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German Pages 96 [104] Year 1911
KORPORATION PER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN
GEWERBLICHE EINZELVORTRÄGE gehalten in der Aula der HANDELS-HOCHSCHULE BERLIN Herausgegeben von den Altesten der Kaufmannschaft von Berlin.
Erste Reihe: I. Die Entwicklung der elektrischen Industrie. Vortrag des Herrn Geheimen Regierungsrat Professor Dr. A r o n . — II. Die Einrichtungen an der Berliner Börse. Vortrag des Herrn Kommerzienrat M. R i c h t e r . — III. Geschichte und Technik der Textilindustrie. Vortrag des Herrn Stadtrat Dr. W e i g e r t . — IV. Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte. Vortrag des Herrn H e r m a n n H e c h t . — V. Das Verkehrsbureau der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn Bureaudirektor H o f f m a n n . — VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekar der Korporation der Kaufmannschaft voti Berlin (Elektrische Industrie. — Berliner Börse. — Textilindustrie. — Exportgeschäfte. — Eisenbahnverkehr).
Zweite Reihe:
I. Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit. Vortrag des Herrn W. S c h i m m e l p f e n g . — II. Die wirtschaftliche Bedeutung von Lieferungs-, Börsentermin- und Spekulationsgeschäften in Waren, Vortrag des Herrn W. K a n t o r o w i c z , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — III. Deutsches Zahlungswesen unter Berücksichtigung des Überweisungs- und Scheckverkehrs. Vortrag des Herrn J. K a e m p f , Präsidenten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — IV. Die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekars der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. — V. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e (Kaufmännische Auskunftserteilung. — Lieferungs-, Bürsentermin- und Spekulationsgeschäfte in Waren. — Deutsches Zahlungswesen. — Die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin).
Dritte Reihe:
I. Die Stellung der chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. Vortrag des Herrn Fabrikdirektors Dr. W. C o n n s t e i n . — II. Warenhäuser und Spezialgeschäfte. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers F. G u g e n h e i m . — III. Die Organisation des Kupferhandels. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers Dr. E. N o a h . — IV. Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte. Vortrag des Herrn Geh. Staatsrats a. D. J. B u d d e , Direktors der Berliner Hypothekenbank. — V. Die Industrie der Lacke und Farben. Vortrag des. Herrn L, M a n n , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, r— VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e . (Die Stellung der chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. — Warenhäuser und Spezialgeschäfte. — Die Organisation des Kupferhandels. — Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrainund Hypothekengeschäfte. — Die Industrie der Lacke und Farben).
Vierte Reihe.
I. Die Vorbereitung des ostasiatischen Marktes für die Ausdehnung unseres Exportes dorthin. Vortrag des Herrn D. S a n d m a n n , Mitglieds der Handelskammer zu Berlin. — II. Die Entwickelung, Art und Bedeutung der modernen Holzbearbeitungsindustrie. Vortrag des Herrn F r a n z B e n d i x , Direktors der Ferdinand Bendix Söhne, Aktiengesellschaft für Holzbearbeitung, — III. Terrain- und Hypothekengeschäfte. Vortrag des Herrn Geh. Staatsrats a. D. J . B u d d e , Direktors der Berliner Hypothekenbank. — IV. Die Entwickelung und Bedeutung der Calciumcarbid- und Stickstoffdünger-Industrie. Vortrag des Herrn Diplom-Ingenieurs A. M. G o l d s c h m i d t . — V. Die Organisation einer modernen Werkzeugmaschinenfabrik. Vortrag des Herrn Dr. W. W a l d s c h m i d t , Direktors der Aktiengesellschaft Ludw. Loewe & Co. — VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar D r . R e i c h e . (Die Vorbereitung des ostasiatischen Marktes für die Ausdehnung unseres Exportes Die Entwicklung, Art und Bedeutung der modernen Holzbearbeitungsindustrie. — Die liche Bedeutung der Grundstücks- und Hypothekengeschäfte. — Die Entwicklung und der Calciumcarbid- und Stickstoffdünger-Industrie. — Die Organisation einer modernen maschînenfabrik).
dorthin. wirtschaftBedeutung Werkzeug-
Preis jeder Reihe M. 2.—
VERLAG VON GEORG REIMER IN BERLIN W. 35
KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN
Gewerbliche Einzelvorträge Gehalten in der Aula der Handels-Hochschule Berlin Herausgegeben von den
Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin.
Fün fte Reihe
Berlin Druck und Verlag v o n Georg Reimer
1911
Inhalt. Seite
I. D i e w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g u n d d i e H a n d e l s t e c h nik der Kohlensäure-Industrie.
Vortrag des Herrn
Hugo
B a u m , Generaldirektors der Aktiengesellschaft für Kohlensäureindustrie
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II. W e l t a u s s t e l l u n g e n .
Vortrag des Herrn Stadtältesten D r . W e i -
g e r t , Vizepräsidenten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. III. D i e E n t w i c k l u n g industrie.
und B e d e u t u n g
der
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Schwachstrom-
Vortrag des Herrn Ingenieurs N e u h o l d , Direktors
der Deutschen Telephonwerke IV. D i e E n t w i c k l u n g
und
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Organisation
des
Eisenhandels.
Vortrag des Herrn C. L. N e t t e r , Ältesten der Kaufmannschaft
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von Berlin V. Anhang:
Literaturnachweise.
— Von Herrn Dr. R e i c h e ,
Bibliothekar der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin .
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I. Die wirtschaftliche Bedeutung und die Handelstechnik der Kohlensäure Industrie. Vortrag des Herrn Hugo
Baum,
Generaldirektors der Actien-Gesellschaft für Kohlensäure-Industrie.
Der Vermittler, der Makler vermag allenfalls Umsätze zustande zu bringen in "Waren, deren Entstehung, Aussehen und wirtschaftliche Bedeutung er nicht notwendiger Weise zu kennen braucht. Der Industrielle und Kaufmann aber, der seinen Kundenkreis erweitern, neue Verwendungsarten und Absatzgebiete schaffen, kurz seinen Geschäftsbetrieb handelstechnisch praktisch einrichten und gewinnbringend betreiben will, der muß mit der Entwickelung, mit der Fabrikation, den Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten seiner Ware Bescheid wissen. Daher dürfte vor Erörterung der wirtschaftlichen Bedeutung und der Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie ein kurzes Eingehen auf die Kohlensäure selbst und ihre geschichtliche Entwicklung zur Handelsware nötig sein. Die K o h l e n s ä u r e ist ein farbloses und geruchloses Gas von schwach säuerlichem Geschmack. Sie ist ungefähr 1 y 2 fach so schwer wie Luft; infolge dieser Schwere läßt sie sich von einem Gefäß in ein anderes umgießen. Sie ist feuerlöschend; ein brennendes Licht, in eine Kohlensäureschicht getaucht, erlischt. Sie ist zum Atmen nicht geeignet. Luft, die über 7 % Kohlensäure enthält, ist schädlich. Sie ist in Wasser leicht löslich und in dieser Lösung äußerst zuträglich. Sie wirkt konservierend und Fäulnis hindernd. Das K o h l e n s ä u r e g a s machte sich den Naturforschern schon frühzeitig bemerkbar. Bereits Ende des 16. Jahrhunderts machen Livabius und van Hellmont in Brüssel auf dieses Gas aufmerksam. Lavoisier, der um 1780 die Zusammensetzung der Kohlensäure aus Sauerstoff und Kohlenstoff erkannte, bezeichnete sie zuerst mit dem jetzigen Namen. Durch verschiedene Forscher wurden dann weitere Eigenschaften derselben festgestellt und schließlich gelang es 1823 Michael Faraday, als erstem, das Kohlensäuregas durch eigenen Druck in den flüssigen Aggregatzustand überzuführen und in einer an beiden Seiten zugeschmolzenen dickwandigen Glasröhre wirkliche flüssige Kohlensäure
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Wirtschaftliche Bedeutung und Kandelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
herzustellen und zu zeigen. Es war jedoch nichts mit ihr anzufangen, da sie aus der Glasröhre nicht zu entnehmen war. Thilorier ging einen Schritt weiter; er konnte die flüssige Kohlensäure, ebenfalls durch eigenen Druck erzeugt, in einer Art Behälter auffangen. Der Chemiker Natterer in Wien benutzte 1844 zuerst zur Kompression nicht mehr den eigenen Druck, sondern eine Druckpumpe mit Handbetrieb. Nach ca. dreistündigem Pumpen konnten ca. 300 Gramm flüssiger Kohlensäure in einem transportablen Gefäß erzeugt werden. Für Laboratoriumszwecke war diese allenfalls zu benutzen. Der Forscher- und Erfindergeist wurde dadurch mächtig angeregt. 1868 wurde ein amerikanisches Patent zur Verwendung der flüssigen Kohlensäure erteilt, 1875 regt der amerikanische Leutnant Barber in einer Schrift an, die flüssige Kohlensäure zum Treiben von Torpedos zu benutzen. 1877 erhielt Hendrik Beins in Groningen ein Patent zur Herstellung von Kohlensäure beliebiger Spannung. Er wollte damit Mineralwasser fabrizieren, Eis machen, sie anstelle des Dampfes als Motor benutzen, Feuerspritzen betreiben, die Explosionskraft anstelle des Pulvers benutzen, Unterseeboote treiben usw. usw. Wenn auch einige dieser Ideen später durch Andere zur Ausführung gelangten, so blieben es doch zunächst Erfindungen auf dem Papier. Die Schwierigkeiten der praktischen Durchführung wurden unterschätzt. Erst dem Dr. W. Raydt, damals Oberlehrer am Realgymnasium zu Hannover, gelang es im Jahre 1878, nach seinen Angaben von der Hannoverschen Maschinenfabrik Act. Ges. vorm. G. Eggestorf einen mit Dampf betriebenen Kompressor bauen zu lassen und die ersten größeren Mengen flüssiger Kohlensäure, ca. 5 kg per Stunde, transportabel herzustellen. Erst hierdurch war die flüssige Kohlensäure, wenn auch im beschränkten Maße, Handelsware geworden. Die so durch Kompression und Abkühlung aus gasförmiger entstandene f l ü s s i g e K o h l e n s ä u r e ist ebenfalls farblos, dünnflüssiger und auch etwas leichter als Wasser. Zur Verflüssigung ist bei einer Temperatur von 0 0 ein Druck von 36 Atm. und bei gewöhnlicher Temperatur von In—20 0 ein solcher von 50—60 Atm. erforderlich. Die flüssige Kohlensäure wird in nahtlosen, zylindrischen Stahlbehältern, genannt Flaschen, verwendet, die mit einem Ventil zur allmählichen Entnahme des Inhalts versehen sind. Der Inhalt einer
Wirtschaftliche Bedeutung und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
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Flasche von 10 kg = ca. 11 Liter flüssiger Kohlensäure entspricht einer Menge von ca.5400 Litern gasförmiger Kohlensäure. Mit anderen "Worten, als flüssige Kohlensäure nimmt sie nur den ungefähr fünfhundertsten Teil des Raumes ein, den sie als gasförmige Kohlensäure benötigt. In einem kleinen Gefäß sind daher große Mengen Gas eingeschlossen. Beim Nachlassen des Drucks, z. B. beim öffnen des Ventils, entströmt die Kohlensäure wieder mit großer Heftigkeit gasförmig. Bei dem Übergang von dem flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand wird Wärme gebunden d. h. Kälte erzeugt und zwar bei schneller Verdunstung so stark, daß ein Teil erstarrt und feste Kohlensäure in Form eines schneeigen Niederschlages bildet. Diese Stahlflaschen bilden für die Handelstechnik einen sehr wichtigen Faktor, auf den später mehrfach eingegangen werden wird. Am 27. August 1879 wurde mit der, nach der damaligen Anschauung riesigen Menge von 40 kg flüssiger Kohlensäure, auf Grund eines Raydtschen Patentes durch Stoff-Ballons, welche mittels flüssiger Kohlensäure unter Wasser schnell aufgebläht waren, in Kiel ein Ankerstein von 316 Zentner Gewicht, der 10 Meter unter Wasser sich befand, in 8 Minuten an die Oberfläche gehoben. Es ist dies die erste nachweisbare Verwendung flüssiger Kohlensäure in der Technik. Die ersten Mengen so hergestellter flüss. Kohlensäure bezog Raydts Gönner Friedr. Alfred Krupp, Inhaber der bekannten Fabrik Fr. Krupp in Essen, der auch bald den Raydtschen Kompressor übernahm, dessen Leistungen vergrößert wurden. Es wurde in der Kruppschen Fabrik die flüss. Kohlensäure fast ausschließlich für den eigenen Betrieb benutzt zur Herstellung dichter Metallgüsse und zum Abchrumpfen noch brauchbarer Mantelringe von abgenutzten Geschützen dadurch, daß diese erst heiß gemacht und dann durch flüssige Kohlensäure schnell abgekühlt und zur Zusammenziehung gebracht wurden. Mit seltener Energie hat Raydt seine Erkenntnis von der Wichtigkeit der flüss. Kohlensäure für die Industrie und Hygiene in die Tat umgesetzt. Er ist, wenn sich auch seine Patente nicht lange aufrecht erhalten ließen, fraglos als der Vater der Kohlensäure-Industrie und des Kohlensäuregeschäftes zu betrachten. Im Jahre 1880 wurde dem Dr. Raydt ein Patent erteilt zum Imprägnieren, Heben und Werfen von Wasser mittels flüssiger Kohlensäure und eines zum Ausschenken von Bier. Es folgten später noch weitere zur Erzeugung von Kälte, für einen Feuerlöscher und andere.
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Wirtschaftliche Bedeutung und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
Die beiden ersteren Patente wurden am 8. Juli 1881 von der bekannten Finna Kunheim & Co. in Berlin dem Dr. Raydt abgekauft. Die Firma Kunheim & Co. war diejenige, die die flüssige Kohlensäure neben ihren sonstigen Artikeln zuerst fabrikmäßig herstellte und an andere in damals eisernen Zylindern gewerbsmäßig verkaufte. Der Verkehr mit den vielen Verbrauchern, die mühevolle Detailarbeit, die unvermeidlichen Agitationen überschritten jedoch den Rahmen einer Chemischen Fabrik, sodaß am 1. Januar 1884 zu diesem Zweck eine Aktien-Gesellschaft das eigentliche Kohlensäuregeschäft übernahm. Der zunehmende Umsatz und das Aufsehen, welches das neue Produkt überall hervorrief, lassen es nur erklärlich erscheinen, daß sehr bald die Raydtschen Patente angegriffen und bereits am 8. Januar 1887 durch die Herren C. G. Rommenhöller und H. Hammerschmidt zu Fall gebracht wurden. So schmerzlich dies auch den Leidtragenden damals erschien, so ist doch nicht zu leugnen, daß von dieser Zeit ab durch den Wegfall von Lizenzzahlungen und Lasten eine Verbilligung der Kohlensäure eintrat und ein rapider Aufschwung des Kohlensäuregeschäftes sich entfaltete, sowohl in Deutschland wie auch später in anderen Ländern. Auf den dargelegten chemischen und physikalischen Eigenschaften der flüssigen Kohlensäure bauen sich naturgemäß ihre V e r w e n d u n g s a r t e n , ihre wirtschaftliche Bedeutung auf. Beim früheren A u s s c h a n k d e s B i e r e s direkt vom Faß oder bei der Pression zu einer höher gelegenen Ausschankstelle vermittels komprimierter Luft und einer Rohrleitung füllte sich der allmählich leer werdende Teil des Fasses mit der oft nichts weniger als reinen Luft des Lokales. Die Zersetzung des Bieres begann, Essiggährung und Milchsäuregährung traten auf und die im Biere durch den Brauprozeß enthaltene eigene Kohlensäure entwich. Bei längerem langsamen Zapfen oder Aufbewahren über Nacht wurde der letzte Teil oft ungenießbar. Die älteren Zuhörer werden sich vielleicht noch mit gelindem Schauder des früheren sogenannten „Nachtwächters" erinnern, den die pünktlichen Besucher des Frühschoppens erst hinunterwürgen mußten, ehe der neue Anstich ihnen und anderen zu einem Genuß verhalf. Anstelle der Luft trat nun die Kohlensäure, diejenige Gasart, die dem Biere gerade die belebende Frische des Geschmackes verleiht. Die flüssige Kohlensäure hatte also in sich die chemische Eigenschaft zur Konservierung des Bieres und die
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physikalische, es durch die Leitung in die Höhe zu drücken. Es war hygienisch und wirtschaftlich ein großer Fortschritt gemacht. Als nach und nach die flüssige Kohlensäure billiger wurde, gingen entsprechend auch die Fabrikanten k ü n s t l i c h e r M i n e r a l w ä s s e r und Limonaden dazu über, sich der flüssigen Kohlensäure zu bedienen anstelle ihres früheren Verfahrens, sich gasförmige Kohlensäure durch Zersetzung von Karbonaten mit Säuren selbst zu erzeugen. Die Umständlichkeit dieser eigenen Herstellung von Kohlensäure und das nicht immer einwandfreie Produkt wurde verdrängt durch die fertige flüssige Kohlensäure, die in großen Fabriken natürlich leicht chemisch rein dargestellt wurde. Aber nicht nur die Fabrikanten künstlicher Mineralwässer verwandten flüssige Kohlensäure, sondern auch einige n a t ü r l i c h e B r u n n e n begannen den etwas schwachen Gehalt ihres eigenen Quellwassers an natürlicher Kohlensäure mittels flüssiger Kohlensäure anzureichern. In die gleiche Kategorie fällt die Herstellung k o h l e n s a u r e h a l t i g e r B ä d e r . Diese wurden ähnlich wie das zum Trinken bestimmte Mineralwasser nur unter Hinzufügung bestimmter Salze und Ingredienzen hergestellt. Die leidende Menschheit kann nunmehr in der Heimat, ohne beschwerliche Reisen und große Kosten ähnliche Hei'.erfolge erlangen wie in Vichy, Kissingen, Karlsbad usw. Auch bei der W e i n b e r e i t u n g werden sogenannte stille Weine, die also zu arm an Kohlensäure sind, durch den Einfluß der auf ihre Oberfläche geleiteten und zum Teil zur Aufnahme gelangenden Kohlensäure aufgefrischt und prickelnder gemacht. In der S c h a u m w e i n f a b r i k a t i o n wird für gewisse Sorten das Imprägnieren des Weines durch flüssige Kohlensäure benutzt anstelle der etwas langsamen, umständlichen Erzeugung durch die Flaschengährung. Im Champagner haben wir also so oder so sicher die Kohlensäure in der angenehmsten Form. Die beiden bisher genannten Verwendungsarten, also zum Bierausschank und zum Imprägnieren von Flüssigkeiten mit flüssiger Kohlensäure, die schon Dr. Raydt mit seinen ersten Patenten ins Leben rief, sind bei weitem von hervorragendster Bedeutung geblieben; ihnen verdankt die flüssige Kohlensäure ihren großen Aufschwung, ihre wirtschaftliche Bedeutung. Heute nach 30 Jahren noch beruhen
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schätzungsweise — Statistiken darüber sind nicht möglich — 95 % des ganzen großen Umsatzes auf diesen beiden Verwendungsarten. So interessant manche der nun folgenden Verwendungsarten sein mögen, ihre Bedeutung reicht nicht annähernd an diejenige der beiden genannten Verwendungsarten hinan. Bei der historischen Darstellung der Entwickelung der Kohlensäure-Industrie ist bereits Erwähnung geschehen des H e b e n s v o n L a s t e n i m W a s s e r und der H e r s t e l l u n g v o n d i c h t e m M e t a l l g u ß , welche beiden Anwendungsarten jedoch keine Bedeutung gewannen, sowie ferner des A b s c h r u m p f e n s d e r M a n t e l r i n g e von abgenutzten Geschützen. Dies hat Krupp sehr bald nach Anschaßung der teuren Einrichtung für flüssige Kohlensäure selbst aufgegeben, da — o Ironie der Erfindungsgeschichte — es sich herausstellte, wie Dr. Raydt in intimem Kreise öfter erzählte, daß zu diesem Zwecke gewöhnliches kaltes "Wasser ziemlich gleich gut wie flüssige Kohlensäure zu verwenden war. Die Eigenschaft der Kälteerzeugung beim Übergang in die Gasform hat die flüssige Kohlensäure für K ä l t e u n d E i s m a s c h i n e n vielfach Verwendung finden lassen. In einem Rohrsystem wird die flüssige Kohlensäure zum Vergasen d. h. zum Übergang in die Gasform gebracht, wobei sie der umgebenden Flüssigkeit, gewöhnlich Salz oder Chlorkalziumlösung, die Wärme entzieht, um darauf wieder durch Kompression und Abkühlung mittels Kühlwassers komprimiert zu werden und um dann im Kreislauf dasselbe Spiel fortlaufend zu wiederholen. Die unter 0 0 abgekühlte, schwer gefrierende Flüssigkeit zirkuliert dann in Röhren in dem abzukühlenden Raum, um direkt zu wirken, oder es werden in das Rohrsystem Zellen mit Wasser oder sonstigen Flüssigkeiten gehängt, deren Inhalt dann gefriert. Besonders da, wo es sich um Lebensmittel handelt, in Schlächtereien, Brauereien, Markthallen, auf Schiffen, Eisenbahnkühlwagen, in Molkereien, Schokoladenfabriken usw. wird die flüssige Kohlensäure den andern kälteerzeugenden Medien vorgezogen, weil bei oft nicht zu vermeidenden Undichtigkeiten etwa entweichende andere Gase, wie Ammoniak und schweflige Säure, auf Lebensmittel schädlich wirken, während Kohlensäure nicht nur keinen nachteiligen, sondern einen geradezu konservierenden Einfluß hat. Interessant ist beim Bergbau das Durchteufen des sogenannten schwimmenden Gebirges, durch welches natürlich ein Schacht ohne
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weiteres nicht gebaut werden kann. Durch dieses schwimmende Gebirge werden Röhren getrieben, in denen eine mittels flüssiger Kohlensäure unter 0 ° abgekühlte Salzlösung zirkuliert, sodaß die ganze umgebende Menge des schwimmenden Gebirges zum Gefrieren gebracht wird. Es ist nun verhältnismäßig leicht, in die festen Eismassen einen Schacht zu teufen und wasserdicht auszumauern. Auch die konservierende Eigenschaft ist zum längeren A u f b e w a h r e n v o n r o h e m F l e i s c h , Obst, Eiern, Fruchtsäften und Milch usw. häufiger benutzt worden. Es ist klar, daß in einem geschlossenen Räume, in dem die atmosphärische Luft durch Kohlensäure völlig verdrängt ist, Fäulnis wegen Mangels an freiem Sauerstoff nicht eintreten kann und daher eine längere Aufbewahrung sonst leicht verderblicher Dinge möglich ist. Die in der flüssigen Kohlensäure aufgespeicherte Energie hat zu vielen Versuchen Veranlassung gegeben, s i e a l s T r e i b k r a f t v o n M a s c h i n e n , Automobilen usw. zu benutzen, bisher ohne sichtbaren Erfolg. Praktisch wird die Kraft der flüssigen Kohlensäure in dieser Weise jedoch bei D a m p f f e u e r s p r i t z e n in verschiedenen größeren Städten verwendet, indem sie, in den Dampfkessel geleitet, diesen mit dem nötigen Druck zur Inbetriebsetzung der Spritze versieht und zwar so lange, bis der nötige Dampfdruck durch das Feuer selbst erreicht ist. Auch direkt wird die Kraft der flüssigen Kohlensäure zum H e b e n u n d W e r f e n v o n F l ü s s i g k e i t e n benutzt, z. B. dadurch, daß die Kohlensäure, in ein mit Wasser gefülltes fest verschlossenes starkes Gefäß geleitet, schnell den nötigen Druck ausübt, um durch ein Rohrstück oder Schlauch das Wasser in den Brandherd zu schleudern. Sowohl als große fahrbare sog. Gas-Feuerspritzen, als auch als Handfeuerspritzen sind diese Apparate in Gebrauch. In ähnlicher Weise wird Petroleum gehoben und zerstäubt, um, mit Luft vermischt und als Bunsenflamme in Glühkörpern verbrannt, das bekannte intensive K e r o s l i c h t z u erzeugen. Auch das Z e r s t ä u b e n v o n F a r b e n in Lösungen auf Flächen anstatt Anstreichens mit dem Pinsel fällt unter das gleiche Prinzip. Beim L a g e r n u n d Ü b e r f ü l l e n v o n f e u e r g e f ä h r l i c h e n F l ü s s i g k e i t e n , wie Benzin, Benzol, Äther, Petroleum, dient die Kohlensäure dazu, sowohl die Luft völlig fern zu halten und dadurch die Bildung des erst durch den Luftzutritt möglichen
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Wirtschaftliche Bedeutung und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
explosiblen Gasgemisches von vornherein zu verhindern und zweitens, um durch ihren Druck diese feuergefährlichen Flüssigkeiten durch Rohrleitung selbsttätig bis an die Verbrauchstelle zu leiten und dort zum Ausfluß zu bringen. In Automobilgaragen, in Lackfabriken, chemischen Wäschereien, Färbereien, Drogerien, kurz überall da, -wo mit feuergefährlichen Flüssigkeiten umgegangen wird, fehlen jetzt selten diese bekannten Einrichtungen. Auch sonst wird flüssige Kohlensäure häufiger nach verschiedenen Methoden direkt zum E r s t i c k e n v o n F e u e r im Entstehen benutzt, ebenso zur Verhinderung von Selbstentzündung und von Bränden. Es werden z. B. die gegen Feuer zu sichernden Räume in Speichern, Fabriken, auf Schiffen usw. durch eine Rohrleitung mit den an der Zentralstelle befindlichen Kohlensäureflaschen verbunden. Durch das in dem einzelnen Raum etwa entstehende Feuer selbst wird dort das Ende des Kohlensäure-Leitungsrohres, das durch leicht schmelzbares Material verschlossen war, aufgeschmolzen und die Kohlensäure strömt nun ungehindert in den brennenden Raum, um das Feuer zu ersticken. Es werden auch zur V e r h ü t u n g v o n S e l b s t e n t z ü n d u n g leicht entzündbarer Stoffe z. B. in K o l e n l a g e r n gleich bei der Einlagerung die Flaschen mit flüssiger Kohlensäure, die dann mit besonderen Sicherheitshülsen versehen sind, mitverpackt. Bei Steigerung der Temperatur im Kohlenhaufen auf 45—50° steigert sich entsprechend der Druck in der Kohlensäureflasche und bringt nunmehr die Sicherheitshülse zum Springen, wodurch der ausströmenden Kohlensäure ungehindert Zutritt zur umlagernden, erwärmten Kohlenmasse gewährt wird, die nunmehr sowohl abgekühlt wie zunächst unentzündbar gemacht wird. Von den mannigfachen sonstigen Anwendungsarten seien nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt: das Fortschleudern von Geschossen aus windbüchsenartigen Gewehren, das Töten von Ratten und obdachlosen Hunden durch Ersticken, das Aufrichten mechanischer Leitern, indem die zusammengeschobenen Holme und Sprossen teleskopartig auseinander getrieben werden, das Verdrängen der Luft aus neu gelegten Gasrohren zur Vermeidung von Knallgas-Explosionsgefahr und schließlich die Benutzung zu Lehrzwecken und in chemischen Fabriken. Feste Kohlensäure, durch schnelle Verdunstung aus flüssiger entstanden, findet ärztlicherseits vermehrte Beachtung, besonders bei Erkrankungen der Haut.
