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German Pages 160 [164] Year 1914
KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN
Gewerbliche Einzelvorträge Gehalten in der Aula der Handels-Hochschule Berlin Herausgegeben v o n den
Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin.
Siebente
Reihe
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1914
Inhalt. Seite
1. R e i s e e i n d r i i c k e in A m e r i k a . Vortrag des Herrn Kommerzienrat Max R i c h t e r , Mitglied des Kollegiums der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin
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II. Der A l t m e t a l l m a r k t u n d s e i n e v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g . Vortrag des Herrn N o r b e r t L e v y , Inhaber der Firma N. Levy & Co
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III. D i e h e u t i g e B e l e u c h t u n g s i n d u s t r i e . Vortrag des Herrn Dr. H a n s K o s e n t h a i , Beamter der Julius Pintsch Aktiengesellschaft
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IV. D e r K a u t s c h u k , s e i n e G e w i n n u n g , w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g u n d V e r a r b e i t u n g . Vortrag des Herrn Dr. Ed. M a r c k w a l d , Mitinhaber der Firma Chemisches Laboratorium für Handel und Industrie Dr. Rob. Henriques Nachf. und der Kautschuk-Zentralstelle für die Kolonien
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V. Wie e n t s t e h t e i n e Z e i t u n g ? Vortrag des Herrn Dr. jur. M a r t i n C o h n , Generalbevollmächtigter der Firma Rudolf Mosse . . . . VI. D i e E n t w i c k l u n g d e r B e r l i n e r H e r r e n w ä s c h e i n d u s t r i e . Vortrag des Herrn H u g o H a n f f , Vorsitzender des Zentralausschusses der deutschen Wäschefabrikanten
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VII. Anhang: L i t e r a t u r n a c h w e i s e von Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekar der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin . .
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I.
Reiseeindrücke in Amerika. " V o r t r a g
des Herrn Kommerzicnrat
M a x
R i e h t ex*,
Mitglied des Kollegiums der Ältesten der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin.
Mein heutiger Vortrag will nicht das Ergebnis einer wissenschaftlichen, handelspolitischen oder andersartigen Studie darstellen, sondern lediglich Erlebnisse und Eindrücke während eines ungefähr vierwöchentlichen Aufenthaltes in Amerika aus Veranlassung des Bostoner Internationalen Handelskammer-Kongresses schildern, an welchem ich als Delegierter des Ältesten-Kollegiums teilnahm. Im wesentlichen werde ich, ohne Zuhilfenahme des jetzt bei derartigen Vorträgen so beliebten Skioptikons, doch meistens Lichtbilder Ihnen vorführen; für Schattenbilder war die Beleuchtung, in der ich Amerika gesehen habe, weniger geeignet. Der I. H. K. K. ist eine Vereinigung der Handelskammern und sonstigen Handelsvertretungen aller Kulturstaaten der Erde. Er tritt alle zwei Jahre zusammen und hat den Zweck, auf den Gebieten der Gesetzgebung und der Verwaltung Probleme oder Vorschläge aufzufinden, welche den Staatsregierungen behufs einheitlicher internationaler Regelung zum Besten von Handel und Industrie unterbreitet werden können, sowie ferner durch das Zusammenströmen hervorragender kaufmännischer Vertreter der verschiedenen Nationen einzuwirken auf eine Förderung der Handelsbeziehungen und auf ein besseres Verständnis der Völker untereinander. Welcher Art die Beratungsgegenstände des Kongresses sind, geht daraus hervor, daß z. B. zum Bostoner Kongreß das ÄltestenKollegium folgende zwei Anträge gestellt hatte: 1. Errichtung eines internationalen Schiedsgerichtes zur Erledigung von Streitigkeiten zwischen Staatsangehörigen und Regierungen verschiedener Nationen, und 2. die Vereinheitlichung der Scheckrechte. Für beide Anträge erstattete unser Syndikus, Herr Professor Dr. A p t , das Referat, und beide Anträge wurden zustimmend verabschiedet. Auf einem früheren Kongreß war durch das ÄltestenKollegium die Vereinheitlichung des Wechselrechtes beantragt worden,
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Reiseeindrücke in Amerika.
und bekanntlich sind die Regierungsvertreter der verschiedenen Nationen schon zweimal im Haag zu Weltwechselrechts-Konferenzen zusammengetreten und haben bereits einen Entwurf für ein Internationales Wechselrecht aufgestellt, welcher jetzt den Regierungen zur Prüfung vorliegt. Gegenwärtig beschäftigt u. a. den I. H. K. K eine Frage, die nicht nur für die Handelskreise, sondern für alle Kreise der Bevölkerung ein Interesse hat, nämlich die Festlegung des Osterfestes und — womöglich — die Einführung eines neuen praktischen Kalenders. Der Bostoncr II. Ii. K. war der fünfte. Die vier ersten fanden in Lüttich, Mailand, Prag und London statt. Auf dem Londoner Kongreß war die amerikanische Handelswelt verhältnismäßig stark vertreten, und die amerikanische Regierung hatte dazu neun offizielle Vertreter entsandt, offenbar um ihr Interesse an dem Kongreß zu dokumentieren. Die deutsche Regierung war offiziell zum ersten Male in Boston durch den dortigen Konsul vertreten. Auf dem Londoner Kongreß erfolgte durch den Präsidenten des N a t i o n a l B o a r d o f T r a d e o f t Ii c U n i t e d S t a t e s o f A m e r i c a in ungemein warmen Worten eine Einladung für den fünften Kongreß nach Boston, und zwei Vertreter der Bostoner Handelskammer unterstützten diese Einladung in lebhaftester Weise, wobei sie beteuerten, daß die Delegierten nicht nur einen herzlichen Empfang finden würden, sondern daß auch ihr Aufenthalt nützlich und angenehm gestaltet werden würde, und: „wir sind sicher, dies tun zu können" fügten sie hinzu. Der Antrag wurde angenommen. Die Amerikaner betreiben alles mit Energie: Unter Führung der Bostoncr Handelskammer unternahmen im folgenden Jahre über hundert amerikanische Kaufleute eine Tour nach Europa und besuchten über zwanzig Städte, darunter London, Paris, Brüssel, Wien und natürlich auch Berlin. Während des hiesigen Aufenthaltes am 15. Juli 1911 waren die Teilnehmer Gäste des Ältesten-Kollegiums. Der Zweck der Reise war, allerorten die Einladung 1 bei den Regierungen und Handelsvertretungen zu erneuern, und sie zu ersuchen, Delegierte zum fünften Handelskammer-Kongreß nach Boston zu senden. Bei der bekannten Gastfreundlichkeit der Amerikaner konnte man also auf Empfang großen Stils gefaßt sein. So hoch aber jemand auch seine Erwartungen gespannt haben mochte: die Wirklichkeit
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hat, wie ich von vornherein erwähnen will, alles übertroffen. Die Aufnahme der Delegierten gestaltete sich, kurz gesagt, zu einem T r i u m p h z u g d e s H a n d e l s , was nicht nur auf dem Kongrcßplatz Boston, sondern auch auf der sich daran anschließenden Tour durch zehn amerikanische Städte in die Erscheinung trat. Etwas Derartiges ist nur möglich in einem Lande, in welchem „busincss", d. h. Handel und Industrie, eine in Europa und namentlich bei uns Der Höhepunkt ganz unbekannte hohe Wertschätzung genießt. dieser Art des Empfanges wurde uns zu teil in D a y t o n , einer Stadt in Ohio, dem Sitz der bekannten National Casli Register Company. Vom Bahnhof wurden die Delegierten — etwa 400 Personen — in Autos abgeholt. Die Straßen waren mit Fahnen geschmückt, auf den Straßen standen die Schuljugend und die Einwohner, über 2000 junge Mädchen, sämtlich in "Weiß gekleidet, bewillkommneten uns aus den Fenstern der riesigen Fabrikgebäude mit Fahnen- und Tüchcrschwenken, mächtige Kirehenglocken ließen aus der Höhe eines der Gebäude ihre feierlichen Klänge ertönen, die Musikkapelle der Gesellschaft setzte sich mit klingendem Spiel an die Spitze der Delegierten, die die Autos vor dem Fabrikgebäude verlassen hatten, und so fand bei prächtigem Herbstwetter im Sonnenschein der Einmarsch in das Fabrikgebäude statt. — Der Kongreß tagte vom 2 4 . - 2 6 . September in Boston. Es gelang auch, die Tagesordnung, auf welche ich nicht weiter eingehen werde, während dieser Zeit zu erledigen. Am vorangegangenen Empfangsabend im Copley-Plaza-Hotcl, einem neuen prachtvollen, eben vollendeten Bau, stellte sieh bereits heraus, daß dieser Kongreß dank der gründlichen Vorbereitungen — es sollen allein für Drucksachen, Porti und Depeschen 50 000 Mk. ausgegeben worden sein — von einer so großen Zahl Delegierter besucht wurde, wie keiner seiner Vorgänger. Es waren 42 Nationen mit 16 verschiedenen Sprachen vertreten. Jeder Teilnehmer erhielt ein blaues Abzeichen, welches den Namen des Landes, aus welchem der Delegierte stammte, und die Nummer des Delegierten in der offiziellen Kongreßliste angab. Da das Abzeichen von den Teilnehmern ständig getragen wurde, konnte man leicht den Namen jedes Delegierten feststellen. Außerdem erhielt man, ebenfalls mit der Bitte um beständiges Tragen, eine Eosette, an welcher sich fünf verschiedenfarbige seidene Bänder befanden, weiß, rot, grün, blau, gelb. Jede Farbe bedeutete eine
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R e i s e e i n d r ü c k e in A m e r i k a .
Sprache; weiß: deutsch; rot: englisch; blau: französisch; grün: italienisch; gelb: spanisch. Wer die betreffende Sprache nicht beherrschte, schnitt das Band ab. Diejenigen, welche andeuten wollten, daß sie diese oder jene Sprache nicht beherrschten, sondern nur mangelhaft verstanden, kamen auf den witzigen Ausweg, die betreffenden Bänder halb abzuschneiden. Das ganze war eine sehr praktische Einrichtung, da man dadurch leicht erkannte, in welcher Sprache man eine Verständigung mit einem anderen versuchen konnte. Die Kongreßleitung hatte dringend empfohlen, man möge nicht auf Vorstellung warten, sondern sich gegenseitig bekannt machen. Diese Abzeichen gewährten den Delegierten in Boston und auch in den anderen Städten gewissermaßen einen Freibrief. Nicht nur die Komiteemitglieder, sondern auch die übrige Bevölkerung wetteiferten darin, den Delegierten mit Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit entgegenzukommen und behilflich zu sein. Wer nicht selbst sein Hotel wählte, dem war vom Komitee Wohnung beschafft. Die meisten Delegierten wohnten in dem bereits erwähnten großartigen neuen Copley-Plaza-Hotel, in welchem sich auch das Hauptquartier des Kongresses befand. Prächtig ausgestattete Bücher über Boston erhielt jeder, ebenso ein kleines Heft mit Marken über zusammen 5 Doli, für Fahrten mit Autodroschken. Sämtliche Bostoner Clubs standen den Delegierten offen. Die restlichen Tage in Boston vom 2 7 . - 2 9 . September waren vom Komitee angesetzt für Besichtigungen von Fabriken und anderen Anlagen, sowie für Fahrten in die Parks und zu der wundervollen North Shore, dem nördlichen Seestrand. E s blieb dabei recht wenig Zeit, auf eigene Faust sich in der schönen Stadt Boston umzusehen. Ich halte sie für die schönste amerikanische Stadt, sie hat europäisches Aussehen, schöne breite Straßen, die sauber gehalten werden, prachtvolle öffentliche Gebäude, vornehme Privathäuser, und man fühlt es ihr ab, daß sie eine reiche Stadt ist, daß sie eine alte Kultur hinter sich hat, daß sie mit Recht noch heute als der Zentralpunkt für Bildung, Kunst und Musik gelten muß. Die Havard-University, die in dem Vorort Cambridge liegt, ist die älteste Universität des Landes; sie wurde gegründet im Jahre 1636, sechs Jahre nach dem angeblichen Gründungsjahr Bostons. E s soll statistisch nachgewiesen sein, daß der Reichtum der Stadt pro Kopf größer ist als der irgendeiner anderen amerikanischen Stadt. Von den vielen öffentlichen
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Gebäuden will ich nur die Bibliothek nennen, früher die größte, jetzt die drittgrößte des Landes. Von den Veranstaltungen der Bostoner Handelskammer zu Ehren der Delegierten sind zu erwähnen: 1. am 24. September ein Konzert des weltberühmten Bostoner Symphonie Orchester in der Symphony Hall. Bekanntlich ist unser Landsmann, Dr. Muck, seit Herbst v. J. Dirigent dieses Orchesters, welches zurzeit das beste der Welt sein soll. Jedenfalls waren Musikverständige ganz entzückt von dem Dargebotenen. 2. Am 26. September das große offizielle Festessen im CopleyPlaza-Hotel, zu welchem auch der Ehrenpräsident des Kongresses, der Präsident der Vereinigten Staaten, William Taft, von Washington gekommen war. Vor dem Essen hatte er im Hotel einen Empfang abgehalten und mit den bei ihm vorbeidefilierenden Kongreßmitgliedern shake hands gemacht. 3. Dampferfahrt am 28. September zu einer Exkursion in den prächtigen Hafen mit Besuch einer großen Schiffswerft, der Fore River Ship Building Company, die die Delegierten zum Frühstück bewirtete. Im Wasser, also bereits vom Stapel gelaufen, lag ein großes, für Argentinien bestimmtes Kriegsschiff, angeblich zurzeit das größte Kriegsschiff der Welt. Der Hafen ist großartig, die größten Schiffe können bequem anlegen. Bekanntlich würde der im Frühjahr d. J. in Dienst kommende große Dampfer „Imperator" der HapagLinie im New Yorker Hafen Schwierigkeiten beim Anlegen haben; der Pier ist dort nicht lang genug, und eine Verlängerung des Piers will die Hafenbehörde nicht genehmigen. In Boston würde der „Imperator" bequem anlegen können. Aus dieser Veranlassung fuhr der Mayor von Boston, Fitzgerald, eines Tages nach New York zu einer Konferenz mit dem Direktor Ballin, um diesen zu bestimmen, den „Imperator" in Boston anlegen zu lassen. Ob diese Frage heut definitiv entschieden ist, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls würde die Hapag-Linie große Kosten sparen, da die Stadt Boston noch sonstige Erleichterungen angeboten haben soll. Diejenigen Passagiere, deren Ziel New York ist, würden dann mit Extrazug dorthin befördert werden. Auch die städtische Feuerwehr wurde eines Abends den Delegierten gezeigt. Mitten in der Stadt am Copley-Plaza waren an einem leerstehenden Hause im dritten oder vierten
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Stock Bretter in Brand gestockt worden, und die mit rasender Schnelligkeit herbeieilende Feuerwehr zeigte in einem Exerzitium ihre Geschicklichkeit und Ausbildung im Löschen von Bränden. Am Montag, den 30. September früh 9 Uhr, begann die Tour durch die amerikanischen Städte nach Worcester, Buffalo mit Niagarafall, Detroit, Chicago, Cincinnati, Dayton, Pittsburg, Washington, Philadelphia und am 18. Oktober endend in New York. An der Tour durften nur teilnehmen: die Amerikaner, welche das Tour Committee bildeten und ausländische Delegierte. Jedem Delegierten war gestattet, eine Dame kostenfrei mitzunehmen. Für weitere Damen war vorbehalten, daß die Kosten für diese erstattet werden, und daß die Arrangements eine Mitnahme auf die Tour gestatteten. Ich hatte für die Tour sehr frühzeitig meine Frau und meine beiden Töchter angemeldet, die auch mitgenommen wurden. Etwa 40 bis 50 Delegierte waren in Begleitung einer Dame. Soviel ich gesehen habe, hatte nur noch ein Mohammedaner, ein Großkaufniann aus Aden, Hormusjce Dinshaw, der auch ein weltbekanntes Geschäft in Zanzibar hat, mehr als eine Dame mitgenommen; es waren aber nicht zwei Frauen, sondern eine Frau und eine Tochter. Die Reisegesellschaft bestand aus etwa 400 Köpfen. Die Reise erfolgte in Extrazügen. Die Delegierten wurden teils in zwei, teils in drei Extrazügen befördert, die in einem Abstand von 10 Minuten abfuhren. Jeder Delegierte erhielt eine Platzanweisung, die für die ganze Tour gültig blieb; z. B . : Wagen „ F " Platz 10. Lange bevor man das Reiseziel des Tages erreichte, fanden sich in den Zügen Komiteemitglieder der nächsten Stadt zur Begrüßung ein und übergaben jedem Delegierten eine Karte mit dem Namen des Hotels, in welchem für den Betreffenden Wohnung bestellt war. Das große Gepäck mußte mit vollständigem Namen versehen sein und wurde gewöhnlich eine Stunde vor dem Verlassen des Hotels abgeholt; es wurde in einem besonderen Extrazuge, der v o r den Personenzügen abfuhr, befördert, so daß man es in seinem Hotelzimmer entweder bereits bei der Ankunft oder doch bald nachher zur Verfügung hatte. Wenn hierbei auch hin und wieder Fehler vorkamen, so muß man doch sagen, daß sich dies Verfahren bei der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen sehr bewährt hat. Die Fahrten waren mit Ausnahme yon z w e i e n
Tagesfahrten.
Rciseeindrücke in Amerika.
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Für die zwei Nachtfahrten von Boston über Worccster nach Buffalo und von Chicago nach Cincinnati hatte das Komitee Schlafwagen nach europäischem Muster, die aus verschiedenen Teilen Amerikas zweifellos mit großen Kosten zusammengeholt worden waren, zur Verfügung gestellt. Den Pullmann-Schlafwagen hatte man uns nicht zugemutet. Ich habe ihn später bei einem Ausflug nach Canada kennen gelernt: es ist ein langer Wagen, mindestens so lang wie unsere D-Wagen. Wenn er für die Nacht zum Schlafen hergerichtet ist, geht mitten durch den Wagen eine Art Korridor, begrenzt zu beiden Seiten durch Vorhänge. Direkt hinter den Vorhängen sind je zwei Betten übereinander hergerichtet, die nicht wie bei uns quer, sondern in der Längsrichtung des Wagens stehen. Herren und Damen s i n d in d e m s e l b e n W a g e n u n t e r g e b r a c h t . Man kann also einmal ein Frauenbein oder ein Männerbein aus dem Vorhang herausstecken sehen. Die Bedienung in diesen Pullman Sleeping Cars besorgen Schwarze. Die oberen Betten sind ziemlich hoch. Als eine Daine sich erkundigte, wie man denn in das obere Bett gelange, wurde ihr die Antwort: man kleidet sich unten so weit aus, wie es geht, dann rufe man einen Schwarzen, der einem einen Schubs gebe, und man wäre oben und vollendet dort seine Nachttoilctte. So wurde es auch gemacht. Zum Waschen am Morgen befindet sich an dem einen Ende des Wagens ein Abteil für Damen, am anderen für Herren. Natürlich wartet hier einer auf den anderen, was nicht angenehm ist. Ich finde diese Wagen sehr wenig schön; unsere Schlafwageneinrichtungen sind bei weitem vorzuziehen. Die Tagesfahrten erfolgten in sogenannten „Chair-Cars" oder „Parlour-Cars". Man kann diese Wagen mit Salonwagen bezeichnen. Der lange Wagen ist e i n Raum, in der Mitte ein Gang, rechts und links stehen sehr bequeme drehbare Polstersessel. Man sitzt sehr angenehm, aber der beständige Verkehr durch den Gang ist mitunter störend. Während der Fahrten war man stets Gast des betreffenden Komitees; es wurden die Mahlzeiten, häufig auch Getränke und Zigarren verabreicht. Selbstverständlich hatte jeder Delegierte die Hotelrechnung zu begleichen, welche auch die Kosten des Gepäcktransportes von und nach dem Hotel zum Bahnhof enthielt. Die gesamte Tour umfaßte 2167 engl. Meilen, also über 500 deutsche Meilen, d. h. ungefähr eine Entfernung von Berlin bis Lissabon.
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Für jede Stadt war ein festes Programm aufgestellt, das den Delegierten mit dem Hotelnachweis vor der Ankunft eingehändigt wurde; in jedem Programm war ein von der Handelskammer der betreffenden Stadt veranstaltetes Festessen vorgesehen. Manchmal gab es zur Erinnerung Gastgeschenke. Jedes Komitee stellte den Delegierten Autos zur Verfügung, mit denen mitunter sehr weite Fahrten in die Parks und Country Clubs unternommen wurden; fast durchweg waren es Privatautos der Einwohner. Ich schätze diese Autofahrten zusammen auf eine Länge von hier bis in die Schweiz. Die Zeit von 10 Uhr vormittags bis zum späten Nachmittag wurde meistens durch Besichtigung von Fabriken, und zwar meistens von solchen, die für den Platz charakteristisch waren, in Anspruch genommen. Wo man zur Mittagszeit war, stand ein Luncheon für die Delegierten bereit. Die erste Stadt, welche wir besuchten, war das industriereiche W o r c e s t e r , welches teilweise Flaggenschmuck angelegt hatte. Vormittags fand die Besichtigung von Fabriken in geteilten Gruppen statt, abends das Diner in dem in einen Festsaal verwandelten Exerzierschuppen eines in Worcester stehenden Regimentes. Bei derartigen Festessen ist es in Amerika wie in England üblich, daß zuerst die Speisekarte heruntergegessen wird, und dann folgen die Reden. Die Amerikaner sind ausgezeichnete Tischredner, und sie haben auch nicht versäumt, uns dieses Talent kennen lernen zu lassen. In jeder Stadt wurden wir zum mindesten begrüßt von dem „Governor" des betreffenden Staates, von dem „Mayor" der Stadt, von einem oder mehreren Mitgliedern der betreffenden Chamber of Commerce. In einigen Städten, wie z. B. hier in Worcester sprach vor Beginn des Essens ein an der Ehrentafel sitzender Prediger ein Tischgebet. Natürlich mußten die Reden von den Gästen erwidert werden. Auf diese Weise fiel dem Präsidenten des Kongresses, dem Mr. Canon-Legrand, die wirklich schwierige Aufgabe zu, in jeder Stadt zu reden, um den Dank der Gäste auszusprechen. Er erledigte sich dieser schwierigen Aufgabe sehr gewandt in seiner Muttersprache — französisch —, aber er mußte, wie jeder andere Redner, dann auch einige Sätze in Englisch hinzufügen, um sich der Mehrzahl der Wirte gegenüber verständlich zu machen. Es war amüsant zu beobachten, wie schwierig ihm dies anfänglich war, und wie es sich von Rede zu Rede besserte. Die Redner des Abends waren stets in einem Anhang zur
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Speisekarte vermerkt, also mindestens 24 Stunden vorher bestimmt. Die verschiedenen Nationen bemühten sich, unter diesen Dankrednern vertreten zu sein. Die Deutschen sorgten dafür, daß sie nicht in den Hintergrund gedrängt wurden. Auf diese Weise sprachen vor allem der Generalsekretär des Deutschen Handelstages, Dr. Soetbeer, mehrfach, u. a. in Boston, Buffalo, Washington, New York; außerdem Kominerzienrat Münsterberg-Danzig in Chicago; Rosenow-Berlin in Cincinnati; Konsul Dimpker-Lübeck in Pittsburg; Dr. StresemannDresden in Chicago und New York und ich in Detroit. Um 9 Uhr abends verließen wir das freundliche Worcester und erreichten am nächsten Vormittag (am 1. Oktober) B u f f a l o . Der Rest des Tages wurde ausgefüllt durch Autofahrten durch die Stadt und ihre Parks. Am folgenden Tage (2. Oktober) wurde der Ausflug nach den Niagarafällen unternommen, jedenfalls die imponierendste Naturschönheit, die wir auf der Tour sahen. Die industriellen Anlagen haben der Schönheit der Landschaft keinen Eintrag getan. Die beiden Fälle, der eine auf der amerikanischen Seite, der andere, schönere, auf der kanadischen Seite, sollen eine Kapazität von 750 000 Pferdestärken haben, also wohl ungefähr ein Zehnfaches sämtlicher Pferde der deutschen Armee. Benutzt werden zurzeit 140 000 HP. auf der amerikanischen Seite und 80 000 HP. auf der kanadischen Seite. Die Elektrizität wird unter anderem nach der Stadt Syracus geleitet, welche 160 engl. Meilen entfernt von den Fällen liegt, also einen Weg ungefähr von Berlin bis Gotha. Nachmittags 5 Uhr (am 2. Oktober) verließen wir die Niagarafälle und erreichten gegen Mitternacht D e t r o i t , das in Amerika durch Reinlichkeit und durch gesunde Lage berühmt ist; "to live the life is worth in Detroit" sagt man von ihm. Unter den Einwohnern befinden sich viele Deutsche; es ist hier auch ein Denkmal von Schiller vorhanden. Die Blüte verdankt die Stadt der Massenfabrikation von Automobilen, wofür hier wohl die größten Werke der Welt vorhanden sind. Wird der Tag mit 10 Arbeitsstunden berechnet, so soll spätestens in jeder Minute in Detroit ein Auto fertig werden. Wir besichtigten die zweitgrößte Fabrik, die Packard-Company, mit 7000 Arbeitern, welche in diesem Jahre 160 000 Autos herstellen und verkaufen will, alle nach einem oder zwei Typen. Der Preis eines durchaus guten und brauchbaren Autos soll 1500 Doli, betragen; aber jeder Käufer muß sich mit dem betreffenden Typ begnügen; er darf auch nicht
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Reisccindriicke in Amerika.
einen Knopf anders verlangen. Hier und in Chicago sieht man kaum noch Pferde-Fuhrwerke in den Straßen. — In Amerika kennt man ein Chauffeurexamen nicht. Ein jeder darf fahren, ist aber für angerichteten Schaden verantwortlich. Ich glaube nicht, daß in Amerika mehr Unglücksfälle durch Autos vorkommen als bei uns; ich habe wenigstens auf den vielen Fahrten keinen beobachtet. Hier und in Chicago sah ich sehr häufig geschlossene Kupees, bei welchen die Steuervorrichtung innerhalb des Kupees war. In solchen Fahrzeugen machen die Damen ihre Einkäufe in der Stadt. Sie werfen die Tür zu, wodurch niemand an die Steuervorrichtung gelangen kann, und lassen den Wagen auf der Straße vor dem Laden stehen. Am 4. Oktober fand eine Dampferfahrt mit Musik durch den Hafen, den Detroit-River und St. Clairc-See statt. Die Ufer sind sehr malerisch. Detroit sollen jährlich 35 000 Schiffe passieren, die einen Tonnengehalt transportieren (hauptsäclilich Getreide und Kohlen), der größer ist, als der jeden anderen Hafens. In jedem größeren amerikanischen Hafen liegen jetzt Feuerlöschschiffc mit sehr kräftigen Maschinen, die imstande sind, nach allen Seiten hin mächtige Wasserstrahlen vier bis fünf Stock hoch im Bogen zu entsenden. Wir sahen hier zum ersten Male ein solches Schiff, das in Tätigkeit den Eindruck einer Riesenfontäne macht und bei Sonnenschein prächtige Regenbogen zeigt. Nachmittags 4 Uhr erfolgte die Weiterfahrt nach C h i c a g o , der Stadt, welche wohl die schnellste Vermehrung der Einwohnerzahl aufzuweisen hat; jetzt zählt sie über zwei Millionen Bewohner. Die Ankunft erfolgte gegen Mitternacht. Komiteemitglieder waren mehrere Stunden vorher in den Zug eingestiegen, überreichten uns außer reichhaltigem Programme und dem Hotclnacliwcis prachtvolle Bücher über Chicago, auch ein besonderes Abzeichen, und jeder Dame eine prachtvolle langstielige Rose — American Bcauty —, von denen ein Stück einen Dollar kosten soll. Uberhaupt war die Aufnahme in Chicago äußerst opulent. Der Höhepunkt war das Diner im Golden Room des Kongreß-Hotel am 5. Oktober. Der Bahnhof und eine Hauptstraße sowie das würdige Gebäude des Board of Trade trugen Flaggenschmuck. In diesem Gebäude findet der weltberühmte Getreidemarkt statt, der ausschlaggebend ist für die Preise des Getreides in der ganzen Welt. Am lebhaftesten ging es in dem „Korb" der Weizenbörse zu. Es ist ein runder Platz
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Reiseeindrücke in Amerika.
zu ebener Erde, der rund herum terrassenförmig durch aufsteigende Treppen umgeben ist, also wie eine Arena aussieht. An der einen Seite dieser Arena, die die Amerikaner „pit", also Grube, nennen, sieht man auf einem ganz ansehnlich erhöhten Platz einen Mann, der scherzweise der „Weizengott" heißt, der die Preisschwankungen im Verkehr unter sich scharf beobachtet und auf einer hinter ihm stehenden Tafel diese Schwankungen telegraphisch weitergibt, sodaß sie sofort nicht nur in alle größeren amerikanischen Städte, sondern auch nach Europa blitzschnell gelangen. Außer Autofahrten und Besuch von Fabriken und Warenhäusern sind aus Chicago besonders erwähnenswert: 1. Die Teilnahme an einem Fußballkampfspiel zwischen den Universitäten Chicago und Indiana. Man sollte meinen, daß diese Universitäten die Kämpfer stellen; das ist nicht der Fall, sondern die Kämpfer sind meist mit teuerem Gelde gemietete Professionals. Trotzdem erregt ein solcher Kampf das lebhafteste Interesse der Amerikaner; viele Tausende finden sich als Zuschauer ein, und der jeweilige Stand des Kampfes wird sofort telegraphisch in alle Städte gemeldet. In Boston sah ich in einer Hauptstraße einen Auflauf von Menschen; es stellte sich heraus, daß sie auf die Meldungen irgendeines Baseballspiels, für welches Wetten abgeschlossen waren, vor einer Zeitungsredaktion warteten. 2. Die Union Stock Yards, das sind die bekannten großen Schlachthäuser. Der Besuch derselben bietet keinen ästhetischen Genuß. Man beobachtet auch hier die weit durchgeführte Arbeitsteilung, die die amerikanische Industrie so groß gemacht hat. In dem Schlachtraum der Schweine sieht man eine dicke, beständig fortlaufende eiserne Kette. Am Anfang geht die Kette über ein Rad. Das Schwein wird mit einem Hinterbein an der laufenden Kette befestigt, das Schwein wird hochgezogen, im nächsten Augenblick schneidet einer die Kehle durch, das Schwein läuft an der Kette weiter, der folgende macht einen Schnitt durch den Leib, und so geht es fort, bis das Schwein, vollständig sachgemäß zerlegt, am Ende ankommt und in die Kühlräume gebracht wird. Ähnlich wird der Vorgang bei den anderen Schlachttieren sein, den ich nicht gesehen habe. In den Kühlräumen hängen Unsummen von Rindern, Hammeln, Schweinen. Länger wie eine halbe Stunde hält man die Promenade durch die Gewerbliche EinzeIvorträ^e>
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Reiseeindrücke in Amerika.
Kühlräume nicht aus, und man ist froh, wenn man diese Riesenvorratsstätte von Fleisch wieder verlassen kann. Einen anders gearteten Eindruck machte der Besuch der großen freundlichen Handelsniederlassung von Sears, Roebuck u. Co., einer Aktiengesellschaft, die mit den verschiedensten Waren, und zwar lediglich im Postverkehr nach Bestellung auf Grund von Katalogen handelt. Der Absatz findet fast nur in den Vereinigten Staaten statt; täglich verlassen zwei bis drei Eisenbahnzüge das Etablissement. E s sind 9000 Angestellte vorhanden, und täglich werden etwa 5000 Mk. für Porto ausgegeben. Am Montag, 7. Oktober, spät abends gegen 12 Uhr, nach einem Abschiedsessen in dem neuen prächtigen Blackstone-Hotel, verließen wir. Chicago und gelangten am folgenden Morgen nach C i n c i n n a t i. Autofahrten durch die Stadt, in die Parks, nach Fabriken und abends das übliche Diner der Cincinnatier Handelsvertretungen nahmen den Tag in Anspruch. Am 9. Oktober früh erfolgte die Weiterfahrt nach D a y t o n zu einem fünfstündigen Aufenthalt. Den Empfang, der einen fürstlichen Anstrich hatte, habe ich zu Anfang erwähnt. Nach einem Lunch im Officer-Club im zehnten Stock eines der sechzehn Gebäude, vereinigten wir uns im Konzert- und Gesellschaftssaal der Gesellschaft, wo Vorträge mit bunten Lichtbildern stattfanden, und Ansprachen, u. a. von dem Direktor Paterson und dem bekannten Flieger Orville Wright gehalten wurden. Um 4 Uhr Weiterfahrt nach P i 11 s b u r g , wo wir erst gegen Mitternacht in die Hotels kamen. Den 10. Oktober bis zum späten Nachmittag füllte eine Dampferfahrt auf dem Allegheny und dem Monongahela aus. Beide Flüsse, deren Namen von den Indianern herrühren, vereinigen sich bei Pittsburg zu dem Ohio. Wir passierten eine Reihe von großen Eisenwerken, deren Rauch die Flußtäler und die ganze Stadt in einen Dunst hüllen. Ausgestiegen wurde bei den Carnegie Steel Works, einem der Werke, die dem bekannten früheren Industriellen, jetzigen Rentner Carnegie zu ungeheurem Reichtum verholten haben. Fachleute sagten, daß die Betriebsweise nicht so vollkommen sei, wie bei den großen deutschen Werken, und eines ist sicher: die Ordnung ist bei uns eine bessere.
