Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen [1 ed.] 9783428464111, 9783428064113


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Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen [1 ed.]
 9783428464111, 9783428064113

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LOTHAR MAHLBERG

Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 532

Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen

Von Dr. Lothar Mahlberg

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Mahlberg, Lothar: Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen / von Lothar Mahlberg. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 532) Zugl.: Würzburg, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06411-9 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06411-9

Meinen Eltern gewidmet

„Die Gesellschaft muß doch auch zum Teil selbstthätig mitwirken zu ihrem Schutze wider verbrecherische Angriffe. Sie ist doch wahrlich kein unmündiges Kind, das sich nicht wehren kann! " Binding, Grundriß des Deutschen Straf rechts, 8. Aufl. Leipzig 1913, S. X I X .

Vorwort Gewerbliche Wach- und Sicherheitsunternehmen übernehmen heute Gefahrenabwehraufgaben in weiten „öffentlichen" oder „öffentlichkeitswirksamen" Bereichen - in Kernkraftwerken, Bahnhöfen, Bundeswehreinrichtungen usw. - Wohin soll der Weg gehen? Soll es in Zukunft eine weitere Privatisierung der Gefahrenabwehr geben, oder muß jene Tendenz wieder rückgängig gemacht werden? Bedarf es neuer, polizeirechtlichen Befugnisnormen vergleichbarer Handlungserlaubnisnormen für professionelle private Ordnungsschützer oder reicht ζ. B. die strafrechtliche Nothilfevorschrift? Genügen die geltenden gewerberechtlichen Vorschriften den Anforderungen für eine effektive Berufszugangs- und -ausübungskontrolle? Ich plädiere für einen sehr weitgehenden Einsatz privater Unternehmen im Bereich der Gefahrenabwehr. Die für Jedermann geltenden Notrechte reichen als Tätigkeitsgrundlage; der Gesetzgeber braucht sich also nicht einzuschalten. Die Gewerbeaufsicht muß freilich u. U. intensiviert werden und auch den Gesichtspunkt der fachlichen Qualifikation des Gewerbetreibenden erfassen; hierfür genügen die derzeitigen Gewerbeaufsichtsvorschriften indes gleichfalls. - Mit diesen hier pointiert zusammengefaßten Ergebnissen sind die Thesen der Arbeit umrissen; mag man sich nunmehr daran stoßen oder sie, was ich wünschenswert fände, verstärkt in die Praxis umsetzen. Die Untersuchung hat im Sommersemester 1987 der Juristischen Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation vorgelegen. Während der Drucklegung wurde die Veröffentlichung der Abhandlung von Bracher zum gleichen Problembereich angekündigt; sie konnte hier leider keine Berücksichtigung mehr finden. Die Diskussion wird, dessen darf man sicher sein, anhalten. Für die Unterstützung bei der ziemlich zügigen Fertigstellung der Arbeit habe ich vielen zu danken. Genannt seien hier vor allem der Polizeipräsident von Oberbayern und der Bundesverband der Deutschen Wach- und Sicherheitsunternehmen, die mich mit umfangreichem Material und wertvollen Hinweisen bedachten. Von besonderem Nutzen waren mir freilich die zahlreichen Gespräche, die ich mit den beiden Betreuern der Arbeit führen konnte: meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Franz-Ludwig Knemeyer von der öffentlich-rechtlichen, sowie Herrn Prof. Dr. Ulrich Weber von der strafrechtlichen Zunft. Von ihnen habe ich viele Anregungen und Ideen erhalten, die in diese Untersuchung eingeflossen sind. Bonn-Bad Godesberg, im Juni 1987

Mahlberg

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

Erstes Kapitel Historisches und Empirisches I. Entstehung, Entwicklung und heutiges Erscheinungsbild privaten Wachgewerbes

26

26

1. Am Anfang der Nachtwächter?

26

2. Gewerbliche Wachdienste als Reaktion auf verschlechterte Sicherheitslage

27

3. Frühe Mißstände und gesetzliche Reformanliegen

28

4. Beurteilung der Tätigkeit der Wach- und Schließgesellschaften

29

5. Die Sicherheitslage heute

30

6. Neuere Entwicklungen des Sicherheitsgewerbes

32

a) Umsatz-, Betriebs- und Beschäftigtenzahlen

32

b) Aufgabenbereiche und Auftraggeber

33

7. Übernahme derzeit privat erledigter Sicherheitsaufgaben durch die Polizei?

35

8. Aufgaben privater, gewerblicher Wachdienste und Berufsbild

36

9. Gründe für die Beschäftigung privater Sicherheitsdienste

36

a) Künstlicher Angstmarkt?

36

b) Weisungsunterworfenheit privater Wachdienste

37

c) Kosten

38

d) Mittelbare Auswirkungen der Sicherheitslage

39

e) Zusammenfassung

40

II. Andere Erscheinungsformen privater Sicherheitseinrichtungen

40

1. Werkschutz

41

2. Sonstige private Gefahrenabwehreinrichtungen

43

3. Schlußbemerkung

44

III. Exkurs: Private Sicherheitsdienste im Ausland 1. Sicherheitslage und Überforderung der Polizei im Ausland

44 45

Inhaltsverzeichnis

12 2. Auslandszahlen

46

3. Gesetzliche Regelung des privaten Sicherheitsgewerbes im Ausland . . .

47

4. Schlußbemerkung

48

Zweites Kapitel Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol, Demokratie- und Sozialstaatsgebot I. Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung als Aufgabe des Staates

50

50

1. Allgemeines

50

2. Entwicklung des Polizeibegriffs

51

3. Polizei als Musterfall der Hoheits-und Eingriffsverwaltung

51

4. Zusammenfassung

52

II. Wahrnehmung der Aufgabe öffentlicher Sicherheitsgewährleistung durch Private

52

1. Befund

52

2. Rechtsgrundsätzliche Einordnung unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips

53

a) Das Subsidiaritätsprinzip - ein diffuser Begriff von unklarer Aktualität

53

aa) Ursprung des Subsidiaritätsprinzips

54

bb) Inhaltsbestimmungen

54

cc) Wesentlicher Gedanke des Subsidiaritätsprinzips

55

b) „So wenig Staat wie möglich" als Leitlinie des Grundgesetzes

56

aa) Subsidiaritätsprinzip im Verhältnis Staat - Private

57

bb) Subsidiaritätssatz: „So wenig Staat wie möglich"

58

cc) Öffentliche Aufgaben = Aufgaben des Staates?

59

dd) Einordnung der öffentlichen Aufgabe „Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung"

61

α) „Formell-staatliche Aufgabenbereiche"

61

ß) „Materiell-staatliche Aufgabenbereiche"

63

ee) Öffentliche Sicherheit und Ordnung als Teil des obrigkeitlichen, ausschließlich dem Staat vorbehaltenen Imperiums?

66

ff) Subsidiarität und Eingriffsverwaltung

73

gg) Entbehrlichkeit der „Beleihung"

75

hh) Zwischenergebnis

78

Inhaltsverzeichnis III. Bedenken gegen private Gefahrenabwehrtätigkeit aus dem Rechtsstaats-, Demokratie- und Sozialstaatsprinzip

78

1. Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips: Das staatliche Gewaltmonopol als Grenze privater Eingriffsbefugnisse

78

a) Grund und Wesen des staatlichen Gewaltmonopols

78

b) Zurückdrängung der Privatinitiative bei der Bekämpfung von Rechtsguts Verletzungen

80

c) Entstehung von Privatarmeen

86

2. Private Sicherheitsdienste - ein demokratisch ungenügend kontrollierbares Machtpotential?

88

3. Private Sicherheitsdienste im Sozialstaat: Sicherheit nur für Reiche? . .

91

a) Käufliche Sicherheitsgewährleistung

91

b) Unsoziale Umlenkung der Kriminalität

92

c) Resozialisierungsfeindlichkeit

94

4. Ergebnis

95

Drittes Kapitel Jedermannrechte als Eingriffs-„Befugnisnormen" für private Sicherheitsdienste? I. Problemstellung

97 97

1. Nothilfe als Befugnisnorm für den Kampf um Recht und Ordnung . . . .

97

2. Umfangreichere Kompetenzen für den privaten Nothelfer als für die Polizei?

98

3. Gang der weiteren Untersuchung

99

II. Grund und Wesen der Nothilfe

100

1. Zwei Strömungen in der strafrechtlichen Forschung

100

2. Individualistischer Aspekt der Notwehr

101

3. Notwehr als Eingriffsbefugnis zum „Kampf gegen das Unrecht"

103

4. Konsequenzen aus dem primär überindividuellen Aspekt der Nothilfe . . 106 a) Notwehr nur in „psychischen Ausnahmesituationen"?

107

b) Notwehr als private Ausübung staatlicher Befugnisse

108

5. Unterlassene Hilfeleistung als materiell-rechtliche Absicherung der überpersönlichen Nothilfe 109 6. Zusammenfassung III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 1. Strafrechtstheorie gegen eine Bindung

110 111 111

Inhaltsverzeichnis

14

2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 113 a) Übermaß verbot

114

b) Rechtliche Struktur; sedes materiae

115

c) Anwendungsbereich

116

3. Anwendung dieser Grundsätze im Bereich des Strafrechts

117

4. Neuere Tendenzen der strafrechtlichen Lehre zugunsten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 122 IV. Verhältnismäßig gebundene Notwehr als Eingriffserlaubnis für „professionelle Nothelfer" 124 1. Problemstellung 2. Angriffe als tatsächliche „Notlage" auch für professionelle Wächter

124 . . 124

3. Rechtsgrundsätze der Notwehrprovokation

125

4. Spezialerlaubnisnormen de lege ferenda abzulehnen

126

V. Zusammenfassung der bisherigen Erörterungen; weiterer Gang der Untersuchungen 127 VI. Sonstige, als Eingriffsgrundlage taugliche „Jedermannrechte"

128

1. Zivilrechtliche Notwehr, § 227 BGB

128

2. Notstandsvorschriften

128

a) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB, und defensiver bzw. aggressiver Notstand, §§ 228 und 904 BGB 128 b) Entschuldigender Notstand, § 35 StGB 3. Vorläufige Festnahme, § 127 I StPO

129 130

VII. Gesamtbeurteilung des Tätigwerdens Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 132 1. Bisheriges Ergebnis 2. Abgrenzung zum polizeilichen Tätigkeitsbereich a) Grenzziehung

132 132 132

b) Rechtslage im Bereich konkurrierender „Eingriffsbefugnis" privater und öffentlicher Hand 133 aa) Private Eingriffsrechte bei nichtpräsenter Polizei

134

bb) Private Eingriffsrechte bei präsenter Polizei

136

c) Materielle Grenze für private Abwehreingriffe (Kreis der zu schützenden Rechtsgüter) 138 aa) Notwehrfähige Rechtsgüter bb) Notstandsfähige Rechtsgüter d) Zusammenfassung 3. Rechtspolitische Beurteilung dieses Ergebnisses

139 143 145 146

Inhaltsverzeichnis VUL Eingriffsberechtigungen aufgrund der Jedermann-Notrechte im einzelnen 150 1. Notwehr bzw. Nothilfe

151

2. Notstands Vorschriften

153

3. Festnahmerecht

153

a) Verdachtsgrad

154

b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

155

c) Festnahme nicht nur durch den Tatentdecker

156

d) Einzelheiten zur Identitätsfeststellung

156

aa) Materiell-rechtliche Ergänzimg des § 127 StPO durch § 111 OWiG 156 bb) Festnahme oder Ausweiskontrolle? IX. Schlußbemerkung

157 159

Viertes Kapitel Weitere Rechtsgrundlagen für Eingriffe Privater; Straftatbestände als rechtliche Schranken für private Gefahrenabwehr

160

I. Handlungsberechtigungen aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zu den Eingriffsadressaten 161 II. Handlungsberechtigungen gegenüber jedermann aufgrund abgeleiteter Rechte 162 1. Rechte aus Besitz, Eigentum und Anspruchsinhaberschaft a) Besitzschutzrechte

163 163

aa) Zur Ausübung der Besitzschutzrechte berechtigte Personen . . . 163 bb) Art und Umfang der Besitzschutzrechte α) Besitzwehr ß) Besitzkehr

164 164 166

b) Selbsthilferechte des Eigentümers

168

c) Selbsthilferechte des Anspruchsinhabers

168

aa) Ausübung des Selbsthilferechts durch Dritte

168

bb) Art und Umfang der Selbsthilferechte

169

cc) Die Subsidiaritätsklausel des § 229 BGB

171

2. Abgeleitete Wahrnehmung des Hausrechts

173

a) Privates Hausrecht

174

b) Öffentlich-rechtliches Hausrecht

175

c) Wahrnehmung des öffentlich-rechtlichen Hausrechts durch Private? 177 aa) Hausverweis und Hausverbot als Ausübung des Hausrechts . . . 178 bb) Hausverweis als schlichte Ausübung der Notrechte

180

Inhaltsverzeichnis

16

d) Zusammenfassende Betrachtung des Hausrechts

181

aa) Hausverbote

181

bb) Hausverweise

182

cc) Gewaltsame Entfernung Dritter aus Räumen

182

dd) Vorgabe des Willens des Hausrechtsinhabers e) Ergebnis

183 185

3. Spezialgesetzliche Übertragung von Berechtigungen auf private Wachdienste ohne gleichzeitige Beleihung mit obrigkeitlichen Befugnissen? . . 186 a) Allgemeiner Überblick

186

b) Speziell: Eingriffsbefugnisse aufgrund des UZwGBw

187

III. Straftatbestände als rechtliche Schranken für private Eingriffsmaßnahmen 190 1. Notrechtsdogmatische Fragen, speziell die Irrtumsproblematik

190

2. Angehörige privater Sicherheitsdienste als Amtsträger i. S. des StGB? . 192 a) Amtsträger gemäß § 111 2 StGB aa) Beamte

192 192

bb) Personen i n sonstigem öffentlich-rechtlichem Amtsverhältnis . . 193 cc) Zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bei Behörden o. ä. Bestellte 193 α) Anstellung durch Behörden oder „sonstige Stellen"

194

ß) Funktionale Wahrnehmung von „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung" 195 γ) Auftreten kraft überlegenen Rechts

196

δ) Privatrechtlich organisierte öffentliche Verwaltungsstellen . . 197 ε) Form und Art der Bestellung

198

b) Richter und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete gem. §§111 Nr. 3, 4 StGB 198 c) Zusammenfassung

199

3. Einzelne Straftatbestände von praktischer Relevanz im Zusammenhang mit gefahrenabwehrender Tätigkeit privater Sicherheitsdienste 199 a) Strafbares Unterlassen von Abwehrmaßnahmen

199

b) Nötigimg; Erpressung (§§ 240, 253 StGB)

203

c) Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)

206

d) Sachbeschädigung; Körperverletzung (§§ 303 StGB; 223 ff., 340 StGB) 207 e) Beleidigungstatbestände (§§ 185ff. StGB)

207

f) Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)

209

g) Nichtanzeige geplanter Straftaten und Amtsanmaßung (§§ 138, 132 StGB) 210 IV. Schlußbemerkung

212

Inhaltsverzeichnis Fünftes Kapitel Gewerberechtliche Probleme

213

I. Recht des Wachgewerbes

213

1. Einführung

213

2. Überblick über die Entwicklung der gewerberechtlichen Lage

213

3. Einzelne Randprobleme des Bewachungsgewerberechts

215

a) Begriff der Bewachungstätigkeit

215

b) Bewachung nur im stehenden oder auch im Reisegewerbe?

216

c) Ausbildung

218

II. Zugang zum Gewerbe

221

1. Erlaubnispflicht

221

a) Gebundener Charakter der Erlaubnis

221

b) Erfordernis restriktiverer Zuverlässigkeitsbeurteilung

222

2. Zuverlässigkeit

223

a) Überkommene Interpretation des Begriffs in „bloß-sittlicher" Hinsicht 223 b) Gefährdungsschutz als Zweck der „Zuverlässigkeits"-Klausel . . . . . 224 aa) Schutz vor abstrakten Gefahren

224

bb) Abstufung der Gefährdungspotentiale und Abwägung mit Individualinteressen 225 cc) Typische Gefährdungspotentiale bei der Ausübung des Bewachungsgewerbes . 226 c) Sachkunde als Voraussetzung für ordnungsgemäße Ausübung des Bewachungsgewerbes 227 d) Subsumtion des Sachkundeerfordernisses unter das Zuverlässigkeitskriterium unter dem Blickwinkel von Art. 12 GG 228 aa) Grundsätze verfassungsgerichtlicher Grundrecht der Berufsfreiheit

Rechtsprechung

bb) Sachkundeerfordernis nur, wo es gesetzlich normiert ist?

zum 229 230

cc) Aufgabenstruktur des Bewachungsgewerbes und Grundsätze des „staatlich gebundenen Berufs" 232 dd) Sachkunde als Voraussetzung der Einhaltung einzelner normierter Gewerbeausübungsvorschriften 234 ee) Zusammenfassende Beurteilung der Voraussetzungen an die Sachkunde de lege lata 235 e) Subsumtion des Sachkundeerfordernisses unter das Zuverlässigkeitskriterium bei der praktischen Erlaubnisprüfung 237 aa) Konkretisierung des beabsichtigten Aufgabenbereiches bei der Antragstellung 238 bb) Eingeschränkte Gewerbeerlaubnis

239

Inhaltsverzeichnis

18

cc) Verstärktes Operieren mit Auflagen und Auflagenvorbehalten . . 239 dd) Gewerberechtliches Erlaubnisinstrumentarium genügt praktischen Erfordernissen 241 f) Sachkundenachweis de lege ferenda

242

aa) Problemstellung

242

bb) Generelles Sachkundeerfordernis und „Berufsbild"

242

cc) Differenzierende gesetzliche Regelung

245

III. Gewerbeüberwachung

245

1. Mißstände im Wachgewerbe und staatliche Aufsicht

246

a) Mangelhafte staatliche Überwachungspraxis oder mangelhafte gesetzliche Kontrollmöglichkeit? 246 b) Lückenhafte Überwachung und Amtshaftung 2. Aufsichts- und Kontrollinstrumentarium a) Auskunft

248 250 251

b) Nachschau

252

c) Erlaubnisrücknahme bei Unzuverlässigkeit

252

3. Folgerungen

253 Schlußbemerkung

255

Literaturverzeichnis

256

Abkürzungen Es werden die üblichen Abkürzungen verwendet, die - bis auf die nachfolgend aufgeführten - dem Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, bearbeitet von Hilbert Kirchner und Fritz Kastner, 3. Aufl., Berlin und New York 1983, folgen. DNP

= Die Neue Polizei

DP

= Die Polizei

FS

= Festschrift

Krim

= Kriminalistik. Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis

ME

= Musterentwurf

m. N.

= mit Nachweisen

SZ

= Süddeutsche Zeitung

VwR

= Verwaltungsrecht

W + S Information

= (Halbjahresschrift des Bundesverbandes des Deutschen Wach- und Sicherheitsgewerbes)

Einleitung Tätigkeit auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wird auf den ersten Blick untrennbar und ausschließlich mit den Stichworten „Polizei" und „Staatsaufgäbe" assoziiert - eine geradezu instinktive gedankliche Begriffskombination, welcher das einschlägige Schrifttum durchgehend Vorschub leistet. Von einem „Kernbestand" staatlicher Aufgaben 1 liest man da, zu denen vor allem die öffentliche Sicherheit und Ordnung zähle 2 . Im Zusammenhang mit gefahrenabwehrender Tätigkeit ist von „ausschließlich hoheitlicher Verwaltung" und dem „Paradebeispiel staatlicher Eingriffsverwaltung" die Rede3. „Polizeiaufgaben" in Verbindung mit privater Tätigkeit - nach dieser Verbindung sucht man auch in den 4 Darstellungen des Polizeirechts vergeblich. Dieser grobe Befund ist um so erstaunlicher, als gefahrenabwehrende Tätigkeit durch Private tatsächlich ein altbekanntes Phänomen ist - man denke an die längst etablierten - „Wach- und Schließgesellschaften", die auf gewerblicher Basis Sachwerte vor Rechtsbrechern schützen. Sofern sich die Polizeirechtswissenschaft in der Vergangenheit überhaupt einmal mit dieser privaten Gefahrenabwehr befaßte, tat sie dies in Form säuberlicher Aus- und Abgrenzung: „Hauptgebiet des polizeilichen Wirkens ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, das Betätigungsfeld bleiben Straßen und Plätze, Versammlungsorte und Verkehrsmittelpunkte. Das Innere der Privathäuser dagegen, Wohnung und Gesellschaftsräume entziehen sich der polizeilichen Beobachtung ... In diesen Ausführungen ist knapp und klar die Grenze polizeilicher und „privatpolizeilicher" Arbeit gezogen"5. Auf diesem Erkenntnisstand ist die Rechtswissenschaft, so scheint es, stehengeblieben, dieweil das private „Wach- und Sicherheitsgewerbe", wie es sich heute nennt, eine bemerkenswerte Metamorphose erlebt hat: Nicht mehr nur das „Innere der Privathäuser" und deren Umgebung ist Betäti1

Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 131. Statt vieler Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, Festschrift Nipperdey, S. 877 (892); Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 347 ff., jeweils mit zahlreichen N. 3 von Münch in Erichsen / Martens, VwR AT, S. 20; Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 89 f. 4 Meisten; eine Ausnahme machen Riegel, POR, S. 78 ff., sowie neuerdings Busch u. a., Die Polizei i n der Bundesrepublik, S. 41 ff. 5 Katschke / Schmid, Das Recht des Wachgewerbes, S. 11. 2

22

Einleitung

gungsfeld der Unternehmen, sondern U-Bahnhöfe 6 , Sportplätze und Flughäfen 7 , also „die Öffentlichkeit", der Verkehrsraum des Massenpublikums. Selbst Objekte des hochsicherheitsempfindlichen Bereiches, nämlich Bundeswehreinrichtungen 8 und Kernkraftwerke 9 werden von gewerblichen Unternehmen bewacht. In all jenen Bereichen halten „private Sicherheitsdienste", wie sie im folgenden kurz bezeichnet werden, inzwischen die „Ordnung" aufrecht. Erstmals gegen Mitte der 70er Jahre gerieten einzelne dieser Unternehmen in die Presseschlagzeilen 10 sowie nachfolgend auch in die öffentliche Diskussion. Als besonders schlagzeilenträchtig erwies sich hierbei ein Münchener Unternehmen, für dessen Personal sich rasch nach der von ihm getragenen Uniform die Bezeichnung „Schwarze Sheriffs" eingebürgert hatte. Im Zeitraum von wenigen Jahren war dieses Unternehmen 15 mal Gegenstand kleiner und großer Anfragen im Bayerischen Landtag und darüber hinaus Anlaß für diverse (kürzere) Einzelabhandlungen im juristischen Schrifttum 1 1 . Erstmals 1976, sodann eingehend 1977 sowie erneut 1980 befaßte sich ein Seminar der Polizeiführungsakademie in Hiltrup mit dem Problembereich. 1977 hielt der Hamburger Staatsrechtler Hoffmann-Riem erstmals ein grundsätzlich gehaltenes Referat, in dem er die Zulässigkeit derartiger „öffentlicher" Gefahrenabwehrtätigkeit Privater rundweg verneinte und den Gesetzgeber zum Einschreiten aufforderte 12 . Nach diesem Signal ist die Reihe der kritischen Stellungnahmen zum Thema „private Sicherheitsdienste" nicht verstummt 13 . 1982 befaßte sich der Bundesminister des Innern mit der Problematik. Er kam einem Auftrag des Innenausschusses des Deutschen Bundestages nach 6

Hierzu Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 44 (FN 43). Hierzu etwa Pfennig, Die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben durch private und öffentliche Einrichtungen, PFA 1980, S. 7 (22 ff.); Bericht B M I 1986, S. 8. 8 Vgl. etwa Protokoll der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 5. 12. 1984 (BT-Drucksache 10/2544), abgedruckt unter dem Titel „Bundeswehrobjekte und zivile Bewachung" in W+S Information 162, 33 ff. 9 Vgl. Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59 f. 10 Zahlreiche Beispiele werden zitiert und kommentiert von Hammacher, Betrieblicher Werkschutz, PFA 1980, 59 (60 - 62). 11 Vgl. insoweit den einleitenden Bericht von Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59 f.; aus der Presse vgl. statt zahlreicher Einzelmeldungen den zusammenfassenden Bericht unter der Überschrift „Körperverletzung und Meineid" in SZ vom 7./8. 12. 1985, S. 19. Auch das BVerfG hat sich mittelbar mit den Schwarzen Sheriffs und ihrer „Publicity" befassen müssen, als es die Frage entschied, inwieweit kritisch-polemische Presseberichte über das Unternehmen vom Grundrecht der Pressefreiheit gedeckt seien (BVerfG BayVBl. 1985, 749 f.). 12 Abgedruckt in den Mitteilungen der Polizeiführungsakademie sowie in ZRP 1977, 277 ff.; nach letzterer Fundstelle wird im folgenden zitiert. 13 Rechtswissenschaftliche Abhandlungen zum Themenbereich sind in dieser Untersuchung, soweit ersichtlich, vollständig berücksichtigt; insoweit sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen. 7

Einleitung

und erstattete diesem, nach Fühlungnahme mit den Innenministerien der Länder und diversen Verbänden, einen Bericht über den Themenkomplex des privaten Sicherheitsgewerbes 14. In seiner Gesamtbeurteilung kann man diesem Bericht zwar eine grundsätzlich „positive" Tendenz bescheinigen; indes werden rechtlich noch wenig geklärte „neuralgische Punkte" namhaft gemacht und kritisch angesprochen: das Verhältnis privater Gefahrenabwehr zum gemeinhin als „staatlich" apostrophierten Charakter der Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung; Rechtsgrundlagen für die mit Eingriffen verbundene Tätigkeit professioneller privater Wachleute; gewerberechtliche Probleme der Zulassung und Überwachung privater Sicherheitsdienste 15 . Mit diesen Problemkreisen ist der Gegenstand der vorliegenden Abhandlung im wesentlichen umrissen. Sie unternimmt den Versuch, die Tätigkeit auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in das Kompetenzverteilungssystem zwischen Privaten und Staat vor dem Hintergrund beträchtlichen privaten Engagements auf diesem Sektor einzuordnen und die Frage nach der Zulässigkeit derartiger privater Betätigung grundsätzlich zu klären. Diese Untersuchung ist zum jetzigen Zeitpunkt fällig; denn die Diskussion über jene Frage hält erkennbar - und kontrovers - an 16 . Ihr vorläufig spektakulärstes Ergebnis dürfte die Kündigung des Überwachungsvertrages der Stadt München mit den „Schwarzen Sheriffs" sein, die seitens des Münchener Stadtrats Ende 1985 ausgesprochen wurde und in ersten Teilen 1987 Wirksamkeit erlangen wird 1 7 . Die in diesem Zusammenhang gewechselten Argumente sind unverkennbar stark von politischen Vorstellungen geprägt und haben leider die Ebene unvoreingenommener juristischer Deduktion weitgehend verlassen. Die Auseinandersetzung im Münchener Stadtrat um die Kündigung der „Schwarzen Sheriffs" macht das exemplarisch deutlich 18 . Mit den Stichworten „Privatpolizei" oder sogar „Privatarmee" lehnt die eine Seite jegliches Engagement Privater im Gefahrenabwehrsektor rund14

Im folgenden zitiert als Bericht B M I 1982. Eine Kurzfassung des Berichts mit Zusammenfassung der Problembereiche in DP 1985, 33 ff. unter der Überschrift „Die Aufgabenverteilung zwischen privaten Sicherheitskräften und der Polizei beim Schutz gefährdeter Objekte und Personen". - Inzwischen ist der Bericht des B M I fortgeschrieben worden - Fortschreibung zitiert als Bericht B M I 1986 - , ohne daß sich in einem Punkt eine geänderte Stellungnahme ergeben hätte. 16 Kurz vor Weihnachten 1985 waren die „Schwarzen Sheriffs" Gegenstand eines Fernsehberichtes der ARD, der von Wolfbauer unter der Überschrift „Schwarze Sheriffs nicht lauter schwarze Schafe", BayGemZ 1986, S. 3 kritisch besprochen wurde. 17 Vgl. hierzu Sonderberichte der SZ vom 7./8.12.1985, S. 19, unter der Überschrift „Für Münchens Untergrund: Staatlicher Werkschutz statt einer umstrittenen Privattruppe". 18 Vgl. den eingehenden Bericht der SZ vom 4. 12. 1985, S. 14. 15