Wirtschaftliche Bedeatung und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
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Auf Grund all dieser Verwendungsarten, wie erwähnt, in erster Reihe durch die Bierhebung und Mineralwasserfabrikation, hat die w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g der Kohlensäure-Industrie eine stetig steigende Ausdehnung erlangt. Während die Fabrikation der flüssigen Kohlensäure in Deutschland betrug im Jahre 1884 kg 122 000, können wir verzeichnen 1889 bereits 1897 1899
ca. kg „ „
1 Million
„ 11 Millionen „ 15
„ 1910 „ „ 34 im Werte von ca. 7 % Million Mark. Von diesen 34 Millionen kg verblieben in Deutschland selbst ca. kg 31 y 4 Million, während der Rest von ca. 8 % „ „ 2 % „ nach außerdeutschen europäischen und überseeischen Ländern exportiert wurde. Von den im ganzen in 1910 hergestellten ca. 34 Million Kilogramm flüssiger Kohlensäure waren ca. 55 % natürliche Kohlensäure, ca. 45 % künstliche Kohlensäure. Zu den 34 Millionen kg flüssiger Kohlensäure Umsatz in 1910 gehören nach der durchschnittlichen jährlichen 2% maligen Touren zahl der Flaschen rund 1 230 000 Flaschen zu 10 kg Inhalt im Werte von ca. M. 1 4 , — per Stück ca. M. 17 000 000,—. Die für die Fabriken nötigen Grundstücke, Maschinen, Gebäude, Fuhrpark, Umfüllwagen usw. dürften einen Wert besitzen von ca. M. 15 000 000 — so daß die wirtschaftliche Bedeutung der Deutschlands, in Ziffern ausgedrückt,
Kohlensäure-Industrie
an Kapital rund M. 32 Millionen, an jährlichem Umsatz M. 7*4 Millionen ausmacht. Stehen diese an sich ganz anständigen Zahlen auch gegen die mancher anderen Industrie zurück, so gewinnen sie doch an Bedeutung dadurch, daß sowohl die Zahl der Fabriken, wie die Zahl der damit handelnden Personen, vor allem aber die Zahl der Verbraucher ganz außerordentlich große sind. Die flüssige Kohlensäure,
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Wirtschaftliche Bedeutung und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
vor 30 Jahren nur den Gelehrten bekannt, ist in die Massen gedrangen, sie ist populär geworden. Es gibt wohl kaum ein Dorf in Deutschland, einen Häuserblock in den Großstädten, in denen nicht Flaschen mit flüssiger Kohlensäure zu finden sind, und es gibt in den Städten kaum ein Haus, kaum eine Haushaltung, in denen nicht durch flüssige Kohlensäure hergestellte oder mit flüssiger Kohlensäure behandelte Erzeugnisse getrunken werden. — Zur Herstellung dieser im Jahre 1910 abgesetzten ca. kg 34 000 000 flüssiger Kohlensäure waren in Deutschland im Betriebe 24 Fabriken chemisch dargestellter, sogen, künstlicher Kohlensäure 30 Fabriken von Quellen-Kohlensäure, sogen, natürlicher Kohlensäure. Wenn auch in der ersten Zeit das Kohlensäuregas zur Herstellung flüssiger Kohlensäure chemisch und zwar zunächst aus kohlensaurem Kalk und Säuren erzeugt wurde, so kam man noch schon 1884 dahinter, die in der Eifel aus dem Erdinnem mit dem Sauerwasser zusammen ausströmende, freie, gasförmige Kohlensäure zu verflüssigen, um dadurch die Erzeugungskosten des gasförmigen Produktes zu ersparen. Nicht nur in der Eifel, sondern auch in vielen Gegenden tritt natürliche gasförmige Kohlensäure in großen Mengen auf, hauptsächlich da, wo das sedimentäre Gestein durch vulkanische Bildungen vielfach verworfen und durchbrochen wurde. Diese KohlensäureQuellen sind durch mehr oder minder tiefe Bohrlöcher (bis 600 m Tiefe) erschlossen worden, teils absichtlich, teils unabsichtlich bei Bohrungen nach Kalisalzen, Kohlen usw. Besonders zu nennen sind in Deutschland außer der Eifel noch Taunus, Vogelsgebirge, Thüringen, Westerwald, Rhöngebirge, Teutoburger AVald und Schwäb. Alp., wo auch in der Tat Werke zur Verflüssigung entstanden sind. Man sollte nun meinen, daß, nachdem die natürlichen Erdschätze in so reichem und anscheinend wohlfeilem Maße zugängig wurden, die Fabrikation von Kohlensäure auf chemischem Wege überhaupt ihre Daseinsberechtigung verloren habe. Das ist aber, wie auch aus den gegebenen Absatzzahlen ersichtlich ist, durchaus nicht der Fall. Zunächst ist die Erbohrung einer ertragsfähigen Kohlensäurequelle häufig erst nach zahlreichen, fruchtlosen und recht kostspieligen Bohrungen in dem betreffenden Gebiete, häufig auch gar nicht möglich. Dann ist für 40 000 Mark, 50 000 Mark oder mehr ein wertloses Loch in die Erde getrieben, öfter auch sind derartige Quellen nach längerem regelmäßigen Ausströmen plötzlich versiegt
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oder schwächer geworden, sodaß sich deren industrielle Verwertung nicht mehr lohnte. Die Lage der Kohlensäure-Quellen ist auch eine von der Natur gegebene, oft recht entfernt von den hauptsächlichsten Verbrauchszentren, sodaß große Frachten auszugeben sind. Schließlich aber hat die chemische Darstellung von Kohlensäure im Laufe der Jahre derartige Fortschritte gemacht, daß sie an vorteilhaft ausgewählten Verbrauchsplätzen unter Berüchsichtigung der ersparten Fracht sozusagen mit der Natur konkurrieren kann. Die ursprüngliche c h e m i s c h e D a r s t e l l u n g von Kohlensäure direkt durch Zerlegung von Karbonaten mittels Säuren wurde bald als zu teuer verlassen. Ebenso wenig fand die direkte Gewinnung der Kohlensäure durch die Gährung in Spritfabriken und Brauereien oder durch Brennen von Magnesit in Retorten Anklang. Der große Fortschritt in billiger Herstellung, der erzielt wurde, betrifft die indirekte Gewinnung von Kohlensäure, das sogenannte Absoqitionsverfahren. Durch Verbrennung von Kohlenstoff, meistens Koks, werden Verbrennungsgase erzielt, in denen 16—20 Volumprozente Kohlensäure enthalten sind, und die nicht in den Schornstein geleitet werden, sondern in eine Lösung von Kaliumkarbonat. Der größte Teil dieses Kohlensäuregases trennt sich dabei von den anderen Gasen dadurch, daß es von dem Kaliumkarbonat als Bikarbonat gebunden wird; er wird absorbiert, um dann durch Erhitzen von dieser Bikarbonatlösung wieder abgetrieben, aufgefangen und nach Verflüssigung in den bereits genannten Stahlflaschen versandt zu werden. Die F l a s c h e n sind für das Anlagekapital, für die Fracht, die Konkurrenzverhältnisse, die Rentabilität, kurz die ganze Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie von hervorragender Bedeutung. Sie sind sozusagen ein Charakteristikum dieser Industrie, wie natürlich auch der später entwickelten Industrien anderer komprimierten resp. verflüssigten Gase. Die ersten Flaschen wurden von Krupp aus vollen Stahlblöcken gebohrt. Während vieler folgender Jahre wurden die Flaschen aus geschweißten schmiedeeisernen Röhren gefertigt, die beiderseits durch eingeschweißte Boden verschlossen wurden, wobei in einem derselben, dem Kopfteil, das Ventil eingeschraubt wurde. Anfangs der 90 er Jahre wurden zuerst aus England nahtlose, aus einem Stück gezogene, wesentlich leichtere Stahlflaschen bezogen, deren Fabrikation einige Jahre darauf in Deutschland durch Gewerbliche Einzelvorträge.
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die Mannesmann-, Phönix-Werke und andere einen hohen Grad der Vervollkommnung und Verbilligung erlangte. Auch die ursprünglichen schweren und dabei recht fragwürdigen Absperrventile wurden durch kleinere, leichtere und sicherere ersetzt; die Kappen zum Schutze der Ventile erlitten gleiche Gewichts- und Kostenermäßigung. Die vollständigen schmiedeeisernen Flaschen zu 10 Kilo Inhalt wogen ca. 42 kg und kosteten en gros ursprünglich ca. M. 66,—. Die Stahlflaschen gleichen Inhalts wiegen jetzt ca. 23 kg und sind bei Massenbezug auf rund M. 14,— im Preise gesunken. Sie sind also im Gewicht auf ca. die Hälfte, im Preis auf unter ein Viertel, allerdings nach und nach, gesunken. Selbst aber nach dem so ermäßigten Gewichte der Flaschen sind jetzt beim Verkaufe von 10 Kilo flüssiger Kohlensäure immerhin noch 23 kg Emballage (die Flasche) zu befördern, zusammen also rund 33 kg für die Hinfracht und nochmals 23 kg für die Rückfracht; mithin für 10 kg flüssiger Kohlensäure zusammen 56 kg Gewicht. — Diese Flaschen sind ein trotz des nunmehr so ermäßigten Preises teures Besitztum, das eine große Aufmerksamkeit erfordert, sowohl wegen des Verbleibes und der Kontrolle, als auch wegen der Instandhaltung. Sowohl Polizeiverordnungen wie die Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands haben eingehende Bestimmungen erlassen über Wandstärke, Material, Rauminhalt für jedes Kilo Kohlensäure, ebenso über Ausrüstung, Zubehörteile, Anschlußgewinde, zulässige Füllung, Behandlung, amtliche Druckprobe auf seit einigen Jahren 190 Atm. und Wiederholung derselben nach einer bestimmten Reihe von Jahren, sowie natürlich auch über die betreffenden Gebühren, die an die amtlichen Prüfer zu zahlen sind. Sämtliche Flaschen sind mit der Firma der Fabrik und einer laufenden Kummer zur Kontrolle versehen. Nach dieser Erläuterung über die Flaschen, besonders das Verhältnis des zu verfrachtenden Bruttogewichtes zum benutzbaren Inhalt wird es klar, daß in Folge der Fracht auch die billiger fabrizierenden Fabriken natürlicher Kohlensäure einen wohl größeren, aber immerhin durch die Fracht begrenzten Aktionsradius haben; es wird auch klar, weshalb so verhältnismäßig viele Fabriken in Deutschland, von denen eine Anzahl häufiger derselben Gesellschaft gehören, sich in den Umsatz teilen. Die Erzeugung großer Massen an einem Punkte, die dadurch hervorgerufene, kaufmännisch so erstrebenswerte Ersparnis an Kosten und Unkosten, kurz die Zentrali-
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sation der Betriebe, findet daher ebenfalls in Folge des Gewichtes der Flaschen in der Kohlensäure-Industrie eine Grenze. Ein Teil der Technik der Kohlensäure-Industrie läuft daher darauf hinaus, möglichst b i l l i g e B e f ö r d e r u n g s a r t e n sich zu nutze zu machen, um von einem Fabrikationspunkte aus möglichst weite Strecken, möglichst viele Kunden bedienen zu können, d. h. die Zentralisation so weit eben möglich durchzuführen. Dahin gehört die Benutzung der billigeren AVasserwege, der Waggonladungen und die Vereinigung von Wasser- und Bahnbeförderung. Dahin gehört eine gute Verwertung des eigenen, oft recht ausgedehnten F u h r p a r k e s , sowie eine gute Schulung und Kontrolle der Kutscher und Chauffeure, die die Selbstverbraucher und Händler in der Stadt, in der die Fabrik liegt, zu besuchen haben. Aus dem gleichen Bestreben der Frachtverbilligung sind die Errichtungen von U m f i i l l s t a t i o n e n hervorgegangen. Die Erzeugung der flüssigen Kohlensäure geschieht dabei am Zentralpunkte mit möglichst wenig Unkosten. Die flüssige Kohlensäure wird an die Umfüllstelle in sogenannten Tankwagen befördert, das sind Privateisenbahnwaggons, auf denen eine Reihe großer, mit zusammen 6000 bis 10 000 kg flüssiger Kohlensäure gefüllter Stahlzylinder aufmontiert sind, die an der Umfüllstelle mittels eines Umfüllkompressors in die Gebrauchsflaschen umgefüllt werden. Die privaten Tankwagen werden von der Eisenbahn in gefülltem Zustande zu ermäßigtem Gewicht verfrachtet und entleert umsonst an die Ausgangsstation zurückbefördert. Eine andere Methode des Umfüllens besteht darin, daß Waggonladungen oder Wassersendungen gewöhnlicher gefüllter Verbrauchsflaschen an die mit einem Umfüllapparat versehenen Niederlagen gesandt werden und daß nur dann umgefüllt wird, wenn die Flaschen benutzt werden sollen, die den am Orte oder in der Nähe befindlichen Verbrauchern gehören. Dieses Umfüllen geschieht nach einem patentierten Verfahren durch Erzeugung eines Temperaturgefälles, d. h. durch Anwärmen der zu entleerenden und Abkühlen der zu füllenden Flaschen. Die ganze wichtige Arbeit des Transportes der gefüllten Flaschen bis zum Verbraucher wiederholt sich in umgekehrter Ordnung bei Rückleitung der entleerten Flaschen zur Fabrik. Aus alledem ist ersichtlich, daß zum Bewegen des umfangreichen Flaschenparkes die 2*
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Expedition sozusagen ein richtig gehendes S p e d i t i o n s g e s c h ä f t sein muß. — Wenn nun die flüssige Kohlensäure glücklich in die Hände des Bestellers gelangt und wenn nun auch Zahlung richtig erfolgt ist, so sollte man meinen, der Umsatz wäre wie in anderen kaufmännischen Geschäften erledigt. Dann beginnt aber erst in der KohlensäureIndustrie die Hauptarbeit, nämlich die " W i e d e r e r l a n g u n g d e r F l a s c h e n in all den Fällen, wo die Kunden nicht eigene Flaschen besitzen, daher Werksflaschen in Gebrauch haben,—und das ist bei weitem der größte Teil — mit anderen Worten es gilt die Emballage, die Flaschen, wiederzuerhalten, die den 4 bis 6 fachen Wert des verkauften Inhaltes ausmacht. Diese Flaschen werden nämlich den Verbrauchern ohne Pfand auf eine bestimmte Zeit zum Ausbrauchen des Inhaltes geliehen. Es ist daher dringend nötig, jedem Kunden die Bedingungen über etwaige Mietezahlung nach einer gewissen Zeit, und über den etwaigen Ankauf nach einer weiteren Frist genau und für eine etwaige gerichtliche Klage nachweisbar bekannt zu geben. Gewöhnlich 4—6 Monat nach Versand beginnt das Monieren des betreffenden Empfängers um Rückgabe der noch nicht zurückgekommenen Flaschen, darauf der Hinweis und die Belastung der Miete, was nun monatlich wiederholt wird. Gewöhnlich nach 9 Monaten beginnt der Hinweis auf den nunmehr nötig werdenden Ankauf der Flasche. Dann kommt handelsüblich die Belastung, dann die allmählich immer weniger freundlich ausfallende Mahnung um Bezahlung und schließlich die gerichtliche Klage. Zahlreiche derartige Klagen um Rückgabe von Flaschen schweben natürlich stets bei allen Kohlensäure-Unternehmungen. Nach der gewöhnlich beweislosen Einwendung des Beklagten, die Flasche wäre längst zurückgesandt, wird vom Gericht dann dem betreffenden Leiter des Geschäftes oder dem Expedienten ein Eid zugeschoben etwa lautend: „Ich habe nach sorgfältiger Prüfung der Bücher usw. die Überzeugung nicht erlangt, daß die Flasche Nr. so und so an die Fabrik zurückgekommen ist". Wird dieser sogenannte Überzeugungseid geleistet, so ist der Prozeß gewonnen und die Flasche wird bezahlt — wenn der betreffende Abnehmer dazu im Stande ist. An leer zurückgekommenen Flaschen fehlen auch häufig A r m a t u r s t ü c k e , wie Schutzkappen, Verschlußmuttem und dergl. Mannigfache Korrespondenz und Buchung ist dieserhalb nötig. Wenn auch Flaschen oft jahrelang, ja sogar jahrzehntelang nicht
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zurückzuerhalten sind, so muß doch gesagt werden, daß die Zahl der wirklich für immer verlorenen Flaschen eine erträgliche ist. Das kommt daher, daß an der Fabriknummer, der eingeprägten Firma und amtlichen Prüfung die Herkunft resp. das Besitzrecht der Flaschen für jedermann leicht erkennbar ist, und daß sich die einzelnen Fabriken, sie mögen sich noch so sehr befehden, etwa fälschlich bei ihnen eingelaufene fremde Flaschen einfach zusenden und daß die Flaschen, abgesehen von dem geringen Metallwert, nur für die Interessenten ein Wertobjekt sind. Es ist wohl ersichtlich geworden, daß bei dem hohen Kapital, das in diesen Flaschen steckt und das sich werbend durch rege Zirkulation betätigen soll, die K o n t r o l l e d e r F l a s c h e n eine sehr eingehende sein muß. Das geschieht durch die sogenannten Flaschenbücher, in denen jede Flasche ein Konto unter ihrer Nummer besitzt, auf dem ihre ganze Entstehung und ihre Vergangenheit verzeichnet ist, sodaß für ihr ganzes bisheriges Lebensalter ihr Alibi und ihre Führung nachzuweisen ist. Auch die einzelnen zahlreichen K o n t e n d e r A b n e h m e r müssen, ganz abgesehen von den im Auge zu behaltenden Flaschen und einzuziehenden Beträgen, genau geführt werden. Es werden nämlich nach Schluß des Jahres an viele Abnehmer der Höhe des Umsatzes entsprechende R a b a t t e gezahlt; außerdem ist es mehrfach eingeführt, daß auch die Konsumentenverbände, z. B. Mineralwasserfabrikantcn-Vcreine, Wirtevereine, für jedes von ihren Mitgliedern bezogene Kilogramm eine Abgabe erhalten, und drittens sind diese Konten notwendig, um von Zeit zu Zeit eine Kontrolle auszuüben, ob die Kunden regelmäßig beziehen. Die K u n d s c h a f t setzt sich zusammen, wie es nach den vorher envähnten Verwendungsarten nicht anders sein kann, in der Hauptsache aus Wirten, Mineralwasserfabrikanten und aus denjenigen Berufszweigen, die mit diesen beiden Abnehmerkreisen so wie so in Verbindung stehen, z. B. Apparatefabrikanten, Glasflaschenhändlern, Fruchtessenzenfabrikanten. Wirte und Mineralwasserfabrikanten beziehen zum eigenen Bedarf; letztere auch meistens noch zum Weiterverkauf an die Wirte in ihrer Nähe. Der Bedarf an flüssiger Kohlensäure ist ein laufender bei den einzelnen Verbrauchern. Die Beziehungen der Fabriken und Abnehmer sind daher regelmäßige, oft von jahrzehntelanger Dauer, oft wechselnde. Häufig auch bestehen zwischen einzelnen Abnehmerkreisen, wie Wirtever-
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Wirtschaftliche B e d e u t u n g und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
bänden, Minerahvasserfabrikanten-Vereinen und einzelnen Gruppen von Fabriken jahrelange Verträge. Im Sommer natürlich, wo mehr Bier und Mineralwasser getrunken wird, ist der Absatz ein größerer. Im Durschnitt wird der Jahresabsatz in der gesamten KohlensäureIndustrie mit 56 % in den 6 Sommermonaten, mit 44 % in den 6 Wintermonaten zu beziffern sein. Daher muß auch jede Fabrik wesentlich größer als bei gleichbleibender Produktion nötig eingerichtet sein. Wehe, wenn sie im Sommer den Bedarf ihrer Kunden einmal zeitweilig nicht decken kann. Sie wäre sie sicher für Sommer und Winter los. Oft bei dauernd heißer Sommerwitterung werden plötzlich ganz kolossale Anforderungen gestellt, die befriedigt werden müssen, wenn der Ruf der Fabrik nicht auf Jahre hinaus geschädigt bleiben soll. Die vorher erwähnte Tendenz der billigeren Verfrachtung durch Waggonladungen oder Wasserverkehr hat die Großhändler entstehen lassen, die in größeren Posten beziehen und in ihrem Bezirk an Verbraucher oder weitere Unterverkäufer die Ware abgeben. Hiernach haben sich auch die P r e i s e in verschiedene Kategorien abgestuft: in Detailpreise, in Mineralwasser- resp. Händlerpreise und in Großhändlerpreise. An sich sind die Preise auch in den einzelnen Kategorien je nach der Gegend verschieden. Sie sind natürlich in der Nähe von natürlichen Kohlensäure-Quellen am billigsten, also hauptsächlich im Westen und Süden Deutschlands, sie erhöhen sich je nach der Entfernung und der dadurch aufgelaufenen Fracht und sind in den übrigen Teilen Deutschlands in der Nähe großer Kohlensäure-Fabriken billiger als in größerer Entfernung. Der Preis für die Kohlensäure in Flaschen der Fabriken mit 3 bis 6 monatiger freier Leihzeit ist natürlich höher als derjenige in sog. Eigentumsflaschen der Kunden. Diese Preisdifferenz, 50Pfg. bis 1 Mark per Flasche, entspricht einer ca. 10 % igen Amortisation und Verzinsung des Wertes der verliehenen Flaschen für die mietefreie Leihzeit. Im allgemeinen wird an die Wirte und kleineren Mineralwasserfabrikanten gegen Kasse durch die eigenen Fuhrwerke oder bei Bahnsendung gegen Nachnahme geliefert. Sonst sind bei größeren Mineralwasserfabrikanten und Wiederverkäufern die gewöhnlichen Zahlungsbedingungen: netto Kasse bis ultimo des der Lieferung folgenden Monats. , Die Kundschaft ist so zahlreich, die einzelnen Posten mitunter so gering, die wiederkehrenden Erläuterungen, Anzeigen, Empfehlungen,
Wirtschaftliche Bedeutung und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
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höflichen Mahnungen, Belastungen, energischen Forderungen usw. so häufig, daß, um die K o r r e s p o n d e n z nicht ins Bodenlose wachsen zu lassen, es nötig ist, für diese einzelnen Geschäftsvorkommnisse vervielfältigte Formulare zu haben. J a es ist sogar ratsam, auch der Kundschaft der schnelleren Übersichtlichkeit und Abwickelung wegen die von ihr benötigte Korrespondenz und Formulare, wie Bestellkarten, Frachtbriefe, Beklebezettel, Postschecks, wenn angängig, gleich ausgefüllt einzuhändigen. Die Kundschaft will auch von Zeit zu Zeit persönlich durch R e i s e n d e besucht sein. J a es gab Zeiten, wo z. B . in Berlin allein ein Dutzend Stadtreisende den Ruhm und die besondere Leistungsfähigkeit gerade ihres Kohlensäure-Werkes den Abnehmern klar zu machen und Aufträge zu erhalten suchten. Entsprechend dem verschiedenen Bildungsgrade und Temperamenten der einzelnen Verbraucher müssen derartige Reisende große Menschenkenner sein und vielseitiges Anpassungsvermögen besitzen. In Zeiten regen Wettbewerbes nehmen neben den nicht geringen Ausgaben für sonstige Propaganda die für die Reisetätigkeit ausgegebenen Kosten einen großen Raum ein, wie es überhaupt nach den bisherigen Schilderungen schon klar geworden sein dürfte, daß selbst bei aller Mäßigung und Sparsamkeit die a 11 g e m e i n e n U n k o s t e n bei der Kohlensäure-Industrie einen sonst selten üblich hohen Prozentsatz zum Umsatz betragen. Ein besonderes Gebiet ist der E x p o r t . Deutschland war längere Jahre das einzige, flüssige Kohlensäure herstellende Land; natürlich ging damals das Produkt von Deutschland allein nach anderen Ländern. Wenn auch in keinem Lande Europas die wirtschaftliche Bedeutung der flüssigen Kohlensäure auch nur annähernd derjenigen in Deutschland gleichgekommen ist, so wurden doch nach und nach in fast allen Ländern Fabriken flüssiger Kohlensäure und — was wesentlich unangenehmer war — hohe Zollschranken errichtet. Nach unsern östlichen und südlichen Nachbarländern Österreich, Rußland, Schweiz, Italien ist ein Export deshalb schon lange ausgeschlossen; nach Frankreich ist er durch eine große Zollerhöhung vor ungefähr einem Jahre bis auf einige Grenzgebiete unmöglich gemacht; in England dürfen die nach deutschen Vorschriften geprüften Flaschen mit englischen Schiffen und auf englischen Bahnen nicht befördert werden. Die einzigen europäischen Länder, nach denen noch
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Wirtschaftliche Bedeutung und Handelstechnik der Kohlensiiure-Industrie.
ein nennenswerter Export stattfindet, sind Belgien mit ca. 967 000 kg und Holland mit ca. 614 000 kg im Jahre 1910; aber auch in letzterem Lande ist eine Zollschranke geplant. Nach Ubersee wird fast ausschließliche deutsche Kohlensäure über die Nordsee-Häfen versandt. Auch hier spielen die Zollschranken und die allmähliche Errichtung eigener Fabriken in den betreffenden überseeischen Ländern eine Rolle Die Vereinigten Staaten sind uns schon lange durch Zoll verloren, Australien ist uns durch seinen Zolltarif kürzlich so gut wie verloren gegangen. Der überseeische Verkehr ist daher in seinen Mengen und seinen Richtungen ein wechselvoller. Die Lieferung in Leihflaschen ohne Unterpfand für den Wert oder ohne genügende Bürgschaft ist wegen des langen Fernbleibens und der Gefahr eines ewigen Fernbleibens der Flaschen im höchsten Grade gefährlich. Selbst Lieferungen in eigenen Flaschen der überseeischen Kunden werden, wenn man sicher gehen will, nur durch Vermittlung angesehener Exporthäuser oder bei direktem Verkehr nur gegen Kasse bei Auslieferung der Schiffspapiere ausgeführt. Differenzen oder Verluste sind sonst unvermeidlich. Was nun die R e n t a b i l i t ä t betrifft, so möge zunächst ein allgemeines Wort genügen. Wie in allen Geschäftszweigen, so gibt es auch in der Kohlensäure-Industrie Unternehmungen mit guten Erträgnissen, wie solche mit mäßigen oder schlechten Erfolgen. Auch hierbei spielen wieder die Flaschen eine große Rolle. Wie vorhin schon erwähnt, ist der Preis bei Massenbezug für die komplette Flasche mit Ventil und Kappe zu 10 Kilo Inhalt von ca. M. 66,— auf jetzt ca. M. 14,— im Laufe der Jahre gesunken, also um mehr als M. 50,— Der Rückgang ging so ziemlich in einer Linie vom Jahre 1884—1903 nach unten, mal langsamer, mal schneller. Im Jahre 1903 war der bisher niedrigste Preis, nämlich ca. M. 13,— per Stück; seitdem hat er je nach den Konjunkturen des Marktes zwar gegen früher geringere Schwankungen, aber doch an sich betrachtet, immer noch ganz erhebliche erlitten. So groß nun auch der Nutzen im Anfang an der flüssigen Kohlensäure gewesen sein mag, so reichte er doch vielfach nicht hin, den kolossalen Wertrückgang der Flaschen wettzumachen. Die Sanierung verschiedener Aktien-Unternehmungen der Kohlensäurebranche durch kräftiges Zusammenlegen von Aktien war zum Teil die Folgeerscheinung dieses Wertrückganges der Flaschen. — Ein weiteres Moment der Unstätigkeit wurde in die Industrie
Wirtschaftliche Bedeutung und Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie.