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Am zweiten Aufenthaltstage (11. Oktober) wurde u. a. die große Konservenfabrik H. J. Heinz Company besichtigt. Abgesehen von dem großartigen, sauberen und appetitlichen Geschäftsbetriebe ist dieses Unternehmen bemerkenswert, weil es mit zu denjenigen gehört, welche sich durch eine große Zahl von Anlagen für die Wohlfahrt und die Bequemlichkeit der Angestellten auszeichnen. Helle schöne Speisesäle, Erholungsräume, Dachgärten, Bibliothek, Hospitalzimmer, Bade- und Turnsäle, Spielplätze sind vorhanden. Vorher war das viele Millionen Mark kostende Geschenk Carnegies an die Stadt, die Carnegie Library of Pittsburg, ein vornehmes, riesiges Gebäude, besichtigt worden; es enthält außer der Bibliothek auch die Carnegie-Institute. In einem derselben befinden sich zusammengesetzte Gerippe vorweltlicher Tiere, u. a. des größten vorweltlichen Tieres, von dem Carnegie unserem Kaiser eine Kopie schenkte, die in unserem Naturhistorischen Museum aufgestellt ist. Den 12. Oktober gebrauchten wir von morgens bis abends, um von Pittsburg nach W a s h i n g t o n zu gelangen. Auf der Fahrt schöne Landschaftsbilder im Herbstschmuck. Washington ist das Gegenteil vom raucherfüllten, schornsteinreichen Pittsburg. Es ist im wahren Sinne eine Gartenstadt, ohne einen Schornstein, mit sauberen, breiten, baunibepflanzten Avenuen und Straßen, mit einer Fülle öffentlicher Prachtbauten, darunter das Weiße Haus, die Wohnung des Präsidenten, das Kapitol mit den Sitzungssälen für den Senat und die Repräsentanten. Nicht weit davon liegt die „Kongress Library", welche vier bis fünf Millionen Bände aufnehmen kann, aber zurzeit erst ein Drittel davon besitzt. Alle diese Prachtgebäude, von denen einige in Marmor ausgeführt sind, sind durch Beschreibungen und Bilder hinlänglich bekannt. Am Südende der Stadt, am Washington Chanal, befindet sich das Army War College, die Kriegsakademie, ein schönes Backsteingebäude mit einer mächtigen Freitreppe, auf welcher an der einen Seite auf einem Podest die Statue Friedrichs des Großen steht, die unser Kaiser den Vereinigten Staaten zum Geschenk gemacht hat. Die deutschen Delegierten hatten beschlossen, an diesem Denkmal einen Kranz niederzulegen, hatten davon unserer Botschaft Kenntnis gegeben, und gebeten, etwa erforderliche Benachrichtigungen an die Behörden gelangen zu lassen. 2*
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Es war trotz Regenwetter ein feierlicher Moment, als wir am 14. Oktober mittags einen großen Kranz an dem Denkmal niederlegten, wobei Dr. Soetbeer und Dr. Stresemann patriotische Ansprachen hielten. Plötzlich erschien dann eine Ordonanz, die einige von uns ersuchte, zum General, dem Kommandanten des Gebäudes, zu kommen. Dieser wunderte sich, daß er von diesem Huldigungsakt auf dem seiner Obhut unterstehenden Grund und Boden keinerlei Kenntnis erhalten habe. Wir erklärten ihm, was wir zu diesem Zwecke, offenbar erfolglos, getan hätten; er kam hinaus, ließ sich die Inschrift der Schleife übersetzen und erklärte dann seinerseits, er sei befriedigt und ersuche uns, unseren Landsleuten zu sagen, daß die amerikanische Armee sich freue, das Standbild dieses großen Feldherrn und Königs zu besitzen. — Einen großen Reiz gewährte eine Dampferfahrt auf dem Potomac River nach Mount Vernon, dem früheren Besitztum George Washingtons, wo sich auch sein Grab befindet. Das Haus, das Gelände, frühere Gebrauchsgegenstände und Wohnungsstücke sind von einem Frauenklub aufgekauft und dem Staat zum Geschenk gemacht worden und bilden hier ein nationales Heiligtum. Am 15. Oktober früh erfolgte die Weiterfahrt nach P h i l a d e l p h i a , das um 1 Uhr erreicht wurde. In der City Hall begrüßte der Mayor die Delegierten in den drei Kongrcßsprachen, darunter in einem geläufigen reinen Deutsch. Es ergab sich, daß der Mayor ein Deutscher namens Blankenburg war, der hier sowohl wie auf dem üblichen Bankett die Sympathie der Deutsch-Amerikaner für ihr früheres Vaterland betonte und glaubte dafür einstehen zu können, daß diese stets für ein freundliches Einvernehmen zwischen Deutschland und Amerika sorgen würden, was auch die Zukunft bringen möge. Philadelphia ist eine industrie- und handelsreiche Stadt, die auch in der Geschichte Amerikas eine bedeutende Rolle spielt; hier erfolgte die Unabhängigkeitserklärung im Jahre 1776; daher sind viele historische Erinnerungen aus dieser Zeit vorhanden. — Außer Fabriken wurde u. a. das Warenhaus von Wanemaker, der auch ein gleiches Etablissement in New York besitzt, besichtigt. Ich glaube, daß Wanemaker der Begründer der Warenhäuser ist. Beim Lunch in den Speiseräumen der Angestellten hielt der alte Mr. Wanemaker, eine in Amerika sehr bekannte Persönlichkeit, die Begrüßungsrede.
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Eine Dampferfahrt (am 16. Oktober) auf dem Delaware ließ uns den groß angelegten, für die größten Schiffe bequemen Hafen kennen lernen. Erwähnenswert ist noch das hier befindliche Commercial Museum. Alle wichtigen Rohprodukte und die daraus hergestellten Fabrikate sind hier systematisch in natura und, wo dies nicht angänglich war, in Bildern dargestellt. Also z. B. die Baumwollpflanze in natura, dann nach oben eine Abzweigung, die die verschiedenen Stadien der Bearbeitung bis zum fertigen Gewebe zeigt, und nach unten eine andere Abzweigung, die das aus dem Urprodukt gewonnene Baumwollöl und seine spätere Verwendung zeigt. Das Museum hat ein Bureau für auswärtigen Handel, welches kostenfrei auf Anfragen über Exporthandel, Absatzgebiete nach fremden Ländern Auskunft gibt. Ferner hat es eine Handelsbibliothek und geographische und Reiseberichte. Man ist damit beschäftigt, eine Auskunftsstelle über alle Firmen der Welt anzulegen. Es sind schon riesige Schränke mit Mappen gefüllt, eine Probe auf Berliner Firmen versagte aber. Das Museum dient in erster Linie Lehrzwecken, und bekanntlich trägt man sich in Deutschland auch mit dem Plan, ein Reichshandclsmuseum ungefähr in der Art des Philadelphia Commercial Museum zu errichten. Am 17. Oktober früh Weiterfahrt nach N e w Y o r k , das gegen 11 Uhr erreicht wurde. Bereits um 2 Uhr 30 Minuten standen vor den Hotels Autos bereit zu einer Fahrt durch die Stadt. Am 18. Oktober wurde auf dem Riesenflußdampfer „Hendrik Hudson", der 5500 Personen fassen kann, eine Fahrt durch den Hafen, den East River und den North River, den Hudson, hinauf, mit seinen herrlichen, an den Rhein erinnernden Ufern gemacht. Nach der Begrüßung beim Luncheon in der Chamber of Commerce erfolgte nachmittags in dem Saal der Ingenieur-Gesellschaften der Schluß der Tour der Delegierten, wobei der Mayor von New York und andere Honoratioren Ansprachen hielten, die von Delegierten verschiedener Nationen, u. a. für Deutschland von Dr. Soetbeer erwidert wurden. Alle Delegierten konnten mit Recht den Dank für die große Gastfreundschaft mit der Versicherung verbinden, daß der Aufenthalt in Amerika bei allen Beteiligten in unvergeßlicher freundlicher Erinnerung bleiben wird. Auf eine Beschreibung der Stadt New York, ihrer großartigen Hafenanlage, der schönen Umgebung, des bezaubernden Bildes bei
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der Ein- und Ausfahrt, wobei die berühmten Wolkenkratzer, darunter der Singerturm mit 40 Stockwerken eine wundervolle Silhouette bilden, muß ich verzichten. Wenn nun auch die Reise die Delegierten nur mit einem Teil der Vereinigten Staaten, im wesentlichen mit den als „Neu-England" bezeichneten ältesten Ansiedlungen der Europäer in Berührung brachte, und wenn wir selbst in diesen Teilen amerikanisches Leben nur oberflächlich, und zwar in schöner Beleuchtung kennen lernen konnten, so genügte die Reise doch, um die Uberzeugung zu gewinnen, daß Amerika in der Tat eine andere W e l t ist, schon allein dadurch, daß hier die verschiedenen Nationalitäten friedlich beicinanderleben und sämtlich wertvolle Mitglieder e i n e r großen Nation bilden. Das Land ist sehr reich an Naturschätzen aller Art, die zu heben und auszunutzen die Bevölkerung noch nicht ausreicht. Im Osten mag es wohl im großen und ganzen schon der Fall sein, im Westen noch nicht; daher kann man bereits in der amerikanischen Bevölkerung eine Abwanderung vom Osten nach dem Westen beobachten. Bei den aus Europa eingewanderten Deutschen habe ich hin und wieder das Geständnis gehört, daß zum Geldverdicncn es in Amerika, zum Leben in Deutschland besser sei. Es mag diese Ansicht auch bei anderen Nationen vorhanden sein. Aber die Kinder der eingewanderten Europäer, welcher Nation die Eltern auch angehören mögen, werden echte Amerikaner, deren Fühlen und Denken frei ist von allem Althergebrachten. Sie sind begeistert für ihr Vaterland und schwärmen für Freiheit, von der sie glauben in Europa nicht viel vermuten zu können, und deren vielfache Unbequemlichkeit für den Mitmenschen sie nicht geniert, weil sie darin aufgewachsen sind. Diese Entwicklung wird meiner Ansicht nach nicht unwesentlich gefördert durch den Unterricht in den Volksschulen. Statt der Sprüche und Gesangbuchlieder lernen die Kinder hier die Rede auswendig, die Lincoln an einem Grabe von Gefallenen im Bürgerkriege 1863 hielt, und die mit den Worten beginnt: „Vor 87 Jahren schufen unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, die aus der Freiheit empfangen und geboren und dem Gedanken geweiht war, daß alle Menschen gleich geschaffen sind. Jetzt machen wir die Probe darauf, ob eine Nation, die aus solchen Gedanken empfangen und geboren wurde, lebensfähig ist."
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Klar zutage tritt das Bestreben, die eigene Nation auf eine Kultur- und Bildungsstufe zu bringen, die gleich ist derjenigen der ersten Völker Europas. Mit diesem Bestreben steht zweifellos eine Erscheinung in Zusammenhang, die die Bewunderung jeden Europäers hervorrufen muß, nämlich die Munifizenz der Bürger. Beinahe alle Universitäten und höheren Schulen sind von Bürgern gestiftet worden. Ebenso eine große Zahl von jedem offen stehenden Bibliotheken, die meistens in prächtigen Palästen untergebracht sind, und die kein Volk in größerem Umfange besitzt als das amerikanische. Fast in jeder Stadt hört man, daß dieser oder jener Park ein Geschenk eines Mitbürgers ist. In Boston wurden zur Zeit des Kongresses zwei Schenkungen bekannt: die eines Mr. Anderson für den Bau einer Brücke zur Verbindung zweier Stadtteile, und die einer Dame von 1 Million Dollar für die Vergrößerung der Bibliothek der Havard-Universität, die selbst aus Stiftungen von Bürgern entstanden ist. Weltbekannt sind die großenMillionenstiftungen Carnegies. Auch die Mehrzahl der vielen vorhandenen und beständig sich vermehrenden technischen und Handelsschulen verdanken der Freigebigkeit der Bürger ihr Entstehen. Diese Schulen sind für die Ausbildung der heranwachsenden Generation sehr wichtig, denn sie ersetzen die Lehrlingszeit, die man in Amerika nicht kennt. Der spätere Fabrikarbeiter, Handwerker, Ingenieur, Kaufmann lernt hier die Anfangsgründe und eignet sich technische Fertigkeiten an. Bei der in allen amerikanischen Betrieben denkbar weitest durchgeführten Arbeitsteilung ist für Lehrlinge kein Baum. Arbeiter und Arbeiterinnen in den Fabriken machen einen zufriedenen und körperlich gesunden Eindruck. Eine Tugend des amerikanischen Volkes ist die Nüchternheit. Die Arbeiter lehnen es ab, während der Arbeitszeit alkoholhaltige Getränke zu sich zu nehmen. Ich habe niemals einen Betrunkenen und auch niemals einen Bettler gesehen. Trotzdem es in Amerika keine Gewerbeinspektion und keine Zwangsvorschriften für soziale Einrichtungen gibt, findet man in den großen amerikanischen Fabriken, Warenhäusern und Handelshäusern so ausgedehnte und reich ausgestattete Einrichtungen für die Gesundheit, die Behaglichkeit, die Bildung und Unterhaltung der Angestellten, wie ich sie in Europa noch nicht gesehen habe. Man
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tut dies offenbar, um die Arbeiter an sich zu fesseln, und daher mag es auch kommen, daß ein Etablissement das andere in seinen Wohlfahrtseinrichtungen zu überflügeln sucht. Das Überflügeln ist bekanntlich echt amerikanisch. Der Singer-Turm in New York ist 40 Stock hoch; eben ist das Woolworth-Haus mit 57 Stock fertig, und schon ist der Grundstein für ein Wolf-Haus gelegt, das noch höher werden soll. In den Vereinigten Staaten sind Staat und Kirche getrennt, Religion ist Privatsache; das hindert nicht, daß man viel kirchlichen Sinn findet. Die Kirchengemeinden müssen ihre Prediger selbst bezahlen. Kirchengemeinden, welche reiche Mitglieder haben oder über reiche Stiftungen verfügen, bezahlen ihre Prediger fürstlich, andere Prediger haben nur gerade ihr Auskommen. Die Kirchen greifen manchmal zu merkwürdigen Mitteln, um Mitglieder festzuhalten oder zu gewinnen. So wurde mir erzählt, daß eine Kirche im Kellergeschoß eine Kegelbahn besitze, um die jungen Leute auch nach der Predigt an sich zu fesseln. Auf einer weit höheren Stufe als bei uns in Deutschland steht der bargeldlose Zahlungsverkehr durch die enorm große Ausdehnung des Scheckverkehrs. In einer Chicagoer Bank, der Continental u. Commercial National Bank, wurde mir mitgeteilt, daß sie im Durchschnitt des Jahres täglich einen Eingang habe von 60 000 Stück Schecks von außerhalb und 70 000 aus der Stadt, zusammen 130 000 Stück Schecks; ferner täglich durchschnittlich 11000 Briefe im Eingang, und 9000 Briefe im Ausgang. Zur Bewältigung dieses Verkehrs wurden benutzt: 258 Additionsmaschinen, 48 Schreibmaschinen und 2 Maschinen, welche die ausgehende Post in 45 Minuten schließen und frankieren. Im Verkehr sieht man sehr wenig Gold. Ein goldenes 20 Dollarstück, welches ich mitgenommen hatte, wurde argwöhnisch betrachtet. Soweit Barzahlungen erfolgen, geschieht dies fast ausnahmslos durch Banknoten. Diese kursieren in allen Größen, 1, 2, 5, 10 Dollar usw. Diese Noten haben sämtlich die gleiche längliche Form. Ich will nicht behaupten, daß diese Form sehr praktisch ist; aber die Gleichheit der Form macht es dem Publikum möglich, die Noten in bequemer Weise bei sich zu führen; selbst für Arbeiter sind hierfür praktische Taschen, welche einem Portemonnaie gleichen, vorhanden. Wir bestreben uns, von den auf drei bis vier Milliarden Mark ge-
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schätzten Goldmünzen, die sich im Verkehr befinden, einen Teil der Reichsbank dadurch zuzuführen, daß wir die kleinen Banknoten in den Verkehr zu bringen suchen. Dieses Bestreben würde wesentlich unterstützt werden, wenn auch bei uns für die Noten eine Gleichheit der Form durchgeführt würde. Wetten aller Art, namentlich auf Football- oder Baseballspiele und Spekulationen an den verschiedenen Börsen sind in Amerika im Schwünge. Der Amerikaner hat gewöhnlich ein Gcldkonto bei einer Bank und führt seine Effektenspekulationen bei einem anderen Bankier, einem Wertpapierhändler, aus. In einem New Yorker Bankgeschäft dieser Art sah ich außer den Räumen für Bureaus und Kasse auch einen großen Saal, dessen eine Längsseite eine schwarze Tafel einnahm. Oben waren in roter Schrift die Namen der verschiedenen Papiere verzeichnet und darunter wurden beständig alle Kursschwankungen, auch geringe, je nach dem Stand der Börse, verzeichnet. Den ganzen Raum des Saales nahmen Klubsessel ein, in denen die Kunden saßen und ihre Zigarren rauchten. Fand einer der angegebenen Kurse Interesse bei einem Kunden, so winkte er den bereitstehenden Clerk und in drei bis fünf Minuten meldete ihm dieser bereits die Ausführung seines Auftrages — es geht alles telegraphisch nach und von der Börse. In einem anderen Raum dieses Geschäfts war ein richtiges Telegraphenbureau mit ungefähr einem Dutzend Tclegraphisten; zwei davon bedienten nur den eigenen Strang nach dem Süden. Das Geschäft zahlte für seine Leitungen jährlich 150 000 Mark Pacht. Die Gesamtunkosten wurden mir auf jährlich mehr als eine Million Mark angegeben. Ebenso schnell wie mit der Effektenbörse — der Stock-Exchange — ist auch der Verkehr mit derjenigen Börse, an welcher die an der Stock-Exchange nicht zum Handel zugelassenen Werte gehandelt werden. Darunter befinden sich Werte von großer Bedeutung, in denen täglich große Umsätze sind, z. B. Petroleumaktien. Es ist dies zweifellos die merkwürdigste Börse der Welt, und wer es nicht gesehen hat, glaubt es nicht. In Broad Street, in der Nähe der StockExchange, ist der halbe Damm von ihr eingenommen. Hier stehen die Makler, es mag regnen oder schneien, auf der Straße und verkehren durch eine Fingersprache mit den Agenten der Bankhäuser, die auf den Fensterbrettern der umliegenden Häuser mit nach der Straße heraushängenden Beinen sitzen oder auf den Baikonen stehen, gc-
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wohnlich in der einen Hand ein Telephon, um sofort die Meldungen nach dem Bankbureau weiterzugeben. Am Tage meines Besuches war das Geschäft in der Stock-Exchange ruhig, jedenfalls viel ruhiger als gewöhnlich an unserer Börse, dagegen in Broad Street ungemein lebendig. Nicht weit von diesem Markt, gegenüber dem Geschäftshaus von J. Pierpont Morgan erscheint fast täglich um 12 Uhr ein Volksredner, ein ganz würdig aussehender alter Mann mit weißem Haar, der „Bishop of Wallstreet", wie ihn der Volksmund nennt. Er wettert in einer langen Kapuzinerpredigt gegen die Schlechtigkeit der Welt, insbesondere gegen den Reichtum, was an dieser Stelle, unter den Fenstern von Multimillionären, einen höchst komischen Eindruck macht. Niemand stört den Mann. Ein deutscher Historiker hat einmal den Ausspruch getan, daß Republiken gegen ihre großen Männer undankbar seien. Für Amerika trifft dies offenbar nicht zu; denn die besuchten Städte wiesen reichlich viele Denkmäler auf von Generälen, früheren Präsidenten, verdienten Gouverneuren, Dichtern und Schriftstellern. Sogar deutsche Gcisteslielden, wie Luther, Schiller, Goethe, Beethoven werden drüben durch ein Denkmal geehrt. Was das Deutschtum überhaupt anlangt, so scheint es mir, als ob es im Erstarken wäre, was wohl in der heutigen Machtstellung Deutschlands seinen Grund haben wird. „Ich bin ein guter amerikanischer Bürger, aber auch ein Deutscher", hörte man häufig sagen. Eine ungeheure Hochschätzung bringen die Amerikaner und namentlich die Deutschamerikaner unserem Kaiser entgegen, die mitunter soweit geht, daß sie den Eindruck hervorruft, als ob Deutschland ein rein autokratisch regiertes Land wäre. Gewiß gibt es noch viele, von mir nicht berührte Verhältnisse, welche auf einen Unterschied zwischen der alten Welt und der neuen Welt hinauslaufen. Sie werden aber alle darauf hinweisen, daß die Amerikaner ein Volk bilden, welches losgelöst vom Althergebrachten, seinen eigenen Weg gegangen ist und geht. In der alten Welt ist man über Bildung zur Wohlhabenheit gelangt; die neue Welt gelangt umgekehrt über Reichtum zur Bildung, wozu reiche Naturschätze des Landes und angeborener Geschäftssinn seiner Bewohner Amerika befähigen.
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Emerson, der amerikanische Philosoph, und nach Washington und Lincoln der dritte Nationalheros, natürlich ein genauer Kenner seines Volkes, äußert einen ähnlichen Gedanken in den Worten: „Wir sind der Geschichte, den Pyramiden, den Klassikern aller Völker dankbar. Aber jetzt ist u n s e r Tag gekommen. Jetzt leben w i r , und nicht als Bahrtuchträger eines Leichenbegängnisses, sondern als die Schöpfer und Erhalter u n s e r e s Zeitalters, und weder Griechenland noch Rom soll uns länger gebieten."
IL Der Altmetallmarkt und seine volkswirtschaftliche Bedeutung. "Vortrag des Herrn Norbert
Levy,
Inhaber der Firma N. Levy & Co., Berlin.
Die Entwicklung des Metallmarktes nimmt in steigendem Maße die Aufmerksamkeit von Fachleuten und Laien in Anspruch, da von Jahr zu Jahr das Wohlergehen weiter Kreise in immer größerem Umfange von ihm abhängig wird. In ganz besonderer Weise ist es der Kupfermarkt, der dieses allgemeine Interesse erweckt. Ist doch das Kupfer zu einem der wichtigsten industriellen Rohstoffe überhaupt geworden. Der deutsche Konsum an Kupfer betrug im Jahre 1912 ca. 290 000 Tonnen und stellt nach den heutigen Tagespreisen einen Wert von ca. 440 Millionen Mark dar. Die Zunahme des Weltbedarfs im letzten Jahre gegenüber dem vorhergegangenen Jahre beträgt etwa 12%, die Zunahme des deutschen Bedarfs war 15 %. Dieser stark steigende Konsum ist bisher durch eine entsprechende Steigerung der Produktion fast ausgeglichen worden. Trotzdem ist schon lange von Nationalökonomen und Fachleuten die Frage aufgeworfen worden, ob auf die Dauer die Kupfererzeugung dem Wachsen des Verbrauchs entsprechend zunehmen werde, ob nicht eines Tages die Kupferdecke zu kurz werden könnte. Eine solche Möglichkeit würde für eine große Anzahl blühender Erwerbszweige, aber auch für die gesamte Volkswirtschaft überaus verhängnisvoll sein. Mir erscheint ihr Eintreten jedoch unwahrscheinlich. Einmal wird die Erzeugung von Kupfer sich noch weiter ausdehnen, sodann aber ist der Verbrauch keineswegs ausschließlich auf die Verwendung von neuem Kupfer angewiesen, sondern wir haben glücklicherweise noch eine jährlich wachsende Reserve, die geeignet ist, manche Stockungen und Hindernisse in der Zufuhr von Rohkupfer auszugleichen und eine übermäßige Teuerung des Rohstoffes zu verhindern. Diese Reserve ist der Altmetallmarkt. Somit kommt dem Altmetallhandel eine erhebliche Bedeutung zu. Zunächst natürlich eine praktische Bedeutung für Erzeuger, Verbraucher und Händler, sowie für die übrigen Interessenten des Kupfermarktes. Darüber hinaus besitzt der Altmetallhandel aber
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eine allgemeine volkswirtschaftliche Bedeutung. Diese Tatsache mag es rechtfertigen, wenn ich es unternehme, Ihnen am heutigen Abend einiges über die Verhältnisse einer Branche zu erzählen, von der wohl nur wenige Außenstehende sich eine einigermaßen richtige Vorstellung hinsichtlich ihrer Organisation und Bedeutung machen. Der wichtigste und bei weitem umfangreichste Teil des Altmetallmarktes wird vom K u p f e r und seinen L e g i e r u n g e n gebildet. Deshalb werden sich meine heutigen Ausführungen auch auf dieses Spezialgebiet beschränken, ohne daß die Bedeutung der aus Zink, Blei und Zinn bestehenden Altmetalle unterschätzt werden soll. Eisen bildet einen gesonderten Handelszweig, der handelstechnisch nicht zur Metallbranche gezählt wird und ein Gebiet für sich bildet. Dieser Artikel ist deshalb in meinen Ausführungen nicht berücksichtigt. Aber auch bei dieser Beschränkung zwingt mich die Fülle des Stoffes noch, Ihnen nur einen Uberblick über die wichtigsten Formen dieses Geschäftszweiges zu geben. Ich werde nun versuchen, Ihnen klar zu machen, welche Waren den Gegenstand des Altmetallhandels bilden, sodann will ich versuchen, einiges statistisches Material über den Umfang dieses Handelszweiges vorzubringen. Ich möchte Ihnen ferner schildern, wie diese wichtige Ware in den Verkehr gelangt, welche Organe des Handels sich mit ihr befassen und in welchen Formen sich der Handel abspielt. Dann wollen wir sehen, wohin das Altmaterial fließt und in welcher Form es seine Auferstehung feiert; und endlich wollen wir uns über die volkswirtschaftliche Bedeutung des Altmetallmarktes für die Versorgung des Metallkonsums im Frieden und im Krieg, über seinen Einfluß auf die Preisbildung der Neumetalle und damit der metallverarbeitenden Industrie klar werden. Wir unterscheiden drei Spezialitäten des Altmetallhandels in seinem weiteren Wortsinn: 1. den Handel mit neuen Abfällen, die sich bei der Fabrikation ergeben, 2. den Handel mit Rückständen, die bei der Gießerei und beim Walzen des Kupfers entstehen, 3. der Handel mit Altmetallen, d.h. mit Metallfabrikaten, die wieder auf den Metallmarkt kommen, nachdem sie ihrer nächsten, unmittelbaren Bestimmung genügt haben.
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Ich beginne mit dem letzten, dem A l t m e t a l l h a n d e l i m e n g e r e n S i n n e , weil ein großer Teil der Waren, um die es sich hier handelt, auch dem Laien bekannt ist. Jeder Mensch ist dauernd Verbraucher von Metallen. Wenn wir telephonieren oder telegraphieren bedienen wir uns des roten Metalls. Kupfer und Messing finden wir bei der Straßenbahn, auf den Fernbahnen, auf dem Dampfer. Wir sehen es im Hause an den Türklinken, am Fenstergriff, an den Möbelbeschlägen und Beleuchtungskörpern. Auch das Uhrwerk, das unsere Zeit regelt, ist von Metall. Allen diesen vielen Gegenständen des täglichen Lebens wohnt nur eine beschränkte Lebensdauer inne. Wenn ihre Zeit erfüllt ist, wenn sie ihrem Zweck nicht mehr zu dienen vermögen, so sind sie damit aber nicht wertlos geworden. Sie erscheinen als Altmetall im Handel und werden als solches neuen Verwendungszwecken zugeführt, wie ich nachher zeigen will. Wichtiger als der Handel in Altmetallen der geschilderten Art, den der Laie leicht für den einzigen hält, ist der H a n d e l m i t i n d u s t r i e l l e n A b f ä l l e n u n d R ü c k s t ä n d e n . Um die Entstehung und Verwertung dieser Produkte zu schildern, muß ich kurz darauf eingehen, wie d a s N e u k u p f e r verarbeitet wird. Kupfer kommt hauptsächlich in vier Formen zur Verarbeitung: nämlich als Drahtbarren, als Walzplattcn, als Blöcke und Kathoden. Die D r a h t b a r r e n werden zu Draht gezogen, der für verschiedene industrielle Zwecke, hauptsächlich aber für die Anfertigung von Kabeln, für die Oberleitungsdrähte der Straßenbahnen und für telephonische Zwecke dient. Aus den P l a t t e n werden Bleche verschiedenster Stärke gewalzt. Man fertigt ferner daraus Scheiben und Böden an, aus denen dann in Apparatebaufabriken Kessel, Röhren, Kühlapparate für Brauereien und Bottiche für Brennereien hergestellt werden. Die B l ö c k e und K a t h o d e n endlich werden als Gußkupfer zu Legierungen verschiedenster Art, zur Herstellung von Messing, Tomback und Rotguß verwandt. Die wichtigste dieser Legierung ist das Messing, eine Verbindung von etwa zwei Dritteln Kupfer und einem Drittel Zink. Ebenfalls von großer Bedeutung ist der Rotguß, eine Verbindung von durchschnittlich 80—85 % Kupfer, 5—10 % Zinn, mit Zusätzen von Zink und Blei. Endlich sind verschiedene technische Legierungen zu erwähnen, die Zusätze von Mangan, Aluminium und Eisen besitzen, welche der Legierung besondere Spezialeigenschaften verleihen. Beim Auswalzen der Kupferplatten, sowie beim Ausziehen der Gewerbliche Einzelvorträge.
