszunahme Deutschland hinsichtlich seiner Getreiderezeugung unabhängig vom Ausland zu machen und zu erhalten. Die Methoden, die eingeschlagen wurden, um dem gesteigerten Stickstoffbcdarf entsprechen zu können, waren verschieden. Das Nächstliegende war, die bisherigen Methoden der Gewinnung nach Möglichkeit zu verbessern. Dies ist auch teilweise, freilich erst in letzter Zeit, geschehen. In Chile erhöhte man die Produktion durch Verarbeitung der weniger gehaltreichen Salze. Ein anderer, erst in den allerletzten Jahren durch die konstruktive Ausbildung der Gasmaschine gangbar gewordener Weg bezweckt eine rationellere Ausnutzung des in der Kohle enthaltenen Stickstoffes. Der englische Chemiker Mond vergaste die Kohle mit einem Zuschuß von Luft und "Wasserdampf und gewann so neben einem ausgezeichneten Kraftgas einen wesentlich größeren Teil des in der Kohle enthaltenen Stickstoffs, als dies bei der trockenen Destillation der Kohle möglich ist. Im Anschluß an dieses Verfahren hat Caro gute Erfolge mit der Verarbeitung der auf der Halde geworfenen Abfälle der Zechenbetriebe, der sogenannten "Waschberge erzielt. Endlich hat auf derselben Basis, auf dem Mondgasprozeß aufbauend, Professor Frank zusammen mit Caro ein Verfahren ausgearbeitet, das die Verarbeitung des Torfes zum Ziele hat. Die wirtschaftliche Ausnützung der Torfmoore scheiterte bisher an dem großen Wassergehalt der Moore. Das Prank-Carosche Verfahren gestattet, Torfe bis zu einem Feuchtigkeitsgehalt von 5 0 % rentabel zu verarbeiten. Welche Bedeutung der Ausnützung der Moore beizumessen ist, erhellt ohne weiteres aus der Tatsache, daß allein Preußen ca.

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2y 2 Millionen ha Moore besitzt, die jede Kultur und Besiedelung ausschließen. Handelt es sich bei dem genannten Verfahren bisher nur um Versuche, wenn auch großen Stils, die sicher mit der Zeit praktische Erfolge zeitigen werden, so ist der drohenden Stickstoffnot bereits für immer ein kräftiges Bollwerk entgegengestellt durch die direkte Bindung des Luftstickstoffs. Praktisch kann dieses Problem als gelöst betrachtet werden und die Schwierigkeiten, die demselben entgegenstehen, sind lediglich noch technisch wirtschaftlicher Natur, also in unserer schnellebigen Zeit eine Frage verhältnismäßig kurzer Dauer. Die ersten Beobachtungen über die chemische Bindung des Luftstickstoffs fallen in das Jahr 1785, wo Priestley und Cavendish fast gleichzeitig beobachteten, daß der elektrische Funke beim Durchschlagen der umgebenden Luft den Sauerstoff- und Stickstoffgehalt derselben zu salpetrigen Dämpfen verbrennt. Diese Erkenntnis ist für eine große Reihe von Laboratoriuinsvcrsuchcn fruchtbar geworden, die die gegenwärtig begonnene großartige Entwicklung vorbereiteten. In die Praxis setzten die theoretischen Erkenntnisse zuerst die beiden Amerikaner Lovejoy und Bradlev um. Obwohl die grundlegende konstruktive Eigenart ihrer Apparatur in neuester Zeit durch die Praxis als richtig bestätigt worden ist, rentierte das Verfahren nicht; man mußte es im Sommer 1904 als unrentabel wieder einstellen. Zur Zeit dieser ersten Versuche setzte eine solche Hochflut von Erfindungen und Patenten auf diesem Gebiete ein, daß es ausgeschlossen ist, auch nur einen einigermaßen ausreichenden Überblick über dieselben zu geben. Ein wirklicher Fortschritt läßt sich erst feststellen, als das norwegische Verfahren von Birkeland und Eyde auf dem Plan erschien. Birkeland kam gelegentlich anderweitiger Versuche mit dem elektrischen Lichtbogen dazu, das Problem der Luftverbrennung näher zu verfolgen. Er vereinigte sich mit dem Ingenieur Eyde, der seine gesamte technische Ausbildung in Deutschland genossen hatte, zur praktischen Durchführung seiner Gedanken. Dieselben gingen von der früher bereits gemachten Erfahrung aus, daß der Lichtbogen möglichst wenig kompakt sein müsse, um eine gute Verbrennung zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, versahen sie, und das war das Erfolgreiche ihrer Versuche, beide Elektroden mit Blasmagneten, die