24

Einleitung

weg ab und weist dem Staat die ausschließliche Kompetenz zu. Daß die Vertreter dieser Ansicht in einer Partei beheimatet sind, die auch in anderen Bereichen den Verantwortungs- und Funktionsbereich des Staates ausgeweitet sehen möchte, nimmt nicht wunder. Die Befürworter „privater Gefahrenabwehr" favorisieren in ihrer politischen Grundtendenz allgemein privates Engagement vor solchem der öffentlichen Hand. Es gilt, die hier anzustellenden rechtlichen Überlegungen von jener politisch-emotionalen Aufladung möglichst freizuhalten, von der die Tagesdiskussion bedauerlicherweise übermäßig geprägt ist. Die Untersuchung wird folgenden Weg gehen: Das erste Kapitel - „Historisches und Empirisches" - w i r d sich nach einem gerafften geschichtlichen Überblick über Entstehung und Entwicklung des Überwachungsgewerbes ( 1 1 - 4 ) dessen heutigen Erscheinungsformen zuwenden ( 1 5 - 9 ; II). Beschäftigungs- und Umsatzzahlen der Branche und Betätigungsfelder des Gewerbes sind hier eingehend zu erörtern und in Relation namentlich zur Dienststärke der staatlichen Polizei zu setzen. Des weiteren wird eine Abgrenzung zwischen unselbständigen, betriebsinternen Wachorganisationen (Werkschutz) und selbständigen, frei-gewerblich tätigen Unternehmen vorzunehmen sein, mit denen sich die weitere Untersuchung allein befaßt. In einem kurzgefaßten Exkurs (III) wird schließlich ein „Blick über den Zaun" - auf die Tätigkeit privaten Sicherheitsgewerbes in den USA und einigen europäischen Nachbarländern - geworfen. Das zweite Kapitel handelt von den oben angesprochenen rechtlichen Grundlagen; „Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol, Demokratie- und Sozialstaatsgebot" ist es schlagwortartig überschrieben. Es behandelt die herkömmliche Einordnung der Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung als „Aufgabe des Staates" (I) und stellt dem das tatsächliche Engagement Privater auf diesem Sektor gegenüber. Unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips soll die o. g. Einordnung vorgenommen werden, wobei namentlich die Grenze zwischen hoheitlicher, besser gesagt: obrigkeitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit - die Arbeit widmet sich nur letzterer - zu ziehen ist (II). Nach dieser Grundlegung wird die Tätigkeit Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung am Maßstab grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Aspekte - Rechtsstaats-, Demokratie- und Sozialstaatsprinzip - untersucht (III). Ohne ein Untersuchungsergebnis vorwegnehmen zu wollen, wird sich erweisen, daß die Zulässigkeit privater Gefahrenabwehr nicht nur dem Umfang, sondern schon „dem Grunde" nach maßgeblich bestimmt w i r d von der Anwendbarkeit der „Jedermann-Notrechte" auf jene Tätigkeit. Insoweit ergeben sich gerade beim Vergleich privater Eingriffsrechte mit denen der Polizei grundsätzliche Bedenken, denen im dritten Kapitel nachgegangen wird. Nach der allgemeinen Problemstellung (I) wird die Nothilfe als exem-

Einleitung

plarische Eingriffsgrundlage für private Ordnungsschützer untersucht (II). Von zentraler Bedeutung ist insoweit die Frage, ob das Nothilferecht am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen ist, Eingriffe Privater mithin grundsätzlich, vergleichbar solchen der Polizei, rechtlichen Bindungen unterliegen oder rechtlich „freier" gestellt sind (III; IV). Einem Zwischenresümee (V) folgt die Behandlung sonstiger als Eingriffsgrundlage tauglicher Jedermannrechte (VI) und die - erst jetzt abschließend mögliche - zusammenfassende Beurteilung und Eingrenzung des Tätigwerdens Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (VII). - Sodann wird der „Befugnis"-Umfang 19 privater Ordnungsschützer aufgrund der Jedermann-Notrechte im einzelnen erörtert (VIII). Das vierte Kapitel widmet sich weiteren Rechtsgrundlagen und rechtlichen Grenzen für mit Eingriffen verbundene Gefahrenabwehrtätigkeit Privater außerhalb der „Jedermann-Notrechte": Ermächtigungen aufgrund Arbeitsrechts (I), die aber, da nur den Werkschutz betreffend, nicht vertieft behandelt werden, und Ermächtigungen aufgrund abgeleiteter Rechte (II), namentlich Besitz und Hausrecht. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, ob spezialgesetzliche „Befugnis"-Zuweisungen existieren, die Private zu nichthoheitlicher Gefahrenabwehr ermächtigen. - Als rechtliche Schranke für private Eingriffe werden die im Regelfall einschlägigen Straftatbestände erörtert (III); damit ist das Feld privater Gefahrenabwehrtätigkeit rechtlich nach allen Richtungen abgesteckt. Das fünfte und letzte Kapitel schließlich wendet sich gewerberechtlichen Problembereichen zu: den Rechtsgrundlagen des Wachgewerbes (I), dem Zugang zum Gewerbe (II) - in diesem Zusammenhang namentlich Fragen bezüglich der Zuverlässigkeit und des Fachkundenachweises - sowie der Überwachung (III). - Sonstige, spezielle Einzelaspekte - namentlich Bewaffnung und Uniformierung der Wachbediensteten - spart die Untersuchung gemäß ihrem Anliegen, eine bislang fehlende grundsätzliche Zulässigkeitsbeurteilung des Tätigwerdens Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liefern zu wollen, aus.

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Der Begriff „Befugnis" hier im untechnischen Sinne gebraucht; zu gegebener Zeit wird klargestellt, daß der im Schrifttum im Zusammenhang mit den Eingriffsermächtigungen an Private aufgrund der Notrechte gelegentlich verwandte Terminus „Befugnis" aus polizeirechtlicher Sicht unangebracht erscheint.

Erstes Kapitel

Historisches und Empirisches I. Entstehung, Entwicklung und heutiges Erscheinungsbild privaten Wachgewerbes 1. Am Anfang der Nachtwächter?

Die derzeit umfangreichste, zugleich jüngste Publikation über die Entstehung des privaten Wachgewerbes, die Untersuchung von Honigl, sieht den geschichtlichen Ausgangspunkt der Entwicklung beim (städtischen) Nachtwachwesen1. Honigl bezieht sich auf eine gewerbegeschichtliche Darstellung in der Zeitschrift des „Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen" 2 , deren Schlagzeile nicht ohne Stolz lautet: „Nachtwachwesen älter als Polizei". Es ist auf den ersten Blick durchaus naheliegend, sich bei der Erörterung des Problemkreises „Wach- und Sicherheitsdienste" der Nachtwächter zu erinnern. Bei näherem Hinsehen erscheint es freilich problematisch, hier die historische Wurzel des heutigen Wach- und Sicherheitsgewerbes ausmachen zu wollen. Kann eine Institution unserer Zeit, in der die funktionale wie begriffliche Trennung des öffentlich- oder privatrechtlichen Bereichs längst etabliert und dogmatisch fundiert ist, auf eine Einrichtung aus einer Epoche, die von jener Trennung noch Jahrhunderte entfernt war, als „Keimzelle" ihrer Entwicklung verweisen? Die städtische Nachtwache mag mit gleicher Berechtigung als ein Vorläufer öffentlicher Polizei gesehen werden - oder gar als besondere Institution militärischen Charakters, der der städtischen Nachtwache des Mittelalters ohne weiteres zugeschrieben werden kann 3 . Die These, am Anfang des privaten Sicherheitsgewerbes habe der Nachtwächter gestanden4, darf also bestritten werden; diese Frage soll hier aber nicht weiter vertieft werden. 1 Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 8 f.; ebenso Eick, Produktionsfaktor Sicherheit, W + S Information 162, 16 (17). 2 W + S Information 159, 105. 3 Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 19. 4 So der Präsident des Bundesverbandes deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen, Mauersberger, in einem Referat anläßlich des „Security"-Kongresses 1984, W 4- S Information 161, 87.

I. Geschichtliche Entwicklung des Wachgewerbes

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2. Gewerbliche Wachdienste als Reaktion auf verschlechterte Sicherheitslage

Der historische Überblick sollte an einem Zeitpunkt der jüngsten Geschichte ansetzen, i n dem der Aufgabenbereich der Sicherheitsgewähr mit dem Stichwort der „Polizei" assoziiert w i r d 5 und Aufgaben der Nachtwächter in die Kostenlast des Staates und in den Zuständigkeitsbereich staatlicher Schutzmannschaften übergegangen sind 6 . Seitens der „Reichstags-Kommission für die Petitionen" w i r d die Sicherheitslage in den Städten zu diesem Zeitpunkt wie folgt beurteilt 7 : „Durch das Preußische Gesetz vom 20. 4. 1892, betreffend die Kosten königlicher Polizeiverwaltungen, (sind) in Stadtkreisen die Kosten des Nachtwachwesens auf den Staat übergegangen. Der öffentliche Nachtwachdienst (wird) nunmehr von der königlichen Schutzmannschaft bzw. von Polizeisergeanten wahrgenommen. Trotz Personalvermehrung (ist) der Nachtschutz in den Städten dadurch ein so minimaler geworden, daß sich Bewohner einzelner Stadtteile, insbesondere in Großstädten, zum Schutz ihres Eigentums nach Privatwächtern umgesehen (haben)." In diese Zeit fällt die Gründung der ersten gewerblichen Wachunternehmen. Eine frühere Gesellschaft, gegründet 1894 in Breslau, findet im neueren Schrifttum keine Erwähnung 8 , wohl weil sie „gleich nach der Gründung wieder einging". 9 Als das „erste derartige deutsche, überhaupt europäische Unternehmen" des Wachgewerbes w i r d das „Hannoversche Wach- und Schließinstitut Jacobs & Co." angesehen10, dessen Gründung am 15. 7. 1901 sich weitere gleichartige Unternehmungsgründungen in schneller Folge anschlossen. Die Reichstagskommission stellt in ihrem Bericht 1909 fest, Bewachungsgesellschaften seien „jetzt sogar schon in Städten von unter 25 000 Einwohnern zu finden"; Berlin allein zähle 14 Institute 1 1 . Am 22. 10. 1904 wird in Köln der „Verband der Wach- und Schließgesellschaften" gegründet, dem 1926 über 60 Wachgesellschaften angehören 12 . 5 Vgl. hier namentlich die erste Kodifikation in § 1 I I 17 ALR, auf den weiter unten (Kap. 2 11) noch näher eingegangen wird. 6 Vgl. hier namentlich das Preußische Polizeikostengesetz vom 1. 4. 1893; hierzu Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 19. 7 Vgl. 162. Bericht der Kommission für die Petitionen, Reichstagsdrucksache Nr. 1140,12. Legislaturperiode, I. Session 1907/1909, abgedruckbei Wolff, Die zivilrechtliche Stellung der Wach- und Schließgesellschaften, S. 38. 8 Mitgeteilt bei Wolff ebd. S. 1 sowie in dem Bericht der Reichtstagskommission (Wolff ebd. S. 38). 9 Wolff ebd. S. 1. 10 Wolff ebd. S. 1 f.; Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 19 f.; Groß / Geerds, Handbuch der Kriminalistik II, S. 484. 11 Wolff ebd. S. 38.

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1. Kap.: Historisches und Empirisches 3. Frühe Mißstände und gesetzliche Reformanliegen

Bereits in den ersten Jahren des jungen Gewerbes kommt es zu Entwicklungen, die, vergleicht man sie mit Berichterstattungen aus jüngster Zeit 1 3 , überraschend aktuell anmuten: Der „Direktor" der Wachgesellschaft Frankfurt/Oder - selbst ehemaliger Zuchthäusler - heuert für sein Wachinstitut entlassene Strafgefangene an, die i n Ausübung ihres Dienstes strafbare Handlungen begehen; in anderen Unternehmen kommt es zu ähnlichen Vorfällen, etwa zu „Kautionsschwindeleien durch Geschäftsführer ..., Einbrüchen und Diebstählen, Brandstiftungen und Unterschlagungen" 14 . 1907 richtet der Vorstand der Wach- und Schließgesellschaften zu Frankfurt/Main „ i m Einverständnis fast aller deutscher Gesellschaften" eine Bittschrift an den Reichskanzler, zur Verhinderung derartiger „Auswüchse" die Branche einer gesetzlichen Reglementierung zu unterwerfen und insbesondere den Zugang zum Gewerbe von einer Zuverlässigkeits- (in „finanzieller und sittlicher Hinsicht") und Bedürfnisprüfung abhängig zu machen. Die daraufhin tätige Petitionskommission beschließt zwar nicht ablehnend, sondern befürwortet das Anliegen der Bittschrift; seitens der Reichsregierung erfolgt aber einstweilen keine entsprechende Gesetzesinitiative. - Auch zwei weitere Eingaben aus 1909, diesmal vom Kölner Verband der Wachund Schließgesellschaften selbst, führen zunächst zu keiner Änderung der Gesetzeslage15. Erst 1927 - offenbar unter dem Eindruck anhaltender Vorfälle der geschilderten A r t 1 6 - wird das Wach- und Schließgewerbe durch Ergänzung bzw. Änderung der Gewerbeordnung gesetzlich erfaßt: 17 12 Der Berufsverband, der seinen Namen in der Folgezeit zweimal wechselte - er nannte sich später „Zentralverband des deutschen Bewachungsgewerbes", aus ihm ist der „Bundesverband der deutschen Wach- und Sicherheitsunternehmen" hervorgegangen; vgl. den Überblick über die Verbandsgeschichte bei Schammert, Der lange Marsch, W + S Information 164, 12 (14); Groß / Geerds, Handbuch der Kriminalistik II, S. 485 - hat heute seinen Sitz i n Frankfurt. Auch heute repräsentiert er-jedenfalls nach Umsatzgröße und Beschäftigtenzahl - den überwiegenden Teil der deutschen Bewachungsunternehmen; 1976 waren es insoweit 80 %, vgl. Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 37 m. N. - Nach der Zahl der Firmen waren 1984 203 von 560 Betrieben im Verband organisiert, vgl. Thieme, Gutachten, W + S Information 163, 71 (75). Gerade i n letzter Zeit verzeichnet der Verband einen weiteren, beträchtlichen M i t gliederzuwachs von 20 %, vgl. W + S Information 165, 58. 13 Vgl. insoweit die in der Einleitung FN 10 f. genannten Nachweise. 14 Bericht Reichstagskommission bei Wolff, Die zivilrechtliche Stellung der Wachund Schließgesellschaften, S. 39; vgl. auch Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 18, der einen Bericht des Bayerischen Staatsministeriums des Äußeren an den Preußischen Ministerpräsidenten vom 22. 3.1907 zitiert, in dem sich ähnliche Aufzählungen finden. 15 Sämtliche genannten Petitionen sind im Wortlaut mitgeteilt bei Wolff ebd. S. 36 f. und 4 1 - 4 6 . 16 Katschke / Schmid, deren Publikation „Das Recht des Wachgewerbes" unmittelbar im Anschluß an die Gesetzesnovelle veröffentlicht wurde, nennen in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes freilich keine konkreten Vorfälle.

I. Geschichtliche Entwicklung des Wachgewerbes

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- Ein neuer Betrieb darf erst nach Prüfung der Zuverlässigkeit und der erforderlichen Mittel begonnen werden (§ 34 a GewO); - alle Bewachungsgesellschaften unterstehen jetzt nach Maßgabe der erlassenen Vorschriften ständiger polizeilicher Aufsicht (§ 38 GewO a. F. 1 8 ); - unzuverlässigen Unternehmen kann schließlich der Gewerbebetrieb untersagt oder die erteilte Konzession entzogen werden (§53 GewO). Die Rechtslage ist seither in ihren Grundzügen unverändert geblieben 19 ; inwieweit sie den heutigen Vorstellungen des Bundesverbandes des Wachund Sicherheitsgewerbes entspricht, ist an gegebener Stelle zu erörtern 20 . 4. Beurteilung der Tätigkeit der Wach- und Schließgesellschaften

Was die Beurteilung der Tätigkeit der Wach- und Schließgesellschaften zu jener Zeit betrifft, so sind im Rahmen dieses kurzen geschichtlichen Überblicks mehrere Gesichtspunkte erwähnenswert: Schon 1909 wurde im Rahmen der Recherchen der Petitions-Kommission uneingeschränkt die Ansicht vertreten, bei den privaten Wach- und Schließgesellschaften handle es sich „anscheinend" nicht um vorübergehende, sondern um „dauernde" Einrichtungen 21 . Wolff hält „eine Unterdrückung der Wach- und Schließgesellschaften auch im Interesse der Allgemeinheit für ganz undenkbar. „Infolge der seit Beendigung des Krieges eingetretenen allgemeinen Demoralisierung, der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit hat die Unsicherheit in den Städten, besonders die VerÜbung von Eigentumsdelikten, in beängstigendem Maße zugenommen. Der Staat und seine Organe sind nicht in der Lage, Schutz in wirklich ausreichendem Maße zu gewährleisten - ein Zustand, der sich in der Nachkriegszeit durch die uns im Versailler Vertrag auferlegten Beschränkungen der Polizei noch verschärft hat. Handel und Industrie sind daher gezwungen, ihr Eigentum durch Inanspruchnahme privater Bewachungsunternehmen zu sichern" 22 . Katschke / Schmid berichten zwar von gelegentlichen, nicht näher definierten „Reibungen (der Betriebe) mit den Polizeibehörden" 23 , zitieren aber in der Einleitung zu ihrer Schrift als maßgebliche und repräsentative Stel17

Gesetz zur Abänderung der Gewerbeordnung vom 7. 2. 1927, RGBl. I, 57. Heute inhaltlich in § 34 a GewO übernommen. 19 Lediglich die Kompetenz zum Erlaß von Berufsausübungsregelungen ist 1960 von den Länderbehörden auf den Bundesminister für Wirtschaft übergegangen. 20 Siehe dazu unten Kap. 5 II. 21 Bericht Petitions-Kommission bei Wolff, Die zivilrechtliche Stellung der Wachund Schließgesellschaften, S. 40. 22 Wolff ebd. S. 3. 23 Katschke / Schmid, Das Recht des Wachgewerbes, S. 10. 18

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

l u n g n a h m e aus Polizeikreisen diejenige des Organisators der preußischen Schutzpolizei, Staatssekretär D r . Ahegg, i n der dieser die T ä t i g k e i t der Wachgesellschaften als ebenso w i r k u n g s v o l l e w i e n o t w e n d i g e E r g ä n z u n g der p o l i z e i l i c h e n T ä t i g k e i t bezeichnet. D i e aufschlußreiche Stellungnahme v e r d i e n t es, h i e r wiedergegeben z u werden: „Polizei und privater Wachdienst sind nicht einander entgegengesetzte oder gar ausschließende, sondern auf gedeihliche Zusammenarbeit zum Wohl der Allgemeinheit angewiesene Einrichtungen... Im Gegensatz zum Auslande, besonders zu England und Amerika, erwartet und verlangt bei uns in Deutschland durch die Gewöhnung aus den Zeiten des Polizeistaates das Publikum alles von der Polizei, ohne selbst etwas für den eigenen Schutz zu tun. Die Stimmung der Allgemeinheit in Fragen der öffentlichen Sicherheit läßt vielfach eine eigentümliche Übergangszeit zwischen den Anschauungen des Polizeistaates und des Volksstaates erkennen; man hält es für eine Pflicht der Polizei, für ein Recht jedes einzelnen, daß ihre Beamten stets und überall am Platze sind - andererseits schilt man gleichzeitig über Beeinträchtigungen des einzelnen, wie der Gesamtheit durch zu weitgehende polizeiliche Tätigkeit. Nun liegt es auf der Hand, daß die Polizei nicht alles leisten, nicht die Sicherheit jedes Einzelmenschen und jeden Eigentums stets und überall gewährleisten kann. Um bei den Berliner Verhältnissen zu bleiben, so wird von der an sich zahlreichen Polizeibeamtenschaft ein so großer Teil für den Verkehrsdienst, die Reviere und die Verwaltung in Anspruch genommen, daß besonders i n Anbetracht der Teilung des Dienstes in Wache, Ruhe und Bereitschaft für den Eigentumsschutz in der Viermillionenstadt kaum ein Bruchteil zur Verfügung steht. Diese Erkenntnis sollte Allgemeingut sein und jeden Bewohner der Großstadt zu Schutzmaßnahmen seinerseits, d. h. zu Sicherungsvorschriften i n und an der Wohnung, wie zum Halten besonderer Wächter bzw. zum Anschluß an eine Wachgesellschaft veranlassen" 24 . Angesichts dessen überrascht es, festzustellen, daß der schon damals f ü h rende K o m m e n t a r z u r G e w e r b e o r d n u n g v o n L a n d m a n n i n seinen bis zur Gesetzesnovelle u n d u n m i t t e l b a r

danach erschienenen A u f l a g e n 2 5

den

gewerblichen Wachgesellschaften r u n d w e g die Existenzberechtigung m i t d e m A r g u m e n t abspricht, die „ S i c h e r h e i t s p o l i z e i " sei a l l e i n Aufgabe des Staates. I n r e c h t l i c h e r H i n s i c h t ist dieser Gedanke hier n o c h n i c h t z u v e r t i e fen; er b i l d e t den Gegenstand des z w e i t e n sowie teilweise des d r i t t e n K a p i tels der vorliegenden A r b e i t . 5. Die Sicherheitslage heute D i e gestiegene K r i m i n a l i t ä t s r a t e u n d der relativ geringer gewordene Schutz seitens der staatlichen Polizei k ö n n e n problemlos als der auslösende F a k t o r f ü r die E n t s t e h u n g des W a c h - u n d Schließgewerbes angesehen werden. Es liegt nahe, auch die heutige „Sicherheitslage" z u betrachten, w e n n m a n die E n t w i c k l u n g des Sicherheitsgewerbes weiterverfolgt. 24

Katschke / Schmid ebd. S. IV. Landmann / Rohmer, GewO, 7. Aufl., 1917, S. 43 Anm. 2; 8. Aufl., 1928, S. 53 Anm. 2. 25

I. Geschichtliche Entwicklung des Wachgewerbes

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In der Kriminalitätsstatistik der Bundesrepublik Deutschland ist namentlich seit Anfang der 70er Jahre eine Veränderung zum „Schlechteren" auszumachen, und zwar in mehrfacher Hinsicht 2 6 : Die Zahl der wegen Straftaten rechtskräftig Verurteilten ist von 1970 bis heute kontinuierlich gestiegen; allein im Zeitraum 1975 bis 1982 um 16 %. Besonders überdurchschnittlich ist hierbei die Zunahme der Vermögensdelikte; in den letzten Jahren erhöhte sich ihre Zahl um etwa 5 % jährlich. Noch ungünstiger sieht die Kriminalitätsstatistik im Bereich von Anschlägen auf Wirtschaftsunternehmen (Brand- und Sprengstoffanschläge, Sachbeschädigung, Entführungen) aus. Hier ist gerade in den letzten Jahren ein sprunghafter Anstieg der jährlichen Vorfälle (von 1978 - 1982 mehr als eine Vervierfachung) 27 festzustellen. Das Fazit einer nachhaltigen Verschlechterung der Sicherheitslage gerade in jüngster Zeit ist gerechtfertigt. Die Quote der von der Polizei aufgeklärten Fälle 2 8 ist, bei geringfügigen Schwankungen, durchaus unverändert geblieben. Sie beläuft sich seit langem durchschnittlich auf etwa 45 %, im Bereich der „Alltagskriminalität" und namentlich bei Vermögensdelikten liegt sie jedoch deutlich niedriger: Etwa 18 % bei Einbruchdiebstahl, 21 % bei Diebstahl von Mopeds und Krafträdern, durchschnittlich 30 % bei Vermögensdelikten insgesamt 29 . Ein weiterer Blick in die Statistik mag der Entwicklung des polizeilichen Personalbestandes gelten. I m hier betrachteten Zeitraum (Mitte der 70er Jahre bis heute) ist er i m jährlichen Durchschnitt zwar um jeweils 2 % gestiegen (verringert allerdings gerade in den letzten Jahren) 30 ; dieser Anstieg ist jedoch unterproportional im Vergleich zur oben betrachteten, allgemeinen Kriminalitätsentwicklung. Das ist in Anbetracht einer knappen Haushaltslage in allen öffentlichen Kassen erklärlich. Die der öffentlichen Hand durch die Einrichtung einer Planstelle im mittleren Polizeivollzugsdienst erwachsenden Kosten verdienen in diesem Zusammenhang Erwähnung: Zu fixen Ausbildungskosten von ca. 120 000,- D M kommen jährlich Personalkosten von etwa 38 000,- D M (Gruppe A 8/A 9 BBesG) 31 . In absoluten Zahlen beträgt die Polizeidienststärke im Einzeldienst derzeit etwa 140 000 Kräfte, unter Einbeziehung der Beamten der Bereitschaftspolizei etwa 170 000 gegenüber 118 000 bzw. 145 000 Kräften im 26 Umfassende Nachweise in der Kriminalitätsstatistik des B K A 1955 - 1985; zu den nachfolgenden Zahlenangaben vgl. auch die zusammenfassende Abhandlung von Eick, Produktionsfaktor Sicherheit, W + S Information 162, 16. 27 Zahlen im einzelnen bei Rupprecht, Jeder dritte Anschlag trifft ein Wirtschaftsunternehmen, W + S Information 159, 77 (79). 28 Hierzu Eick, Produktionsfaktor Sicherheit, W + S Information 162, 16 (17). 29 BKA, Kriminalstatistik 1955 - 1985 (namentlich S. 54 ff.) mit differenzierten statistischen Angaben. 30 Quellen: BKA, Polizeistärke-Statistik 1975 - 1985. 31 Bericht B M I 1982, S. 20; Zahlenstand 1982.