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Drahtbarren und bei der Herstellung von Legierungen ergibt sich die eine Klasse der Artikel des Altmetallhandels, die sogenannten R ü c k s t ä n d e , die wir im folgenden zu betrachten haben. Die Kupferbleche werden nach dem Walzen in ein mit Wasser gefülltes Gefäß geworfen; dabei löst sich eine beim Walzen entstandene Oxydschicht ab, die unter dem Namen Plötz-Kupferasche ein wertvoller Handelsartikel ist. Dieser Rückstand wird vorzugsweise von der Farbenindustrie zur Herstellung von Farbe verwandt; namentlich jener rotbraunen Farbe, die zum Anstreichen von Schiffen benutzt wird. Bei der Herstellung des Kupferdrahtes aus den Drahtbarren entwickelt sich ebenfalls durch die Verbindung des glühenden Metalls mit dem Sauerstoff der Luft eine Oxydschicht, die sich beim Walzen ablöst und als zwar etwas verunreinigte, aber hochhaltige Kupferasclic einen beliebten Handelsartikel der Mctallbranche bildet. Dieses Material wird teils zur Herstellung von Kupfervitriol verwandt, teils wird es durch Raffinierung wieder in Rohkupfer verwandelt. Das auf Deutschland entfallende Quantum dieser Asche kann auf 20001 mit einem Wert von 2% Millionen Mark geschätzt werden. Per größte Teil der Rückstände entsteht aber beim Schmelzen des Metalls. Wenn Kupfer mit Zink bzw. Zinn im Graphittiegel zur Herstellung von Messing oder Rotguß geschmolzen wird, so bildet sich über der reinen Legierung, die man haben will, durch Oxydation ein Abschaum, der zunächst abgeschöpft werden muß. Dieser Abschaum wird Messing- resp. Rotgußkrätze genannt, hat einen Kupfergehalt von etwa 25—35 % und wird von Schmelzereien unter Zusatz von Messingspänen resp. Rotgußspänen zu Messingblöcken resp. Rotgußblöcken umgeschmolzen. Der größte Teil der Gießereirückstände aber kommt unter dem Namen Unterofenasche in den Handel und entsteht durch das Uberspritzen des siedenden Metalls in den Heizkoks. Diese Rückstände enthalten ca. 6—12 % Kupfer und werden von den Hüttenwerken wieder zu Kupfer resp. Kupferlegierungen verhüttet. Das Quantum dieser Gießereirückstände, das auf Deutschland entfällt, kann man auf jährlich ca. 40—50000 t beziffern, die bei heutigem Preisstand einen Wert von etwa 4—5 Mill. Mark repräsentieren. Soviel über die sogenannten Rückstände. Im folgenden gehe ich zu den A l t m e t a l l e n und N e u m e t a l l a b f ä l l e n über, wobei ich mich wieder auf das Kupfer
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und dessen Legierungen beschränke. Die wichtigsten K u p f e r Artikel für den Altmetallhandel sind die folgenden: Das Schwerkupfer besteht aus alten Kohren und Apparaten, sowie aus starken Kupferabfällen. Hauptlieferanten sind die Eisenbahnen, Werften, chemischen Fabriken, Brauereien und Spritfabriken. Aus diesen Betrieben gelangen Röhren und große kupferne Bottiche, sobald sie ausgedient haben, wieder in den Handel. Solches Material wird von den Gießereien gern als Ersatz für Neukupfer genommen, denn ein Kupfer, das sich zu Rohren hat ausziehen oder zu Blechen hat walzen lassen, hat damit seine vorzügliche Qualität bewiesen. Dasselbe gilt vom Feuerbuchskupfer, das von alten, zerlegten Lokoinotivkästen, d. h. von den Heizräumen der Lokomotive, stammt und aus sehr starken Platten besten raffinierten Kupfers besteht. Dadurch, daß das Feuerbuchskupfer einer andauernd starken Hitze ausgesetzt war, ist es gewissermaßen noch im Gebrauch nachraffiniert und für viele Zwecke der Gießerei ebensogut verwendbar wie bestes neues Kupfer. Es stellt einen bedeutenden Handelsartikel dar. Bei einem Weltvorrat von ca. 150000 Lokomotiven verfügen wir in Deutschland über 30 000, die mit ihrem ansehnlichen Metallinhalt als eine Art rollendes Altmetallreservoir betrachtet werden können. Die Lebensdauer einer Lokomotive beträgt 10—15 Jahre, so daß in Deutschland etwa jährlich 1500 Lokomotiven ausgeschieden und zerlegt werden, die ca. 4—5000 t Kupfer und ca. 2000 t Rotguß im Gesamtwert von etwa 8—10 Millionen Mark ergeben. Während Schwcrkupfer und Feuerbuchskupfer überwiegend zu Gußzwecken Verwendung finden, gelangen Kupferdraht, Leichtkupfer und Kupferspäne hauptsächlich zur Verhüttung. Kupferdraht fließt in den Handel durch Ausrangierung von Kabeln, elektrischen Leitungen usw. Unter Leichtkupfer versteht man alte Kochkessel und Geschirr, dünnen Kupferdraht und andere leichte und verunreinigte Kupferabfälle. Kupferspäne entstehen bei der Verarbeitung von Kupferstangen sowie bei der Herstellung der elektrischen Maschinen. Sie werden außer für die Umraffinierung zu neuem Kupfer auch zur Herstellung von Kupfervitriol verwandt. Betrachten wir nun die Materialien aus Rotguß und Messing. Wir unterscheiden beim R o t g u ß Eisenbahnrotguß, Maschinenrotguß und Marinerotguß. Der Eisenbahnrotguß fließt dem Handel durch Zerlegen der alten Lokomotiven zu; der Maschinenrotguß 3*
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gelangt durch die Demolierung alter Maschinen in den Markt, besteht hauptsächlich aus Hähnen, Ventilen, Dampfschiebern usw. und wird zu ähnlichen Zwecken wieder umgeschmolzen. Der Marinerotguß setzt sich aus Schiffsteilen, aus den Schiffsmaschinen, dem Steven, dem Ruder, dem Propeller usw. zusammen. Er gilt seines starken Zinkgehalts und seiner ungleichmäßigen Zusammensetzung wegen als die geringere Qualität. Bei der Herstellung dieser Kotgußmaschinenteile, der Hähne, Ventile, Dampfschieber usw., entstehen durch das Fräsen, Abbohren und Feilen der Stückc Rotgußspäne, welche gleichfalls einen wichtigen Artikel des Altmetallhandels bilden. Diese Rotgußspäne werden durch Vermittlung des Handels den Gießereien zugeführt, die sie wieder zu ähnlichen Fabrikaten verarbeiten. Die geringwertigen Sorten aber, die durch Verunreinigungen oder durch Zusätze schädlicher Bestandteile zum Umschmelzen unverwendbar sind, werden auf Kupfer verhüttet oder zu Rotgußblöcken verarbeitet. Ich komme nun zur dritten Kategorie kupferhaltiger Altmaterialien, nämlich denen aus M e s s i n g . Schwermessing besteht aus messingnen Hähnen, Ventilen, Türgriffen, starken Messingrohrenden und dicken Messingblechteilen usw. und wird wieder für Gußzwecke verbraucht. Leichtmessing besteht aus leichten messingnen Gebrauchsgegenständen, aus Lampenbrennern, Ketten, Uhrteilen usw., denen öfters noch schwer abtrennbare kleine Eisenteile anhaften und die wegen dieser Verunreinigungen für Gußzwecke unverwendbar sind. Der Handel liefert sie an Schmelzwerke, die das Material von störenden Bestandteilen befreien und zusammen mit Messingspänen und Krätze zu Blockmessing verschmelzen, der wiederum zur Fabrikation von Armaturen, von Tür- und Fenstergriffen, Uhrteilen usw. verwendet wird. Der bedeutendste Artikel des Altmessingmarktes sind aber die Messingblechabfälle, die bei der Herstellung der zahllosen Industrieund Galanteriewarenartikel aus gewalztem Messingblech entstehen. Die Messingblechabfälle werden von den Walzwerken in Verbindung mit Neumetallen wieder zu Messingblech und Stangenmessing umgearbeitet. Die Hauptverwendung von Messingblech hat die Lampenindustrie, die Knopffabrikation, die Gürtlereien für Albumbeschläge, Portemonnaie- und Taschenbügel. Bei der Lampenindustrie kann durchschnittlich auf einen Prozentsatz von 25 %, bei der Knopffabrikation von etwa 35 %, bei der Gürtlereiindustrie von etwa 25 % Abfall gerechnet werden. Wenn wir feststellen, daß Deutschland in
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seinen fünfzig Messingwerken, die es besitzt, jährlich ein Quantum von etwa 80 000 t Messingblech und Stangenmessing herstellt, in einem Kapitalwert von etwa 120—130 Millionen Mark, so können wir uns bei den eben genannten Abfallprozentsätzen die ungeheuren Quantitäten, die aus diesen Industrien dem Altmetallmarkt zugeführt werden, ausrechnen. Man kann die Gesamtziffer auf etwa 20—25 0001 im heutigen Werte von ca. 25—30 Millionen Mark schätzen. An den 80 000 t, die von den Messingwerken produziert werden, beträgt der Anteil von Stangenmessing, der zumeist zur Herstellung von Messingschrauben benutzt wird, etwa 20000 t. Da die Schrauben — ein verhältnismäßig kleiner Körper — aus dicken Messingstangen herausgedreht werden müssen, so entfällt bei dieser Fabrikation ein außergewöhnlich großer Prozentsatz Späneabfälle, der ca. 60—65% des Rohmaterials beträgt. Es entfallen an Mcssingscliraubenspänen in Berlin etwa 60001 jährlich, im übrigen Deutschland etwa 4000 t. Damit Sie, meine Damen und Herren, sich aus eigner Anschauung ein Bild hiervon machen können, zeige ich Ihnen hier ein Stück Messingstange mit einer noch daran haftenden, aber schon fertig herausgebohrten Schraube. Am unteren Ende sehen Sie die volle Stange, oben die fertige Schraube. Das an dem Gewinde fehlende Metall ist in Form von Messingspänen abgefallen. Schließlich erwähne ich noch einige S p e z i a l a r t i k e l die ein über ihre merkantile Bedeutung hinausgehendes Interesse haben, nämlich die Patronenhülsen, das Geschoßmessing, die Bronzekanonen und die kupferhaltigen Münzen. An G e s c h o ß m e s s i n g und Patronenhülsen, die gleichfalls aus Messing sind, ist dauernd, besonders auf den Truppenübungsplätzen, ein starker Entfall. Bedeutender wird dieser Handelsartikel natürlich im Kriege. Von den Kriegsschauplätzen her finden die Patronenhülsen und anderes Geschoßmessing durch Vermittlung des Handels den Weg in die Schmelzöfen und erstehen dann wieder als zu friedlichen Zwecken dienende Gebrauchsgegenstände. Nach dem russisch-japanischen Kriege war die Mandschurei ein bedeutender Lieferant, auch aus dem Balkan darf für die nächste Zukunft eine solche Zufuhr erwartet werden. Ein gleichfalls unregelmäßig auf den Markt kommender Artikel sind alte B r o n z e k a n o n e n , bei ihrer reinen Legierung von 90 % Kupfer und 10 % Zinn ein ganz ausgezeichnetes Material. Fast alle Staaten haben ihre Bronze-
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kanonen mit Stahlkanonen vertauscht und damit dem Altmetallhandel große Quantitäten Kanonenbronze zugeführt. Diese Kanonenbronze dient besonders zum Guß von Glocken und Denkmälern. Viele deutsche Glocken und Denkmäler sind aus dem Material der 1870 von den Franzosen erbeuteten Kanonen gegossen worden. Aber immer noch kommen von Zeit zu Zeit Kanonen auf den Markt. Gleichfalls nur von Zeit zu Zeit am Markte sind K u p f e r - oder M e s s i n g m ü n z e n , die von überseeischen Ländern außer Kurs gesetzt worden sind. Aus Indien, aus Japan, aus China sind enorme Quantitäten bezogen und der deutschen kupferverbrauchenden Industrie zugeführt worden. Als Japan nach dein letzten Kriege Korea annektierte und die dortigen Münzen einzog, um sie durch neue japanische Münzen zu ersetzen, kamen fast 6000 t in einem Werte von 4—5 Mill. Mark in den Altmctallhandel. Auch die Zerlegung von H a n d e l s und K r i e g s s c h i f f e n führt dem Handel gelegentlich große Mengen Altmetall zu. Die Kriegsschiffe zumal endigen selten aus Altersschwäche. Durch neuere Technik überholt, werden sie verkauft und demoliert, und Tausende von Tons der besten Messing- und Rotgußmatcrialien werden dem Konsum als gern genommener Ersatz für Neukupferlegierungen zugeführt. Betrachten wir nunmehr, w i e d i e A l t m e t a l l e , M e t a l l a b f ä l l e und M e t a l l r ü c k s t ä n d e in den Verkehr gelangen. Wir beginnen wieder mit d e m Geschäftszweige, der dem Laien am bekanntesten ist, mit dem Handel in ausrangierten Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens. Auf der untersten Stufe jener Organisation, die sich mit diesem Teile des Marktes beschäftigt, stehen jene A u f k ä u f e r , die der Berliner Volkswitz als Naturforscher bezeichnet. In den Großstädten sind sie zum Teil durch die Müllabfuhrgesellschaften abgelöst worden. In den kleinen Städten und auf dem Lande spielen sie aber mit ihrem Hundefuhrwerk, mit dem sie regelmäßig vor den einzelnen Haushaltungen erscheinen, noch immer eine volkstümliche Rolle. Diese Personen kaufen alle denkbaren Abfälle und Überbleibsel der einzelnen Haushaltungen auf, sortieren ihre Ware roh und verkaufen sie an die zahlreichen kleinen Geschäfte, die man als Produktenkeller bezeichnet. Bei diesen Zwischenhändlern wird eine reinlichere Scheidung vorge-
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nommen. Metalle weiden an die zahlreichen A l t m e t a l l h ä n d l e r kleineren Stils verkauft, die nun ihrerseits eine gründliche sachgemäße Sortierung vornehmen. Die kleineren Altmetallhändler verkaufen in der Regel ihre Ware an die G r o ß f i r m e n d e s A 1 1 m e t a 11 h a n d e 1 s , die sie in einheitlichen Posten an die Verbraucher vertreiben. Etwas kürzer gestaltet sich die Kette im Handel mit i n d u striellen Abfallprodukten, also mit Rückständen, neuen Abfällen, sowie mit den A l t m e t a l l e n d e r M a s s e n v e r b r a u c h e r von Metall, der Eisenbahnen, der Militärbehörden, der Werften und der Privatindustrie. Sowohl die öffentlichen Behörden wie vielfach die größeren Werke der Privatindustrie schreiben öffentliche oder beschränkte Submissionen aus und verkaufen die bei ihnen entfallende Ware an den Altmetallhändler, der dank seiner Organisation und Kenntnis der Absatzgebiete für jede Spezialität die geeignetste Verwendung findet. Vielfach werden auch zwischen den Behörden bzw. den Werken einerseits und den Händlern andererseits für eine längere Zeit Verträge abgeschlossen, auf Grund deren die Händler eine geraume Zeit den g e s a m t e n Entfall eines Werkes an Abfällen übernehmen. Hierbei werden entweder für die ganze Zeit des Vertrages f e s t e Preise ausbedungen, oder es wird der Preis von den jeweiligen D u r c h s c h n i t t s n o t i e r u n g e n d e s N e u k u p f e r m a r k t e s in den Liefermonaten abhängig gemacht. Die Lieferanten erhalten bei d i e s e r Verkaufsform den richtigen Durchschnittswert des Jahres und entgehen dem Risiko, infolge der unberechenbaren Tagesschwankungcn zu einem gerade ungünstigeren Zeitpunkt zu verkaufen. Bei starken Preisveränderungen kommen im Altmetallhandel leicht Differenzen vor, die hauptsächlich in der Qualität gesucht und gefunden werden. Es war deshalb notwendig, daß der Handelsstand genaue G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n für die Unzahl der in Frage kommenden Artikel schuf, die angeben, welcher Mindestreingehalt von den einzelnen Waren zu fordern ist, welche Beimengungen von Nebenbestandteilen statthaft sind, usw. Nach jahrelangen schwierigen Beratungen des Vereins der Metallgroßhändler zu Berlin mit den Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin ist es den Groß-Berliner Handelsvertretungen gelungen, solche Geschäftsbedingungen aufzustellen, die nicht nur für das Groß-Berliner Wirtschaftsgebiet, sondern
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für ganz Deutschland Geltung erlangen sollen und zum großen Teil schon erlangt haben. Die Aufgabe des Metallhändlers beschränkt sich nun durchaus nicht darauf, die Ware, wie er sie bekommen hat, möglichst günstig weiter zu verkaufen, sondern in den Lagern des Altmetallhändlers findet eine B e a r b e i t u n g des Materials statt. Folgen Sic mir auf einem G a n g e d u r c h e i n M e t a l l a g e r , um hiervon eine Vorstellung zu erhalten. Von der Seite des Eisenbahnanschlusses eintretend, sind wir Augenzeugen einer Prüfung des Inhalts mehrerer soeben eingetroffener Eisenbahnwaggons. Nach Entfernung der Bleiplomben wird Stückzahl und Gewicht festgestellt. Wir sehen eine Partie schön gebündelter, neuer Messingblechabfälle, die, weil in Ordnung, gleich weiter an ein auf Lieferung drängendes Messingwerk geht. Im zweiten Waggon befinden sich dünne Kupferkessel und Lcichtkupfer. Die Untersuchung zeigt eiserne Reifen in den Kesselrändern und viel vorschriftswidrige Lötung. Der Inhalt wird ins Lager gekarrt, um das schädliche Eisen zu entfernen, ebenso möglichst auch die Lötung abzuschmelzen. Eisen ist eine gefährliche Beimengung, die den Guß verdirbt und der Fabrikation großen Schaden verursachen kann. Deshalb berichtet man vom Lager über den Befund ans Bureau, wo die gesetzlich notwendige Mängelrüge veranlaßt wird. Das Lager weiter durchschreitend, kommen wir an den verschiedenen Merallen, die meist in Fässern und Säcken aufgestapelt sind, vorüber und gelangen zu großen Haufen von Messingspänen. Daneben befindet sich eine Elektromagnetmaschine, auf der soeben Späne von Eisenteilen, die im Fabrikationsraum dazwischen geraten waren, befreit werden. Auf die Meldung, daß mehrere Fuhrwerke aus der Stadt und vom Hafen eingetroffen sind, treten wir auf den Hof hinaus und sehen eine ausländische Partie mit unsortierter Ware in den Sortierraum bringen. Aus einem großen Fasse fallen RotgußundMessingteile wild durcheinander zu Boden: Messingleuchter, Hähne, Kuhglocken, Patronenbehälter, Uhrgehäuse usw. Der geübte Vorarbeiter beginnt Rotguß von Messingguß zu sondern und die verschiedenen Messingqualiiäten voneinander zu trennen. Fast immer beurteilt er nach der Farbe die Art und Qualität. Feine Farbennuancen Bräunlich, Gelb, Grüngelb, Rotgelb, sind von ihm auseinanderzuhalten, was auch für den Kenner nur bei hellem Tageslicht, das frei in den lichtgelegenen Raum hineinfluten muß, möglich ist,
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Wo der Augenschein nicht genügt, wird nach Zerschlagen des Stückes die Art des Bruches beurteilt. Gibt auch dies keine Gewißheit, so klärt die chemische Analyse auf. Wir sehen bald, wie sich das Chaos ordnet und Gleiches zu Gleichem in die abgeteilten Fächer gelangt. — Noch ein Blick auf jene große Metallschere, unter die soeben große kupferne Rohre geschoben werden! Die Stahlkiefern der Schere drücken sie zunächst zusammen, um sie beim zweiten Biß mühelos zu zerschneiden. Gleich darauf werden vor unseren Augen fauststarke Feuerbuchsplatten in kleinere Teile zerschnitten, die nun der Gießer demnächst in seine Schmelztiegel stecken kann. Ebenso zerteilt man auch Bronzekanonenrohre auf der Drehbank, gewaltige Bronze- und Messingschiffsteile unter dem Dampfhammer, damit sie ohne weitere Umstände zum Guß verwandt werden können. — Im Begriff zu gehen, treffen wir mit dem Steuerbeamten zusammen, der das Zerkleinern von Brauereibraupfannen und Apparaten aus Spritfabriken zu beaufsichtigen hat. Die Steuerbehörde führt nämlich eine Liste sämtlicher derartiger in Deutschland aufgestellter Kupferapparate, um eine unbefugte Produktion von Sprit zu verhindern und die zollpflichtigen Quantitäten der Malzproduktion besser festzustellen. Ein außer Dienst gesetzter Behälter dieser Art muß deshalb unter Aufsicht unbrauchbar gemacht werden, damit er nicht heimlich wieder Verwendung zur Fabrikation von Sprit und Malz finden kann. Auch die Zollbehörden sind nicht selten in den Altmetallägern zu Gast. Altmetalle sind zollfrei, wenn sie zum Einschmelzen bestimmt sind. Wenn nun ausländische Feuerbuchsen, Messingrohre, Apparate oder Kupferdraht importiert werden, so kann man nicht ohne weiteres erkennen, ob dieselben nicht noch einmal als Fabrikate verwendet werden. Deshalb läßt die Zollbehörde die Ware zwar zollfrei ins Land, überzeugt sich aber davon, daß der Empfänger die Gegenstände durch Zerschneiden oder Einschmelzen für ihre ursprünglichen Verwendungszwecke unbrauchbar macht. Erst wenn der Altmetallhändler durch Sortieren, Reinigen, Zerkleinern usw. die Ware könsumgerecht gemacht hat, verläßt sie wieder sein Lager und geht in den Konsum über. Die europäischen H a u p t h a n d e l s - u n d K o n s u m p l ä t z e für Altmetalle und Metallabfälle sind Berlin, Birmingham und Paris. Berlin mit seiner weltbeherrschenden Elektrizitätsindustrie, seinen vielen bedeutenden Messingwalzwerken und Messinggießereien ist heute der größte
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Kupferkonsumplatz der Erde und verbraucht so viel wie ganz Frankreich. W e l c h e n V e r w e n d u n g s z w e c k e n f ü h r t n u n der A l t m e t a l l h a n d e l s e i n e W a r e zu? Es sind hier zwei verschiedene Abnehmerkreise zu unterscheiden. Einmal gibt es in Deutschland eine Anzahl von H ü t t e n w e r k e n , welche kupferhaltige Rückstände zu Kupfer und Blockrotguß verhütten. Ein Berliner Werk stellt auf elektrolytischem Wege ein sehr hochwertiges Elektrolytkupfer her, welches dem besten amerikanischen Material ebenbürtig ist, während die anderen Hüttenwerke auf hüttenmännischem Wege ein Rohkupfer gewinnen, das für geringere Gußzwecke seine Aufgabe vollkommen erfüllt. Die Großverbraucher von Kupfer haben sich neuerdings auch R a f f i n i e r w e r k e zugelegt, in welchen sie die Rückstände und Abfälle aus ihren eigenen Werken sowie große Mengen Altkupfer, die ihnen der Altmetallhandel liefert, zu erstklassigem Kupfer umarbeiten können. Der andere Teil des vom Altmetallhandel gesammelten Materials geht o h n e d e n U m w e g über das Hüttenwerk d i r e k t in den K u p f e r - bzw. M e s s i n g - o d e r R o t g u ß k o n s u m über. Unsere weitverzweigte Metallkleinindustrie ist es, deren Fabrikation auf diesem Material beruht. Groß-Berlin, Sachsen und Rheinland, Westfalen sind in Deutschland die Hauptabsatzgebiete dieser Art. In Berlin finden sich in der Luisenstadt, aber auch in anderen Stadtteilen, Dutzende von Gelbgießern und anderen kleinen Fabrikanten, die nur Altmetalle verarbeiten. Ein nicht unwesentlicher Teil von kupferhaltigcn Rückständen und Kupferspänen wird, wie schon vorher erwähnt, durch den Altmetallhandel der K u p f e r v i t r i o l i n d u s t r i e zugeführt. Kupfervitriol ist ein schwefelsaures Kupferoxyd, das vorzugsweise zur Bekämpfung der Reblaus und zum kleineren Teil für telegraphische Zwecke zur Füllung der Elemente benutzt wird. Diese Industrie ist für den Kupferverbrauch von erheblichem Interesse, da im Gegensatz zu allen anderen Gebieten das hierfür verbrauchte Kupfer nicht wieder auf dem Markt erscheint, sondern völlig verloren geht. Wenn ich mich nunmehr dazu wende, Ihnen vorzuführen, worin die hauptsächlichste v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g
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d e s A l t m e t a l l h a n d e l s liegt, so kann ich anknüpfen an die kurzen Bemerkungen, die ich am Eingange meines Vortrages über die "Weltversorgungsmöglichkeiten mit Kupfer gemacht habe: W e r d e n wir d a u e r n d g e n u g K u p f e r h a b e n ? Die Vergrößerung des Bedarfs an Kupfer hat zwei Wurzeln. Einmal ist der Siegeszug, den die E l e k t r i z i t ä t angetreten hat, noch lange nicht beendet. Jede Erweiterung des Anwendungsgebietes der Elektrizität aber bedeutet eine Steigerung des Konsums von Kupfer. Schon heute wird der Kupferkonsum der Elektrizitätsindustrie auf 50 % des Weltkonsums an Kupfer geschätzt. Die Elektrisierung der Vollbahnen steht auf der Tagesordnung. Wie diese auf den Kupferkonsum einwirken würde, mag daraus hervorgehen, daß die Elektrisierung der ja verhältnismäßig kleinen Berliner Stadtund Ringbahn einen Verbrauch von 4 — 5 0 0 0 t in Anspruch nehmen würde. Diese Ziffer ist geeignet, zu zeigen, welche Entwicklung man dem Kupferkonsum noch prophezeien muß. Die zweite Wurzel der künftigen Verstärkung des Weltbedarfs an Kupfer liegt in der A u s w e i t u n g d e s K u l t u r k r e i s e s , die die letzte Zeit begonnen hat und die die nächste Zukunft fortsetzen wird. Während Jahrhunderte hindurch die Zivilisation auf kleine Gebiete Europas, Amerikas und vielleicht noch Asiens beschränkt war, treten in neurer Zeit riesige Gebiete neu in den Kreis der zivilisierten Völker ein. Uberall da aber, wo die Zivilisierung beginnt, schwillt der bis dahin geringe Konsum nicht nur von Eisen und Textilfabrikaten, sondern auch von Metallen mächtig an. Wird nun dieser Vermehrung des Kupferbedarfs das Angebot von Kupfer stets folgen können? Ich glaube nicht, daß wir in der Lage sein würden, diese Frage in einem beruhigenden Sinne zu beantworten, wenn der Kupferkonsum genötigt wäre, allein aus der Produktion von Neukupfer seinen Bedarf zu decken. Dies ist aber nicht der Fall; in großen Mengen wird, wie ich vorher statistisch ausgeführt habe, alljährlich Altmetall auf den Markt gebracht. Und je größer der jährliche Kupferverbrauch ist, desto größer wird auch später der Entfall von Altmaterialien sein. Diese Bedeutung des Altmetallhandels für die Versorgung des Konsums haben eine Reihe großer Konsumenten auch bereits vollständig erkannt, wie schon kurz gestreift wurde. Eine Anzahl großer
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D e r Altmetallmarkt und s e i n e volkswirtschaftliche
Bedeutung.
Kupferwerke haben Raffinieröfen gebaut, in denen sie durch Raffinieren von Altkupfer erhebliche Quantitäten von bestem Rohkupfer herzustellen vermögen und auch zeitweilig herstellen. Sie beabsichtigen hiermit, sich im Einkauf ihres Rohmaterials von den amerikanischen Anbietern unabhängiger zu machen. Je nach der Konjunktur des Altmetallmarktes beschäftigen sie ihre Öfen verschieden stark. Es wird interessieren zu hören, daß neben unseren eigentlichen Kupferhütten, die im Jahre 35000 und bald 40000 t Kupfer herstellen, noch diese Hütteneinrichtungen vorhanden sind, die ca. 40—50 000 t Kupfer mehr herzustellen vermögen, so daß Deutschland bei voller Inanspruchnahme aller Einrichtungen eine Jahresproduktion von 80—100 000 t Kupfer leisten kann. Im F a l l e e i n e s K r i e g e s würden diese Raffinierwerke, deren Produktion noch gesteigert werden könnte, von größter Bedeutung sein. Sie verhüten dann, daß wir durch eine Blockierung der Einfuhrhäfen in der Kupferversorgung völlig lahmgelegt werden. Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Altmetallhandels liegt ferner darin, daß er der metallverarbeitenden Industrie eine günstige V e r w e r t u n g d e r A b f a l l p r o d u k t e , Rückstände und Altmetalle gestattet und sie dadurch in den Stand setzt, billiger oder jedenfalls nicht teurer zu produzieren als eine konkurrierende Industrie irgendeines anderen Landes. Dieser Faktor spielt eine größere Rolle, als der Laie anzunehmen geneigt ist. Ich erwähnte schon, daß bei der Schraubenfabrikation vielfach 60 %, ja 65 % des Rohmaterials nicht in Schrauben, sondern in Messingspäne verwandelt wird. Für die Rentabilität dieser Industrie ist die günstige Verwertung der Späne ebenso wichtig, als der Verkauf der Schrauben. Der gut organisierte Altmetallhandel gestattet nun heutzutage den Werken, ihre Abfallprodukte zu Preisen zu verwerten, die hinter den Preisen des Rohmaterials nicht mehr gar zu weit zurückbleiben. Die Folge ist eine fast restlose Ausnutzung aller, auch der unbedeutendsten Metallabfälle, welcher das deutsche Metallverarbeitungsgewerbe zum nicht unerheblichen Teile seine heutige große Leistungsfähigkeit verdankt. Wie als Abnehmer so unterstützt der Altmetallhandel auch als unmittelbarer L i e f e r a n t die metallverarbeitenden Industrien. Er dient damit besonders dem metallurgischen Mittelstand, den kleineren Metallgießereien, die zur Anfertigung von Armaturen, Türgriffen und
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anderen Gebrauchsgegenständen aus Messing oder Kotguß zwar ein gutes Material gebrauchen, aber bei Verwendung von Neumetallen nicht ihre Kechnung finden würden. Diesen Unternehmungen liefert der Altmetallhandel altes Kupfer, altes Messing, alten Rotguß, vielfach auch Blockmcssing oder Blockrotguß. Die aus Metallrückständen und Abfällen hergestellten Blockmetalle sind bei den Gießereien besonders beliebt, da sie infolge ihrer gleichmäßigen Zusammensetzung fast das Neumetall ersetzen und im Preise erheblich billiger sind. Selbstverständlich erfordert der Gebrauch von Altmetallen und Blöcken große Sorgfalt und Erfahrung. Die Verarbeitung dieses billigeren Materials ist deshalb eine Domäne der Kleinindustrie, während die Großindustrie, die stets große einheitliche Mengen von Rohmaterialien benötigt, sich mit der Verwertung dieser Waren weniger abgibt. So kräftigt das AltmetaUgewerbe die kleinen metallverarbeitenden Industrien, die in Hunderten von Betrieben viele Tausende von Arbeitern beschäftigen. Ich komme nun auf den Zusammenhang der P r e i s b e w e gung zwischen alten und neuen Metallen. Zwischen beiden Märkten findet eine rege Wechselwirkung statt. Bei steigenden Preisen für Rohmetalle folgen die Altmetalle meistens nur langsam nach, sodaß sich die Spannung zwischen den Preisen beider Artikel erhöht. Der Grund hierfür liegt darin, daß die für den Altmetallmarkt ausschlaggebenden besonderen Angebots- und Nachfrageverhältnisse nur langsamen Veränderungen unterworfen sind, der Markt der Ncumetalle dagegen schneller und stärker auf die Schwankungen der allgemeinen Weltkonjunktur reagiert. Aus diesem Grunde folgt der Altmetallmarkt bei steigenden Preisen nur zögernd dem Markt der .Neumetalle. Umgekehrt behauptet der Altmetallmarkt bei fallenden Preisen aus den gleichen Gründen seinen Stand besser wie der Neumetallmarkt. Während ich bisher den Einfluß der Neumetallpreise auf die Preise der alten Metalle verfolgte, werfe ich nunmehr einen Blick auf die Wirkung des Altmetallmarktes auf die Preisbildung am Markt der neuen Metalle. Diese kann man so ausdrücken, daß man sagt: Der Altmetallmarkt ist ein Korrektiv für die Bewegung des Neumetallmarkts. Da Kupfer hohen Wert hat, so legt man keine unnötigen großen Vorräte davon fest, um Zinsverluste zu vermeiden. Darauf ist es zurückzuführen, daß der Weltvorrat an Kupfer meist
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auf mäßiger Höhe bleibt. Er beträgt normalerweise nicht mehr als den Bedarf eines bis zweier Monate. Es erhellt ohne weiteres, daß bei so begrenzten Vorräten eine plötzliche Bedarfsveränderung große Preisschwankungen auslösen kann. Hier setzt nun die Wirkung des Altmetallmarkts ein. Der Altmetallmarkt stellt einen jederzeit vorhandenen, latenten Kupfervorrat dar, eine Quelle, die automatisch bei anziehenden Kupferpreisen stärker, bei nachlassenden Kupferpreisen schwächer fließt. Wird das Kupfer zu teuer, so beeilt sich der Altmetallhandel mehr als sonst, alte Metalle ans Licht zu ziehen und auf den Markt zu bringen. Andererseits gehen Konsumenten, die sonst nur Neumetall verbrauchen, zur Verwendung alter Materialien über. Die Hüttenwerke, die altes Kupfer verarbeiten, spannen ihre Produktion an, und da sie höhere Preise für ihr Rohmaterial anlegen können, fließt ihnen dieses stärker zu. So wirkt der Altmetallmarkt einer Überspannung in der Preisbildung der Neumetalle entgegen. Von besonderem Interesse sind hierbei die W e c h s e l b e z i e h u n g e n z w i s c h e n d e m a m e r i k a n i s c h e n und dem e u r o p ä i s c h e n A l t m e t a l l m a r k t . Amerika, das ganz anders als Europa bei aufsteigender Konjunktur aus dem Vollen wirtschaftet, hat einen außerordentlich großen Entfall von Metallabfällcn. In Zeiten wirtschaftlicher Blüte und hoher Kupferpreise verarbeiten die Amerikaner ihre Abfälle selbst und treten auch noch als Käufer auf dem europäischen Altmetallmarkt auf. Bei wirtschaftlicher Depression und weichendem Markte aber pflegen die Amerikaner ihren Entfall von Altmetallen nur zum Teil zu verarbeiten und den Rest nach Europa zu senden. Dann pflegen enorme Mengen von amerikanischem Altmetall nach Europa zukommen. Ja, die Austauschverhältnisse zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Altnietallmarkt sind geradezu als ein Gradmesser für die Konjunkturbewegung in Europa und Amerika anzusehen. Besonders bedeutsam wird dieser, wenn ich mich so ausdrücken darf, Arbitrageverkehr in Altmetallen dadurch, daß die Konjunkturbewegung in Amerika und Europa nicht immer parallel geht. Als beispielsweise im Jahre 1907 bei uns die rückläufige Konjunkturbewegung einsetzte, erfreute sich das amerikanische Wirtschaftsleben noch einer hohen Blüte. Infolgedessen bezog Amerika 1907 und 1908 in großen Mengen Altmetalle aus Europa. Als dann in Amerika der Rückschlag kam und Europa sich wieder
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zu erholen begann, sandte Amerika große Mengen von Altmaterial über den Ozean, die unserer Hüttenindustrie und unserer metallverarbeitenden Industrie billiges Material gaben, aber den Neukupfermarkt der ganzen Welt unter starkem Druck hielten. Im letzten Jahre, wo sowohl in Amerika wie in Deutschland Hochkonjunktur herrschte, hat ein nennenswerter Austausch von Altmetallen überhaupt nicht stattgefunden. Um die Kraft und den Umfang des Altmetallhandels noch an einem klassischen Beispiel zu beweisen, möchte ich zum Schluß an den berüchtigten Kupfercorner des Franzosen Secretan im Jahre 1887 erinnern. Der reiche Metallindustrielle suchte damals im Verein mit einer mächtigen Bankgruppc sich die Kontrolle des Kupfermarktes zu verschaffen. Er sicherte sich den größten Teil der Produktion des Jahres 1888, kaufte große Kupfermengen an der damals noch allein herrschenden Londoner Börse, und nachdem er so fast 85 % der gesamten Kupferbestände in seine Hände gebracht hatte, schraubte er die Preise von 80 Mk. vorübergehend bis auf 220 Mk. in die Höhe. Es war wohl der kühnste und gewaltigste Versuch, der je unternommen wurde, ein großes Wirtschaftsgebiet zu überrumpeln und zu beherrschen. Der Konsum konnte die geschraubten Preise nicht anlegen; die Industrie befand sich in kritischer Lage. Da trat der Altmetallmarkt rettend ein. Die Vertreter des Metallhandels durchzogen die Welt und kauften auf, was bei Behörden, in der Industrie und bei kleinen Händlern zu finden war. Aus ganz Europa und dem Orient, aus Ägypten, Kleinasien, Persien und Indien wurden große Posten Altkupfcr und Messing nach den europäischen Häfen verladen und dem Konsum zugeführt. Die „Times" schätzte damals den Zufluß der Altmetalle im Jahre 1888 auf 80 000 t, ein Quantum, das dem zurückgegangenen Konsum genügte, sodaß der Corner zusammenbrechen mußte. Kupfer fiel damals in wenigen Tagen von 220 Mk. auf vorübergehend 70 Mk. für 100 kg. Ich bin am Ende meiner Ausführungen über die volkswirtschaftliche Bedeutung des Altmetallhandels angelangt. Es versteht sich von selbst, daß der Altmetallhandel von den Metallhändlern nicht um seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung willen, sondern zum Zwecke privaten Gewinnes betrieben wird. Aber es ziemt dem Kaufmann, sich einmal über den Gesichtspunkt seines nächstliegenden ge-
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schäftlichen Vorteils zu erheben und sich darüber klar zu werden, welche Stellung sein Geschäftszweig im Rahmen der Volkswirtschaft einnimmt, und zu wissen, was er der Allgemeinheit dankt und was er ihr leistet. Der Altmetallhändler folgt einem berechtigten kaufmännischen Egoismus, aber indem er seinen Verdienst sucht und findet, erwirbt er sich zugleich unbewußt Verdienste um die Allgemeinheit. Und so darf auch auf ihn das Dichterwort Geltung finden: „Euch, Ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an."
III. Die heutige Beleuchtungsindustrie. Vortrag des Herrn Dr. H a n s R o s e n t h a l , Beamter der Julius Pintsch Aktiengesellschaft.
Gewerbliche Einzelvorträge.
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Unter den Handelsartikeln der Jetztzeit gewinnt neben den vielen materiellen Dingen ein unwägbares Etwas, die durch Strahlung transportierte E n e r g i e , mehr und mehr an Bedeutung, vor allem in ihrer edelsten Form, dem L i c h t . I. Unsere große Gratis-Energie-Quelle, die Sonne, strahlt 200 000mal mehr Energie auf die Erde, als wir hier uns aus unseren Kohlenschätzen erzeugen. Und doch ist ohne die Wärme- und Bewegungsenergie, die wir aus der Kohle gewinnen, unser Wohnen, unser Arbeiten, unser Verkehr kaum denkbar. Milliardenmal mehr als wir uns hier künstlich erzeugen, gibt uns die Sonne an Licht. Und doch ist die verhältnismäßig so kleine Lichtmenge, die wir uns unabhängig von der Sonne zu schaffen vermögen, für unser Leben von der allergrößten Bedeutung. Es sind kaum drei Jahrzehnte her, daß englische und deutsche Physiker die Gesetze der Energiestrahlung entdeckten. Jetzt wissen wir und können es uns an vielen Beispielen und Vergleichen vorstellen, wie die von einem Körper ausgestrahlte Energie sich geradlinig ausbreitet mit der konstanten meßbaren Geschwindigkeit von 300 000 Kilometer in der Sekunde, wie dabei gleichzeitig immer zwei zueinander und zur Strahlenbahn senkrechte periodische Schwingungen stattfinden, deren eine ((5 in umstehender Fig.) elektrischer und deren zweite ( § ) magnetischer Natur ist, und wie das Ganze wie ein Doppclwellenzug erscheint, der in der Eichtung (x) des Strahles sich fortpflanzt. Die sekundliche Häufigkeit solcher Schwingungen, oder, anders ausgedrückt, der Abstand zwischen den einzelnen Wellenspitzen ist das unterscheidende Merkmal für die Art der Energiestrahlen, mit der wir es zu tun haben. Die großen Wellenlängen werden als rein elektrische Vorgänge beobachtet. Wellenlängen von 10 Kilometer bis herunter bis zu etwa 4*
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Die heutige Beleuchtungsindastrie.
200 Meter werden z. B. für die drahtlose Telegraphie verwendet. Wellenlängen von etwa 0,3 Millimeter bis herunter zu 0,8 Tausendstel Millimeter erwärmen beim Auftreffen auf dünne geschwärzte Bleche diese Bleche und werden so der Untersuchung zugänglich. Darunter beginnt das Gebiet der Lichtwellen, deren Wellenlänge zwischen 0,8 und 0,4 Tausendstel Millimeter liegt. Die einzelnen Farben des Lichtspektrums sind von verschiedener Wellenlänge, und zwar entspricht die rote Farbe einer Wellenlänge von 0,8 Tau-
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sendstel Millimeter, während das violette Licht eine Wellenlänge von 0,4 Tausendstel Millimeter zeigt. Noch kürzere Schwingungen werden als ultraviolette Strahlen bezeichnet und machen sich hauptsächlich durch ihre photographische Wirkung bemerkbar. II. Wie ruft man nun Lichtschwingungen hervor? Das bisherig wichtigste praktische Mittel beruht auf dem A u s strahlungsvermögen eines erhitzten festen K ö r p e r s , den wir in den Zustand einer m ö g l i c h s t h o h e n T e m p e r a t u r überführen. Unter Temperatur verstehen wir eine
Die heutige Beleuchtungsindustrie.