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gebracht durch die Ende der neunziger Jahre so zahlreich mit Erfolg im Eheinland, Westfalen, Thüringen und Württemberg ausgeführten Kohlensäure-Bohrungen und die darauf gegründeten Unternehmungen. Der für unerschöpflich gehaltene Naturvorrat an Kohlensäure sollte mit Gewalt und zu jedem Preis an den Mann gebracht werden, fiel doch aus dem soeben erschlossenen Bohrloche die Kohlensäure anscheinend umsonst dem Besitzer in den Schoß. In Doppelladern und Tankwagen wanderte die flüssige Kohlensäure 500 bis 600 Kilometer weit per Eisenbahn und über 1000 Kilometer weit per Schiffssendung in das Nordöstliche Deutschland, in jenes Gebiet, das bisher versorgt wurde von den dort gelegenen Fabriken mit chemischer Darstellung. Hierdurch wurden natürlich diese Fabriken mächtig aufgerüttelt zu einem Widerstande, der im Gefolge hatte: die Verbilligung der eigenen Fabrikation, — Not macht erfinderisch — die Erhöhung der Tankwagenfracht, den Rückgang der Verkaufspreise und die Wiedereroberung eines Teils dieses Gebietes. Die Fortschritte in der Verbilligung der chemischen Herstellung der Kohlensäure hatten aber nun wieder ihrerseits häufiger die üble Folge gezeitigt, daß die Maschinenfabriken, welche die betreffenden Einrichtungen fabriziert hatten, auch an andere neu erst zu gewinnende Unternehmer solche zu verkaufen suchten. Es wurde dabei der billige Herstellungspreis hervorgehoben; die, wie wir gesehen haben, großen allgemeinen Unkosten und Gefahren blieben unerwähnt. Daher viele neue Fabriken. Bald ist eine Uberproduktion sowohl in natürlicher wie in künstlicher Kohlensäure vorhanden. Es folgte dann, wie ja auch anderswo, das übliche Heilmittel: Einschränkung der Produktion, Syndikat, höhere Preise, gute Zeiten; und ebenso folgte nach einiger Zeit wegen der entstandenen Outsiders und innerer Zwietracht: die Auflösung, der Konkurrenzkampf aufs Messer, verlustbringende Preise, schlechte Zeiten. So hat die Kohlensäure-Industrie in abwechslungsvollem Auf und' Nieder bereits mit verschiedenen Zwischenräumen hintereinander vier Kartelle verschiedenen Namens, verschiedener Konstruktion und verschiedener Dauer gesehen. Außer den bereits erwähnten im Jahre 1910 noch bestehenden 54 Werken existierten früher noch 24, die jedoch den Betrieb aufgaben. Nachdem so in großen Zügen die Wechselfälle der Konjunkturen und Konkurrenzkämpfe sowie deren Ursachen entwickelt sind, wird es klar sein, weshalb eine so überaus große Verschiedenheit in der
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Rentabilität der einzelnen Unternehmungen derselben Industrie vorhanden ist und zwar, je nachdem zu günstiger Zeit der Flaschenpark angeschafft wurde, je nachdem gute Jahre sofort zu reichlichen Abschreibungen benutzt wurden, je nachdem Glück beim Bohren der Quelle entwickelt wurde, je nachdem man mit einer Haussezeit begann, je nachdem man sich von veralteten Fabrikationsmethoden rechtzeitig losmachen konnte. Die folgenden, so verschiedenen Zahlen der Rentabilität der letzten 7 Jahre, von 1903 bis 1909 einschließlich, — die Dividenden des Jahres 1910 liegen noch nicht vor — von 12 Kohlensäureunternehmungen werden nach diesen Erläuterungen nicht mehr so ganz unerklärlich erscheinen. D i v i d e n d e n von K o h l e n s ä u r e - U n t e r n e h m u n g e n. Unternehmungen A B (J
D E F G H I K L M zusammen: % . Durchschnitt ca.
1903 0/ 14 /O 0 0 0/ 0 /O /O 10 0/ 0 /O 20 0 0 /O 0/ 0 /O 0 0/ 7 /o
% %
% %
/O
51 4,3
04
05
06
07
08
09
14 0 0
14 0
0 10 0 15 0 0 5 6
0 0 0 17 0 0
12 5 2 0 5% 0 6 0 0 6 6 6
12 5 4 0
12 5 6 0 8i/ 2 0
5
12 5 7 2i/ 2 11 0 11 0 0 8 10 6
m
57 2 4,8
63y 2 5,3
721/2' 6
6
5 6 6
56 4,7
49i/ 2 4
4
8i/ 2 0 8 0 0 6 8 6
y
11 0 0 6 10
5,4 % 4,7 % Genommen konnten natürlich nur solche Unternehmungen werden, deren Bilanzen veröffentlicht wurden, wie Aktien-Gesellschaften, Gesellschaften m. b. H. und Gewerkschaften. Von diesen aber sind ohne jede Auswahl sämtliche herangezogen. Da nun einzelne der genannten Kohlensäure-Unternehmungen mehrere "Werke, z. B. ein Unternehmen 5, ein zweites 8 produzierende Werke besitzen, so kommt es,
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daß in dieser Tafel fast die Hälfte aller Kohlensäurewerke Deutschlands der Zahl nach und weit über die Hälfte der Produktionsmenge nach zu Worte kommen. Man dürfte auch nicht fehl gehen in der Annahme, daß im Durchschnitt die Unternehmungen, die in privaten Händen sind oder deren Bilanzen nicht veröffentlicht werden, ebenso gearbeitet haben müssen. Es ergibt sich daraus außer der Verschiedenheit der Rentabilitäten unter den einzelnen Unternehmungen eine Durchschnittsdividende der gesamten Unternehmungen in den einzelnen Jahren von 4 bis 6 % und im Durchschnitt der ganzen Periode eine Dividende von 4,7 %. Und nunmehr läßt sich wohl die Frage nach der Rentabilität genauer dahin beantworten, daß sie eine mäßige zu nennen ist. Im Durchschnitt der letzten 3 Jahre, die allerdings im Zeichen günstiger Kartellverhältnisse standen, war die Durchschnittsdividende etwas höher, nämlich 5,4 %. Von Fernstehenden hört man öfter die Meinung, die Handelstechnik der Kohlensäure-Industrie müsse eine sehr einfache sein, da es sich ja nur um e i n e n Artikel handelt ohne Muster, ja sogar fast ohne Qualitätsunterschiede. Aus den vorhergehenden Ausführungen dürfte ersichtlich geworden sein, daß dem nicht so ist. Die Kohlensäure-Industrie ist fraglos ein hochinteressantes Gebiet; jedoch durch die Massenhaftigkeit der kleinen geschäftlichen Vorkommnisse, die große Zahl der Buchungen und Korrespondenzen, die verhältnismäßig hohen Spesen, durch die nicht wegzuleugnenden Risiken ist sie aber auch ein arbeitsreiches Geschäft. In diesem waren schnelle und große Reichtümer wenigstens bisher kaum zu erlangen, wohl aber im Durchschnitt eine mäßige Verzinsung des Kapitals, die hoffentlich mit der Zeit eine günstigere werden wird, besonders dann, wenn das Sprudeln und Perlen und Expandieren, welches diese immerhin noch junge Industrie von der Kohlensäure selbst angenommen zu haben scheint, wenn diese Unrast mit der Zeit einer größeren Bedächtigkeit und Ruhe Platz gemacht haben wird.
II.
Weltausstellungen. Vortrag des Herrn Stadtältesten Dr.
Weigert,
Vizepräsidenten der Ältesten der Kaufmannschaft zu Berlin.
Fast auf den Tag 60 Jahre sind verflossen, seit der Kristallpalast in London seine Pforten den Besuchern der ersten Weltausstellung öffnete. Der 1. Mai 1851 ist der Geburtstag der Weltausstellung, die damals epochemachend, sinnverwirrend und die überschwenglichsten Hoffnungen erweckend, man kann sagen, auf die ganze Menschheit wirkte. Da dürfte ein Rückblick am Platze sein auf die Entstehung, die Entwicklung und die Erfolge dieser Veranstaltungen, die dem vergangenen Jahrhundert nicht mit Unrecht den Beinamen des Jahrhunderts der Weltausstellungen gegeben haben. Industrie-Ausstellungen, d. h. die Vereinigungen von Erzeugnissen der Industrie zur Anknüpfung von Handelsbeziehungen, zur Erweiterung der Anschauungen und Kenntnisse von Produzenten und Konsumenten sind verhältnismäßig jungen Datums; denn die Messen und Märkte, auf denen sieh in früheren Jahrhunderten ein großer Teil des Geschäftsverkehrs abspielte, unterscheiden sich von den Ausstellungen dadurch, daß auf jenen die Waren in größeren Quantitäten zur Schau gestellt und direkt von da in den Konsum überführt wurden, während die Ausstellungen die Produkte nur in einzelnen Stücken oder Mustern zur Anschauung bringen. Solche Darstellungen der Erzeugnisse der schon zu größerem Umfange und verschiedener Leistungsfähigkeit herangewachsenen Industrien boten bei den mangelhaften Kommunikationsmitteln jener Zeiten eine wünschenswerte Gelegenheit, in übersichtlicher Weise den Stand der Produktion auf den verschiedenen Gebieten zu zeigen, neue Waren, neue Produktionsmethoden bekannt zu machen. Diese Ausstellungen entstanden für kleinere Gebiete, für die Erzeugnisse einer Provinz oder eines Landes im 18. Jahrhundert. Frankreich war der Vater dieser Idee, die bald von andern Ländern aufgenommen wurde, und wir begegnen in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zahlreichen Veranstaltungen dieser Art in verschiedenen europäischen Staaten. Diese Ausstellungen waren von günstigstem
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Weltausstellungen.
Einflüsse auf die Entwicklung der Industrie, indem sie deren Produkte der allgemeinen Beurteilung übergaben, die neuen technischen Fortschritte bekannt machten und den Wettstreit unter den Industriellen anspornten. Neben den praktischen Resultaten, die diesen aus der Erwerbung neuer Kundschaft erwuchsen, wurden ihre Leistungen auch durch Preismedaillen öffentlich anerkannt, die ihnen zu weiterer Empfehlung dienten. Von den zahlreichen Ausstellungen dieser Art erwähne ich nur die in Berlin im Jahre 1844 stattgefundene allgemeine deutsche Gewerbeaustellung. Dieselbe war im Zeughause in geschmackvoller "Weise untergebracht und galt als ein großes Ereignis. Man betrachtete es als ein glänzendes Zeugnis der wachsenden deutschen Industrie, daß sie einen derartigen Raum zu füllen imstande war. So war der Boden für solche Veranstaltungen vorbereitet, als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von England die Aufforderung an die Welt erging, sich im Jahre 1851 zu einer Industrieausstellung aller Völker (great exhibition of the works of industry of all nations) zusammenzufinden. Eine solche Einladung wäre früher nicht möglich gewesen; es bedurfte der engeren Annäherung der Völker, der Entwicklung der Großindustrie, der Verbesserung der Verkehrswege und durch sie der Zunahme des internationalen Güteraustausches, um den Gedanken entstehen zu lassen, die Vereinigung der Natur- und Industrieprodukte, ja selbst der Werke der Architektur und Plastik der ganzen bewohnten Erde an einem Orte ins Auge zu fassen. War doch erst im Jahre 1830 die erste europäische Eisenbahn, die kurze Strecke zwischen Manchester und Liverpool, dem Verkehr übergeben worden, in Deutschland waren 1838 die Berlin-Potsdamer-, 1839 die Leipzig-Dresdener-, 1841 die Berlin-Kölner-, 1842 die BerlinFrankfurter-, 1843 die Berlin-Stettiner-, 1846 die Berlin-HamburgerBahn als erste Schienenstränge entstanden! Im Jahre 1850 waren im ganzen: in Deutschland 6044, in England 10 653, in Frankreich 3083, in Österreich 1579, in den Vereinigten Staaten von Amerika 14 515 Kilometer Eisenbahnen im Betrieb. Das war ein ungeahnter Fortschritt in der räumlichen Verbindung der Völker. Der Telegraph spielte zum ersten Male 1840 in England auf einer kurzen Strecke, in Deutschland 1843, in den Vereinigten Staaten 1844, in Frankreich 1845, in Holland 1847, in Belgien 1849.
Weltausstellungen.
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Waren sieh so die Völker räumlich und zeitlich erheblich näher getreten, so hatte auch ihre wirtschaftliche Annäherung Fortschritte gemacht. Die Schranken, die dem inneren Verkehr in Deutschland entgegenstanden, hatte der Deutsche Zollverein in den 30er Jahren zu Fall gebracht; 1846 waren in England nach harten Kämpfen die Kornzölle abgeschafft worden, der Zolltarif wurde revidiert, die Rohstoffe wurden freigegeben und etwa 500 Zoll Positionen gestrichen. So regte sich das wirtschaftliche Leben, und auf diesem Boden konnte England, das an der Spitze der politischen, industriellen und merkantilen Welt stand, das als Sammelplatz eine Stadt von Londons Größe und kommerzieller Bedeutung bot, den kühnen Entschluß der ersten Weltausstellung fassen. Besonders bemerkenswert ist, daß dieser Plan nicht von der Regierung ausging, sondern aus der freien Initiative der Beteiligten. Ein Komitee von angesehenen Industriellen, Kaufleuten und Gönnern bildete sich, der Garantiefonds ward in kürzester Zeit gezeichnet, und nach 8 Monaten konnte die Ausstellung eröffnet werden. An die Spitze des Komitees war der Prinz-Gemalil Albert getreten, und seiner Unterstützung verdankt die Ausstellung viel von ihrem Erfolge. Schon ihr Gebäude war ein AVunder der Zeit. Aus Glas und Eisen, bisher nur für Treibhäuser verwandt, erhob sich ihr Heim im schönsten Teile Londons, im Hyde-Park, der von dem Ingenieur Paxton erbaute Kristallpalast. Ein Wunderbau nicht nur für jene Zeit, sondern für viele kommende Jahrzehnte. Das Querschiff nahm in einer Wölbung von 112 Fuß Höhe — also höher als das Berliner Schloß — die größten Bäume des Parks in sich auf. Die überschwenglichen Ideen, die damals die Veranstalter der Weltausstellung bewegten, drückte Prinz Albert in einer Rede, die er vor dem Ausstellungskomitee hielt, wie folgt aus: „Mit großer Befriedigung finde ich, daß ein Vorschlag, den ich als für die gegenwärtige Zeit wichtig bezeichnet hatte, mit so allgemeiner Beistimmung und Lebhaftigkeit aufgenommen ist: denn dies beweist mir, daß die Ansicht, welche ich von dem besonderen Charakter und den Bedürfnissen unseres Zeitalters gefaßt hatte, mit den Gefühlen und Meinungen des Landes in Übereinstimmung steht. Ich halte es für Pflicht jedes gebildeten Mannes, die Zeit, in welcher er lebt, aufmerksam zu beobachten und zu studieren, und, so weit an ihm hegt, sein kleines Teil persönlicher Mitwirkung zur Gewerbliche Einzelvorträge.
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Weltausstellungen.
Förderung derjenigen Zwecke anzuwenden, welche er im Plane der Vorsehung angeordnet glaubt. Es wird aber niemand, welcher den besonderen Richtungen unseres gegenwärtigen Zeitalters einige Aufmerksamkeit geschenkt hat, auch nur einen Augenblick zweifeln, daß wir in der Zeit eines wunderbaren Überganges leben, welche der Verwirklichung des großen Zieles, auf das in der Tat die ganze Weltgeschichte gerichtet ist — der Darstellung der Einheit der Menschheit —, rasch zustrebt. Nicht einer Einheit, welche die Grenzen niederreißt und die besonderen Charakterzüge der verschiedenen Nationen der Erde vernichtet, sondern mehr einer Einheit, welche das Ergebnis und Erzeugnis der nationalen Verschiedenheiten und miteinander wetteifernden Volkscharaktere ist. Die Entfernungen, welche die verschiedenen Nationen und Teile des Erdkreises trennen, verschwinden schrittweise vor den Vervollkommnungen der neueren Erfindungen, und wir können sie jetzt mit unglaublicher Leichtigkeit zurücklegen; die Sprachen aller Völker sind bekannt, und ihre Leistungen sind in den Kreis des Erreichbaren für jedermann gestellt; der Gedanke wird mit der Schnelligkeit und ebenso mit der Gewalt des Lichtstrahls verbreitet. Auf der anderen Seite wird der große Grundsatz der Arbeitsteilung, welche die bewegende Kraft der Zivilisation genannt werden mag, auf alle Zweige der Wissenschaft, des Gewerbfleißes und der Kunst ausgedehnt. Während früher die größten geistigen Anstrengungen sich zu einem universellen Wissen zerstreueten und dieses Wissen auf wenige beschränkt war, sind sie gegenwärtig auf spezielle Fächer, und in diesen wieder auf die kleinsten Punkte gerichtet; aber das errungene Wissen wird auf einmal Eigentum des großen Ganzen. Während früher Entdeckungen geheim gehalten wurden, veranlaßt die Öffentlichkeit unserer Tage, daß, sobald eine Entdeckung oder Erfindung gemacht ist, ganze Weltteile zu unserer Verfügung stehen, so daß wir nur den besten und wohlfeilsten Plan für unsere Zwecke zu wählen haben und gewaltige Produktionskräfte dem Anreize der Mitbewerbung und des Kapitals zu Gebote stehen. Die Ausstellung im Jahre 1851 soll uns ein getreues Zeugnis und lebendiges Bild der Entwicklungsstufe geben, auf welche das ganze Menschengeschlecht in der Lösung seiner großen Aufgabe gelangt ist, und einen neuen Anhaltspunkt, von dem aus alle Völker ihren ferneren Bestrebungen einen neuen Impuls zu geben imstande sind."
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So präzisierte Prinz Albert die Idee und Ziele der ersten Weltausstellung. Entstanden zu der Zeit, als die Umwälzungen auf dem Gebiete der Verkehrsmittel anfingen, sich fühlbar zu machen, als eine freihändlerische Handelspolitik sich zu regen begann, wurde sie begründet aus der freien Initiative des Bürgertums, auf dem großen Gedanken der internationalen Arbeitsteilung, auf der der Fortschritt der Menschheit beruht; sollte sie zeigen, was erreicht war, und zu weiterem Streben anregen. Die Erfolge erfüllten die Erwartungen: 17 000 Aussteller waren beteiligt, darunter allerdings 9730 Engländer; über 6 Millionen Besucher waren in der Zeit vom 1. Mai bis 1. Oktober erschienen, der Uberschuß der Einnahmen über die Kosten betrug etwa 5 Millionen Mark. Sämtliche Länder Europas hatten die Ausstellung beschickt; die englischen Kolonien waren vollständig vertreten; die außereuropäischen Völker bis zum fernsten Osten und Westen waren erschienen. Von den europäischen Staaten hatte, abgesehen von England, nur Frankreich hervorragend ausgestellt. Seine kunstgewerblichen Erzeugnisse auf den verschiedensten Gebieten erregten allgemeine Bewunderung, und im Vergleich zu der englischen Ausstellung, die durch Massenartikel und Maschinen exzellierte, konnte Lothar Bucher die Frage aufwerfen: Was kaufen denn in Frankreich die armen Leute? Dieser Publizist, der damals als politischer Flüchtling in England lebte, hat sich durch seine Aufsätze über die Londoner Weltausstellung, die er in der Nationalzeitung veröffentlichte, seine journalistischen Sporen verdient. Diese Artikel, die er dann in einem Bande „kulturhistorischer Skizzen aus der Industrieausstellung aller Völker 1851" herausgegeben hat, gewähren noch heute großen Genuß wegen der trefflichen Beurteilung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse jener Zeit. Die deutsche Ausstellung schnitt nicht besonders ab; jeder deutsche Staat stellte besonders aus, und das geschmacklose Arrangement stach bedeutend ab, vornehmlich gegen die französische Dekoration. Allerdings enthielt die deutsche Abteilung bemerkenswerte Gegenstände. Hier trat zum ersten Male Krupp mit einem mächtigen Stahlgußstück an die Öffentlichkeit, das die von englischen Firmen gelieferten Gußstücke übertraf; auch die ersten Kruppschen Gußstahlkanonen zeigten sich hier. Die wertvollsten Anregungen gaben die außereuropäischen Länder durch die Darbietungen ihrer Rohprodukte, die sich zum Teil zum 3*
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ersten Male der weitesten Öffentlichkeit zeigten; zahlreiche dieser Stoffe fanden erst von da Eingang in Handel und Industrie. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß die Jute, ein damals nur in Indien gebrauchter Spinnstoff, seit jener Zeit ihren Eingang in die europäische Industrie fand und ihre inzwischen riesenhaft gewachsene Verwendung von da ab datiert. Charakteristisch für die damaligen Verhältnisse ist, daß Japan im Ausstellungskataloge nur mit vier Zeilen als Aussteller von Kupfer, vegetabilischem Flachs, Firnis und einem Faserstoff verzeichnet war. Jeder nahm etwas Förderliches nach Hause. Den größten Erfolg hatte allerdings das Land der Ausstellung, England, dessen hochentwickelte Industrie vor aller Augen trat, und ihm die Anerkennung als das führende Land der damaligen Zeit brachte. Aber auch nach einer anderen Richtung machte England die Ausstellung sich nutzbar. Man sah die vorzüglichen Leistungen des französischen Kunstgewerbes, die prächtigen Teppiche und Schals Indiens, die zahlreichen Erzeugnisse der Hausindustrie der entferntesten Länder, die in oft Jahrtausende alter Tradition die wertvollsten Formen des Kunstgewerbes schufen, man verglich hiermit die eigenen, vielfach geschmacklosen Erzeugnisse, und kam zu der Erkenntnis, daß man durch die einseitige Ausbildung des Maschinenwesens die Fühlung mit der Kunst alter Zeiten verloren habe, deren Wiederherstellung erforderlich sei, um auch auf dem Gebiete des Geschmacks Anerkennenswertes zu leisten. Man entschloß sich, von den Kunsterzeugnissen früherer Jahrhunderte und aus fernen Ländern das Beste zu erwerben und diese Schätze dem Volke als Vorbilder für seine kunstgewerbliche Ausbildung zu bieten. So entstand aus den Uberschüssen der Ausstellung das South-Kensington-Museuin in London, in dem das Volk Lehre und Anregung erhielt, und das als die Wiege des englischen gewerblichen Kunstgeschmacks der folgenden Zeiten zu betrachten ist. Die Wiedergeburt des englischen Kunstgewerbes mit seinen hervorragenden Leistungen datiert von da ab. Das Museum ist aber auch die Musteranstalt zahlloser ähnlicher Institute gewesen, die in anderen Staaten entstanden. So kann man, um mit Julius Lessing v ) zu sprechen, die erste ') J u l i u s L e s s i n g : „Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen". Vortrag, gehalten in der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft zu Berlin, März 1900. Eine höchst lesenswerte Schrift, die in diesem Hefte mehrfach benutzt worden ist.
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Weltausstellung in London als den wichtigsten Markstein in der gewerblichen und kunstgewerblichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts bezeichnen. Was "Wunder, daß bald in Erwägung gezogen wurde, eine Wiederholung dieses ersten Versuches zu raachen, und da war es Frankreich, das einerseits in London durch seine Leistungen besondere Erfolge erzielt hatte, andererseits inzwischen als Kaiserreich in das Konzert der Staaten eingetreten war, und wo Napoleon den Glanz der neuen Ära aller Welt zu zeigen wünschte. L'empire c'est la paix, diese seine Devise, wollte er durch ein großartiges Friedensfest den Völkern vor Augen führen, die Gunst der besitzenden Klassen sich erwerben und durch Hebung des Gewerbefleißes den Wohlstand des Landes fördern. So trat die zweite Weltausstellung in Paris im Jahre 1855 ins Leben. Hatte sie auch kein so überwältigendes Heim wie die Londoner Schwester in ihrem Kristallpalaste, so schufen die Pariser Architekten ihr doch in dem damals Palais Napoleon, später Palais de rindustrie genannten, am Eingange der Champs Elysees gelegenen Gebäude eine imponierende Stätte und bereicherten Paris mit einem Palaste, der bis zum Schlüsse des Jahrhunderts eine Zierde der Stadt und einen wertvollen Raum für zahllose Kunstausstellungen bot, die dort abgehalten wurden. Die Ausstellung selbst konnte mit ihrer Vorgängerin nicht rivalisieren. Fehlte schon der Reiz der Neuheit, so war vor allem die kurze, seit der Londoner Ausstellung verflossene Zeit nicht genügend, um wesentlich Neues zu bieten. Die Fläche, auf der sich die Ausstellung abspielte, war fast doppelt so groß wie in London (16,8 ha gegen 9,5 ha), große, bis an die Seine gehende Hallen ergänzten das Hauptgebäude. Ihr materieller Erfolg aber war sehr unbefriedigend. Statt eines Überschusses schloß sie mit einem Defizit von 7 Millionen Mark. Frankreich imponierte durch eine glänzende Schaustellung auf zahlreichen Gebieten, auch Deutschland war besser beteiligt als in London. Eine wichtige Neuerung gegenüber der Vorgängerin, wo es verboten war, die Verkaufspreise an den ausgestellten Waren anzubringen, bestand darin, daß dies in Paris zur Bedingung gemacht wurde. So lernte man nicht nur die Güte der ausgestellten Waren kennen, sondern erfuhr auch, in welchem Verhältnis zu ihr der Preis derselben stand.
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Weltausstellungen.
Als wichtiges Ergebnis der Ausstellung ist zu bezeichnen, daß der freihändlerische Gedanke, dem die erste Londoner Ausstellung ihre Entstehung verdankt, in Frankreich, das damals noch starr am Protektionismus festhielt und zahlreiche fremde Erzeugnisse überhaupt von der Einfuhr ausschloß, zum Durchbruch kam. Man erkannte dort die Bedeutung der eigenen Industrie, man sah aber auch, wie viele fremde Produkte seine Industrie und seinen Verbrauch benötigte, und diese Eindrücke bereiteten den Boden vor für den im Jahre 1860 mit England abgeschlossenen Handelsvertrag, der auf freihändlerischer Grundlage eine gründliche Revision des französischen Zolltarifs sowie die Abschaffung sämtlicher Schutzzölle in England bewirkte. Dieser Handelsvertrag, dem zahlreiche andere, unter dem Kamen der westeuropäischen Handelsverträge bekannt, folgten, führte die Klausel des Rechts der meistbegünstigten Nation in die Handelspolitik ein und förderte den internationalen Güteraustausch und den wirtschaftlichen Aufschwung der europäischen Industriestaaten in hervorragendem Maße. Dankbar muß in der Geschichte der Weltausstellungen daran erinnert werden. Hatte man geglaubt, daß die friedlichen Wettkämpfe.der Völker, welche die Weltausstellungen darstellten, den Weltfrieden fördern würden, so zeigte sich bald, daß ihnen dieses Kulturmoment nicht innewohnt, denn gerade in den Zeiten der raschesten Aufeinanderfolge dieser Veranstaltungen im vergangenen Jahrhundert wurde die Welt von so zahlreichen Kriegen heimgesucht, wie kaum je zuvor. 1853 brach der Krimkrieg aus, 1859 der italienische, 1860 der Krieg zwischen Frankreich und England mit China, 1861 der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wie stark muß die Idee der Veranstaltung von Weltausstellungen gewesen sein, wenn kurz nach solchen Erschütterungen, ja während derselben, London für das Jahr 1862 wieder eine Einladung sandte. Diese dritte Weltausstellung enttäuschte erheblich im Vergleich zu den vorangegangenen. Es fehlte der Reiz der Neuheit von 1851, die Anziehung, die Paris 1855 ausgeübt hatte, der englische Gewerbestand verhielt sich kühl; aber das erfolgreiche Komitee von 1851 nahm tatkräftig die Sache in die Hand, und so erhob sich in den HorticulturalGardens, auf einem Gelände, das für das zu errichtende SouthKensington-Museum bestimmt und doppelt so groß war (18 ha) wie
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das der ersten Ausstellung, der zweite Weltausstellungspalast in London. Die Beschickung war reichlich. Deutschland war mit 2875 Ausstellern vertreten; England und seine Kolonien hatten ihr Bestes gegeben, die Rohstoffe überseeischer Länder gaben erfolgreiche Anregungen. Die moderne Eisenindustrie zeigte sich in ihrer ganzen Größe, das neue Bessemerverfahren der Stahlbereitung wurde hier allgemein bekannt. Besondere Anregungen aber gab die chinesische Ausstellung. Während man bisher in Europa nur die gewöhnliche Marktware von dort gesehen hatte, kamen aus dem Kriege mit China durch die Niederbrennung und Plünderung des prächtigsten Fürstensitzes der Welt, des Sommerpalastes in Peking, die dort aufgehäuften Kunstschätze der ältesten Kulturstätten vor die Augen Europas. Die wunderbaren Arbeiten in Gold- und edelen Steinen, die Porzellane, Bronzen und Gewebe erfüllten die Besucher der Ausstellung mit Staunen und erschlossen neue Vorstellungen über die Möglichkeiten dekorativer Kunst. Die hohe Kunst war auf der Ausstellung stärker vertreten, als auf den früheren. Auch hier war etwas noch nicht Gesehenes anzustaunen. Es war die bemalte Venus des Bildhauers Gibson, der erste vor das große Publikum gebrachte Versuch, den Marmor zu bemalen, wie es die Alten getan haben. Deutschland zeigte, daß es auf dem besten Wege war, England auf den verschiedensten Gebieten erfolgreiche Konkurrenz zu machen. Seine Technik, seine Erzeugnisse durch Maschinenarbeit fanden allgemeine Anerkennung, aber auf der anderen Seite mußte sein Kunstgewerbe sich mit dem Resultate begnügen, daß es seine Schwäche erkannte. — Daß hier durch Unterricht und anregende Vorbilder helfend einzugreifen sei, wurde allseitig anerkannt, und weitsichtige Männer begründeten einige Jahre später das Berliner Gewerbemuseum, das heutige Kunstgewerbemuseum, das von günstigstem Einflüsse auf die Entwicklung der deutschen Kunstindustrie geworden ist. War in diesen ersten drei Weltausstellungen der Charakter derselben als Stätten der Umschau auf dem Gebiete der Industrie und Kunst, als Vereinigungspunkte dessen, was der menschliche Geist auf diesen Feldern zu leisten imstande war, gewahrt geblieben, wurde den Besuchern vorzugsweise ernste Arbeit zugemutet und für die Erholung kaum mehr geleistet als des Körpers Nahrung und Notdurft erforderte, so zeigte die vierte Weltausstellung, die 1867 wieder in
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Weltausstellungen.