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

Jahr 1975 32 . Nicht nur die Klage des Bewachungsgewerbe-Verbandes aus den 20er Jahren über Unkorrektheiten in der eigenen Branche, sondern auch die ebenso alte Klage der Polizei, mit der steigenden Kriminalitätsentwicklung nicht Schritt zu halten und der Aufgabe der Sicherheitsgewährleistung in abnehmenden Maße gerecht zu werden 33 erweist sich daher als überraschend aktuell, ja als zutreffender denn zu Beginn unseres Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund w i r d der Aufschwung, den das private Sicherheitsgewerbe gerade im zuletzt betrachteten Zeitraum genommen hat, nachvollziehbar. 6. Neuere Entwicklungen des Sicherheitsgewerbes

a) Umsatz-, Betriebs- und Beschäftigtenzahlen Hatte die Zahl der Unternehmen 34 von 1960 - 1974 bundesweit annähernd konstant 330 betragen, so ist seit 1974 ein unverkennbarer Anstieg zu beobachten. 1976 waren 362 Unternehmen registriert, 1978 waren es 473, 1980 542, 1982 564. 35 Einen noch auffälligeren Auftrieb nahm der Umsatz der Branche 36 : Von knapp 110 Millionen D M 1960 stieg er über ca. 314 Mio. (1970), 573 Mio. (1974), 667 Mio. (1976), 847 Mio. (1978), 1,141 Mrd. (1980), 1,267 Mrd. (1982) auf 1,357 Mrd. D M 1984. Die Zahl der in der Branche Beschäftigten ist zwar nicht im gleichen Grad gewachsen; gleichwohl ist auch insoweit eine steigende Tendenz festzustellen: 1970 waren etwa 47 400 Beschäftigte registriert, 1972 bis 1976 konstant etwa 50 000, 1978 56 70Θ, 1980 61 600. Die Personalsteigerung des privaten Sicherheitsgewerbes entspricht mithin in letzter Zeit annähernd der Entwicklung der Kriminalitätsrate. Über die durchschnittliche Größe der 32

BKA ebd. Neben der für die 20er Jahre repräsentativen Stellungnahme von Abegg - oben S. 30 - vgl. für die heutige Beurteilung Bericht B M I 1982, S. 19, wonach die Länder übereinstimmend die Auffassung hegen, die Polizei werde auch in Zukunft nicht in der Lage sein, ihre vorbeugende Tätigkeit soweit zu intensivieren, daß sie die derzeitigen Aufgaben des Wach- und Sicherheitsgewerbes auch nur teilweise übernehmen könnte. 34 Nach Zahlenangaben des Statistischen Bundesamtes aus 1984. 35 Die Zahl der Unternehmen wird vom B M I höher, auf etwa 1000 eingeschätzt (Bericht B M I 1982, S. 10). Hierbei sind aber Doppelzählungen von Filialbetrieben zu berücksichtigen, die der B M I einräumt. Insoweit ist die Statistik bei Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 21, der diese Doppelzählungen nicht erwähnt, irreführend. Stacharowsky, Private Sicherungsdienste, Kriminologisches Journal 1985, S. 228 (229) nimmt den Umstand, dad zwischen den einzelnen Zahlenangaben Differenzen bestehen, zum Anlaß für die Mutmaßimg, dem Bundesverband der Sicherheitsunternehmen sei offenbar daran gelegen, „die eigenen Geschäfte möglichst still und unbemerkt von der Öffentlichkeit abwickeln zu wollen". Diese Hypothese entbehrt freilich jeden Fundaments und wird von Stacharowsky auch nicht weiter begründet, zumal er selbst die Filialen-Doppelzählung als Ursache der Zahlendifferenz erkennt. 36 Zahlen: Statistisches Bundesamt 1984. 33

I. Geschichtliche Entwicklung des Wachgewerbes

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Unternehmen fehlen verläßliche Erkenntnisse. Die für Rheinland-Pfalz publizierten Daten dürften auf die Verhältnisse anderer Bundesländer übertragbar sein: von 48 Unternehmen beschäftigen sechs mehr als 100 Wachpersonen, 17 bis 100, 25 weniger als 10, davon der überwiegende Teil EinMann-Betriebe 37 . In letzter Zeit ist in bezug auf Betriebs- und namentlich Beschäftigtenzahl freilich eine Stagnation eingetreten 38 , und es verbleibt absehbar bei einer zweieinhalb- bis dreifachen „Überzahl" des staatlichen Polizeivollzugspersonalbestandes. b) Aufgabenbereiche und Auftraggeber Wandlungen unterworfen war in letzter Zeit freilich keineswegs nur die Größe der Bewachungsbranche; auch ihr Betätigungs- und Aufgabenfeld ist stetig expandiert. Die Umbenennung des Berufsverbandes der Wach- und Schließgesellschaften in Wach- und Sicherheitsuntemehmen ist hierfür geradezu symptomatisch 39 . Zum einen sind die, namentlich in der Industrie, zu bewachenden Werte größer, die zu sichernden Baulichkeiten und Anlagen komplizierter geworden. Das hat den „Nachtwächter" alter Prägung zur „Sicherheitsfachkraft" gewandelt 40 . Eine verstärkte Professionalisierung des privaten Sicherheitsgewerbes war notwendige Folge des erweiterten und komplexeren Tätigkeitsfeldes 41 . Thieme 42 listet 4 3 stichwortartig einen offenbar umfassenden Aufgabenkatalog des Sicherheitsgewerbes von heute auf: - Erstellung von Sicherheitsanalysen - Sicherheitsberatung - Werkschutz, einschl. der Bekämpfung von Ausspähung und Sabotage - Raumschutz mit elektronischen und sonstigen Sicherheitsgeräten 37 Zum ganzen vgl. Häring, Sicherheit, PFA 1980,179 (185); Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 43. 38 Vgl. die von Thieme, Gutachten, W + S Information 163, 71 (75) für 1984 mitgeteilten Zahlen: 560 Betriebe, 60 000 bei der Berufsgenossenschaft versicherte Angestellte; gemäß Bericht B M I 1986, S.4f., 7 sind diese Zahlen nahezu unverändert geblieben. 39 Vgl. dazu soeben F N 12. 40 So die zusammenfassende Wertung des Präsidenten des Bundesverbandes deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen, Mauersberger, in einem Presseinterview, W + S Information 159, 68. 41 Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 43. 42 Gutachten W + S Information 163, 71 (75). 43 Ohne Nachweis, aber vermutlich gestützt auf Informationen des Bundesverbandes.

3 Mahlberg

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

- Errichtung und Betrieb von Notrufzentralen - Alarmverfolgung - Aufzugsbewachung - Baubewachung - Bewachung von Liegenschaften der Bundeswehr, der öffentlichen Hand und von Privaten - Fahrzeugbewachung - Schiffsbewachung - Urlaubsdienst - Fluggastdienst - Kurierdienst - Sicherheitstransport, insbesondere Geldtransport - Personenbegleitschutz - Pförtner- und Telefondienst - Überwachte Aufbewahrung von Schlüsseln - Türöffnungs- und Schlüsselfunddienst - Revierbewachung - Separatbewachung - Gestellung von Sicherungsposten bei Gleisbauarbeiten - Veranstaltungsdienst (Kassen-, Absperr-, Ordnungs- und Kontrolldienst). Aufschlußreich ist auch ein Blick auf die Auftraggeber des Gewerbes. Der Auftragsanteil des „klassischen" Auftraggebers, der Unternehmen aus Wirtschaft und Gewerbe, ist zugunsten eines zunehmenden Anteils privater Auftraggeber (insbesondere Wohnungseigentümer) zurückgegangen 44. In besonderem Maße - nämlich mit rund 50 % des Auftragsvolumens (! ) 4 5 - ins Gewicht fällt allerdings die öffentliche Hand als Auftraggeber; allein die Bundeswehr hat hinsichtlich des Umsatzes privater Sicherheitsdienste einen Anteil von 20 % 4 6 . Hinzu kommen Kommunen als Träger bzw. als Gesellschafter öffentlicher (insbesondere Verkehrs-) Einrichtungen (auch: Flughäfen, Fuß44 Vgl. die - nicht mit Zahlen untermauerte - Mitteilung des Präsidenten des Bundesverbandes, W + S Information 159, 68 (70). 45 Nach Schätzungen des Bundesverbandes; vgl. Titelseite der W + S Information 159. 46 Information des Bundesverbandes deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen im Einleitungsteil zur Dokumentation der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 5.12.1984 über „Bundeswehrobjekte und zivile Bewachung", W + S Information 162, 339.

I. Geschichtliche Entwicklung des Wachgewerbes

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ballstadien und Messegesellschaften); auch sie beschäftigen in weitem Umfang private Sicherheitsdienste zur laufenden Bewachung. Ein relativ neues Betätigungsfeld ist gewerblichen Wachunternehmen aufgrund des Atomrechts erwachsen. Gem. § 7 Abs. I I Nr. 5 AtG ist der Betreiber eines Kernkraftwerks verpflichtet, Schutz gegen Störmaßnahmen Dritter in bezug auf die kerntechnische Anlage zu gewährleisten. In praxi wird die geforderte Sicherung durch private Wachdienste erledigt, so etwa im K K W Ohu wiederum durch den zivilen Sicherheitsdienst, dem bislang auch die Bewachung der Münchener U-Bahn oblegen hat 4 7 . Als Fazit kann damit festgehalten werden: Die Tätigkeit der gewerblichen Sicherheitsdienste hat sich in weitem Bereich in die Öffentlichkeit und in den auch die Allgemeinheit berührenden, hochsicherheitsempfindlichen Bereich verlagert. Im Zusammenhang damit ergeben sich zwangsläufig Berührungspunkte mit Gefahrenab wehrauf gaben der Polizei. Unkommentiert mag insoweit eine Feststellung Thiemes den Abschluß bilden: „Materiell übernimmt... das Bewachungsgewerbe heute teilweise die Funktionen der Polizei" 4 8 . 7. Übernahme derzeit privat erledigter Sicherheitsaufgaben durch die Polizei?

Die Frage, ob die staatliche Polizei überhaupt in der Lage wäre, die Funktionen auch nur teilweise in eigene Ausführung zu übernehmen, die derzeit von privaten Sicherheitsdiensten wahrgenommen werden, beantworten Stimmen aus der Polizeipraxis mit einem lapidaren und uneingeschränkten „nein" 4 9 . In sämtlichen Bundesländern ist man insoweit der gleichen Ansicht. Die zuständigen Länderministerien haben in ihren Stellungnahmen gegenüber dem B M I betont, Überlegungen der Übernahme von derzeit privat erledigten Sicherungsaufgaben in polizeiliche Kompetenz seien in die Planungen einer Polizeidienstdichte von 1:400 (d. h. 1 Polizist auf 400 Einwohner), wie sie im „Programm für die innere Sicherheit" der Bundesrepublik Deutschland angestrebt ist, zu keiner Zeit eingeflossen 50. 47 Rechtliche und rechtspolitische Aspekte der privaten Bewachung von kerntechnischen Anlagen behandelt der Aufsatz von Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59, ferner seine Monographie „Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?", durchgehend. Mit seinen Argumenten setzt sich die vorliegende Arbeit zu gegebener Zeit auseinander. 48 Thieme, Grundgesetz erlaubt Einführung des Fachkundenachweises, W + S Information 162, 20. 49 Vgl. etwa Kraus, Polizei schätzt die Sicherheitsunternehmen, W + S Information 159, 71; Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 42; sehr nachdrücklich Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, BKA 1976, S. 71. Die gegenteilige Ansicht wird nirgends vertreten. so Bericht B M I 1982, S. 19.

3*

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

In einer rechtstheoretischen Untersuchung sind derartige Fakten freilich erst sekundär von Interesse. Am Beginn muß die Erörterung der grundsätzlichen Frage stehen, ob und in welchen Grenzen rechtlich die hoheitliche Erledigung von Wachaufgaben durch staatliche Polizeivollzugskräfte unabdingbar ist. Sollte sich erweisen, daß einzelne, derzeit privat durchgeführte Aufgaben in hoheitliche Hand genommen werden müssen, ist auf die geschilderten Fakten zurückzukommen und über Konsequenzen nachzusinnen; ansonsten erübrigen sich dahingehende Überlegungen.

8. Aufgaben privater, gewerblicher Wachdienste und Berufsbild

Ein rechtlicher Gesichtspunkt, der mit dem geänderten Aufgabenfeld privater, gewerblicher Wachdienste in Zusammenhang steht, ist an dieser Stelle nur anzudeuten; er ist im Zusammenhang mit gewerberechtlichen Problemen in Kapitel 5 wieder aufzugreifen: Der kurze historische Überblick hat gezeigt, daß Erscheinungsbild und Funktionsbereich des Wachgewerbes einem Wandel unterworfen waren. Der „Wachmann" von heute ist - jedenfalls hinsichtlich mancher Aufgabenbereiche - nicht mehr derjenige von 1901, auch nicht mehr derjenige von 1927, der der Gesetzesnovelle der Gewerbeordnung zugrunde lag. Ist es insoweit gerechtfertigt, von einem gewandelten Berufsbild der Branche zu sprechen? Sind alle von gewerblichen Sicherheitsunternehmen wahrgenommenen Wachaufgaben noch unter ein einheitliches Berufsbild zu subsumieren, oder sind de lege ferenda heute gewerberechtliche Differenzierungen am Platze? - Fragen, die, wie gesagt, zu gegebener Zeit zu erörtern sind. 9. Gründe für die Beschäftigung privater Sicherheitsdienste

Eine empirische Bestandsaufnahme hinsichtlich des heutigen Aufgabenbereichs privater Wachdienste wäre unvollständig, würde sie nicht in der gebotenen Kürze Gründe erörtern, die in der Praxis für die Heranziehung privater Sicherheitsdienste - und dies gerade auch i m „öffentlichen" Bereich - sprechen. a) Künstlicher Angstmarkt? Daß angesichts einer mancherorts unbefriedigenden und im ganzen sich tendenziell eher zum Schlechteren verändernden Sicherheitslage für die Intensivierung von Wach- und Sicherungstätigkeit ein Bedürfnis besteht, ist bereits angesprochen und als Ursache für den Aufschwung des Wachgewerbes erkannt worden. Hoffmann-Riem nimmt das zum Anlaß, gegen eine angebliche „Kommerzialisierung eines künstlich geschürten Angstmarktes"

I. Geschichtliche Entwicklung des Wachgewerbes

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zu opponieren 51 ; eine Wertung, der sich offenbar auch Honigl und Roßnagel anschließen 52 . Indes kann diese Stellungnahme angesichts des gesicherten Zahlenmaterials über den tatsächlichen Umfang der Kriminalität und das Ausmaß des von ihr verursachten volkswirtschaftlichen Schadens53 nicht sonderlich überzeugen. - Auch die Ende 1983 ausgestrahlte Fernsehdokumentation über die Arbeit des zivilen Sicherheitsdienstes in der Münchener U-Bahn 5 4 konnte bei aller Skepsis über einzelne eingetretene Mißstände die in der Öffentlichkeit vorherrschende positive Einstellung zu den „Schwarzen Sheriffs" nicht unterdrücken; sie mag daraus resultieren 55 , daß der nächtliche U-Bahn-Fahrgast sich sicher fühlt, weil gewaltsame Kriminalität nach dem Einsatz des Wachdienstes weitgehend zurückgegangen ist 5 6 . Insoweit von der Ausnutzung eines „Angstmarktes" zu sprechen, erscheint durchaus verfehlt 57 . I n künstlich geschürtem Unsicherheitsgefühl kann entschieden kein Grund für die Beschäftigung privater Sicherheitsdienste gesehen werden. b) Weisungsunterworfenheit

privater Wachdienste

Honigl stellt im Rahmen seiner Untersuchung das umfassende Weisungsrecht des Auftraggebers an private Sicherheitsdienste in bezug auf die Durchführung einer Wachaufgabe heraus 58 . Dieser Gesichtspunkt erscheint in der Tat als ein denkbarer Grund für die Heranziehung privater Wachdienste auch bei Sicherungsaufgaben im öffentlichen Bereich 59 . 51 Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279). Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 43; Roßnagel, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 195 unter Bezugnahme auf eine - allerdings i n mehrfacher Hinsicht fragwürdige - Formulierung von Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 52: „Wie eine Rechtsschutzversicherung daran interessiert sein muß, daß die staatliche Rechtspflege teuer und der Ausgang der Prozesse ungewiß bleibt, so muß der Verkäufer von Sicherheit daran interessiert sein, daß die Leute sich unsicher fühlen". 53 Schaefer, Aufgaben der privaten Notrufzentralen, W + S Information 159, 83 nennt für 1982 Leistungen der Einbruch- und Hausratsversicherung allein für Diebstahlsschäden in Höhe von 1,25 Mrd. DM. 54 Vgl. hierzu den Bericht von Wolfbauer, Schwarze Sheriffs nicht lauter schwarze Schafe, BayGemZ vom 12. 1. 1984, S. 3. 55 So in der Tat die Ansicht von im Rahmen der Sendung befragten Münchener Bürgern. 56 Vgl. dazu etwa den Kommentar „Großstadtfrieden setzt Ordnung voraus" in SZ vom 20. 12. 85, S. 16. 57 Angebracht ist es allenfalls, im Anschluß an grundsätzliche rechtliche Erörterungen über die Zulässigkeit privaten Engagements auf dem Gebiete öffentlicher Sicherheit und Ordnung über dessen Überwachung nachzusinnen; dazu unten Kap. 5 III. 58 Tätigwerden von Privaten, S. 43. 59 Die Weisungsfreiheit folgt aus dem allgemeinen Grundsatz der Vertragsfreiheit und ist seit jeher auch für gewerbliche Wachunternehmen anerkannt. Vgl. bereits 52

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

Weisungsrechte an die Polizei bestehen demgegenüber grundsätzlich nicht: seitens privater Auftraggeber nie, seitens anderer Behörden der öffentlichen Hand nur ausnahmsweise. I n rechtlicher Hinsicht bedarf das hier keiner Vertiefung 60 . Die Weisungsunterworfenheit der gewerblichen Sicherheitsdienste begünstigt ihre bedarfsgerechte, situations-angepaßte Einsetzbarkeit und führt zu flexibler Handhabungsmöglichkeit der Sicherheitsgewährleistung.61. Dem Vorteil weisungsgebundener Einsetzbarkeit setzen Kritiker der Heranziehung privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Bereich freilich den Einwand entgegen, die öffentliche Hand besitze über die von ihr beschäftigte „Privatpolizei" keine ausreichende Kontrolle: „Weder über die Qualifikation, die Auswahl, die Anstellung, die Ausbildung, das Verhalten im Dienst noch die Arbeitsbedingungen besitzt die Stadt offensichtlich eine ausreichende Aufsicht"; heißt es insoweit in einem Kommentar der SZ vom 7./8. 12. 1985 6 2 .

Bei der Erörterung gewerberechtlicher Fragen w i r d auf jenes Problem zurückzukommen sein. c) Kosten Als entscheidender Grund für die Beschäftigung privater Sicherheitsdienste könnte in Frage kommen, daß diese kostengünstiger arbeiten als vergleichbare öffentliche Institutionen. Gesichertes Material über diese Frage, aus dem sich allgemeingültige Aussagen ableiten ließen, fehlt freilich. Dahingehende Feststellungen erscheinen auch in mancher Hinsicht problematisch: Für abstrakt-öffentliche „Güter" wie das der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung" kommen nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bestimmende „Preise" nämlich nicht in Betracht und verbieten sich insbesondere im Zusammenhang mit der Tätigkeit der staatlichen Polizei, deren Dienstleistungen weder preislich erfaßbar noch „käuflich" sind 63 . Wolff, Die zivilrechtliche Stellung der Wach- und Schließgesellschaften, S. 4: Besondere Abmachungen hinsichtlich der Durchführung von Wachaufgaben seien „natürlich zulässig". 60 Zur Ermessens- und Weisungsfreiheit der Polizei hinsichtlich des Ob und des Wie der Durchführung von Gefahrenabwehraufgaben vgl. statt aller Drews / Wache / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 370 ff., 393 ff.; Knemeyer, POH, Rn. 83. 61 Diesen Gesichtspunkt scheint auch Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, BKA 1976, S. 71 (72) im Auge zu haben, wenn er anführt, die „Verwaltungspraxis" sei ein Faktor, der sich zugunsten der Heranziehung privater Wachunternehmen auswirke. 62 „Kein Platz für schwarze Sheriffs", S. 19. 63 Vgl. Eick, Produktionsfaktor Sicherheit, W + S Information 162, 17 f.

I. Geschichtliche Entwicklung des Wachgewerbes

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Immerhin lassen sich im Hinblick auf das zur Durchführung bestimmter Wachaufgaben erforderliche Personal auf der „Aufwandsseite" Vergleiche anstellen, und die Praxis lieferte auch gerade jüngst ein derartiges Beispiel für einen entsprechenden Kostenvergleich: Die Bewachung der U-Bahn verursachte der Stadt München, solange sie in den Händen des zivilen Sicherheitsdienstes lag, jährliche Kosten in Höhe von 1,5 Mio. DM. Ab 1987, nach Ersetzung des freigewerblichen Wachdienstes durch eine Bewachung unter Trägerschaft der Stadt München selbst, sind nunmehr jährliche Kosten in Höhe des vier-, nach anderen Schätzungen sogar des fünf- bis sechsfachen dieses Betrages prognostiziert 64 . Der Preisvergleich fällt deutlich zugunsten der privatwirtschaftlichen Bewachung aus 65 , so daß zumindest allgemeine Vermutungen in Richtung größerer „Preisgünstigkeit" privater Sicherheitsdienste gerechtfertigt scheinen 66 . d) Mittelbare Auswirkungen

der Sicherheitslage

Die schlechtere Sicherheitslage mit ihrem daraus resultierenden verstärkten Schutzbedürfnis wurde als unmittelbarer Auslöser des regelrechten „Booms" des Sicherheitsgewerbes bereits genannt. Diese Sicherheitslage zeigt aber auch mittelbare Auswirkungen zugunsten privater Wachunternehmen: Staatliche Polizeikräfte sind zunehmend im repressiven Bereich gebunden und appellieren verstärkt an Eigenvorsorgemaßnahmen des Bürgers 67 . - Auch Schadensversicherer erheben ausreichende Eigensicherungsmaßnahmen des Versicherungsnehmers hinsichtlich versicherter Sachgüter zunehmend zur versicherungsvertraglichen Obliegenheit 68 . Beides - Eigensicherungsaufrufe seitens der Polizei und der Versicherungswirtschaft - belebt naheliegend die Nachfrage nach „käuflicher Sicherheit".

64 Dazu Berichte der SZ vom 4. 12. 1985 („Diensthunde sollen Revolver ersetzen", S. 14) und vom 7./8. 12. 85 („Wie hoch sind die Mehrkosten wirklich?", S. 19). 65 Ebenso, aber ohne Belege, Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, B K A 1976, 71 (72). 66 Auf das in mannigfachem Zusammenhang erörterte Thema „Privatisierung öffentlicher Aufgaben führt zu wirtschaftlicherer, kostengünstigerer Erledigung einzelner Aufgaben" - zur Einführung in diesen Problembereich vgl. etwa Knemeyer, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, WiuVw. 1978, 65 (65, 73 f.) - ist hier nicht weiter einzugehen; immerhin ist auch die „Privatisierung der Gefahrenabwehr" ein in diesen Themenkomplex passendes, gleichwohl aus der Diskussion bisher wie selbstverständlich ausgeldammertes Beispiel. 67 Hierzu namentlich der bereits zitierte Beitrag von Gallus im eigens dieser Problematik gewidmeten Band, BKA 1976 (Bandtitel: „Polizei und Prävention"), dort S. 72. 68 Eingehend und unter Bezugnahme auf Kriminalitätsstatistiken hierzu Schaefer, Aufgaben der privaten Notrufzentralen, W + S Information 159, 83 (84).

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

e) Zusammenfassung Der durch die Entwicklung der Sicherheitslage bedingte, erhöhte Schutzbedarf ist und bleibt mithin unmittelbar wie mittelbar ausschlaggebender Grund für den Aufschwung des Sicherheitsgewerbes. Es bietet dem „Schutzbedürftigen" den Vorteil weisungsgebundener, vertraglich beliebig regelbarer, flexibler Handhabbarkeit und bedarfsgerechter Einsetzbarkeit. Auch die Kostenseite schlägt, was auch für die öffentliche Hand als Auftraggeber von Interesse ist, zugunsten privater Organisation einzelner Bewachungsaufgaben zu Buche. Diese tatsächlichen Umstände erklären die Heranziehung privater Unternehmen für Gefahrenabwehraufgaben im bisher festzustellenden, sogar steigenden Rahmen zur Genüge. Nicht zu betrachten ist in diesem Zusammenhang die (rechtliche) Frage, ob auch rechtstheoretische Gründe für den Vorrang privater - vor staatlicher - Erledigung einer bestimmten Aufgabe sprechen. Diese Frage muß zur juristischen Fundierung und Abstützung der - mit den vorstehenden faktischen Erwägungen begründeten - Wahlpräferenz gewerblicher Gefahrenabwehr untersucht werden und ist im nachfolgenden grundlegenden Kapitel über die generelle Einordnung bzw. Zulässigkeit privaten Ordnungsschutzes eingehend zu erörtern. Um es noch einmal zu wiederholen: Alle hier genannten tatsächlichen „Vorteile" der Beauftragung privater Sicherheitsunternehmen müssen zurückstehen, wenn die rechtliche Untersuchung deren Unzulässigkeit ergibt und die Übernahme der Gefahrenabwehrtätigkeit im öffentlichen Bereich durch die öffentliche Hand geboten ist. II. Andere Erscheinungsformen privater Sicherheitseinrichtungen Der vorstehende Teil hat sich ausschließlich mit selbständigen, gewerblichen Sicherheitsunternehmen befaßt. Sie sind es, die das umfassende, heute von privaten Wachorganisationen erledigte Aufgabenspektrum abdecken; vor allem sind sie es, die (neben beispielsweise betriebsinterner Beschäftigung zu Bewachungszwecken) Ordnungsaufgaben im „öffentlichen" und für das Publikum relevanten Bereich durchführen. Auf sie wird sich die vorliegende Arbeit auch in den folgenden Kapiteln ausschließlich beschränken. Der Vollständigkeit halber sollen in diesem ersten Kapitel freilich noch andere organisatorische Einrichtungsformen privater Sicherheitseinrichtungen 1 - mit vergleichsweise eingeschränktem und insoweit zur Abgren1 Wohlgemerkt: privater!, nicht aber staatlicher; daß sich die vorliegende Abhandlung nur mit privaten Gefahrenabwehreinrichtungen befaßt - also allgemeinpolizeiliche oder anderweitig staatliche (sonderpolizeiliche) Tätigkeit, ζ. B. die Bahnpolizei - nicht behandelt, bedarf keiner ausführlichen Darlegung mehr. Unten (Kap. 2 I I 2 b

II. Andere Erscheinungsformen privater Sicherheitseinrichtungen

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zung von polizeilicher Tätigkeit weniger geeignetem Aufgabenbereich vorgestellt werden: 1. Werkschutz

Als zahlenmäßig bedeutendste Gruppe privater Gefahrenabwehr-Institutionen ist - neben den selbständigen, gewerblichen Unternehmen, denen sich diese Arbeit allein widmet - der Werkschutz zu nennen. Es handelt sich um eine unselbständige Einrichtung in (meist größeren) Wirtschaftsunternehmen, die ausschließlich innerhalb des Unternehmens tätig wird und der betriebsinternen Gefahrenabwehr dient. Der oben bereits mehrfach zitierte Bericht des B M I über die private Wahrnehmung von Wach- und Sicherheitsaufgaben widmet dem Werkschutz neben den selbständigen gewerblichen Sicherheitsunternehmen ein eigenes Kapitel 2 , in dem u. a. Stärke und Aufgabenbereich des Werkschutzes angesprochen sind. Über die Zahl der im internen, betriebseigenen Werkschutz beschäftigten Arbeitnehmer liegen zuverlässige Erkenntnisse nicht vor; sie w i r d auf etwa 50 000 bis 60 000 geschätzt3. Die wesentlichen Funktionsbereiche des Werkschutzes sind der Ordnungs-, Schutz- und Ermittlungsdienst, die nachfolgende Einzelaufgaben umfassen: Ordnungsdienst: Pförtnerdienst (Personen-, Fahrzeug- und Güterkontrolle); Verkehrsdienst (Verkehrskontrolle, Verkehrssicherung und Verkehrsüberwachung) und Ordnungsdienst im engeren Sinne (Schließanlagen, Ausweiswesen und sonstige Aufgaben, wie ζ. B. Telefondienst). Schutzdienst: Wachdienst (Wachdienst, Pfortendienst, Streifendienst, Aufsichts- und Begleitschutz); allgemeine Schadensabwehr (Schutz der Sachwerte, Personenschutz und Schutz der Organisationseinrichtungen) und besondere Schadensabwehr (Schutz gegen Ausspähung und Spionage, betriebsinnere und betriebsäußere Sabotageabwehr, Abwehr von oder Mitwirkung bei Notständen). Ermittlungsdienst: Ermittlungen bei Ordnungswidrigkeiten und Betriebskriminalität sowie in Schadensfällen 4. Im Gegensatz zu den selbständigen, (auch) in der Öffentlichkeit tätigen Sicherheitsunternehmen ist der Werkschutz - von wenigen Literaturstimee) wird freilich noch die Frage zu erörtern sein, ob und inwieweit der seitens der hier besprochenen privaten Einrichtungen wahrgenommenen Tätigkeit hoheitlicher Charakter beigemessen werden muß. Insoweit wird sich eine weitere Themeneingrenzung auf den nichthoheitlichen Bereich ergeben. 2 Bericht B M I 1982, S. 12 ff. 3 Ebd. S. 14; ebenso auch Bericht B M I 1986, S. 7. 4 Bericht B M I 1982, S. 12 f. m. N.