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Eigenschaft, die wahrscheinlich darauf beruht, daß alle kleinsten Teilchen mit einer gewissen Häufigkeit um ihre Ruhelage pendelnd Schwingungen ausführen. Je höher die Temperatur, um so rascher die Schwingung. Beim absoluten Nullpunkt der Temperatur, der bei minus 273,2° C liegt und neuerdings bis auf wenige Grade erreicht ist, müßte absolute Ruhe und Tod herrschen. Das „Wie" der Abhängigkeit ist in einfache Gesetze zusammenfaßbar und für ein und denselben Körper durch Kurven darstellbar. Die Energiestrahlung nimmt bei nur kleiner Temperatursteigerung rasch zu; außerdem verschiebt sich das Maximum der Strahlen immer mehr nach den kürzeren Wellen zu. Ein in Luft rotglühender Eisenstab hat etwa eine Temperatur von 800° C. Bei Weißglut, in der schon recht bald eine Vernichtung des Eisens durch Verbrennen, d. h. eine durch den Sauerstoff der Luft bewirkte Umwandlung in Eisenoxyd, eintritt, und die Gefahr des Verfalls durch Schmelzen und Abtropfen schon sehr droht, beträgt die Temperatur etwa 1250° C. Nimmt man eines der edleren Metalle, etwa Platin, so gelingt in Luft eine Erhitzung bis auf 1650° C. Wenn man einen Körper in eine evakuierte Glasbirne bringt und die Temperaturerhöhung durch elektrische Stromerhitzung hervorruft, so verhindert man nicht nur die Möglichkeit einer Verbrennung durch den Zutritt der Luft, sondern verhindert auch die Wärmeableitung in die umgebende Atmosphäre und ermöglicht so eine ganz außerordentliche Verringerung der zur dauernden Temperaturerhöhung nötigen Energie. So sind die elektrischen Kohlefaden-Glühlampen entstanden, deren Temperatur (bei etwa 1000 Brennstunden Lebensdauer) etwa 1850 0 C beträgt. Weitergehend auf diesem Wege ist man in den letzten Jahren zu den Metallfaden-Glühlampen gelangt, zuerst zu der Tantal-Lampe mit etwa 1950° C und nun zu den Wolfram-Lampen mit 2300° C. Neben der wesentlichen Steigerung der Temperatur trägt noch ein zweiter Umstand dazu bei, daß die Lichtausbeute bei der WolframLampe etwa 4 mal größer ist als bei der Kohlefaden-Lampe, nämlich die Bevorzugung der kürzeren Schwingungen, also der Lichtstrahlen im besonderen, vor den längeren Wärmewellen, eine gerade dem Wolfram, zum Teil auch dem Tantal, dem Osmium und dem Platin anhaftende Eigenschaft, die auf dem Ausstrahlungsvermögen beruht. Letzteres ist für Kohle im Gebiet der sichtbaren Lichtstrahlen nur w e n i g , im Gebiet der unsichtbaren Wärmestrahlen v i e l größer
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Die heutige Beleuchtungsindustrie.
als für Wolfram. Daher ist das Verhältnis der Energie der sichtbaren Strahlen zu der Energie der unsichtbaren Strahlen, kurz die Lichtausbeute, für Wolfram günstiger als für Kohle. Alle diese Lampen gebrauchen jedoch elektrischen Strom. Dort, wo Bewegungsenergie z. B. in Gestalt von Wasserkräften zur Verfügung steht, ist diese leicht in elektrischen Strom umgesetzt; für diese Fälle kommt nur die elektrische Beleuchtung in Frage. Wo jedoch keine Wasserkräfte vorhanden sind, muß der elektrische Strom aus den in der Erde vorhandenen Brennstoffen gewonnen werden. Zuerst muß die Wärmeenergie des Brennstoffs, noch dazu auf dem Umwege über die Dampferzeugung, in mechanische Bewegung verwandelt werden, dann die letztere mit Hilfe von Dynamomaschinen in elektrischen Strom; schließlich muß noch der Strom zur Verbrauchsstelle hingeleitct werden. So bleibt tatsächlich kaum der zehnte Teil, oft sogar nur der zwanzigste Teil der Brennstoffenergie für die Temperaturerhöhung der Glühlampen verfügbar. Bedenken wir nun noch, daß selbst bei einem Wolframfaden von 2300° C Temperatur nur etwa 5 % der ausgestrahlten Energie im sichtbaren Teil des Wellenspektrums liegen, so ergibt sich ein Gesamtwirkungsgrad von erstaunlich geringer Größe, von nur y2%. Seit dem ersten Herdleuer bekannt ist die Lichterzeugung durch eine offene Flamme; heute weiß man, daß kleine in der Flamme schwebende glühende Kohleteilchen die Quellen des ausgestrahlten Lichtes sind. Die Lichtausbeute ist sehr gering. Durch vermehrte Zufuhr von Luft steigt zwar die Temperatur der Flamme, ihre Lichtwirkung läßt aber nach, weil der Lichtträger, der Kohlenstoff, durch den Sauerstoff der Mehr-Luft gleich zu dem durchsichtigen Gase Kohlensäure verbrannt wird, bevor er lichtspendend wirken kann. Vom brennenden Holzscheit ist man zum Ölleuchtcr, von der Petroleum-Dochtlampe zum Gas-Schnitt-Brenner und zur Azetylenflamme, dem wichtigsten Teil der meisten Automobillaternen, gelangt. Die Temperaturen liegen bei 1200° für die Tranlampe, bei 1400° für den Gas-Schnitt-Brenner und eine gute Petroleum-Dochtlampe, bei etwa 1600° für die Azetylenflamme. Man wäre vor 20 Jahren tatsächlich am Ende angelangt gewesen mit der Lichterzeugung durch direkte Verbrennung, wenn man nicht auf Körper gestoßen wäre, die selbst bei größter Feinheit in ihrer Struktur, d. h. großer lichtausstrahlender Oberfläche und geringer
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Masse, hohe Temperaturen in Luft vertragen. Gab es diese, so war es ja nur nötig, durch Vergrößerung der Luftzufuhr zum Brennstoff eine möglichst heiße, wenn auch selbst nicht leuchtende Flamme zu erzeugen. Dank der Erfindung Auer v. Welsbachs und der jahrelangen Arbeit seiner Mitarbeiter haben wir jetzt solche Glühkörper. Sie bestehen aus den seltenen Erden Thor und Cer, und zwar 99 % Thor und 1 % Ccr, denen als Träger ein feines Gewebe aus veraschter Baumwolle oder Kunstseide dient. Nachdem die anfänglichen Schwierigkeiten bei der Imprägnierung der Kunstseide überwunden sind, wird jetzt dieses Material für alle guten Glühkörper verwendet. Mit einem Schlage sind wir hierdurch zu Temperaturen von 1675° für den Steinkohlengas-Glühliehtbrenner, von 1750° für den Ölgas-Glühlichtbrenner (in den Eisenbahnwagen) und von 1825° für den AzetylenGlüldichtbrenner gelangt. Wenn wir nun nocli geschickt die Temperatur der abziehenden Verbrennungsgase zur Vorwärmung des Gases und der Verbrennungsluft ausnutzen und außerdem die Glühkörper so anordnen, wie wir das Licht gebrauchen, also frei nach unten, so haben wir die Bedingungen für eine ökonomische moderne Lichtquelle erfüllt. Im ersten Moment will einem zwar wegen der erheblich niedrigeren Temperatur ein solcher Glühlichtbrenner gar nicht konkurrenzfähig erscheinen gegenüber der elektrischen Metallfadenlampe. Wenn wir jedoch berücksichtigen, daß hier durch den Verbrennungsprozeß das Licht direkt gewonnen wird, bei der elektrischen Lampe aber der Brennstoff erst mit fast 90 % Verlust in mechanische Energie und dann wieder in elektrische umgewandelt werden muß, so verstehen wir, daß beim Glühlichtbrenner noch ein Gesamtwirkungsgrad von 1% % herauskommen kann, gegen y 2 % bei der elektrischen Metallfadenlampe. Heute kostet der Kubikmeter Sauerstoff noch 50 Pfg. und darüber. Wenn erst der Preis auf wenige Pfennige gesunken ist, was voraussichtlich in den nächsten Jahren geschehen wird, so wird noch einmal wenigstens eine Verdoppelung der Lichtausbeute beim Gasglühlicht erfolgen. Das Glühlicht, aus Gasen oder vergasbaren festen oder flüssigen Brennstoffen gewonnen, wäre für die Großbeleuchtung, speziell auf der Straße, ohne Konkurrenz, wenn nicht auf elektrischem Wege durch zwei Mittel noch wesentlich höhere Temperaturen von leuchtenden Körpern sich herstellen ließen. Einmal durch die Bogenlampe, spe-
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ziell mit Kohlestiften, die mit Fluor und anderen Bestandteilen getränkt sind, und zweitens durch die Quecksilberdampflampe im Quarzglas, die neuerdings mit Kadmium-Quecksilberelektroden ein schönes gelbes Licht ausstrahlt. Die Temperaturen hierfür liegen scheinbar bei über 3000° C. Sie würden jedes andere Lichterzeugungsverfahren tot machen, wenn keine großen Nachteile mit dem Licht und der Konstruktion der Lampen bezüglich der Zündung und der Gleichmäßigkeit in der Lichtabgabe verbunden wären. Da mein Thema die heutige Beleuchtungsindustrie betrillt, so darf ich mich mit Fug und Recht auf die Lichterzeugung durch hohe Temperaturen beschränken. Ich möchte nur andeuten, daß uns noch andere Wege zur Lichterzeugung offenstehen und vielleicht in den nächsten Jahrzehnten auch zu einer rationellen Erzeugung sogenannten k a l t e n Lichtes führen werden. Das Fluoreszieren und das Phosphoreszieren gewisser Substanzen und Lebewesen — ich erinnere an das Meerleuchten und die Glühwürmchen — ist ja allgemein bekannt. Einen ersten praktischen Versuch stellt das Moore-Licht dar (Unter den Linden in einem Ladenraum oder im Eispalast, Lutherstraße), bei welchem Wechselstrom hoher Spannung die in fast ganz evakuierten Glasröhren enthaltenen Gasreste zum Leuchten bringt. III. Wissen wir nach dem Gesagten, wie wir zu gutem Licht gelangen, so müssen wir nun feststellen, nach welchen Normen wir die einzelnen Lichtquellen bewerten und vergleichen wollen. Leider haben wir es nicht so bequem wie die Wärmetechnik und die Elektrotechnik, auf mechanischen Einheiten aufbauen zu können, weil die verschiedene Empfindlichkeit des Auges für die einzelnen Farben zu berücksichtigen ist. Wir behelfen uns infolgedessen mit einer willkürlichen Einheit, von der wir aus der Erfahrung wissen, daß sie bei denselben äußeren Dimensionen und demselben Brennstoff immer die gleiche Lichtstrahlung ergibt, also leicht reproduzierbar ist. In Deutschland ist die Hefnerkerze fast allgemein eingeführt, und Amerika ist uns teilweise gefolgt. In England rechnet man nach einer um 10 % größeren Einheit, der British Candlepower, in Frankreich hat man die Carcel uni mit einer neunfach größeren Lichtstärke zur Norm gemacht. Wir sagen nun: eine Lichtquelle hat eine bestimmte Anzahl Hefnerkerzen L i c h t s t ä r k e und verstehen darunter, daß ihre Gesamtwirkung ohne Zuhilfenahme von Spiegeln oder Sammellinsen
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in horizontaler Richtung derjenigen von so und soviel in gleichen Abständen aufgestellten Hefnerkerzen entspricht. Wir sprechen auch von einer mittleren sphärischen, oberen hemisphärischen und unteren liemisphärischen Lichtstärke und meinen damit, daß der Durchschnitt der Gesamtwirkungen der Lichtquelle für die verschiedenen Winkel gegen die Horizontale und bei jedem Winkel rings im Kreise herum gemessen der Wirkung von so und soviel Hefnerkerzen in horizontaler Richtung entspricht. Die Messung selbst, das sogenannte Photometrieren, wird mit Photometern ausgeführt. Der Lichteffekt oder die B e l e u c h t u n g auf der beobachteten matten Fläche des Photometerkopfes nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab, weil die von demselben Strahlenkegel beleuchteten Flächen mit dem Quadrat des Abstandcs von der Spitze des Kegels wachsen. Die mittlere hemisphärische oder noch besser s p h ä r i s c h e L i c h t s t ä r k e ist uns maßgebend für die Leistungsfähigkeit einer Lampe und ausschlaggebend für ihren Wert beim Einkauf und Verkauf und für die Bewertung ihrer Ökonomie. Worauf es aber in der praktischen Verwendung ankommt, ist meistens nicht sowohl die Lichtstärke, sondern die B e 1 e u c h t u n g , die wir in einem bestimmten Raum oder auf einer bestimmten Fläche erzielen. Natürlich steht die Beleuchtung im engen Zusammenhang mit der Lichtstärke, und wir definieren direkt ihre Einheit, das Lux, als die Lichtwirkung, die die Einheit der Lichtstärke auf einer zur Verbindungslinie mit ihr senkrechten Fläche hervorruft, wenn der Abstand 1 m beträgt. Nun nimmt ja die Lichtwirkung einer freien Lichtquelle mit ihrer Entfernung im Quadrat ab. Sie kann im doppelten Abstände nur im dreifachen Abstände nur V9 betragen usw. Man ist also in der Lage, mit ein und derselben Lichtstärke von z. B. 16 HK auf einer nicht zu großen Tischfläche eine ganz verschiedene Beleuchtung hervorzurufen, je nachdcm man die Lampe höher oder tiefer aufhängt. In 1 m Abstand habe ich 16 Lux, in 2 m Abstand nur 4 Lux, in 3 m Abstand nur etwa 2 Lux, in 14 m Abstand aber schon 64 Lux. Nun sind wir durch die Sonne arg verwöhnt. Dank ihrer ungeheuren Lichtstärke erzeugt die Sonne im Schatten eine Beleuchtung, die in der Regel mehr als 150 Lux beträgt. Ja noch des Nachts im direkten Vollmondlicht erhalten wir von ihr 3 /i L u x - Unser Auge hat sich für das Lesen und Schreiben an eine Beleuchtung von etwa 50 Lux gewöhnt. In großen Gesellschaftsräumen verlangen wir
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wenigstens 30 Lux, im Wohnzimmer allgemein 10 Lux. Auf der Berliner Friedrichstraße haben wir beim Brennen aller elektrischen Bogenlampen, jedoch nach Ausschaltung aller Schaufensterlampen, eine Beleuchtung zwischen 60 und 10 Lux, je nachdem wir uns nahe bei einer Bogenlampe oder in der Mitte zwischen zwei Bogenlampen befinden; in der Berliner Potsdamerstraße unter den gleichen Bedingungen durch die Preßgasbeleuchtung zwischen 80 und 4 Lux. Zur Erzielung einer gleichmäßigen Bodenbeleuchtung hängen wir die Lampen möglichst hoch oder nehmen sehr viele Lampen. In Innenräumen hilft uns die Reflexion durch helle Decken und Wände bis zu 50 %. Es nimmt uns aber die Mattierung der Lampen, Glasglocken oder das Verhängen mit Schirmen unter Umständen ebensoviel fort. Es entscheidet oft letzten Endes nicht die Ökonomie, sondern der Geschmack, die Bequemlichkeit und andere Momente. IV. Wenn wir nun die Ö k o n o m i e d e r h e u t i g e n L i c h t q u e l l e n untereinander vergleichen, so ergeben sich hinsichtlich der Brennstoffkosten bzw. Stromkosten die auf S. 60 angegebenen Zahlen, die auf 1000 HK-Stunden bezogen sind, d. h. auf die einstündige Brenndauer von einer 1000 HK-Lampe oder von 10 Lampen ä 100 HK oder von 100 Lampen ä 10 HK, ebenso gut natürlich auf die zehnstündige Brenndauer von einer Lampe ä 100 HK oder von 10 Lampen ä 10 HK usw. Die Tabelle S. 60 zeigt die große Billigkeit der Glühlichtbrenner mit flüssigem Brennstoff bei Betrieb mit Benzol oder Petroleum. Danach kommt die Preßgaslampe, dann der normale Invert-Gasglühlichtbrenner. Beinahe dreimal teurer ist das Licht selbst von den besten elektrischen Metallfadenlampen. Wesentlich anders wird das Bild, wenn Sie die Anschaffungsund Erneuerungskosten in Betracht ziehen (S. 59). Ich greife zwei Fälle, heraus. Nehmen wir einmal eine Wohnungsbeleuchtung mit insgesamt 2100 HK, verteilt auf 30 bzw. 40 Lampen, an. Es sollen täglich bei Gas 2100 HK Stunden, bei elektrischem Licht des bequemeren Einund Ausschaltens wegen nur 1800 HK Stunden verbraucht werden, mithin jährlich rund % Millionen bzw. ,!/io Million HK Stunden. Während die Anschaffungskosten, unter Einbeziehung der Beleuchtungskörper, mit Mk. 900.— sich angenähert gleich sein werden, betragen die jährlichen Ausgaben bei der Gasbeleuchtung inkl. Gasmessermiete, Glühkörper- und Glasglockenersatz und inkl.
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Kleinsteller mit Zündflamme Mk. 121,50, bei Beleuchtung mit elektrischen Metallfadenlampen dagegen Mk. 302. Gerade bei einer Wohnungsbeleuchtung zeigt sich so recht die Bedeutung der neben der Ökonomie maßgebenden Momente. Es ist ja außer Frage, daß in bezug auf effektvolle Anordnung und Bequemlichkeit in der Bedienung die elektrische Glühbirne dem Gaslicht überlegen ist. Was ist angenehmer als das Ein- und Ausschalten des elektrischen Lichtes? Was ist sparsamer für alle Nebenräume als die kleinen Lampencinheiten mit 10—16 HK? Diese Aufgaben sind nicht so bequem zu lösen für die Gastechnik und sind — über ihre Schwierigkeit hinaus — vernachlässigt worden von der Gastechnik; hoffentlich spornt die scharfe Konkurrenz letztere hier etwas an. Oft mit Recht, häufig aber auch mit Unrecht wird über die Luftverschlechterung und die zu große Wärmeentwicklung durch das Gaslicht geklagt. Meistens liegt dann eine falsche Anlage vor oder eine Wohnungs-Beleuchtung. 1. Schlafzimmer: Ampel ¡30 HK, Spiegeltisch 50 HK. 2. Eßzimmer: Krone 300 HK. 3. Wohnzimmer: Pendel 200 HK, Erkerlicht: 100 HK. 4. Herrenzimmer: Schreibtisch 60 HK, Krone 200 HK. 6. Salon: Krone 400HK, Wandarm 100 HK. G. Fremdenzimmer: 150HK. Küche: 100HK. Korridor- und Nebenräume: 450 HK. Brennzeit: täglich 4 Stunden im Jahresdurchschnitt.
Anschaffi ngskosten: Gas 30 Brenner 4 Kronen, 2 2 Wandarme, lampen
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Jährliche Gasmesser-Miete Glühkörper-Ersatz Glasglocken-Ersatz Gasverbrauch 750 ä Mk. 0,13
Elektrisch 40 Glühlampen m. Fassung Mk. 200,— 4 Kronen. 2 Ampeln, 2 Wandarme, 2 Stehlampen. Mk. 700,—
Mk. 121,50
Mk. 900,—
Ausgaben: Zähler-Miete Mk. 15,— Glühlampen-Ersatz Mk. 35,— Strom-Verbrauch 630 K.-W.-Std. k Mk. 0,40 Mk. 252,— Summa
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falsche Einregulierung des Gasbrenners oder eine minderwertige Ausführung. In einem normalen Wohnraum kann die Kohlensäureentwicklung durch das Gaslicht gegenüber der menschlichen Atmung nicht ins Gewicht fallen und wird im übrigen wie bei dieser durch die Mauern, Fenster und Wände rasch ausgeglichen. Das gleiche gilt von der Wasserdampfbildung bei dem Gasverbrennungsprozeß, die bei den Wohnungen mit Zentralheizung sogar als vorteilhaft zu bezeichnen ist. Wenn wir aber ein bißchen mehr, als es leider gewöhnlich geschieht, die Ventilation berücksichtigen, so ergibt sich gerade für das Gaslicht die Möglichkeit einer Gratisfortleitung aller schlechten Luft, deren Ersatz durch Frischluft die Wände gern und gleichmäßig zulassen. Sicherlich ist durch zweckmäßiges Zusammenarbeiten von Architekten- und Beleuchtungstechnikcrn noch mancher Fortschritt zu erwarten. Nur für das Gaslicht spricht andererseits die viel angenehmere Einwirkung der gleichmäßig leuchtenden Glühstrumpffläche auf das menschliche Auge, verglichen mit der Grelle der wenigen Fäden einer elektrischen Glühlampe. Für eine Stadtwohnung kommt nur Gasglühlicht oder das Licht elektrischer Glühlampen in Frage. Für ein Landhaus werden sich mit Petroleum-Dochtlampen und Stearinkerzen von nur einem Zehntel der für die Stadtwohnung gegebenen Lichtstärke, aber mit derselben Anzahl Lampen die Unterhaltungskosten auf Mk. 120.— stellen. Die gleiche Lichtstärke zu maximal 2100 H K und in den Abendstunden im Durchschnitt 700 H K würde sich nur mit Spiritus-, mit Benzol- oder mit Petroleum-Glühlicht erreichen lassen. Die Anschaffungskosten wären wohl etwa 2%- bis 3 mal so hoch wie für Gas oder elektrisches Licht. Die Betriebskosten würden aber bei Betrieb mit Benzol oder Petroleum wohl kaum diejenigen des Gaslichtes übersteigen; denn einer Mehrausgabe für Wartung und Glühkörper-Ersatz stände eine Minderausgabe aus Brennstoff gegenüber. Es darf aber nicht übersehen werden, daß zurzeit diese Art Beleuchtung noch manche Mängel insofern aufweist, als die Inbetriebsetzung einer Lampe 1—2 Minuten dauert und während dieser Zeit noch kein Licht erzeugt wird. Bei Verwendung von Spiritus ist die Handhabung einfacher und die Zeit kürzer, dafür aber der Betrieb selbst drei- bis viermal teurer. Der zweite Fall soll sich auf eine Fabrikbeleuchtung mit insgesamt 55 000 H K beziehen, verteilt auf 10 Lampen ä 1500 H K , 10 Lampen
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ä 1000 H K , 100 Lampen ä 200 H K und 200 Lampen ä 50 H K . Die Tabelle auf S. 62 läßt die Chancen einer jeden Beleuchtungsart erkennen. V. Es würde zu weit führen, noch mehr Einzelfälle zu besprechen, so interessant gerade manche Aufgaben sind. Ich möchte nunmehr auf die w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g d e r B e l e u c h t u n g s i n d u s t r i c "eingehen. In Deutschland werden in etwa 400 Gasanstalten jährlich etwa 2 y 4 Milliarden cbm Steinkohlengas erzeugt, davon Ys ' n Berlin. Von der Gesamtgasproduktion werden 7—12 % für Straßenbeleuchtung verwendet und 30—35 % für Wohnungsbeleuclitung abgegeben. Die restlichen 55 % des produzierten Gases werden im wesentlichen für Koch- und Heizzwecke verwendet. Dies entspricht einer jährlichen Lichtproduktion von etwa 1000 Milliarden HK-Stunden. Zur Straßenbeleuchtung sind dabei über y, Million Laternen aufgestellt; für Innenbeleuchtung sind etwa 15 Millionen Brenner angeschlossen. In Berlin dienen zur Straßenbeleuchtung neben 24 000 normalen Laternen noch etwa 3000 Kandelaber mit 7000 Preßgasflammen. Für Innenbeleuchtung sind etwa 2 y> Millionen Brenner angeschlossen. An elektrischer Energie werden in Deutschland in etwa 2800 Zentralen mit etwa 3 Millionen K W Leistungsfähigkeit jährlich etwa 1,5 Milliarden KW-Stunden erzeugt. Zwei Drittel dieser Energie werden für Kraftzwecke abgegeben. Von dem restlichen Drittel werden etwa 6 % für Bogenlampen und 24—27 % für Glühlampen verwendet; dies entspricht zusammen einer jährlichen Lichtproduktion von 500 Milliarden HK-Stunden. Zur Straßenbeleuchtung sind etwa 250 000 Bogenlampen aufgehängt; im wesentlichen für Innenbeleuchtung sind etwa 20 Millionen Glühlampen angeschlossen. In Berlin dienen zur Straßenbeleuchtung etwa 42 000 Bogenlampen, zur Innenbeleuchtung etwa 1,2 Millionen Glühlampen. Ein Vergleich der HK-Stunden ergibt, daß in Berlin etwa siebenmal so viel Licht durch Gas erzeugt wird als durch elektrischen Strom. An Leuchtpetroleum werden nach Deutschland jährlich etwa 900 000 Tonnen eingeführt. Dies entspricht bei der auf Seite 60 gezeigten schlechten Ökonomie der normalen Dochtlampe etwa 150 Milliarden HK-Stunden, verteilt sich aber auf wenigstens 30 Millionen Lampen und stellt — von den Taschenlampen und Azetylen-Fahrradlampen abgesehen — die einzige freibewegliche Beleuchtungsart dar.
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Wenn wir die Dochtlampen durch Glühlichtbrenner ersetzen, so werden wir das zwanzigfache Licht aus der fraglichen Menge Petroleum gewinnen können oder umgekehrt (unter Berücksichtigung der geringeren Ökonomie kleiner Lampen) bei derselben Lichtstärke mit 100 000 Tonnen Petroleum auskommen. Wenn es gelingt, woran deutsche Wissenschaft und Technik fleißig arbeiten, für den Kraftbetrieb die Teeröle (z. B. im Diesel-Motor) noch mehr nutzbar zu machen und das Benzol, diesen prachtvollen einheitlichen Körper, von dem wir in deutschen Gasanstalten jährlich 17 000 t erzeugen, dem edleren Zwecke der Lichterzeugung zuzuführen, so brauchen nicht 200 Millionen Mk. jährlich für Petroleum ins Ausland zu wandern. Gegenüber den genannten drei Lichterzeugungsvcrfahrcn fallen die sonst noch bekannten wenig ins Gewicht. Die Azetylen-Gaszentralen werden nicht mehr gebaut, kaum mehr weiter betrieben, weil sie zu gefährlich und teuer sind. Die Aerogen-Gasanlagen sind auch nicht ungefährlich und in der Leitungsanlage zu teuer. Eine Beleuchtung mit Ölgas ist nur in den Spezialfällen des Eisenbahnwesens und der Küstensicherung ökonomisch. Die FlüssigkeitsDampf-Glühlichtbrenner aber, sei es mit Petroleum, sei es mit Benzol betrieben, haben wohl eine große Zukunft, aber noch keine imponierende Gegenwart. Insgesamt sind also in Deutschland etwa 60 Millionen Lampen mit jährlich etwa 1700Milliarden HK-Stunden im Betrieb (Tab. S.65). Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, ergibt das einen Lichtbedarf von 28 000 HK-Stunden, oder, die durchschnittlich dem Schlafen nicht gewidmete Zahl der dunklen Stunden mit 4 gerechnet, eine Lichtstärke von 20 HK. Ich glaube, die Zahl darf zehnmal so groß werden, bis wir von einer genügenden Helligkeit sprechen können. In Berlin ist diese Größe bereits erreicht, ohne Berücksichtigung der Beleuchtung von Straßenbahnen usw. Aus der Leistungsfähigkeit der Gasanstalten und Elektrizitätswerke und der mir bekannten Fabriken der Beleuchtungsindustrie habe ich gewagt, diese Tabelle aufzustellen. Es war mir nicht möglich, für noch andere Länder auch nur annähernd exakte Angaben zu bekommen. Ich bitte überhaupt um Vorsicht und vor allem um keine zu strengen Rückschlüsse auf das Kulturniveau der betreffenden Staaten. Teilweise sind sie durch ihre Lage doch wesentlich besser daran als wir
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Aufhebung derselben für Plantagenkautschuk beschlossen hat. Ob diese und die sonst zur Gesundung der dortigen Verhältnisse getroffenen Maßnahmen auf die Dauer genügen werden, die brasilianische Kautschukausfuhr zu sichern, hängt von der ordnungsmäßigen Durchführung der beschlossenen Maßnahmen und von der richtigen Verteilung der Gelder ab und erscheint zweifelhaft von dem Augenblick an, wo aus den Plantagen Ostasiens, nach Abstellung mancher Mißgriffe, wirklich einheitliche erstklassige Kautschuke zu billigen Preisen dem Weltmarkte zugeführt werden. So lange die Q u a l i t ä t des I a Wildparas prävaliert, wird derselbe in der Preisparität das Zunglein an der Wage bilden, und es ist daher manchen Plantagen nicht unerwünscht, wenn Wildpara den Preisstand fixiert. Was für die brasilianischen Finanzen eine Behinderung oder auch nur ein erheblicher Rückgang der Kautschukausfuhr bedeuten würde, das klarzulegen, mag der Hinweis genügen, daß bei einem Durchschnittspreise von 10 Mark per Kilo die jährliche Kautschukausfuhr aus Brasilien einen Wert von weit über 400 Millionen Mark repräsentiert. Tabelle VIII gibt ein deutliches Bild der Entwicklung und der heutigen Bedeutung der deutschen Kautschukwaren-Industrie. Schwarz gezeichnet ist auf der Tafel die Zahl aller Betriebe, schräg schraffiert die Zahl aller Arbeiter, von rechts nach links schraffiert die Zahl der männlichen, von links nach rechts die der weiblichen Arbeiter. Geradlinig schraffiert ist die Zahl der Hauptbetriebe. Im Jahre 1861 hatten wir in Deutschland erst 36 Betriebe mit 1788 Arbeitern, 1907 war die Zahl der Betriebe auf 426 mit rund 29 000 Arbeitern gestiegen, und heute sind ca. 45 000 Arbeiter in der Kautschukwaren-Industrie beschäftigt. Ich bedaure es lebhaft, meine Damen und Herren, daß ich gezwungen war, Ihre Geduld in dieser Weise in Anspruch zu nehmen und eine Fülle von Zahlenmaterial Ihnen vorzutragen. Aber ich meine doch, daß es nur auf diese Weise möglich war, Ihnen ein anschauliches Bild der eminenten wirtschaftlichen Bedeutung des Kautschuks zu geben. Sie werden erkannt haben, welche ungeheuren Kapitalien in den Gebieten investiert sind, die die Gewinnung und Verarbeitung des Kautschuks betreffen und wie groß speziell auch in Deutschland bereits die Zahl der Personen ist, deren wirtschaftliche Existenz vom Kautschuk abhängt. Lassen Sie mich nun dazu übergehen, Ihnen den Weg zu schildern,
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den der Kautschuk von der Gewinnung bis zur fertigen Ware zurückzulegen hat. Über die Gewinnungsweise des Kautschuks habe ich Ihnen bereits in einem früheren Teile meines Vortrages einige Mitteilungen gemacht. Ich sprach Ihnen weiter davon, wie beispielsweise der brasilianische Wildkautschuk nach dem Hafen gebracht, dort konditioniert und dann versandt wird. Ganz ähnlich wie der Wildkautschuk wird auch der Plantagenkautschuk gewonnen und aufbereitet. Die Bäume werden gezapft und die ausfließende Milch entweder am Baume koaguliert, wie ich es Ihnen für den ostafrikanischen Manihot-Kautschuk beschrieb, oder gesammelt und dann einer späteren Koagulation unterworfen. Auf die zahllosen Zapfmethoden, die nicht nur für jede Baumart verschieden sind und verschieden sein müssen, kann ich hier nicht eingehen. Von neueren Zapfverfaliren hat besonders dasjenige von Huber sowie die Methode von Kelway-Bamber Bedeutung erlangt. Bei der Koagulation spielt die Wahl des richtigen Koagulationsmittels für Ausbeute, Nerv und Haltbarkeit des Kautschuks eine erhebliche Rolle. Der frische Kautschuk wird auf den Plantagen des Ostens meist gewaschen. Sie sehen auf dem Bilde aus den Malay-States, das ich Ihnen jetzt zeige, wie der Kautschuk in Form einer käsigen Masse zu den Waschwalzen gebracht und daselbst zum Felle ausgezogen wird. Die gewaschenen Felle werden dann, wie Sie es auf dem folgenden Bilde sehen, aufgestapelt und verpackt. Die Verpackung des Kautschuks für die Versendung ist recht verschiedenartig. Am meisten empfiehlt sich die Versendung in Kisten, da der Kautschuk in Säcken verpackt unter Druck im warmen Schiffsraum leicht Gefahr läuft, sich zu zersetzen. Ich erwähne diesbezüglich u. a. die Arbeiten von Spence, Fickcndey und Frank, auf die ich hier gleichfalls nicht weiter eingehen kann. Der erste Markt für den Kautschuk ist London. Hier wird das Rohprodukt nach Eingang in den Wharfes oder Docks gelagert. Die Lagerung geschieht in großen kühlen und dunklen Gewölben, da das Produkt gegen Licht und Wärme sehr empfindlich ist. Ich zeige Ihnen hier solche Räume, in denen Sie auf dem ersten Bilde Wildkautschuk, auf dem zweiten Plantagenkautschuk lagern sehen. Die Ankünfte werden nach ä u ß e r e n Merkmalen und insbesondere auch bei Plantagenkautschuk nicht einheitlich nach der Provenienz sortiert. Die vereideten Probenehmer entnehmen von den Loosen mit größter Gewerbliche Einzelvorträge.