Paris abgehalten wurde, ein wesentlich verändertes Bild. Nicht die Beobachtung und das Studium der Leistungen der Industrie und Kunst, wie es Prinz Albert für die erste Ausstellung präzisiert hatte, veranlaßte sie, nicht der Wunsch des Gewerbestandes, sein Bestes zu geben und dadurch wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, führte die Aussteller nach Paris, sondern der ideale Gedanke der Weltausstellungen war einem politischen Zwecke gewichen; eine politische Haupt- und Staatsaktion war durch sie geplant. Nach der glücklichen Beendigung der zahlreichen Kriege, in die das zweite Kaiserreich verwickelt war, wollte Napoleon seine Machtstellung als führender Mann in Europa zeigen, ein Friedens- und Freudenfest für die ganze Welt veranstalten. Kaiser und Könige folgten seinem Rufe, und unvergleichlicher Glanz, Luxus und Vergnügen entwickelte sich auf dem Ausstellungsgelände, das auf das Marsfeld, von nun an den Mittelpunkt der Pariser Weltausstellungen, verlegt worden war. Im Anschluß an einen genial angelegten Ausstellungspalast entstanden zahlreiche Annexe und selbständige Gebäude — der Beginn der Ausstellungsstadt, die sich ja später ins Ungemessene ausdehnen sollte. Auch die Paläste der einzelnen Staaten erschienen hier zuerst, sowie die Wohnstätten entfernter Völker mit ihren sozialen Einrichtungen. Schweizer, russische, chinesische Dörfer mit ihren Häusern und Volksbelustigungen waren zu sehen, Ägypten hatte seine Moscheen, Nachbildungen berühmter Bauwerke, natürlich auch nubische und äthiopische Tänzer und Tänzerinnen gebracht. Uberall spielten nationale Kapellen; Verkaufsstellen, Theater und Verknügungslokale aller Art erfüllten den Park! Was waren die einfachen, der Arbeit gewidmeten Ausstellungen in London, was selbst Paris 1855 gegen dieses Fest! Der Raum, auf dem es sich abspielte (41,7 ha), war etwa 4% mal so groß wie der der ersten Weltausstellung. Selbstverständlich boten die etwa 42 000 Aussteller des Lehrreichen und Interessanten unendlich viel, und wertvolle Anregungen wurden nach Hause genommen, lohnende Verbindungen angeknüpft. Zum ersten Male zeigten sich dem erstaunten Europa die hervorragenden Leistungen der amerikanischen Maschinenindustrie. Speziell Deutschland hatte Grund zufrieden zu sein, seine Ausstellung war zum ersten Male eine einheitliche und imponierte auf vielen Gebieten.
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Aber die Anschauung war allgemein, daß unter den 10 Millionen Besuchern, welche die Räume der Ausstellung bevölkert hatten, das Gros aus Schaulustigen, aus Flaneurs bestand, die von den Vergnügungen im Park, nicht von den ausgestellten Gegenständen angezogen wurden; die ernste Arbeit wurde beeinträchtigt durch das Drum und Dran, das sich überall hervordrängte. Die Spezies des Ausstellungsbummlers trat in die Erscheinung. Was Wunder, daß die Meinung laut wurde, es wäre zu Ende mit den Weltausstellungen. Wie sollte eine folgende den Vergleich mit der beendeten aushalten! Denn daß der 1867 beschrittene Weg weiter betreten werden müsse, wolle man überhaupt noch für eine Weltausstellung Anziehungskraft erwecken, erschien außer Frage. Es war von Frankreich proklamiert worden, daß alle fünf Jahre eine Weltausstellung veranstaltet werden sollte, wohl in Erinnerung an die feierlichen Opfer, die im alten Rom nach Beendigung des Lustrums begangen wurden. Aber den Industriellen fing es an zu dämmern, daß sie als Siihnopfcr auf dem Altar der Schaulust geopfert werden sollten. Und welche Stadt sollte es wagen, mit Paris in Konkurrenz zu treten? Wenige Jahre nach der französischen Ausstellung war das auf ihr triumphierende Kaisertum in Trümmer geschlagen, und Frankreich konnte nicht an eine neue Einladung denken; England hatte keinen Ehrgeiz mehr, in die Schranken zu treten; Deutschland, das jung geeinte, hatte dringendere Aufgaben zu erfüllen. Da fand Österreich den Mut, die bewohnte Erde 1873 zu ejner Weltausstellung nach Wien zu rufen. Und in der Tat bot diese Stadt nächst Paris wohl die größte Anziehung unter den europäischen Städten; auch wollte Österreich zeigen, daß es die Niederlagen, die es auf den italienischen und böhmischen Schlachtfeldern erlitten hatte, überwunden hatte. Seine wirtschaftliche Entwicklung, seine Industrie hatten wesentliche Fortschritte gemacht, und besonders sein Kunstgewerbe hatte sich hervorragend entfaltet. Der leichte Wiener Sinn, der prächtige Park — der Prater —, den Wien als Ausstellungsgelände zur Verfügung hatte, schien einen Erfolg in Aussicht zu stellen. Allerdings würde eine Enquete unter den Industriellen den überwiegenden Wunsch derselben zum Ausdruck gebracht haben, sie mit einer Weltausstellung, die ihnen große Kosten verursachen und geringe
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Weltausstellungen.
Vorteile bringen würde, zu verschonen; die Ausstellungsmiidigkeit der Industrie, die heut in aller Munde ist, trat schon damals auf. Aber nachdem Österreich aus politischen Gründen die Einladung hatte ergehen lassen, mußte vor allem Deutschland dieselbe annehmen und, um seine freundschaftlichen Beziehungen zu dem Nachbarreiche zu zeigen, sich bemühen, eine möglichst zahlreiche Beteiligung seiner Industriellen zu veranlassen. Zum ersten Male fand hier ein finanzielles Eingreifen der Regierung statt, und ein Reichszuschuß von 3,2 Millionen Mark wurde gewährt, da es sich zeigte, daß die Industrie aus eigenen Mitteln nicht gewillt war, die großen Kosten, die ihr verursacht werden sollten, allein zu bestreiten. Österreich fühlte, daß es, um gegenüber seiner Vorgängerin zu bestehen, etwas Neues bieten müsse, und so wurde das Programm der Ausstellung im Vergleich zu den bisherigen, bei denen es im ganzen das ursprünglich begrenzte war, erheblich erweitert. Sie sollte „das Kulturleben der Gegenwart und das Gesamtgebiet der Volkswirtschaft darstellen und den weiteren Fortschritt fördern". Außer den bisherigen Ausstellungsobjekten sollte sie eine große Zahl interessanter Probleme vorführen. Es sollte durch eine Nebeneinanderstellung von Maschinen und Apparaten und Vorführung von Verfahrungsweisen aus den verschiedenen Zeitepochen die allmähliche Vervollkommnung einzelner Erfindungen gezeigt und damit der Versuch zu einer Darstellung der Geschichte der Erfindungen gemacht werden. — Aus den bedeutendsten Produktionsgebieten sollten die Preise der wichtigsten Artikel, möglichst weit zurückreichend, in fünfjährigen Durchschnitten nebeneinander gereiht, unter Vorlegung von Proben ersichtlich gemacht werden und eine Geschichte der Preise bilden. Die Handelsartikel der bedeutendsten Hafenplätze in Mustern mit Angaben über Bezug und Absatz, über die Mengen der Ein- und Ausfuhr sowie der Preise sollten eine Darstellung der Geschichte des "Welthandels bringen. Die Fortschritte in der Verwertung der Abfälle sollten gezeigt werden, in Kosthallen' sollten die verschiedenen Nahrungsmittel geprüft, auf internationalen Kongressen sollten brennende Fragen der Wissenschaft und Industrie behandelt, Vorlesungen aus wirtschaftlichen Gebieten sollten abgehalten werden. Die Aufgaben der Weltausstellung sollten also das gesamte Kulturund Wirtschaftsleben, nicht nur der Gegenwart, sondern auch der
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Vergangenheit umfassen; eine Perspektive von unermeßlicher Ausdehnung! — Die nüchterne Beurteilung dieses sicher sehr schönen Planes mußte jedoch ergeben — und das Gebotene hat es auch erwiesen —, daß hier Unerreichbares beabsichtigt wurde, und daß, selbst wenn es gelang, etwas Abschließendes zu bieten, die ephemere Besichtigung dieser wichtigen Schätze nicht ihrer Bedeutung entsprach. Solche Sammlungen müssen dem ruhigen und dauernden Studiuni dienen; sie gehören nicht auf eine vorübergehende Ausstellung, sondern in ein Museum, wie es Deutschland in seinem großartig angelegten Deutschen Museum in München in trefflichster Weise getan hat. Die Beschickung der Ausstellung war seitens Österreichs sehr reichhaltig und auf vielen Gebieten imponierend. Auch Deutschland hatte eine große Zahl Aussteller (7524) gesandt. Frankreich war, wenn auch nicht sehr umfangreich, so doch vortrefflich vertreten, während England nur äußerst unzulänglich erschienen war. Es zeigte sich hier zum ersten Male, wie die enorme Vermehrung und Verbesserung der Kommunikationsmittel, die in den letzten 25 Jahren eingetreten war, die Verbilligung der Beförderungssätze für Briefe und Pakete, das Interesse der einzelnen Industriezweige an solchen Veranstaltungen verändert hatte. Diejenigen Gewerbe, deren Produkte in Proben, aus denen Qualität und Muster erkennbar sind, schnell und billig den Abnehmern zugesandt werden können, hatten wenig Veranlassung, auf Ausstellungen Verbindungen zu suchen, während die Branchen, in denen dies nicht der Fall war, eher Vorteil darin fanden. Ersteres trifft bei den meisten Zweigen der Textilindustrie zu 1 ), während z. B. die Maschinenindustrie, wenn auch die Beschreibungen in technischen Zeitschriften, die Versendung von Katalogen große Ausdehnung gefunden hatte, in der lebendigen Vorführung ihrer in Betrieb befindlichen Erzeugnisse sich vielfach Nutzen versprach. So war die Ausstellung lückenhaft in der Beteiligung der einzelnen Länder und der Zweige der Industrie. — Ihren besonderen Reiz erhielt aber die Wiener Ausstellung durch die rege Beschickung seitens des Orients. Die slavischen Länder, die Türkei, Griechenland und Ägypten *) Dieses Verhältnis hat sich seitdem weiter verschärft. Au! der jetzt stattfindenden Weltausstellung in Turin hat sich aus der deutschen Textilindustrie — der bedeutendsten Exportindustrie des Reiches — k e i n e maßgebende Firma beteiligt!
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Weltansstellungen.
brachten die Produkte ihrer Hausindustrie in bis dahin niemals gesehener Vollständigkeit zur Darstellung. Persien und seine Nachbarländer glänzten durch ihre prächtigen Teppiche. Von jener Zeit datiert die Einbürgerung dieser Erzeugnisse in unsere Häuser, die dem Gesamtgeschmack, vor allem aber der Farbenempfindung neue Bahnen gewiesen haben. Der räumliche Umfang der Ausstellung entsprach ihren erweiterten Zielen. Er war etwa 12 mal so groß, als der der ersten Londoner Ausstellung (116 ha); er übertraf den der letzten Pariser fast um das dreifache. Ein buntes Gewirr von Dörfern, besonders orientalischer Länder, internationale Belustigungen und Schaustellungen, Trinkgelegenheiten für jedes nationale Erzeugnis erfüllten den Park. Der finanzielle Erfolg gestaltete sich sehr schlecht. Die Ausstellung war in ein ungünstiges Jahr geraten, in ihre Eröffnung fiel der große Börsenkrach, während ihrer Dauer herrschte in Wien die Cholera. Das Defizit des Unternehmens belief sich auf die kolossale Summe von 84 Millionen Mark. Und eine weitere verhängnisvolle Nachwirkung erfolgte: Auf riesigen Fremdenzuspruch rechnend, hatte der Unternehmungsgeist für die Unterkunft derselben die entsprechenden Anstrengungen gemacht. Prächtige Hotels waren errichtot worden, die Ansprüche der Arbeiter und Handwerker waren ins ungemessene gewachsen, und nach Beendigung der Ausstellung erfolgte ein verhängnisvoller Rückschlag. Zum ersten Male hatte es sich gezeigt, daß die Weltausstellungen, die der Stadt, welche sie veranstaltete, durch den Fremdenzufluß sicheren und leichten Verdienst zu bringen schienen, auch in dieser Beziehung die Hoffnungen trügten. Mit Wien 1873 schien das Schicksal der Weltausstellungen, wenigstens für Europa, besiegelt zu sein. Das Interesse der Industrie war geschwunden, die Biesenkosten, welche die Regierungen, die sie veranstalteten, die Garantiefondszeichner, die fremden Staaten und die kontribuierten Industriellen aufzuwenden hatten, erschienen bei nüchterner Beurteilung doch zu hoch, und man mußte sich sagen, daß sie produktivere Verwendung finden konnten. Was konnte für Fachschulen, für Kunstgewerbemuseen, für die höhere technische Ausbildung des Gewerbestandes, für Reisen von Arbeitern und Industriellen zum Studium der Industrie des Auslandes mit solchen Summen geleistet werdenI
Weltausstellungen.
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Aus den Beurteilungen, welche die Weltausstellungen damals erfahren haben, will ich nur anführen, wie Max Eyth 1 ), ein hervorragender Ingenieur und trefflicher Schriftsteller, im frischen Eindruck der Verhältnisse sich äußerte: „Mit dem Nutzen der "Weltausstellungen ist es nicht mehr weit her. Was sie möglich gemacht hat, der rasche tägliche Verkehr unter den Völkern, zwischen Weltteil und Weltteil, macht sie mit jedem Tage auch unnötiger. Sie bieten uns nichts Neues, denn niemand wartet auf eine Weltausstellung, um seine Leistungen der Welt zu zeigen. Sie fördern Handel und Gewerbe nur da, und nur so, wie und wo es ein gewöhnlicher Jahrmarkt auch tut. Was den durch sie gewährleisteten Weltfrieden anlangt, so weiß selbst der Mindergebildete, welch ein blödsinniges Geschwätz das ist." Aber trotzdem brachte das verflossene Jahrhundert noch zwei Weltausstellungen, die Frankreich veranstaltete, — Frankreich, das in Paris die Stadt der unbegrenzten Anziehungskraft besaß, und in dem, nachdem das Kaiserreich auf zwei Weltausstellungen seine Macht und seine Leistungen gezeigt hatte, nun auch die Republik beweisen wollte, daß die Blüte und das Gedeihen des Landes unter ihr weitere Fortschritte gemacht habe. Es waren zwei direkt politische Unternehmungen, die 1878 und 1889 stattfanden. Die erste sollte das durch den unheilvollen Krieg von 1870/71 zu Boden geworfene Frankreich in seiner alten Größe zeigen, die zweite die Säkularfeier der ersten Republik von 1789 bilden. Beide waren unvergleichlich prächtige Veranstaltungen, die an Schönheit und Reichhaltigkeit des Gebotenen alles Frühere in den Schatten stellten, aber es waren keine Weltausstellungen, sondern wesentlich französische Ausstellungen, allerdings in wahrhaft imposanter Gestaltung. Deutschland hatte sich aus politischen Gründen ferngehalten, 1878 unter der Nachwirkung des Krieges (erst im letzten Augenblicke hatte es eine kleine Kunstausstellung veranstaltet), 1889, um nicht das republikanische Geburtsfest mitzufeiern. Auch die übrigen Staaten Europas waren nur schwach vertreten. Man kann aber nicht sagen, daß diese Lücken sich gegenüber der Entfaltung der französischen Industrie, Kunstindustrie und Kunst allzu fühlbar machten. 1
) Max Eyth „Im Strom unserer Zeit" II 115." Ähnliche absprechende Urteile über die Weltausstellung in Paris 1878 u. a. finden sich an verschiedenen Stellen dieses interessanten Buches.
Weltausstellungen.
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Beide Ausstellungen fanden wiederum auf dem Marsfelde, unter Hinzuziehung
des Trocaderohügels,
statt
Der
Flächenraum
war
1878 fast doppelt so groß als 1867 (74 ha) — 1889 etwa 2 1 /, mal so groß (95 ha). wesentliche
In manchen Beziehungen waren sie epochemachend; Errungenschaften,
von
denen
die kommenden
Jahr-
zehnte zehrten, erblickte man hier zum ersten Male. An 1878 knüpft sich die intimere Bekanntschaft mit der japanischen Industrie und Kunst.
Japan, von dem 2 5 Jahre vorher der
Katalog der ersten Londoner Ausstellung in vier Zeilen, wenige Rohprodukte erwähnend, sprach, stellte jetzt als hochentwickelter Kulturstaat aus. „ E s zeigte eine Industrie, die in der Feinheit der Ausführung und im Geschmack der Zeichnung und Farbe es mit jedem europäischen Staate aufnehmen konnte und die außerdem durch die Eigentümlichkeit ihres Naturgefühls die wichtigsten Anregungen gab.
Von jener
Zeit ab h a t J a p a n einen nachhaltigen, ja geradezu bestimmenden Einfluß auf das europäische Kunstgewerbe geübt" (Julius Lessing, a. a. 0 . ) .
Auf anderem Gebiete ist zu erwähnen daß von der Pariser
Ausstellung von 1878, auf der 1000 elektrische Flammen nach dem System
Jablochkow
leuchteten,
erst
unseres Beleuchtungswesens datiert.
eigentlich
die
Umwandlung
Auf dem Gebiete der
Aus-
stellungsarchitektur, die sich zu einer gewissen Spezialität zu entwickeln begonnen hatte, brachte die Ausstellung von 1889 neue F o r t schritte.
Die imposante Maschinenhalle, ein mächtiger Bau in der
Art des alten Kristallpalastes, in kolossaler AVölbung mit Glas und Eisen überdeckt, und vor allem den Eiffelturm, einen Bau von 3 0 0 m Höhe, der zeigte, welche monumentale Wirkung die einfache Eisenkonstruktion hervorbringen kann, und der nicht nur als mechanisches Wunder, sondern als architektonisches Kunstwerk der Kunstgeschichte angehört. Solche Leistungen werfen ihren versöhnenden Zauber auf die immer
mehr
zu
Jahrmarktsfesten
entarteten
Weltausstellungen.
Denn allerdings, um das Wagnis der Konstruktion eines Eiffelturmes und seine Kosten zu übernehmen, bedarf es eines
Auftraggebers,
wie ihn nur die Unternehmung einer Weltausstellung bietet, wenn auch das Motiv nicht die Förderung der Industrie, sondern die Schaffung eines „Clou" bildete.
Einen solchen Anziehungspunkt bot aber diese
Schöpfung, und ihr ist es zum guten Teil zuzuschreiben, daß die Pariser Ausstellung von 1889, die 46,5 Millionen Mark gekostet hatte, einen
Weltausstellungen.
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Uberschuß von 3,5 Millionen Mark ergab, während 1878 einem Kostenaufwande von 55,7 Millionen Mark ein Defizit von 21 Millionen Mark gegenüberstand. Damit ist die Reihe der Weltausstellungen, welche die europäischen Staaten veranstalteten, für das abgelaufene Jahrhundert geschlossen, denn die 1897 in Brüssel veranstaltete Weltausstellung kann wegen ihrer untergeordneten Bedeutung ausgeschaltet werden. England hatte es gewagt, zweimal, Frankreich viermal einzuladen, Österreich einmal. Deutschland hatte sich in weiser Enthaltung von der Veranstaltung dieser Festspiele ferngehalten, trotzdem seine mächtige Industrie den Tanz wohl hätte wagen können. Aber es hatte sich, wie wir gesehen haben, gezeigt, daß es mehr und mehr in erster Linie darauf ankam, durch Glanz und Prachtentfaltung, durch Vergnügungen, zu wirken und daß der Ernst der Arbeit erst in die zweite Stelle trat. Daher konnten nur die Städte auf rege Beteiligung rechnen, die für die Besucher der Ausstellung, innerhalb und außerhalb derselben, die nötige Anziehungskraft boten, vor allen Paris, während unser Berlin diese Zugkraft nicht besaß. Daß wir durch unsere Haltung eine Kulturaufgabe vernachlässigt, unsere Industrie geschädigt hätten, wird niemand behaupten, der die Entwicklung der Weltausstellungen verfolgt hat. Aber jenseits des Ozeans hatte der Weltausstellungsgedanke Boden gefaßt, und für das Jahr 1876 hatten die Vereinigten Staaten von Amerika zur Feier des 100jährigen Bestehens der Republik zu einer Weltausstellung in Philadelphia eingeladen. Hinter hohen Zollmauern hatte sich in Amerika eine auf zahlreichen Gebieten leistungsfähige Industrie entwickelt, die in weiten Kreisen Europas noch nicht genügend bekannt war. In Paris hatte man 1867 Gelegenheit gehabt, den hohen Stand der amerikanischen Maschinenindustrie anzustaunen, aber die kommerziellen Beziehungen beider Erdteile waren doch noch nicht eng genug, als daß man ein umfassendes Bild der dortigen Leistungen besessen hätte. Daher fand der berechtigte Wunsch des nordamerikanischen Freistaats, der Welt zu zeigen, was er in der Arbeit eines Jahrhunderts geleistet habe, Widerhall bei der europäischen Industrie, die in der Absicht, zu lernen und ihr Absatzgebiet zu erweitern, nach Philadelphia ging. Die Ausstellung umfaßte einen Raum von 95,5 ha, war also nur wenig kleiner als die größte der europäischen Ausstellungen des vorigen Jahrhunderts, die Wiener.
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Weltausstellungen.
Ihre Beschickung seitens der Union war selbstverständlich hervorragend, und staunend sah man die hohe Entwicklung der dortigen Industrie auf den verschiedensten Gebieten, wenn auch ihre Schwächen deutlich zutage traten. Auch die europäischen Industriestaaten waren umfangreich vertreten. Es war wieder einmal eine Ausstellung, auf der das Vergnügen nicht die Arbeit überwog, denn in dem puritanischen Philadelphia wurde in ersterer Beziehung nicht'allzuviel geboten. — Mit Interesse sah man, in welchem Umfange die Maschinenarbeit als Ersatz der teuern Handarbeit in der amerikanischen Industrie verwandt wurde, wie raffiniert letztere häufig ausgeschaltet wurde, um die Maschine an ihre Stelle treten zu lassen. Man erkannte schon damals, daß die Zukunft der amerikanischen Industrie auf dem Gebiete der Massenfabrikation lag und liegen würde, daß aber auf den Gebieten, wo die Technik der Hand vonviegend sein muß, die Schwäche der amerikanischen Leistungen liege. Mit Staunen sah man den Reichtum des Landes an wertvollen Rohprodukten und war sich klar, daß dasselbe einer großen Zukunft entgegenging. • Es wird noch erinnerlich sein, daß Deutschland in Philadelphia keine Lorbeeren geerntet hat, daß seiner Ausstellung die Bezeichnung „billig und schlecht" gegeben wurde. Es ist fraglos, daß clie deutsche Industrie die Leistungen Amerikas unterschätzt hatte, daß es mit billigen Massenartikeln dorthin kam, wo es seine Qualitätsware hätte zeigen müssen. Die Bedeutung der Ausstellung in Philadelphia in der Geschichte der Weltausstellungen ist nicht zu unterschätzen; sie zeigte wieder einmal eine neue industrielle Welt, die wir früher nur in Atomen gekannt hatten. Erwähung verdient, daß die Einführung der Telephons bei uns der umfangreichen Benutzung desselben zu verdanken ist, die damals in Amerika bemerkt wurde. Von den überseeischen Weltausstellungen des vorigen Jahrhunderts sind die in Sydney (1879) und Melbourne (1880) zu erwähnen, den Hauptstädten der britisch-australischen Kolonien Keu-Südwales und Viktoria. Beide veranstaltet von den aufstrebenden australischen Kolonien, um die Kulturentwicklung des Landes zu fördern, sind sicher von günstigem Einflüsse auf dieselbe gewesen. Die Beteiligung der europäischen Industrie war selbstverständlich nur schwach, und
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einer dauernden Förderung der Verkehrsbeziehungen mit den Ausstellungsgebieten dürften sie kaum gedient haben. Siebzehn Jahre nach der Ausstellung in Philadelphia luden die Vereinigten Staaten von Amerika zu einer zweiten Weltausstellung ein, die 1893 in Chicago stattfand. Die Aufnahme, welche diese Einladung, speziell in Deutschland, fand, war eine sehr wenig günstige. Die Industrie scheute die großen Kosten und versprach sich in dem hochschutzzöllnerischen Amerika wenig Erfolge. Seitens der deutschen' Regierung wurde jedoch die Beschickung der Ausstellung für notwendig gehalten, sowohl um die Scharte von Philadelphia auszuwetzen, als auch weil das Fernbleiben der deutschen Industrie, nachdem dieselbe sich auf den beiden letzten großen Pariser Ausstellungen nicht beteiligt hatte, als ein Verzicht auf den internationalen Wettbewerb angesehen werden könnte. Sie nahm daher die Organisation der deutschen Beteiligung in die Hand und bewilligte einen Reichszuschuß von 3,6 Millionen Mark. Zum ersten Male wurden in planmäßiger Weise Kollektivausstellungen veranstaltet, zu welchen die einzelnen Gruppen der Industrie vereinigt wurden. Nicht jede Meldung wurde angenommen, es fand eine Prüfung der Firmen und der angemeldeten Erzeugnisse statt. Junge, aufstrebende, aber noch nicht genügend bekannte Firmen, die sich wirklichen Nutzen von der Ausstellung versprechen konnten, wurden vielfach zurückgewiesen, und man exzellierte in der Tat größtenteils mit vortrefflichen Objekten. Es ist fraglos, daß dadurch der Hauptzweck einer Ausstellung, der heimischen Industrie Gelegenheit zu geben, sich neue Märkte zu suchen, vielfach vereitelt wurde. Aber repräsentationsfähig war die deutsche Industrie in hohem Maße, wozu auch ihre Installation beitrug, die in berufensten Händen lag und alles Lob verdiente. In umfangreichem Maße haben sich die einzelnen Regierungen, besonders Deutschland, durch instruktive Darstellungen der Leistungen ihrer Ressorts beteiligt. Chicago nimmt eine hervorragende Stellung in der Geschichte der Ausstellungen ein. In den Architekturformen früherer Jahrhunderte zeigte sich eine Unzahl prächtiger Bauten; von der Herstellung eines einheitlichen geschlossenen Industriepalastes hatte man abgesehen und für jedes Gebiet des Gewerbes, der Kunstindustrie und der Kunst einen besonderen Palast errichtet. 278 ha waren von der Ausstellung bedeckt, fast das 2%fache der Fläche der bisher größten Ausstellung. Gewerbliche ELnzelvortrage.