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

men abgesehen - kein Gegenstand grundsätzlicher K r i t i k gewesen. Er ist insbesondere, und durchaus verständlicherweise nicht in die unten ausführlich zu erörternde Diskussion um die Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols durch private Sicherheitsdienste einbezogen worden, weil sich sein „Sicherheitsgewährleistungsauftrag" auf den „abgeschlossenen Bereich eines wirtschaftlich geordneten Betriebes beschränkt" 5 . Der abhängige, betriebsinterne Werkschutz dient der (Eigen-)Sicherung des Unternehmens; er leistet keine „Fremdschutzaufgaben" 6 . Tätigkeit in der Öffentlichkeit kommt beim Werkschutz nicht in Betracht, so daß sich auch die Befürchtung, es etabliere sich insoweit eine parapolizeiliche Einsatztruppe, nicht aufdrängt. Immerhin sind im Schrifttum in bezug auf die Tätigkeit des Werkschutzes einige Zweifel laut geworden, denen im Rahmen des Gegenstandes dieser Arbeit allerdings nicht vertieft nachgegangen werden kann. Die Bedenken entzündeten sich vor allem an der Ermittlungstätigkeit des Werkschutzes, die manche, da regelrecht im repressiven Bereich der Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfolgung angesiedelt, für ausschließlich der staatlichen Polizei vorbehalten erklären 7 . Vorschläge de lege ferenda gehen dahin, die Werkschutztätigkeit - ebenso wie den Bereich der Betriebsjustiz - gesetzlich zu erfassen und ihren Funktionsbereich einzugrenzen 8. Der gesamte Problemkreis verdiente eingehende, gesonderte rechtliche Erörterung, die den Rahmen dieser Untersuchung freilich sprengen würde und daher unterbleiben muß. Soweit es um generelle, grundsätzliche Fragestellungen wie die Berechtigung privater Gefahrenabwehr im allgemeinen geht, können die nachfolgenden Rechtsausführungen für selbständige gewerbliche Sicherheitsunternehmen freilich unproblematisch auf den Bereich des Werkschutzes übertragen werden. I m Zusammenhang mit den Rechtsgrundlagen für das Tätigwerden Privater zur Gefahrenabwehr werden unten 9 auch solche erörtert, die speziell für den Werkschutz von praktischer Relevanz sind. Eine - durch Zahlen leider nicht belegte, aber durchaus plausible - These Büschs bilde den Abschluß der Betrachtung des Werkschutzes: Busch pro5 So mit Recht Steinke, Das Bewachungsgewerbe im Blickpunkt der Polizei, DNP 1986, 38, der - etwas apodiktisch - hinzufügt, der Werkschutz werde „heute in keiner ernst zu nehmenden Argumentation in Frage gestellt". Ebenso Hammacher, Werkschutz ist keine Werkspolizei, Kriminalistik 1976, 303 (304). 6 Gegenüberstellung von Eigensicherung und Fremdschutz bei Stümper, Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1975, 193. 7 Besonders eingehend hierzu Kuhlmann, Betriebsjustiz und Werkschutz, ZRP 1977, 298 (300 und durchgehend). - Bedenken auch bei Karl, Werkschutz und Polizei, Kriminalistik 1976, 209 (210 und durchgehend); dagegen nachdrücklich Hammacher, Werkschutz ist keine Werkspolizei, Kriminalistik 1976, 303 f. 8 Kuhlmann ebd. S. 299. 9 Namentlich Kap. 4 I.

II. Andere Erscheinungsformen privater Sicherheitseinrichtungen

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gnostiziert, daß die oben erörterte Wandlung der selbständigen gewerblichen Sicherheitsunternehmen zu „technisch gut ausgerüsteten Sicherheitskonzernen" den überkommenen betriebseigenen Werkschutz im Bereich mittlerer Betriebe zunehmend verdrängen werden. Aus den Gründen, die oben für die Heranziehung privater, gewerblicher Unternehmen zur Gefahrenabwehr erörtert wurden 1 0 , würden - so Busch - solche selbständigen Unternehmen auch im betriebsinternen Bereich verstärkt beauftragt 11 . Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, die nachfolgenden Überlegungen auf das selbständige Sicherheitsgewerbe zu konzentrieren. 2. Sonstige private Gefahrenabwehreinrichtungen

Mit den beiden bisher angesprochenen Typen privater Gefahrenabwehreinrichtungen - der frei-gewerblichen Unternehmen und dem Werkschutz sind zwei grundsätzlich zu trennende Gruppen angesprochen, die sich für die Systematisierimg der verschiedenen Institutionen eignen: einerseits die selbständigen Unternehmen; andererseits die unselbständigen, abhängigen. Diese Gliederung legt auch Honigl in seinem empirischen Überblick zugrunde 12 . Im Sektor der unselbständig-abhängigen Einrichtungen ist nur noch die Institution der Hausdetektive erwähnenswert. Ihr Pendant bei selbständigen Unternehmen ist das private Detekteigewerbe. Beiden widmet sich diese Untersuchung nicht weiter; da sie nicht in der „Öffentlichkeit" tätig werden, bedarf das keiner vertieften Darlegungen 13 . Die dritte und letzte Gruppe privater Sicherheitseinrichtungen überschreibt Honigl 1 4 „Organe der freiwilligen Selbsthilfe". Dieser Gruppe unterfallen neben den von Honigl als Beispiel aufgeführten „Stellen zur Selbstkontrolle in bestimmten Gewerbebereichen" zahlreiche private Institutionen, die - wie Wacke in der 7. Auflage seines Polizeirechtslehrbuches schrieb 15 - ein „wahrhaft großartiges Bild von der Einsatzbereitschaft des heutigen Menschen zugunsten seiner Mitbürger" ergeben:

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Oben Abschn. I 9. Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 44. Ebenso bereits Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, BKA 1976, 71 (72). 12 Tätigwerden von Privaten, S. 23; ebenso Groß / Geerds, Handbuch der Kriminalistik II, S. 478 ff. 13 Gerade in bezug auf die Ermittlungstätigkeit der Detekteien wäre aber eine rechtstheoretische Abgrenzung zu kriminalpolizeilicher Tätigkeit gelegentlich von Interesse; auch dies ist in der rechtswissenschaftlichen Diskussion noch weitgehend tabula rasa. 14 Ebd. S. 23 unter Bezugnahme auf Groß / Geerds ebd. S. 480. 15 Drews / Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 7. Aufl. S. 493; in den nachfolgenden Auflagen fehlen diese Ausführungen. 11

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, die DLRG, der Deutsche Kinderschutzbund, Verkehrswacht, Straffälligenhilfe, Vereine zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs etc. sind zu nennen 16 . Alle genannten Organisationen betreiben im weitesten Sinne außerhalb des polizeilichen Tätigkeitsbereichs - sich gelegentlich aber auch mit ihm überlappend - „Gefahrenabwehr". Auch sie sollen allerdings im Rahmen dieser Abhandlung unberücksichtigt bleiben. Ihrer Tätigkeit kann im Regelfall kein polizeilicher oder polizeiähnlicher Charakter zugemessen werden; sie ist insbesondere nicht auf die mögliche Inanspruchnahme von Erlaubnisnormen zum Eingriff in Rechtsgüter bzw. die Rechtssphäre Dritter angelegt. - Soweit einzelne der genannten Institutionen gelegentlich gleichwohl derartige Eingriffe vornehmen, sind die unten folgenden Ausführungen zu den Rechtsgrundlagen solcher mit Eingriffen verbundener Tätigkeit privater „Ordnungsschützer" freilich wiederum auf sie übertragbar. 3. Schlußbemerkung

Mit diesem Überblick über einzelne Erscheinungsformen privater Gefahrenabwehrinstitutionen soll es in diesem einleitenden Kapitel sein Bewenden haben. Die ab dem zweiten Kapitel folgenden rechtlichen Überlegungen haben, wie gesagt, das selbständige Sicherheitsgewerbe zum Gegenstand. Seine wachsende Bedeutung, die seinetwegen geäußerten grundsätzlichen Bedenken und seine offenkundige Nähe zum Tätigkeitsbereich staatlicher Vollzugspolizei rechtfertigen die vorgenommene thematische Eingrenzung. Zuvor soll freilich noch, in einem Exkurs, ein „Blick über den Zaun", auf die Situation hinsichtlich jenes privaten Sicherheitsgewerbes im Ausland geworfen werden.

III. Exkurs: Private Sicherheitsdienste im Ausland Im Rahmen der Vorbereitung seines Berichts hat der B M I bezüglich der allgemeinen Lage und eventueller gesetzlicher Regelungen hinsichtlich gewerblicher Sicherheitsunternehmen in zahlreichen europäischen Nachbarstaaten 1 sowie namentlich in den USA Rückfrage gehalten. Die im Anhang zu seinem Bericht veröffentlichten Angaben sind - im großen und ganzen - wenig ergiebig, namentlich im Hinblick auf spezielle Detailangaben. Auch die Abhandlungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sind 16 Zusammenstellung weiterer Beispiele bei Drews / Wache ebd. S. 490 ff.; Schäfer, Der Werkschutz als Sicherheitsfaktor, DP 1977, 153. 1 Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Schweden, Norwegen, Großbritannien, Dänemark, Irland, Luxemburg und Osterreich.

III. Exkurs: Private Sicherheitsdienste im Ausland

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insoweit nicht besonders eingehend; insgesamt ergibt sich aber gleichwohl ein durchaus aufschlußreicher Überblick. 1. Sicherheitslage und Überforderung der Polizei im Ausland

Festgehalten zu werden verdient namentlich, daß die vom B M I befragten Länder ausnahmslos mitgeteilt haben, aller anstehenden Sicherheitsaufgaben allein mit ihren staatlichen Polizeikräften nicht Herr zu werden. Private Wachdienste sind in sämtlichen Ländern etabliert; die von ihnen erledigten Aufgaben können von der Polizei schon aus Personalmangel nicht übernommen werden. Insoweit ist die „Sicherheits-Ausgangslage" mit derjenigen der Bundesrepublik Deutschland völlig identisch 2 . Die Sicherheitslage speziell in den USA ist auch von anderen Autoren besprochen worden. Danach ist in den Vereinigten Staaten schon seit langem ein zunehmendes Sicherheitsdefizit zu beobachten. Steigende Kriminalitätsraten bedingten eine zunehmende Bindung der Polizei im repressiven Bereich auf Kosten präventivpolizeilicher Tätigkeit des Staates. Die Ausfüllung dieses Defizits lag schon früh in privater Hand 3 . Insoweit kann den USA durchaus die Vorreiterrolle hinsichtlich privater Gefahrenabwehr zugeschrieben werden, was sich in den Zahlen der im Sicherheitsgewerbe Beschäftigten (siehe unten 2) deutlich niederschlägt. Auch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in den Niederlanden und Österreich liegen Angaben im juristischen Schrifttum vor; sie zeigen im wesentlichen das gleiche Bild. In ( iner Meldung der Fachzeitschrift „Die Polizei" 4 ist bezüglich Österreichs ausdrücklich von einem dem Aufgabenumfang „nicht angepaßten Personalbestand der Polizei" die Rede, der zu einem Aufschwung des privaten Sicherheitsgewerbes geführt habe. Ähnlich ist die Situation in den Niederlanden 5 . In den Niederlanden ist sogar eine bedenkliche Randerscheinung beobachtet worden, deren Entstehung Sorge bereiten muß: Zu einer überlasteten Polizei kam ein - offenbar von politischen Vorstellungen nicht unbeeinflußtes - zurückhaltendes, nach Ansicht befragter Bürger zu laxes Einschreiten gegen Rechtsbrecher im repressivpolizeilichen Bereich und dem der Justiz sowie staatlicherseits eine reservierte Einstellung gegenüber privaten, gewerblichen Sicherheitsorganisationen. 1985 meldete „Die Neue Polizei" 6 die spontane Entstehung von „Bürgerwehren" in zahlreichen holländischen 2 Bericht B M I 1982, Anhang Ziff. 1. 3 Zur allgemeinen Situation in den USA Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 27; vgl. auch den Bericht „Privatpolizeien i n den USA" in Kriminalistik 1979, 295; Meldung in DP 1977,270. 4 1984,95. s Vgl. Berichte in DP 1976, 301; DNP 1985, 140. β S. 140.

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1. Kap.: Historisches und Empirisches

Städten, die „mit Knüppeln und Hunden" gegen Rechtsbrecher vorgingen ein aufsehenerregender Bericht, der die möglichen Folgen einer rechtstheoretisch begründeten, freilich politisch motivierten übersteigerten Skepsis7 gegenüber geordneter gewerblicher Gefahrenabwehr zur Entlastung der Polizei aufzeigen könnte. Im Rahmen der nachfolgenden rechtlichen Überlegungen sollte dieser Umstand jedenfalls nicht vergessen werden. 2. Auslandszahlen

Beschäftigungs- und Umsatzzahlen der gewerblichen Sicherheitsbranche liegen hinsichtlich mancher Länder vor; auch sie ergeben ein recht aufschlußreiches Bild: Für die USA lassen die mitgeteilten Zahlen erhebliche Wachstumstendenzen der privaten Sicherheitsbranche erkennen. Gallus, der sich auf ein „ U N Papier" aus 1969 beruft, spricht von einer Beschäftigtenzahl von 290 000 im privaten Gewerbe gegenüber 395 000 Polizeibeamten 8 . Die schon zitierte Meldung aus „Die Polizei" 9 nennt 1977 eine Zahl von 800 000 bis 1 000 000 privater Wächter gegenüber 650 000 Polizeibeamten. Nach einer früheren Meldung aus 1976 war sogar von einem Verhältnis von 800 000 privaten Wächtern gegenüber 450 000 Polizeibeamten die Rede 10 . Fest steht damit, daß die Zahl privater Wächter den staatlichen Polizeibestand in den USA quantitativ überrundet hat. In Publikationen der jüngsten Zeit 1 1 sind nach wie vor die gleichen Zahlen genannt. Neuere Daten liegen also nicht vor; auch der B M I konnte für seinen Bericht aus den USA keine Zahlen erhalten, wie er ausdrücklich bemerkt 12 . Anhaltspunkte dafür, daß sich das Verhältnis inzwischen wieder zugunsten der staatlichen Polizeibeamten geändert haben könnte, sind freilich nicht ersichtlich. Einige Zahlenangaben enthält der Bericht B M I 1982 für Schweden und England. In Schweden stehen 11.200 Beschäftigte der privaten Sicherheitsbranche 16 000 staatlichen Polizeikräften gegenüber (Jahr nicht mitgeteilt). In England lautet das entsprechende Verhältnis 80 000 : 97 000 (Stand: 1972/72P. 7 Ausuferungen der geschilderten Art sind übrigens tatsächlich nur in den Niederlanden gemeldet worden; im übrigen stellt der B M I ausdrücklich fest, daß alle befragten Länder die polizei-entlastende Tätigkeit des privaten Sicherheitsgewerbes im Grundsatz begrüßen; vgl. Anhang zum Bericht B M I 1982, Ziff. 7. Lediglich England hat wegen des „raschen Anwachsens der Branche" gewisse, nicht näher definierte „Besorgnisse" geäußert. β Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, BKA 1976, 71. 9 1977,270. 10 DP 1976, 429. 11 Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 42; Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 28. 12 Bericht B M I 1982, Anhang Ziff. 1.

III. Exkurs: Private Sicherheitsdienste im Ausland

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Diese verhältnismäßig ausgeglichenen Werte bezeichnet der Bericht als „beachtenswert". - Bezüglich England spricht eine neuere Publikation 1 4 , ohne genaue Zahlen zu nennen, inzwischen sogar ebenfalls davon, daß die Zahl der privaten Wächter diejenige der Polizeibeamten überrundet habe. In den Niederlanden sind (Stand 1975) 12 000 Personen im privaten Sicherheitsgewerbe beschäftigt, gegenüber 26 000 Polizeibeamten 15 . Für die Schweiz liegen zwar keine Zahlenangaben vor, Honigl spricht aber von einem Zuwachs „wie in anderen Ländern" 1 6 . Das für Deutschland festgestellte Wachstum der Branche läßt sich mithin durchaus verallgemeinern, wobei einzelne Länder sogar die Schwelle einer größeren privaten Sicherheitsbranche gegenüber ihrer staatlichen Polizei überschritten haben. Derartige Entwicklungen sind für den Bereich der Bundesrepublik augenblicklich nicht absehbar. Sie sind freilich, wie man erkennt, durchaus kein bloß theoretisches Denkspiel. Eine rechtsdogmatische Fundierung des Problembereichs privater Gefahrenabwehr, die Untersuchung ihrer grundsätzlichen Berechtigimg und ihrer Abgrenzung zum ausschließlich polizeilichen Kompetenzbereich ist daher, wie oben schon in anderem Zusammenhang erwähnt, am Platze. 3. Gesetzliche Regelung des privaten Sicherheitsgewerbes im Ausland

Der Bericht des B M I erwähnt nur für die Niederlande, Schweden und Italien eine nicht näher beschriebene, spezielle gesetzliche Regelung des privaten Bewachungsgewerbes 17. Mangels abweichender Angaben liegt die Vermutimg nahe, die Vorschriften entsprechen den im Gewerberecht der Bundesrepublik Deutschland gleichfalls eingeführten 18 . - Danach ist jedenfalls das Fazit berechtigt, daß Zulassungseinschränkungen im Hinblick auf Leumund und Solvenz des Bewerbers in den übrigen Ländern ebensowenig existieren wie spezielle gesetzliche Anforderungen an die Fachkunde des Unternehmers. Seit 1983 existiert in Frankreich eine gesetzliche Bestimmung über die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste 19 , die im wesentlichen der deutschen 13 Ebd. Blum, Das Bewachungsgewerbe, W + S Information 162, 11 m. N. 15 Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 30. 16 Ebd. S. 31. " Bericht B M I 1982, Anhang Ziff. 2. 18 Für Schweden wird dies von Gerlach, Gewerbliche Sicherheitsunternehmen i n der Bundesrepublik aus schwedischer Sicht, W + S Information 164, 22 (28) ausdrücklich bestätigt. 19 Gesetz vom 12. 7. 1983 über private Wach-, Sicherheits- und Werttransportunternehmungen, Journal officiel vom 13. 7. 1983. 14

48

1. Kap.: Historisches und Empirisches

Regelung in § 34 a GewO entspricht. Ein sehr bedeutsamer Unterschied ist allerdings festzuhalten: § 11 des Gesetzes bestimmt, daß die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste, von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, nicht im öffentlichen Raum stattfinden dürfe. Diese Bestimmung 20 stellt sicherlich für die den Gegenstand dieser Arbeit bildende Rechtslage in Deutschland keinerlei Präjudiz dar; Erwähnung verdient sie gleichwohl. In manchen Ländern - Italien, Niederlande - werden nach Angaben des B M I gesetzliche Bestimmungen jedenfalls über die Ausbildung der im Sicherheitsdienst Beschäftigten für erforderlich gehalten 21 ; Österreich hat sogar, als einziges Land schlechthin, eine „Verordnung über den Befähigungsnachweis" erlassen 22, die eine echte und ausschließende Berufszulassungsregelung hinsichtlich des privaten Sicherheitsgewerbes darstellt. Im fünften Kapitel dieser Untersuchung w i r d darauf einzugehen sein, ob eine derartige Regelung auch für die Bundesrepublik de lege ferenda verlangt werden kann bzw. sollte. Bemerkenswert ist, daß hinsichtlich der „Befugnisse" der privaten Sicherheitsdienste kein Land spezielle gesetzliche Regelungen erlassen hat; in allen Ländern stützen sich private Sicherheitsdienste auf die dort - wie hier - geltenden „Jedermannrechte", also namentlich Notwehr und Nothilfe 2 3 . Dieser Umstand verdient Beachtung. Er entbindet freilich nicht von der Notwendigkeit, eingehend die Frage zu prüfen, ob dieser Rechtszustand in der Bundesrepublik bedenkenlos hingenommen werden kann. Die Anwendbarkeit der Notrechte auf professionelle private Ordnungsschützer ist zentrales, in dieser Arbeit zu erörtendes Rechtsproblem. Schweden und Italien haben die staatliche Aufsicht über die Bewachungsunternehmen gesetzlich geregelt; ansonsten fehlen entsprechende Bestimmungen 24 . 4. Schlußbemerkung

Soweit ein Blick auf die tatsächliche Situation hinsichtlich des privaten Bewachungsgewerbes im Ausland. Es verdient nochmals festgehalten zu werden, daß der in der Bundesrepublik beobachtete Branchenzuwachs all20 Von Blum, Normen für das Bewachungsgewerbe im überstaatlichen Vergleich, W + S Information 165, 59 (64) in mancher Hinsicht kritisiert. 21 Bericht B M I 1982, Anhang Ziff. 4. 22 Am 1. 11. 1977; im Wortlaut abgedruckt bei Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 110 ff. 23 Bericht B M I 1982, Anhang Ziff. 3. 24 Bericht B M I 1982, Anhang Ziff. 6. - Nähere Einzelheiten bezüglich des Inhaltes der Aufsicht werden nur für Schweden mitgeteilt: Dort umfaßt sie die „Auflagenerfüllung, die Tätigkeitsausübung, das Personal, die Ausbildung und das vorschriftsmäßige Tragen der Uniform".

III. Exkurs: Private Sicherheitsdienste im Ausland

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gemeine Erscheinung ist. Auch der Umstand, daß in keinem Land spezielle „Befugnisnormen" für gewerbliche Sicherheitsdienste existieren, ist beachtlich. Schließlich war in gewerberechtlicher Hinsicht große Uneinheitlichkeit zu beobachten: Einige Länder verfügen über relativ detaillierte Regelungen bis hin zur Normierung der Fachkundevoraussetzung; andere beschränken sich mit wenigen grundsätzlichen Bestimmungen; meist fehlt eine spezielle gesetzliche Regelung völlig. Die drei hiermit angesprochenen Gesichtspunkte - grundsätzliche Zulässigkeit privater Gefahrenabwehr im rechtsstaatlich verfaßten Gemeinwesen; Rechtsgrundlagen des mit Eingriffen verbundenen Tätigwerdens und gewerberechtliche Probleme - werden, wie gesagt, den Gegenstand der folgenden Untersuchung bilden.

4 Mahlberg

Zweites Kapitel

Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol, Demokratie- und Sozialstaatsgebot I. Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung als Aufgabe des Staates 1. Allgemeines

Eine Untersuchung über Zulässigkeit bzw. rechtliche Beurteilung der Tätigkeit privater „Sicherheitsunternehmen" - und hier namentlich derjenigen, die ihren Wirkungskreis im weitesten Sinne im „öffentlichen Bereich" entfalten 1 - kann, als gedanklichen Ausgangspunkt, den Umstand nicht ignorieren, daß die Gewährleistung „öffentlicher Sicherheit und Ordnung" 2 nach einhelliger Ansicht seit langem als Aufgabe des Staates, ja als eine seiner Hauptfunktionen verstanden wird 3 . Es ist hier nicht geboten, sich in staatstheoretische oder rechtsphilosophische Ausführungen zu vertiefen 4 . Die Feststellung mag genügen, daß mit fortschreitender Entwicklung von Begriff, Wesen und Funktionen des Staates - und später insbesondere derjenigen des verfaßten Rechtsstaates - die Sicherung des inneren Rechtsfriedens als der das Wesen des Staates definierende Zentralgesichtspunkt erkannt und herausgestellt wurde 5 . 1794 wurde im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten dieser Grundsatz wie folgt kodifiziert:

1 Vgl. oben Kap. 1 I. Danach soll die Untersuchung auf das Tätigwerden gewerblicher Sicherheitsunternehmen konzentriert werden, die im Bereich öffentlicher Sicherheit und Ordnung tätig sind. 2 Die unbestrittene Definition dieses Begriffes - vgl. statt aller Riegel, POR, S. 31 bedarf in diesem Zusammenhang keiner vertieften Erörterung. 3 Vgl. nur Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 347 ff. mit zahlreichen w. N.; ferner - in einer Publikation des privaten Sicherheitsgewerbes - Eick, Produktionsfaktor Sicherheit, W + S Information 162,16 (17). 4 Mit einer Bezugnahme auf Hobbes' „Leviathan" leitet Scholz seinen Aufsatz „Rechtsfrieden im Rechtsstaat", NJW 1983, 705 ff., ein; ebenso Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 1. 5 Vgl. insoweit nur Scholz ebd.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 60; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 347.

I. Öffentliche Sicherheit und Ordnung als Staatsauf gäbe

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II. Theil, 17. Titel ALR 6 : § 1 : Der Staat ist für die Sicherheit seiner Unterthanen, i n Ansehung ihrer Personen, ihrer Ehre, ihrer Rechte und ihres Vermögens, zu sorgen verpflichtet. § 2: Dem Staate kommt es also zu, zur Handhabung der Gerechtigkeit, zur Vorsorge für diejenigen, welche sich selbst nicht vorstehen können, und zur Verhütung sowohl als Bestrafung der Verbrechen, die nöthigen Anstalten zu treffen.

2. Entwicklung des Polizeibegriffs

Eben jene Kodifikation, das ALR, bestimmte an kurz darauffolgender Stelle: § 10: Die Nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Policey.

Mit dem erstmals hier niedergelegten 7 Begriff der Gefahrenabwehr ist das entscheidende Merkmal polizeilicher Tätigkeit definitiv umrissen. Nach anfänglichen Tendenzen, auch Aspekte der Wohlfahrtsförderung wieder mit dem Polizeibegriff zu verquicken 8 , gelangte der Polizeibegriff zu eindeutiger Fixierung 9 als derjenige Teil der staatlichen Verwaltung, dessen ausschließliche Aufgabe es ist, Gefahren abzuwehren, durch die die „öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnimg gestört werden" 1 0 . 3. Polizei als Musterfall der Hoheits- und Eingriffsverwaltung

Ebensowenig wie der polizeiliche Aufgabenbereich als solcher ist der hoheitliche Charakter der Polizeitätigkeit umstritten. Sie w i r d im gesamten rechtswissenschaftlichen Schrifttum als Schulfall der „ Eingriffsverwaltung", der einseitig verbindlich regelnden, auf der Durchsetzimg von Zwang und Befehl beruhenden Staatstätigkeit dargestellt 11 . Eingriffsverwaltung ist notwendig hoheitliche Verwaltung 1 2 ; der Staat greift hier als Verwaltungssubjekt „Polizei" zum Zwecke der Gefahrenabwehr mit Hoheitsgewalt in die Freiheitssphäre der Bürger ein 1 3 .

6

Hervorhebungen durch den Verfasser. Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 4. 8 Knemeyer, POR, Rn. 7. 9 Vgl. dazu das „klassische" Kreuzbergurteil des PrOVG, E 9, 353 ff. 10 So sehr prägnant bestimmt in § 32 Thür. LVwO (1926); sämtliche nachfolgenden Landes-Polizeigesetze ähnlich. 11 Vgl. statt aller Wolff / Bachof, VwR I, § 3 I c 2; von Münch i n Erichsen / Martens, VwR AT, S. 22. 12 v. Münch ebd. 13 Wolff / Bachof, VwR I, § 23 I I I a. 7

4'

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Im folgenden w i r d allerdings zu untersuchen sein, ob die Annahme, jede „Polizei"-Tätigkeit sei notwendig hoheitliche Eingriffsverwaltung, nicht näherer Differenzierung bedarf. 4. Zusammenfassung

Dieser kursorische Überblick mag zunächst genügen. Als Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen ist festzuhalten: Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnimg ist Aufgabe des Staates. Er nimmt sie durch das Verwaltungssubjekt „Polizei" als hoheitliche Tätigkeit wahr 1 4 . Wie sich in diesem Rahmen ein Tätigwerden Privater auf jenem Gebiete rechtlich einordnen bzw. rechtfertigen läßt, ist der Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen. Π. Wahrnehmung der Aufgabe öffentlicher Sicherheitsgewährleistung durch Private 1. Befund

Der vorstehenden, allgemein gehaltenen Feststellung, die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit und Ordnung sei Aufgabe des Staates, steht die Wirklichkeit gegenüber, daß sich heute bereits in beträchtlichem Umfang private Unternehmen im „Sicherheitsbereich" engagieren. Ihr Tätigkeitsbereich umfaßt inzwischen, wie oben dargestellt 1 , keineswegs mehr nur den bloßen Bewachungsdienst im umschlossenen privaten Rahmen. Mit ihrer Tätigkeit im öffentlichen Verkehrsraum (U-Bahn) oder im hochsicherheitsempfindlichen, durch Anschläge gefährdeten Bereich (Kernkraftwerke) nehmen die einschlägigen Betriebe Sicherheitsaufgaben öffentlicher Relevanz, regelrechte Polizeiaufgaben wahr. Von daher nimmt es nicht wunder, daß die zugrunde liegenden Rechtsprobleme im Schrifttum nicht selten unter dem knappen Stichwort „Privatpolizei" angeschnitten werden 2 . Zwischen Rechtsgrundsatz und Rechtswirklichkeit scheint auf den ersten Blick eine Diskrepanz zu bestehen. Gerade deswegen überrascht es zunächst 14 Im Rahmen dieser Untersuchung ist es nicht veranlaßt, näher auf das organisatorische Gefüge des staatlichen „Sicherheits"-Sektors einzugehen. Namentlich d i e - i n zahlreichen Bundesländern geltende - begriffliche und kompetenzielle Trennung von Ordnungs- und Sicherheitsbehörden und „uniformierter Polizei" bedarf hier keiner Erörterung; vgl. insoweit den Überblick bei Knemeyer, POR, Rn. 11,13-15. Wenn im folgenden von „Polizei" gesprochen wird, ist dies im institutionellen Sinne, als „Polizei im Vollzugsdienst" zu verstehen, ι Vgl. oben Kap. 11 6 b. 2 Die Überschriften lauten z. B.: „Übergang der Polizeigewalt auf Private", ZRP 1977, 277 ff.; „Privatpolizeien in den USA", Kriminalistik 1979, 295 ff.; „Privatpolizeien-Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?", Kriminalistik 1980, 34 ff.; „Private Sicherungsdienste - Polizeiersatz im Wartestand?", Kriminologisches Journal 1985, 228 ff.