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Zuvorlässigkeit die Proben. Diese liegen in London in Mincing Lane aus und gehen von da an die Interessenten. In offener Auktion findet alle 8 bis 14 Tage der Verkauf meist an die Zwischenhändler, seltener direkt für Rechnung des Konsumenten statt. Ein Weg durch Mincing Lane führt mitten in das Herz des Riesenmarktes ein. Über das eigenartige Treiben daselbst ließe sich allein einen ganzen Abend berichten. In Antwerpen ist das Einschreibesystem für Kautschuk üblich. Die Qualitäten werden sortiert und bezeichnet, dann werden die Muster gezogen, die Loose werden geschätzt und die Angebote werden verschlossen abgegeben und an einem bestimmten Tage geöffnet, worauf der Zuschlag an den Meistbietenden erfolgt. Außer London und Antwerpen kommen insbesondere noch Liverpool, New York, Rotterdam, Le Havre, Bordeaux und seit einiger Zeit auch Hamburg als Hauptmarktorte für den Kautschuk in Frage. In Hamburg hat man im vorigen Jalire auch einen Terminmarkt für Kautschuk ins Leben gerufen. Diese Neueinfiihrung hat aber noch keine bindende Gestalt. Es ist kein Zweifel, daß durch den Terminkauf Stabilität in die Einkaufspreise kommen könnte. Auf der andern Seite wird man durch denselben spekulative Marktbeeinflussungen zu befürchten haben. In der Fabrik wird der Rohkautschuk zunächst zerschnitten und darauf einige Zeit mit Wasser erwärmt. Hierbei erweicht er und verliert bereits einen Teil des in ihm enthaltenen Schmutzes. In dem erweichten Zustande gelangt er auf die Waschwalze, auf der er unter ständigem Wasserzulauf von allen Schmutzteilen befreit und zu dünnen, rauhen Fellen ausgezogen wird. Der bei der Wäsche eintretende Gewichtsverlust des Kautschuks, der sogenannte Waschverlust, erreicht oft eine erhebliche Höhe. Er beträgt beim ParaKautschuk etwa 15%, beim ostafrikanischen Manihot etwa 30 bis 40%, beim Guayule 25% usw. Kongokautschuke haben je nach Qualität 3 bis 35% Waschverlust. Ich zeige Ihnen die durchschnittlichen Waschverluste dieser Kautschuke in einer Tabelle zusammengestellt, und erkennen Sie auf dieser die außerordentliche Verschiedenheit derselben. Die guten Plantagenprodukte haben minimale oder keine Waschverluste. Anschließend möchte ich Ihnen im Bilde eine der üblichen Waschwalzen zeigen, wie sie u. a. von den Firmen Gebauer, Krupp-Grusonwerk, Gebr. Arndt, Humboldt und vielen andern
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gebaut werden. Die mit gewaltiger Kraft arbeitende Walze ist zur Sicherung des sie bedienenden Arbeiters mit einer Momentausriickung versehen. Die folgenden Bilder zeigen eine neuere Konstruktion einer Waschwalze, wie sie von der Firma Werner und Pfleiderer in StuttgartCannstatt gebaut wird. Die Walze scheint besonders auch für das Waschen im Gewinnungslande geeignet, da sie den Kautschuk zerreißt, weniger auf Reibung und Druck beansprucht und unter Wasser arbeitet. Besonders unsere ostafrikanischen Manihot-Kautschuke vertragen-nach der Wäsche, wie sie bisher gehandhabt wird, das Lagern nicht mehr, und es ist durchaus wahrscheinlich, daß die Behandlung in dieser Walze sie weniger angreifen wird. Ein Waschen der Plantagenkautschuke am Gewinnungsorte hat insofern seine Berechtigung, als es so eher möglich ist, Standardqualitäten zu schaffen, deren Einführung unbedingt erforderlich ist, um z. B. unserem ostafrikanischen Kautschuk bei den relativ kleinen Einzelproduktionen seine Haftfähigkeit zu erhalten. Das bei der Wäsche erhaltene Kautschukfell wird getrocknet, was zweckmäßig in einem dunklen, gut ventilierten Räume bei Temperaturen erfolgt, die 30° C nicht überschreiten sollten. In Fabriken, in denen (lie für die Trocknung erforderlichen großen Räume aus diesen oder jenen Gründen nicht zur Verfügung stehen, ist man vielfach zu künstlicher Trocknung übergegangen. Man verwendet dazu VakuumTrockenschränke, wie sie beispielsweise von Paßburg, Julius Pintsch (System Storch) u. a. gebaut werden. Ich zeige Ihnen drei Bilder Pintsch' Trockenschränke. Das dritte Bild zeigt eine Kombination zweier Schränke zur Trocknung für Spezialzwecke der Industrie. Die Schränke arbeiten mit Luft, die am unteren Heizmantel vorgewärmt wird und dann über das bewegte Gut streicht. Bewährt sollen sich auch in neuerer Zeit die Kanaltrockner haben. Der trockene Kautschuk kommt dann in den Mischraum auf die Mischwalzen, die ähnlich wie die Waschwalzen gebaut sind. Dieselben sind mit Dampf beheizbar und lassen sich durch Wasser kühlen. Die Mischung darf nicht zu lange Zeit erfordern und nicht zu heiß ausgeführt werden, da der Kautschuk sonst klebrig und schlechter vulkanisierbar werden kann. Der Kautschuk nimmt beim Kneten und auf der warmen Mischwalze eine teigige Beschaffenheit an und kann dann Füllstoffe in großer Menge aufnehmen. Die Zeiten, in denen man den Kautschuk V
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ohne -weitere Zusätze verarbeitete, sind für immer vorüber. Nicht nur die Preissteigerung der Rohware, sondern vor allem auch die neu entstandenen vielseitigen Verwendungsgebiete haben dem ein Ende gemacht. Ist es doch durchaus falsch, anzunehmen, daß die bei der Verarbeitung gemachten Zusätze minderwertige Substitute seien, die gewissermaßen eine Verfälschung der reinen Ware darstellten. Zusätze sind vielfach durchaus nötig, um die Ware den verschiedenen Venvendungsgebieten anzupassen. Bei der Fabrikation lassen sich zwei große Gruppen der Verarbeitung unterscheiden. Die eine ist die des sogenannten Patentgummis, der nur Kautschuk, Faktis (d. s. geschwefelte Öle) und evcnt. Farbstoffe enthält. Die Fabrikation erfolgt in der Weise, daß die Mischung in einem Mastikator durchgeknetet und dann in einer Spindelpresse zu einer Walze gepreßt wird. Die Walze läßt man in einem Gefrierraum gefrieren und schneidet dann dieselbe in sehr exakt konstruierten Maschinen unter Wrasserzufluß zu Platten beliebiger Dicke. Die aus solchen Platten hergestellten Gegenstände werden kalt, d. h. durch Eintauchen in eine dünne Lösung von Schwefclchloriir, vulkanisiert. Die andere Gruppe ist die der heißvulkanisierten Waren, bei der der dem Kautschuk beigemischte Schwefel bei einer Temperatur von etwa 130 bis 140° C langsam chemisch gebunden wird. Auch bei dieser Fabrikation wird zunächst auf großen Kalandern — ich zeige Ihnen hier einen Dreiwalzenkalander mit Umstellvorrichtung für friktionierten und gleichen Walzengang, wie er von der Firma Gebauer gebaut wird — eine Platte gezogen, die dann je nach dem Verwendungszwecke geformt wird. Die Vulkanisation erfolgt dann in einer Presse oder in einem mit Dampf geheizten Ofen. Sie sehen hier diverse Vulkanisierpressen für Handbetrieb, und im nächsten Bilde eine Vulkanisierpresse für Hand- und Riemenantrieb neuester Konstruktion. Das folgende Bild zeigt eine sogenannte Autoklavenpresse, d. h. einen Autoklaven, in dem eine Vulkanisierpresse sich befindet. Auf dem folgenden Bilde sehen Sie einen Vulkanisierkessel mit Doppelmantel und rotierender Trommel. Der Kessel, der in dieser Form gleichfalls von der Firma Gebauer gebaut wird, ist mit Dampfzu- und abführung und Anschluß an eine Vakuumpresse versehen. Die Zahl der verschiedenen Weichgummiartikel ist eine außerordentich mannigfaltige. Ich nenne Ihnen von solchen hier nur Gummifäden
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and Matten, Gummiringe und Flaschenscheiben, Spielbälle, Guinmiballons und Beutel, dann Pufferscheiben, Dichtungsscheiben und Platten, Gummistempel, Radiergummi, ferner Asbestkompositionen, wis Vulkanasbest und It-Platten, weiter Warenbezüge und Guinmischwämme. Von gespritzten und gepreßten Artikeln sind besonders die Schläuche sowie die Gummidrähte und Kabel zu erwähnen. Zu den Artikeln mit Einlage gehören gleichfalls gewisse Sorten von Schläuchen, ferner Gummitreibriemen und Pneumatiks. Auch die Gummischuhfabrikation ist ein Gebiet von sehr erheblicher Bedeutung und enormen Umfange. Alle diese Artikel haben eine besondere Art der Fabrikation, die bestimmte Arbeitsmaschinen erfordert. Ich muß es mir leider versagen, hier auch nur ganz allgemein auf die Herstellung dieser Produkte einzugehen. Kurz erwähnen möchte ich lediglich, daß a. e. bei der Herstellung von Schläuchen der entsprechend vorbereitete Kautschuk zunächst in einen angewärmten Fülltrichter gebracht wird. Er gelangt von da in eine Schnecke, welche ihn gegen eine Platte führt, die mit einer Öffnung versehen ist, in deren Mitte ein Dorn angebracht ist. Durch diese Öffnung wird die Masse herausgespritzt, um danach eingepudert und dann vulkanisiert zu werden. Sic sehen hier eine solche Schlauchmaschine, wie sie gleichfalls von der Firma Gebauer hergestellt wird. Hartgummiwaren, die sich von den andern Produkten lediglich durch iliren höheren Schwefelgehalt unterscheiden, werden nach der Vulkanisation noch abgedreht und poliert. Nahtlose Gummiwaren, wie Sauger, Handschuhe usw., werden durch Tauchen einer Form in Kautschuklösung hergestellt. Schließlich will ich auch noch die sogenannten regenerierten Kautschuke erwähnen, die aus den Abfällen der Fabrikation sowie aus abgenutzten Gegenständen hergestellt werden. Das Prinzip der Regeneration besteht in einer möglichst weitgehenden Entfernung der Füllstoffe und des freien Schwefels und darin, den Kautschuk plastisch und damit wieder verarbeitbar zu machen. Die Zahl der Verfahren, die dieses bewirken sollen, ist Legion. Ich nenne hier nur das Brownund das Mitchel-Verfahren, welche durch Kochen mit Säure in offenen, sowie das Marksverfahren, welches durch Kochen mit Alkalilaugen in geschlossenen Gefäßen das Ziel zu erreichen suchen. Neuerdings finden auch die sogenannten Löse- und Fällungsverfahren vielfach und mit Erfolg Anwendung. Erhebliche Schwierigkeiten bereitete bisher bei stoffreichen Produkten, wie beispielsweise bei Gummi-
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schuhen, die Trennung des Stoffes vom Gummi. Bei entsprechendem Erfolg von Versuchen, die in meinem Institut ausgeführt werden, ist vielleicht die Möglichkeit gegeben, diese Schwierigkeit zu heben, dadurch, daß das Material zunächst in einer besonders konstruierten Mühle gemahlen und dann in einem Sichter getrennt wird. Die Industrie der Regeneration ist fast gleichzeitig mit der eigentlichen Kautschukwaren-Industrie entstanden, hat aber erst in den letzten 40 Jahren zunächst in Amerika und England, viel später in Deutschland einen größeren Umfang angenommen. Heute hat dieselbe eine riesige Ausdehnung erlangt. Der Altgummihandel hat seine besonderen Märkte mit regelrechten Kursen. In den letzten Jahren sind, vornehmlich in England, Erfindungen gemacht worden, Altgummi zu mahlen und das gemahlene Pulver unter Luftabschluß und hohem Druck bei Temperaturen von ca. 250° C, d. s. Wärmegrade, die weit über der Zersetzungstemperatur des Kautschuks liegen, direkt in Formen zu pressen. Das Verfahren verblüfft durch seine Einfachheit und hat sich, besonders zur Herstellung von Schläuchen, Vollgummireifen usw., bewährt. Auf diese wenigen Angaben, meine Damen und Herren, muß ich meine Mitteilungen über die Kautschukwaren-Industrie beschränken, und ich möchte zum Schlüsse meiner Darlegungen nunmehr nur noch mit einigen kurzen Worten eingehen auf den sogenannten „künstlichen" Kautschuk. Der „künstliche" Kautschuk, soweit darunter ein Produkt verstanden wird, das künstlich hergestellt wird, und dem dabei die Eigenschaften des Naturproduktes innewohnen sollen, ist „Schwindel". Es gibt keinen künstlich hergestellten Körper mit den Eigenschaften des Kautschuks und wird auch in Zukunft einen solchen nicht geben. Bei allem, was als Kunstkautschuk angepriesen wird, handelt es sich offenbar entweder um eine beabsichtigte Täuschung des Publikums oder um Produkte, die nicht als Kautschukersatz, sondern lediglich als Kautschukfüllmittel dienen können. In die Kategorie dieser „Kunstkautschuke" gehören u. a. jene zahlreichen Gelatine-, Glyzerin- und Leimgemische, die als Füllstoffe für Pneumatiks dienen sollen, hierhin gehört auch jener berüchtigte schwedische Kunstkautschuk, der vor zwei Jahren angeblich eine Umwälzung der ganzen Industrie bewirken sollte, hierhin gehört beispielsweise aber auch der sogenannte Fischgummi, zu dessen Exploitierung im vorigen Jahre ein großes belgisches Syndikat ins Leben trat, dem leider auch von deutscher Seite Mittel zugeführt wurden, nachdem
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zufolge eines Berichtes des Antwerpener Generalkonsulates empfehlende Mitteilungen über denselben auch in amtliche deutsche Blätter und in die Tageszeitungen gelangt waren. Ganz anders als mit diesem Kunstkautschuk steht es mit dem synthetischen Kautschuk, dessen Herstellung als ein Triumph d e u t s c h e r "Wissenschaft zu bezeichnen ist. Es kann auch wohl mit Sicherheit erwartet werden, daß es der unermüdlichen Arbeit deutscher Chemiker gelingen wird, die Frage seiner Herstellung auch technisch zu lösen. Ob dieser Augenblick schon bald gekommen sein wird, erscheint zweifelhaft. Der heutige Stand der Frage kann etwa dahin zusammengefaßt werden, daß die Darstellung des synthetischen Kautschuks im Laboratorium und im k l e i n e n auch fabrikatorisch gelungen ist, daß die großtechnische Herstellung jedoch noch unendlichen Schwierigkeiten zu begegnen haben wird. Eine Preisparität zwischen synthetischem und Naturprodukt ist für die spätere Zukunft wohl zu erwarten, dagegen ist bis jetzt kein Weg gezeigt, eine Parität in der Qualität zu schaffen, insbesondere auch deshalb, da es bisher nicht gelungen ist, manche in dem Naturprodukt neben dem eigentlichen Kautschuk vorhandenen und wichtigen Substanzen auch in das synthetische Produkt einzuführen. Möge jedoch die Zukunft des synthetischen Kautschuks sich gestalten, wie sie wolle, wir wollen einstweilen nicht durch neidisch-chauvinistische Prioritätsangriffe ausländischer Erfinder die Freude an diesem Siege d e u t s c h e n Geistes uns rauben lassen. Damit bin ich am Schlüsse meiner Ausführungen angekommen. Sie werden an Hand derselben, meine Damen und Herren, die Bedenken verstehen, die ich zu Beginn meines Vortrages Ihnen zum Ausdruck brachte. Nur in flüchtigem Zuge konnte ich Sie leiten durch das so weitgedehnte Gebiet des Kautschuks, seiner Gewinnung, wirtschaftlichen Bedeutung und industriellen Verarbeitung. Auf vieles, das notwendig gewesen wäre, Ihnen einen geschlossenen Überblick zu schaffen, mußte ich es mir versagen, einzugehen. Aber Sie werden aus dem Wenigen, was ich Ihnen sagen konnte, so denke ich, entnommen haben, wie viele Interessen, wie mannigfache Bestrebungen auf dem besprochenen Gebiete zusammenlaufen, und Sie werden mir, denke ich, recht geben, wenn ich den Kautschuk in seiner Gesamtheit anspreche als ein Gebiet, würdig der Betätigung auch für kauf» männische Intelligenz und kaufmännischen Fleiß.
Wie entsteht eine Zeitung? Vortrag des Herrn D r . jur. M a r t i n
Colin,
Generalbevollmächtigter der Firma Rudolf Mosse.
Ehe ich zu dem eigentlichen Thema meines Vortrages übergehe, will ich Sie gleichsam als Motto für meine Ausführungen mit der Vorrede eines Buches bekannt machen, das im Jahre 1695 „mit Churfürstl. Sächsischer sonderbarer gnädigsten Befrcyung" erschienen ist und den Titel führt: „Zeitungs Lust und Nutz, oder: deren sogenannten Novellen oder Zeitungen wirckende Ergetzlichkeit, Anmut, Notwendigkeit und Frommen; Auch was bei deren Lesung zu lernen, zu beobachten und zu bedencken sey ?" 1 ). Es heißt dort in der V o r r e d e an den Leser: „Die Zeitungen habe ich allemal gerne gelesen, lese sie noch gerne und wolte, daß Du sie auch gerne lesen möchtest, weil sie keine Bossen seyn, und einen redlichen Stats-Mann in Ehren erhalten, wann man ihn fraget: "Wie der Keyser, wie der König in Frankreich, in Spanien, Engclland, Polen, Schweden, u. dgl. heißen? Kauf- und gemeine Leute bekümmern sich zwar ebensoviel darum nicht; aber Stats-Leuten ist eine Schande, wann sie nicht wissen, wer zu Wien der Nuntius Apostolicus sey: und ob der Pabst Alexander, Innocentius, Paulus oder Coelestinus heiße. Solche dinge lernet man aus den Zeitungen; und nicht aus den Büchern, und die Bücher, nebst großer Gelehrsamkeit können auch einen Politischen Mann nicht schützen, wann er schweigen muß, als man bey Fürstlichen Tafeln fraget: wer dieser oder jener sey, dem die Sachen der Welt anvertraut werden? Ich habe oft über die Pedanten gelacht, die da große Politici seyn wollen, und nicht gewußt haben, was der Keyser vor einen Namen gehabt hat. Solche Schulfüchse gehören nicht in die Welt und möchte wohl wünschen, daß sie vor ein paar 1000 Jahren wären geboren worden. Wir ehrliche Leute, die wir itzt in der Welt leben, müssen auch die jetzige Welt erkennen: und hülft uns weder Alexander, Caesar, !) Hamburg in Verlegung Benjamin Schillers Buchändlers im Dohm 1695.
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noch Mahomet nichts, wann wir klug seyn wollen. Will aber wer klug seyn und werden, wo er anders in der Stats-, Handels- und Bürgerl. Gesellschaft leben will, so muß er die Zeitungen wissen, er muß sie stets lesen, erwägen, merken und einen Verstand haben, wie er mit denen selben umgehen soll. Und ich bezuge hiermit vor GOtt und der Welt, daß, wer die Zeitungen nicht weyß (wann er anders ein Politicus seyn will) nicht geschickt sey, noch geschickt werden könne, sich in Welt- und Stats-Sachen einzulassen. die Zeitungen sind der Grund, die Anweisung und Richtschnur aller Klugheit, und wer die Zeitungen nicht aehtct, der bleibet immer und ewig ein elender Prülker und Stümper in der Wissenschaft der Welt und ihrem Spielwerk, indem, wer heute klug ist, Morgen nach der Sachen Lauf straks eine andere Klugheit annehmen, und sich selbst widerlegen, ja verdammen muß." Und weiter Seite 37 ebendort. „Der Wehrt der Zeitungen ergiebt sich auch aus unserem menschlichen Unvermögen. Denn obgleich Fürsten und Herren viel Augen und Ohren um sich haben; so sind sie doch nicht allgegenwärtig, noch allwissend, w e r d e n w o h l a u c h v o n i h r e n R e f e r e n t e n b e t r o g e n , welche ihnen nur gute Zeitungen vortragen, die bösen aber verschweigen. Dannenhero allen Potentaten zu rahten stehet, daß sie die gedruckte Zeitungen fordern und lesen: dann dieselbe sind unparteiisch, fürchten sich nicht, schämen sich und erröten auch nicht!!...." *
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Als gründlicher Deutscher, dem die Ehre zuteil geworden ist, von den Ältesten der Berliner Kaufmannschaft aufgefordert zu werden, vor Ihnen über das Thema: „Wie entsteht eine Zeitung?" zu sprechen, legt man sich naturgemäß zunächst die Frage vor: Was ist eine Zeitung? Kommt man, wie ich, von der Juristerei her, so greift man zunächst nach einem Gesetzbuch, und zwar in diesem Falle nach dem „Gesetz über die Presse" vom 7. Mai 1874. Indessen damit kommt man nicht weit, man erfährt daraus nur, daß das Preßgesetz sich im wesentlichen nur mit denjenigen periodischen Druckschriften befaßt, welche in monatlichen oder kürzeren, wenn auch unregelmäßigen,
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Fristen erscheinen. Eine Druckschrift also, die in monatlichen oder kürzeren Zeiträumen periodisch erscheint, fällt unter das Preßgesetz; damit ist man allerdings dem Begriff der Zeitung nicht näher gekommen. Ist man so mit der Juristerei gescheitert, so fragt man, was wohl die Nationalökonomen sagen, und greift zum Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Dort findet man einen Aufsatz von dem bekannten Verfasser der „Allgemeinen Geschichte des Zeitungswesens" Ludwig Salomon, in dem es heißt: „die klarste und präziseste Erklärung" (was eine Zeitung ist) „hat wohl EmilLöbl (der Verfasser des Buches „Kultur und Presse") abgegeben, der die Zeitung definiert als „eine in regelmäßigen Zeitintervallen erscheinende, durch mcchanischc Vervielfältigung allgemein zugänglich gemachte Publikation von kollektivem mannigfaltigem Inhalte, der durch Allgemeinheit des Interesses gekennzeichnet, sowie aus den Ereignissen und Zuständen der unmittelbaren Gegenwart geschöpft ist". Salomon selbst ergänzt diese Definition noch dahin, daß außer kollektivem und mannigfaltigem Inhalte auch noch eine gewisse E i n h e i t l i c h k e i t angestrebt werde. Er zitiert noch Robert Prutz, welcher sagt, „die Zeitung stelle sich dar als das Selbstgespräch, das die Zeit mit sich selbst führe; in ihr lägen die geheimsten Nerven, die verborgensten Adern unserer Zeit sichtbar zutage, und darum sei sie bei jedem Kulturvolkc das Spiegelbild von dessen nationalem Dasein". Unzweifelhaft höchst geistreich und feinsinnig. Aber es stellt wohl mehr eine Erfassung der Bedeutung der gesamten Presse eines Volkes dar — eine Definition, die es wohl auch kaum sein soll — ist es nicht. Und ich muß gestehen, nach Durchstudierung aller mir zugänglich gewordenen Definitionen des Begriffes „Zeitung" fiel mir eine Geschichte ein, die jüngst Geheimrat Richard Meyer von der Technischen Hochschule in Braunschweig erzählt hat: In der athenischen Philosophcnschule mühte man sich, eine Definition des Menschen aufzufinden. Man stritt lange hin und her und einigte sich schließlich auf die Formel: „Der Mensch ist ein zweibeiniges Tier ohne Federn." Am nächsten Tage brachte Diogenes einen gerupften Hahn in die Schule und warf ihn auf den Tisch mit den Worten: „Seht, hier ist ein Mensch." Ich glaube also, wir tun gut, auf eine Definition überhaupt zu verzichten, denn es wird wohl kaum einem von Ihnen, der ein mit Drucker-
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schwärze behaftetes Stück Papier in die Hand bekommt, auch nur einen Augenblick zweifelhaft sein, ob er eine Bibel oder eine Zeitung in der Hand hält. x ) S e i t w a n n g i b t e s Z e i t u n g e n ? Zeitungen im modernen Sinne entstanden erst allmählich im 17. Jahrhundert. Ob die Vorläufer dieser Zeitungen zu suchen sind in den Senatsprotokollen (acta senatus), die Julius Cäsar veröffentlichen ließ, ist zweifelhaft. Aber interessant ist es, daß jedenfalls schon Julius Cäsar die richtige Erkenntnis hatte, daß ein Parlament, daß eine Staatsverwaltung ein lebhaftes Interesse habe, ihre Verhandlungen nicht geheim zu halten, sondern der breiten Menge zugänglich zu machen, und daß, wenn die Worte der Politiker nicht in die breite Menge dringen, sie wie Schall und Hauch vergehen. Julius Cäsar hat eben schon eingesehen, was spätere Geschlechter erst aus dem Streik der Parlaments-Journalisten klar erkannt haben. Die älteste Zeitung der Welt ist die seit dem Jahre 911 nach Christi Geburt in China erscheinende Zeitung „King-pao" (Anzeigen der Hauptstadt). Dieses Blatt erscheint seit 1351 regelmäßig (wie ich dem Handwörterbuch der Staatswissenschaften entnehme) und erscheint auch jetzt noch. Das ist eine ungewöhnliche Lebensfähigkeit für eine Zeitung, denn nach anderen Untersuchungen ist das Durchschnittsalter, das deutsche Zeitungen erleben, 15 bis 20 Jahre. Das Dichterwort, daß „das Leben der Menschen dem der Blätter gleiche", hat auf die Zeitungsblätter also keine Anwendung. Ich sehe auch in der, vom Reichsgerichtsrat Dr. Ernst Neukamp in seiner Schrift „Die Rechtsstellung der Verfasser von Beiträgen zu Sammelwerken" (Leipzig. Johannes Wörners Verlag, 1913) gebrachten, Definition keine Lösung der Frage. Neukamp nennt die Zeitung: „eine innerhalb bestimmter Zeiträume — wenn auch in unregelmäßigen Fristen — in einzelnen Blättern wiederkehrend erscheinende (sog. „periodische") zur Mitteilung und Verbreitung unter das Publikum (d. h. unter einen individuell unbegrenzten Personenkreis) bestimmte Druckschrift, die Nachrichten über politische oder sonstige das Publikum als solches interessierende Tagesbegebenheiten und -angelegenheiten enthält und nicht bestimmt ist, ein abgeschlossenes Werk zu bilden." Danach würde, von anderen Mängeln der Definition abgesehen, eine Zeitung von einer Zeitschrift sich nur durch die Heftform unterscheiden. Das ist aber tatsächlich unrichtig; denn es gibt unzweifelhafte Fachzeitschriften, die ungeheftet und in Zeitungsform erscheinen; andererseits verliert eine Zeitung ihren Zeitungscharakter doch wohl nicht dadurch, daß sie, wie dies vorkommt, geheftet oder geklebt wird.
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Sie sterben meist in der Blüte der Jahre, ohne die Mittagshöhe der Abonnenten und der Rentabilität erreicht zu haben. Nur etwa 60 haben 100 Jahre erreicht, also das biblische Alter überschritten. Es dürfte Sie vielleicht interessieren, zu erfahren, daß P. Stoklossa im „Zeitungsverlag" berechnet hat, daß es im Jahre 1910 in Deutschland 3929 Zeitungen gab in 2228 Verlagsorten; davon in Preußen 2306. Nach der Parteizugehörigkeit verteilten sich die Blätter wie folgt: 1349 parteilos, 710 regierungs-parteilich (Amtsblätter), 492 katholisch, 388 freisinnig verschiedener Richtung, 379 allgemein nationaler Färbung, 303 konservativ, 192 nationallibcral. Zeitschriften gab es nach derselben Quelle im Jahre 1908 5757; davon waren, wie ich seinerzeit fiir die Denkschrift des Verbandes der Fachpresse Deutschlands bei der Bekämpfung des seinerzeitigen Anzeigensteuer-Entwurfes an der Hand des Rudolf Mosseschen Zeitungskatalogs berechnet habe, Fachzeitschriften 4409. Die Regierung hatte seinerzeit 4981 berechnet, doch waren dem Reichsschatzamt hierbei unzweifelhaft Irrtümer unterlaufen. Gestatten Sie mir, ehe ich zu der Frage übergehe, wie eine Zeitung hergestellt wird, einige Bemerkungen über die allzu oft übersehene Frage der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Zeitungen überhaupt, die meines Erachtens nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man muß da meiner Meinung nach, wenn ich so sagen darf, zwei Richtungen der volkswirtschaftlichen Wirkung unterscheiden, die ich vielleicht, wenn auch nicht ganz korrekt, als die aktive und die passive bezeichnen möchte. Unter der aktiven verstehe ich die volkswirtschaftliche Wirkung des redaktionellen Teiles der Zeitungen auf unsere Volkswirtschaft. Wer nur ein wenig die Handelsteile der größeren Blätter verfolgt und ihre handelspolitischen Aufsätze im allgemeinen Teile der Zeitungen, wird sich hiervon sofort ein Bild machen, insbesondere, wenn er diejenigen Blätter prüft, deren Handelsteil sich nicht nur auf die Wiedergabe von Tatsachen und Zahlen beschränkt, sondern in eine kritische Würdigung der Vorgänge des Wirtschaftslebens eintritt. Es ist das ja gerade derjenige Teil der Zeitungen, der
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den meisten Angriffen ausgesetzt ist; und wer, wie ich, den Vorzug hat, dann und wann in den Kreisen der Finanz- und der Groß-Industrie zu verkehren, dem werden, sobald er als Zeitungsmann erkannt wird, die bittersten Klagen darüber vorgehalten, daß die Zeitungen die Bilanzen der Banken und der industriellen Aktien-Unternehmungen gar so sehr unter die Lupe nehmen, und es begegnet einem da leider oft eine bedauerliche Yerkennung der schweren verantwortungsvollen. Arbeit, die gerade unsere Redakteure im Interesse des allgemeinen Wohles, im Interesse des großen Aktien kaufenden Publikums vollbringen. Daß hier eine volkswirtschaftliche Wirkung der Zeitungen vorliegt, ist unzweifelhaft; denn von einer günstigen oder ungünstigen Besprechung oder Beurteilung eines Unternehmens, von der Kritik eines Finanz- oder Steuerplanes der Reichs- oder Staatsregierung gehen naturgemäß große volkswirtschaftliche Wirkungen aus, insbesondere dann, wenn es sich um ein Blatt handelt, das durch Ruf und Ernst das Vertrauen seiner Leser erworben hat. Es wäre unzweifelhaft interessant, wenn irgendein scharfsinniger Nationalökonom einmal auf dem Wege induktiver Forschung an der Hand praktischer Beispiele nachwiese, wie große Wirkungen volkswirtschaftlicher Natur oft von einer kleinen, fast unscheinbaren Notiz einer unserer führenden Zeitungen ausgegangen sind. Vom Schweigen oder Reden einer Zeitung in einem gewissen Moment gehen naturgemäß große politische und wirtschaftliche Wirkungen aus. Wohl und Wehe von Banken, industriellen und kaufmännischen Unternehmungen können unter Umständen aufs schärfste einerseits gefährdet, auf der anderen Seite gefördert werden je nachdem eine volkswirtschaftliche Kritik in einem gelesenen Blatte ausfällt. Noch eine andere volkswirtschaftliche Seite des Zeitungsinhaltes wird meines Erachtens nicht genügend erkannt, die eigentliche v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g des I n s e r a t e n t e i l s e i n e r Z e i t u n g . Der gewöhnliche Zeitungsleser wird, wenn er die dicken Sonntagsnummern unserer großen Blätter durchsieht, zumeist nur die eine Erwägung anstellen, die sich etwa mit den Worten ausdrücken läßt: „Hergott, verdient der Verleger viel Geld." Das mag ja an sich für den Verleger ganz angenehm sein, ist aber volkswirtschaftlich nahezu bedeutungslos. Das Richtige hat wohl Sombart getroffen, wenn er in seinem 1902 erschienenen Buche über den modernen
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Kapitalismus sagt: „Die Inseratenreklamen usw. seien in der Tat e i n e A r t s t u m m e n M a r k t v e r k e h r s g r o ß e n S t i l s " , der sich in den Spalten der Blätter abspiele. Damit hat Sombart meines Erachtens den Nagel auf den Kopf getroffen. Die gegenwärtige Form der Keklame, insbesondere die Inseratenreklame, bildet wirklich einen Teil des Marktverkehrs großen Stils. Da man nicht gut mit einem Warenhausc zu Markte ziehen kann wie ehedem mit einem Packen Bänder, Spitzen und Pfefferkuchen, da sich Produktionszentren gebildet haben, die weite Strecken Landes versorgen müssen mit ihren E r zeugnissen und da es billiger ist, durch ein Inserat in einem gelesenen Blatte der Mitwelt Kunde zu geben von einem Bedarfsartikel, als ihn in Tausenden von Briefen anzupreisen, oder in zahllosen Exemplaren zur Ansicht über Land zu senden, — so hat der Markt von ehedem andere, moderne, den gegenwärtigen Produktions- und Konsumtionsverhältnissen entsprechende Formen angenommen. Daß der „Markt", seine Gestaltung, sein richtiges Funktionieren, der archimedische Punkt jeder Volkswirtschaft ist, darüber braucht man vor einem Auditorium in der Handels-Hochschule sich wohl weiter nicht auszulassen. Es dürfte genügen, noch kurz auf die Stellenmarkt inserate hinzuweisen, und die Inserate, die den Haus- und Grundstücksund Hypothekenmarkt behandeln, um die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Teils unserer modernen Zeitungen wenigstens angedeutet zu haben. "Wenden wir uns der „passiven" Seite der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Zeitungen zu, so verstehe ich darunter die wirtschaftlichen Beziehungen der Zeitung als Konsument und Produzent realer Werte. Ich verstehe darunter zunächst den Konsum der Zeitungsbetriebe an Druckpapier, Maschinen, Farben, und die ungeheuren Summen von Arbeitslöhnen, die heutzutage im Zeitungswesen bezahlt werden. Genaue Zahlenangaben über diese Summen existieren nicht, aber ich bin in der Lage, mit annähernder Sicherheit Ihnen z. B. die Summe angeben zu können, die jährlich an Zeitungs- und ZeitschriftenDruckpapier in Deutschland verarbeitet wird. Nach mir von sachverständiger Seite zur Verfügung gestelltem statistischem Material für das Jahr 1910 sind in diesem Jahre in Deutschland verbraucht worden: 27 720 Wagen zu 10 000 Kilo Zeitungs-Rotationspapier. Legt man einen Durchschnittspreis von 2 1 % Mark für 100 Kilo maschinenglatten Zeitungs-Druckpapier, frei Verbrauchsort geliefert, zugrunde, so ergibr Gewerbliche Emzelvorträge.