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Trotz der großen Kosten des Unternehmens, die sich auf 34,6 Millionen Mark beliefen, ergab die Ausstellung einen Uberschuß von 7,9 Millionen Mark. Die von der amerikanischen Regierung erworbenen Ausstellungen exotischer Rohprodukte und instruktiver Gegenstände bildeten den Grundstock für ein in Philadelphia begründetes Handelsmuseum, von dem man sich eine wirksame Förderung des amerikanischen Wirtschaftslebens versprach, ohne daß sich die vielfach überschwenglichen Erwartungen, die sich an dieses Unternehmen knüpften, erfüllt haben. Wenn wir jetzt die Weltausstellung, die in Paris im Jahre 1900 zur Feier des neuen Jahrhunderts stattfand, erwähnen, so schließt damit das erste halbe Sälailum der Weltausstellungen. Wiederum auf dem Marsfelde unter Hinzunahme benachbarter Gelände errichtet, überbot sie ihre Pariser Vorgängerinnen noch an Größe und Pracht, sowie an originellen, neuen Darbietungen. In einer „rue des nations" hatte jedes Land ein besonderes monumentales Gebäude in nationalem Stil errichtet; imposant gestalteten sich die Kolonialausstellungen; die eigentliche Industrieausstellung bot z. T. vorzügliche Erzeugnisse. Als ein Meisterwerk war die von Frankreich veranstaltete Ausstellung der Entwicklung der französischen Kunstindustrie in den letzten Jahrhunderten zu bezeichnen. Auch das jetzige französische Kunstgewerbe zeigte sich wieder auf voller Höhe. Deutschland, das in Paris auf zwei Weltausstellungen gefehlt hatte, war trotz der Ablehnung eines großen Teils der Industrie würdig vertreten. Die Ausstellung war wiederum von der Regierung in die Hand genommen worden, die Meldungen wurden im Hinblick auf repräsentable Darstellung streng gesichtet; die Ausstellungen fanden zum größten Teil wieder in kollektiver Form statt. Fünf Millionen Mark hatte das Reich für diesen Zweck bewilligt. So hatte sich in 50 Jahren Gewerbe und Kunst der bewohnten Erde zwölfmal in diesen modernen Arenen versammelt, die staunenswerte Entwicklung der industriellen Tätigkeit, wenigstens in ihren Meisterwerken, gezeigt. Aber wenn wir überschauen, welchen Einfluß die Weltausstellungen auf diese vollständige Umwälzung des wirtschaftlichen Lebens gehabt haben, so wird das Resultat kein befriedigendes sein können. Der schöne ideale Gedanke, der die Weltausstellungen ins Leben gerufen hat, daß sie die Annäherung der •Völker, die politische und wirtschaftliche, fördern, den fruchtbaren
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Gedanken der internationalen Arbeitsteilung verbreiten sollen, ist durch sie nicht gefördert worden. Kriege und politische Verwickelungen sind nicht vermieden worden, die freihändlerische Bewegung, die in England Ende der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts einsetzte, die erste Weltausstellung in London ins Leben rief und fast drei Jahrzehnte immer mehr Boden in Europa faßte, machte einem sich stets schärfer ausbildenden Schutzzollsystem Platz, und gerade die schutzzöllnerischsten Staaten — Frankreich und Amerika — waren es, die die meisten Weltausstellungen veranstalteten! Dazu kommt, daß die Verkehrsverhältnisse sich in diesen 50 Jahren in staunenswerter Weise verbessert und verdichtet hatten. Die Eisenbahnlänge war gewachsen (1900) in: Deutschland Frankreich England Österreich den Ver. Staaten v.N.-A. ,
von 6 044 auf 5 1 3 9 1 km „ 3 083 „ 43 827 „ „ 10 653 „ 35186 „ „ 1579 „ 36 883 „ ,. 14 515 „ 3 1 1 0 9 4 „
Der Telegraph, der 1850 kaum in Tätigkeit war, zählt 4 300 000 Leitungsdrähte; die Länge der unterseeischen Kabel, an die man damals noch nicht dachte, betrug 1900: 335 000 Ion, die Zahl der Telegramme 392,2 Millionen. Dadurch sind die Völker in ungeahnter Weise sich näher getreten, l'eisende durchziehen die ganze Welt, der Draht vermittelt die Geschäfte im Fluge, Muster werden für billige Sätze befördert. Die Iieklame wird in ausgiebigster Weise benutzt, Kataloge bilden ein allgemein verbreitetes Geschäftsrequisit. Die Notwendigkeit, auf Weltausstellungen Absatz zu suchen, ist kaum noch vorhanden. Sie besteht nicht für die großen, führenden Firmen, die genügend Gelegenheit haben, ihre Leistungen bekannt zu machen, und die kleinen, die sie allenfalls noch gebrauchen können, werden von ihnen ausgeschlossen. Daher muß das Gefühl der Ausstellungsmüdigkeit als ein so gut wie allgemeines und berechtigtes bezeichnet werden. Dagegen spricht nicht, daß sich auf den Ausstellungen immer noch eine stattliche Zahl von Ausstellern gezeigt hat. Die ganze Organisation derselben ist eben eine andere geworden. Der einzelne darf kaum noch hoffen, durch Vorführung seiner Waren sich ein Stück des Weltmarktes dort 4*
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zu erobern; die "Weltausstellung ist eine politische Aktion geworden, die Beteiligung der Staaten eine Repräsentationspflicht, und die Industrie zeigt sich nicht in dem Anzüge, in dem man Schlachten gewinnt, sondern in der Parademontur. Während die 1851er Ausstellung aus der freien Initiative der Beteiligten hervorgegangen ist, bildet jetzt die Regierung die eigentliche Unternehmerin der Ausstellung. Selbstverständlich hat sie auch einen großen Teil der Kosten zu tragen und dadurch, sowie durch sanftes oder energisches Drängen, gewinnt sie die Aussteller. Für die drei Ausstellungen in Wien, Chicago und Paris 1900 hat die deutsche Reichsregierung fast 12 Millionen Mark bewilligt. Dazu kommen die gewaltigen Kosten, welche die Industrie aufzubringen hatte. Darf man wirklich glauben, daß diese Kosten produktive gewesen sind, und wäre nicht für solche Summen dauerndere Förderung des Gewerbefleißes und der Kunst durch Schulen, Museen u. dgl. zu erzielen gewesen? Allerdings soll durch diese Betrachtungen nicht der Stab über die Weltausstellungen gebrochen werden. Solche Veranstaltungen, auf denen die Industriellen zu Tausenden erscheinen, werden immer großes Interesse erregen und förderliche Anregungen zeitigen. Jeder bemüht sich, sein Bestes zu geben, und vor allem beschleunigen sie das Tempo, in dem sich die Entwicklung und die Fortschritte der Tcchnik und des Kunstgewerbes vollziehen. Ja, man kann sich fragen, ob gewisse Meisterwerke überhaupt hergestellt worden wären, wenn nicht die Weltausstellung die Anregung und die Notwendigkeit gegeben hätte. Ich denke an die imposante Wölbung aus Glas und Eisen im Kristallpalast in London, an die epochemachende Leistung in Eisenkonstruktion und künsterischer Wirkung im Eiffelturm in Paris. Aber diese Vorzüge der. Weltausstellungen dürfen nicht wieder vernichtet werden dadurch, daß sie zu oft kommen, daß die Industrie nicht zur Besinnung kommen kann, daß neue Leistungen zu zeigen unmöglich wird. Sie sollen die Bilanz des wirtschaftlichen Fortschritts in größeren Zeitabständen zeigen, aber wer wird so unvernünftig sein und alle Woche Inventur machen ?1 Und die Organisation der Ausstellung muß dazu angetan sein, das Dargebotene auch wirklich sehen und studieren zu können, und dies darf durch die räumliche Ausdehnung, durch die Unübersichtlich-
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keit und Fülle des Vorhandenen nicht zur Unmöglichkeit gemacht werden! Haben, wie wir sehen, die Weltausstellungen des vergangenen Jahrhunderts gegen diese Postulate schon empfindlich gesündigt und dadurch ihre Bedeutung und das Interesse an ihnen erheblich herabgedrückt, so haben diese Veranstaltungen im gegenwärtigen Säkulum die Mängel bis zur Karikatur ausgebidet. Fünf Weltausstellungen fanden in den elf Jahren unseres Jahrhunderts statt (die fünfte hat vor einigen Tagen begonnen). Die erste, 190-1 in St. Louis abgehalten, die einen Flächenraum von 500 ha (das ist der 12. Teil des Areals von ganz Berlin!) bedeckte, muß doch als eine groteske Verzerrung des Ausstellungsgedankens angesehen werden. Um diesen Raum nutzbar zu machen, war alles, worin menschlicher Geist und menschliche Arbeit tätig ist, in den Bereich der Ausstellung gezogen worden: Industrie, Kunst, Landwirtschaft, Ackerbau, Waldwirtschaft, die wirtschaftlichen und künstlerischen Leistungen der Gegenwart und Vergangenheit, die Leistungen der Staaten und Kommunen als Unternehmer, wie als Förderer geistiger und sozialer Interessen, gewerbliche, humanitäre und wissenschaftliche Kongresse, Vortragszyklen angesehener Gelehrten aller Erdteile u. dgl.l — Das Belustigungswesen hatte eine Ausdehnung genommen, die selbst über frühere Leistungen hinausging. Zwei feindliche Armeen, die den Kampf der Briten und Buren in naturalistischer Weise darstellten, traten auf 1 ). Wie sollte bei solchem Programm der ernsten Arbeit, die doch zunächst auf einer Ausstellung befriedigt werden muß, Raum geboten sein, wie sollte auch nur die Möglichkeit, sich zu orientieren, was man sehen und studieren müsse, gegeben sein! So hat St. Louis wohl jedem Aussteller zur Klarheit gebracht, daß es auf diese Weise nicht weiter gehe, daß, wenn Weltausstellungen überhaupt noch Existenzberechtigung haben sollen, dies nur bei erheblicher Beschränkung des Raumes und des Gebotenen möglich ist. Und was das Tempo derselben anlangt, so ist, wenn man sieht, daß innerhalb der letzten 8 Jahre fünf Weltausstellungen stattfanden, wohl das harte Wort am Platze, daß hier grober Unfug vorliegt. *) Vgl. J. Jastrow „Bericht über eine Volkswirtschaftliche Studienreise durch Nordamerika". Berliner Jahrbuch für Handel und Industrie. Bericht der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. 1904 I S. 396 flg.
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In diesem kurzen Zeitraum haben zwei Staaten, die weder politisch noch industriell als führend zu betrachten sind, Belgien und Italien, je zwei Weltausstellungen (in Lüttich und Brüssel, in Mailand und Turin) veranstaltet. Sollte es in gleichem Tempo fortgehen, so würden in dem zweiten halben Jahrhundert 37 Weltausstellungen stattfinden, gegenüber 12 in den ersten 50 Jahren! Selbstverständlich soll nicht bestritten werden, daß auch diese Weltausstellungen ihr Gutes gehabt haben. So soll die letzte Brüsseler Ausstellung besonders für Deutschland unter tatkräftiger Leitung den Ausstellern schöne Resultate gebracht haben. Aber selbst wenn man die in Zahlen ausgedrückten Wirkungen voll gelten läßt, wird man sich fragen müssen, ob die Erfolge einzelner gegenüber den großen Opfern, welche die Gesamtheit aufzuwenden hatte, als genügenden Ersatz zu betrachten sind. Denn daß diese sich überstürzenden Ausstellungen erforderlich waren, um der Welt die industrielle Leistungsfähigkeit der verschiedenen Völker zu zeigen, daß dies besonders für Deutschland nötig war, wird niemand behaupten. Jetzt wird wieder berichtet, daß die Vereinigten Staaten im Jahre 1915 eine Weltausstellung planen, um die St. Francisco und New Orleans konkurrieren; 1920 soll in Frankreich (Paris) eine solche, gelegentlich der Fünfzigjahrfeier der Republik, stattfinden. l)a ist es Zeit, darauf hinzuweisen, daß derartige Veranstaltungen, für die eine Regierung sich bemüßigt fühlt, die Welt einzuladen, d. h. in Kontribution zu setzen, einer internationalen Regelung dringend bedürfen, daß nicht ein Staat, der das tiefgefühlte Bedürfnis hat, eine Weltausstellung zu veranstalten, die anderen Staaten zwingen darf, ßich aus Gründen der hohen Politik zu beteiligen. Bei der jetzigen überstürzten Aufeinanderfolge wird der gute Gedanke, der die Veranstaltung von Weltausstellungen veranlaßt hat, und der auch heute, trotz ganz veränderter Verhältnisse, noch z. T. in ihnen steckt, zu Tode gehetzt und der Rest der Sympathie der beteiligten Kreise ihnen genommen. Beschränkung im Raum, Beschränkung in dem Gebotenen und besonders in dem nicht direkt zur Sache gehörigen, und vor allem Beschränkung in der Zahl der Weltausstellungen, diese Reformen sind dringend erforderlich, um den jetzt 60 Jahre alten Weltausstellungen neue Jugendkraft, neue Anziehungskraft und neue Erfolge zu verleihen.
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Und noch ein Gesichtspunkt ist erwähnenswert: Sind die Weltausstellungen, wie wir sahen, entstanden aus provinziellen, Landes- und Fachausstellungen zu einer Zeit, wo das Bedürfnis sich zeigte, die mehr und mehr sich entwickelnden Industrien in ihrer Gesamtheit zu überblicken, so sind deren Leistungen heut 1 so unermeßlich, daß selbst Stichproben sich nicht an einem Ort unterbringen lassen. — Ein Land, eine Branche bieten heute, selbst dem Fachmann, so viel des Neuen und Lehrreichen, daß diese engeren Darstellungen ein Bedürfnis bilden. Und so ist man auch im Ausstellungswesen von der extensiven zur intensiven Wirtschaft wieder übergegangen. Provinzial-, Landes- und Fach.ausstellungen, aus denen die Weltausstellungen entstanden sind, treten mit Erfolg wieder an ihre Stelle. Musterhafte und erfolgreiche Veranstaltungen haben die letzten Jahrzehnte auf diesen Gebieten gebracht. Aber auch hier kann nicht geleugnet werden, daß des Guten zuviel geboten wird, so daß „die ständige Austellungskommission für die deutsche Industrie", deren treffliche Tätigkeit auf dem Gebiete des Ausstellungswesens rühmend erwähnt werden muß, sich genötigt sieht, vor dem „ungesunden Uberhandnehmen" solcher Ausstellungen zu warnen. Ich glaube also, daß alle Freunde des Ausstellungswesens, wenn sie dasselbe — sei es auf dem Gebiete der Weltausstellungen, sei es auf dem der kleinen Ausstellungen — fördern wollen, vor allem das Wort beherzigen sollen: In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.
III. Die Entwicklung und Bedeutung der Schwachstromindustrie. Vortrag des Herrn Ingenieurs Direktors der Deutschen
Neuhold, Telephonwerke.
Die Kenntnis von der Elektrizität reicht viele Jahrhunderte zurück. Die Entwicklung der Technik in der Elektrizität nimmt aber erst ihren Anfang mit der Entdeckung V o 11 a s im Jahre 1794, daß die von Galvani im Jahre 1789 beobachtete Zuckung eines Froschpräparates nicht auf die statische Elektrizität, sondern auf die den Metallen innewohnende elektromotorische Kraft zurückzuführen sei. Die Einwirkung der Entdeckung Voltas auf die Entwicklung der Telegraphie konnte naturgemäß nicht ausbleiben. Bereits im Jahre 1753 ist ein Vorschlag gemacht worden, die statische ruhende Elektrizität zur Übermittlung von Nachrichten zu verwenden. Die diesbezüglichen Bestrebungen scheiterten jedoch an den Eigenschaften der statischen Elektrizität oder vielmehr an der mangelnden Erfahrung bzw. an der Unzulänglichkeit der angewandten Mittel. Durch die Entdeckung der Metallelektrizität ist die elektrische Telegraphie erst in Bahnen gelenkt worden, welche alsbald zu praktischen Erfolgen geführt haben. 1799 baute Volta seine uns wohl allen bekannte „Voltasche Säule" und hat damit die erste Konstruktion auf dem Gebiete der metallischen Elektrizität geschaffen. Kurz danach konstruierte er auch sein „Becherelement" und „Becherbatterie", welche Konstruktionsprinzipien den Primärelementen heute noch zugrunde liegen. 1809, also zehn Jahre nach der Entstehung der Voltasäule, hat Geheimrat S ö m m e r i n g das erstemal vorgeschlagen, den galvanischen Strom, also die Metallelektrizität, zu telegraphischen Zwecken zu benutzen. 1820 hat A m p è r e die durch den elektrischen Strom verursachte Ablenkung einer Magnetnadel für die Übermittlung von Zeichen vorgeschlagen, bis endlich im Jahre 1832 der Amerikaner Samuel M o r s e bei seinem bekannten Telegraphenapparat die Verwendung des Elektromagneten zu telegraphischen Zwecken gezeigt hat.
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Aus der Kombination des Elektromagneten mit dem Zeigertelegraphen entstanden die Typendruck-Telegraphenapparate, deren weitverbreitetster Vertreter bis heute der sogenannte ,,Hughes-Apparat", von David Edward Hughes 1855 angegeben, ist. Gewaltiges Aufsehen erregte 1860 die Nachricht, daß es einem deutschen Gelehrten gelungen sein sollte, Töne und Laute mit Hilfe des elektrischen Stromes auf entfernte Orte zu übertragen. Dieser deutsche Gelehrte war Philipp R e i s . Sein Apparat, den er „Telephon" nannte, ist eigentlich der Urahne des heutigen Mikrophons. Das elektromagnetische Telephon, wie es noch heute mit nur rein konstruktiven Änderungen und Verbesserungen im Gebrauch ist, hat Graham B e l l 1876 erfunden. Die Erfindung des Telephons bildet einen Markstein in der Geschichte der elektrischen Telegraphie. Die enorme Wichtigkeit des direkten mündlichen Gedankenaustausches gegenüber dem des schriftlichen Verkehrs hat das Telephon mit beispielloser Schnelligkeit zu einem der weitverbreitetsten und wichtigsten Verkehrsmittel gemacht. Einen Wendepunkt in der Gcschichte der elektrischen Telegraphie und überhaupt in der Geschichte der Elektrizität bildet abermals das Jahr 1866. In diesem Jahre erfand Werner v. S i e m e n s das dynamo-elektrische Prinzip und hat damit den Grund zu einer neuen Technik der elektrischen Starkstromtechnik gelegt. Dieses Kind der elektrischen Telegraphie ist seiner mütterlichen Fürsorge bald entwachsen und hat seine eigenen Wege beschritten. Zur Unterscheidung und im Gegensatz zu der „Starkstrom"-Technik hat man für die elektrische Telegraphie und die mit derselben verwandten Gebiete den Sammelausdruck „Schwachstrom" eingeführt. Vor etwa 1 y 2 bis 2 Dezennien war der Name Schwachstrom noch gerechtfertigt, da damals für telegraphische und telephonische Zwecke noch wirklich schwache Ströme verwendet wurden. Jedoch die Überbrückung immer größerer Entfernungen, die immer größer werdenden Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Apparate, sowie das Bestreben, die Stromquellen zu zentralisieren, verursachen eine stete Steigerung des Betriebsstromes. Das jüngste Kind der elektrischen Telegraphie, die drahtlose Telegraphie, läßt sich überhaupt nicht mehr in dem Sammelbegriff Schwachstrom unterbringen. Zur Entsendung von drahtlosen Telegrammen sind je nach Entfernung beträchtliche Energiemengen er-
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forderlich, so daß diese Technik zum größten Teil auf dem Gebiete des Starkstromes liegt. Aus diesem Grunde werde ich im weiteren Verlaufe dieses Vortrages die drahtlose Telegraphie und die damit eng verbundene drahtlose Telephonie völlig unberücksichtigt lassen. Wie ich vorher schon angedeutet habe, ist der Name Schwachstrom etwas verunglückt, im besonderen aber, wenn man ihn als Definition gegenüber dem Kamen Starkstrom anzuwenden versucht. Als Sammelbegriff hat er jedoch aus Gewohnheitsrecht noch seine Existenzberechtigung und verstehen wir darunter die Techniken dreier großer Gruppen und zwar diejenigen der elektrischen Telegraphie, des Signal- und Telephonwesens. Die elektrochemischen Anlagen, die Einrichtungen für Moment- und Kleinbeleuchtung, sowie die Meßinstrumente, welche in vielen Fällen auch mit schwachen Strömen arbeiten, fallen in landläufigem Sinne nicht unter den Sammelbegriff des Schwachstroms. Die drei vorerwähnten Gruppen der Schwachstromtechnik bilden in sich ziemlich abgeschlossene Gebiete, innerhalb welcher wiederum selbständige Gruppen bestehen. Der Schwachstromingenieur muß heute jedenfalls außer der allgemeinen Bildung sich Spezialkenntnisse dieser einzelnen Gruppen aneignen, wenn er erfolgreich tätig sein will. Die Telegraphie umfaßt alle Einrichtungen, welche einen indirekten Gedankenaustausch zwischen zwei voneinander entfernt liegenden Orten vermittelst beliebiger Zeichen ermöglichen. Der weit verbreitetste und einfachste Telegraphenapparat der Gegenwart ist der bereits eingangs erwähnte Apparat von Morse. Die Zeichen werden hier auf ein Papierband in Form von Punkten und Strichen aufgeschrieben. Zur Bedienung von Morseapparaten sind deshalb stets in dem sogenannten Morse-Alphabet geschulte Personen erforderlich, welche die ankommenden, für die Öffentlichkeit bestimmten Telegramme in die übliche Schriftart umschreiben müssen. Die Tatsache, daß die Telegraphisten nach einiger Übung die Telegramme nach dem Gehör aufnehmen können, hat zu der Konstruktion der Klopfertelegraphenapparate geführt. Schneller als die Morse- und Klopfapparate arbeiten die direkt schreibenden Typendrucktelegraphen. Dafür sind auch diese Apparate wesentlich komplizierter und empfindlicher. Der meist benutzte Typendruckapparat ist heute, wie ich bereits erwähnt habe, der
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Hughesapparat, welcher hauptsächlich auf den der Öffentlichkeit dienenden Haupttelegraphenlinien benutzt wird. Aus dem Bedürfnis heraus, die mit dem steigenden Verkehr notwendig werdenden und verhältnismäßig sehr teuren neuen Leitungsanlagen zu sparen, sind die Vielfach- und die Maschinentele°raphen entstanden. Die Vielfachtelcgraphen ermöglichen die gleichzeitige Sendung und Empfang mehrerer Telegramme zu gleicher Zeit auf derselben Leitung. Die Maschinentelegraphen gestatten die erhöhte Alisnutzung der Leitungsanlagc dagegen durch die erhöhte Telegraphiergeschwindigkeit. Die Sendung der Telegramme erfolgt bei den gewöhnlichen Vielfachtelegraphen direkt durch die Telegraphisten, wogegen die Maschinentelegraphen indirekt arbeiten. Hier werden die abzusendenden Telegramme auf besonderen Schreibmaschinen in Form von gelöcherten Bändern vorbereitet und diese gelochten Bänder zwecks Absendung der Telegramme mit großer Geschwindigkeit durch die Sendeapparate gezogen. Jede Telegraphenanlage besteht aus der Leitung mit angeschlossenen mindestens 2 Telegraphenapparaten und der Stromquelle. Bei Telegraphenanstalten, wo eine größere Zahl Leitungen angeschlossen sind, versucht man die Zahl der Apparate aus Zweckmäßigkeitsgründen zu vermindern. Ermöglicht wird dieses durch den Umstand, daß insbesondere in schwächeren Verkehrsstunden nicht gleichzeitig alle Linien, resp. alle Telegraphenapparate in derselben Anstalt im Betriebe sind. Die Tclegraphenlinicn werden hierbei an einen Zentralsehrank angeschlossen und mit einem Anruforgan versehen. Es sind nur soviel Telegraphenapparate und Telegraphenbeamten vorhanden, als in der größten Verkehrsstunde Leitungen im Betriebe sind. Die einzelnen Apparate werden dann je nach Bedarf mit derjenigen Leitung verbunden, welche jeweilig in Benutzung genommen werden muß. Wenig bekannt sind in Deutschland die sogenannten Börsendrucker. Diese sind einfach konstruierte Typendruck-Telegraphenapparate für den Betrieb auf kurzen Leitungen. Da sie hauptsächlich für die Zwecke der Börse gedient haben, so haben sie ihren Namen auch daher erhalten. Der Sendeapparat ist in der Börse aufgestellt, und werden alle wünschenswerten Nachrichten von hier aus unverzüglich abtelegraphiert, so daß die Interessenten sofort ihre Dispositionen treffen können. Die Aufgabe von Telegrammen erfolgt also nur in einer Richtung.