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den Wechselstromlichtbogen zu einer breiten Scheibe auseinanderzogen. In dieser Lichtscheibe verbindet sich der Stickstoff mit dem Sauerstoff zu Stickoxyd und es entweicht ein Gasgemisch, das 1 bis 3 % Stickoxyd enthält. Die aus dem Ofen kommenden heißen Gase werden in einem Röhrensystem abgekühlt und durch eine Reihe von hintereinander geschalteten Granittürmen gegen entgegen rieselndes "Wasser geleitet. Das Stickoxyd verbindet sich zu Stickstoffdioxyd bzw. Stickstoffretroxyd, und man erhält eine verstärkte salpetersaure Lauge, die nun weiter in breiten Kufen durch Eindampfen konzentriert wird. Die konzentrierte Lösung wird sodann weiter an Kalk gebunden und das Endprodukt Calciumnitrat kommt als Kalksalpeter oder „]\Torgesalpeter" iu den Handel. Birkeland-Eyde erprobten ihr Verfahren zuerst praktisch durch den Bau kleiner Versuchsfabriken. Im Jahre 1904 wurde für die Ausnutzung ihres Verfahrens die IS'orsk Hydro-Elektrisk Kvaelstoff Aktieselskab mit vorwiegend französischem Kapital gegründet. 1905 wurde in ATotodden eine größere Vcrsuchsfabrik errichtet, die mit drei Öfen arbeitet und in der die Bedingungen für den Großbetrieb festgestellt werden sollten. Gleichzeitig wurde mit dem Ausbau des Tinfall und Svaelgl'all zur Kraftgewinnung begonnen und die Arbeiten soweit gefördert, daß anfangs 1908 35 Öfen in Betrieb kommen konnten, die einen Kraftbedarf von 30 000 bis 40 000 PS. haben. Ein anderes, anscheinend rationeller arbeitendes Verfahren ist erst vor etwa zwei Jahren in seinen Grundzügen bekannt geworden. Es ist das von Schönherr ausgearbeitete Verfahren, das den Badischen Anilin- und Sodafabriken, Akt.-Ges., gehört und erst in einer Versuchsanlage in Ludwigshafen, später in einer solchen in Christiansand für die Praxis erprobt worden ist. Es wird neuerdings in sehr großem Umfange angewendet. Dieses Schönherrsche Verfahren läßt sich kurz dahin charakterisieren, daß der zwischen zwei Elektroden erzeugte Lichtbogen unter tangentialer Luftzuführung zu einer Stickstoffsauerstoffflamme von 5 bis 7 m Länge ausgezogen wird. Das den Ofen verlassende Gasgemisch ist wesentlich reicher als beim BirkelandEydeschen Verfahren. Es wird in gleicher Weise wie bei diesem weiterbehandelt. Die Fabrik in Christiansand arbeitet mit ca. 2000 PS. und Öfen von ca. 600 PS. mit etwa 5 m Flammenbogenlänge. Später ist man

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auf eine Länge von 7 m und 1000 PS. heraufgegangen. Eine weitere Steigerung auf 2000 PS. wird für möglich, aber nicht für notwendig gehalten. Im Jahre 1906 schlössen die Concerne der Badischen Anilinund Sodafabriken einerseits und Birkeland-Eyde andererseits eine Interessengemeinschaft, die jeden Wettbewerb ausschalten soll; beide Verfahren werden unter Ausnutzung der gemeinsamen Erfahrungen nebeneinander vervollkommnet. Die vereinigte Gruppe hat für ein planmäßiges Vorgehen zwei Gesellschaften mit einem Kapital von 34 Millionen Kronen gegründet, deren eine den Ausbau von Wasserkräften, deren andere den Betrieb von Salpeterfabriken bezweckt. Geplant sind vorerst für Norwegen etwa zehn Fabriken mit rund 500 000 PS. Gegenwärtig wird die erste gemeinsame Fabrik in der Provinz Telemarken oberhalb Notodden ausgebaut. Sie wird den Rjukanfall mit etwa 140 000 PS. ausnützen und mit 120 SchönherrÖfen arbeiten. Gänzlich andere Bahnen schlug eine zweite Methode der Bindung des Luftstickstoffes ein. Im Jahre 1895 meldete Professor Frank ein Verfahren, Stickstoff durch Metallcarbide zu verbinden, das von ihm gemeinsam mit seinem damaligen Assistenten Dr. Caro gefunden war, zum Patent an. Das Verfahren wurde in den Jahren 1895 bis 1900 hauptsächlich mit dem Ziele, Cyankali zur Goldextraktion herzustellen, in verschiedenen Laboratorien unter Leitung Franks mit wechselndem Erfolge bearbeitet. 1900 gingen die Patente in den Besitz der von Siemens & Halske gegründeten Cyanidgesellschaft über. Im selben Jahre wurde vorgeschlagen, das Calciumcyanamid als Düngemittel zu venverten und gleichzeitig wurde ein Verfahren gefunden, um durch Überleiten von Wasserdampf über erhitztes Calciumcyanamid Ammoniakgas zu erhalten, das, durch Schwefelsäure geleitet, schwefelsaures Ammoniak bildet. In den Jahren 1901 bis 1904 wurden auf einer Reihe von landwirtschaftlichen Versuchsstationen eingehende Düngeversuche, hauptsächlich von den Professoren Wagner und Gerlach, mit dem neuen Produkt durchgeführt. 1904 erschienen die ersten Veröffentlichungen über diese Düngeversuche. 1905 gelang es, aus den Ammoniakgasen Salpetersäure herzustellen, jedoch ist man bisher noch nicht dazu gelangt, dieses Verfahren für den Großbetrieb geeignet auszugestalten.