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sich für die eben genannte Quantität ein Handelswert von rund 59 500 000 Mk. Rechnet man hierzu noch die etwa 17 000 "Wagen satinierter und besserer Druckpapiere, wie sie für die Zeitungsbeilagen und die allgemein verbreiteten Fachschriften verbraucht werden, so ergibt sich hierfür ein Handelswert von etwa 50 Millionen Mk., insgesamt also eine Summe von etwa 109% Millionen Mk. für Papier, das in deutschen Zeitungs- und Zeitschriftendruckereien verdruckt wird. Darüber hinaus gehen noch diejenigen Quantitäten an feineren Buch- und Akzidenzdrucksachen, die für die Propaganda der Zeitungen und Zeitschriften verbraucht werden, für die aber irgendein zuverlässiger Zahlenanhalt nicht zu gewinnen war. Zur Herstellung der von mir eben genannten, im Jahre 1910 in Deutschland verbrauchten, 27 720 Wagen Zeitungs-Rotationsdruckpapier waren nötig etwa 1 300 000 Raummeter Fichtenholz im Werte von etwa 18>/2 Millionen Mk. und etwa 70 000 Wagen ä 10 000 Kilo Brennmaterial an Stein- und Braunkohlen im Werte von etwa 8 Millionen Mk. Nach Durchschnittssätzen berechnet, wurden zur Produktion dieser Papierquantität an Löhnen und Gehältern etwa 9 Millionen Mk. bezahlt. Um Sie nicht länger mit Zahlenangaben zu belästigen, möchte ich nur noch eine Zahl Ihnen nennen, die allerdings auf absolute Genauigkeit keinen Anspruch hat und die ich nur ermittelt habe an der Hand der mir seitens der Deutschen Buchdrucker-Berufsgenossenschaft freundlichst zur Verfügung gestellten Unterlagen. Danach werden an Arbeitslöhnen an Arbeiter und Hilfsarbeiter in den Berliner reinen Zeitungsbetrieben etwa 14 bis 15 Millionen Mk. jährlich ausgegeben, wobei Gehälter für das kaufmännische Personal und die Löhne für die Tausende von Botenfrauen, die Ihnen alltäglich am frühen Morgen die Zeitungen ins Haus bringen, nicht eingerechnet sind, und von denen allein in den drei großen Zeitungsbetrieben von Mosse, Ullstein und Scherl etwa 7000 tätig sind. W i e e n t s t e h t e i n e Z e i t u n g ? Ich las neulich in dem Artikel eines geistreichen Schriftstellers eine Bemerkung, die etwa so lautete: Man sucht sich einen Inseratenpächter und fängt an zu drucken. Ganz so einfach, wie sich der verehrte Herr das vorgestellt hat, sind die Dinge denn doch nicht. (Ich spreche hier natürlich von unseren großen politischen Zeitungen mit großen Auflagen und von den großen Provinzzeitungen, die ja in Deutschland eine außerordent-
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liehe Bedeutung gewonnen haben, nicht von jenen kleinen Blättchen, die in stillen Gebirgstälern erscheinen, deren Herausgeber zugleich Redakteur, Setzer und Maschinenmeister ist und in einzelnen Fällen vielleicht auch noch die Dienste der Botenfrau vertritt.) Will man die Frage beantworten: „Wie ruft man eine Zeitung ins Leben", so paßt darauf sinngemäß angewendet das Wort Montecuccolis vom Kriegführen, das nur allzuoft bei der Zeitungsgründung vergessen wird: Es gehört zum Zeitungsgründen Geld, Geld und nochmal Geld, und zwar viel Geld. Das war nicht immer so, aber wir haben uns ja nur mit der Frage des heutigen Zeitungsgründens zu beschäftigen. Vor allem aber gehürt dazu d i e S c h a f f u n g e i n e r O r g a n i s a t i o n , und zwar eine solche der R e d a k t i o n , des D r u c k e r e i b e t r i e b e s und des V e r t r i e b e s , und eine O r g a n i s a t i o n d e r P r o p a g a n d a , und zwar sowohl der I n s e r a t e n wi e d e r A b o n n e n t e n p r o p a g a n d a . Versagt eine dieser Organisationen oder drängt eine derselben auf Kosten der anderen sich in den Vordergrund, so kann ein gedeihliches Zeitungsunternehmen nicht entstehen. Nur in der richtigen Balance zwischen idealen Gesichtspunkten und Berücksichtigung der wirtschaftlichen Notwendigkeiten kann ein Zeitungsunternehmen gedeihen. Auf die Organisation der einzelnen Faktoren komme ich an den passenden Stellen zurück. Nehmen wir einen Augenblick diese Organisation als vorhanden an, so kommt die Frage: „Wie entsteht technisch eine Zeitung?" Das Substrat, auf das die Zeitungen gedruckt werden, ist, wie Ihnen allen bekannt, das Papier, über das Sie sich so oft geärgert haben, wenn Sic es zu anderen als Belchrungszwecken benutzen wollten und es bei dieser Gelegenheit zerriß. Weniger bekannt ist es aber merkwürdigerweise, woraus dieses Papier besteht, denn nicht selten liest man in den geistreichen Wochenplaudereien eines bekannten Journalisten, wenn er verächtlich von den Zeitungsschreibern spricht, daß er sagt, es habe dies oder jenes ein Schmierfink auf g c w a l k t e L u m p e n d r u c k e n l a s s e n . Die Zeiten, da dieser Herr seine technischen Studien machte, müssen offenbar weit zurück liegen, denn seit mehreren Jahrzehnten werden Lumpen zur Rotationspapier-Fabrikation nicht mehr benutzt. Wenn ich Ihnen diese Tatsache mit einem kurzen Worte ins Gedächtnis prägen möchte, so wäre es vielleicht aus diesem und manchem anderen Grunde gut, wenn Sie 8*
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sich ein- für allemal merken würden, L u m p e n h a b e n m i t d e r d e u t s c h e n P r e s s e n i c h t s zu tun. Sie k o m m e n d o r t a u c h im k l e i n s t e n Q u a n t u m n i c h t mehr v o r . — Das Zeitungs-Rotationspapier besteht vielmehr im wesentlichen aus dem Faserstoff der Fichte, und wenn der richtige eingefleischte Zeitungsmann durch einen deutschen Fichtenwald wandert, so stellt er, wenn er sonst mathematisch veranlagt ist, Berechnungen darüber an, was er alles auf diesen in Zeitungspapier umgesetzten Fichtenwald schreiben könnte. Vom Fichtenwald zum Zeitungspapier ist technisch nur ein kurzer Weg. Die Fichtenstämme werden umgehauen, durch einen Schälapparat geschält, mit Sägen in Klötze zerschnitten und durch Ausbohren von Ästen und Knorren befreit. Dann wird das Holz auf grobem Sandstein zu Fasern zerschliffen und der Holzstoff, aus dem zu mindestens 80 % das Zeitungs-Rotationspapier besteht, ist fertig. Dieser Holzstoff wird mit einem Zusatz von Erde und Harz und einigen Prozent Zellulose, d. h. auf chemischem Wege gewonnener Holzfaser, in Riesen-Holländern mit Wasser verdünnt, dann auf ein Metallsieb gebracht und auf diesem Metallsieb u n d m i t d i e s e m zum Zwecke der Faserverfilzung und Entwässerung gehörig geschüttelt. Die so entstandene Masse, die wie ein häßlicher schmutziger Brei aussieht, läßt man auf einen wassersaugenden Filz laufen, preßt sie und trocknet sie durch Verdampfung des Wassers. Die Verdampfung des Wassers und die Verfilzung der Holzfaser geht so schnell vor sich, daß selbst, wenn man neben der Maschine steht und den Gang beobachtet, man jedesmal von neuem erstaunt, wenn man an einem Ende der Maschine einen häßlichen Brei auf den Filz laufen sieht und am anderen Ende des Filzes bereits das fertige Papier sich in Rotationsrollen aufwickelt, jene großen Rollen, die Sie alle gewiß schon oft durch die Straßen der Stadt mit der Aufschrift „Berliner Tageblatt", „Berliner Lokal-Anzeiger", „Berliner Morgenpost" haben fahren sehen. Die Farbe, an der Sie sich sicherlich schon so manchesmal in der Elektrischen oder in der Stadtbahn oder im Auto bei der Zeitungslektüre ein paar reine Handschuhe verdorben oder die Finger beschmutzt haben, besteht im wesentlichen aus Ruß, Farbstoff und Firnis. Gehen wir nun einen Schritt weiter und fragen uns, wie wird aus Papier und Farbe eine Zeitung, wie gelangen die Buchstaben aufs
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Papier? Schalten wir einmal die redaktionelle Tätigkeit aus und nehmen wir als gegeben an, ein Redakteur habe einen Artikel geschrieben. So wandert das beschriebene Blatt, von einem Laufburschen aus der Redaktionsstube zur Druckerei befördert, zum Metteur, der die Manuskripte an die einzelnen Setzer verteilt. Der Satz geschieht nun entweder im sogenannten Handsatz oder im Maschinensatz. Bis vor wenig mehr als einem Dutzend Jahren wurde der Satz lediglich im Handsatz hergestellt. Beim Handsatz steht der Setzer vor einem großen, etwa einen Meter im Quadrat messenden Setzkasten, der in 107 resp. 124 kleine Fächer eingeteilt ist, aus denen der Setzer die einzelnen Buchstaben und Zeichen hervorzieht, um sie dann zu "Worten und Sätzen zusammenzureihen. Zu diesem Zwecke benutzt er einen Rahmen, in den er zwischen zwei Klötzen die Buchstaben einreiht. Ist das Manuskript gut und handelt es sich um sogenannten glatten Satz, d. h. um die gleiche Schriftgröße, so setzt der Handsetzer, der in seinem Beruf tüchtig ist, wenn er keine Unterbrechung durch Warten auf Manuskripte erleidet, 1500 Buchstaben in der Stunde. Dies ist aber für die modernen Zeitungsverhältnisse, deren Charakteristikum früheren Zeiten gegenüber hauptsächlich in der Schnelligkeit der Fertigstellung liegt, zu langsam; darum suchte und erfand der schöpferische Geist Setzmaschinen, an denen ein normaler Setzer bei glattem Satz und nötiger Schulung in der Stunde 6400 Buchstaben als Kormalleistung hervorbringt. Die Setzmaschinen, von denen heute das verbreitetste System im deutschen Zeitungs-Druckgewerbe die Linotype-Maschine ist, ist etwa so konstruiert, daß man durch eine Tastatur — nicht unähnlich der Schreibmaschine — die einzelnen Buchstaben in Bewegung setzt und zu je einer Zeile ordnet. Diese fertig gesetzte Zeile gelangt dann in einen Gießapparat, wo sie in Blei abgegossen wird, um dann automatisch an der vorderen Seite des Instrumentes fertig gegossen hervorzuwandern. Während also beim Handsatz die einzelnen Buchstaben für sich sind, wandert bei den gebräuchlichsten Setzmaschinen die Zeile fest ineinandergegossen in die Hände des Metteurs, was die Schwierigkeit mit sich bringt, daß, wenn dem Maschinensetzer auch nur bei einem einzigen Buchstaben ein Fehler passiert, die ganze Zeile neu gesetzt und gegossen werden muß. Die einzelnen Stücke und Artikelteile, die der einzelne Setzer
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gesetzt hat, bekommt dann der Metteur, der die zusammengehörigen Stücke aneinanderfügt und zu Seiten zusammensetzt. Dieses Zusamensetzen der einzelnen Artikel und Nachrichten, die au! einer Seite Platz finden sollen, nennt man das Umbrechen. Es wird nun heutigen Tages eine besondere Kunst darin gesucht, durch die geschickte Umbrechung das Bild der einzelnen Seite einer Zeitung möglichst verschiedenartig und täglich wechselnd zu gestalten, und es steht deswegen bei unseren heutigen Zeitungen stets während des Umbrechens neben dem Metteur auch ein Redakteur, der, falls ein Artikel zu lang oder zu kurz ist, oder das typographische Bild, das die Seite gibt, ihm nicht schön genug erscheint, je nachdem die Artikel kürzt oder verlängert, oder da und dort noch eine Notiz einschiebt, bis ihm die Seite gefällt. Ein aufmerksamer Zuhörer könnte nun fragen, warum nicht längst die Handsetzer zum alten Eisen geworfen worden sind und man nicht gänzlich zum Maschinensatz übergegangen ist. Abgesehen von dem Humanitätsgrunde, daß man nicht die Tausende und Abertausende von Handsetzern ohne weiteres brotlos macht und auf die Straße setzt, hat man auch noch einen praktisch-sachlichen Grund, der einen Teil der Handsetzer zurzeit für die Zeitungsbetriebe unentbehrlich macht, d. i. der Satz der Inserate, die mit ihrer wechselnden Schrift, mit ihren Ornamenten, Zeichnungen und Verzierungen sich zum maschinellen Satz naturgemäß nicht eignen; denn die Maschine kann einstweilen wenigstens nur auf wenige Schriftgattungen eingerichtet werden und kann selbstverständlich nur ganz mechanische, sogenannte Handgriffe vollziehen. Immerhin ist durch die Einführung der Setzmaschine eine Verbilligung der Betriebe erzielt worden, da eben im Grunde doch je eine Maschine 4 Handsetzer ersetzt; dazu kommt eine erhebliche Raum- und Lichtersparnis, was bei den hohen Grundstückspreisen in modernen Großstädten, abgesehen von der größeren Schnelligkeit der Herstellung, nicht unerheblich ins Geweht fällt. Um ein Bild von der gesetzten Seite zu gewinnen, werden die Buchstaben zunächst geschwärzt, dann ein Stück Papier darauf gelegt und mit einer Walze darüber gefahren, so daß sich ein Abzug ergibt. Diese Abzüge wandern dann in die Hand der Korrektoren, deren Beruf darin besteht, die dem Setzer und manchmal auch dem Journalisten unterlaufenen Fehler zu finden und zu korrigieren. Von einer größeren oder geringeren Sorgfalt oder Tüchtigkeit der Korrektoren hängt es
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ab, ob sich sogenannte Druckfehler in einer Zeitung befinden. Ist das Bild der einzelnen Seite endgültig festgestellt und von einem maßgebenden Redakteur mit dem sogenannten Imprimatur (der Genehmigung zum Druck) versehen, so wandert die einzelne Seite, d. h. die in einen der Seite entsprechenden Rahmen eingespannten Buchstaben in die Stereotypie. Hier werden von den einzelnen Seiten auf einer Prägepresse oder einem Kalander sogenannte Matrizen angefertigt, d. h. es werden aus einer Art Papiermaché, welcher Stoff außerordentlich schmiegsam ist und in den sich das Schriftbild gut einprägen läßt, Abdrücke gemacht, indem man diese Masse auf die Schrift preßt, so daß sich ein Spiegelbild der Schriftzeichen eindrückt. Diese sogenannten Matrizen werden dann in eine Art Backofen geschoben, wo sie durch Erhitzen ausgetrocknet und widerstandsfähig gemacht werden. Die so gewonnene Matrize wird dann in eine Gießform eingespannt. Dort wird das flüssige Blei durch ein Pumpwerk hineingefüllt, etwas abgekühlt und die dann fertige Platte, die die Form eines Halbzylinders hat, mittels eines sinnreichen Mechanismus justiert und behobelt. Nach wenigen Augenblicken verläßt sie den Apparat fertig zum Druck für die Rotations-Druckmaschine. Diese automatischen Gießmaschinen sind erst eine Erfindung der letzten Jahre. Noch vor vier, fünf Jahren konnte man selbst in Großbetrieben noch eine Handstereotypie sehen, während jetzt die Zeitungsgroßbetriebe fast alle Gießmaschinen, von denen die bekanntesten die Autopiate- und Citoplate-Maschinen sind, benutzen. Diese Maschinen stellen je etwa 3 Platten in der Minute her. Sie werden sich nun gewiß fragen, w o z u i s t e i g e n t lich die ganze G i e ß e r e i , warum druckt Ihr nicht einfach von den zu einer Seite zusammengesetzten Buchstaben direkt aufs Papier. Diese Frage ist durchaus berechtigt und beantwortet sich erst aus der Kenntnis der Rotations-Druckmaschine. Ehedem — und in kleinen Provinzstädten noch heute — wurde direkt, wie heute noch bei vielen illustrierten Zeitungen und Zeitschriften, von der Schrift gedruckt. Das ist einmal bei großen Auflagen deswegen nicht möglich, weil durch den andauernden Druck der Walzen die Buchstaben bald zur Unkenntlichkeit abgeschliffen und ein breites, zerquetschtes Schriftbild geben würden. Auflagen, wie sie heute von unseren großen Zeitungen erfordert werden,
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würden also von der Schrift direkt überhaupt nicht zu drucken sein, andererseits hat die sogenannte Flachdruck-Maschine einen viel zu langsamen Gang, um in der kurzen Zeit, die zum Druck der Zeitungen zur Verfügung steht, die Riesenmassen-Auflagen und Fülle der einzelnen Bogen herzustellen. Die gegossenen Platten kann man überdies beliebig oft vervielfältigen und daher denselben Text auf beliebig vielen Maschinen zur gleichen Zeit drucken. Man ging daher zum Rotationsdruck über, bei dem zwei Halbzylinderplatten, die von der Schriftmatrize abgegossen sind, um eine Druckwalze herumgelegt werden, die mit Farbe gesättigt wird und über die dann die endlose Papierrolle liinweggefülirt wird. Unsere heutigen modernen Rotationsmaschinen sind so gebaut, daß sie bis zu 64, ja bis zu 96 Seiten in einem Arbeitsgang drucken und in einer Stunde 10 000 64- resp. 96seitige Zeitungen fertig gefalzt auf den Tisch der Maschine werfen. Es bliebe noch die Frage zu beantworten, wie werden die B i l d e r in dem Inseratenteil resp. in den Beilagen der Zeitungen hergestellt. Ursprünglich wurde beim Buchdruck für die Reproduktion von Abbildungen, Zeichnungen usw. nur der Holzschnitt angewendet. Die wiederzugebende Abbildung wurde auf sorgfältig geglättetes Buchsbaumholz entweder photographisch oder zeichnerisch übertragen und der Schnitt so bewerkstelligt, daß die zu druckende Zeichnung in Punkten und Strichen hoch stehen bleibt, während alles übrige ausgestichelt wird. Mit Einführung des photo-chemigraphischen Verfahrens ist der Holzschnitt fast ganz verdrängt worden. Die A u t o t y p i e für die Bilderreproduktion und die S t r i c h ä t z u n g für die gewöhnliche Strichzeichnung ist an dessen Stelle getreten. Die Herstellung von Cliches in diesem Verfahren ist viel einfacher und billiger. Die zu reproduzierende Zeichnung wird auf photographischem Wege auf eine Zinkplatte übertragen und diese dann mittels einer Säure geätzt. Ebenso wie beim Holzschnitt bleiben die Striche und Punkte der Zeichnung hoch stehen, während alles übrige von der Säure weggeätzt, wird. Das Ätzen der Autotypie geschieht in derselben Weise, nur erfolgt die photographische Aufnahme durch ein sogenanntes Rasternetz, wodurch das ganze Bild in einzelne Punkte zerlegt und die Verteilung von Licht und Schatten im Bilde durch die Punktbildung ausgeglichen wird. Die V e r v i e l f ä l t i g u n g d e r H o l z - o d e r Z i n k -
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c l i c h é s geschieht mittels g a l v a n i s c h e n K u p f e r n i e d e r s c h l a g e s . Es werden von den Originalclichés Wachs- oder Bleimatrizen hergestellt und diese, nachdem sie mit Graphit eingestäubt und abgebürstet wurden, in ein Bad von Kupfervitriol gehängt. Es löst sich von den im Bade befindlichen Kupferanoden das für den Niederschlag notwendige Kupfer und setzt sich an den Wachs- oder Bleimatrizen fest. Nach einiger Zeit hat sich an den Matrizen eine dünne Kupferschicht gebildet, welche von der Matrize losgelöst und mit Bleimetall hintergossen wird. Nachdem das so hergestellte Galvano justiert worden ist, ist es für den Gebrauch fertig. Alles das, was ich Ihnen hier über den Druck gesagt habe, bezieht sich auf den sogenannten Hochdruck. Der Hochdruck unterscheidet sich von dem in letzter Zeit, besonders im Zusammenhang mit dem neuartigen Druck des „Weltspiegels" und einzelner Inseratenbeilagen des Hamburger Fremdenblattes und der Frankfurter Zeitung, vielgenannten T i e f d r u c k , dadurch, daß bei dem landläufigen Rotationsdruck und Flachdruck diejenigen Stellen,die Sie als schwarzgefärbte Buchstaben oder Bilder in der Zeitung sehen, auf der gegossenen Platte erhöht sind, und daß die erhöhten Stellen von einer Farbenwalze mit Farbe bestrichen werden, um dann die Farbe an ein über die hohe Stelle hinweggehendes Papier wieder abzugeben. Beim Tiefdruck, der auch unter dem Namen „Mertens-Verfahren" bekannt ist, liegt die Sache umgekehrt. Dort wird die Farbe gerade an die tiefliegenden Stellen der Walze gebracht, während durch das sinnreich erfundene Rakelmesser die Farbe von der übrigen Walze haarscharf abgeschabt wird. Die Art und Weise, wie Schrift und Bild auf die Tiefdruckwalze gelangen, ist fundamental verschieden von der beim gewöhnlichen Rotationsdruck. Für den Tiefdruck wird das Bild und die Schrift zunächst photographiert, von der Photographie wird sodann ein Negativ und von dem Negativ ein Diapositiv hergestellt. Dieses wird auf Pigmentpapier kopiert und die Pigmentpapierkopie auf die Kupferwalze, die zum Tiefdruck notwendig ist, übertragen und zwar durch Ätzung mittels Eisenchlorids. Es ähnelt also dem alten Verfahren der Kupferdrucker, nur mit dem Unterschiede, daß es sich hier um einen Rotations-Walzendruck handelt. *
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Wenn man vom Zeitungs-Druckereiwesen spricht, darf man eine der interessantesten Erscheinungen unseres Wirtschaftslebens, nämlich das im Buchdruckwesen herrschende L o h n s y s t e m und dessen Regelung nicht übergehen. Gerade auf diesem Gebiete ist das Buchdruckwesen, gefördert durch die kolossale Ausdehnung, die das deutsche Zeitungswesen angenommen hat, allen anderen Berufen vorausgegangen in der Entwicklung einer neuen Form des Arbeitsvertrages, des sogenannten k o l l e k t i v e n A r b e i t s v e r t r a g e s . Es wird Ihnen wohlbekannt sein, daß im deutschen Buchdruckwesen die Frage von Arbeitszeit, Arbeitslohn und Arbeitsleistung geregelt ist durch den sogenannten „ D e u t s c h e n B u c h d r u c k e r t a r i f " . Dr. K a r l B e r t e n b e r g sagt in seiner ausgezeichneten Schrift „Die Preisgestaltung im Druckereigewerbe" im Vorwort mit Recht, daß „das deutsche Buchdruckgewerbe ein Gewerbe sei, das durch seine mustergültige Tarifgemeinschaft, sein Streben nach der auf gegenseitiger Anerkennung basierenden Organisation der Unternehmer und Arbeiter, in sozialpolitischer Hinsicht lange Zeit eine Art Sonderstellung eingenommen habe". L u j o B r e n t a n o , der große Münchener Nationalökonom, sagt in seiner neuesten Schrift 2 ) über Syndikalismus und Lohnminimum: „Auch bei uns sind die Buchdrucker vorausgegangen, ihre Tarifgemeinschaft ist berühmt geworden durch den Segen, den sie gebracht hat . . . Sie hat in ganz Deutschland auch in anderen Gewerben Nachahmung gefunden." Se. Exzellenz Unterstaatssekretär Mandel sagte bei der Begrüßung der Hauptversammlung des Deutschen Buchdruckcrvereins in Metz (Zeitschrift für Deutschlands Buchdrucker und verwandte Gewerbe Nr. 46 v. 10. VI. 1913): „Sie haben in Ihrer Tarifgemeinschaft mit den Gehilfen, in welcher Sie mutig trotz mancher Anfechtungen unentwegt fortgeschritten sind, in sozialpolitischer Hinsicht eine Lösung gefunden, die ich nicht anstehe, als eine sehr glückliche zu bezeichnen." — Und der Beweis dafür, daß das Buchdruckgewerbe mit diesem Schritte zum kollektiven Arbeit svertrage einem sozialpolitischen Bedürfnis unserer Zeit entsprochen hat, ergibt sich daraus, daß es heute (nach dem 5. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, Seite 13) über 10 520 Tarife für 183 232 Betriebe Dr. Karl Bertenberg: „Die Preisgestaltung im Druckereigewerbe". Verlag Duncker & Humblot, München und Leipzig 1912. 2 ) Lujo Brentano: „Über Syndikalismus und Lohnminimum". Zwei Vorträge. München, Verlag Süddeutsche Monatshefte G. m. b. H. 1913.
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mit 1 5 5 2 827 Personen in Deutschland gibt. Der BuehdruckerLohntarif fixiert die Grundlöhne für Setzer und Drucker, bestimmt die Arbeitszeit und grenzt die Tätigkeiten der einzelnen Arbeiterkategorien gegeneinander ab. Dieser Tarif, der abgeschlossen ist zwischen den tariftreuen Buchdruckereien ganz Deutschlands und den tariftreuen Gehilfen ganz Deutschlands, basiert auf dem Gedanken völliger Parität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in tariflicher Beziehung. Er setzt zur Schlichtung aller ihrer Streitigkeiten TarifSchiedsgerichte ein, die in gleicher Zahl mit Prinzipalen und Arbeitern besetzt sind. Als zweite Instanz steht über diesen Tarif-Schiedsgerichten das „Tarifamt der Deutschen Buchdrucker" in Berlin, das mit je 5 Prinzipalen und 5 Gehilfen besetzt ist, und dem als unparteiischer Vorsitzender ein Jurist angehört, dessen Stimme in kritischen Fällen den Ausschlag gibt. Neben dem Tarifvertrage läuft ein Organisation vertrag her, der zwischen dem Verein der Deutschen Buchdrucker (die Prinzipalsvereinigung) und dem Verbände der Deutschen Buchdrucker und Schriftgießer (der Gehilfenorganisation) abgeschlossen ist, und der diese Organisationen mit ihrem Vermögen innerhalb gewisser Grenzen für die Tariftreue ihrer Mitglieder haften läßt. Das Buchdruckgewerbe ist aber hierbei nicht stehen geblieben, sondern hat zur Ergänzung des Buchdrucker-Lohntarifs den Buchdruck-Preistarif geschaffen, der die Preisschleuderei unter den verschiedenen Buchdruckereibesitzern unmöglich machen soll. Es ist hier zum erstenmal der Versuch gemacht worden, die Gehilfenschaft für die Durchführung eines Preistarifs zu gewinnen, und zwar in der Weise, daß die Gehilfenschaft verpflichtet ist, einem der Tarifgemeinschaft angeschlossenen Prinzipal, der auf Grund von Preisschleuderei aus der Tarifgemeinschaft ausgeschlossen ist, die Arbeiter zu entziehen. Dieser in der deutschen Sozial- und Wirtschaftspolitik neue und überraschende Schritt ging von der Idee aus, daß die hohen Löhne, die der Gehilfenschaft im Buchdruckgewerbe gezahlt werden, nur hereingebracht werden können, wenn der Buchdrucker für seine Ware auch den entsprechenden Preis erhält. Ich bin weit entfernt, zu behaupten, in der wirtschaftlichen Eegelung des Buchdruckgewerbes sei etwa schon der Stein der Weisen und die Lösung aller sozialen Fragen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefunden, aber soviel glaube ich sagen zu dürfen, daß der
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deutsche Buchdruckertarif jedenfalls das eine bewirkt hat, daß das deutsche Buchdruckgewerbe und damit unser deutsches Wirtschaftsleben, — es gibt fast 100 000 Buchdruckergehilfcn im Deutschen Reiche — vor schweren Erschütterungen bewahrt geblieben ist. Heißsporne von links und von rechts haben uns freilich in beiden Lagern das Leben recht schwer gemacht und gelegentlich das Tarifgebäude gefährdet; aber dennoch darf man sagen, daß wir es beim deutschen Buchdruckertarif mit einer neuen Etappe unseres Wirtschaftslebens zu tun haben, die bei verständiger Handhabung auf beiden Seiten und bei festem Willen zur Tariftreue Ansätze künftiger Wirtschaftsformen zeigen, die uns auf eine möglichst friedliche Entwicklung hoffen lassen dürfen, vorausgesetzt, daß verständige Yerbandsleiter das Heft in Händen behalten und man auf der Prinzipalsseite sich mit viel Geduld und Friedensliebe wappnet. Um es mit einem Wort zu sagen, es ist kein Schritt zum tausendjährigen Reiche, wo die Menschen wie Lämmlein friedlich beieinander hocken, aber immerhin, was in heutiger Zeit schon viel bedeuten will, ein Stück Weges auf der Straße zum sozialen Frieden. *
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Die phantastischsten Vorstellungen und die von der Wirklichkeit am meisten abweichenden treten zutage, wenn man mit einem Nichtfachmanne über eine R e d a k t i o n spricht. Die Vorstellung, daß man in einer Redaktion hauptsächlich verfehlte Existenzen findet, ist ja gottlob im weichen; aber wenn man jemandem erzählt, daß eine moderne Redaktion auch mit dem Bilde, das uns Gustav Freytag in den „Journalisten" gibt, so gar keine Ähnlichkeit hat, begegnet man gewöhnlich ungläubigem Lächeln. Es ist dem Laien unbegreiflich, daß ein Verlagsangehöriger ihm auf irgendeinen Vorwurf über den redaktionellen Inhalt des Blattes erklärt: ich habe die Zeitung gar nicht gelesen; jedenfalls sei er, w e n n e r d e r L e i t u n g d e s V e r l a g e s a n g e h ö r e , für den redaktionellen Inhalt eines Blattes in keiner Weise verantwortlich. Daß Redaktion, Verlag, Expedition ganz getrennte Betriebe sind, was jeder von ihnen zu bedeuten hat, ist dem Publikum und selbst dem gebildetsten Publikum oft etwas Fremdes. Betreten wir die Redaktion irgendeiner der großen Berliner Tageszeitungen, so fällt uns zunächst das Durcheinanderläuten verschiedener Klingeln auf. Boten rennen hin und her, reißen Türen auf und kom-
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men mit beschriebenen Manuskriptbogen wieder dahergelaufen. Lassen wir uns durch den Botenmeister zunächst zu dem Chef-Redakteur, vormittags zwischen 11 und 12 Uhr führen, so finden wir ihn zwischen Haufen von Briefen und Zeitungen in einer Konferenz mit dem Chef vom Dienst begriffen, der mit ihm die neuesten eingelaufenen Depeschen bespricht und die Verteilung der eingetroffenen Depeschen und Nachrichten, ebenso wie die Verteilung der verschiedenen für das Abendblatt zur Bearbeitung stehenden Themata unter die Ressorts der Redaktion vornimmt. Hier wird festgestellt, wer etwa interviewt, wer zur Mitarbeit aufgefordert werden soll, und welche Aufgaben den einzelnen Reportern erteilt werden sollen. Die Redaktion eines großen Blattes ist nämlich nicht, wie vielleicht mancher glaubt, ein Ameisenhaufen, der wahllos durcheinander läuft. Es ist nicht so, daß jeder Redakteur vor einem Tintenfaß und einem Kleistertopf sitzt und das zusammenkleistert, was ihm gerade einfällt, heute über äußere Politik, morgen über innere, den nächsten Tag über ein durchgegangenes Pferd, ein andermal über einen Ministerwechsel in Haiti und übermorgen vielleicht über die interessante Tatsache, daß der Magistrat eine Pflasterverbesserung auf der Waisenbrücke plant. Wenn dem so wäre, würde ein schönes Kunterbunt in der Zeitung entstehen und es würde über dieselbe Frage heute diese, morgen jene Meinung vertreten sein, um so mehr, als ja für die Fertigstellung der Zeitung immer nur wenige Stunden zur Verfügung stehen und allzuoft, wenn eben schon das Blatt fast fertig ist, neuere Nachrichten die ganze bis dahin geschriebene Zeitung überflüssig oder veraltet machen. In unseren modernen Redaktionen ist in Wahrheit die Arbeitsteilung und die Ressorttrennung bis ins kleinste durchgeführt. Die Abteilung für auswärtige Politik, die Abteilung für innere Politik, Lokalredaktion und Feuilletonredaktion sind ganz voneinander getrennt und haben miteinander nichts zu tun. Schließlich kommt neuerdings auch noch eine besondere Sportredaktion dazu, und last not least, die Redaktion des Frauenteils, der für das Wohl und Wehe unserer Zeitungen von immer größerer Bedeutung wird 1 ). x
) Wir dürfen uns allerdings, wenn wir den Frauenteil pflegen, und den Frauen auch in unseren Blättern zart entgegengehen, nicht einbilden, daß wir, wenn wir die Wichtigkeit der Frauen für das Zeitungswesen betonen, etwas Neues entdecken, denn schon der erwähnte Schriftsteller aus dem Jahre 1695 sagt:
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Jede einzelne dieser Abteilungen untersteht ihrem Ressortchef und über allen schwebt nur als verbindendes Glied und im Streitfalle zur Entscheidung angerufen: der Chefredakteur. Völlig vom übrigen Redaktionsbetriebe getrennt und für sich lebend, ist der Handelsteil, der, wenigstens bei allen den Blättern, deren Handelsteil eine selbständige Bedeutung hat, einem besonderen, leitenden Redakteur untersteht, der in seinem eigenen Reiche unumschränkt waltet und seine eigene Schar von Spezialredakteuren unter sich hat, Spezialkenner für Bergbau- und Eisenhüttenwesen, für Grundstücks- und Hypothekenverkehr, für Kali, Kohle, für Export und Import usw. usw. Dem Redaktionsstabe gehören im weiteren Sinne an die a u s w ä r t i g e n K o r r e s p o n d e n t e n der großen Zeitungen, die in deren festem Solde stehen und lediglich für ein bestimmtes Blatt, sei es aus Paris, London oder Petersburg, Wien oder Rom alle Ereignisse des betreffenden Landes, politischer oder literarischer Natur, zu berichten haben. Dem großen Kreise der Redakteure und Korrespondenten schließt sicli dann im weiteren Zirkel die Schar der s t ä n d i g e n u n d g e l e g c n t l i c h e n M i t a r b e i t e r an, die sich aus allen Berufsständen, wie ein Blick auf unsere Zeitungen zeigt, zusammensetzt. In neuester Zeit sich ständig mehrend und als eine lebhaft sprudelnde Quelle redaktionellen Materials haben sich eine Unzahl von T e l e g r a p h e n und K o r r e s p o n d e n z b u r e a u s eingebürgert, die schon wieder unter sich in Spezialgruppcn zerfallen, indem die einen nur P a r l a m e n t s b e r i c h t e , die anderen nur G e r i c h t s b e r i c h t e , wieder andere Vorgänge der U n i v e r s i t ä t und des l o k a l e n V e r k e h r s , wieder andere m i l i t ä r i s c h e oder k ü n s t „Das Adeliche Frauenzimmer, höheren oder geringeren Standes trägt sich nicht allein mit Zeitungen bey Hofe, sondern sind selber ZeitungsSclfreiberinnen, also dass man von ihnen viel leichter und geschwinder einen heimlichen Anschlag ein weit aussehendes Vorhaben und was in- und außerhalb des Hofes ergangen zu erfahren vermag. Sie auch wissen so artig die klügsten Minister an anderen Höfen, oder bey ihnen die fremden Gesandten und Gesandtinnen auszuholen, als kein Beichtvater tun kann. u „Was soll man von dem vornehmen Frauen-Zimmer in Städten sagen ? Eine Jungfrau zu Leipzig und Halle weiß einem oft besser zu sagen, wo die Armeen in Deutschland, in Ungarn und Welschland stehen, und was sie beginnen, als mancher Staatsgelehrter und können in ihren Gesprächen so artig fremde Wörter mit einwerfen, daß man schweren solte, sie verstünden es. K
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l e r i s c h e S p e z i a l g e b i e t e bearbeiten. Aber nicht nur Redaktions- und Korrespondenzbureaus, freiwillige, ständige und gelegentliche Mitarbeiter setzt die Redaktion in Bewegung. R e p o r t e r u n d B e r i c h t e r s t a t t e r eilen dauernd hin und her. Tag und Nacht, Sommer und Winter, unaufhörlich ohne Pause, ohne Unterbrechung ist der Redaktionsbetrieb unserer modernen Zeitungen, und es kann ohne Übertreibung gesagt werden, daß es wohl keinen schwereren, aufreibenderen Beruf gibt, keinen, der mehr schnelle Entschlußkraft, schnelles Handeln und die Fähigkeit, sich von Stunde zu Stunde neuen Situationen anzupassen, gibt, als den Redaktionsbetrieb unserer Großstadtblätter. Und es gehören nicht nur gute Nerven, sondern eine außerordentlich kritische Begabung dazu, unter den Hunderten von eintreffenden Naelirichten und Artikeln mit scharfem Blick und schnellem Entschluß diejenigen herauszufinden, die den "Weizen unter der vielen Spreu darstellen. Kurz, wenn man mit einem treffenden Wort unsere leitenden Zcitungsleute mit den kommandierenden Generalen verglichen hat, so sehe ich in diesem wirklich oder vermeintlich gesprochenen Wort ein nicht minder großes Kompliment für die Herren Generale wie für die Herren Journalisten. Um Ihnen ein Bild zu geben v o n d e n K o s t e n des redaktionellen Teils einer modernen Berliner Z e i t u n g , kann ich Ihnen nur soviel sagen, daß der RedaktionsEtat der größten Berliner Tageszeitungen sich auf ungefähr V/ 2 Millionen Mark pro Jahr beläuft. Nach dieser Zahl wird es Ihnen begreiflich sein, wenn ich Ihnen sage, daß keine unserer modernen großen Zeitungen die Kosten für Redaktion, Satz, Druck und Papier aus dem Abonnementspreis decken kann, und daß jede von ihnen nur existenzfähig ist durch den Inseratenteil. Der I n s e r a t e n t e i l bildet das Rückgrat der finanziellen Unabhängigkeit und Stabilität einer Zeitung. Ein Inseratenteil ist aber nur da stabil und berechtigt, wo er den Inserenten durch den Erfolg ein vielfaches der aufgewendeten Reklamekosten einbringt. Daß das für geeignete, richtig abgefaßte Inserate aufgewendete Geld für g u t e Erzeugnisse nicht hinausgeworfen ist, das beweisen die sehr genau geführten Kontrollen der Großinserenten, die durch ihre Statistiken genau in der Lage sind, den Erfolg ihrer Inserate und deren Rentabilität zu beobachten. Wenn Sie mich fragen, wie ein Blatt zu Inseraten kommt, so kann ich Ihnen darauf zunächst erwidern, daß
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ein Blatt nur dauernd d i e Inserenten wird halten können, die dem Kreise seiner Abonnenten angemessen sind. In einem Blatt, das von der ärmsten Bevölkerung hauptsächlich gelesen wild, wird es von wenig Erfolg begleitet sein, wenn man Luxusautomobile oder Diamant-Diademe zum Kaufe anbietet, und andererseits wird es nicht gerade viel Erfolg versprochen, wenn man in einem hauptsächlich von der reichen Bevölkerung gelesenen Blatte eine Annonce erläßt, in der blind gewordene Mahagonimöbel zum Tausch gegen einen Kanarienvogel mit Holzbauer angeboten werden. Die Inseratengewinnung selbst geschieht auf verschiedene Weise. Einmal durch die d i r e k t e P r o p a g a n d a des Verlages, sei es d u r c h e i g e n e A k q u i s i t e u r e oder durch s c h r i f t l i c h e , telephonischeodertelegraphischePropaganda, sei es durch die V e r m i t t l u n g v o n A n n o n c e n b u r e a u s . Die Bearbeitung der Inserenten durch die Verleger selbst geschieht natürlich in ganz systematisch organisierter Weise, indem durch aufs sorgfältigste geführte Kartotheken die Inserenten kontrolliert werden. Die Annoncenbureaus arbeiten so, daß sie im Gegensatz zum Einzelverleger für alle Zeitungen Inserate zu den Originalpreisen der Verleger annehmen. Der Inserent hat also bei den Annoncenbureaus nicht mehr zu zahlen, als im direkten Verkehr mit dem Verleger. Die Kosten, die die Annoncenbureaus hierbei haben, werden ihnen von dem Verleger in Form eines Rabattes auf die vermittelten Inserate vergütet. Daß Inserate nach Zeilen resp. deren Baum berechnet werden, und daß es hierfür für jede Zeitung eine bestimmte Grundschrift gibt, deren man im ganzen nach Rudolf MossesZeilenmcsser27 zählt, dürfte als bekannt vorausgesetzt werden. Die in manchen Ländern übliche Millimeterbcrechnung hat in Deutschland noch nicht übermäßig viel Anklang gefunden. Daß die Zeitungen bei bestimmten Wiederholungen der Inserate, ebenso bei der Überschreitung einer bestimmten Wertgrenze, auf die Inserate Rabatte, die in Prozenten auf den Zeilenpreis ausgedrückt werden, gewähren, sei nur nebenher erwähnt. Damit Sie sich ein Bild machen können von der wirtschaftlichen Bedeutung des Inseratenwesens, will ich Ihnen sagen, daß die Zeitung mit dem größten Inseratenteil in Berlin etwa 6 Millionen Mk. jährlich umsetzt. Im ganzen werden jährlich in Deutschland mehrere Hundert Millionen Mark für Inserate umgesetzt. Um Ihnen noch das letzte Geheimnis des Zeitungswesens zu ver-
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raten, muß ich Ihnen den Weg beschreiben, m c das, was Druckerei, Redaktion und Inseratenvenvaltung produziert haben, alltäglich früh zur rechten Stunde auf Ihren Kaffeetisch gelangt. Vor wenig mehr als zwei Jahrzehnten noch war der Gang der, daß selbständige Spediteure die Abonnenten bedienten und aus der Übermittlung der Zeitungen an das Publikum ein eigenes Gewerbe machten. Das hatte den großen Nachteil für die Zeitungsverleger, daß sie die Namen ihrer Abonnenten nicht kannten und im Falle einer Abbestellung nicht direkt mit den Abonnenten in Verbindung treten konnten und auch dfe Abonnentenwerbung fremdem Personal überlassen mußten. Die Verleger waren nicht in der Lage, durch eigenes Personal die Propaganda, mochte sie nun in der Verteilung von Postkarten oder Abonnements-Einladungskarten oder in der Übermittlung von Probeexemplaren ihrer Blätter bestehen, direkt an das Publikum heranzubringen. Heute haben die Zeitungs-Großbetriebe ihre eigenen, aufs durchdachteste organisierten Vertriebsanstalten mit ihren Tausenden von Botenfrauen zur Verfügung. Großberlin resp. die Mark Brandenburg ist mit einem Netz vieler Dutzende von Filialen übersät, die einer Zentralleitung unterstehen. Jede Filiale wieder untersteht einem Filialleiter mit einer Reihe von Hilfspersonen, und jeder Filiale sind wiederum hundert oder mehr Botenfrauen, von denen jede eine bestimmte Tour zu versorgen hat, unterstellt. Der Vertrieb von der Zentrale aus erfolgt in der Weise, daß die Zahl von Zeitungen, die jede einzelne Filiale braucht, in Packen gepackt ihr durch Automobile zugerollt werden. Jeder Filialvorsteher hat dann den einzelnen Botenfrauen entsprechend den von ihnen zu versorgenden Touren die Exemplare zuzuzählen. Die Versorgung der auswärtigen Filialen geschieht in der Weise, daß in aller Herrgottsfrühe besondere Fahrer sich nach den verschiedenen Windrichtungen mit der Eisenbahn auf schnellstem Wege nach dem Bestimmungsorte begeben, um dort die bestimmten Exemplare den auswärtigen Filialvorstehern zu übermitteln. Da, wie gesagt, die Botenfrauen diese Tätigkeit nur im Nebenamt ausüben, meist nur in Zeiten, in denen ihre Männer arbeitslos sind, werden Sie begreifen, daß nur eine eiserne Disziplin und eine tadellos funktionierende Organisation es ermöglicht, daß Dir Lieblingsblatt auch täglich rechtzeitig in Ihre Hände kommt. Ein unvorsichtig hingeworfener Kirschkern oder ein Schneehaufen, den irgendein nachlässiger Portier im Winter nicht rechtzeitig beseitigt hat, und über den die Gewerbliche Einzelvorträge.