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Hier in Berlin existiert eine Ferndruckerzentrale. Die Ferndrucker unterscheiden sich von den Börsendruckern nur dadurch, daß sie für gegenseitigen Verkehr eingerichtet sind. Diese Ferndrucker, an die Ferndruckerzentrale angeschlossen, ermöglichen den telegraphischen Verkehr der Teilnehmer untereinander. AVichtigkeit hat diese Einrichtung dadurch, daß auch das Haupttelegraphenamt an diese Zentrale angeschlossen ist, wodurch die direkte Aufgabe von Telegrammen an das Telegraphenamt möglich ist. Die Depeschen werden allerdings auf dem Telegraphenamt umtelegraphiert. Der Betrieb der Ferndruckerzentrale befindet sich in Händen einer Privatgesellschaft. Dieses wäre in ganz großen Zügen der Stand der Telegraphentechnik, und glaube ich, daß ich nun auf die Behandlung der zweiten großen Gruppe der Schwachstromtechnik, des elektrischen Signalwesens, eingehen kann. Die elektrischen Signalanlagen sind eigentlich für bestimmte Zwecke spezialisierte Telegraphenanlagen. Sie unterscheiden sich von den Telegraphen wesentlich dadurch, daß sie zur Übermittelung von nur eindeutigen Zeichen dienen. Die Ermöglichung des uneingeschränkten Gedankenaustausches vermittelst der Signalanlagen ist also nicht beabsichtigt. Die Signalanlagen und Apparate sind entsprechend ihren Verwendungszwecken sehr verschieden und so vielseitig, daß ich mich hier lediglich auf die Erwähnung der Hauptgruppen beschränken muß. Zunächst erwähne ich die in jeder modernen Wohnung auffindbaren elektrischen Klingel- und Tableauanlagen. Zur Kontrolle von Temperaturen bei Fernheizwerken usw. dienen elektrische Thermometer. Elektrische Uhren kennt man zweierlei und zwar solche, bei welchen eine Stromquelle ein Feder- oder Gewichtswerk in bestimmten Zeitabschnitten selbsttätig aufzieht und dadurch die Bedienung des Uhrwerkes erspart. Eine zweite Form der elektrischen Uhr ist diejenige, bei welcher eine Hauptuhr mit Hilfe des elektrischen Stromes eine oder mehrere Nebenuhren reguliert. Aus dem Straßenbilde Berlins werden Ihnen auch die Feuermelder bekannt sein. Diese Feuermelder sind Kontaktapparate, welche gewöhnlich in größerer Zahl in eine Schleifenleitung eingeschaltet sind, und bei ihrer Betätigung ein am Ende der Schleifenleitung in der Feuerwache eingeschaltetes Alarmwerk in Tätigkeit setzen. Je nach Vollkommenheit signalisieren die Feuermelder auch ihren Stand-
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ort, so daß die Feuerwehr gleich auch den ungefähren Ort des Feuers erkennen kann. Die Wächterkontrollapparate dienen zur Kontrolle des Nachtwächters, ob er z. B . während seines Nachtdienstes alle zu kontrollierenden Stellen aufgesucht hat. Der Zweck der Wasserstandsfernmelder ist bereits durch ihren Namen gekennzeichnet. Elektrische Kommandoapparate finden in der Schiffahrt, in Gruben, bei Hochofenanlagen, auf Bahnen usw. Verwendung. Sie dienen zur Übermittelung bestimmter Befehle zur Vornahme irgendeiner Handlung. Die Telegraphie und Telephonie wendet für ihre Spezialzweeke ebenfalls vielfach Signale an, insbesondere findet man in den modernen Telephonzentralen eine große Anzahl mannigfaltigster Signalschaltungen, ohne welche ein moderner Betrieb heute garnicht mehr denkbar ist. Ausgiebigsten Gebrauch in der Verwendung von Signalapparaten und Anlagen machen auch die Eisenbahnen. In erster Reihe sind da zu nennen die elektrischen Blockapparate zur Sicherung des Zugverkehrs. Vermittelst des elektrischen Streckenläutewerkes werden die Stationen, sowie Bahnwärter von dem Ausfahren der Züge benachrichtigt. Außer diesen Einrichtungen sind noch eine Anzahl diverser Kontroll- und Sicherheitssignalapparate in Verwendung. Seit längerer Zeit werden Versuche angestellt, um das Überfahren von Haltesignalen zu vermeiden oder zu registrieren. Bisher ist eine befriedigende Lösung dieses Problems noch nicht gefunden, so daß die Erfinder noch Gelegenheit haben, die Schwachstromtechnik auch hier zum Siege zu führen. Groß ist das Gebiet der Verwendungsmöglichkeiten für Schwachstromapparate, und glaube ich, daß ich Sie m. H. nur sehr langweilen würde mit der Aufzählung der vielen noch existierenden Ausführungsarten. Es käme noch höchstens in Frage, daß ich auf die Existenz von diversen Sicherungsapparaten gegen Einbruch, sowie elektrische Tttreffner und Türschließer aufmerksam mache. Nun zur Telephonie! Das Telephon ist heute zu einem unserer wichtigsten Verkehrsmittel geworden. Während der Telegraph nur eine mittelbare Verständigung von Ort zu Ort zuläßt, ermöglicht das Telephon einen unmittelbaren mündlichen Gedankenaustausch;
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der telephonische Apparat muß also von dem Besitzer selbst bedient werden, und so ist es natürlich, daß bei keinem anderen Verkehrsmittel die Individualität des Einzelnen eine so große Rolle spielt, wie beim Telephon. Es ist zweckmäßig, wenn ich deshalb an dieser Stelle die Telephonie mehr von der verkehrstechnischen Seite aus behandle. Die Umformung der Sprache in elektrische Energie ist durch den Umstand möglich, daß eine dünne allseitig eingespannte Platte, eine sogenannte Membran in Schwingungen gerät, wenn sie von Schallwellen getroffen wird. Wenn eine derartige schwingende Platte auf stromdurchflossene bewegliche Kontakte, wie z. B. bei der Erfindung von Philipp Reis, einwirken kann, so wird der durch diese Kontakte fließende Strom analog den durch die schwingende Platte verursachten Kontaktwiderstandsänderungen in Schwingungen versetzt. Da die Energiemengen, welche derartig in Schwingungen versetzt werden können, verhältnismäßig groß sind, so ist es verständlich, wenn derartige Apparate als telephonische Sender fast ausschließlich verwendet werden. Diese Apparate werden Mikrophone genannt. Wenn eine Membran aus Eisenblech in ein magnetisches Feld gebracht wird, so verursachen ihre Schwingungen eine entsprechende schwingende Veränderung des magnetischen Feldes, und umgekehrt die Veränderungen des magnetischen Feldes versetzen die Eisenmembran in analoge Schwingungen. Die Bauart und die Wirkungsweise des elektromagnetischen Telephons ist hierdurch leicht erklärlich. Ich weise mit besonderem Nachdruck auf die Tatsache hin, daß die physikalischen elektrischen und magnetischen Eigenschaften der zu Konstruktionsteilen verwendeten Materialien die vollkommene Übertragung der Sprache nicht gestatten. Eine ganz besondere Einwirkung übt hier die Telephonleitung selbst aus. Unsere Sprache besteht aus verschiedenen Tönen und Geräuschen. Diese verschiedenen Töne und Geräusche derselben Sprache werden durch die telephonischen Apparate und Leitungen verschieden übertragen, so daß das am Ende der Leitung ankommende Gespräch verzerrt wird. Die Sprachübertragung wird auch durch verschiedene Nebenumstände beeinträchtigt, wie z. B. durch die Geräusche, die in dem Raum herrschen, von wo aus telephoniert wird, dann durch die Beeinflussung der Telephonleitunge durch andre Leitungen, insbesondere durchStarkstrom. Die erste und Hauptbedingung bei der Benutzung von Telephonapparaten ist ruhig, klar und laut zu sprechen. Ein überlautes Sprechen Gewerbliche Einzelvorträge.
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und Schreien können die Sendeapparate, die Mikrophone, nicht gut vertragen, da sie für normale Sprache konstruiert und eingestellt sind. Jeder Telephonapparat, soweit er für den allgemeinen Verkehr und nicht für Spezialzwecke dient, besteht aus 2 Hauptteilen und zwar aus der Sprechgarnitur und aus der für den gegenseitigen Anruf dienenden Signaleinrichtung. Die telephonischen Anlagen kann man in 2 Hauptgruppen einteilen. In die eine Gruppe könenn wir alle Anlagen zusammenfassen, bei welchen der Anruf und evtl. die Herstellung einer Verbindung mit dem gewünschten Anschluß durch den Anschlußsuchendcn selbst vorgenommen wird. Die einfachste Anlage dieser Art ist diejenige, wo mehrere Apparate in eine Leitung eingeschaltet sind, die sich dann gegenseitig durch verabredete Zeichen anrufen. Vollkommener sind schon die sogenannten Linienwähleranlagen, bei welchen die Wahl des gewünschten Anschlusses ohne Störung und unabhängig von den übrigen erfolgt. Die vollkommensten telephonischen Anlagen, welche zu dieser Gruppe gehören, sind die vollautomatischen Vermittelungssysteme. Alle diese vorbeschriebenen Anlagen kommen also überall dort in Frage, wo eine besondere Person für die Gesprächsvermittelung nicht möglich oder nicht gewünscht ist. Die andere Gruppe ist etwas einheitlicher. Sie umfaßt alle diejenigen Anlagen, bei welchen die gewünschte Verbindung und evtl. auch der Anruf des verlangten Teilnehmers durch eine Vermittelungsperson bewerkstelligt wird. Es existieren allerdings auch Telephonanlagen, bei welchen die Merkmale beider obenerwähnten Gruppen vorhanden sind. Eine Hauptvertreterin dieser Typen ist die bekannte Kombination zwischen einer privaten Telephonanlage mit Anschluß an das staatliche Netz. Hier werden die privaten Verbindungen z. B. nur innerhalb eines Geschäftshauses, sowie alle ausgehenden Gespräche mit dem Stadtnetz ohne Dazwischentreten einer zweiten Person vom Sprechenden direkt ausgeführt, wogegen alle vom postalischen Netz ankommenden Anrufe von einer bestimmten Person an die gewünschte Stelle weitergegeben werden müssen. Diese Art Anlagen mit teilweiser Bedienung sind hauptsächlich entstanden, weil es bisher noch nicht gelungen ist, die betriebstechnischen Schwierigkeiten, welche mit der direkten Vermittelung von Gesprächen vom postalischen Netz aus verbunden sind, zu beheben. Ich unterlasse es
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deshalb auch, für diese Art kombinierter Anlagen eine Gruppe für sich aufzustellen. Die Telephonanlagen, bei welchen die gewünschten Verbindungen ohne Vermittelungsperson Zustandekommen, sind sehr mannigfach und werden für die verschiedenartigsten Bedürfnisse hergestellt. Ich erwähne die diversen Wohnungstelephone mit Anschluß der Wohnräume an die Küche, die Telephonanlagen der Geschäftshäuser und Industrie-Etablissements. Detaillierungen an dieser Stelle sind unmöglich, und ich kann nur sagen, daß wohl keine unserer technischen Industrien so sehr der Laune und Phantasie der Auftraggeber sich anpassen muß, als die Telephonindustrie. Telephonanlagen mit Verbindungsvermittelung, die sogenannten Zentralumschalter, finden in größeren Privatbetrieben ebenfalls vielfach Verwendung, jedoch die wichtigsten dieser Art sind die für den allgemeinen Verkehr dienenden Fernsprechanstalten. Die Zentralumschalter sind Schaltapparate besonderer Art und so konstruiert, daß vermittelst derselben die beliebige Zusammenschaltung der daran angeschlossenen Telephonleitungen möglich ist. Zu diesem Zweck erhält jede Leitung an dem Zentralschrank ein Anrufzeichen und eine Abfrageklinke. Für die Verbindungsherstellung sind Stöpsel mit Schnüren, sowie diverse Schalter vorhanden, mit welchen die Bedienungsperson ihren Sprechapparat mit den Leitungen der Teilnehmer in Verbindung bringen und unter Umständen den Anruf des gewünschten Teilnehmers bewerkstelligen kann. Bei steigender Zahl der Anschlüsse und mit zunehmender Verkehrsstärke wird die Leistung einer Person nicht mehr ausreichend für die Bedienung, und müssen weitere Personen in den Dienst gestellt werden. Bei mehr als 3 Bedienungspersonen reicht jedoch der gewöhnliche Zentralumschalter nicht mehr aus, da die Abfrageklinken derjenigen Teilnehmer, welche im Arbeitsbereiche der ersten Bedienung liegen, für die vierte Bedienungsperson nicht mehr zugängig sind. Um diesem Übelstand abzuhelfen, hat man für jede Teilnehmerleitung außer der Abfrageklinke noch mehrere andere Klinken vorgesehen und diese so verteilt, daß je eine immer 2—3 Bedienungspersonen zugängig ist. Die Verbindung erfolgt hier nun stets durch diese besondere Verbindungsklinke. Da diese Klinken für jede Teilnehmerleitung vielfach vorhanden sind, so werden diese Art Zentralumschalter auch Vielfachscliränke genannt. Die Vielfachumschalter finden heute fast ausschließlich in 5*
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allen Yermittelungsämtern Verwendung. Durch diese Umschalter ist es möglich, etwa 10—30 000 Teilnehmer in einem Amte so zusammenzufassen, daß die Verbindung eines bestimmten Teilnehmers mit einem beliebigen anderen durch eine Bedienungsperson so ausgeführt werden kann, daß sie nicht von ihrem Platz fortzugehen braucht. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, daß es nicht zweckmäßig ist, die Vielfachumschalter größer, als für 10 000 Teilnehmer zu bauen, insbesondere nicht dort, wo die Ausdehnung des Netzes sowieso mehrere Ämter erfordert, über die Schaltung der Viclfachumschalter muß ich soviel erwähnen, daß heute ausschließlich die sogenannte Zentralbatterieschaltung angewendet wird. Früher hat man nämlich die Batterien für die Teilnehmermikrophone, sowie für den Anruf des Amtes die Induktoren bei den Teilnehmern aufgestellt. Es ist nun klar, daß infolge der täglich nur sehr geringen Beanspruchung dieser einzelnen Stromquellen überflüssig viel Kapital aufgewendet war, und die Wartung der so zerstreut liegenden Batterien sehr kostspielig wurde. Die Vereinigung der einzelnen Stromquellen und Verlegung nach dem Fernsprechamte hat also einen wesentlichen Fortschritt bedeutet. Um über die Wirkungsweise der Fernsprechämter eine kurze Erläuterung zu geben, wollen wir einen Verbindungsvorgang verfolgen. Wir nehmen das Teilnehmerverzeichnis zur Hand und suchen die Anschlußnummer eines Geschäftsfreundes heraus. Er ist z. B. an dasselbe Amt angeschlossen wie wir und hat beispielsweise die Nummer: Siebentausendeinhundertzweiundvierzig. Wir nehmen den Hörer vom Haken und beim Melden des Amtes geben wir die obige Nummer an. Beim Abnehmen des Hörers vom Haken erscheint im Amte das Anrufzeichen. Die Beamtin greift einen Abfragestöpsel und führt ihn in die Abfrageklinke, über welcher das Anrufzeichen nun erscheint. Sie schaltet sich in die Leitung ein und mit „Hier Amt" meldet sie sich. Nachdem sie die Nummer des verlangten Anschlusses vernommen hat, greift sie den Verbindungsstöpsel, sucht in dem Vielfachklinkenfelde die Verbindungsklinke 7142 aus und stellt durch Stecken des Stöpsels in diese Klinke die Verbindung her, wonach sie durch Umkippen des Rufschlüssels Rufstrom in die Leitung schickt. An dem Schlußsignal kann sie beobachten, wann der Gerufene sich meldet und wann die beiden miteinander Verbundenen ihre Hörer wieder anhängen. Erscheinen beide Schlußzeichen, so trennt sie die Verbindung.
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Komplizierter wird dieser Vorgang, wenn sich der gewünschte Anschluß in einem anderen Amte befindet. Wenn mehrere Ämter, wie z. B. hier in Berlin, vorhanden sind, so sind diese durch Verbindungsleitungen miteinander verbunden. Diese Verbindungsleitungen werden hier in Berlin auf zweierlei Art betrieben. Die alte Weise, wie sie noch heute bei den meisten Ämtern betrieben wird, besteht darin, daß man nach der Meldung des Amtes zunächst das fremde Amt verlangt, und die Beamtin uns hierauf mit der Verbindungsleitung verbindet und das fremde Amt anruft. Nach Meldung des zweiten Amtes teilen wir erst die gewünschte Nummer mit. Die Beamtin des zweiten Amtes stellt dann die Verbindung endgültig in dem Vielfachklinkenfeld ihres Amtes in ähnlicher Weise her, wie vorbeschrieben. Nach der neuen Methode wird die Verbindung mit Hilfe der sogenannten Dienstleitungen bewerkstelligt. Nach Meldung unseres Amtes' teilen wir sogleich die Amtsbezeichnung und die Teilnehmernummer mit, worauf die Beamtin unseres Amtes mit Hilfe einer Dienstleitung und einer Beamtin im zweiten Amte die Verbindung ausführt. Wenn wir den ganzen Verbindungsvorgang beobachten, so wird uns eine große Zahl Eigentümlichkeiten auffallen, deren Berücksichtigung bei der heutigen intensiven Benutzung des Telephons unbedingt erforderlich ist. Zunächst wird uns heute nicht mehr einfallen, die Teilnehmernummer Siebentausendeinhundertundzweiundvierzig in ihrer vollkommenen Ausdehnung herzusagen, sondern wir lassen die Bezeichnung tausend und hundert weg und teilen die Zähl in 2 Gruppen, also in 71 und 42, wodurch wir etwa V3 der Zeit für die Aussprache der Nummer sparen und für die Telephondame verständlicher werden. Im Teilnehmerverzeichnis hat die Kaiserliche OberPostdirektion die Teilnehmernummern schon vorsorglich gruppiert und auf Seite 5 dazu die Gebrauchsanweisung gegeben. Die Zahlen der deutschen Sprache sind nicht sehr günstig für die telephonische Übertragung. Die Vokale werden durch das Telephon besser übertragen als die Konsonanten. Die Betonung beim Sprechen fällt ja außerdem auch stets auf die Vokale, so daß nun die Zahl mit demselben Vokal wie eins, zwei, drei, sowie auch die Zahlen vier und sieben, vierzig und siebzig usw. oft verwechselt werden. Es ist also empfehlenswert, zwecks Vermeidung von Mißverständnissen und falschen Verbindungen die Zahlen durch Betonung und
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Aussprache besser von einander zu unterscheiden. So wird man zweckmäßig statt zwei „zwee", statt sieben „sibehn", statt siebzig „siebenzig" usw. sagen. Die Änderung in der Bezeichnung der Berliner Fernsprechämter wird auch aus diesem Grunde erfolgen. Beim Sprechen müssen wir den Hörer mit leisem Druck gegen das Ohr drücken und unseren Mund etwa in 2—3 cm Entfernung zum Sprechtrichter bringen. Die Stimme muß klar und laut sein. Ich würde Ihnen m. H. alles dieses von dieser Stelle aus gewiß nicht vortragen, wenn ich nicht fast jeden Tag Zeuge von widersinniger Behandlung von Telephonapparaten wäre. Beim Telephonieren, insbesondere beim Anruf des Amtes soll man die Ruhe vollkommen bewahren und auch höflich sein und wenn man ein paar mal nicht verstanden wird, nicht die Fassung verlieren. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß eine Telephonistin in einem Berliner Fernsprechamt in der stärksten Verkehrsstundc etwa 250 und während ihres täglichen Dienstes über 1300 Verbindungen auszuführen hat. Wenn Sie also überlegen, daß eine einzige Telephonistin nur innerhalb einer Stunde mehr als 200 mehr oder weniger unliebenswürdige Stimmen hören und undeutlich gesprochene Zahlen erraten muß, dann wird in Ihnen etwas mehr Mitgefühl für die oft gelästerten Telephondamen rege werden. Der moderne Zug in der Fernsprechtechnik, insbesondere aber in der Technik des Fernsprechamtsbaues, geht in der Richtung des maschinellen Ersatzes der Menschenarbeit. Die Arbeit der Beamtin in der Zentrale wird also je nach Erfordernis teilweise oder ganz durch Mechanismen ersetzt, um nach Möglichkeit Betriebskosten zu sparen. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle auch auf diese automatischen Einrichtungen einzugehen. Ich werde nun versuchen, auf Grund einiger statistischer Zahlen die Bedeutung und den Umfang der telegraphischen und telephonischen Anlagen zu demonstrieren. Vorausschicken muß ich, daß statistische Zahlen nur für die dem allgemeinen Verkehr dienende Anlagen vorhanden sind und, soweit diese Zahlen neueren Datums sind, auf Schätzungen beruhen. Die deutsche Reichspostverwaltung hat z. B. die letzten statistischen Daten im Jahre 1906 veröffentlicht. Aus der Statistik dieses Jahres habe ich die Hauptzahlen vergleichend nebeneinander gestellt. Wir können hier sehen, wie gewaltig der telephonische Verkehr dem telegraphischen gegenübersteht. Von einer Welt-
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fernsprechstatistik standen mir für das Jahr 1909 zwei geschätzte, aber interessante Zahlen zur Verfügung. Wie wir aus dieser Statistik sehen, stehen an erster Stelle das klassische Land des Telephons: Die Vereinigten Staaten Amerika mit über 7 Millionen Sprechstellen. Fast 70 % aller Fernsprechstellen der Erde entfallen auf die Vereinigten Staaten. An zweiter Stelle marschiert Deutschland an der Spitze der europäischen Staaten mit über 900 000 Sprechstellen. Wenn wir diese Zahl mit der Zahl von 1906 vergleichen, so finden wir, daß die jährliche Zunahme mit etwa 10 % geschätzt wurde. Es ist etwas verwunderlich, daß England nicht mehr Telephone aufzuweisen hat, um so mehr, als die Telephonie in England bis jetzt nicht verstaatlicht war. Soviel mir bekannt ist, hat die englische Regierung befürchtet, daß durch Ausbreitung des Telephons den verstaatlichten Telegraphen eine Konkurrenz erwächst und deshalb auf die Entwickelung der Telephonie hemmend eingewirkt. Die Verstaatlichung des Telephons steht in England jetzt bevor. Ungünstig sind auch die Zahlen Frankreichs. Hier wird die Ursache in dem allen romanischen Ländern eigentümlichen schlechten Telephondienst und Instandhaltung zu suchen sein. Die nun folgende Zahlenzusammenstellung zeigt die Dichte des Telephons auf je 100 Einwohner entfallend. Wie wir sehen, stehen hier die Vereinigten Staaten weitaus an der Spitze. Telephonfanatiker behaupten, Amerika verdanke seine wirtschaftliche Entwickelung in erster Reihe dem ausgiebigen Gebrauch des Telephons. Wenn auch diese Behauptung stark übertrieben ist, steckt doch viel Wahrheit darin, welche in dem Sinnspruch der Amerikaner „Zeit ist Geld" gipfelt. In Europa sind uns im Gebrauch des Telephons die kleinen nordischen Staaten und sogar die Schweiz überlegen und in der Tat steht der Gebrauch des Telephons bei uns nicht im richtigen Verhältnis zu unserem stark entwickelten Handel und Industrie. Die Dichte des Telephons ist naturgemäß stets in den Städten am größten. Die diesbezügliche Zusammenstellung zeigt, daß in Europa auch hier die nordischen Staaten uns weit voraus sind, und Berlin lange nicht diejenige Stellung einnimmt, die ihm nach seiner Bedeutung als Handels- und Industriezentrum zukommt. Die Statistik auf dem Gebiete der Telegraphie und Telephonie sowie die Feststellung der Ursache der Entwicklung und der Wechselwirkung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Benutzung dieses
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Verkehrsmittels ist eine Wissenschaft für sich und liegt auf dem Gebiete der Verkehrstechnik und Nationalökonomie. Leider wird die Schwachstromtechnik in dieser Beziehung stiefmütterlich behandelt. Hier ist also für die berufsmäßigen Verkehrstechniker und Nationalökonomen noch wahrlich viel zu schaffen. Die besprochenen Fernsprechstatistiken können uns auch eine Erklärung über die wirkliche Ursache der allgemeinen Unzufriedenheit in betreff der angekündigten Telephontarifreform geben. Die häufige Benutzung des Telephons läßt uns die geringste Verteuerung ungerecht erscheinen. Ich erinnere an die Erregung bei der Einführung der Zündholzsteuer. Die Ausgaben für Zündhölzer in einem Haushalt spielen im Verhältnis eine ebenso geringe Rolle wie die Telephongebühren im Budget eines Geschäftsmannes. Es steht mir fern, in irgendeinem Sinne Stellung zur Frage der Gebührenreform zu nehmen. Ich stelle lediglich nur die Tatsachen als Fachmann fest. Ein Verkehrsmittel genau wie ein Gebrauchsartikel muß in erster Reihe gut sein, um das Publikum zu dessen Benutzung überhaupt anzuregen. Natürlich muß dann in zweiter Reihe die Billigkeit das Verkehrsmittel popularisieren. Um ein Verkehrsmittel gut zu gestalten und zu erhalten, muß auf Grund eines richtigen Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung die VerkehrsVerwaltung angeregt werden, ihre technischen Einrichtungen dauernd auf einer vollkommenen Stufe zu erhalten und, dem Fortschritt der Technik entsprechend, stets zu verbessern, und dazu ist der heutige Telephon-Pauschaltarif wahrlich nicht angetan. Ich will hier ein interessantes Beispiel vorbringen. Die Reichspostbehörde hat in Hamburg mit großen Kosten und Mühen ein neues Fernsprechamt erbaut, in welchem alle erdenklichen technischen Mittel anwendet sind, die Anrufe der Teilnehmer möglichst schnell zu erledigen. Die Wirkung ist auch nicht ausgeblieben, indem die Benutzung des Telephons von dem Tage der Betriebseröffnung an in stetem Steigen ist, und zwar in einem viel höheren Maße als damit gerechnet wurde und als unter normalen Verhältnissen zu erwarten gewesen wäre. Diese Tatsache ist an und für sich recht erfreulich, doch nicht für die Reichspostverwaltung, denn die erhöhte Benutzung der Apparate bedingt die Erhöhung der Betriebskosten, für deren Deckung keine erhöhten Abonnementsgebühren entgegenstehen, weil ja die Betriebsßteigerung hauptsächlich durch die Pauschgebührenteilnehmer ver-
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ursacht wird. Unter diesen Umständen erscheint also die anderweitige Regelung der Gebührenfrage im Interesse eines guten und einwandsfreien Betriebes als eine Notwendigkeit. Nun kehren wir wieder zurück zur Schwachstromtechnik. Jede Schwachstromanlage besteht aus den Apparaten, den Leitungen und den Stromquellen. Für jeden dieser Teile sind heute Spezialindustrien tätig. Die Apparate werden von Schwachstromapparatfabriken hergestellt. Die Leitungen liefern die Drahtziehereien und die Drahtund Kabelwerke. Als Stromquellen werden Primärelemente und Akkumulatoren verwendet. Dementsprechend findet man Fabriken, welche ausschließlich Elemente oder nur Akkumulatoren anfertigen. Die Apparate bestehen aus Holz, diversen Metallen, blanken und isolierten Drähten, Isolationsmaterialien. Die Leitungen werden hergestellt aus Eisen, Stahl, Kupfer usw. Als Isolationsmaterial dient Porzellan, Papier, Gummi, Seide, Wolle und Baumwolle, "Wachse, Teere, öle usw. Für den Bau von Linien kommen Holz- und Eisenmasten, Eisenstützen, Zementkanäle und viele diverse Hilfsmaterialien in Frage. Entsprechend dieser Vielseitigkeit ist die Zahl der für die Schwachstromtechnik arbeitenden Industrien eine sehr große. Bis zum Jahre 1909 sollen nach einer amerikanischen Statistik allein für die telephonischen Einrichtungen auf der Erde etwa 6 Milliarden Mark investiert gewesen sein, also etwa 600 M. für eine Fernsprechstelle. Von diesen 600 M. entfallen schätzungsweise etwa 150 M. auf Apparate und Amtseinrichtungen und etwa 450 M. auf die Leitungen. In Anbetracht dessen, daß die Draht- und Kabelindustrie den kleinsten Teil an der Entwicklung der Schwachstromtechnik teilnimmt, ist diese Wertverteilung eine sehr ungerechte. Die deutschen Schwachstromapparatfabriken haben im Jahre 1909 in mehr als 150 Gewerbebetrieben etwa 9- bis 10000 Arbeiter beschäftigt, was einem Produktionswert von etwa 40 Millionen Mark entspricht. Hiervon hat die deutsche Reichspostverwaltung etwa 10 Millionen konsumiert. Die gesamte Ausfuhr beträgt rund 16 Millionen Mark. Der Rest von 14 Millionen ist dann im Inlande von den übrigen deutschen Telegraphen-, Telephon-, Eisenbahn- und sonstigen Behörden sowie von Privaten aufgenommen worden. Die Einfuhr war nicht nennenswert und betrug kaum eine halbe Million Mark. Die Produktion in Schwachstromkabeln und -drähten mag wohl schätzungsweise 150 Millionen Mark betragen haben. Es war mir nicht möglich,
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hierüber annähernd genaue Zahlen zu erhalten. Die Elementindustrie soll ausschließlich der Akkumulatoren etwa 6 Millionen Mark produziert haben, von welchen etwa 2 Millionen nicht zu Zwecken des Schwachstromes verbraucht wurden. Das Zentrum der Schwachstromindustrie ist Berlin. Hier beschäftigen die fünf größten Schwachstromfirmen allein über 5000 Arbeiter. Die wirtschaftliche Lage der Schwachstromapparatfabriken ist als wenig befriedigend zu bezeichnen. Der Grund wird wohl hauptsächlich in der großen Interessen Verschiedenheit zwischen den Großund Kleinfirmen zu suchen sein, welche jede Vereinbarung und jeden Zusammenschluß von vornherein ausschließen. Die Preispolitik der Reichspostbehörde, des größten Abnehmers für unsere Industrie, wie auch der Drang einiger größerer Firmen, lediglich den Umsatz steigern und ins Geschäft kommen zu wollen, sowie der Kampf gegen diese Firmen trägt viel zu dem stetig sinkenden Preisniveau bei. Eine allgemeine Gesundung könnte eintreten, wenn eine größere Zahl der Schwachstromfirmen infolge der immer schlechter werdenden Preise sich anderen technischen Gebieten oder Spezialitäten zuwenden oder, was allerdings nicht im nationalen Interesse liegt, zugrunde gehen würde. Eine andere Lösung dieser Frage wäre dadurch möglich, daß die großen Firmen die kleinen allmählich in sich aufnehmen würden, was wiederum ohne opferwillige Hilfe der interessierten Finanzgruppen kaum möglich erscheint. Die Konjunktur betreffend kann ich behaupten, daß wir uns dauernd in einer stetig aufsteigenden Linie befinden. Die vorher gezeigte Statistik lehrt uns, daß für die deutsche Schwachstromindustrie noch sehr viel Arbeit bevorsteht, bevor wir diejenigen Verhältniszahlen erreichen, wie z. B. die Amerikaner heute schon haben, und diese Zahlen werden und müssen wir erreichen. Ich glaube, daß es sehr vorteilhaft sein würde, wenn die Schwachstromfirmen, ähnlich wie dies die Starkstromfirmen bezüglich der Verwendung des elektrischen Stromes tun, die zwechmäßige und ausgiebige Verwendung des Telephons und sonstiger Schwachstromfabrikate durch eine besondere Organisation propagieren würden.