II. Gefahrenabwehr durch Private

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festzustellen, daß eine geschlossene rechtsdogmatische Behandlung des Themas mit dem Ziel, die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste in juristischer Hinsicht grundsätzlich einzuordnen, bislang nicht vorliegt. Als Beleg für diese These mögen ergänzend folgende Umstände dienen: Die namhaften Polizeirechtslehrbücher sparen den Themenkomplex meistens aus3. Handelte die vorletzte Ausgabe von Drews / Wacke den Problembereich noch kurz ab 4 , so fehlt der entsprechende Gegenstand in den nachfolgenden Auflagen völlig 5 . Soweit das Thema „Gefahrenabwehr durch Private" in neueren Lehrbüchern angeschnitten wird 6 , beschränken sich die Ausführungen auf einen kursorischen Überblick über die Fakten, ergänzt durch den Hinweis, klare Lösungen der zugrunde liegenden Rechtsprobleme seien „bisher nicht in Sicht". 2. Rechtsgrundsätzliche Einordnung unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips

Die nachfolgenden Überlegungen wollen den Versuch unternehmen, das Tätigwerden Privater unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips rechtlich zu erfassen. Diese Lösung bietet sich auf den ersten Blick an, ist doch ein wesentlicher Gegenstand des Subsidiaritätsprinzips, grob vereinfacht, die Aufgabenerfüllung durch Private anstelle des Staates. Aus diesem Grunde mag - ob und inwieweit, w i r d zu entwickeln sein - das Subsidiaritätsprinzip geeignet sein, bereits die logisch erstrangige Frage des „ob" der Tätigkeit Privater auf dem Gebiet öffentlicher Sicherheit und Ordnung rechtlich zu erhellen 7 . a) Das Subsidiaritätsprinzip ein diffuser Begriff von unklarer

Aktualität

Die Frage nach Inhalt und Auswirkungen des von der katholischen Soziallehre entwickelten 8 Subsidiaritätsprinzips sowie insbesondere dieje3

Etwa diejenigen von Götz, Scholler / Broß, Knemeyer. Allg. PolR, 7. Aufl., S. 487 - 493. 5 Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 8. Aufl., S. 23 bzw. 9. Aufl., S. 61 verweisen Interessenten auf die Lektüre der 7. Aufl. 6 Soweit ersichtlich, ist das nur bei Riegel, POR, S. 78 f., sowie neuerdings, grundrißmäßig, in Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 41 ff. der Fall. 7 Fragen des „wie" der Tätigkeit sind zweitrangig und erst zu erörtern, wenn das „ob" rechtlich abgesichert und begründet ist: „Der Jurist wird fragen,... ob es überhaupt zulässig ist, daß private Organisationen von sich aus polizeiliche Aufgaben übernehmen"; Drews / Wacke 7, Allgemeines Polizeirecht, S. 493 f. - Diesen Umstand verkennt Honigl, der in seiner jüngst erschienen Schrift „Tätigwerden von Privaten auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" die Frage des „ob" rechtlich nicht fundiert und das Subsidiaritätsprinzip, als einen Gesichtspunkt unter mehreren, lediglich zur Frage des „wie" - nämlich zu den Grenzen des unterstellt erlaubten Tätigwerdens Privater - heranzieht (S. 83). Im Ergebnis verneint er die Verwertbarkeit des Subsidiaritätsprinzips mit der „Begründung", es sei nach Inhalt und Umfang streitig. 4

54

2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

nige, ob und inwieweit seine Leitlinien in die Verfassungs- und Rechtsordnung der Bundesrepublik eingeflossen und in unmittelbaren Rechtssätzen konkretisiert sind, ist seit langem ein Gegenstand tiefgehender juristischer Abhandlungen und Meinungsverschiedenheiten 9. Soweit über den Inhalt des Subsidiaritätsprinzips Streit besteht, ist ein vertieftes Eingehen im Detail mit dem Ziel eines abgrenzenden Lösungsvorschlages in vorliegendem Zusammenhang allerdings entbehrlich. Es genügt, die in Einzelheiten unterschiedlichen, differenzierten Interpretationsansätze vorzustellen und sich auf ihren einheitlichen gemeinsamen Nenner zu konzentrieren. aa) Ursprung des Subsidiaritätsprinzips Der Ausgangspunkt auch aller juristischen Diskussionen um das Subsidiaritätsprinzip findet sich in der Sozialenzyklika Papst Pius' XI., Ziff. 80. Dort heißt es in deutscher Übersetzung: „Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen" 10 . bb) Inhaltsbestimmungen Ausgehend von diesem Text geben diverse Autoren den Inhalt des Subsidiaritätsprinzips mit unterschiedlichen Gewichtungen wieder. Dürig 1 1 bezeichnet es als den „Grundsatz des ersatzweisen Beistandes der höheren Einheit, wenn die Kräfte der unteren Einheit nicht ausreichen". Bezogen auf das Verhältnis Private-Staat konkretisiert er es als das „Prinzip der Gemeinwohlverwirklichung unter Schonung vorhandener außerstaatlicher Substanz" 12 . 8

Erstmalige Formulierung mit der Bezeichnung Subsidiaritätsprinzip i n der Enzyklika Pius' XI. quadragesimo anno, 1931. 9 Vgl. etwa die detaillierten Monographien von Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz; Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht; jeweils mit umfangreichen Nachweisen. 10 Zitiert nach Zuck ebd. S. 5. 11 In Maunz / Dürig, GG Art. 11 Rn. 54. 12 Dürig, Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ 1953, 193 (199).

II. Gefahrenabwehr durch Private

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In etwa vergleichbare Inhaltsdeutungen finden sich bei Maunz / Zippelius 13 und von Münch 1 4 . Andere Autoren setzen den Schwerpunkt anders. Sie verallgemeinern die in der zitierten Stelle zum Ausdruck kommende Position dahingehend, das Subsidiaritätsprinzip dulde nur unterstützende, helfende Eingriffe eines „höherrangigen" Rechtskreises in die tätige Entfaltung eines untergeordneten und verwerfe jeden dem zuwiderlaufenden Eingriff als übermäßig; folglich sei das Subsidiaritätsprinzip nichts anderes als ein Teilaspekt des „Übermaßverbotes" 15 bzw. stimme, anders formuliert, überein mit dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Anwendung öffentlich-rechtlicher Macht, soweit diese Anwendung gerade noch erforderlich ist, um das Gemeinwohl zu wahren" 1 6 . Wiederum andere stellen primär auf die im Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck kommende Abstufung verschiedenrangiger Ebenen ab. Vom einzelnen Menschen über privatrechtliche, sodann öffentlich-rechtliche Körperschaften bis zum Staat bestehe eine Rangfolge, in der regelmäßig die niedrigstmögliche Ebene zur Erfüllung anstehender Aufgaben berufen sei 17 . cc) Wesentlicher Gedanke des Subsidiaritätsprinzips Die wenigen Beispiele mögen zum Nachweis genügen, daß eine inhaltlich einigermaßen fest umrissene, namentlich die Beziehung Privater zum Staat konkret deutende Begriffsdefinition, die übereinstimmenden Anklang gefunden hätte, fehlt. Es ist aber nichtsdestoweniger möglich - und i n vorliegendem Zusammenhang auch durchaus ausreichend - , aus allen Auslegungen des Prinzips als einheitliches Element einen „Programmsatz" herauszudestillieren, der sich kurz zusammenfassen läßt mit dem „Schlagw o r t " 1 8 : „So wenig Staat wie möglich". - Dieser Ansatz liegt allen Ausdeutungsversuchen des Subsidiaritätsprinzips zugrunde 19 . Man mag darüber streiten, ob mit diesem grob vereinfachten Motto der „Inhalt" des Subsidiaritätsprinzips auch nur annähernd erfaßt ist. Das ist im Schrifttum, namentlich in der Monographie von Zuck, nachdrücklich verneint worden 20 . „So wenig Staat wie möglich" sei nicht der Inhalt „des 13

Staatsrecht, S. 69. Staatliche Wirtschaftshilfe und Subsidiaritätsprinzip, JZ 1960, 303 (304). 15 So, sehr prägnant, Küchenhoff, Zuständigkeitsgrenzen in der Jugend- und Sozialhilfe, NJW 1968, 435; ebenso Stern, Gedanken über den wirtschaftslenkenden Staat, DÖV 1961, 325 (328). 16 Küchenhoff ebd. 17 Vgl. die eingehenden Nachweise bei Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 59, dort F N 5. « Zuck ebd. S. 60. 19 Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 88. 14

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Subsidiaritätsprinzips", sondern allenfalls derjenige „eines neu gebildeten Subsidiaritätssatzes " 2 1 . Bei dieser Differenzierung handelt es sich m.E. letztlich um Streit um Worte. Der Grundsatz möglichster Beschränkung des Staates zugunsten der Entfaltung privater Initiative stellt eine taugliche Quintessenz dessen dar, was gemeinhin unter dem Subsidiaritätsprinzip verstanden wird 2 2 . b) „So wenig Staat wie möglich" als Leitlinie des Grundgesetzes Der bislang kaum entschiedene Streit, ob das Subsidiaritätsprinzip in das Grundgesetz Eingang gefunden hat, der eine nahezu unübersehbare Anzahl von Publikationen hervorgebracht hat 2 3 und nach wie vor hervorbringt 24 , braucht hier nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben und zum Gegenstand eigener Stellungnahme gemacht zu werden. Die Auseinandersetzungen im Schrifttum drehen sich nämlich in erster Linie um die Grundsatzfrage, ob das Subsidiaritätsprinzip im Grundgesetz unausgesprochen als Organisationsmodell zugrunde gelegt ist und auch im Verhältnis der einzelnen Verbände zueinander Berücksichtigung zu finden hat. - Von einigen Autoren w i r d dem Subsidiaritätsprinzip Verfassungsrang insoweit beigemessen, daß es das innerstaatliche Organisationsgefüge bzw. die Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinden, Kreisen, Ländern und Bund regelt und bestimmt; von anderen wird das mit Nachdruck abgelehnt 2 5 . Dieses, allerdings höchst umstrittene Problem bedarf in seinem gesamten Umfang hier naheliegend keiner Vertiefung. Es genügt vielmehr, vorliegend 20 Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 61. - Er behauptet dort, insoweit seien sich alle Ausdeuter des Subsidiaritätsprinzips „einig", nennt aber kurz zuvor (S. 59, F N 3) mit Thieme einen Autor, der gerade mit diesem „Schlagwort" den Inhalt des Subsidiaritätsprinzips definiert; vgl. Thieme, Berufsfreiheit und Verwaltungsmonopole, JZ 1961, 280 (284). Α. M. auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 88, der ebenfalls anerkennt, daß die Forderung „So wenig Staat wie möglich" als „Leitgedanke" hinter dem Subsidiaritätsprinzip stehe; damit ist doch wohl, stark vereinfacht, sein „Inhalt" gemeint. 21 Zuck ebd. S. 61. 22 Nämlich in all den Publikationen, die ohne nähere Inhaltsdefinition den Begriff „Subsidiaritätsprinzip" verwenden. In vorliegendem Zusammenhang vgl. etwa Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281); Amelunxen, Werkschutz und Betriebskriminalität, S. 10; Eick, Produktionsfaktor Sicherheit, W + S Information 162, 16(17). 23 Vgl. statt aller die umfassenden Nachweise - mit jeweiliger „Standortbeschreibung" - bei Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 5 0 - 6 5 . 24 Vgl. zuletzt Schmidt-Jortzig / Schirk, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, durchgehend; Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, Kap. 3 A, S. 340 ff. 25 Zum Meinungsstand vgl. statt vieler Hendler ebd. S. 342 f.

II. Gefahrenabwehr durch Private

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den Blick auf einen einzigen Teilaspekt der Problematik, nämlich die Beziehung des Staates - bzw. ganz allgemein öffentlicher Verbände - zu Privaten zu lenken. Nur für jenen Teilbereich ist die Frage zu untersuchen, ob das Subsidiaritätsprinzip in der oben vorgenommenen Reduzierung auf den Programmsatz „möglichst wenig Staat" 2 6 von Verfassungs wegen Berücksichtigung zu finden hat. - Insoweit ergibt sich bei näherer Betrachtung, daß der ansonsten um das Subsidiaritätsprinzip geführte Streit einer weitgehenden Einigkeit des Schrifttums gewichen ist: aa) Subsidiaritätsprinzip im Verhältnis Staat - Private Als einer der „prominentesten" Gegner der Einbindung des Subsidiaritätsprinzips in das Grundgesetz darf Roman Herzog gelten 27 . Er definiert den Begriff inhaltlich ganz im Sinne der katholischen Soziallehre und zieht auch deren Entstehungsgeschichte und Zielrichtung in seiner Untersuchung zur näheren Begriffsbestimmung heran. Das führt im Ergebnis dazu, daß Herzog die „wesentlichen Grundsätze" des Subsidiaritätsprinzips mit dem Gedankensystem des Grundgesetzes für völlig unvereinbar hält 2 8 . Die Methode und das darauf fußende „wirklich nicht verwunderliche" 29 Ergebnis der Überlegungen Herzogs sind von Zuck bereits überzeugend kritisiert worden: „Daß man aus einer aus Rechtssätzen bestehenden Verfassung keinen Satz einer theologisch orientierten und fundierten Soziallehre herauslesen kann, ist eigentlich so lange selbstverständlich, als diese Verfassung keine Naturrechtssätze als solche enthält" 3 0 . Eines vertieften Eingehens auf diese K r i t i k bedarf es freilich nicht; denn - und dies ist entscheidend - selbst Herzog räumt ein, daß „ i m Verhältnis zwischen der Staatsorganisation und dem Bereich des Privatmannes" - also dem Bereich, auf den sich die Untersuchung konzentriert - das Subsidiaritätsprinzip „noch am ehesten erkennbar" 31 bzw. als „ F i x p u n k t " 3 2 immerhin feststellbar sei. Im Ergebnis stimmt er insoweit selbst mit denjenigen Autoren überein, für die es ohnehin „nicht schwierig" 33 ist, sich umfassend zum 26 Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 65 stellt zutreffend fest, daß eine Beantwortung der Frage, ob das Grundgesetz das Subsidiaritätsprinzip anerkenne, nur möglich ist, wenn das Prinzip auf einen „weltlichen Rechtssatz" reduziert worden ist. 27 Vgl. nur seine Ausführungen im EvStL Sp. 2266 f. mit weiteren Verweisen, auch auf eigene Abhandlungen; sie lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. 28 Ebd. Sp. 2267; ders., Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung, Der Staat 2, 399 (415 f.). 29 Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 65. 30 Ebd. S. 64 f. 31 Herzog, EvStL, Sp. 2267. 32 Ders., Subsidiarität und Staatsverfassung, Der Staat 2, 399 (413). 33 So etwa Küchenhoff, Zuständigkeitsgrenzen i n der Jugend- und Sozialhilfe, NJW 1968, 435 m.w.N.

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Subsidiaritätsprinzip und seiner Zugrundelegung im Bonner Grundgesetz zu bekennen. Auch Schuppert, der der Geltung des Subsidiaritätsprinzips als generelle Organisationsregel skeptisch gegenübersteht 34 , stellt klar: Das Subsidiaritätsprinzip leugnen heiße „keineswegs, gewisse Subsidiaritätsansätze zu verkennen", die offensichtlich seien, wenn man „bestimmte Grundrechte nach ihrer diesbezüglichen Aussagekraft" befrage 35 . bb) Subsidiaritätssatz: „So wenig Staat wie möglich" In der Tat hat sich das Grundgesetz mit seiner Gewährleistung freier Persönlichkeitsentfaltung einerseits, der Unterwerfung und Bindung der Staatsmacht unter bzw. an namentlich rechtsstaatliche Maximen andererseits im Grundsatz unzweideutig gegen totale staatliche Allmacht und für den Vorrang privater Selbstbetätigung entschieden 36 . Vor „unnötigen staatlichen Eingriffen" ist der Einzelne von Verfassungs wegen geschützt 37 . Es ist berechtigt, davon auszugehen, insoweit sei das Subsidiaritätsprinzip als Verfassungssatz mit Leitliniencharakter anerkannt 38 und der Verfassungsordnung der Bundesrepublik mittelbar zugrunde gelegt. „Private Aufgabenwahrnehmung geht der staatlichen v o r " m i t dieser knappen These erkennt Hendler die Geltung des Subsidiaritätssatzes an 3 9 . - Mehr als eine Auslegungsregel, eine Kollisionsnorm und eine Ermächtigungsgrundlage 40 mag damit nicht gewonnen sein. Eine rechtliche Kategorie, ein „juristischer Rahmen" ist jedenfalls geschaffen, private und staatliche Aufgabenerfüllung systematisch einzuordnen, voneinander abzugrenzen, vor allem aber in ein Rangverhältnis zu setzen.

34 Er akzeptiert das Subsidiaritätsprinzip nicht als Organisationsprinzip, sondern nur als „politische Klugheitsregel"; Die öffentliche Aufgabe, VerwArch. 1980, 309 (333 u. durchgehend). 35 Ebd. S. 333. 36 Vgl. Dürig in Maunz / Düng, GG Art. 11 Rn. 54 i.V.m. Art. 2 I Rn. 52. Dort zahlreiche sämtlich zustimmende w. N. 37 Herzog, EvStL, Spalte 2267. 38 Maunz / Dürig, GG Art. 1 I I Rn. 54 m. N. 39 Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 342. 40 Mit diesen drei Begriffen zieht Zuck, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, S. 133 das Fazit seiner Untersuchung. Auslegungsregel: In Zweifelsfällen erzwingt das Subsidiaritätsprinzip die „Entscheidung für die personennähere Entscheidung"; Kollisionsnorm: Bei Divergenzen zwischen Organisationsprinzip und Grundrecht schlichtet das Subsidiaritätsprinzip den Streit zugunsten der jeweils personennächsten Lösung; Ermächtigungsnorm: Der Gesetzgeber ist aufgerufen und ermächtigt, seine ihm auferlegten Aufgaben so zu erledigen, daß er dem absoluten Vorrang der Person gerecht wird. - Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 344 bezeichnet das Subsidiaritätsprinzip insoweit als „Orientierungshilfe".

II. Gefahrenabwehr durch Private

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Die K r i t i k von Roters 41 , die Anerkennung der Subsidiarität als Verfassungsgrundsatz bedeute, „ein starres, undifferenziertes Kompetenzverteilungssystem auf eine hochdifferenziert-arbeitsteilige, Flexibilität und Kooperation erfordernde Aufgabenstruktur zu übertragen", ist zu weitgehend. Hinsichtlich der umfassenden Frage der Geltung des Subsidiaritätsprinzips als konstitutionelle Ordnungsnorm mag sie diskutabel sein; im hier betrachteten Teilbereich „Verhältnis Privater zum Staat" gibt die Verfassung, namentlich die Grundrechte, hingegen eine vom Subsidiaritätsprinzip geprägte Leitlinie an: In einem Sinne, der der fundamentalen Grundentscheidung des Grundgesetzes gegen den totalen Staat und für die private Betätigungsfreiheit entspricht. Insoweit ist das Subsidiaritätsprinzip im Sinne eines „so wenig Staat wie möglich" anerkannt und im Grundgesetz zugrunde gelegt. Die Grundrechte begründen „Funktionsgarantien für den Vorrang privater Aufgabenerledigung" 42 . cc) Öffentliche Aufgaben = Aufgaben des Staates? Diese grundsätzliche Richtungsweisung nötigt auch und gerade bei der Betrachtung einzelner Tätigkeitsbereiche von öffentlicher Relevanz - kurz gesagt: einzelner öffentlicher Aufgabenbereiche - zu einer bedeutsamen und sorgfältigen Differenzierung: Derjenigen zwischen öffentlichen und staatlichen Aufgaben. Daran mangelt es im Schrifttum freilich oft genug. Bereits im berühmten Fernseh-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 43 findet sich die bemerkenswerte These, daß jede Aufgabe, mit der sich der Staat „mittels seiner Verwaltungsbehörden befaßt, eine staatliche" sei 44 . Ähnlich formuliert in einer neueren Abhandlung ζ. B. Steiner: „Staatlich sind alle öffentlichen Aufgaben, die der Staat in erkennbarer Weise an sich gezogen hat oder die ihm durch die geschichtliche Entwicklung eines bestimmten Lebensbereiches zugewachsen sind" 4 5 . Sollten diese Feststellungen so zu verstehen sein, daß jene „staatlichen Aufgaben" dem Staat ausschließlich vorbehalten seien 46 , liefe dies dem 41

von Münch / Roters, GG Art. 28 Rn. 6. Im Ergebnis übereinstimmend Isensee, Privatwirtschaftliche Expansion öffentlich-rechtlicher Versicherer, DB 1979, 145 (150); von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 28; Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 342. 43 BVerfGE 12, 205 ff. 44 BVerfGE 12, 243. 45 Der beliehene Unternehmer, JuS 1969, 70 f. 46 Das dürfte bei Steiner nicht anzunehmen sein, da er sich an anderer Stelle dezidiert für genaue Unterscheidung zwischen Aufgaben schlicht öffentlicher Relevanz und genuin staatshoheitlichen Funktionsbereichen ausgesprochen hat: Öffentliche Verwaltung durch Private, DÖV 1970, 526 (527 f.). 42

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

gemeinhin anerkannten Subsidiaritätsprinzip im oben besprochenen Sinne ersichtlich zuwider. Jene Formulierungen könnten dann kaum noch als „bloße terminologische Nachlässigkeit" 47 interpretiert werden. Materiellrechtlich ist es falsch, öffentliche und staatliche (i. S. von dem Staat ausschließlich vorbehaltenen) Aufgaben begrifflich nicht streng zu trennen; die fehlende Differenzierung führt zu schweren Fehlschlüssen und rechtlichen Irrtümern 4 8 . Die Ursache dafür, daß es an einer grundlegenden rechtsdogmatischen Absicherung und Rechtfertigung des Tätigwerdens Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - einer „öffentlichen Aufgabe ersten Ranges" - bislang fehlt, mag freilich in der durch die gängige fehlende Differenzierung eingetretenen Unschärfe liegen. Hier gilt es wieder schärfer zu konturieren 49 . Es ist das Verdienst Hans Peters', die hier notwendige Differenzierung zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung gemacht und die Verteilung bestimmter Aufgabenbereiche zwischen privater und öffentlicher Hand in fünf „Stadien" systematisiert zu haben 50 . Er geht dabei von der ebenso einfachen wie umfassenden Definition der öffentlichen Aufgabe als einer solchen aus, „an deren Erfüllung die Öffentlichkeit maßgeblich interessiert ist" 5 1 . Innerhalb dieses umfassenden Aufgabenfeldes bestehen, ohne weiteres nachvollziehbar, solche, die „durch Private so gut erledigt werden (können), daß der Staat weder ein Bedürfnis anzuerkennen noch den Wunsch zu haben braucht, sie zu regeln oder gar in eigene Regie zu übernehmen" - erstes Stadium. Sodann folgen die Aufgaben von gesteigerter Bedeutung, deren Erfüllung durch Private der Staat seitens staatlicher Behörden überwacht - zweites Stadium. Die nächste Gruppe sind diejenigen Aufgaben, bei denen der Staat abstrakte Regelungen trifft, insbesondere Normen hinsichtlich der (privaten) Träger der Aufgaben, und Richtlinien für die Aufgabenerfüllung aufstellt - drittes Stadium. Erst jetzt folgen diejenigen Aufgaben, die der Staat nach staatlicher Normierung entweder durch staatliche Behörden oder durch „einen von ihm irgendwie abhängigen Rechtsträger" 52 erledigt bzw. erledigen läßt (viertes und fünftes Stadium 53 ). 47

So Klein, Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe, DÖV 1965, 755 (756). Klein ebd.; ebenso Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, S. 877; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 118 f. 49 In einer Stellungnahme ihrer Einstellung zur Tätigkeit privater Sicherheitsdienste haben auch ÖTV und DGB pauschal geäußert, Gefahrenabwehr im Interesse der Allgemeinheit sei eine öffentliche Aufgabe, die folglich ausschließlich dem Staat vorbehalten sei (Bericht B M I 1982, S. 18). - Wie zu zeigen sein wird, ist auch dies einer der „schweren Fehlschlüsse", die u. a. aus begrifflicher Undeutlichkeit resultieren. 50 Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, S. 877 (878 f.). 51 Ebd. S. 878. 52 Ebd. S. 879. 48

II. Gefahrenabwehr durch Private

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Alle fünf Gruppen betreffen „öffentliche", aber nur die vierte und fünfte Gruppe „staatliche" Aufgaben. „Öffentliche Aufgaben stellen den Oberbegriff dar; staatliche sind eine der vorkommenden Unterarten derselben" 54 . Im Grundsatz ist das heute, jedenfalls seit Erscheinen der umfangreichen Monographie von Martens 55 nicht mehr bestritten. „Jede Gleichsetzung von öffentlicher und staatlicher Aufgabe ist ... schon im Ansatz verfehlt und beispielgebend für die Vermengimg oder Verkennung der verschiedenen Sinnebenen, auf denen „öffentlich" auftreten kann" 5 6 . Der dem Grundgesetz zugrundeliegenden Leitlinie „Möglichst wenig Staat" entspricht es folgerichtig, die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in einer möglichst „rangniedrigen" der von Peters genannten Gruppen anzusiedeln. Die Möglichkeit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private entfällt von vornherein nur, wo Tätigkeitsbereiche zwingend und ausschließlich dem Staat vorbehalten sind 5 7 - ein Grundsatz, der bei der „Privatisierungsdiskussion" als Leitlinie stehen muß.

dd) Einordnung der öffentlichen Aufgabe „Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" Zu untersuchen ist folglich, in welche der aufgeführten Gruppen die Tätigkeit auf dem Sektor der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzuordnen ist, wobei die Fragestellung wie folgt präzisiert werden muß: Weist die Rechtsordnung - namentlich das Verfassungsrecht - die genannte Tätigkeit der Gruppe vier oder fünf zwingend zu? Falls nein, so würde der Umkehrschluß unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips im oben hergeleiteten Sinne dahin führen, daß eine Erfüllung in einer möglichst „rangniederen" Gruppe erlaubt, ja sogar ausdrücklich erwünscht sei. a) „Formell-staatliche

Aufgabenbereiche"

Zur Überprüfung der Frage, ob die Rechtsordnung gewisse Tätigkeitsbereiche dem Staat ausschließlich zur eigenen Durchführung zuweist, kommen methodisch zwei Gesichtspunkte in Frage: Zu prüfen ist zunächst, ob sich aus dem Grundgesetz ausdrückliche formelle Vorbehalte zugunsten des Staates ergeben, bevor untersucht wird, ob die Rechtsordnung aus mate53 Sinnvoller wäre es hier, wie überhaupt, von „Gruppe" anstatt von „Stadium" zu sprechen. 54 Ebd. S. 879. 55 Öffentlich als Rechtsbegriff; dort insbesondere S. 81 ff. 56 Ebd. S. 118. 57 Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 159.