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Botenfrau ausrutscht, genügt, uin IhrenZorn auf das unschuldige Haupt des Verlegers, des Redakteurs und des Expedienten niedersausen zu lassen. Ich hoffe, daß meine Ausführungen ein wenig dazu beigetragen haben werden, Sie in Zukunft etwas milder über diesen Punkt denken zu lassen. Natürlich ist eine Organisation, nie die geschilderte, nur in Großstädten möglich bei Zeitungsunternehmungen, die mehrere Hunderttausende von Abonnenten zu bedienen haben, da sonst eine Rentabilität unmöglich wäre; denn da die Botenfrauen wie erwähnt diesen Beruf nur im Nebengewerbe ausüben, müssen sie in kurzer Zeit mit ihrem Dienst fertig sein. Das können sie nur, wenn die etwa 100 bis 150 Abonnenten, die jede Botenfrau zu bedienen hat, dicht beieinander wohnen. Schließlich muß ich Sie auch noch mit einer Erscheinung im Zeitungswesen bekannt machen, ohne deren Erwähnung das Bild nicht vollständig wäre. Wenn Sie morgens zwischen 9 und 10 Uhr in eines der großen Verlagshäuser kommen, so würden Sie einen Herrn mit sorgenvoller Miene in geschwindem Schritt das Haus betreten sehen, meist eine Aktenmappe unterm Arm oder ein Bündel Zeitungen. Das ist der Mann, den jeder, vom letzten Liftboy bis zum Redakteur, vom letzten Propagandisten bis zum Chef der Inseratenverwaltung im Innersten seines Herzens für eine überflüssige Erscheinung ansieht. Und doch wären sie alle ohne ihn nicht denkbar, denn von seinem Talent und von seiner Begabung, von seiner Befähigung, die Bedürfnisse des Publikums und des öffentlichen Lebens zu erkennen, von seiner richtigen Disposition in finanzieller und kaufmännischer Beziehung, von seiner ordnenden und entscheidenden Tätigkeit hängt letzten Endes das Wohl und Wehe der Tausende ab; ein Mißgriff von ihm kann das blühendste Unternehmen an den Rand des Abgrundes bringen, ein richtiger Anschlag von ihm kann ein scheinbar verfahrenes Unternehmen zur Höhe führen. Er stellt den notwendigen Faktor des Unternehmers in unserem Wirtschaftsleben in der vollendetsten und konzentriertesten Form dar, — das ist der V e r l e g e r . Versagt er, so ist aller übrigen Mühe und Kunst vergebens. Ich habe im bisher Gesagten versucht, einige Streiflichter auf das moderne Zeitungswesen zu werfen, und ich wünschte, Sie dächten am Schlüsse meiner Ausführungen so, wie der Schriftsteller aus dem Jahre 1695 seine Betrachtungen zusammenfaßt, indem er sagt:
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Wie entsteht eine Zeitung?
„Billig solte nun ein Zeitungs-Schreiber in hohen Ehren gehalten und von jedermann in Städten und Ländern geliebet und gelobet werden, zumal er sich keine Mühe, Sorge und Kosten verdrissen und dauern lässet, seinen Mit-Bürgern und Nechsten auf eine so schöne weise zu dienen, daß sie von ihm, als einem Götter-Ausspruche so viel fremde Begebenheiten und Wunder erlernen, und es ihnen mehr nicht als etliche wenig Pfennige zu stehen kommt. Dahingegen er sich gleichsam durch den ganzen Erden-Kreis mit großen Auslagen und spendierung seines guten Geltes jahraus, jahrein bewerben muß, die geheimteste Dinge zu erforschen, selbige in Ordnung zu bringen, und durch den Druck männiglichen bekannt zu machen.
Allein hat er darvon oft schlechten Dank, man miß-
gönnet ihm noch dazu den geringen Vorteil, den er von seiner großen Arbeit und Freygebigkeit erringet." Jedenfalls hoffe ich, daß es mir gelungen ist, Ihnen zu zeigen, welch schwere und ernste Arbeit das Zeitungsgewerbe in sich schließt. Wir Zeitungslcute erfreuen uns im allgemeinen beim großen Publikum nicht jener Wertschätzung, die der zitierte Schriftsteller meines Erachtens mit Kecht für uns fordert; aber ich hoffe, Sie werden mit mir die Berechtigung meines Wunsches anerkennen, wenn ich Ihnen zurufe, verachtet mir die Zeitungsleute nicht. Eines jedenfalls dürfen Sie mir glauben: es gibt keinen rechten Zeitungsmann, der nicht mit Liebe und Hingebung an seinem Berufe, der Tag und Nacht keine Ruhe kennt, hängt, und der ist kein rechter Zeitungsmann, der mit mir nicht von seinem Zeitungsberuf sagt: „Bot mir der König seine Krone, ich dürfte sie mit Recht verschmähen." Nur der aber ist nach meiner vollsten Überzeugung würdig für unseren schweren Beruf, der davon durchdrungen ist, daß er als Zeitungsmann nicht nur ein Gelderwerbsgeschäft betreibt, sondern daß er, wenn auch an bescheidener Stelle, mitarbeiten darf an einer hohen sittlichen Mission einer nationalen Aufgabe; wem nicht ein ideales Etwas einen hohen Schwung verleiht, der sollte unserem Beruf fernbleiben; nur den können wir in unseren Reihen brauchen, der sich beim Zeitungsfach bewußt ist: Diener des Volks zu sein, Diener des Vaterlands. 9*
VI.
Die Entwicklung der Berliner Herren wäsche-Industrie. Vortrag des Herrn H u g o
Hanff,
Vorsitzender des Zentralausschusses der deutschen Wäschefabrikanten.
In einem Zeitraum von wenig mehr als einem Menschenalter hat sich in unserer Landes- und jetzigen Reichshauptstadt die Herrenwäsche-Industrie aus höchst bescheidenen Anfängen zu einem bedeutungsvollen Faktor des Welthandels entwickelt, und ihre Erzeugnisse haben den Fabrikaten des Auslandes, das sich im Besitz eines Monopols auf diesem Gebiete wähnte, längst den Rang abgelaufen. Ich will mich nun bemühen, Ihnen ein Bild der historischen Entwicklung der Branche zu geben, Ihnen deren Bedeutung für unser Wirtschaftsleben zu vergegenwärtigen und auf die Herstellungsweise und die Geschäftsmethoden dieser Industrie einzugehen. Zunächst müssen wir uns klar machen, daß wir unter dem fachlichen Begriff der Herrenwäsche-Fabrikation nicht die gesamte Fabrikation von Wäsche für Herren zu verstehen haben. Es handelt sich vielmehr nur um die Herstellung der beim Tragen sichtbaren Wäschegegenstände, insbesondere um Oberhemden, Kragen und Manschetten. Außerdem kommt ausschließlich der fabrikmäßige Betrieb, die Massenherstellung dieser Artikel in Betracht. Wir greifen bei unseren Betrachtungen etwa auf das Jahr 1860 zurück. Bis zu dieser Zeit waren Herrenkragen und Manschetten ein Luxusartikel, der nur von dem Herrenpublikum der besser situierten Gesellschaftsklassen in Anspruch genommen und aus England und Frankreich bezogen wurde. Die verhältnismäßig hohen Preise, die man dafür zahlte, bildeten nicht zum geringen Teile den Anlaß dafür, daß einzelne Berliner Fabrikanten es unternahmen, diese Artikel der heimischen Produktion einzuverleiben. Es geschah dies in der Weise, daß die zur Herstellung nötigen Stoffe mit der Schere in den Geschäftsräumen der Fabrikanten zugeschnitten und dann den Näherinnen übergeben wurden, um hierauf wieder von Privatwäschereien durch Waschen und Plätten fertiggestellt zu werden. Diese Art der Fabrikation hat sich eine Reihe von Jahren erhalten ohne sich wesentlich zu ändern. Das so produzierte Quantum genügte zur Deckung
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D i 0 Entwicklung der Berliner Herrenwäsche-Industrie.
des inländischen Bedarfs, da vor 40 bis 50 Jahren nur ein kleiner Teil des Herrenpublikums das Bedürfnis empfand, täglich Kragen und Manschetten anzulegen. Hierzu kam noch, daß es zu jener Zeit als zur Würde der Hausfrau gehörig angesehen wurde, die Herrenwäsche selbst anzufertigen und solche dem Wäscheschrank wie jedes andere Wäschestück einzureihen. Erst gegen Mitte der sechziger Jahre begannen verschiedene Unternehmer der Wäschefabrikation ein erhöhtes Interesse zuzuwenden, und es gelang durch vielfache Bemühungen die bisher nur primitive Fabrikation auf eine höhere Stufe zu bringen. Einen bedeutenden Aufschwung nahm die Wäscheindustrie nach dem Kriegsjahre 1870. Nach dieser Zeit erhöhten die Wäschefabrikanten ihre Leistungsfähigkeit dadurch, daß sie auch die Näharbeit, die bis dahin außer dem Hause geleistet wurde, in ihre Räume übernahmen und die Betriebe durch Gründung eigener Wäschereien und Plättereien erweiterten. Die Schwierigkeiten, die sich hierbei in den Weg stellten, namentlich die Heranbildung tüchtiger Arbeitskräfte, die Ermittelung der zur Fabrikation geeigneten Rohstoffe, wurden durch jahrelange Bemühungen überwunden. Mit Recht kann man behaupten, daß mit jener Epochc der Siegeszug dieses Berliner Industriezweiges begann, der Siegeszug gegen französisches und englisches Fabrikat, das bis dahin in deutschen Landen dominierend, nunmehr ganz aus diesen verdrängt ward. Die uns durch den Krieg zugeführten Reichslande haben durch die dort in großem Umfange betriebenen Webereien in Verbindung mit den bereits vorher bekannt gewesenen süddeutschen Etablissements wesentlich dazu beigetragen, den Berliner Wäschefabrikanten die hauptsächlichsten Rohmaterialien, so weit es sich um baumwollene Gewebe handelte, leichter als bisher zugängig zu machen. Auch hierin hatten die Berliner Wäschefabrikanten bereits vorher Brauchbares geschaffen, indem sie mit feinem Fabrikationsverständnis den deutschen Webereien und Bleichereien Vorschläge gemacht hatten, in bezug auf Beschaffenheit, Fadenstärke und Fadenstellung der Gewebe, die den Zwecken der Wäschefabrikation am besten dienen. Das zur Verwendung kommende Leinen muß bis auf den heutigen Tag aus England bezogen werden. Die Eigentümlichkeit der irländischen Naturbleiche gibt dem englischen Leinen eine bläulich weiße Farbe, die für die Wäsche von größter Bedeutung ist. Während man in früheren Jahren der Ansicht war, daß die
Die Entwicklung der Berliner Herrenwäsche-Industrie.
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größere Brauchbarkeit des irischen Leinens auf einer vorgeschrittenen Technik der dortigen Industrie oder auf unbekannten Fabrikationsmethoden beruhte, weiß man jetzt, daß die Eigentümlichkeit dieses Leinens in der Besonderheit des irländischen Klimas ihren Grund findet. Die konzentrierte Wärme dieses Klimas in Verbindung mit der in den irländischen Nebeln enthaltenen Feuchtigkeit bilden beim Bleichverfahren Faktoren, die bei der heimischen Fabrikation nicht ersetzt werden können. Auch sind alle Bemühungen, die in Irland vorhandene Kombination von Nebel und Sonnenschein in Deutschland durch chemische Verfahren zu ersetzen, daran gescheitert, daß die Gewebefasern unter der Einwirkung der Chemikalien gelitten haben. Zur Fabrikation von Herrenkragen hat man bis heute einen ebenbürtigen Ersatz des irischen Leinens in Deutschland nicht herstellen können, und ist auf den Ausweg gelangt, für deutsche Rechnung in Böhmen gewebtes Leinen zum Bleichen und Appretieren nach Irland zu senden. Dieses Verfahren ist wegen der hohen Transport- und anderen Spesen so kostspielig, daß es als rationelles Aushilfsmittel nicht angesehen werden kann. Und so sind die deutschen Wäschefabrikanten nach wie vor gezwungen, das Leinen aus dem Auslande zu beziehen. Es ist dies ein einschneidender Umstand für die deutsche Wäschefabrikation, da der Leinenzoll ein ziemlich hoher ist und ein einziges Stück Leinen von 70 m Länge etwa 10 Mk. Fracht und Zoll kostet. Da der Wäscheindustrie hierdurch das unentbehrlichste Rohmaterial verteuert wird und dieKonkurrenzfähigkeit speziell beimExport nach den Kosten der Rohstoffe und der Höhe der Arbeitslöhne zu bemessen ist, so hat die Berliner Wäschebranche, die in der Hauptsache leinene Qualitäten fabriziert, gegenüber dem Wettbewerb des Auslandes einen schweren Stand, zumal auch die Arbeitslöhne im Auslande wesentlich niedriger sind als die hiesigen. Es wird interessieren zu hören, daß in der Textilindustrie Frankreich . . 10—20 % England . . . 8-12% Österreich... 15—25% R u ß l a n d . . . . 20—30% geringere Durchschnittslöhne zahlen als Deutschland und speziell Berlin. Alle Anträge um Aufhebung oder Ermäßigung des Leinenzolles sind erfolglos geblieben. Verschiedene Staaten des Auslandes
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Die Entwicklung der Berliner Herrenwäsche-Industrie.
dagegen haben zu Gunsten ihrer Industrien Erleichterungen zugestanden, zum Beispiel die Rückzahlung des Zollbetrages für denjenigen Teil des eingeführten Rohstoffes, welcher in Fertigfabrikaten wieder exportiert wird. Die beiden Länder, deren Wettbewerb auf dem Weltmarkt für uns hauptsächlich in Frage kommt, sind England und Österreich, und beide produzieren im Vergleich zu uns unter vorteilhafteren Bedingungen. England, das irisches Leinen zoll- und frachtfrei verarbeitet, besitzt in seinen ausgedehnten Kolonien ein natürliches Absatzgebiet. Die immer umfangreicher werdende Gestaltung seines außereuropäischen Besitzes wird in erster Reihe zu wirtschaftlichen Zwecken ausgenutzt und dient dazu, der englischen Industrie eine herrschende Stellung auf einem gewaltigen Teile unseres Erdballs zu verleihen. Ebenso bevorzugt ist die österreichische Industrie durch die niedrigeren Arbeitslöhne, mit denen sich die dortige Bevölkerung begnügt. Hierzu kommt, daß der Zoll auf irisches Leinen nicht viel mehr als die Hälfte des unserigen beträgt und daß man weder in England noch in Österreich bis jetzt die Höhe der gewerblichen Lasten zu tragen hat, welche die Arbeitergesetzgebung den hiesigen Fabrikanten auferlegt. Außerdem tritt hinzu, daß der österreichischen Industrie eine Gattung baumwollener Gewebe im eigenen Lande zur Verfügung steht, die unsere deutschen Webereien aus technischen Gründen nicht herstellen und von den hiesigen Wäsche-Fabrikanten erst aus Österreich unter Zuschlag des deutschen Einfuhrzolles bezogen werden müssen. Infolge der Steigerung des Konsums wurde im Laufe weniger Jahre eine solche Erhöhung der Produktion notwendig, daß man darauf bedacht sein mußte, die vorher nur im kleinen gemachten Versuche, die Handbetriebe durch maschinelle zu ersetzen, auf alle Abteilungen der Fabrikation auszudehnen. Zuerst wurden neue Systeme von Nähmaschinen erfunden und den Bedürfnissen der praktischen Arbeit angepaßt. Alsdann wurden Wasch- und Stärkemaschinen in die Betriebe eingestellt, und sämtliche Fortschritte der Mechanik und Technik der Fabrikation nutzbar gemacht, wodurch es gelang, die Leistungsfähigkeit quantitativ wie qualitativ mächtig zu fördern. Wenn auch die europäischen Staaten sich bald von der Güte der Berliner Wäschefabrikate überzeugt hatten und schon damals ihren Be-
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darf in diesen Artikeln von Berlin bezogen, so hat doch erst der überseeische Handel den Weltruf der Branche begründet. Anfangs waren es nur Kragen und Manschetten, die man exportierte und die von überseeischen Ländern aus Berlin bezogen wurden. Die überseeischen Konsumenten waren jedoch daran gewöhnt, auch in Oberhemden ihren Bedarf in Europa zu decken und kauften diesen Artikel in Paris und London. Man ging deshalb in Berlin daran, auch der Fabrikation von Hemden ein besonderes Interesse entgegen zu bringen, und begann Sorten und Qualitäten zu schaffen, die den klimatischen Verhältnissen der überseeischen Staaten angepaßt waren und auch der wirtschaftlichen Lage ihrer Bewohner Rechnung trugen. Diese Erzeugnisse fanden mit der Zeit in der ganzen Kulturwelt eine bevorzugte Aufnahme, und so konnte sich, wenn auch erst nach Jahren angestrengtesten Fleißes, die Berliner Wäscheindustrie auch auf diesem Gebiete eines großen Erfolges erfreuen. In den ersten Jahrzehnten fabrizierte man nur weiße Oberhemden; als die Mode sich aber den bunten Stoffen zuwandte, wurde auch die Anfertigung von farbigen Oberhemden für Damen wie für Herren in die Fabrikation aufgenommen und zu einer ganz bedeutenden Höhe gebracht. Früher galten weiß oder farbig gemusterte Oberhemden als ein Artikel, dessen Anschaffung sich nur wohlhabende Leute zu leisten pflegten. Die Herstellung lag ganz in den Händen der feineren Maßgeschäftc, die nicht selten eigene Ateliers zu diesem Zwecke besaßen. Der "Übergang in den fabrikmäßigen Betrieb hat den Absatz dieses Artikels enorm vergrößert und ihn auf alle Kreise der Bevölkerung übertragen. Schon seit langem ist bunte Wäsche nicht nur im Sommer, sondern das ganze Jahr hindurch im Gebrauch, und selbst das Publikum des Mittelstandes, das noch Anfang der neunziger Jahre nur über einen Bestand von weißer Wäsche verfügte, besitzt heute in seiner großen Mehrzahl außerdem einen Vorrat von buntfarbigen Oberhemden. Die Stoffe selbst sind die allerverschiedenartigsten. Percals, Zephyrs, Oxfords, Leinen werden in hunderten und aber hunderten von Mustern — Streifen, Punkten, Carreaux und anderen Effekten — und in einer Unzahl von Farbenstellungen alljährlich auf den Markt gebracht, und schaffen den Wäschefabriken einen ansehnlichen Teil ihres Arbeitsquantums. Die Branche umfaßt hier in Groß-Berlin etwa 40 Fabrikbetriebe, die größtenteils die gesamte Fabrikation in eigenen Betriebsräumen
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Die Entwicklung der Berliner Herrenwäsche-Industrie.
bewerkstelligen, und gibt einer Zahl von mehr als 30 000 weiblichen und etwa 1000 männlichen Personen regelmäßige und ausgiebige Beschäftigung. Nebenher existieren noch eine Reihe von kleinen Werkstätten, die nur einen Teil der Fabrikation in eigener Regie leisten und alle anderen Arbeiten außer dem Hause ausführen lassen. Zum Teil werden diese von einem der großen Fabrikbetriebe je nach Bedarf mit Arbeit versehen und sind darnach eher als Zweigbetrieb oder Unterabteilung dieser Fabriken anzusehen. Welche wohltuende Wirkung die Branche in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht ausübt, erhellt schon aus der gewaltigen Zahl der von ihr beschäftigten weiblichen Personen. Durch die Berliner Wäschefabrikation finden bereits junge Mädchen im Alter von 15 Jahren an Gelegenheit, durch Arbeiten, welche ihre Handfertigkeit und Geschicklichkeit ausbilden, zum redlichen Verdienst ihrer Familie beizutragen, ohne Nachteil für ihre Gesundheit und körperliche Entwicklung. Die Leitung der Fabriken sorgt für möglichst gleichmäßige Beschäftigung, selbst in Zeiten schlechteren Geschäftsganges. Daß der Verdienst in der Wäschebranche ein guter und regelmäßiger ist, geht am besten daraus hervor, daß die Arbeitsstellen selten gewechselt werden, und selbst nach einer Verheiratung viele die ihnen liebgewordenen Plätze nicht verlassen oder als Heimarbeiterinnen für denselben Betrieb weiter arbeiten. Es gehört auch nicht zu den Seltenheiten, daß Personen, welche aus der Branche ausscheiden, aller Subsistenzmittel beraubt, wieder ihre Zuflucht zu diesem Erwerbszweige nehmen und sich in verhältnismäßig kurzer Zeit wirtschaftlich rehabilitieren. Wenn wir so die Tätigkeit der weiblichen Personen betrachten, ist es unerläßlich, auch der männlichen Erwähnung zu tun, die zwar numerisch nicht an die Zahl der weiblichen Arbeiter heranreichen, in ihrer Beschäftigung jedoch einen wesentlichen Faktor für die Produktion bilden. In allen Wäschefabriken begegnet man außer den gesetzlich vorgeschriebenen Einrichtungen für Arbeiterschutz und Hygiene noch anderen der verschiedensten Art, die sämtlich darauf hinzielen, das Wohl der Arbeiterschaft zu fördern. Es ist zur Genüge bekannt, daß durch die soziale Gesetzgebung in den letzten Dezennien vieles geschaffen worden ist, das speziell der weiblichen Arbeiterschaft zugute kommt, allerdings auch dem Unternehmer schwere Lasten auferlegt. Ich erinnere an die Einrichtung der Krankenkassen, an das Alter- und
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Invaliditätsgesetz, die Unfallversicherung, an die Festlegung der Arbeitszeiten durch die Gewerbeordnung, an die Arbeitsbestiimmingen für Mädchen unter 14 Jahren, zwischen 14 und 16 Jahren und 16 bis 21 Jahren — Kinderschutzgesetz und Gesetz für Minderjährige —, ferner an die Pflichtfortbildungsschule, an die Regelung der Heimarbeit und das Hausarbeitergesetz. All diese Bestimmungen und Gesetze haben sich in verhältnismäßig kurzer Zeit vollzogen, und die Branche hatte kaum Ruhe gefunden, ein neues Gesetz durchzuführen, so stand bereits ein noch neueres wieder zur Beratung und mußte sich ebenfalls in den Betrieben durchsetzen. Ein Fabrikbetrieb, welcher eine große weibliche Arbeiterschaft hat, bedarf einer sehr kundigen Leitung, um nicht Fehlgriffe in der Handhabung der Gesetze zu tun. Hier möchte ich einschalten, daß die Geschicklichkeit der Berliner Arbeiterin, ihre Arbeitslust, ihre Anstelligkeit an den Erfolgen unserer Branche ihr gutes Teil beigetragen haben, und wir es im großen und ganzen mit einer intelligenten, arbeitstüchtigen und brauchbaren Menschenklasse zu tun haben, was ich nicht unterlassen möchte, an dieser Stelle anerkennend zum Ausdruck zu bringen. Die weitere Bedeutung der Branche in ihrem ganzen Umfange zu würdigen ist nur möglich, wenn man in Betracht zieht, wie viele andere Erwerbszweige von den Bedürfnissen der Wäschebranche unterhalten werden. Der große Verbrauch von Rohstoffen aller Art, insbesondere von baumwollenen und leinenen Geweben, der ungeheure Konsum von Materialien, die zur Behandlung der Wäsche erforderlich sind, wie Stärke, Seife usw., haben vielen Fabriken dieser Art einen mächtigen Aufschwung gegeben. Ich erinnere weiter an die Kartonnage-Industrie. Legen schon unsere deutschen Geschäfte und die des europäischen Auslandes hohen Wert darauf, durch eine geschmackvolle Gestaltung der Verpackung das Ansehen der Ware zu heben, so gilt dies noch in weit höherem Maße für Waren, die für den überseeischen Export bestimmt sind. Bei diesen ist es vorzugsweise das Gefällige und Zierliche, ja oft Prunkvolle der Aufmachung, was den Verkauf im Auslande erleichtert, und man muß rückhaltlos anerkennen, daß hierin die Kartonfabrikation mit richtigem Verständnis die ihr gestellten Aufgaben gelöst hat. Diese Branche ist nicht zum wenigsten gerade durch die Wäschefabrikation zu ihrer hohen Blüte gelangt, und es kommt auch hier wiederum zur Geltung, wie die letztere nicht nur
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Die Entwicklang der Berliner Herrenwäsche-Industrie.
direkt, sondern auch indirekt, dauernden Erwerb für eine ganze Reihe arbeitender weiblicher Personen schafft. Es ließe dies sich noch weiter ausführen, bei der großen Zahl der zur Fabrikation gehörigen Gebrauchsgegenstände ist es aber absolut unmöglich, jeden einzelnen von diesem Gesichtspunkte aus zu erörtern. Ich wende mich jetzt zu der eigentlichen Fabrikation und werde versuchen, Ihnen ein Bild von den verschiedenen Tätigkeiten zu geben, die erforderlich sind, um ein einzelnes Wäschestück seiner Vollendung entgegenzuführen. Vorher möchte ich jedoch auf den wichtigsten Faktor für die Berliner Wäschefabrikation aufmerksam machen. Den Weltruf, dessen sich die Berliner Wäsche erfreuen darf, hat sie zum nicht geringen Teile durch ihre blendend weiße Farbe erlangt, die wiederum das Resultat einer besonders geschickten Behandlung der Wäsche ist. Die Fabrikanten sind hierbei von dem Wasser unserer Spree abhängig, das sich wie kein anderes für ihre Zwecke als ganz besonders geeignet erwiesen hat, und sie zählen, seitdem sie eigene Wäschereien in ihren Betrieben errichtet haben, zu den bedeutendsten Konsumenten der Berliner Wasserwerke. Ein hervorragendes Verdienst der Stadt Berlin ist es, durch die Schaffung vorzüglicher Filtrieranlagen in ihren Wasserwerken zur Vervollkommnung der Wäsche wesentlich beigetragen zu haben. Die erste Etappe der Fabrikation bildet die Zuschneiderei. Anfänglich wurde das Zuschneiden von weiblichen Hilfskräften mittelst der Schere ausgeführt. Infolge der gesteigerten Produktion konnte man den wachsenden Ansprüchen bald nicht mehr genügen. Man schritt deshalb dazu, das Messer zum Zuschneiden einzuführen, und sah sich genötigt, diese Tätigkeit wegen der erforderlichen körperlichen Kräfte Männern zu übertragen. Es wurden hierzu Personen aus den verschiedensten Berufsarten herangezogen, auch solche, welche weder als Arbeiter noch als Handwerker irgendwelche Vorbildung empfangen hatten, da es lediglich darauf ankam, nach den Umrissen einer Blechform von der Gestalt des Wäschestückes eine ganze Reihe übereinander gelegter Stoffe auf einmal zu durchschneiden, wodurch zu gleicher Zeit Quantitäten bis zu 96 Lagen zugeschnitten werden konnten. Auf diese Weise wurde ein völlig neuer Erwerbszweig für hunderte von Leuten geschaffen, der ihnen bei Ausdauer in der Arbeit bis auf den heutigen Tag einen lohnenden Verdienst verschafft. Mit der Zeit wurden auch hierfür Maschinen erfunden, da man immer weiter
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danach strebte, die Handarbeit durch maschinelle Leistungen zu ersetzen. Man hat Stanzen in die Fabrikation aufgenommen, welche speziell für große Quantitäten in Frage kommen und hierbei sehr gute Dienste leisten. Feinere und bessere Fabrikate werden nach wie vor mit dem Messer zugeschnitten, da das subtile Herausbringen von Rundungen und Ecken hiermit besser zu erreichen ist, und ein peinlich korrekter Zuschnitt für die exakte Näherei ein unerläßliches Moment bildet. Bevor die zugeschnittenen Teile der Näherei zugeführt werden, ist es zum mindesten für die besseren Fabrikate unbedingt nötig, das Stempeln der Ware vorzunehmen. Dies verfolgt den Zweck, den Waren eine Benennung zu geben, die es ermöglicht, deren Identität durch den ganzen Lauf der Fabrikation festzustellen. Nächstdem erfüllt es die Notwendigkeit, die einzelnen Formen und Weiten zu unterscheiden und die Firma zu kennzeichnen, für welche die Waren bestimmt sind. Hierdurch erreicht man, daß Verwechselungen vermieden werden und die Arbeiterinnen die für die verschiedenen Formen zu beobachtenden Bestimmungen genau einhalten. Für das Stempeln selbst kommt die Handfertigkeit der Arbeiterinnen, die Güte des Stempclmaterials und die Beschaffenheit der Stempelfarbe in Betracht. Eine gute Stempelfarbe soll einen scharfen Abdruck geben, schnell trocknen, tief schwarz und absolut waschecht sein. Die Herstellung der Farbe ist eine sehr diffizile und hat mit der größten Vorsicht zu erfolgen, da die kleinste Abweichung in der Fabrikation, die Verwendung nicht ganz tadelfreier chemischer Produkte die schwerwiegendsten Konsequenzen im Gefolge haben kann. Die Stempelabdrücke werden in solchen Fällen blaß oder erhalten einen roten Rand, welcher so intensiv ist, daß er durch die Wäsche nicht zu beseitigen ist. Man hat große Schwierigkeiten gehabt, eine solche Farbe zusammenzustellen, und war seinerzeit darauf angewiesen, sie aus dem Auslande zu beziehen. Da die Stempelung jedoch viel zu dem schönen Aussehen der fertigen Ware beiträgt, und die Ansprüche darin seitens der Kundschaft stets höher gingen, hat es die chemische Industrie auf Initiative der Wäschefabrikanten unternommen, eine solche Farbe herauszubringen, und heute ist die deutsche Stempelung die anerkannt beste geworden. Sehr geschickte Mädchen sind imstande, Außerordentliches darin zu leisten. Die Benennung der Formen hat vor 40—50 Jahren wenig Um-
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stände gemacht, da nur wenig Fassons existierten und sich leicht Namen finden ließen. Die Kollektionen der Fabrikanten umfaßten im Anfang etwa 12 Kragen- und 4—6 Manschettenfassons, während heute mehrere hundert verschiedene Formen von Kragen und Manschetten mit auf die Keise genommen werden. Heutzutage führen schon die Spezial-Detailgeschäfte 50—60 Formen. Früher besaß der Fabrikant für jede seiner Formen nur einen Namen, den er bei seiner Kundschaft durchgängig zur Anwendung brachte. Aus der Tatsache, daß die Ware vordem aus dem Auslande bezogen wurde, erklärt sich die häufig noch heute geübte Praxis, ausländischen Namen den Vorzug zu geben, wenngleich dies auch durch die Absicht begründet ist, internationale Benennungen zu besitzen, die auf dem ganzen Weltmarkt Verständnis finden. Mit der Zeit wurden weitergehende Anforderungen seitens der Kundschaft erhoben. Schon seit vielen Jahren liegen die Verhältnisse so, daß jedes Detailgeschäft von nennenswerter Bedeutung nicht nur seinen Firmenstempel, sondern auch für jede Form seine eigene Benennung verlangt. Auch die Entwürfe der Firmenstempel, die Anbringung von Monogrammen, die Nachbildung von Handschriften, Umrahmungen und Verzierungen werden vorgeschrieben und es kommen nicht selten Ideen zum Vorschein, die nur unter Schwierigkeiten ausführbar sind. Unter diesen Umständen kommt es häufig vor, daß ein und dieselbe Form in ein und demselben Betrieb zehn oder zwanzig verschiedene Namen führt; hat ein Kunde eine schöne Schweizerreise gemacht, soll die Erinnerung daran in der Stempelung eines Kragens ausgedrückt werden; ist er ein großer Musikliebhaber, so werden die Namen seiner Lieblingskomponisten eingestempelt, Naturfreunde haben dahinbezügliche Wünsche, und so fort. Staatsmänner und Diplomaten, Gelehrte und Künstler, hervorragende Personen jeden Standes und jeder Nation finden hier ihren Platz und werden in der Erinnerung festgehalten. Das nächste Stadium des umfangreichen Arbeitsprozesses ist die Näherei. Die Erfindung der Nähmaschine und ihre Einführung in die Fabrikbetriebe sind die bewegenden Hebel gewesen, durch welche die Herstellung der Wäsche, die bis dahin das Ergebnis der Hausarbeit Einzelner war, zu einem industriellen Schaffen umgestaltet wurde.
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Die gewaltige Entwicklung dieses Fabrikationszweiges, namentlich in unserem Vaterlande, hat es ermöglicht, daß auch die Personen, welche in ihrer Behausung für Geschäfte arbeiten, sich die Maschine anschaffen konnten und mit deren Hilfe lohnenden Verdienst fanden, indem sie die im Betriebe zugeschnittenen "Wascheteile zusammensetzten. Es hat sich diese Art von Arbeit bis auf den heutigen Tag in der Heimarbeit erhalten. Inzwischen wurden die Anforderungen an die Näharbeit in bezug auf Sorgfalt und Sauberkeit und besonders hinsichtlich der Genauigkeit der Höhen und Weiten so weitgehend, daß man eine ständige Kontrolle der Arbeit durch Aufsichtspersonen nicht mehr entbehren konnte. Es entschlossen sich deshalb einige Unternehmer, Nähmaschinen im eigenen Betriebe aufzustellen und für die verschiedenen Arten der Näherei junge Mädchen anzulernen, die unter Aufsicht und Unterweisung einer Direktrice in nicht allzu langer Zeit etwas zu leisten im Stande waren. Hand in Hand mit der Näherei ging die Vorrichterei, man versteht darunter das richtige Einkniffen der geschnittenen Teile, das Aufstecken usw., eine Vorarbeit, die dazu dient, der Näherin die Arbeit nähfertig vor die Hand zu bringen, sodaß dieselbe ohne Aufenthalt nur zu steppen braucht. Die Arbeit der Vorrichterin ist eine sehr penible und muß von geschickter Hand mit großer Korrektheit ausgeführt werden. Da beide Arbeiterinnen, Näherin und Vorrichterin, auf sich angewiesen waren, so hat sich in den meisten Fällen ein recht freundschaftliches Verhältnis herausgebildet, und mit Vergnügen hört man ältere Arbeiterinnen von jenen Zeiten sprechen, wo sie mit der Vorrichterin abends spät oder Sonntag nachmittags bei einer gemütlichen Tasse Kaffee freudig gearbeitet haben, und wo es noch nicht als Überlastung angesehen wurde in der Familie zu arbeiten und man dabei doch den Genuß des Familienlebens empfand. Durch die nun beginnende, man kann sagen, rasend schnelle Fortentwicklung der Industrie, wurden neuere, schneller arbeitende Maschinen erfunden, Spezialmaschinen, für Außennähte, für Rundungen usw. usw., die Vorrichterei wurde weniger nötig, da die Nähmaschinen einen Teil dieser Arbeit übernahmen. Es lösten sich die Beziehungen der einzelnen Arbeiterin zu der Mitarbeiterin und beide verrichteten ihre Arbeit selbständig. Kurz, es begann die Zeit der Arbeitsteilung. Für jeden Artikel wurden Mädchen angelernt, und die Tüchtigkeit und Gewerbliche Einzelvorträge.