IV.
Die Entwicklung und Organisation des Eisenhandels. Vortrag des Herrn C. L. N e t t e r , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin.
Wohl kaum ein Produkt auf der weiten Erde war seit Menschengedenken bis in die heutige Zeit hinein m e h r berufen, einen Machtfaktor in bezug auf die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Menschheit zu bilden, wie das Eisen; es ist nicht nur das weitverbreitetste und das am meisten verwendete Metall, sondern es bedingt und beherrscht unsere moderne Kultur. Das Eisen liefert die Werkzeuge, die Waffen, die Maschinen, vermittelst deren es den Menschen gelungen ist, die Welt zu erobern. Die Gegenwart als das Zeitalter des Eisens zu bezeichnen, ist wohl kaum zu viel gesagt. Die rückwärtsschauende Geschichtsschreibung künftiger Zeiten wird feststellen, daß das, was unserer Zeit das charakteristische Gepräge aufdrückt, die naturwissenschaftliche Erkenntnis war, sowie die Ausgestaltung der Technik, deren wesentlichstes Mittel das Eisen ist. Nach Prof. Sombart „sind die gewaltigen Leistungen, welche der Menschengeist im 19. Jahrhundert auf technischem Gebiet vollbracht hat, unerhört in der Weltgeschichte. Niemals ist auch nur annähernd in gleicher Zeit die Herrschaft des Menschen über die äußere Natur dermaßen erweitert, niemals sind, soviel wir wissen, in wenigen Menschenaltern die Grundlagen, auf denen das technische Vollbringen ruhte, so vollständig umgestürzt worden". — Soweit wir auf die Geschichte des Menschengeschlechts zurückblicken, waren Zivilisation und Kultur zu einem großen Teil abhängig von der Technik, diese aber beruht wieder auf dem ihr zur Verfügung stehenden Material. Franklin erkannte in der Herstellung yon Werkzeugen den Ausgangspunkt aller Kultur. Während das erste Kohmaterial für Waffen und Werkzeuge aus Holz, Knochen und Stein bestand, ging man bald zu deren Bearbeitung über, und darin beruhte lange Zeit der technische Fortschritt. Waren auch Waffen und Werkzeuge, Pflug und Wagen, Schiffe und Zeltgestelle jahrtausendelang aus Holz, von ganz gewaltigem, wirtschaftlichem und kulturellem Wert wurden sie aber erst, als das Holz auf vielen Gebieten durch Eisen verdrängt wurde. Ich
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verweise nur auf den Schiffs- und Eisenbahnbau, bei welchem, ebenso wie bei beinahe allen Errungenschaften der modernen Technik, das Eisen als selbstverständliches Baumaterial Verwendung findet. Die Vorherrschaft des Eisens über das Holz verdanken wir zum erheblichen Teile der Leichtigkeit seiner Gewinnung. Um Holz zu haben, müssen Menschenalter hindurch dazu geeignete Teile der Erdoberfläche der Sonne, dem Wind und dem Regen ausgesetzt werden, weil nur dadurch ein Baum zu gedeihen vermag. Das Eisen aber wird als fertige Frucht aus dem Schöße der Erde geholt, es braucht nicht zu wachsen und sich langsam zu entwickeln, Zeit und Raum sind ausgeschaltet. In ungeheuren Mengen findet sich das Eisen in der Erde in allen Erdteilen und in beinahe allen Ländern, und zwar in nicht allzu großer Tiefe, so daß es mit nicht erheblichen Kosten, allerdings vermischt mit anderen Bestandteilen, als Eisenerz zur weiteren Verarbeitung zutage gefördert werden kann. Die erste große Umwälzung verursachte das Eisen als volkswirtschaftlicher Faktor während des 15. und 16. Jahrhunderts; es wurden die ersten Hochöfen gebaut, die Kraft des Wassers wurde zum Bewegen der Blasebälge benutzt, man verwandelte das Eisenerz in flüssiges Roheisen, und dieses wurde zu Gebrauchsgegenständen verschiedenster Art weiterverarbeitet; es begann die Blütezeit des Schmiede- und Schlosserhandwerks, die moderne Waffentechnik erblickte das Licht der Welt, eine neue Zeit begann, als deren Vater der aufkommende naturwissenschaftliche Geist, und als deren Mutter die Eisentechnik angesehen werden könnte. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurden der AVeit die Dampfmaschinen, später die Spinnereimaschinen, beschert, und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dampfte der erste Eisenbahnzug durch das Land. Nun stieg der Eisenverbrauch ganz rapide, er betrug in Deutschland 1840—1847125,1910 230 Kilo pro Kopf der Bevölkerung. Die durch die Verwendung von Eisen bedingte große Wirkung der modernen Maschinen liegt in der Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit, sodann in der Verkehrserleichterung. Menschen, Güter und Nachrichten bewegen sich oder werden auf die größte Entfernung bewegt. Die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen vollzieht sich glatt und ohne Schwierigkeiten. Eine geographische Arbeitsteilung, ein Welthandel, große und trotzdem leicht regierbare Staaten, ein die fernsten Gegenden verbindendes
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Post-, Telegraphen- und Eisenbahnnetz, eine Verbilligung der menschlichen Bedürfnisse waren die Folge. Es bildete sich Kapital in großen Mengen, der Zinsfuß sank und es trat ein allgemeines Steigen des Volkswohlstandes ein, das Eisen wurde zum Wohltäter der Menschheit. Die Grundform des Eisens ist das E i s e n e r z , und aus diesem erfolgt die Darstellung des Eisens. Ohne fremde Beimischung kommt es nur in ganz geringfügigen Mengen auf der Erdoberfläche als Meteoreisen vor; sonst wird es nirgends als reines Eisen gefunden. Die hauptsächlichsten Eisenerzgattungen mit einem Reineisengehalt von 20 bis 60% sind: S p a t e i s e n s t e i n , das im Siegerland gefunden wird, B r a u n e i s e n s t e i n , speziell oberschlesischer Provenienz, M i n e t t e aus Lothringen und Luxemburg und R o t e i s e n s t e i n aus dem Siegerland und Nassau. Für unsere heimische Eisengewinnung kommt noch M a g n e t e i s e n s t e i n , schwedischen Ursprungs, in Betracht. Die erste Etappe in der Gewinnung des Eisens ist die in den sogenannten Hochöfen erfolgende Herstellung des R o h e i s e n s . Im Mittelalter erfolgte die Eisendarstellung sehr einfach durch Schmelzen von reinen Eisenerzen mit Holzkohlen in Gruben oder kleinen Öfen; in d e m Maße jedoch, wie einerseits der Verbrauch zunahm, und man andererseits mehr und mehr dahin gelangte, statt der reinen, leichtflüssigen Erze auch die schwerer verhüttbaren Materialien zu verarbeiten, entwickelten sich die heutigen Hochöfen. Vermittelst dieser wird das g r a u e oder G i e ß e r e i r o h e i s e n mit einem Kohlenstoffgehalt von 2,5 bis 4% dargestellt, sowie das w e i ß e Roheisen mit einem Kohlenstoffgehalt von etwa 2,3%. Das G i e ß e r e i r o h e i s e n wird durch eine zweite Schmelzung in den Eisengießereien, deren es etwa 1600 in Deutschland gibt, als gewöhnlicher Eisenguß, Stahlform- oder Temperguß zum Gußeisenfabrikat, d. h. zu Maschinenteilen, Säulen, Röhren, Öfen, Heizkörpern, Töpfen, Kesseln, Rädern, Pumpen und Gebrauchsgegenständen jeder Art verarbeitet. Dagegen dient das w e i ß e R o h e i s e n hauptsächlich zur Herstellung von Schweiß- und Flußeisen sowie von Gußund Werkzeugstahl. Das im Puddelofen hergestellte S c h w e i ß e i s e n , das früher eine außerordentlich große Rolle gespielt hat, gerät immer mehr ins Hintertreffen, immerhin findet es als Q u a l i t ä t s e i s e n noch häufige Verwendung und wird in Rheinland und
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Westfalen durch den Verband der Schweißeisenwerke dem Konsum zugeführt. Von überragender wirtschaftlicher Bedeutung ist heute auf dem Eisenmarkte das F l u ß e i s e n , das aus dem weißen Roheisen auf den Stahlwerken nach verschiedenen Verfahren gewonnen wird. Neben dem Bessemer- und Thomas-Prozeß hat das Siemens-Martin-Verfahren Hauptanteil an der gegenwärtigen Massenerzeugung. Aus dem sich durch eine große Festigkeit auszeichnenden Flußeisen werden heute beinahe ausschließlich die Eisenbahnschienen, Schwellen, I-Träger, Konstruktionseisen usw. hergestellt. Bei dem Puddelprozeß (Schweißeisen) wie bei dem Bessemer-, Thomas- und Siemens-Martin-Prozeß (Flußeisen) wird das Roheisen zunächst nur zu den sogenannten Rohblöcken und Rohbrammen, kurz Rohstahl genannt, verarbeitet, aus welchen wieder die Halbfabrikate, Knüppel für Walzdraht, Streifen für schmiedeeiserne Röhren, vorgewalzte Blöcke, Brammen oder Platinen für Grob- und Feinbleche, kurz Halbzeug genannt, hergestellt werden. Aus diesen wird in den Walzwerken schließlich das Fertigeisen gewalzt, das roh, ganz oder teilweise bearbeitet oder veredelt als Schienen, I-Träger, Stabeisen, Bandeisen, Röhren, Draht, Profileisen, Grob- und Feinblech in den Konsum übergeht. Auch die Elektrizität hat bereits in der Eisenerzeugung ihren Einzug gehalten; die elektrischen Stahlschmelzöfen sind aus dem Versuchsstadium herausgetreten, und die bisher erzielten Erfolge werden von nicht zu unterschätzendem Einfluß auf eine Steigerung der Leistungsfähigkeit in der schweren Eisenindustrie sein und eine fortschreitende Verbesserung der Eisenerzeugnisse bilden. Das wertvollste bezw. das am teuersten bezahlte Produkt der Eisenindustrie ist der W e r k z e u g - u n d G u ß s t a h l , der nach verschiedenen Methoden, je nach dem Verwendungszweck, aus Roheisen in Puddel-, Raffinier-, Elektrostahl und Stahlformguß umgewandelt und schließlich zur Herstellung von Werkzeugen, Bohrern, Sägen, Hämmern, Schreibfedern, Klaviersaiten usw. usw. verwendet wird. Nur dadurch, daß die Technik der Guß- und Werkzeugstahlfabrikation ein für jeden Zweck geeignetes Produkt zu einem verhältnismäßig nicht zu teuern Preise liefern kann, war es möglich, Bergbahnen, Schnellbahnen, Tunnels, Fahrräder, Automobile, Luftschiffe, Diebes- und feuersichere Kassenschränke, Preßluftwerkzeuge
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usw. herzustellen, und alle Erfolge der modernen Technik verdanken ihr Dasein nicht zum geringsten Teile der Vervollkommnung in der Stahlerzeugung. Daß man heute schwere Eisenplatten und Eisenblöcke wie Holz durchsägen und schneiden, bohren und hobeln kann, ist einzig und allein auf dasselbe Konto zu setzen. Die Wiege des Werkzeugstahls stand in England, das in früherer, nicht allzu ferner Zeit, die Führerschaft auf beinahe allen Gebieten der Eisenindustrie und des Metallhandels inne hatte. Neben dem umfangreichen Handel in Eisen und Metallen entwickelte sich ein bedeutender Handel in Stahl, besonders in dem in Tiegeln geschmolzenen Gußstahl. Trotzdem in neuerer Zeit in Deutschland die Stahlerzeugung einen hohen Grad der Vervollkommnung erreicht hat, so wirken doch die alten Handelsbeziehungen zu England noch so weit nach, daß englischer Gußstahl in ziemlich beträchtlichen Mengen in Deutschland gehandelt und verarbeitet wird. Für die Fabrikation feiner Nähnadeln, zur Herstellung von Rasiermessern usw. wird heute noch beinahe ausnahmslos englischer Stahl verwendet, ebenso wie steyrischer Stahl zur Fabrikation von Sensen und Sicheln benutzt wird. Auf dem Gebiete hochwertiger Konstruktionsstahle, d. h. der Stahle für die Herstellung hochbeanspruchter Teile, z. B, für Automobile, ist Deutschlands Leistungsfähigkeit unübertroffen. und der Export nach England und allen überseeischen Ländern hat, sei es direkt, sei es durch die Vermittlung Hamburger oder sonstiger Exportfirmen, eine große Bedeutung erlangt. Wenn auch Stahl in beinahe jedem Eisengeschäft zu haben ist, so existiert doch eine ganze Anzahl von Spezialfirmen, die den Bedarf der Eisen- und Eisenwarengeschäfte, aber öfters auch den der Konsumenten direkt, versorgen. Ehe ich nun aber mich ganz auf das Gebiet der Organisation des Eisenhandels begebe, möchte ich meine technischen Angaben durch einige wichtige statistische Daten ergänzen. Bei der enormen Bedeutung des Eisens für beinahe alle menschlichen Einrichtungen und bei seiner vielseitigen Verwendbarkeit ist die Frage wohl nicht unberechtigt, ob die Erde für ferne Zeiten genügende Mengen von diesem heute nicht mehr entbehrlichen Material herzugeben imstande ist. Ich glaube die beruhigende Versicherung abgeben zu können, daß die Erzvorräte so reichlich sind, daß man der Zukunft ohne Sorge entgegensehen kann. Selbst bei vorsichtiger Schätzung kommt man auf dem Bergbau zugängliche Eisenerzlager Gewerbliche EinzelvortrUge.
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von etwa 10 Milliarden Tonnen, welche über die ganze Erde verstreut liegen und wovon ungefähr ein Viertel auf Deutschland entfällt. Die voraussichtliche Förderungsdauer wird auf 500 bis 1000 Jahre geschätzt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das verarbeitete Eisen nicht, wie z. B. die geförderte Kohle, dauernd dem Verkehr entzogen ist; ein großer Teil kehrt durchschnittlich nach drei Dezennien als Altoder Abfalleisen in die Eisenhütten, insbesondere in die SiemensMartin-Stahlwerke, oder als altes Gußeisen in die Eisengießereien zurück. Die E i s e n e r z Produktion betrug in Deutschland im Jahre 1909 etwa 25% Millionen Tonnen im Werte von etwa 100 Millionen Mark und wird nur von derjenigen der Vereinigten Staaten von Nordamerika übertroffen. Trotz dieser stattlichen Ziffer bezieht Deutschland noch erhebliche Mengen, im Jahre 1909 über 8 Millionen Tonnen, besonders hochwertiger Erze aus dem Auslande, insbesondere aus Schweden und Spanien. Auch in der E o h e i s e n erzeugung steht Deutschland mit etwa 15 Millionen Tonnen (1910) an zweiter, Nordamerika an erster Stelle, bei einer "Weltproduktion von rund 61 y 2 Millionen Tonnen. Die F l u ß e i s e n erzeugung in Deutschland stieg von rund 100 000 Tonnen im Jahre 1865 auf über 12 Millionen Tonnen im Jahre 1909. Von welch enormer Wichtigkeit das Eisen in unserem gesamten Wirtschaftsleben ist, geht aus der Anzahl der in dem Eisengewerbe beschäftigten Personen hervor; die Berufs- und Gewerbezählung vom Jahre 1907 ergab, daß in 644 Hüttenbetrieben und in etwa 140 000 Betrieben der Eisen- und Stahlverarbeitung ungefähr 1 Million Menschen ihren Unterhalt verdienten, während die Gesamtzahl der Personen, welche von dem in der Eisenindustrie gewonnenen Einkommen leben, auf 4 bis 5 Millionen zu beziffern ist. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der vielgestaltigen Verwendbarkeit und der riesenhaften Menge der Eisenprodukte ein gesunder Organismus gegenüberstehen muß, der die Eisenproduktion in die weitverzweigten Kanäle des Konsums leitet, welcher das in Deutschland nicht vorhandene Material importiert und die Mengen, welche den Bedarf übersteigen, in aufnahmefähige Länder exportiert. Wenn wir einen prüfenden Blick auf die Entwicklung unserer am Verkehr zwischen Produzenten und Konsumenten beteiligten Kreise werfen, so finden wir, daß, wenn auch nicht in demselben Maße, wie die Technik
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Fortschritte gemacht und sich die Eisenproduktion gehoben hat, so doch die Zahl der eine Vermittlertätigkeit im Eisengewerbe ausübenden Firmen sich beständig vermehrt hat und ihre Bedeutung gewachsen ist, oder daß andere Organisationen geschaffen wurden, die dem Produzenten die Sorge um den Absatz seiner Fabrikate abgenommen haben. Vom Eisenerz bis zum fabrikmäßig oder durch den Schlossermeister erzeugten Hausschlüssel hat sich im Laufe der Zeit ein schwunghafter Handel für alle Produkte der Eisenindustrie herausgebildet. Daß eine einzige Firma sich mit dem Verschleiß aller Arten von Rohstoffen, Halb- oder Fertigfabrikaten befassen könnte, wäre ein Ding der Unmöglichkeit, und es existiert wohl nirgends in Europa ein Handelsunternehmen, das alle Gruppen der Eisenerzeugnisse in den Kreis seiner Tätigkeit einbezogen hätte. In Deutschland besitzen wir eine nicht unbedeutende Anzahl von Firmen, welche sich als Großhändler mit dem Handel von Eisenerzen, von Roheisen, von Gußund Werkzeugstahl, von Stabeisen, Blechen, Röhren, Drähten, von Konstruktionseisen, von Kleineisenwaren beschäftigen; zum Teil als Spezialfirmen für eine Gruppe, zum großen Teil als Eisenhandelsfirmen für Stabeisen, Bleche, Röhren, zum geringen Teil gleichzeitig auch für Kleineisenwaren und Haushaltungs- und Küchenge äte. Sie alle stehen in unmittelbarer Beziehung zum Produzenten oder zu den durch ihn geschaffenen Verkaufsorganisationen; sie setzen die Eisenerzeugnisse vermöge ihrer Kapitalkraft und in richtiger Beurteilung der Bedürfnisse der Konsumenten, teils an diese, teils an Kleinhändler ab, welche wieder die Konsumenten als Abnehmer haben. Versuche der Produzenten, ihre Fabrikate direkt dem Konsum zuzuführen, um sich den Zwischengewinn des Händlers selbst zu sichern, sind in der Eisenindustrie ebenso mißlungen wie in vielen anderen Branchen. Richtige Preiskalkulationen, Ausnutzung der billigsten Verkehrsmittel, Einkäufe größerer Quantitäten und dadurch bedingte Preisvorteile, Ausnutzung der Preisschwankungen, sei es nach oben oder nach unten, richtige Beurteilung der Kreditwürdigkeit der Konsumenten oder der Kleinhändler und sehr oft Zahlungserleichterung durch offenes, oder auch längeres Ziel, sind Faktoren, die den Großhändler zur gegebenen Mittelsperson zwischen Produzenten und Konsumenten prädestinieren und seine Daseinsberechtigung beweisen. Zur Beschaffung der benötigten E i s e n e r z e bedienen sich die Hochofenwerke im allgemeinen der Eisenerzgroßhändler; es besteht 6*
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allerdings für den Verkauf von Siegerländer Eisenstein ein im Jahre 1894 gegründeter Verein von Grubenbesitzern, aber da zum Bezüge von reichhaltigeren Eisenerzen Spanien, Schweden, und seit ungefähr -6 Jahren auch Südrußland, mit sehr erheblichen Mengen in Betracht kommen, entwickelte sich ein sehr umfangreicher E r z h a n d e l . Die Hochofenwerke legen großen Wert darauf, die Erze frei Hütte und unter Garantie einer bestimmten Analyse zu erhalten und suchen die mit dem Transport der Erze von den Produktions- bis zu den Verbrauchsstätten, mit der Charterung von Seeschiffen verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden. Nur vereinzelte Werke haben auswärtigen eigenen Grubenbesitz oder eigene Organisationen für den Ankauf und den Bezug von Erzen. Meistenteils trägt der Erzgroßhändler das Risiko einer Analysendifferenz und der Schwankungen in den Frachtraten; er kauft für eigene feste Rechnung, nur in vereinzelten Fällen provisionsweise, er erleichtert auch dem Verkäufer den Absatz seiner Produkte durch Abnahme ab Grube oder ab Ver^ schiffungshafen. Bis vor wenigen Jahrzehnten konnte man von einem organisierten Eisenerzhandel in Deutschland nicht sprechen, denn die deutschen Hochofenwerke verarbeiteten hauptsächlich einheimische Erze, die sie zum größten Teil aus eigenen Gruben förderten. Erst mit der rapiden Steigerung der deutschen Roheisenerzeugung trat die Notwendigkeit des Imports ausländischer Erze ein, und es begann sich ein bedeutender Handel zu entwickeln. In London ist dieser Erzhandel viel älteren Datums, da für die Bedürfnisse der längst bestehenden englischen Eisenindustrie gesorgt werden mußte. Vor 30 Jahren noch bezogen deutsche Werke ihre Erze von englischen Händlern, aber dadurch, daß die Transporte durch deutsche Kaufleute ausgeführt wurden, sammelten diese die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen und traten selbst als Erzhändler auf. Ein blühender Erzhandel entstand, es wurden Niederlassungen in Spanien, Schweden und Südrußland gegründet, ebenso in den bedeutendsten Einfuhrhäfen Rotterdam und Antwerpen, und heute wird wohl der weitaus größte Teil der in Deutschland zur Verhüttung gelangenden Erze durch deutsche Handelsfirmen dem deutschen Markte zugeführt. : Der Handel in R o h e i s e n ist so alten Datums, wie Roheisen überhaupt produziert wird; er hat natürlich im Laufe der Zeiten die verschiedensten Wandlungen durchgemacht und widmet sich neben dem Verkauf des heimischen Produkts auch der Einfuhr fremdländi-
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sehen Roheisens. Bis zur Gründung von Roheisensyndikaten mußte der Händler das Roheisen für eigene und feste Rechnung ein- und an die Verarbeiter weiterverkaufen und dadurch das mit Preis Veränderungen verknüpfte Risiko auf sich nehmen. Ob der Händler wollte oder nicht, er mußte spekulieren, und die Fälle waren nicht selten, wo Firmen, welche es bereits zu größerer Bedeutung gebracht hatten, durch umfangreiche Spekulationen dem materiellen Untergange geweiht waren. Erst gegen Ende der siebziger Jahre, als die erhebliche Produktionssteigerung eintrat und Roheisensorten hergestellt wurden, die vorher aus dem Auslande kamen, nahm der Roheisenhandel einen nicht unerheblichen Aufschwung, und es entwickelte sich ein kommissionsweiser Roheisenverkauf. Nunmehr setzte auch das Bestreben ein, Syndikate oder Verkaufsstellen zu bilden, aber sie waren nicht von allzu langer Dauer, insbesondere diejenigen nicht, welche den Zwischenhandel auszuschalten versuchten. 1897 wurde das Rheinisch-westfälische Roheisensyndikat gegründet, das 1903 die Form einer G. m. b. II. annahm und bis 1908 in Tätigkeit blieb. Die Geschäftsstelle übernahm den ausschließlichen Verkauf des syndizierten und kontingentierten Materials, der eigene Bedarf der Werke war ausgeschlossen, und ein geschäftsführender Ausschuß setzte die Verkaufspreise fest. Eine den tatsächlichen Verhältnissen nicht immer Rechnung tragende Preispolitik und die Errichtung neuer leistungsfähiger Hochofenwerke wurden dem Syndikat verhängnisvoll und eine nicht mehr einzudämmende Unzufriedenheit der Mitglieder führte Ende 1907 zur Auflösung des Syndikats. Das gleiche Schicksal teilte der Verein für den Verkauf von Siegerländer Roheisen. Ein drittes Roheisensyndikat war das Lothringisch-luxemburgische Roheisenkontor; es verkaufte das von seinen Mitgliedern produzierte Eisen nicht selbst, sondern übertrug den Vertrieb einigen Händlerfirmen, die hierdurch einen bedeutenden Einfluß auf die Werke gewannen. Zwischen den genannten Verbänden kam eine Reihe von Verträgen zustande, welche den Wettbewerb zwischen den einzelnen Gruppen ausschalteten. Von 1899—1908 bestand das Roheisensyndikat in Düsseldorf, dessen Geschäfte durch ein Verkaufskontor wahrgenommen wurden. Abseits von den westlichen Verbänden stand das Oberschlesische Roheisensyndikat, das seit dem Jahre 1909 nach Beitritt des Stettiner Eisenwerks Kraft „Ostdeutsches Roheisensyndikat" firmiert; es hat den Zusammenbruch der übrigen Verbände überdauert und ist erst vor
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wenigen Wochen bis 1914 verlängert worden. In letzter Zeit haben sich die deutschen Hochofenwerke, mit Ausnahme der Siegerländer und Luxemburger, welche durch Händlerfirmen geleitete eigene Verkaufsorganisationen besitzen, im Essener Roheisenverband zusammengeschlossen; auch dieser bedient sich in der Hauptsache der Händlerfirmen. Alle Bemühungen, das Essener Rumpfsyndikat zu einem allgemeinen deutschen Roheisensyndikat auszubilden, haben einen positiven Erfolg noch nicht gezeitigt. — In der Regel erhalten die Großhandelsfirmen nur eine bestimmte Provision; sie sind zur allmonatlichen Barbezahlung des verkauften Roheisens verpflichtet, haben das Delkredere zu tragen und fakturieren die Ware der Kundschaft direkt. Allerdings gibt es auch eine Anzahl sogenannter Agentenfirmen, sie erhalten nur eine sehr mäßige Provision, übernehmen kein Delkredererisiko und haben mit der Berechnung nichts zu tun. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß der Handel i n G i e ß e r e i roheisen denjenigen in anderen Sorten an Bedeutung ganz wesentlich überragt, was in dem Umstände seine Begründung findet, daß das sogenannte weiße Roheisen meistenteils von den Hochofenwerken in ihnen angegliederten Hüttenwerken weiterverarbeitet wird, während das graue oder Gießereiroheisen in den zahllosen Eisengießereien Verwendung findet. Diese sind als Preiskartell im Verein deutscher Eisengießereien organisiert und in lokale Gruppen eingeteilt. Weit mehr als der Handel mit Eisenerzen und mit Roheisen wird der Handel in F e r t i g e i s e n durch die Syndikate berührt. Wie auf allen Gebieten der Großindustrie, so hat sich besonders im Eisengewerbe in den letzten Jahren ein Streben nach Zusammenschluß geltend gemacht; Kartell-, Verbands- und Syndikatsbildung ist ein Charakteristikum unseres gegenwärtigen Wirtschaftslebens, begünstigt durch unsere hohen Schutzzölle, welche die Konkurrenz des Auslandes für einzelne, und gerade die wichtigsten Gruppen der Eisenerzeugung, vollständig ausschaltet. Unter den etwa 50 Verbänden der Eisenindustrie ist der größte und für unsere allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse ohne Zweifel der bedeutendste der deutsche Stahlwerksverband, mit dem Sitz in Düsseldorf; dieser Verband ist von besonderer Wichtigkeit in bezug auf den deutschen Eisenhandel. Wenige Jahre nach dem Beginn der Schutzzollära (1879) begannen in der deutschen Stahl- und Eisenindustrie die Versuche,