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

riell-rechtlichen Gründen die Bestimmung spezifisch und ausschließlich staatlicher Aufgaben gestattet 58 . \

Für den hier allein interessierenden Bereich der Abgrenzung staatlicher von privater Tätigkeit 5 9 kommt als mögliche Zuweisungsnorm zugunsten des Staates aus dem Grundgesetz nur Art. 33 IV in Betracht. Danach ist „die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ... als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst - oder Treueverhältnis stehen". 60 Daß Art. 33 IV GG indessen keine taugliche Grundlage für die Annahme einer ausschließlichen Aufgabenzuweisung an den Staat darstellt, ergibt sich bei näherem Hinsehen schnell. Bereits sein Wortlaut, hoheitsrechtliche Befugnisse seien „ i n der Regel" durch (Staats-)Beamte wahrzunehmen, spricht offenkundig gegen eine ausschließliche Kompetenzzuweisung. Aus der „Regel"-Formulierung ergibt sich vielmehr gerade der Umkehrschluß, daß hoheitsrechtliche Befugnisse wenn auch nur ausnahmsweise - durchaus auch außerhalb des „engsten staatlichen Kontrollbereichs" wahrgenommen werden dürfen 61 . Die nicht näher begründete Ansicht Isensees62, die Vorschrift lasse „mittelbar" das Gegenteil erkennen, ist abzulehnen; sie widerspricht dem klaren Gesetzeswortlaut 6 3 . Schwierigkeiten bereitet auch die relative Unbestimmtheit des Begriffs der „hoheitsrechtlichen Befugnisse". Insoweit ist Isensee zuzustimmen, wenn er feststellt 64 , „gegenständlich umgrenzte Kompetenzen" ließen sich aus ihm nicht ableiten 65 . Wenn Art. 33 IV GG zu einer ausschließlichen

58 Die genannte Methodik liegt auch der Untersuchung Isensees, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 159 ff. zugrunde. 59 Isensee ebd. S. 161 f. untersucht darüber hinaus auch den Bereich der Abgrenzung bundes- und landesstaatlichen und staatlicher von kirchlichen Aufgabenbereichen. 60 Mit bloßem Zitat dieser Vorschrift lehnt Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59 (62) die Übertragung von Schutzaufgaben auf Private ab, ohne sich indes mit den nachfolgenden Rechtsproblemen überhaupt zu befassen. 61 von Münch / Matthey, GG Art. 33 Rn. 31. 62 Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 160. 63 Mit Isensees Position ist denn auch eine Entscheidung des BGH - BGHSt 13, 197 ff. - unvereinbar, die von der Gegenmeinung - etwa Küchenhoff, Zuständigkeitsgrenzen in der Jugend- und Sozialhilfe, NJW 1968, 435 - bereits erfreut als „Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips sogar im Straf recht" gefeiert wurde. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 160 Fn. 36, lehnt die Entscheidung ab mit dem Bemerken, sie stelle die Rechtsordnung „auf den Kopf". Eine nähere Diskussion kann hier unterbleiben. 64 Ebd. S. 161. 65 Vgl. auch Benndorf, Zur Bestimmung der hoheitsrechtlichen Befugnisse, DVB1. 1981, 23 (23 f.), der das weite Meinungsspektrum zur Frage, was unter „hoheitlich" i. S. von Art. 33 IV GG zu verstehen sei, referiert.

II. Gefahrenabwehr durch Private

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Zuweisung bestimmter Aufgaben an den Staat herhalten soll, müßte aber dieser Aufgabenbereich wenigstens eindeutig bestimmt sein. 66 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß aus dem Wortlaut der Verfassung eine ausschließliche Zuweisung der Tätigkeit auf dem Sektor der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf den Staat nicht abzuleiten ist: Der Text des Grundgesetzes bietet keinen Anhaltspunkt für derartige ausschließliche Zuweisungen 67 . ß) „Materiell-staatliche

Aufgabenbereiche"

Zu prüfen bleibt, ob die Rechtsordnung Anhaltspunkte bietet, dem Staat einzelne Aufgabenbereiche von ihrem Inhalt her zuzuweisen - präziser gesagt: ausschließlich zuzuweisen. Das wird von einem namhaften Teil des Schrifttums, den Anhängern der sogenannten „Aufgabentheorie", meist ohne vertiefte Begründung bejaht, und zwar im Zusammenhang mit der Behandlung des sogenannten „beliehenen Unternehmers": Insoweit heißt es im wesentlichen übereinstimmend, Private könnten aufgrund einer „Beleihung" zu einzelnen Tätigkeiten berechtigt 68 werden, die sich materiell als solche des Staates darstellen 69 . Das setzt denknotwendig voraus, daß es einen derartigen materiell dem Staat vorbehaltenen Aufgabenbereich überhaupt gibt. Im Schrifttum wurde das früher durchweg, großenteils aber auch heute noch angenommen, wobei eine stringente Begründung dieser These regelmäßig nicht erkennbar ist. Wolff setzt etwa bei seiner Begriffsdefinition der „öffentlichen Verwaltung" 7 0 ohne weiteres voraus, es gebe „materiell-öffentliche Angelegenheiten" 7 1 . 66 Isensee wirft, bevor er sein Resümee zieht - Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 161 - , in Fußnote 37 einen aufschlußreichen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Formulierung „Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse" des Art. 34 im Parlamentarischen Rat. Insoweit hatte es zunächst geheißen: „Ausübung öffentlicher Gewalt". Diese Formulierung wurde in der endgültigen Fassung, weil zu weitgehend, verworfen. „Öffentliche Gewalt" sollte also keineswegs dem ausschließlichen Kompetenzbereich des Staates zugewiesen werden; mit „hoheitsrechtliche Befugnisse" sollte vielmehr eine engere Grenzziehung stattfinden. Auf diesen bedeutsamen Zusammenhang wird an späterer Stelle noch einzugehen sein. 67 Im Ergebnis stimmt das mit demjenigen Isensees überein. Isensee ergänzt diese Feststellung durch die Klarstellung, daß - im Gegenteil - das Grundgesetz ausdrücklich Anhaltspunkte dafür liefert, daß bestimmte Tätigkeiten durch Staat und Private wahrgenommen werden können (ebd. S. 163): Namentlich das „Berufsleben erscheint unter dem doppelten Aspekt des freien Berufs (Art. 12 I GG) und des öffentlichen Dienstes (Art. 33 GG) 68 und verpflichtet. 69 Vgl. etwa Huber, Wirtschaftsverfassungsrecht I, S. 533, Wolff / Bachof, VwR II, §84 IV b 3; Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 92; kritisch aber schon Vogel, Öffentliche Wirtschafteinheiten in privater Hand, S. 60 f.; jeweils m.w.N. 7 ° Wolff / Bachof, VwR I, § 2 I I b.

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Materielle Kriterien, die eine inhaltliche Trennung zwischen staatlicher und privater Tätigkeit erlauben, nennt er freilich nicht. Wenn es gleich anschließend heißt, „nicht alle öffentlichen Aufgaben" seien „auch Aufgaben des Staates" 72 , so wird lediglich unterstellt, es gebe materiell staatliche Aufgaben, ohne daß diese inhaltlich definiert würden. Immerhin scheint Wolff diejenigen Aufgaben für spezifisch staatliche zu halten, „die für alle einheitlich zu planen und zu besorgen sind"; insoweit nennt er beispielsweise u. a. die öffentliche Sicherheit und Ordnung 73 . - Eine Begründung, warum all diejenigen Angelegenheiten, die für alle einheitlich zu besorgen sind, dem Staat vorbehalten sind, ist damit jedoch nicht gegeben. Hintergrund dieser Ausführungen ist der Ansatz, daß bestimmte Aufgaben wegen ihrer Bedeutung Staatsauf gaben „kraft Natur der Sache" seien. Er ist nicht neu. In einer Abhandlung von 1958 stellt auch Otto Bachof 74 auf die „spezifisch staatliche Funktion" bestimmter Aufgaben ab. Der Standpunkt, es gebe derartige spezifische, dem Staat materiell vorbehaltene Aufgaben, ist im gesamten älteren Schrifftum praktisch unangefochten 75 . Auch das Schrifttum aus neuerer Zeit bejaht überwiegend die Existenz von Aufgaben, die „originär", „ihrem Wesen nach", „kraft ihrer Natur", „kraft der geltenden Staatsidee", „zwingend", „notwendig", „unbedingt", „geborene" oder „echte" staatliche sind 76 . Schließlich finden sich auch in der Rechtsprechung Formulierungen wie „natürliche Aufgabe des Staates" 77 oder „wesensmäßig staatliche Daseinsvorsorge" 78 , die auf die gleiche, vorherrschende Tendenz schließen lassen: Die Anerkennung einzelner, dem Staat essentiell vorbehaltener Tätigkeiten. Der im wesentlichen nicht näher begründeten These von der Existenz zahlreicher „materiell staatlicher Aufgabenbereiche" ist erstmals Vogel 79 im Jahre 1959 entgegengetreten. Seine Untersuchung ist derart eingehend und einleuchtend, daß es erstaunt, wie die gegenteilige Behauptung bei manchen Autoren in der Folgezeit ohne vertiefte Begründung hat aufrecht erhalten werden können. Kernstück der Vogel'schen Lehre ist die Differenzierung 71 Ebd. (S. 10): „Solche, die unabhängig von der Individualität der Menschen und über ihre individuellen Beziehungen hinaus allen Angehörigen eines Volkes potentiell oder gar aktuell gemein sind". 72 Ebd. S. 11. 73 Ebd. S. 11. 74 Teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts, AöR 83, 208 (233; dort insbesondere FN 32). 75 Vgl. die zahlreichen älteren Nachweise bei Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 60. 76 Sämtliche Nachweise aus neuerem Schrifttum bei Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 99 f. 77 BVerfG, DÖV 1970, 92 (94) in bezug auf das „Berechtigungswesen". 78 BGH, NJW 1962, 1115 in bezug auf die Arbeitsvermittlung. 79 Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 60 ff. und durchgehend.

II. Gefahrenabwehr durch Private

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zwischen der Verantwortung des Staates für die Erfüllung bestimmter, namentlich daseinswichtiger Tätigkeiten und seinem Monopol. Mit Recht stellt Vogel fest, daß der Schluß von staatlicher Verantwortung auf staatliches Ausführungsmonopol weder überzeugend noch geboten sei 80 . Das untermauert er anschließend im Detail, indem er die denkbaren Aspekte, bestimmte Tätigkeiten als spezifisch staatliche zu qualifizieren, näher untersucht. Weder die besondere Bedeutung noch die besondere Zielrichtung noch die besondere Gemeinwohlverpflichtung sind, wie Vogel überzeugend nachweist, taugliche Kriterien, bestimmte Aufgaben zu ausschließlich dem Staate vorbehaltenen zu erklären 81 . Ohne sich auf Vogel zu berufen, zielt auch die bereits zitierte Untersuchung von Peters 82 in die gleiche Richtung und führt im Grundsatz zu demselben Ergebnis. Auch Peters übt deutliche K r i t i k an der Neigung des Schrifttums, ohne nähere Begründung davon auszugehen, es sprächen „rein sachliche Gründe" 8 3 für die Existenz spezifisch staatlicher Aufgaben. Eine mögliche Ursache hierfür deutete Vogel zurückhaltend an, wenn er ausführte 84 , man wisse „heute leider, daß gerade bei Verfassungsstreitigkeiten die wissenschaftliche Lehrmeinung von den politischen Wünschen nicht immer unbeeinflußt" bleibe. Peters vertieft das: „ I n Wirklichkeit" sei Ursache für die unkritische Annahme materiell-staatlicher Aufgaben eine „autoritäre Staatsauffassung, die theoretisch auf Hegel, praktisch auf eine im Preußentum verwurzelte Staatsüberbewertung zurückgeht". Es gehe „um gewöhnlich mit fachlichen Argumenten begründete - Forderungen, gewisse öffentliche Aufgaben deshalb zu staatlichen zu machen, weil der Staat ... die besseren Fachkenntnisse und die notwendigen finanziellen Mittel habe, die Aufgabe in Perfektion objektiv und unparteiisch zu erfüllen, während in anderen Händen, insbesondere etwa bei privaten Organisationen oder Einzelpersonen alle diese Vorteile nicht gewährleistet seien" 85 . Mit im wesentlichen sich ähnelnder Argumentation gelangen Vogel und Peters zum identischen „Schlußpunkt" - zum einzigen Aufgabenbereich, welcher von allen im Schrifttum diskutierten als wesensmäßig ausschließlich dem Staat vorbehalten verbleibt: Die „mit hoheitlichen Befugnissen zu erfüllenden öffentlichen Aufgaben" 86 bzw. „diejenigen Maßnahmen, die so Ebd. S. 62. 81 Die Differenzierung zwischen Verantwortung und Monopol ist so einerseits der Ansatz jeglicher Privatisierungsdiskussion; sie erinnert aber auch daran, daß in jedem Fall von Aufgabenprivatisierung dem verantwortlichen Staat Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten verbleiben müssen, damit er gegebenenfalls seiner Verantwortlichkeit gerecht werden kann. Auf diese Gesichtspunkte wird unten Kapitel 5 I I I zurückzukommen sein. 82 Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, S. 877 ff. es Ebd. S. 881. 84 Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 70. 85 Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, S. 877 (881). 86 Peters ebd. S. 894. 5 Mahlberg

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

kraft öffentlichen Rechts Rechtsverhältnisse ... einseitig zu gestalten vermögen. Man pflegt dies als hoheitliches Handeln zu bezeichnen" 87 . Vogel hat diese Theorie, die den essentiell-staatlichen Bereich auf das „obrigkeitliche Imperium" 8 8 reduziert, unter Ablehnung der unzulänglichen „Aufgabentheorie" als „Rechtsstellungstheorie" bezeichnet 89 . In weiten Teilen des neueren Schrifttums ist seine Ansicht anerkannt: Ein konkreter Kreis von einzeln benannten staatlichen Aufgaben kann nicht benannt werden; das obrigkeitliche Imperium stellt jedoch die Grenzlinie für funktionell dem Staat vorbehaltene Aufgaben, d. h. die Grenzziehung zwischen Stadium drei und vier der oben 90 aufgeführten Gruppen dar 9 1 . Von diesem Zwischenergebnis soll hier ausgegangen werden, wenn weiter untersucht wird, welche Konsequenzen daraus für die Einordnung der Tätigkeit im Bereich öffentlicher Sicherheit und Ordnung zu ziehen sind. Die Fragestellung lautet: Ist der Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein solcher, der Hoheitsgewalt zwingend erfordert? ee) Öffentliche Sicherheit und Ordnung als Teil des obrigkeitlichen, ausschließlich dem Staat vorbehaltenen Imperiums? Auf den ersten Blick könnte sich in der Tat die Vermutung aufdrängen, das Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei ohne weiteres zu jenem hoheitlichen Bereich, der allein dem Staate vorbehalten ist, zuzurechnen. Dieser Standpunkt wird in der Tat im Schrifttum weit überwiegend als derart selbstverständlich dargestellt, daß sich die meisten Autoren eine eingehende, möglicherweise differenzierende Begründung ersparen. Daß eine solche allerdings dringend geboten ist, w i r d noch darzustellen sein.

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Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 80. Dies ein zwar überholt anmutender, n.m.D. jedoch überaus anschaulicher, weil den Aspekt der Hoheitsgewalt im eigentlichen Sinn verdeutlichender Ausdruck von Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 160, der im folgenden übernommen wird. 89 Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 81. 90 Abschnitt cc. 91 Im Ergebnis übereinstimmend etwa Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 100; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 30 ff., 37; Steiner, Der beliehene Unternehmer, JuS 1969, 69 (70); ders., Öffentliche Verwaltung durch Private, DÖV 1970, 526 (528); Gallwas, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch unentgeltliche Dienstleistungen Privater, BayVBl. 1971, 245; Görgmaier, Möglichkeiten und Grenzen der Entstaatlichung öffentlicher Aufgaben, DOV 1977, 356 (359); Klein, Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe, DÖV 1965, 755 f.; Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 89; Evers, Verbände - Verwaltung - Verfassung, Der Staat 3, 41 (56). 88

II. Gefahrenabwehr durch Private

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Wolff / Bachof stellen, wie erwähnt, den Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als Staatsaufgabe aus der Natur der Sache dar 9 2 . Dieselbe These findet sich dem Sinne nach in nahezu allen anderen Abhandlungen 93 . Auch Peters weicht nach seiner eingehenden Differenzierung und Reduzierung des staatlichen Aufgabenbereichs beim Gebiet des Polizei- und Ordnungswesens zurück und subsumiert es unter die „echten staatlichen Aufgaben"; dies bedürfe „keiner weiteren Erörterung" 94 . Isensee95, der, wie ausgeführt, den staatlichen Aufgabenbereich zutreffend auf den obrigkeitlichen reduziert, nennt als Beispiel für wesensmäßige Staatsauf gaben gleichfalls diejenigen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; hier sei ein „konformer Ansatzpunkt für das Subsidiaritätsprinzip" 9 6 nicht gegeben. In seiner Abhandlung von 1959 (!) trifft Vogel demgegenüber wiederum bedeutsame Feststellungen, die Anlaß boten und bieten, dieses Ergebnis in Zweifel zu ziehen: Ohne eine eingehende rechtliche Analyse vorzunehmen - sie war in seinem Zusammenhang nicht veranlaßt - erwähnt Vogel als eines von vielen Beispielen, in denen Private Aufgaben wahrnehmen, die herkömmlich zum „staatlichen Mindestbestand" 97 gerechnet werden, das private Bewachungsgewerbe, das, wie Vogel wörtlich bemerkt, „polizeiliche Tätigkeit" ausübe 98 . Daß dieses Faktum mit der undifferenziert vorgetragenen Theorie, Polizeiaufgaben gehörten zum ausschließlich staatlichen Tätigkeitsbereich, nicht zusammenpaßt, liegt auf der Hand und nötigt zu weiterer Erörterung. Es wird nachzuweisen sein, daß die überkommene und nicht mehr überprüfte These, Tätigkeiten auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung seien ausschließlich dem Staat vorbehalten, in dieser Allgemeinheit dem Grundsatz nach nicht - heute jedenfalls nicht mehr - zutrifft. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß der Aufgabenbereich des Staates nach materiellen Gesichtspunkten lediglich einzugrenzen, nicht aber auf einzelne, bestimmte Funktionen exakt festzulegen ist. Es ist mißverständlich, wenn manche Autoren von einzelnen, materiell staatlichen Tätigkeiten sprechen; es gibt allenfalls einen materiell staatlichen Bereich,

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VwR I § 2 I I b. Als Auswahl seien zitiert: von Münch in Erichsen / Martens, VwR AT, S. 13; Götz, VwR AT, § 4; Püttner, VwR AT, Teil I, Kap. 2.5, jeweils m. N. 94 Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, S. 877 (892); kritisch hierzu bereits Michaelis, Der Beliehene, S. 20. 95 Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 89. 96 Ebd. S. 99. 97 Wolff/ Bachof, VwR I, § 2 I I b 1. 98 Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 62. 93

5'

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

der zutreffend umschrieben ist mit demjenigen, der den „Einsatz des hoheitlichen Imperiums zwingend erfordert" 99 . Das Fehlen materieller Kriterien zur Zuweisung einzelner, genau bestimmter Aufgaben zum ausschließlich staatlichen Bereich führt dazu, daß das staatliche Betätigungsfeld einem zeitbedingten Wandel unterworfen ist - ein Umstand, der im Schrifttum gelegentlich angesprochen und durchaus unbestritten ist. Wolff / Bachof erwähnen zutreffend 100 , daß die „sich jeweils ändernden Lebensbedingungen der Allgemeinheit und der technische Fortschritt, wie ζ. B. der Umweltschutz oder die Befriedigung kultureller Bildungs- und Unterhaltungsinteressen" den staatlichen Aufgabenstand erweiternd oder verengend beeinflussen können. Das heißt u. a.: Funktionen, die gestern Verwaltung waren, können heute durchaus - ζ. B. aufgrund geänderter Anschauungen, auch aufgrund geänderter sachlicher Voraussetzungen, etwa dem Fehlen ausreichenden Personalbestandes auf Seiten des Staates 101 - als solche anzuerkennen sein, die privater Betätigung ohne weiteres zugänglich sind. Überspitzt hat Ossenbühl diese Sachlage mit folgender These umschrieben: Staatliche Aufgaben sind (nur) die, die der Staat nach der geltenden Verfassungsordnung zulässigerweise für sich in Anspruch n i m m t 1 0 2 ; man sollte sogar noch einen Schritt weitergehen und klarstellen, daß die Wendung „staatliche Aufgaben" allenfalls „deskriptiv", zustandsbeschreibend verstanden werden kann, jedoch keine Aussage über eine funktionale Aufgabenzuweisung enthält. „Staatliche Aufgabe" ist, was der Staat erledigt - nicht, was er erledigen „muß". Der staatliche Aufgabenbereich ist, dies im übrigen der Tenor von Ossenbühls Abhandlung, offen und wandlungsunterworfen. Diese Erkenntnis ist naheliegend für die weiteren Überlegungen, ob und inwieweit die Sorge für die öffentliche Sicherheit heute als eine dem Staat vorbehaltene zu qualifizieren ist, von Bedeutimg. Beispiele für gewandeltes Zuständigkeitsverständnis finden sich zahlreich. 1912 erklärte Anschütz 1 0 3 die Staatsschule als einzig berechtigte Schulform 104 ; heute ist die Privatschule verfassungsmäßig anerkannt 105 und der staatlichen gleichgestellt. Selbst private Universitäten stehen heute im 99

Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 89; ebd. S. 168. VwR I, § 2 I I b; vgl. auch Thieme, Gutachten, W + S Information 163, 71 (76); Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, W D S t R L 29,137 (153 f.). 101 Dazu schon Kap. 117. 102 Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, W D S t R L 29, 137 (153). 103 Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, S. 365 f. 104 Was freilich schon damals nicht unumstritten war. G. Jellinek ζ. B. stellte in einer Untersuchung von 1887 (Gesetz und Verordnung, S. 385) fest, die Verwaltung von Schulen könne auch Privaten anstelle des Staates überlassen werden. los Art. 7 GG. 100

II. Gefahrenabwehr durch Private

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Wettbewerb zu staatlichen. - Die Überprüfungstätigkeit der Technischen Überwachungsvereine wurde vor nicht allzu langer Zeit verbreitet als Staatsaufgabe hoheitlicher Natur erachtet 106 . Das ist der neueren, freilich nicht unbestrittenen Erkenntnis gewichen, daß der Technische Überwachungsverein als Privater handelt und keine Hoheitsaufgaben wahrnimmt107. Zuletzt hat B u l l 1 0 8 Beispiele für Aufgaben aus dem Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zusammengetragen, die den Einsatz der Hoheitsgewalt nicht erfordern, obwohl der gesamte Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Theorie nach wie vor zur allein staatlichen Domäne erklärt wird: Neben dem privaten Bewachungsgewerbe (! ) nennt er den Einsatz von Hilfskräften und technischem Gerät bei der Brandbekämpfung, ja sogar Bekämpfung kriminellen Unrechts; zur Resozialisierung K r i mineller sei nämlich nach neuester Ansicht erforderlich, daß „nicht ausschließlich hoheitliche Mittel eingesetzt werden" 1 0 9 . Gerade im Hinblick auf das Recht der Gefahrenabwehr könnte ein Blick auf die schon angedeutete Entstehungsgeschichte des Art. 33 IV GG weiterhelfen und die theoretische Fundierung und Rechtfertigung des beobachteten Faktums, daß Private mehr und mehr auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung tätig sind, liefern. Gemäß Art. 33 IV GG sind „hoheitsrechtliche Befugnisse" im Regelfall dem Staat vorbehalten. Durch den Ausdruck „hoheitsrechtliche Befugnisse" wurde die frühere Entwurfsformulierung „Ausübung öffentlicher Gewalt" ersetzt 110 . Grund für die redaktionelle Umgestaltung war die Erkenntnis, die Formulierung „Ausübung öffentlicher Gewalt" gehe inhaltlich zu weit und weise dem Staat ungewollt auch Aufgabenbereiche zu, die nach dem Verständnis des von unausgesprochener Anerkennung des Subsidiaritätsgrundsatzes geleiteten Verfassungsgebers ohne weiteres auch privatem Engagement zugänglich sein sollten 111 . 106 v g l zahlreichen Nachweise bei Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, S. 877 (883 f.); organisationsrechtliche Konsequenz dieser Auffassung ist, daß der TUV rechtsdogmatisch als Beliehener anzusehen ist. io? vgl. Peters ebd.; Thieme, Gutachten, W + S Information 163, 71 (76); Forsthoff, VwR AT, S. 458; a.M. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 801; Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen?, S. 19 ff. - Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 47 meint demgegenüber, die Tätigkeit des TÜV sei „aus dem privaten in den Bereich mittelbarer Staatsverwaltung abgewandert". M. E. läßt die zeitliche Entwicklung der wiedergegebenen Ansichten eher den gegenteiligen Schluß zu. 108

Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 100. Bull ebd. m. N. 110 Vgl. schon oben Abschn. bb α (FN 66); v. Doemming u. α., Entstehungsgeschichte des Art. 33 GG, JöR 1, 306 ff. 109

2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

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D e r Abgeordnete Wagner n a n n t e i m Parlamentarischen R a t 1 1 2 als B e i spielsfall den B e t r i e b eines gemeindlichen E l e k t r i z i t ä t s w e r k s ;

aber die

M o t i v a t i o n des Parlamentarischen Rates ging, darüber hinaus, d a h i n , n u r den Bereich hoheitsrechtlicher Befugnisse i m engsten Sinne, den o b r i g k e i t l i c h e n Bereich, ausschließlich dem Staate v o r z u b e h a l t e n 1 1 3 .

„Hoheitliche

B e t ä t i g u n g " bedeutete danach eine Einengung, einen Teilausschnitt des Bereichs „ ö f f e n t l i c h e r G e w a l t " 1 1 4 . Diese E r k e n n t n i s läßt sich f ü r den Bereich der Gefahrenabwehr f r u c h t b a r machen. Auszugehen ist dabei v o n der geläufigen U n t e r s c h e i d u n g zwischen der o b r i g k e i t l i c h e n u n d der n i c h t - o b r i g k e i t l i c h e n , n a c h der eingebürgerten F o r m u l i e r u n g W. Jellinek's „ s c h l i c h t e n " H o h e i t s V e r w a l t u n g 1 1 5 . Rechnete J e l l i n e k 1 1 6 a u c h letztere n o c h i n v o l l e m U m f a n g e u n d ohne w e i t e r e D i f f e r e n z i e r u n g z u m B e r e i c h s t a a t l i c h e r V e r w a l t u n g , so k a n n dies u n t e r d e m Grundgesetz n i c h t m e h r a p r i o r i gelten. Da, w o das o b r i g k e i t l i c h e I m p e r i u m 1 1 7 n i c h t bestimmendes Wesensmerkmal einer T ä t i g k e i t ist, ist der Bereich der staatlichen V e r w a l t u n g n i c h t t a n g i e r t 1 1 8 . D i e Bestandteile des „ o b r i g k e i t l i c h e n I m p e r i u m s " s i n d v o n V o g e l 1 1 9 m i t den z w e i folgenden K r i t e r i e n abstrakt umschrieben w o r d e n : 111

Grundlage

Hierzu eingehend Benndorf, Zur Bestimmung der hoheitsrechtlichen Befugnisse, DVB1. 1981, 23 (26). 112 v. Doemming u. a., JöR 1, 315 f. 113 Ebd. S. 323. 114 Ebenso Wolff / Bachoff, VwR I, § 23 I I I a; Thieme, Berufsfreiheit und Verwaltungsmonopole, JZ 1961, 280 (283). Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59 (62) verkennt diesen grundlegenden Umstand. 115 W. Jellinek, VwR, S. 22. Diese Unterscheidung ist, was Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 80 (bei F N 110) nicht deutlich genug herausstellt - er verwendet die Begriffe synonym - , von entscheidender Bedeutung. Vogel stellt zutreffend fest, daß der Sprachgebrauch zwischen „hoheitlich" und „obrigkeitlich" schwanke. Art. 33 IV GG meint aber, wie gezeigt, nur die obrigkeitliche Verwaltung als „das eigentliche Kerngebiet hoheitlichen Handelns"; im Sprachgebrauch sollte daher bewußt differenziert werden. 116 VwR, S. 21. 117 Benndorf, Zur Bestimmung der hoheitsrechtlichen Befugnisse, DVB1. 1982, 23 (25) kritisiert die einfache Gleichsetzung von „hoheitlich" und „obrigkeitlich" in Art. 33 IV GG, verfällt aber nach einer differenzierten Untersuchung dem gleichen Fehler. Sein Fazit lautet: „Nur, wo ein Bediensteter tatsächlich hoheitliche Aufgaben' wahrnehme, sei der Funktionsvorbehalt tangiert (S. 28). Einleitend hatte Benndorf selbst festgestellt (S. 24), daß der Begriff „hoheitlich" zu unbestimmt sei. In seinem Fazit verwendet er ihn gleichwohl, ohne ihn zuvor überzeugend zu definieren. 118 Vgl. Dagtoglou, Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, DÖV 1970, 533 (536) unter ausdrücklicher Ablehnung des Rechtsstandpunktes von Jellinek; ferner Mennacher, Beliehene Private, S. 21 sowie S. 26 oben; ebenso Klein, Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe, DÖV 1965, 755 (758); Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, DÖV 1970, 526 (528); Burger, Art. 33 GG und die sogenannten staatlich gebundenen Berufe, S. 45 u. 48; Gallwas, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch unentgeltliche Dienstleistungen Privater, BayVBl. 1971, 245; wohl auch Zeidler, Gedanken zum Fernsehurteil des BVerfG, AöR 86, 363 (398). 119 Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, S. 80 f.