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Handfertigkeit der Einzelnen wuchs ganz bedeutend durch die sich immer wiederholende glciche Art der Arbeit. Die Lohnsätze für die verschiedenen Artikel wurden nach Dutzenden berechnet, und hatte der Arbeitgeber das Interesse viel Ware fertig zu schaffen, so wollte die Näherin mehr verdienen. Da die Schnelligkeit der Nähmaschine aber von dem schnellen Bewegen der Füße abhängig ist, so konnte eine Arbeiterin mit kräftiger Konstitution mehr leisten als eine ebenso emsig arbeitende schwächere Näherin. Auch hierin mußte "Wandel geschaffen werden. Die Nähmaschinenfabriken begannen Maschinen mit elektrischem Antrieb zu bauen und führten diese in die Wäschefabriken ein. Wie gewichtig der Vorzug des Kraftbetriebes ist, mag man daraus erkennen, daß eine geübte Näherin mit einer durch Fußbetrieb in Bewegung gehaltenen Maschine 500—700 Stiche in der Minute hervorzubringen vermag, während eine Maschine mit Kraftanschluß in derselben Zeit bis zu 3000 Stiche leistet. So arbeitet man bei der Herstellung von Kragen, Manschetten und Hemden, wo nur kurze Nähte in Betracht kommen, 2000 Stiche in der Minute, während man in Branchen, wo es sich um langlaufende Meterware handelt, die vollen 3000 Stiche ausnutzen kann. Hinzutritt, daß die Arbeiterin beim Fußbetrieb durch die körperliche Anstrengung zu häufigeren Pausen gezwungen ist, was beim Kraftbetrieb, der nur ein einmaliges Einrücken der Maschine erfordert, und eine gesündere Körperhaltung ermöglicht, nicht beobachtet wurde. Bei letzterem bleibt die Arbeiterin während der ganzen Tageszeit frisch und leistungsfähig und muß schon folgedessen ein ganz anderes Arbeitspensum vollbringen als ihre Kollegin beim Fußbetrieb. Unter solchen Verhältnissen wird beim Kraftbetrieb die bisherige Arbeitsleistung in einem Bruchteil der bisher dazu aufgewandten Zeit erzielt und eine bedeutende Steigerung der Produktion möglich gemacht. Eine besondere Art der Maschinen sind die automatischen Knopflochmaschinen. Zu Beginn der Fabrikation wurden Knopflöcher nur mit der Hand ausgenäht, eine Arbeit, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat und speziell für feinere Waren in Betracht kommt. Bei aller Vollkommenheit der seit etwa 20 Jahren eingeführten Knopflochmaschinen haben die darauf gearbeiteten Knopflöcher nicht die Haltbarkeit und das schöne Aussehen der Handknopflöcher, und ein großer Kreis von Personen verlangt speziell bei leinenen Hemden und
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Kragen unbedingt mit der Hand ausgenähte Knopflöcher. Für den Massenbetrieb sind allerdings automatische Knopflöcher nicht auszuschalten, da weder genügende Arbeitskräfte vorhanden sind, noch die Löhne für Handarbeit bezahlt werden können. Das Waschen und Plätten, der Hauptfaktor der Fabrikation, wurde anfänglich außer dem Hause von einzelnen Frauen besorgt, die nebenbei ihren Hausstand führten, und späterhin in kleinen höchst primitiv eingerichteten Privatwäschercien vorgenommen. Diese Methode konnte nur so lange genügen, als sich der Konsum in bescheidenen Grenzen hielt; die Entwicklung nötigte die Fabrikanten aber, eigene Wäschereien und Plättereien in ihren Betriebsräumen einzurichten. Es versteht sich schon aus Gründen der Leistungsfähigkeit, daß man auf einem Gebiete wie dem der Wäscherei mit allen Mitteln danach strebte, sich die Errungenschaften der Technik im weitgehendsten Maße nutzbar zu machen. In Verbindung mit den Maschinenfabrikanten wurden jahrelang kostspielige Versuche unternommen, ehe man dazu gelangte, das Richtige zu treffen, und das Waschen durch Maschinen bewerkstelligen konnte. Die Vervollkommnung schritt vorwärts, es wurde zum Ehrgeiz unter den Unternehmern, das beste „Weiß" zu bringen, und heute ist allerwärts bekannt, daß Berlin die schönste Wäsche liefert. Hier mag erwähnt werden, daß neben der Filtration des Wassers durch die städtischen Wasserwerke einzelne Betriebe große maschinelle Wasserreiniger angelegt haben, durch welche auch das letzte Restchen von Fremdkörpern dem Wasser entzogen wird und die früher noch vorkommenden Eisenteilchen verschwinden. In Zusammenhang mit der Wäscherei steht das Bleichen der Wäsche. Dieses wird durch geeignete chemische Zusammensetzungen bewirkt, die der Wäsche absolut unschädlich sind. Hierzu gehört, da das Bleichen für die verschiedenen Gewebe auseinander gehalten werden muß, eine so hohe Fachkenntnis, daß große Betriebe bei ihren Manipulationen nicht ohne den Rat des Chemikers auskommen. Das Trocknen geschieht durch Zentrifugen und zwar in der Weise, daß die Wäsche in eigens für diesen Zweck hergerichteten Kesseln durch Zentrifugalkraft so lange in Bewegung gehalten wird, bis jede Feuchtigkeit gewichen ist. Hemden werden durch besonders hierfür erbaute Trockeneinrichtungen entfeuchtet. Der nächste Prozeß ist die Bearbeitung der trockenen Wäsche 10*
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mit Stärke, um sie plättfertig zu machen. Die Zusammensetzung der Stärke, das heißt die verschiedenen Ingredienzien, welche der rohen Stärke beigemischt werden, bildet den Hauptfaktor zur Erzielung einer mustergiltigen Wäsche. Die größte Intelligenz und Sorgfalt ist anzuwenden, um ein blendend weißes Wäschestück zu schaffen. Hier wird die Farbe, die Steifheit, das gefällige Exterieur, die leichtere Bearbeitung für die Plätterei herausgeholt, denn nur gut gestärkte Wäsche kann gut geplättet werden. Der Verbrauch von Stärke ist so bedeutend, daß einzelne Stärkefabriken besonders darauf eingerichtet sind, die Stärke für Wäschefabriken herzustellen, während die außerdem nötigen Zusätze von chemischen Fabriken geliefert werden. Die noch heute in Haushaltungen geübte Methode, zum Bügeln der Wäsche Plätteisen zu benutzen, die durch glühend gemachte Bolzen erhitzt werden, wurde mangels des Vorhandenseins einer besseren Einrichtung auch in den Fabrikationsbetrieben angewandt. Um dieses System für den Großbetrieb nutzbar zu machen, hatte man große Feuerungen angelegt, die es ermöglichten, hunderte von Bolzen im Feuer zu haben. Auf diese Weise konnten die Plätterinnen die kalt gewordenen Bolzen ohne Zeitverlust auswechseln und brauchten ihre Arbeit nicht zu unterbrechen. Aus diesen Bolzenöfen entwickelte sich schlechte rußhaltige Luft, die beim Plätten störend empfunden wurde, ebenso machte das Heranschaffen des Feuerungsmaterials viel Unzuträglichkeiten. Man kam deshalb auf den Gedanken, die Eisen durch Gas zu erhitzen, versuchte die verschiedensten Systeme und gelangte auf diese Weise zu der heute fast überall maßgebenden Schlauchplätterei. In die Eisen werden zwei Schläuche eingeführt, wovon der eine Gas fordert und der andere Luft, die Mischung vollzieht sich vor Eintritt in die Plätteisen und erzeugt eine Flamme, welche intensiv an die inneren Wände des Eisens geleitet wird und dadurch das Plätteisen von innen erhitzt. Es gibt auch eine Gasplätterei ohne Schläuche, die man ausschließlich für feinere Wäsche anwendet, da man hierdurch eine größere Sauberkeit erzielt und die Plätterin freies Auge und freie Hand für die Arbeit behält, (unter dem Namen „2 Eisensystem" bekannt). Auch hat man Betriebe, in denen die Erhitzung der Eisen durch elektrischen Strom stattfindet, was aber wegen der höheren Kosten wenig Anwendung findet. Bei Anwendung von Gas wird die Anlage größerer Ventilatoren nötig, da dies der beste Weg ist, den sonst unvermeidlichen Gasgeruch
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fernzuhalten und den Plätträumen, in denen oft hunderte von Plätterinnen arbeiten, gute Luft zuzuführen. Die Grundlage einer guten Plätterei ist und bleibt die Handarbeit, die Arbeiterinnen lassen sich leicht ausbilden und wenn guter und ernster Wille zur Arbeit vorhanden, ist der Verdienst sehr lohnend. Die Handplätterin ist für gute Ware unersetzlich, sie hat es in der Gewalt, dem Kragen die richtige Form und Weite zu geben, beim Hemd auf den Ausschnitt zu achten, und anderes mehr. In der Hand der Plätterin liegt es, dem Wäschestück den letzten Finish zu geben und es so nach Eigenart zu bearbeiten, daß es beim Tragen wohltuend wirkt und behaglich und angenehm sitzt. Der ausgebildeten Plätterin kommt ihre Kunstfertigkeit im späteren Leben jederzeit zu statten. Entweder verwertet sie das Erlernte im eigenen Haushalt oder benutzt ihre Kunst um sich im Hause einen neuen Erwerb zu gründen. Gesucht sind solche Plätterinnen stets und werden es nach Lage der Sache immer bleiben. In England und Amerika, wo die Beschaffung weibücher Arbeitskräfte größeren Schwierigkeiten begegnet, speziell da, wo es sich um körperlich anstrengende Arbeiten handelt, begann man früher als bei uns einen Ersatz für die Handplätterei zu suchen. Dies führte zur Erfindung von Plättmaschinen, die es heute für jede Sorte von Wäschestücken gibt, und die überall da zur Verwendung gelangen, wo es sich um Massenerzeugung gleichmäßiger Formen handelt, wo ein und derselbe Typ in Mengen von Dutzenden angefertigt werden kann, und wo man das Heil nicht in der Erhöhung der qualitativen Leistung, sondern in der Billigkeit zu finden sucht. In Vergleich zur Handarbeit sind diese Erzeugnisse nicht zu bringen, Chic und Eleganz der handgeplätteten Ware lassen sich durch die Maschine nicht hervorbringen, und das Persönliche, welches eine befähigte Handplätterin einem Wäschestück verleiht, kann durch die Maschine nicht wiedergegeben werden. Leitende, in der Branche maßgebende Detailgeschäfte führen deshalb nur handgeplättete Wäsche und halten höghstens einige Formen in Maschinenware in Reserve, um wenn nötig den Preisen der Konkurrenz begegnen zu können. Diese Ware kommt hauptsächlich für Massenkonsum und für Export in Betracht, wo man dem Wettbewerb der billiger arbeitenden Industrien des Auslandes gegenüber steht und auf die äußere Erscheinung keinen übermäßig hohen Wert legen kann. Infolge der
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stetigen Zunahme unserer inländischen Bevölkerung und des wachsenden Wohlstandes wird auch der Kreis der Plätt Wäsche tragenden Personen beständig größer. Da diese sich aus den weniger bemittelten Klassen rekrutieren, so ist zur Deckung dieses Bedarfs die im Massenbetrieb billiger herzustellende Maschinenware am besten geeignet. Die Installierung von Plättmaschinen hat unter solchen Verhältnissen auch bei uns erheblich zugenommen, und wohl die Hälfte der gesainten Wäscheerzeugung Deutschlands dürfte heute mittelst Maschinen geplättet sein. Durch die jahrelange Tätigkeit einer so großen Zahl von Personen in der Wäscherei und Plätterei hat sich ein besonderer Erwerbszweig herausgebildet in Gestalt der vielen ldeinen Privatwaschanstalten, denen man überall in Berlin begegnet. Morgens früh und Abends spät, zuweilen sehr spät, sieht man in Kellern und Läden fleißige Personen, in der großen Mehrzahl weiblich, mit dem Plätten von Oberhemden, lira gen und Manschetten beschäftigt. Im allgemeinen ist die Behandlung der Wäsche sorgfältig, und man erkennt deutlich, daß die Erfahrungen ausgenutzt werden, die die Inhaberinnen in ihrer früheren gewerblichen Tätigkeit gewonnen haben. Leider begnügen sich manche hiermit nicht, kaufen ohne Sachkenntnis Maschinen, die sie auf die Wäsche loslassen, und werden auf diese Weise die Ursache, daß selbst das beste Fabrikat in der Haltbarkeit Schaden nimmt. Kein Bekleidungsgegcnstand ist so vielen Gefahren der Zerstörung ausgesetzt wie ein Wäschestück, und doch sind die Ansprüche hieran am größten. Selten wird bedacht, wie oft so ein Kragen gewaschen wird, und daß ein kleiner Wäschebestand bei häufigerem Waschen nicht so lange halten kann wie ein größerer Bestand bei seltenerem Waschen. Bei der Anschaffung von Wäsche sollte man es sich vor Augen halten, daß das Beste in Wirklichkeit das Billigste ist und nicht übersehen, daß eine weniger gute Qualität genau so viel an Wasch- und Plättlohn kostet wie eine bessere, die Differenz im Anschaffungspreis also gar nicht mitsprechen kann. Mit der Plätterei ist die Endstation des Fabrikationsweges passiert, die fertige Ware durchläuft die Kontrolle, wo Stücke, selbst mit kleinstem Fehler, unnachsichtlich zurückgewiesen werden, und kommt dann in die Kartonniererei. Hier werden die Waren dutzend- oder halbdutzendweise mit farbigen Bändern gebunden und erhalten durch Kartonnierung und Etiquettierung den letzten Schliff, die sogenannte
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Ausstattung. Jeder Fabrikant hat das Bestreben, seinen Erzeugnissen eine geschmackvolle Ausstattung zu geben, da diese eine Empfehlung seines Fabrikats vorstellt und geeignet ist, den Absatz zu fördern. Es ist nicht immer leicht, den "Waren das gesuchte gefällige Äußere zu geben, in vielen Fällen ist sogar eine erfinderische Phantasie nötig, und man darf behaupten, daß sich auf diesem Gebiete eine direkte Kunstfertigkeit herausgebildet hat. Bei Entstehung der Berliner Wäscheindustrie wurden alle Waren per Dutzend mit einer Gummiöse zusammengehalten und in grünen oder weißen Kartons, gleichmäßig für jeden Abnehmer, in den Handel gebracht. Heute hat jeder Kunde von nur einigem Bedarf seine Spezialwünsche, die Art des Zusammenbindens, die Farbe der Bänder, die Farbe der Kartons, die Aufschrift, alles unterliegt besonderen Vorschriften, die sämtlich darauf zugeschnitten sind, dem Interesse der Schaufenster- und Ladendekoration zu dienen. Erst wenn diese Abteilung ihre Aufgaben erfüllt hat, kann die Expedition und der Versand der Ware nach allen Weltgegenden erfolgen. In der Berliner Wäscheindustrie ist das Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern jederzeit das denkbar beste gewesen und hat in dem halben Jahrhundert ihres Bestehens mit einer einzigen Ausnahme niemals eine Unterbrechung erfahren. Dieser eine Fall ereignete sich im Oktober 1905 im Anschluß an den großen Konfektionsstreik, der eine besonders lebhafte Bewegung unter der weiblichen Arbeiterschaft der Bekleidungsindustrie zur Folge hatte. Ein Arbeitnehmerverband trat damals mit der Forderung hervor, für sämtliche Wäschefabriken einen einheitlichen Lohntarif festzulegen. Dieser Forderung konnte nicht stattgegeben werden, da die Verschiedenartigkeit der Arbeit selbst wie der Arbeitseinrichtungen in den einzelnen Betrieben eine für alle Fabriken gleichmäßige Festsetzung des Lohnes absolut unmöglich machte. Man einigte sich dahin, unter Zuziehung von Vertrauenspersonen der Arbeiterschaft für jeden einzelnen Betrieb einen besonderen Lohntarif auszuarbeiten. Dieser Tarif wurde inzwischen erneuert, allerdings unter Erhöhung der einzelnen Lohnsätze, die unter Hinweis auf die durch die Finanzreform verteuerte Lebenshaltung gefordert wurde. Heute regelt der Tarif nicht nur die Lohnpositionen, sondern auch alle anderen Fragen, die das Arbeitsverhältnis betreffen, wie Arbeits-
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dauer und Pausen, Lieferung von Arbeitsmaterialien, Überstunden, Fabrikschluß an Feiertagen usw. usw., so daß Differenzen über Fragen der Beschäftigung und Entlohnung nicht mehr entstehen können, ein Zustand, mit dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer beiderseitig zufrieden sind. Die Berliner Wäschefabrikation braucht für ihre Qualitätsarbeit eine leistungsfähige Arbeiterschaft und ist deshalb gezwungen, ihren ausgebildeten Arbeiterstamm auch in Zeiten schlechter Konjunktur mit Beschäftigung zu versehen. Jeder Fabrikant besitzt für jede Abteilung der Fabrikation einen Stamm von Arbeitspersonen, beschäftigt demnach eine ganz bestimmte Anzahl von Zuschneidern, Näherinnen, Plätterinnen usw., für die während der Dauer des ganzen Jahres ein ausreichendes Arbeitsquantum vorhanden sein muß. Um die Leistungsfähigkeit der einzelnen Personen quantitativ wie qualitativ möglichst umfangreich zu gestalten, werden nicht nur Hemden, Kragen und Manschetten, von verschiedenen Abteilungen, Näherinnen bzw. Plätterinnen fertiggestellt, sondern jedes Ressort besitzt noch verschiedene Unterabteilungen, es werden z. B. glatte Stehkragen, Stehkragen mit Klappen, Umlegkragen wiederum von verschiedenen Kategorien von Näherinnen genäht, die fortdauernd nur eine dieser Kragensorten arbeiten. Es ist klar, daß durch diese Dezentralisation die größtmögliche Vervollkommnung erreicht wird; andererseits ergibt sich jedoch die Unmöglichkeit, bei gesteigerter Nachfrage nach einem bestimmten Genre die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, da es nicht möglich ist, aus anderen, weniger beschäftigten Abtciluugen Verstärkungen heranzuziehen. Da derartige Situationen nicht gerade selten vorkommen, so befindet sich der Fabrikant häufig in der wenig angenehmen Lage einen großen Teil seiner Aufträge, selbst bei angespanntester Tätigkeit, nur langsam oder gar nicht fertig bringen zu können, während er nicht weiß, woher er für den minder beschäftigten Teil seiner Arbeiterinnen Arbeit beschaffen soll. Als Beispiel mag der Artikel Umlegkragen erwähnt werden, der hauptsächlich in den heißeren Monaten Absatz findet, in der kühleren Jahreszeit aber wenig gefragt wird. Der Fabrikant steht in jedem Herbst und jedem Winter vor der Unmöglichkeit, für die Umlegkragen arbeitenden Personen Beschäftigung zu schaffen; im Frühjahr und m Sommer vermag er dagegen selbst bei angestrengtester Arbeit der i
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ungeheuren Nachfrage nicht zu begegnen. Das gleiche gilt für Hemdblusen, in denen günstigenfalls noch einige Wochen nach Pfingsten nennenswerte Bestellungen gemacht werden, deren Fabrikation dann aber bis zum Eintreffen der Herbstorders ruht. Man muß sich nun objektiv in die Lage des Fabrikanten hineindenken, der sich für jede Abteilung seiner Fabrikation in langjähriger und mühseliger Arbeit einen Stamm geschulter Personen aufgezogen hat und außerhalb der Saison Gefahr läuft, mangels ausreichender Beschäftigung einen Teil seiner Arbeiterschaft zu verlieren. Auch hier wachsen mit der Güte des Fabrikats die Schwierigkeiten, da die Fertigstellung besserer Fabrikate eine längere Schulung erfordert, die nur durch andauerndes Unterrichten seitens der leitenden Stellen zu erreichen ist. Theoretisch würde als idealer Zustand anzusehen sein, wenn brauchbare Arbeitskräfte ständig in genügender Zahl am Markte wären und je nach dem größeren oder geringeren Eingang von Aufträgen Einstellungen erfolgen könnten. Praktisch ist diese Möglichkeit, da nur ausgebildete Arbeiterinnen in Frage kommen, überhaupt nicht denkbar. Die Arbeiterzahl muß deshalb inlmer in dem Umfange gehalten werden, daß sie den Durchschnitt zwischen dem Bedarf der Hochsaison und dem der stillen Zeit darstellt. Den einzigen Ausgleich bietet hier die Heimarbeit. Die aus der Fabrik durch Heirat oder andere Verhältnisse ausscheidenden Arbeiterinnen behalten infolge ihrer langjährigen Beschäftigung in bestimmten Arbeitsfächern und der dadurch erworbenen Arbeitsfertigkeit auch nach dem Austritt ihren Arbeitswert, so daß die Fabrikanten Interesse daran haben, sich deren Arbeitskraft zu erhalten. Andererseits sind diese Personen darauf angewiesen, sich durch Heimarbeit einen Erwerb zu schaffen und stellen sich den Fabrikanten bei Vergebung von Arbeit gern zur Verfügung, wobei sie ihrer früheren Arbeitsstelle naturgemäß den Vorzug geben. Hierdurch erlangen die Fabrikanten die Möglichkeit, den Schwankungen der Geschäftslage zu einem gewissen Teile zu begegnen und durch Mehr- oder Minderbeschäftigung von Heimarbeiterinnen ihre Produktion nach den Bedürfnissen des Augenblicks zu erhöhen oder zu vermindern. Die einzelnen Betriebe unterscheiden sich wieder dadurch, daß die Mehrzahl nur Näharbeit außer dem Hause vergibt, Waschen und Plätten jedoch in eigenen Arbeitsräumen vornehmen
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läßt, da sie an diese Arbeiten einen so hohen Anspruch stellt, daß solche anderwärts nicht geleistet werden können. Andere jedoch, in der Hauptsache Kleinbetriebe, die wegen der Kostspieligkeit fabrikmäßiger Anlagen ihre Fabrikation mehr außer dem Hause betreiben, lassen ihre Erzeugnisse fast ganz durch Heimarbeiterinnen oder Hausgewerbetreibende herstellen. In Groß-Berlin dürften annähernd 10 000 Personen mit Heimarbeit für die Wäschefabrikation beschäftigt sein, doch läßt sich dies nur schätzungsweise angeben, da die für die vielen kleinen Unternehmen und für Detailgeschäfte als Heimarbeiterinnen tätigen Personen nicht zu kontrollieren sind, und deren Zahl ist sicher nicht unbedeutend; möglich, daß durch die Registrierpflicht der Heimarbeiterinnen später ein klares Bild zu schaffen ist. Im deutschen Reiche existieren ungefähr 70 Großbetriebe, die sich in der Hauptsache mit der Fabrikation gestärkter Herrenwäsche befassen und außerdem für die Herrenwelt Modeartikel für Sommer, Sport und Tennis fabrizieren. Hierzu treten Damenkragen und Damenoberhemden, die stark von der Kleidermode abhängen, und je nachdem diese das Tragen von waschbaren Kragen oder Blusen begünstigt, in größeren oder geringeren Mengen in weißen und bunten Stoffen von Baumwolle oder Leinen hergestellt werden. Die tägliche Produktion eines mittelgroßen Betriebes beläuft sich auf 4—600 Dutzend Kragen und Manschetten und 30—50 Dutzend Hemden, wenn der Betrieb einigermaßen besetzt ist. Größere Betriebe leisten bis zur Hälfte mehr. Der Wert der deutschen Produktion in gestärkter Herrenwäsche, der jährlich aus Fabrikbetrieben hervorgeht, wird heute auf etwa 60 Millionen Mark geschätzt, von denen gegen 18 Millionen in Gestalt von Arbeitslöhnen an die Arbeiterschaft entfallen. Die außerdem von Kleinbetrieben, Detailgeschäften und Warenhäusern hergestellten Mengen dürften einen Handelswert von etwa 40 Millionen Mark jährlich besitzen und 12 Millionen Mark Arbeitslöhne erfordern, so daß die gesamte Erzeugung Deutschlands in Herrenwäscheartikeln auf etwa 100 Millionen Mark zu bewerten ist, von denen 30 Millionen der weiblichen Arbeiterschaft jährlich als Arbeitsverdienst zugeführt werden. 60 Prozent der fertigen Waren werden in Deutschland abgesetzt, 25 Prozent entfallen auf das außerdeutsche europäische Geschäft, und der verbleibende Rest bildet den Export nach Ubersee.
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Das außcrdeutsche Geschäft hatte noch in den ersten Jahren des vorigen Jahrzehnts eine wesentlich größere Bedeutung. Die am 1. Mai 1905 in Kraft getretenen Handelsverträge haben unsere Position auf dem Weltmarkte jedoch so ungünstig gestaltet, daß ein erfolgreicher "Wettbewerb auf vielen Märkten nicht mehr möglich ist. Größere Absatzgebiete haben inzwischen mehr oder weniger erhebliche Erhöhungen der Einfuhrzölle auf fertige Wäsche eintreten lassen, die teilweise wie in Kußland, die Einführung unseres Artikels überhaupt ausschließen. Eine weitere Folge unserer Zollpolitik ist, daß in allen Ländern die einheimische Fabrikation ständig an Ausdehnung gewinnt und das kaufende Publikum immer weniger imstande ist, die durch die Zölle erhöhten Preise der aus anderen Ländern eingeführten Erzeugnisse zu zahlen. Nur, wo Qualitätswaren, also bessere Arbeitsleistungen in Frage kommen, bestehen für die deutsche Wäschefabrikation noch Absatzmöglichkeiten. Von der Neuregelung unserer Handelsbeziehungen im Jahre 1917 erhofft man eine Wendung zum Besseren und hat schon heute Vorkehrungen getroffen, um die Interessen der Wäschefabrikation nach dem Maße ihrer Bedeutung zu vertreten. Außer in Berlin befinden sich eine Reihe bedeutender Großbetriebe im Königreich Sachsen und in der Stadt Bielefeld und Umgegend. Die Bielefelder Wäscheindustrie ist schon von Altersher sehr angesehen, hat jedoch die Fabrikation von Kragen und Manschetten in größerem Umfange erst im letzten Jahrzehnt aufgenommen. Die sächsischen Betriebe fabrizieren in der Hauptsache baumwollene, billige Preislagen, die aber in großen Mengen hergestellt werden. Vor einigen Jahren haben sich die Vertretungen der Berliner, Bielefelder und sächsischen Wäschefabrikanten zusammengeschlossen und einen Zentral-Ausschuß gebildet, der die Gesamtinteressen der Branche in Deutschland in allen vorkommenden Fragen zu vertreten hat. Großbetriebe in der Wäschebranche beschäftigen 1500 speziell weibliche Personen und zählen mit ihren technischen, maschinellen und hygienischen Einrichtungen zu denjenigen interessanten Betrieben, die von Behörden und Körperschaften, von Hochschulen und anderen Lehranstalten gern und häufig in Augenschein genommen werden. Meine heutigen Ausführungen sollen dem Zwecke dienen, Ihnen die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Herrenwäscheindustrie
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für Handel und Gewerbe unseres deutschen Vaterlandes und für einen großen Teil unserer arbeitenden weiblichen Bevölkerung vor Augen zu führen. Ich habe versucht, dies in knappen Umrissen zum Ausdruck zu bringen und schließe mit dem Wunsche, daß die Herrenwäschefabrikation auch weiterhin als segensreicher Faktor unserer gesamten deutschen Industrie wirken, blühen und gedeihen möge.
VII. Anhang.
Literaturnachweise von
Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekar der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin.
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Literaturnachweise.
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K O R P O R A T I O N DER KAUFMANNSCHAFT V O N BERLIN
GEWERBLICHE EINZELVORTRÄGE gehalten in der Aula der HANDELS-HOCHSCHULE BERLIN Herausgegeben von den Ältesten d e r Kaufmannschaft von Berlin. Erste R e i h e : I. Die Entwicklung der elektrischen Industrie. Vortrag: des Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. A r o tu — IL Die Einrichtungen an der Berliner Börse. Vortrag des Herrn Kommerzienrat M. R i c h t e r . — HC. Geschichte und Technik der Textilindustrie. Vortrag des Herrn Stadtrat Dr. We i g e r t. — IV. Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte. Vortrag des Herrn H e r m a n n H e c h t . — V. Das Verkehrsbureau der (Corporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn Bureaudirektor H o f f m a n n . — VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Dr. R e i c h e , Bibliothekar der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Zweite R e i h e : (. Kaufmännische Auskunftserteilung in alter und neuester Zeit. Vortrag des Herrn W. S c h i m m e l p f e n g . — If. Die wirtschaftliche Bedeutung von Lieferungs-, Bürsentermin» und Spekulationsgeschäften in Waren. Vortrag des Herrn W. K a n t o r o w i e r Ä l t e s t e n der Kaufmannschaft von Berlin. — III. Deutsches Zahlungswesen unter Berücksichtigung des UberweUungs- und Scheckverkehrs. Vortrag des. Herrn J. K a e m p f , Präsidenten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — IV. Die Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn Dr.R e i c h e , Bibliothekars der Kaufmannschaft von Berlin. — V.Anhang Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e . Dritte R e i b e : I. Die Stellung der chemischen Industrie im deutschen Wirtschaftsleben. Vortrag des Herrn Fabrikdirektors Dr. W . C o n n s t c i n . — Ii. Warenhäuser und Spezialgeschäfte. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers F. G u g e n h e i in. — III. Die Organisation des Kupferhandels. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers Dr. F.. N o a h . — IV. Die wirtschaftliche Bedeutung der Terrain- und Hypothekengeschäfte. Vortrag des Herrn Geh. Staatsrat a. D . J . B u d d e , Direktors der Berliner Hypothekenbank. — V. Die Industrie der Lacke und Farben. Vortrag des Herrn I« M a n n , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e . V i e r t e Reihe: I. Die Vorbereitung des ostasiatischen Marktes für die Ausdehnung unseres Exportes dorthin. Vortrag des Herrn D. S a n d m a n n , Mitglieds der Handelskammer zu Berlin. —• II. Die F.ntwickelun?, Art und Bedeutung der modernen Holzbearbeitungsindustrie. Vortrag des Herrn F r a n z B e n d i x , Direktors der Ferdinand Bendix Söhne, Aktiengesellschaft für IIolzbearb«itung. — III. Terrain- und Ilyocthekengeschäfte. Vortrag des Herrn Geh. Staatsrats a. D. J. B u d d e , Direktors der Berliner Hypothekenbank. — IV. Die Entwicklung und Bedeutung der Calciumcacbid» und Stickstoffdünger-Industrie. Vortrag des Herrn Diplomingenieurs A. M. G o l d s c h r a i d t. — V. Die Organisation einer modernen Werkzeugmaschinenfabrik. Vortrag des Herrn Dr. W. W a l d s c h m i d t , Direktors der Aktiengesellschaft Ludw. l/oewe & Co. VI. Auhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e . F ü n f t e R e i h e : I. Die wirtschaftliche Bedeutung und die HandeUteclmik der Kohlensäure-Industrie. Vortrag des Herrn H u g o B a u m , Generaldirektors der Aktien-Gesellschaft für Kohlensäure» Industrie. — II. Weltausstellungen. Vortrag des Herrn Stadtaltesten Dr. W e i p e r t , Vizepräsident der Altesten der Kaufmannschaft von Berlin* — III. Die Entwicklung und Bedeutung der Schwachstrom-Industrie. Vortrag des Herrn Ingenieurs N e u h ol d , Direktors der Deutschen Telephonwerke. — IV. Die Entwicklung und Organisation des Eisenhandels. Vortrag des Herrn C. L. N e t t e r , Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — V. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e . S e c h s t e Reihe: I. Die wirtschaftliche Bedeutung der Kälteindustrie. Vortrag des Herrn Kommissions raU A l b e r t K r ü g e r , Direktors der Gesellschaft für Markt- und Kühlhallen. — II. Die deutsche Parfumerie- und Toiletteseifenindustrie in ihrer fabrikatorischen Entwicklung und wirtschaftlichen Bedeutung. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers Dr. F r a n z K ü t h n e r , Mitinhaber der Firma J. F. Schwarzlose Söhne. — III. Die industrielle Entwicklung der Photographie und ihre Bedeutung für Handel und Industrie. Vortrag des Herrn C a r l B r e u e r , Prokuristen der Neuen I'hotographischcn Gesellschnft, Akt.-Ges. — IV. Die Entwicklung der Berliner Damenkonfektions-Industrie. Vortrag des Herrn O s c a r H e i m a n n , Mitglied des Kollegiums der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. — V. Die Entwicklung und wirtschaftliche Bedeutung der Zündholzindustrie. Vortrag des Herrn Fabrikbesitzers C. T h i e m e , Mitinhaber der Finna A. Roller, Maschinenfabrik. — VI. Anhang: Literaturnachweise. Von Herrn Bibliothekar Dr. R e i c h e .
Preis jeder Reihe 2 Hark
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KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN
Die Handels-Hochschule Berlin Beriebt über die erste Rektoratsperiode 1906—1909 Erstattet von dem Rektor Prof. Dr. JastTOW Preis 3 Mark Der Bericht enthält die grundlegende und ausführliche Darstellung der Unterrichtsziele und Unterrichtsverfassung der Handels-Hocbschule in allen ihren Zweigen.
Bericht über das vierte u.fünfteStudienjahrOktober 1909/11 Erstattet vön dem Rektor Prof. Dr. A. Binz Preis 1 Mark 50 Pfennig
Bericht über das sechste Studienjahr Oktober 1911/12 Erstattet von dem Rektor Prof. Dr. A. Binz Preis 1 Mark 20 Pfennig
Bericht über das siebente Studienjahr Oktober 1912/13 Erstattet ven dem Rektor Prof. Dr. A. Binz Preis 1 Mark 20 Pfennig
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Reden
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gehalten in der Handels-Hochschule Berlin
Ursprung und Entwicklung der chemischen Industrie Zur Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers am 27. Januar ig 10 in der Aula der Handels-Hochschule vorgetragen von Professor Dr. A. Binz Preis 80 Pfennig
Die Mission der Teerfarben-Industrie Festrede zur Eröffnung des sechsten Studienjahres der Handels-Hochschule Berlin am 28. Oktober 191t. Von Professor Dr. A. Binz pjeis 70 Pfennig
Chemische Industrie und Volksernährung Festrede zur Eröffnung des siebenten Studienjahres am 2. November 1912. Von Professor Dr. A. Binz Preis 70 Pfennig
Der deutsche Kaufmann und die koloniale Expansion der Völker Westeuropas Zur Feier des Geburtstages S. Maj. des Kaisers am 27. Januar 1908 in der Aula der Handels-Hochschule vorgetragen von Professor Dr. C. Dunker Preis 80 Pfennig
Kaufmannsbildung und Hochschulbildung, Bürgertum und Staatsverwaltung Zwei akademische Festreden gehalten in der Aula der Handels-Hochschule Berlin von dem Rektor der Handels-Hochschule Prof. Dr. J. Jastrow p r e i s , Mark
Carl Dunker
( t 10. Dezember 1910)
Gedächtnisrede gehalten in der Aula Professor Dr. J. Jastrow
der Handels-Hochschule Berlin
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Preis 70 Pfennig
England im Spiegel des Auslands Zur Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers am 27. Januar 1911 in der Aula der Handels-Hochschule vorgetragen von Dr. Heinrich Spies Preis 76 Pfennig
Die Erweiterung der Herrschaft des Menschen über die Erdoberfläche während der letzten 25 Jahre und der Anteil der Deutschen daran Festrede gehalten zur Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums Sr. Maj. des Kaisers und Königs am 16. Juni 1913 in der Aula der Handels-Hochschule Berlin. Von Professor Dr. Georg Wegener preis 80 Pfennig
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