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insbesondere in Rücksicht auf die sich in einer schwierigen Lage befindenden Eisenwerke, zur möglichst vollen Ausnutzung der Schutzzölle Preisverständigungen zu treßen; sie versagten, als die Produktion einen bedeutenderen Umfang annahm und Konjunkturrückschläge eintraten. Nach geraumer Zeit ging man dazu über, f e s t e r e Verbände zu schaffen; man legte ihnen die Eigenschaft als Verkaufsorganisationen bei, sie hatten aber nicht den geringsten Einfluß auf die Produktion und konnten die Werke nicht immer von dem direkten Verkehr mit den Abnehmern ausschließen. Wenn es auch auf diese Weise ohne allzu große Schwierigkeiten möglich war, den Inlandsmarkt einigermaßen zu kontrollieren, der Weltmarkt jedoch war frei, und verlustbringende, ja Schleuderpreise waren die Folge. Solche Verbände waren: Deutsche Schienen- und Schwellengemeinschaft, Deutscher Trägerverband, Halbzeugverband, Oberschlesischer Walzwerksverband, Deutscher Walzwerksverband und andere. Im Jahre 1904 entstand als feste Organisation der Deutsche Stahlwerksverband, eine Vereinigung sämtlicher Thomas- und einer Reihe von SiemensMartin-Stahlwerken, ein Produktions- und Preisregulator, der jedoch nicht die Gestalt eines Trusts angenommen hat; die Werke sind nicht in den Besitz des Verbandes übergegangen, sondern haben ihre Selbständigkeit bewahrt. Mitglieder des Stahlwerksverbandes sind beinahe ausschließlich sogenannte gemischte Werke, die über eigene Hochöfen, teilweise auch über eigene Erz- und Kohlengruben verfügen und, von Eisenstein angefangen, bis zum gebrauchsfertigen, verfeinerten Eisenfabrikat alle Phasen der Eisenherstellung auf ihren Werken durchmachen. Die Fabrikate des Stahlwerksverbandes mit seinen 31 gemischten Hüttenwerken sind in zwei Gruppen eingeteilt: Produkte A sind Rohstahl, gewalztes Halbzeug, gewisse Stahlfabrikate, Schienen, Schwellen, sowie Formeisen (I-Träger, U- und Z-Eisen und Konstruktionseisen). Zu Produkten B gehören Stabeisen, Walzdraht, Bleche, Röhren, Eisenbahnachsen. Kur die Gruppe A ist syndiziert und wird von Verbands wegen verkauft, während die Produkte B nur k o n t i n g e n t i e r t sind und von den Produzenten direkt in den Verkehr gebracht werden. Beinahe ununterbrochene Bestrebungen, auch die Produkte B zu syndizieren, haben, mit Ausnahme von Walzdraht und Schiffsbaumaterial, bisher zu einem Erfolge nicht geführt. Voraussetzung zu einem derartigen Syndikat wäre der Beitritt der dem Ver-
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band nicht angehörigen Siemens-Martin-Stahlwerke und der sogenannten reinen Walzwerke, welche auf den Bezug von Halbzeug zur Herstellung des Fertigfabrikats angewiesen sind; infolge der Abhängigkeit von den gemischten Werken, welche im Stahlwerksverband vereinigt sind, haben die reinen Walzwerke, gleichzeitig als Konkurrenten der gemischten Werke, mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Diese machen sich besonders auf dem Weltmarkt fühlbar. Oft war die ausländische Konkurrenz in der Lage, das Halbzeug aus Deutschland billiger zu beziehen als die deutschen reinen AVerke und die Verfeinerungsindustrie. Um einen Ausgleich herbeizuführen, hat der Stahlwerksverband in Verbindung mit dem Kohlensyndikat für einzelne kleinere Verbände oder auch für Eisenverbraucher direkt die Einrichtung einer Ausfuhrvergütung (Exportbonifikation) getroffen. Je nach der Entwicklung der Einzelunternehmung in der Eisenindustrie greift der Handel entweder überall oder in beschränkter Weise neben einer Verbandsverkaufsstelle oder gar nicht während des Produktionsprozesses eines Fertigfabrikats ein. Das hängt davon ab, ob ein Produkt völlig in einem sogenannten gemischten Betriebe hergestellt wird oder ob es nacheinander durch mehrere reine Spezialwerke hindurchgehen muß, und ferner, ob diese reinen Werke in irgendeinem Produktionsstadium kartelliert sind und eigene Verkaufsstellen haben oder nicht. Der Drahtstift z. B., mit dem wir ein Bild in unserer Wohnung befestigen, kann, ehe ihn der Eisendetailhändler zur Abgabe an den letzten Konsumenten bekommt, danach entweder gar nicht oder schon sehr mannigfaltig in seinen früheren Produktionsstadien durch die Hände des Handels gegangen sein. Es gibt gemischte Werke mit eigenen Erzgruben, Hochöfen, Stahlwerken, Walzenstraßen und Drahtziehereien, bei denen ein Stück Eisenstein gewissermaßen auf der einen Seite hineingeschoben wird, um auf der anderen Seite als Drahtstifte herauszukommen. Es ist aber auch möglich, daß der Drahtstift zwar technisch denselben Prozeß durchmacht, aber wirtschaftlich durch die verschiedensten Unternehmungen hindurchgeht und dabei öfters mit dem Handel in Berührung kommt. Dies ist in der Regel beim Import des nötigen Rohmaterials der Fall. Bei diesen Vorgängen läßt sich auch die Werterhöhung beobachten, die das Rohmaterial im Laufe des Veredelungsprozesses bis zum Fertigprodukt erfährt. Sein ursprüngliches Roh-
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material, das Erz, wird, um bei dem Beispiel mit dem Drahtstift zu bleiben, wenn es aus dem Siegerland kommt, durch den Siegerländer Eisensteinverkaufsverein auf den Markt gebracht, ohne daß der Handel in Funktion tritt. Ist es aber ausländischer Herkunft, so wird es durch den Erzgroßhändler vermittelt. Der Preis für eine Tonne Siegerländer Eisenerz beträgt heute etwa 15—16 M. Ist das Erz durch den Hochofen gegangen, so bemächtigt sich der Händler entweder unmittelbar des Roheisens oder er erhält es durch den bestehenden losen Roheisenverband. Der Preis des Roheisens schwankt zurzeit, je nach Herkunft und Qualität, um 60 M. herum, das geringwertigste Eisen ist luxemburgisches Puddeleisen (48 M.), das höchstwertige deutsches Bessemer-Eisen (70 M.). Das Roheisen wird nun im Stahlwerk zu Rohblöcken verarbeitet und dann erst zu kleineren Blöcken oder zu Knüppeln heruntergewalzt. Diese, das bereits genannte Halbzeug, sind in der Regel dem Handel entzogen, da ihre Erzeugung zum größten Teil durch Mitglieder des Stahlwerksverbandes erfolgt, der sie als eins der Produkte A durch seine Organe selbst verkauft. Der Preis für Rohblöcke beträgt M. 87,50; für vorgewalzte Blöcke M. 92,50; für Knüppel 100 Mark per Tonne. Die Knüppel werden im Fertigwalzwerk zu Walzdraht verarbeitet und durch den Walzdrahtverband verkauft, der sich der Händler unter bestimmten Bedingungen bedient. Durch die Vermittlung des Handels geht der "Walzdraht in die reinen Drahtziehereien, wo er zu gezogenem Draht und dann zu Drahtstiften verfeinert wird. Für letztere besteht nur eine lose Konvention; der Handel hat das Geschäft in Händen. Während der Preis für gezogenen Draht M. 147,— bis 152,— beträgt, kosten die fertigen Drahtstifte M. 165,— bis 167,— Grundpreis. Auch dieses Produkt wird ausschließlich durch den Eisengroßhändler, sei es als eine Spezialität, sei es als eine Gruppe mit andern, dem Kleinhändler, von diesem dem Detaillisten und schließlich dem Konsum zugeführt. Ein nicht unerheblicher Teil der Walzdraht-, gezogenen Draht- und Drahtstifteproduktion findet einen allerdings wenig lukrativen Absatz auf dem Weltmarkt. Daß die Kartellbildung nicht ohne Einfluß auf den Eisenhandel blieb und das Bestreben zum Zusammenschluß gleichartiger Finnen zur Wahrung der eigenen Interessen weckte, ist ein natürlicher Vorgang. Unter der Führung des Stahlwerksverbandes entstanden im Bereiche des Eisengroßhandels lokale Träger-Händler-Vereinigungen,
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Trägerkontore genannt; das seit einigen Monaten aufgelöste Röhrensyndikat organisierte den Röhrengroßhandel in Röhrenverkaufsverbände, und durch Gewährung einer Exportbonifikation konnte sich die Ausfuhrstelle für verzinkte Bleche bilden, sowie die Schwarzblechvereinigung, die nur aus einigen Feinblechwalzwerken besteht und beinahe ausschließlich die Ausfuhr pflegt; beide Verbände sind Protektionskinder des Stahlwerksverbandes. In allerletzter Zeit sind an verschiedenen Plätzen für bestimmte Bezirke oder Provinzen sogenannte Eisen-Händler-Vereinigungen entstanden, die im Interesse der Selbsterhaltung den Konkurrenzkampf untereinander aufgaben, und die dieWahrung ihrerStandesinteressen, dieVermeidung vonSclileuderpreisen, die Verhütung von Verlusten durch Einschränkung des Kreditunwesens und die Festsetzung allgemein gültiger Normen im Eisenhandel auf ihre Fahne geschrieben haben. Zu einem Syndikat mit gemeinsamer Verkaufsstelle und festen Quoten hat sich bis jetzt allein der Berliner Eisenhandel organisiert unter der Firmierung: „Vereinigung Berliner Stabeisenhändler G. m. b. H." Ob die Absicht der beteiligten Firmen richtig ist, daß das Heil in der Einigkeit liegt und daß das Eisenhändlersyndikat ebenso lange, wenn nicht länger bestehen wird, als die entsprechenden Vereinigungen der Werke, will ich dahingestellt sein lassen. Vielleicht ist die Zeit nicht allzufern, wo man einsehen wird, daß der freie Wettbewerb auch hier seine Vorzüge hat. Im norddeutschen Eisenhandel ist im übrigen auch eine andere interessante Erscheinung zu beobachten, eine den Fusionen und Interessengemeinschaften in der Großindustrie und im Bankwesen vergleichbare Konzentrationsbewegung. Große Eisenhandelsfirmen, die in enger Beziehung zur oberschlesischen Eisenindustrie stehen, haben sich fusioniert und sind ihrerseits dann wieder durch Kapitalbeteiligung in Interessengemeinschaft mit wichtigen Provinzfirmen, namentlich in Nord-, Ost- und Mittel-Deutschland getreten. Ist auch unter den hier in Betracht kommenden Firmen der freie Wettbewerb ausgeschaltet, so sorgt eine der größten Montanunternehmungen Schlesiens durch Errichtung eigener Verkaufsorganisationen an einer größeren Anzahl von Plätzen dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Einige wenige Eisenwerke setzen ihre Erzeugnisse auch noch nach der Syndizierung wenigstens zum Teil durch sogenannte Werks-
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firmen ab; es sind dies Firmen, welchen der Alleinverkauf für bestimmte Gebiete übertragen ist, oder solche, die durch einseitige oder gegenseitige Kapitalbeteiligung eng miteinander liiert sind und die g e m e i n s c h a f t l i c h e Interessen vertreten. Die Eisenwerke, welche über Werksfirmen verfügen, haben für syndikatsfreie Produkte einen gesicherten Absatz, während die Werksfirmen über eine leistungsfähige Bezugsquelle verfügen und zeitweise eine stärkere Position einnehmen als ihre Konkurrenz, die Eisengroßhändler, die in ihren Bezugsmöglichkeiten keinerlei Einschränkungen unterworfen sind. Häufig war diese Freiheit in der Einkaufsdisposition von größerem Werte als die bereits geschilderten Vorteile und hat zur Auflösung von Werksfirmenverträgen, manchmal nach verhältnismäßig kurzer Dauer, geführt. Von wesentlicher Bedeutung war die Frage der Werksfirmen bei den Erneuerungsverhandlungen der großen Verbände, und sie wird es stets sein, wenn die Mitglieder der Verbände, soweit sie über eigene Werksfinnen verfügen, für sie besondere Bedingungen zu stellen gezwungen sind und dadurch erschwerend auf die Verbandsbildung oder Erneuerung wirken. Während in einzelnen Ländern, außerhalb Deutschlands, ein börsenmäßiger Terminhandel in Koh- und auch in Fertigeisen stattfindet, ist der deutsche Handel nie über das handelsrechtliche Lieferungsgeschäft hinausgekommen. Anfangs der 80er Jahre wurden wohl an der Breslauer Warenbörse Lagerscheine auf oberschlesisches Eisen gehandelt, aber ohne offizielle Preisnotierung. Ein deutsches Warrantgesetz harrt heute noch seiner Geburt und Verbandsläger waren und sind nirgends vorhanden, abgesehen von einem Lager in Produkten B des oberschlesischen Stahlwerksverbandes in KoselOderhafen. Montanbörsen bestehen heute in Essen und Düsseldorf, aber sie verdienen in keiner Weise den Kamen „Börse". Der Wunsch, an diesen Börsen eine breite Basis für offizielle Eisennotierungen zu schaffen und den Verkehr zwischen den Interessenten zu erleichtern, ist nicht in Erfüllung gegangen. Die offizielle Börse spielt nur eine dekorative Bolle, die meisten Geschäfte werden im freien Verkehr von Person zu Person getätigt und die Kotierungen entsprechen beinahe nie den wirklich bezahlten Preisen, haben aber zeitweise Einfluß auf die Kursentwicklung der Montanpapiere an der Fondbörse. Nachdem in Berlin der Anfang mit einer Metallbörse gemacht ist,
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darf die Hoffnung auf die dereinstige Errichtung einer Eisenbörse vielleicht nicht als utopistisch bezeichnet werden. Eine wesentliche Erleichterung für den Berliner Eisenhandel würden schon Zusammenkünfte an bestimmten Tagen und Stunden bedeuten, ähnlich wie bei den Metallinteressenten, und die Schwierigkeiten, die im Verkehr von Kontor zu Kontor bei der wachsenden Ausdehnung des* Groß-Berliner Wirtschaftsgebietes hegen, nicht unbeträchtlich mildern. Haben wir uns bisher mehr allgemein und in größeren Zügen mit der Organisation des Handels in Erz, Roheisen und Fertigeisen beschäftigt, so wollen wir in folgendem auf einige Einzelheiten eingehen, die den E i s e n h ä n d l e r , seine Geschichte und seine Bedeutung betreffen. Wir finden ihn als Eisengroßhändler und als Detaillisten an allen einigermaßen bedeutenden Plätzen unseres Vaterlandes, aber als Eisen w a r e n händler selbst in kleinen Dörfern. So wie die deutsche Eisen i n d u s t r i e aus kleinen Anfängen sich zu einem mächtigen Faktor entwickelt hat, so auch der Eisenhandel, welcher vor mehr denn hundert Jahren mit dem Vertrieb von steyrischem Stahl, mit Sensen und Sicheln und verwandten Artikeln angefangen hat, und den heute hochangesehene und bedeutende Firmen betreiben. Große Eisenwerke haben ihr Dasein dem Umstand zu verdanken, daß die Vorfahren der Besitzer dem Eisen- oder Kohlenhandel obgelegen oder die Verfrachtung und Beförderung von Eisenerzen oder Roheisen besorgt haben. Aus mancher Dorfschmiede ist im Laufe der Zeit eine Eisengroßhandlung entstanden, aus manchem Eisengeschäft ein blühender Industriezweig in der Eisenverarbeitung oder Eisenverfeinerung geworden. Kaum hundert Jahre trennen uns von der Zeit, wo der Eisenhändler das Eisen per Achse von den Holzkohlen-Eisenschmelzen oder von den Puddel-Hämmerwerken holte oder sich zuführen ließ und das Eisen auf Wochen- oder Jahrmärkten absetzte. Noch in den Jahren 1850—1860 wurde zum Beispiel das Eisen von der Hütte per Fuhre an den durch Pferde bewegten Rheinkahn und dann wieder per Achse auf den Lagerplatz des Eisenhändlers gebracht, dessen Wohnsitz keine 60 Kilometer von der Eisenhütte entfernt war. Infolge derartiger Schwierigkeiten in der Beförderung war der Eisenhandel auf die nächste Umgebung beschränkt, und erst mit dem Bau von Eisenbahnen und Kanälen, mit der Einführung eines geregelten Schiffsverkehrs gewann der Eisenhandel an Bedeutung.
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Verfolgen wir die Entwicklungsgeschichte unserer größten Eisenhandelsfirmen, so finden wir, abgesehen von einigen wenigen älteren Firmen, den Beginn einer rapid aufsteigenden Linie anfangs der 70er Jahre nach dem deutsch-französischen Feldzuge resp. nach der berüchtigten Gründerperiode, gleichen Schritt haltend mit dem Aufblühen der Eisenindustrie. Während vor dieser Zeit beinahe alle größeren Eisengeschäfte eine große Anzahl von Gruppen des Eisengewerbes führten, also Stabeisen, Formeisen, Draht, ebenso Kleineisenwaren, sowie Haushaltungsgegenstände, trat um die genannte Zeit eine Art Spezialisierung ein; es entstanden, wenn ich mich so ausdrücken darf, neben den gemischten eine Reihe von reinen Eisenhandlungen, welche sich mit dem Engrosvertrieb von Form- und Stabeisen, Blechen oder mit schmiedeeisernen Gas- und Wasserleitungsröhren, mit Draht und Drahtwaren, Drahtstiften, Ketten, verzinktem Drahtgeflecht, mit gußeisernen Röhren und Verbindungsteilen, mit Eisengußwaren verschiedener Art beschäftigten. Eisenindustrie und -handel beschränken sich aber nicht auf die Versorgung unseres heimischen Marktes, sondern pflegen auch einen nicht unbedeutenden Export. Bei der andauernd gestiegenen Eisenproduktion, die ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht hat — zurzeit sind Werksanlagen im Bau, die die Produktion um 1—V/ 2 Millionen Tonnen Rohstahl erhöhen sollen — ist unsere deutsche Heimat nicht imstande, jederzeit diese gewaltigen Massen zu verbrauchen. Die überschüssigen Mengen werden teils durch Verbände, soweit syndizierte Waren in Betracht kommen, oder durch Eisengroßfinnen, welche besondere Exportabteilungen besitzen, oder durch Spezialexportfirmen, dem Weltmarkt zugeführt. Da die meisten Länder durch Eingangszölle geschützt sind und auf dem exportierten Eisen oft nicht geringe Fracht- und Versicherungsspesen ruhen, liegen die auf dem Weltmarkt erzielten Preise häufig unter dem Selbstkostenniveau, und der Exporteur muß sich mit einem äußerst bescheidenen Verdienst begnügen. Nicht unbeachtet möchte ich das gewaltige Gebiet des Kleineisenwaren- insbesondere des Werkzeughandels lassen; sein Hauptsitz befindet sich im bergischen Land, Remscheid usw., er hat aber selbst an den kleinsten Plätzen unserer Heimat — oft mehrfach — seine Zelte aufgeschlagen. Ursprünglich vertrieb (nach Dr. Franz Carl
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Ziegler) der Produzent die eigene "Ware, und er wechselte in seiner Erwerbstätigkeit als Kaufmann und Handwerker ab. Mit der Zunahme der Handelsbeziehungen bildeten sich die Handwerker zu reisenden Kaufleuten aus und suchten nach neuen Absatzgebieten. Je mehr das Handwerk zur hausindustriellen Betriebsform überging, desto mehr trat der Kaufmann in den Vordergrund. Schon am Ende des 18. Jahrhunderts erstreckte sich der Handel in Remscheider Ware über alle vier Erdteile, und aus dem Binnenhandel wurde ein Welthandel; im Jahre 1909 betrug die Zahl der allein in Remscheid am Handel mit Eisenwaren beteiligten Firmen etwa 400, von denen ein großer Teil als Kommissionäre und Exporteure tätig ist. Mit der Zeit entstanden an den Haupthandelsplätzen, wie Berlin, Breslau, Hamburg usw. Eisenwarengroßhandlungen, die im Industriezentrum eigene Einkäufer etablierten, große Warenlager mit reicher Auswahl errichteten und die dadurch in der Lage sind, den Kleinhändler und mitunter auch den Konsumenten schnell zu bedienen. In allen Kulturländern, aber auch in unzivilisierten Gegenden, ist der deutsche reisende Kaufmann zu finden, der, sei es für eigene Rechnung, sei es als Reisender, Agent oder Kommissionär von Eisenwarenfabrikanten, von Großhandlungen oder Exporteuren, deutsche Ware erfolgreich absetzt und Zeugnis ablegt von deutschem Gewerbefleiß, deutschem Unternehmungsgeist und stets vorwärtsdringender Entwicklung. Auf dem Gebiete des Kleineisenwarenhandels hat die Verbandsbildung noch keine Fortschritte gemacht; größere Bedeutung hat nur der über 2000 Mitglieder zählende Verband der Eisenwarengeschäfte mit dem Sitz in Mainz, dem durch lokale Organisationen verbunden, hauptsächlich die Detailgeschäfte angehören. Seit Beginn der Genossenschafts- und Warenhausära befand sich ßpeziell diese Gruppe des Eisenhandels zeitweise in keiner beneidenswerten Lage. Der Mainzer Verband war von Anfang an bestrebt, die dem soliden Zwischenhandel gebührende Stellung zu bewahren und die Wunden, welche das Bazar-, Warenhaus- und Genossenschaftswesen geschlagen hatte, zu heilen; er suchte den direkten Verkehr zwischen Fabrikanten und Konsumenten nach Möglichkeit zu verhindern, indem er verbandsgegnerische Lieferanten auf einer sogenannten roten Liste veröffentlicht und es seinen Mitgliedern ermöglicht, aus dem Verhalten der Fabrikanten die ihnen geeignet erscheinenden Konsequenzen zu ziehen. Ein besonderes
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Verdienst hat sich der Mainzer Verband dadurch erworben, daß er für bestimmte Waren Normalien hinsichtlich Maß, Gewicht und Packung einzuführen versuchte. Zum Schlüsse möchte ich noch, wenn auch kurz, das Gebiet des Alteisenhandels streifen. Das Alteisen bezw. die in der Eisenfabrikation sich ergebenden Eisenabfälle sind einer der wichtigsten Rohmaterialstoffe für die Eisenindustrie geworden, und im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo der Alteisenhändler seine Geschäfte in kleinstem Umfange betrieben hat, befassen sich jetzt in allen Gegenden Deutschlands hochangesehene Firmen mit dem Handel von Eisenabfällen und unterhalten zum Teil auch an verschiedenen Plätzen Deutschlands Filialgeschäfte. In Ost- und Mitteldeutschland besteht ein Syndikat der großen Handelsfirmen, welches den Einkauf der Eisenabfälle im Interesse der weiter verarbeitenden Werke gegen eine Provision bewirkt. Dieses Syndikat, dessen Sitz in Berlin ist, hat einen durchschnittlichen Tagesumsatz von 1800—2000 Tonnen Eisenabfälle, während im rheinisch-westfälischen Gebiet jährlich schätzungsweise 1 Million Tonnen Alteisen verarbeitet wird. Wie in jedem anderen Gewerbe, so hat auch in der Eisenbranche der Zwischenhandel eine schwere wirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Die Großindustrie mit ihrer Massenproduktion b r a u c h t zur Vermeidung einer schwierigen, zeitraubenden und kostspieligen Arbeitslast den Zwischenhandel, welcher durch rechtzeitige Bestellungen in allen hergestellten Sorten und Abmessungen und gleichmäßigen Abruf, durch ein umfangreiches Lager zur Bedienung der Detaillisten oder Konsumenten, die Aufstellung eines gesicherten Fabrikationsprogramms und einen ruhigen Betrieb zur Erhaltung eines festen Arbeiterstammes gewährleistet. Der deutsche Eisenhandel, dem wie jedem Zwischenhandel und insbesondere dem Handwerk von pessimistischer Seite ein rettungsloser Untergang prophezeit wurde, hat bewiesen, daß auch die moderne volkswirtschaftliche Organisation den Zwischenhandel nicht entbehren kann. Der Ubergang zur Massenerzeugung und die zunehmende Spezialisierung der Betriebe hat den Eisenhandel vor neue Aufgaben gestellt; er hat sich diesen ebenso gewachsen gezeigt wie der veränderten Produktions- und Konkurrenztechnik gegenüber. Wir wissen heute nicht, welche Änderungen sich in kommerzieller und technischer Hinsicht noch vollziehen werden, aber dessen können wir sicher sein und das lehrt auch die Vergangen-
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heit, daß der Eisenhandel stets verstehen wird, sich neuen Verhältnissen anzupassen. Wenn ihm auch seitens der Verbände das Leben oft sauer gemacht, sein Verdienst auf ein Minimum herabgedrückt und ihm nicht selten die Rolle eines beamteten Kommissionärs zugedacht wurde, der deutsche, auf solider Grundlage beruhende Eisenhandel war immer ein mächtiger wirtschaftlicher Faktor, er bewies zu jeder Zeit, auch unter schwierigen Verhältnissen seine Existenzberechtigung als unentbehrlicher Vermittler zwischen Produzent und Konsument.
V. Anhang.
Literaturnachweise. Von
Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekar der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin.
Gewerbliche EiMelvorträge.
7
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II. Weltausstellungen. Amtlicher Bericht über die Industrie-Ausstellung aller Völker zu London im Jahre 1851 . . . Berlin 1852. 3 Bde. Amtlicher Bericht über die Wiener Weltausstellung im Jahre 1873. Braunschweig 1874/75. 4 Bde. Amtlicher Bericht über die Weltausstellung in Chicago 1893. Berlin 1894. 2 Bde. P i c a r d , A., Rapport général administratif et technique de l'Exposition univers, internationale de 1900 à Paris. Paris 1902—1903. 7 Bde. u. Beilagen. G e n t s c h , Amtlicher Bericht über die Internationale Ausstellung in Mailand 190G. Berlin 1905. P a q u e t , A., Das Ausstellungsproblem in der Volkswirtschaft. Jena 1908.
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IV. Die Entwicklung und Organisation des Eisenhandels. Eisen-Zeitung. . . Berlin 1879 ff. B e c k , L., Die Geschichte des Eisens in technischer und kulturgeschichtlicher Beziehung. Braunschweig 1891—1903. 4 Bde. S i m m e r s b a c h , 0 . Die Eisenindustrie. Leipzig u. Berlin 1906. B o n i k o w s k y , H., Der Einfluß der industriellen Kartelle in Deutschland. Jena 1907. Gemeinfaßliche Darstellung des Eisenhüttenwesens. 7. Aufl. Düsseldorf 1910. H a e n i g , A., Der Erz- und Metallraarkt. Stuttgart 1910.
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KORPORATION DER K A U F M A N N S C H A F T VON BERLIN Jährlich
erscheint:
BERLINER JAHRBUCH FÜR HANDEL UND INDUSTRIE Bericht der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin Bisher erschienen: Jahrgang 1903, 1904, 1905, 1906, 1907, 1908, 1909, 1 9 1 0 Jeder Jahrgang besteht aus 2 Bänden. Preis des Jahrgangs M. 10.—
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Ein Bericht über die beiden Studienjahre 1909/10 und 1910/11 erscheint im Herbst 1911.
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