II. Gefahrenabwehr durch Private

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muß eine ausschließlich öffentlich-rechtliche Befugnis sein; seine Wirkung muß rechtsgestaltenden Charakter haben. Das Vorhandensein von Befehl und, namentlich Zwang, sei dagegen - so Vogel - nicht entscheidend. Zwang könne auch als rein tatsächlicher A k t angesehen werden und sei, so verstanden, kein wesensmäßig obrigkeitliches Kriterium. Nur wo die beiden genannten Gesichtspunkte hinzuträfen, liege „obrigkeitliches Imperium" vor. Die vorstehend wiedergegebene Begriffsbestimmung Vogels ist als Grundlage für die vorzunehmende Differenzierung von schlicht-hoheitlichem und obrigkeitlichem Tätigwerden im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung tauglich. Sie deckt sich inhaltlich durchaus mit anderen Deutungen des gleichen Begriffs 120 , vermeidet jedoch die schlagwortartige Definition, die „obrigkeitlich" vereinfachend mit „Zwang und Befehl" gleichsetzt 1 2 1 und dadurch zu Mißverständnissen führt. Die Grenzziehung im Bereich des Polizeirechts kann nunmehr gezogen werden. „Polizeiliche" Tätigkeiten können nur, aber auch stets da auch von Privaten erledigt werden, wo sich die Polizei nur auf die allgemeine „polizeiliche Generalklausel" und nicht auf ausschließliche Spezialbefugnisnormen 122 stützen kann. Für diesen „allgemeinen GefahrenabWehrbereich" gilt: Allgemein-„polizeiliche" Aufgaben im präventiven Sektor, also die vorsorgende, wachende Tätigkeit 1 2 3 , erfordert den Einsatz des „obrigkeitlichen Imperiums" von vornherein nicht; sie ist damit kein Gegenstand ausschließlicher Staatsverwaltung. Schwieriger ist die Rechtslage im repressiven Bereich. Mit Hilfe der in der Polizeirechts-Dogmatik entwickelten differenzierten Beurteilung polizeilichen Tätigwerdens läßt sich allerdings auch hier eine sichere rechtliche Grenzziehung vornehmen. Auszugehen ist von der allgemeinen Erkenntnis, daß eine andauernde Störung grundsätzlich eine fortdauernde Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt 1 2 4 . Repressive Tätigkeit gegen derartig fortdauernde Störungen enthält damit auch regelmäßig ein präventives Element: die Vorsorge vor weiteren Gefahren 125 . Auch insoweit ist der „obrigkeitliche" Bereich nicht berührt. Daß die repressive Tätigkeit hier auch Gewalt- bzw. Zwangsausübung umfassen 120

Vgl. etwa W. Jellinek, VwR, S. 21; Wolff / Bachof, VwR I, § 23 I I I a, b. Vgl. etwa Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 429. Die differenzierende Definition aus seiner Monographie hat Vogel also in seiner Bearbeitung des Polizeirechts leider nicht übernommen. 122 Beispielsweise die speziellen Ermächtigungsnormen der Polizeigesetze oder die Befugnisse der Polizei zu Verkehrslenkungsmaßnahmen nach der StVO. 123 Zur Unterscheidung von präventiver und repressiver Polizeitätigkeit vgl. nur Samper, PAG, Art. 2, Rn. 26 und Rn. 39. 124 Statt aller Knemeyer, POR, Rn. 69. 125 Statt aller Samper, PAG, Art. 2, Rn. 39. 121

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

kann, ist nicht weiter beachtlich. Gewaltsame Abwendung derartiger, akuter Störungen ist nämlich - worauf bereits an dieser Stelle hinzuweisen ist und ohne zur Frage der Anwendbarkeit der einschlägigen Normen auf private Sicherheitsdienste abschließend Stellung zu nehmen - jedermann durch die Privatrechtsordnung gestattet, und zwar durch die sogenannten „Jedermann-Gewaltrechte" 126 . Hier fehlt es mithin an der „ausschließlich öffentlich-rechtlichen Befugnis", die Wesensmerkmal obrigkeitlicher Tätigkeit ist. Wenn und soweit die Privatrechtsordnung dem einzelnen bestimmte Tätigkeitsbereiche eröffnet, ist der Bereich ausschließlich dem Staat vorbehaltener, obrigkeitlicher Domäne verlassen. Im Anwendungsbereich der „polizeilichen Generalklausel" konkurrieren öffentlich-rechtliche und „Jedermann-Ermächtigungsnormen" mit sich deckendem Wirkungsbereich 127 . Repressive Tätigkeit gegen abgeschlossene, nicht mehr fortwirkende Störungen ist dagegen im Regelfall, soweit sie die Anwendung von Gewalt gegen Personen oder Sachen erfordert, eine dem Staat vorbehaltene, obrigkeitliche Domäne. Zu denken ist hier namentlich an die Verfolgungstätigkeit: Die Privatrechtsordnung weist hier dem einzelnen keine Befugnisse mehr zu. Das zeigen die hier einschlägigen „Jedermann-Rechte" der §§ 32, 34 StGB, 127 I I StPO, 227 f., 904 BGB mit besonderer Deutlichkeit: Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie Gewaltrechte dem Privaten von vornherein nur bei gegenwärtigen Störungen, nicht aber bei „beendeten" Übergriffen erlauben. Eingriffsrechte können hier nur noch aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich entstammen, dessen alleinberechtigtes Zuordnungssubjekt der Staat ist. Dieses Ergebnis wird noch erhärtet, wenn man einen Blick auf die im MEPolG erstmals deutlich getroffene Regelung (§ 1 II) wirft, daß die Polizei zum Schutz individueller Rechte im ausschließlichen Privatinteresse 128 nur subsidiär und insbesondere, wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde, zuständig ist 1 2 9 . Der ME verzichtet auf die ergänzende Bestimmung, daß der Schutz derartiger Privatrechtsgüter gleichwohl in die Kompetenz der staatlichen Hoheitsgewalt falle 1 3 0 ; dieses „beredte Schweigen" deutet darauf hin, daß 126 Zum Beispiel §§ 32 StGB, 127 I StPO, 904 BGB; auf deren Eingriffsvoraussetzungen soll ausführlich im nächsten Kapitel eingegangen werden. 127 Dieser Umstand untermauert die These Vogels, daß das Regime von Zwang und Gewalt die „Obrigkeitlichkeit" einer Tätigkeit nicht indiziere. 128 Insoweit kommen die Rechtsgüter Eigentum und Ehre in Betracht, deren Schutz regelmäßig im ausschließlich privaten Interesse liegt. Der Schutz der Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit und Freiheit liegt dagegen stets gleichzeitig im öffentlichen Interesse. Unstreitig; vgl. statt aller Knemeyer, POR, Rn. 97. 129 Jene Bestimmung könnte man sinnvollerweise als eine spezielle polizeirechtliche Facette des Subsidiaritätsprinzips bezeichnen. 130 Der AE sieht demgegenüber eine entsprechende Bestimmung vor; vgl. AE PolG, § 3 I I I mit Begründung Ziff. 4, S. 44.

II. Gefahrenabwehr durch Private

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insoweit auch die Kompetenz Privater zum Selbstschutz eigener Rechtsgüter nicht verkannt worden ist, jedenfalls nicht verkannt werden sollte 1 3 1 . Unten 1 3 2 wird der Kreis der auch dem Schutz durch Private überlassenen Rechtsgüter und die insoweit zu treffende materielle Abgrenzung zum polizeilichen Kompetenzbereich eingehend zu erörtern sein; dabei wird sich freilich zeigen, daß die Eingriffskompetenz Privater aufgrund der Notrechte auch zum Schutz von Rechtsgütern gegeben ist, deren Erhalt gleichzeitig im öffentlichen Interesse liegt. Vereinfacht zusammengefaßt, könnte man mithin formulieren: Da, wo die Privatrechtsordnung dem Einzelnen im Ergebnis dieselben Eingriffsbefugnisse verleiht wie den Polizeiorganen, fehlt es am wesensmäßig obrigkeitlichen Imperium. Dort ist privates Engagement zur Gefahrenabwehr zulässig. Derjenige Bereich im weiten Feld der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der ausschließlich staatlicher Durchführung vorbehalten ist, ist damit tatsächlich erheblich reduziert. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil allgemeiner 1 3 3 Gefahrenabwehrtätigkeit - nämlich repressive Tätigkeit gegen abgeschlossene, nicht mehr gegenwärtige Störungen - ist von vornherein dem obrigkeitlichen Bereich zuzuordnen. Im übrigen ist - dies als Grundsatz - Betätigung auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Privaten funktional nicht verschlossen 134 . Insoweit erweist sich auch die - nicht näher begründete - Feststellung Fuhrs 1 3 5 , gewerbliche Sicherheitsdienste übten „ i n keinem Falle hoheitliche Befugnisse aus", als durchaus zutreffend. Der Umfang ihrer Eingriffserlaubnisse bemißt sich nach den Handlungsermächtigungen der Jedermann-Notrechte und ist nachfolgend - Kapitel 3 - eingehend zu erörtern. ff) Subsidiarität und Eingriff s Verwaltung Nach den oben 1 3 6 hergeleiteten Grundsätzen ist privates Engagement auf diesem Sektor damit nicht nur zulässig; es ist sogar als staatsentlastende Tätigkeit erwünscht. Die vorherrschenden Stimmen, die sich demgegenüber des gängigen Satzes bedienen: „Tätigkeit im Bereich öffentlicher Sicherheit und Ordnung ist Angelegenheit des Staates" unterliegen insoweit dem deut131 Das übersieht Kay, Einschreiten der Polizei zum Schutz privater Rechte, DP 1981, 369 (370 u. 375), der die Bestimmung nur als Subsidiaritätsklausel zugunsten anderer hoheitlicher Staatsbehörden begreift. 1 32 Kap. 3 V I I 2 c. 133 D.h. auf speziellen öffentlich-rechtlichen Zuweisungsnormen beruhender. 134 Im Ergebnis übereinstimmend Evers, Verbände - Verwaltung - Verfassung, Der Staat 3, 41 (56); Dagtoglou, Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, DÖV 1970, 532 (536). 135 GewO, Erläuterung zu § 5 BewVO, S. 13. 136 Abschn. cc.

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

lieh bereits 1959 von Vogel, erneut 1963 von Mennacher 137 herausgestellten Irrtum: Sie verwechseln staatliche Verantwortung mit staatlichem Ausführungsmonopol 138 oder setzen „primäre" staatliche Zuständigkeit unerlaubt mit „ausschließlicher" gleich 1 3 9 . Das mag auf die bereits angedeutete 140 unterschwellige Tendenz zurückzuführen sein, dem Staat die umfassende Kompetenz zu perfekter und allzuständiger „Daseinsvorsorge" 141 zuzubilligen, ist aber rechtlich nicht geboten, sondern fehl am Platze. Theoretisch ist die Idee des allzuständigen Staates ein vertretbares Denkmodell. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes ist der gebotene, juristisch vertretbare Weg jedoch nicht die Zuweisimg möglichst umfangreicher Befugnisse an den Staat „auf Kosten des Einzelnen", sondern, umgekehrt, die möglichst weitgehende Berechtigung Privater, notfalls zu Lasten des Staates. Gegen dieses Ergebnis hat Hoffmann-Riem unter einem anderen, eher formalen Aspekt Bedenken 142 : Er verwehrt Privaten ein Engagement auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und dessen Rechtfertigung mit dem Subsidiaritätsprinzip auch deshalb völlig, weil das Subsidiaritätsprinzip im Bereich der Eingriffsverwaltung „nichts zu suchen" habe. Den Ausführungen Hoffmann-Riems ist zugute zu halten, daß sie sich um klare begriffliche Differenzierung bemühen und mit dem Stichwort der „Eingriff s Verwaltung" ein Problem anschneiden, welches bei der rechtlichen Diskussion um die Erledigung öffentlicher Aufgaben häufig übersehen w i r d 1 4 3 . Es ist allgemein anerkannt, daß die Leistungsverwaltung „privatisierbar" ist; das Problem der Privatisierbarkeit der Eingriffs- bzw. Hoheitsverwaltung wird dagegen kaum vertieft behandelt 144 . Indes kann eine detaillierte Behandlung dieser Frage auch hier dahinstehen: Nach dem oben Gezeigten ist die gefahrenabwehrende Tätigkeit Priva137 Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten i n privater Hand, S. 62; Mennacher, Beliehene Private, S. 23. 138 Das kritisiert neuerdings auch Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 100 unter Bezugnahme auf Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 51 ff.: Die Anerkennung einzelner Staatsfunktionen zwinge „nicht zu deren Erledigung durch staatliches Monopol"; kritisch ebenfalls Görgmaier, Möglichkeiten und Grenzen der Entstaatlichung öffentlicher Aufgaben, DOV 1970, 356 (359); Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, DÖV 1970, 526 (528 f.). 139 So Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 90 (FN 8); mit dem Ausdruck „primäre Zuständigkeit des Staates", den Isensee verwendet, ist freilich weder zur Abgrenzung noch zur konkreten Zuweisung im Einzelfall überhaupt etwas gewonnen. 140 Oben Abschn. dd. β bei F N 85 mit Verweis auf Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, FS Nipperdey, S. 877 (881). 141 Der Begriff hier nicht im technischen Sinne verstanden. i « Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281). 143 So mit Recht von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 22. 144 Mit diesem Problembereich befaßt sich ausführlich die Untersuchung von v. Heimburg.

II. Gefahrenabwehr durch Private

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ter nicht im Bereich des obrigkeitlichen Imperiums angesiedelt. Sie berührt nicht das Gebiet wesensmäßig staatlicher Verwaltung, folglich auch nicht denjenigen der Eingriffsverwaltung 145 . Damit erledigt sich dieses Bedenken Hoffmann-Riems schon aus rechts„systematischen" Gründen. gg) Entbehrlichkeit der „Beleihung" Systematisch ist hier auch der geeignete Ort, die institutionsrechtliche Konsequenz dieses vorläufigen Ergebnisses anzudeuten und den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung damit rechtsdogmatisch genauer einzugrenzen: Da die auf der Privatrechtsordnung basierende Gefahrenabwehrbefugnis Jedermanns nicht dem obrigkeitlichen Bereich zuzurechnen ist, bedarf es für jene Tätigkeit keiner wie auch immer gearteten „Beleihung". Wie oben 1 4 6 bereits angedeutet, hat sich die neue Lehre bezüglich dieses Instituts von der Aufgabentheorie, die die Staatsaufgaben nach Aufgabenbereichen zu systematisieren versuchte und Tätigkeit Privater in jenen Bereichen nur aufgrund einer Beleihung zuließ, überwiegend längst abgewandt und, aufbauend auf der Lehre Vogels, nur die Ausübung spezifisch obrigkeitlicher Verwaltungsaufgaben als Gegenstand einer „Beleihung" erkannt 1 4 7 . Mit jener nicht-hoheitlichen, schlicht-privaten, weder eines Beleihungsaktes bedürfender noch auf einem solchen beruhender Gefahrenabwehrtätigkeit befaßt sich die vorliegende Arbeit. Es geht nicht um die Untersuchung von Privaten seitens des Staates überlassener Kompetenzen, sondern um die Prüfung ursprünglicher Zuständigkeit Privater - freilich auf einem Gebiet eminent „öffentlichen" Interesses, für das der Staat die abschließende Garantiefunktion hat. Insoweit mag man jene Gefahrenabwehrtätigkeit Privater ohne weiteres als „staatsentlastendes Privathandeln" qualifizieren 148 , das der Private als „Verwaltungssubstitut" erledigt 1 4 9 , obwohl 145 Darauf stellt ausdrücklich Zeidler, Gedanken zum Fernsehurteil des BVerfG, AöR 86, 363 (398) ab; ebenso Dagtoglou, Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, DÖV 1970, 532 (536). 148 dd. ß. 147 Vgl. insoweit, speziell im Hinblick auf den Gesichtspunkt der „Beleihung" Burger, Art. 33 GG und die sogenannten staatlich gebundenen Berufe, S. 48; Michaelis, Der Beliehene, S. 28 - 33, 69 und durchgehend; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 32 ff., 36; wohl auch Steiner, Der beliehene Unternehmer, JuS 1969, 69 (70 f.); ders., Öffentliche Verwaltung durch Private, DÖV 1970, 526 (529). 148 Dagegen aber, weil zu unpräzise, Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, DÖV 1970, 526 (529). 149 Dies das Ergebnis des Systematisierungsversuchs in der grundsätzlich angelegten Untersuchung von von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private: Öffentliche Aufgaben erledigt der Private entweder als Beliehener oder als „Verwaltungssubstit u t " ; vgl. ebd. S. 146 und durchgehend.

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

auch diese Formulierung noch den Eindruck nahelegen könnte, der Private „beteilige" sich in Ausübung der Notrechte an der Tätigkeit der staatlichen Verwaltung. Daß dem nicht so ist, hat zutreffend Dagtoglou herausgestellt: „Überhaupt kann in der Erklärung eines Verhaltens für nicht rechtswidrig oder nicht strafbar keine Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben gesehen werden! Aus diesem Grunde ist die Notwehr, auch wenn sie zugunsten eines anderen erfolgt, oder die vorläufige Festnahme eines Verbrechers durch einen Privaten keine Ausübung staatlichen Hoheitsrechts durch Private" 1 5 0 . Der private, gewerbliche Sicherheitsdienst nimmt im Gegensatz zur staatlichen Polizei, deren Tätigkeit auf speziellen, öffentlich-rechtlichen Kompetenz-Zuweisungsnormen beruht, keine besonderen, ihm speziell zugewiesenen obrigkeitlichen Kompetenzen in Anspruch. Was der Staat durch die Polizei hoheitlich erledigt, ist, soweit die Handlungsermächtigungen der Privatrechtsordnung Anwendung finden, keine ausschließliche Domäne staatlichen Handelns. Der Staat ist vielmehr in den Stand gesetzt, insoweit im Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf die Wahrnehmung seiner eigenen, obrigkeitlichen Kompetenz zu verzichten 151 . Er ist, was zu ergänzen ist, selbstverständlich auch befugt, selbst die Dienste privater Wachdienste zur Tätigkeit in von ihm selbst unterhaltenen Einrichtungen in Anspruch zu nehmen. Mit einem wie auch immer gearteten „Formenmißbrauch" hat das nichts zu t u n 1 5 2 ; angemessener ist der Terminus „Aufgabenprivatisierung", an der der Staat freilich nicht nur nicht gehindert, sondern zu der er aufgrund des Subsidiaritätssatzes unter Umständen sogar gehalten ist. Eine in diesem Zusammenhang, lediglich der Vollständigkeit halber und in der gebotenen Kürze, zu erörternde Frage ist, ob die Beleihung privater Sicherheitsdienste, d. h. ihre Ausstattimg mit obrigkeitlichen Kompetenzen allgemein oder jedenfalls in besonderen Fällen - etwa und namentlich dann, wenn sie von der öffentlichen Hand beschäftigt werden - wenn nicht erforderlich, so doch wenigstens zweckmäßig sei. Gesichtspunkte hierfür sind indes nicht auszumachen. Eine Beleihung privater Sicherheitsdienste würde weder ihren Handlungsspielraum noch ihre Kompetenzen erweitern, sondern lediglich vermeidbare Schwierigkeiten bei der Zuständigkeitsabgrenzung zur staatlichen Polizei 1 5 3 bedingen. Gerade im Interesse eines rechtsdogmatisch ungeschmälerten staatlichen Gewaltmonopols 154 sollten die 150

Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, DÖV 1970, 533 (536). Vgl. von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 42 f., 147. 152 Hierunter versteht man das Agieren des Staates selbst in privat-rechtlichem Gewand; vgl. dazu statt aller die monographische Darstellung von Graf von Pestalozza, „Formenmißbrauch des Staates", hier insbesondere S. 166 ff., der allerdings zu umstrittenen Ergebnissen gelangt. 153 Hierzu näher unten Kap. 3 V I I 2. 151

II. Gefahrenabwehr durch Private

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Bereiche obrigkeitlicher staatlicher Polizei und allein auf der „ JedermannRechtsordnung" basierender, privat-präventiver Gefahrenabwehr sorgfältig geschieden bleiben und vermeidbare Übergriffe vermieden werden. Aus diesem Grunde ist auch dem Vorschlag Roßnagels, private Sicherheitsdienste jedenfalls bei der Bewachung von Kernkraftwerken mit obrigkeitlichen Kompetenzen zu beleihen und sie zu „Hilfspolizisten" umzufunktionieren 155 , nicht zu folgen. Die von Roßnagel hierfür ins Feld geführten Argumente entbehren bei näherer Betrachtung der Grundlage. So ist nicht ersichtlich, inwiefern den beliehenen Wächtern eine „erweiterte, aber auch klar begrenzte Rechtsgrundlage" 156 zur Verfügung stünde; es wird noch zu zeigen sein, daß die Jedermann-Rechte in Angriffssituationen weder einen für die Praxis unzumutbar beschränkten, noch einen rechtsstaatlich nicht ausreichend abgegrenzten „Befugnis"-Umfang vermitteln. Warum private Sicherheitsdienste nur nach Beleihung „wohl auch schwere Waffen einsetzen dürften" 1 5 7 , ist gleichfalls unerfindlich - im Gegenteil: Eine Ausstattung Privater mit Befugnissen und Instrumentarium der Polizei würde insoweit allenfalls eine „Festschreibung" des einsetzbaren Arsenals von Abwehrmitteln bedeuten, nicht aber eine Erweiterung - jedoch, um dies zu betonen, auch keine Beschränkung, welche Roßnagel selbst freilich offenbar auch nicht anstrebt. Die Beleihung privater Sicherheitsdienste würde - allenfalls darin dürfte Roßnagel zuzustimmen sein - dem „herrschenden Trend entsprechen, die Verbrechensbekämpfung zu reprivatisieren" 158 . Gerade das ist aber so allgemein sicher kein erstrebenswertes Ziel. „Die Gefahrenabwehr als polizeiliche Aufgabe wäre Polizeikräften übertragen, ohne daß ... ständig ein Polizeiposten stationiert sein müßte" 1 5 9 - das würde nichts anderes als die Etablierung einer regelrechten Privatpolizei bedeuten, die die Grenzen des staatlichen Gewaltmonopols bedenklich verwischen könnte und eher zu rechtsstaatlichen Skrupeln führen müßte als die hier vertretene Lösung einer entbehrlichen Beleihung mit deutlicher Unterscheidung privaten und staatlichen Kompetenzbereichs - Aspekte, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit noch zurückzukommen sein wird. Es verbleibt dabei, daß eine förmliche Beleihung privater Sicherheitdienste nicht erforderlich ist; sie ist nicht einmal erwünscht. Aus diesem Grunde 154

Hierzu sogleich unter III. Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 142; ebd. S. 192; der Autor leitet ihn allerdings mit der vagen Formulierung ein: „Es dürfte sich anbieten ...". 156 Ebd. S. 142. 157 So Roßnagel ebd. 158 Ebd. S. 142; er belegt diesen Trend mit Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (278), unterschlägt aber, daß gerade Hoffmann-Riem nachdrücklich gegen diesen „Trend" opponiert. 159 Roßnagel ebd. S. 142. 155

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

wird sich vorliegende Untersuchung, wie schon einleitend klargestellt, allein der nicht-obrigkeitlichen, namentlich auf den Jedermann-Rechten basierenden Gefahrenabwehrzuständigkeit Privater widmen. hh) Zwischenergebnis Als Ergebnis der bisherigen Überlegungen ist festzuhalten, daß allgemeine Gefahrenabwehr im präventiven Bereich - und teilweise auch im repressiven, soweit er gleichzeitig präventive Elemente enthält - privatem Engagement offensteht und hier anstehende Aufgaben sogar bevorzugt von Privaten gelöst werden dürfen. Dieser Rechtslage wird es, was nebenbei Erwähnung finden soll, gerecht, wenn - wie oben schon angedeutet - die Polizei bei ihrer präventiven Tätigkeit den Selbstschutzgedanken mehr und mehr propagiert 160 und ζ. B. das Atomgesetz unter Betonung des „Verursacherprinzips" die Sicherheitsüberwachung von Kernkraftwerken zur privaten Obliegenheit des Betreibers erklärt. - Die Privaten nehmen insoweit weder hoheitliche noch sonstwie geartete Verwaltungstätigkeit wahr, sie sind keine Beliehenen, sondern allenfalls Helfer des Staates in einer Domäne, für die letzterem abschließende „Garantiefunktion" zukommt.

III. Bedenken gegen private Gefahrenabwehrtätigkeit aus dem Rechtsstaats-, Demokratie- und Sozialstaatsprinzip 1. Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips: Das staatliche Gewaltmonopol als Grenze privater Eingriffsbefugnisse

Haben sich die vorstehenden Ausführungen der Ausgangsfrage nach der grundsätzlichen Berechtigung und der rechtlichen Charakterisierung der Betätigung Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewidmet, ist es nunmehr geboten, eine mögliche rechtliche Grenze für solches Tätigwerden zu untersuchen: Das staatliche Gewaltmonopol. a) Grund und Wesen des staatlichen Gewaltmonopols In Publikationen, die sich mit privaten Sicherheitsdiensten befassen, werden Bedenken gegen deren Tätigwerden durchweg unter dem Motto „Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols?" erhoben bzw. erörtert 1 . Ob 160 Vgl. dazu namentlich Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, B K A 1976, 71 (74 und durchgehend). 1 Vgl. etwa Stümper, Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1975, 193 ff.; Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59 (62); ders., Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 196 f.; Ho ff mann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279); Stacharowsky, Private Sicherungsdienste, Krimjournal 1985, 228

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

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dieser Vorwurf für das nicht-obrigkeitliche Tätigwerden Privater auf dem Gebiete der Gefahrenabwehr zutrifft, ist zu untersuchen. Dazu bedarf es vorab einer Klärung des Begriffs des staatlichen Gewaltmonopols. Dabei ist es zweckmäßig, sich auf die einleitenden Ausführungen des zweiten Kapitels 2 zurückzubeziehen. Dort wurde als wesentliche Funktion des Rechtsstaates die Sicherung des Rechtsfriedens herausgestellt. Aus dieser „Grundidee" ist das Phänomen des staatlichen Gewaltmonopols unmittelbar zu entwickeln, welches sich in drei Aspekten manifestiert: Rechtsfrieden kann nur bestehen, wenn Gewalt zwischen den Bürgern 3 unterbunden ist. Gewalt unter Privaten beeinträchtigt den Rechtsfrieden und ist daher grundsätzlich unerlaubt, vom Staat notfalls sogar gewaltsam zu unterdrücken. Wo Gewalt unter den Bürgern entsteht, ist der Rechtsfrieden - der einzige, höchste ethische Zweck des Rechtsstaates4 - in Gefahr. Rechtsfrieden erfordert auch allgemeinen Gesetzesgehorsam5 und gleiche Unterworfenheit Aller unter die Regelungen des Gemeinwesens6. Diesen Gesetzesgehorsam muß der Staat, soweit er nicht freiwillig geleistet wird, notfalls gewaltsam erzwingen. Denn wenn sich verschiedene Gruppen nicht einheitlich demselben Recht unterwerfen, würde dies zu einer Auflösung der rechtsstaatlichen Ordnung, zur Unordnung einer Gesellschaft führen, in der nur das Recht des Stärkeren zählen würde 7 . Anarchie würde ein Ende des Rechtsfriedens und damit des Rechtsstaates bedeuten. Der Staat ist schließlich da in Gefahr, wo er seine Staatsgewalt mit anderweitigen, innerstaatlichen Machtpotentialen teilen muß und damit u. U. deren Übergewicht riskiert. Auch aus diesem Gesichtspunkte rechtfertigt sich der Anspruch, daß allein der Staat Träger hoheitlicher Zwangsgewalt sein darf und gleichgeordnete Befehlsmachtträger nicht tolerieren kann 8 . Die drei genannten Gesichtspunkte - die zu gleichen Teilen aus der Idee des Rechtsstaates wie aus der Staatssouveränität folgen - machen die alleinige, konkurrenzlose Befugnis des Staates zur Ausübung hoheitlicher

(232); Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 79 f.; Wehner, Privatpolizeien - Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1980, 34 ff.; Steinke, Das Bewachungsgewerbe im Blickpunkt der Polizei, DNP 1986, 38. 2 Dort Abschn. 11. 3 Scholz, Rechtsfrieden im Rechtsstaat, NJW 1983, 705 wählt die treffenden Formulierungen: „Vergewaltigungen anderer, Herrschaft des Faustrechts". 4 Ebd. 5 Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 29. 6 Scholz, Rechtsfrieden im Rechtsstaat, NJW 1983, 705 (709). 7 Auch durch Nichtgebrauch seiner Gewalt kann der Rechtsstaat sich daher selbst gefährden; zutreffend Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 48. 8 Ebd. S. 33.