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Das Fabrikationsprinzip des Kalkstickst'offverfahrens beruht darauf, fein gemahlenes Carbid in einer Stickstoffatmosphäre auf 800 bis 1000° zu erhitzen. In dieser Temperatur nimmt das Carbid den Stickstoff, wie heute bereits bei Besprechung des Carbids erwähnt, in sich auf und bildet Calciumcyanamid oder Kalkstickstoff. Der benötigte Stickstoff wurde anfangs durch Uberleiten von Luft über glühende Kupferspäne gewonnen, wobei der Sauerstoff der Luft zur Oxydierung des Kupfers verbraucht wird. Später wurde der Stickstoff nach dem Lindeschen Luftverflüssigungsverfahren hergestellt, indem durch fraktionelle Verdampfung der flüssigen Luft der Stickstoff gewonnen wurde. Neuerdings wird wieder mit dem Kupferverfahren gearbeitet. Das Kupfer wird in einem Regenerativprozeß durch Benzol- oder Benzindämpfe reduziert und erneut zur Stickstoffgewinnung benutzt. Die Erhitzung des gemahlenen Carbids in der Stickstoffatniosphärc geschah ursprünglich mittels Steinkohle in ähnlichen Retorten, wie sie in der Gasfabrikation gebraucht werden. Neuerdings erfolgt die Erhitzung durch die strahlende "Wärme eines durch Elektrizität erhitzten elektrischen Widerstands. Das Carbid nimmt ca. 25 % seines Gewichts Stickstoff auf, so daß das Endprodukt wesentlich hochwertiger ist als die anderen Stickstoffdünger. Der Kalkstickstoff wird als ein teils amorpher, teils fein kristallinischer, fester Körper gewonnen und alsdann fein gemahlen direkt zur Düngung verwendet. Wie bei der direkten Verbrennung des Luftstickstoffs zwei brauchbare Verfahren angewendet werden, so ist auch bei den Bindung des Stickstoffs durch Carbid noch ein zweites erfolgreiches Verfahren bearbeitet worden. Dasselbe wurde kurz vor dem Frank-Caroschen Verfahren in die Praxis eingeführt und unterschied sich von diesem nur dadurch, daß dem Carbid ein Zusatz von ca. 20 % Chlorcalcium hinzugefügt wird, der die für die Reaktion notwendige Temperatur auf ca. 700° reduziert. Der Erfinder ist Polzenius; das Produkt wird im Gegensatz zu Kalkstickstoff als Stickstoffkalk bezeichnet und hat vor diesem infolge seines Chlorgehalts den Nachteil größerer Hygroskopizität. Auch zwischen diesen beiden Verfahren wurde der Wettbewerb ausgeschlossen durch eine Syndizierung mit gemeinsamer Verkaufsstelle.

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Die erste Stickstoffkalkfabrik kam 1906 in "Westeregeln in Betrieb und kurze Zeit darauf in Piano d'Orte in Italien die erste Kalkstickstoffabrik mit einer anfänglichen Jahresproduktion von ca. 4000 Tonnen die später auf 14 000 Tonnen erweitert wurde. In Deutschland kam die erste Kalkstickstoffabrik im Sommer 1908 in Betrieb im Anschluß an das Carbidwerk Mühlthal bei Bromberg. Seitdem sind noch eine Reihe weiterer Werke ausgebaut worden, so daß heute die folgenden Werke Kalkstickstoff bzw. Stickstoffkalk herstellen: in Deutschland: Westeregeln, MUhlthal, Kapsack bei Köln, und im Bau: Trostberg in Bayern. In Italien: Piano d'Orte, Sebenico, Almissa, Terni und San Martell bei Aosta; in Frankreich: Kotre Dame de Brian