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Gewalt zum zwingenden, systemimmanenten Erfordernis gerade des Rechtsstaates. Das Gewaltmonopol ist gewissermaßen untrennbare „Kehrseite" der Pflicht des Staates zur Sicherung des Rechtsfriedens und zur Rechtsgewährimg; beide Seiten bilden eine Einheit. Mit Recht bemerkt Scholz 9 , das staatliche Gewaltmonopol sage letztlich nichts anderes, als daß „allein der Staat und seine Rechtsordnung für Recht und Gesetz bzw. für die Spielregeln rechtlich geordneter Auseinandersetzungen und den rechtlich verfaßten Frieden in der Gesellschaft verantwortlich sind", weshalb man es statt „Gewaltmonopol" gleichgut mit „Rechtsmonopol und Monopol zum Schutz von Recht, Frieden und Gleichheit aller Bürger" bezeichnen könne. Es ist nicht geboten, die um das „staatliche Gewaltmonopol" geführten Auseinandersetzungen im einzelnen nachzuvollziehen 10 . Namentlich seine zahlreichen 11 Infragestellungen brauchen hier nicht näher erörtert zu werden. Ziel der folgenden Untersuchung ist, zu überprüfen, ob und inwieweit das staatliche Gewaltmonopol - welches der Verfasser mit Scholz 12 „inhaltlich zu den unverzichtbaren Grundlagen des Rechtsstaats" zählt - durch das Privaten zugestandene Engagement auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung berührt wird und daher Einschränkungen der Tätigkeit privater Sicherheitsdienste fordert. Es sind namentlich zwei Gesichtspunkte, die die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Hinblick auf die Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols wenn nicht bedenklich erscheinen lassen, so doch wenigstens in enge Grenzen weisen könnten: die „Zurückdrängung der Privatinitiative bei der Bekämpfung von Rechtsgutverletzungen" und die Befürchtung, daß mit privaten Sicherheitsdiensten „Privatarmeen" im Entstehen begriffen seien. b) Zurückdrängung der Privatinitiative bei der Bekämpfung von Rechtsgutverletzungen Nach den bisherigen Untersuchungen ist es, entgegen erstem Anschein, nicht ausgeschlossen, private Sicherheitsdienste zu gefahrenabwehrender Tätigkeit im präventiven sowie z.T. sogar im repressiven Bereich heranzuziehen; sie dürfen im aufgezeigten Rahmen Schutzaufgaben für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wahrnehmen. Dagegen steht der - das staatliche Gewaltmonopol erst rechtfertigende - Umstand, daß der Rechtsstaat Privatinitiative bei der Bekämpfung von Rechtsgutverletzungen zurück9 Rechtsfrieden im Rechtsstaat, NJW 1983, 705 (707). 10 Damit befassen sich u. a. die zwei zitierten Schriften von Scholz und Merten in aller Ausführlichkeit. 11 Scholz ebd. S. 706 f. listet einige der gängigen Schlagworte auf. 12 Ebd. S. 707.

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

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drängen muß und daher grundsätzlich nicht duldet. Statt dessen hat er staatliche Institutionen zur Rechtsdurchsetzung bereitzustellen 13 . Kunz 1 4 formuliert seine Bedenken wie folgt: Er warnt vor der „gesellschaftlich desintegrierenden Funktion des ... Selbstschutzes". Der „gemeinschaftsfördernden Wirkung bürgerwehrähnlicher Zusammenschlüsse im Binnenbereich" begegnet er mit Skepsis: „Selbstwehrmentalität (schüre) gegenseitiges Mißtrauen und eigennutzorientiertes Verhalten ... und (begünstige) das Klima latenter Gewaltbereitschaft... Tätliches Einschreiten von Bürgern gegen Bürger (bewirke) eine Abstumpfung gegenüber individueller Gewaltanwendung". Dies gefährde eine „offene Gesellschaft, die auf Friedfertigkeit und Verständigungsbereitschaft im mitmenschlichen Umgang setzt". Es liegt auf der Hand, daß derartige Überzeichnungen, eher emotional denn rational begründet, den ungetrübten Blick auf die rechtlichen Probleme versperren anstatt ihn zu erleichtern. Durchgreifende Bedenken gegen die gefahrenabwehrende Tätigkeit privater Sicherheitsdienste, ja selbst eine Beschränkung auf einen geringeren Tätigkeitsumfang als den oben entwickelten, ergeben sich in der Tat aus den Kategorien des Rechtsfriedens und des staatlichen Gewaltmonopols, d. h. aus dem Rechtsstaatsprinzip, bei vertiefter Betrachtung nicht: Der rechtsstaatliche Grundsatz, daß primär der Staat mit seinen hierfür vorgesehenen Einrichtungen 15 zur Beseitigung gestörter Rechtszustände befugt ist, erfährt offensichtlich da keinerlei Einschränkung, wo der einzelne im Vorfeld konkreter Störungen gefahrenabwehrend tätig wird. Ausschließlich präventive, bewachende Tätigkeit privater Sicherheitsdienste kann daher von vornherein keine Bedenken wegen möglicher, rechtsstaatswidriger Beeinträchtigung des staatlichen Gewalt- bzw. Rechtsschutzmonopols 16 erwecken. Namentlich die Abhandlung von Hoffmann-Riem 17 krankt bereits daran, hier nicht zu differenzieren. Allerdings fragt es sich, ob es wegen dieses staatlichen Rechtsschutzmonopols geboten ist, die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste auf jenes bloße „Gefahrenvorfeld" zu reduzieren 18 . Das hieße immerhin, sie auf bloße Beob13 Darauf stellt namentlich Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279) ab; andeutungsweise auch Stümper, Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1975, 193. 14 Die organisierte Nothilfe, ZStrW 95, 973 (975 f.). 15 Namentlich Polizei und Justiz. 16 Scholz, Rechtsfrieden im Rechtsstaat, NJW 1983, 705 (707). 17 Privatpolizei, ZRP 1977, 277 ff. 18 Diese Überlegung findet sich in zahlreichen Beiträgen, die sich mit der Tätigkeit privater Sicherheitsdienste befassen. Genannt seien namentlich: Bericht B M I 1982, S. 18; Pfennig, Die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben durch private und öffentliche Einrichtungen, PFA 1980, 7 (15).

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

achtung zu beschränken, ihnen aber Eingriffsbefugnisse bei eingetretenen Störungen zu versagen und sie im Augenblick konkretisierter Gefahr und akuter Störungen auf die Inanspruchnahme der staatlichen (Polizei-) Organe zu verweisen. Eine solche Konsequenz ist aber im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip nicht geboten: Oben wurde in anderem Zusammenhang schon angedeutet, daß das Denkmodell umfassender staatlicher Zuständigkeit der ratio des Grundgesetzes nicht entspricht 19 . Namentlich der Eigensicherungs- und Selbsthilfegedanke können auch und gerade in der rechtstaatlichen Ordnung unserer Verfassimg Geltung beanspruchen. Die Formulierung Hoffmann-Riems, das Rechtsstaatsprinzip bedeute die „Errungenschaft" der „Zurückdrängung von Selbsthilfe, Faustrecht, Rachejustiz und sonstiger Formen strafrechtlicher Privatjustiz" 2 0 trifft zwar in dieser einseitig-polemischen Überspitzung sicherlich zu. Es hieße aber den Rechtsstaatsgedanken überinterpretieren, ja mißdeuten, wollte man aus ihm eine Grundentscheidung gegen jegliche Form der Privatinitiative speziell im Bereich der Gefahrenabwehr herauslesen 21. Schon die bloße Existenz zahlreicher, gewaltbewehrter Selbsthilferechte dokumentiert die Fehlerhaftigkeit dieses Denkansatzes, wobei es in diesem Zusammenhang noch keiner Erörterung der heftig umstrittenen Frage bedarf, inwieweit diese Selbsthilferechte ungeschmälert privaten Sicherheitsbediensteten zustehen 22 . Daß derartige Selbsthilferechte materielle Durchbrechungen des staatlichen Gewaltmonopols darstellen und gleichwohl bereits in klassischer Staatstheorie als legitim anerkannt wurden 2 3 , wird mit Recht von Thieme und Stümper 24 herausgestellt. Eine andere Beurteilung ist auch im Zeitalter des Rechtsstaates - entgegen den Bedenken von Isensee25 - nicht am Platze. Schwabe 26 bemerkt dazu ebenso lapidar wie zutreffend, der Rechtsstaat 19 Thieme, Gutachten, W + S Information 163, 71 (75 f.) m.w.N. stellt in seinen einleitenden Überlegungen zum staatlichen Gewaltmonopol ausdrücklich auf den Aspekt der Einschränkung der staatlichen Souveränität und Allmacht durch „wohlerworbene Rechte" und „Subsidiaritätsprinzip" ab. 20 Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279). 21 Andere Fehlansätze, unter dem Panier des Rechtsstaatsgedankens das Sicherheits- und Ordnungsniveau im Staat zu reduzieren, stellt Spendel in seinem Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel „Rechtsstaat für den Verbrecher - Polizeistaat für den Bürger?", FS für Freiherrn von der Heydte, S. 1209 ff., zusammen. 22 Dazu unten Kap. 3. 23 Eingehend hierzu Schroeder, Die Notwehr als Indikator politischer Grundanschauungen, FS Maurach, S. 127 (128 f.). 24 Thieme, Gutachten, W + S Information 163, 71 (76); Stümper, Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1975, 193. 25 Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 160, dort bei FN 36. 26 Private Sicherheitskräfte, ZRP 1978, 165.

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

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habe „die gesetzlose27 Selbsthilfe zurückgedrängt, deren Wiederaufkommen jedoch nirgends zur Diskussion steht". Rechtsstaatliche „Errungenschaft" ist es, die Selbsthilferechte hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen zu reglementieren und hinsichtlich ihres „Befugnisumf anges" dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu unterwerfen 28 , nicht aber, sie „zurückzudrängen" - was in Hoffmann-Riems Gesamttenor nichts anderes bedeuten soll als sie als „systemwidrig" abzuqualifizieren und dem Verdikt des Unerlaubten verfallen zu lassen 29 . Mit anderen Worten: Punktuelle Durchbrechungen des Gewaltmonopols bedeuten keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, wenn und soweit sie gesetzlich verankert und hinsichtlich Tatbestandsvoraussetzungen und Eingriffsumfang näher geregelt sind 3 0 . Beim Staat liegt das „Monopol, aber nicht (die) Totalität aller Gewalt" - mit dieser plastischen Formulierung charakterisiert Busch 31 zutreffend die Rechtslage. Der von einigen Autoren beschworene „Weg ins Chaos" 32 , den eine Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols in der Tat einleiten könnte, steht bei der ordnungssichernden Funktion privater Sicherheitsdienste aus rechtlichen Gründen ersichtlich nicht zur Debatte. Zur weiteren Verdeutlichung der Schlußfolgerung, daß eine rechtsstaatswidrige Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols im Gefüge unserer Rechtsordnung selbst da nicht vorliegt, wo Private gewaltsame Eingriffe zur Unterbindung konkreter und aktueller Gefahrenzustände vornehmen, empfiehlt es sich schon hier, kurz das Wesen der sogenannten JedermannGewaltrechte zu beleuchten. Ausgangspunkt der Überlegung ist, daß ein 27 Daß der Rechtsstaat im wesentlichen durch Ordnung des Zusammenlebens durch gesetzliche Einbindung des Individualverhaltens charakterisiert ist, hebt K. Hesse, Verfassungsrecht, S. 79 hervor. 28 Ebenso wie obrigkeitliche Eingriffe in Freiheitsrechte; vgl. statt aller Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 4 (S. 805 ff.), § 20 IV 7 (S. 861 ff.); dazu ausführlich unten Kap. 3 III. 29 Dieses rechtsstaatliche Prinzip, jeden, auch den von privater Hand geführten, Eingriff gesetzlich einzubinden und zu limitieren, betont nachdrücklich Schwabe, Legitimation und Schranken für Sicherheitsgewerbe und betrieblichen Werkschutz, W + S Information 158, 10 ff. Auf seine diesbezüglichen Ausführungen wird namentlich später, im Zusammenhang mit dem Eingriffsumfang der Jedermann-Notrechte, zurückzukommen sein. 30 In gleichem Sinne etwa Reuter, Freiheit und staatliches Gewaltmonopol, DP 1986, 73 (77); Schwabe, a.a.O., S. 10 (12) betont sogar, eine grundsätzliche Antastung der Jedermann-Notrechte sei unter der Herrschaft des Grundgesetzes von Verfassungs wegen ausgeschlossen: Es sei Ausfluß der grundrechtlichen Gewährleistung von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Eigentum, „daß man sich rechtswidriger Angriffe erwehren darf, falls der Staat nicht für Abwehr zu sorgen vermag ...". 31 Busch u. a., Die Polizei in der Bundesrepublik, S. 41. 32 Kunz, Die organisierte Nothilfe, ZStrW 95, 973 (978); Arzt, Notwehr, Selbsthilfe, Bürgerwehr, FS Schaffstein, S. 77 (88); andeutungsweise wohl auch Isensee, Die Friedenspflicht des Bürgers und das Gewaltmonopol des Staates, FS Eichenberger, S. 23 (24).

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

berufsmäßiger Sicherheitsbediensteter bei gewaltsamer Unterbindung einer akuten Störung im Regelfall keineswegs, nie jedoch ausschließlich einen gegen ihn selbst gerichteten Angriff erwidert, sondern primär im Interesse Dritter - seines Auftraggebers bzw. unbeteiligter Mitglieder der Öffentlichkeit - tätig wird. Es ist folgerichtig und entspricht der im Ergebnis einhelligen strafrechtlichen Lehre, daß das hier regelmäßig einschlägige Institut der Nothilfe 3 3 wesensmäßig nicht hinreichend erfaßt wird, wenn man es lediglich unter dem Aspekt der individuellen Rechtfertigung des in einer Ausnahmesituation befindlichen, zur Selbstverteidigung gezwungenen Bürgers begreift 34 . Das Wesen gerade des Nothilferechts geht über diesen Gesichtspunkt hinaus: Es stellt eine regelrechte, vom Staat zugunsten des Privaten 35 normativ erlassene 36 Eingriffermächtigung zum „Kampf des Rechts gegen das Unrecht" 3 7 und zur Wiederherstellung der gestörten Rechtsordnung 38 dar 3 9 . Es ist nun offensichtlich paradox und juristisch verfehlt, mit dem Hinweis auf Beeinträchtigung rechtsstaatlicher Errungenschaften privaten Bemühungen entgegenzusteuern, in Wahrnehmung dieser Eingriffsbefugnisse und in Einhaltung der von der Privatrechtsordnung gesetzten Grenzen zum Schutz der gestörten Rechtsordnung beizutragen: „Der primäre Zweck oder wesentliche Inhalt des Rechtsstaates ist es ..., die Sicherheit vor verbrecherischen Übergriffen anderer Menschen zu gewährleisten" 40 . Die Rechtsordnung gestattet bzw. empfiehlt Privaten nicht nur Wachsamkeit im Vorfeld von Gefahren, sondern sie erlaubt ihnen zum Zweck der Wahrung des Rechtes auch gewaltsame Eingriffe, wenn der 33 § 32 I I 2. Alternative StGB. 34 Vgl. etwa Lackner, StGB § 32 Anm. 1; L K 10-Spendel, § 32 Rn. 13; Schänke/ Schröder / Lenckner, StGB §32 Rn. 1; Schmidhäuser, Strafrecht, Lehrbuch AT, S. 339; BGH, NJW 1972, 1821; alle mit zahlreichen w.N. 35 Ob die strafrechtlichen Notrechtsvorschriften auch eine polizeirechtliche Eingriffsermächtigung zugunsten staatlicher Vollzugskräfte darstellen, ist freilich heftig umstritten. Diese Frage bedarf im Rahmen dieser Untersuchung jedoch keiner Erörterung. 36 Vgl. Schwabe, Die Notrechtsvorbehalte des Polizeirechts, S. 22 f.; auf diesen Aspekt ist noch zurückzukommen, wenn es darum geht, ob Befugnisse aufgrund des Notwehrrechts, anders als solche der obrigkeitlichen Polizei, nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterfallen. Dazu unten Kap. 3 III. 37 Vgl. hierzu ζ. B. Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 26. 38 Dieser Problembereich wird unten Kap. 3 I I im Zusammenhang mit der Erörterung der ratio der Nothilfe eingehend aufzugreifen sein. 39 Das wird von Vogel in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 332 nicht deutlich genug gesehen, indem er nur auf den Rechtfertigungsaspekt des Notwehrrechts abstellt. 40 So zutreffend Spendel, Rechtsstaat für den Verbrecher - Polizeistaat für den Bürger?, FS Freiherr von der Heydte, S. 1209 m.N. Sinngemäß auch Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, durchgehend, der feststellt, dies habe mit einem „reaktionären Law-and-Order-Standpunkt" nichts zu tun (S. 53). Kritisch-polemisch gegen die Verspottung von „Law-and-Order" auch Dürig in Maunz / Dürig, GG Art. 3 I I I Rn. 129.

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„Rechtsstaat in N o t " 4 1 , der Notfall einer konkretisierten Gefahr eingetreten und akut ist. Der schon oben 42 als konsequent herausgestellte Umstand, daß die Polizei den Selbstschutzgedanken verstärkt propagiert, läuft mithin nicht auf eine rechtsstaatlich bedenkliche Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols hinaus. Tätigwerden privater Sicherheitsdienste im von der Rechtsordnung vorgesehenen, nicht-obrigkeitlichen Rahmen schwächt den Rechtsstaat und sein Rechtsfriedensanliegen nicht - es stärkt sie. Dieser Erkenntnis, die freilich schon in den rechtspolitischen Bereich hinüberspielt, ist durchaus das Fazit Mertens anzuschließen, daß der Staat - gemeint ist der Rechtsstaat ohnehin nicht „an seinem Gewaltmonopol festhalten" dürfe, wenn er „selbst nicht rechtzeitig zu helfen" vermöge 43 . Insoweit sei lediglich auf die eingangs 44 mitgeteilten Zahlen zum Verhältnis von Polizeidienststärke und Personalbestand gewerblicher Sicherheitsdienste verwiesen. Sie lassen unschwer erahnen, welchen zusätzlichen Personalbedarf die staatliche Polizei hätte, wollte man ihr die Sicherungsfunktionen zusätzlich aufbürden, die inzwischen von privaten Wachunternehmen wahrgenommen werden. Ob die so erforderliche „Aufstockung" des staatlichen Polizeibestandes rechtspolitisch ohnedies erwünscht wäre 45 , soll einer späteren Betrachtung 46 vorbehalten bleiben. Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Rechtsstaat gesetzlich geregelte, punktuelle Durchbrechungen des Gewaltmonopols in Gestalt der Jedermann-Selbsthilferechte kennt 4 7 . Damit erledigen sich die grundsätzlichen rechtsstaatlichen Bedenken im Hinblick auf gefahrenabwehrende Tätigkeit Privater im Rahmen dieser Notrechte. Zu erörtern ist freilich noch, in welchem Umfange sich „professionelle Nothelfer" 4 8 auf die ent41 In diesem Zusammenhang verwendet zur Verdeutlichung Kirchhof den Terminus „Not ..." im Zusammenhang mit den Notrechten; vgl. Kirchhof, Notwehr und Nothilfe des Polizeibeamten aus öffentlich-rechtlicher Sicht, S. 67; vgl. ferner Schmidhäuser, Straf recht, Lehrbuch AT, S. 339. 42 Unten I I 2 b hh. 43 Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56 mit ergänzendem Hinweis, dieses Ergebnis sei auch grundrechtssystematisch geboten. 44 Kap. 11 5, 6. 45 Vgl. hierzu Bericht B M I 1982, 19 f. - Stellungnahmen aus Polizeikreisen tendieren eindeutig in die Richtung, ein umfassendes Tätigwerden der Polizei zum lückenlosen Schutz sei unerwünscht. Vgl. nur Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, B K A 1976, 71 (72 f.); Kraus, Polizei schätzt die Sicherheitsunternehmen, W + S Information 159, 71. 4 6 Unten Kap. 3 V I I 3. 47 Schroeder, Die Notwehr als Indikator politischer Grundanschauungen, FS Maurach, S. 127 spricht treffend von einem punktuellen „Verzicht" auf das Gewaltmonopol, welcher der Grundentscheidung unserer Verfassungsordnung gegen den Etatismus, für private Betätigungsfreiheit, entspreche. 48 Formulierung von Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59 (62).

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

sprechenden Vorschriften berufen können; diese Überlegungen sollen im folgenden Kapitel behandelt werden 49 . Die oben 50 bereits verworfene Beleihung privater Sicherheitsdienste mit obrigkeitlichen Kompetenzen würde demgegenüber, was abschließend hervorgehoben werden soll, Bedenken in Richtung einer Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols durchaus rechtfertigen. Anders als bei der Inanspruchnahme allgemeingültiger Jedermann-Rechte, die a priori die Grenzen und Konturen des staatlichen Gewaltmonopols definieren, würden Private hier tatsächlich mit obrigkeitlichen, dem Staat vorbehaltenen Kompetenzen ausgestattet. Sie nähmen damit staatliche Funktion umfassend in Anspruch. Damit wäre - ob in rechtsstaatlich bedenklicher Weise, mag freilich dahinstehen und soll hier nicht vertieft werden - das staatliche Gewaltmonopol jedenfalls wesentlich tangiert. Es wäre partiell auf Private übertragen und damit verwischt oder gar beschnitten. Der ausschließliche Verweis privater Ordnungsschützer auf die zu diesem Zweck bereitstehenden JedermannRechte ist daher sinnvoll und geboten. c) Entstehung von Privatarmeen Im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol wird die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste auch mit der Befürchtung für unzulässig gehalten, hier entwickle sich ein privat-armeeähnliches Machtpotential 51 . Privatarmeen könne der Staat aber wegen seines Machtmonopols unter keinen Umständen dulden. Vor nicht allzu langer Zeit äußerte der damalige Bundesinnenminister Baum, er verfolge die Entwicklung der privaten Sicherungsunternehmen „mit Sorge" und erwäge staatliche Maßnahmen hiergegen. „Es dürfen keine Privatarmeen entstehen; der Staat hat das Gewaltmonopol" 52 . 49 Ebenso wie der Bereich der Gefahrenabwehr im nicht-obrigkeitlichen Rahmen privater Betätigung zugänglich ist, duldet der Rechtsstaat privates Engagement auch in einem anderen, herkömmlich, aber zu undifferenziert als „wesensmäßig staatlich" - vgl. etwa BVerfGE 17, 350 (379) - apostrophierten Bereich: der Rechtspflege (vgl. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 352 m.w.N.): Die Existenz von rein privaten Schiedsgerichten ist, völlig unangefochten, im Rechtsstaat nicht systemwidrig, soweit bzw. da sich ihre Tätigkeit in gesetzlich geregeltem Rahmen vollzieht (vgl. 10. Buch der ZPO). Vgl. hierzu auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 168 (bei F N 64). - Ob „private Justiz" auch zur Ahndung kriminellen Unrechts berufen sein kann, soll hier nicht weiter erörtert werden; vgl. dazu etwa Baur, Betriebsjustiz, JZ 1965, 163 ff.; Arndt, Private Betriebs-„Justiz"?, NJW 1965, 26; Droste, Privatjustiz gegen Ladendiebe, durchgehend, insbesondere S. 36 - 44. 50 Abschn. I I 2 b gg. 51 Vgl. etwa Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279); Stümper, Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1975, 193 (195). 52 Bundesinnenminister Gerhart Baum, FDP, i n einer Rede auf dem ordentlichen Delegiertentag der GdP 1979; zitiert nach Rudnitzki-Primbsch, Verordnung über das Bewachungsgewerbe erlassen, W + S Information 160, 14.

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

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Immerhin waren sich die damaligen Kritiker einig, die von ihnen beschworene Gefahr der Entstehung von Privatarmeen sei „nicht aktuell" 5 3 bzw. „derzeit natürlich theoretisch" 54 . Die rechtspolitische Diskussion ist deswegen inzwischen abgeebbt 55 und beschränkt sich auf gelegentliche, ζ. T. wortwörtliche Wiederholungen früherer Formulierungen 56 . Der in der Hochphase der Auseinandersetzungen initiierte und 1982 fertiggestellte Bericht des Bundesinnenministers stellt gleichfalls fest, eine Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols durch Privatarmeen drohe derzeit nicht 5 7 ; in diesem Zusammenhang wird namentlich die Stellungnahme Bayerns zitiert: Der Begriff „Privatarmeen" sei „überzogen und unangebracht" 58 . Dieser tatsächliche Befund - den, wie gesagt, auch die Kritiker des privaten Sicherheitsgewerbes teilen - könnte Anlaß genug sein, die weitere Behandlung der nur mehr theoretischen Frage, inwieweit private Sicherheitsunternehmen als „Privatarmeen" das staatliche Gewaltmonopol bedrohen könnten, abzuschließen. Gleichwohl sollen einige Gesichtspunkte in der gebotenen Kürze aufgegriffen werden, um den Nachweis zu erbringen, daß die geäußerten Bedenken sachlich der Berechtigung entbehren: Soweit das Schrifttum von der Prämisse ausgeht, schon die Existenz einer „Privatarmee" - d. h. einer militärischen oder paramilitärischen Heeresorganisation - sei geeignet, das staatliche Gewaltmonopol zu bedrohen und sei daher ausnahmslos unzulässig, ist dem zwar zuzustimmen. Die Sicherheit des Staates und seiner Bürger ist in Gefahr, wenn neben der staatlichen Gewalt schlagkräftige Machtpotentiale entstehen, die u. U. gegen die zumal demokratisch legitimierten - staatlichen Entscheidungsträger einsetzbar sind 59 . Die Unzulässigkeit von Privatarmeen rechtfertigt jedoch die genannten Bedenken gegen private Sicherheitsdienste nicht; denn das Gewerbe zeigt keines der Merkmale einer „Armee".

53 54

(195).

Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279). Stümper, Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1975, 193

55 Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, CSU, stellte in einer Eröffnungsrede anläßlich der Ausstellung „Security 84" fest, im Präventionsbereich gestatte der Staat den Bürgern „mit gutem Grund eigene Vorkehrungen"; zitiert aus W + S Information 161, 84. 56 Zuletzt Stacharowsky, Private Sicherungsdienste, Kriminologisches Journal 1985, 228 (232) m.w.N. s? Bericht B M I 1982, S. 19. 58 Ebd. S. 18; in der Fortschreibung des Berichtes 1986 S. 8 schließen sich auch der DIHT und der B D I ausdrücklich dieser Bewertung an. 59 Vgl. ausführlich hierzu Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 42 mit beispielhaftem Verweis auf die Umstände der SS-Auflösung von 1932.

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Zum Zweck der Erstellung seines bereits mehrfach zitierten Sachberichtes stellte der Bundesinnenminister im Bewachungsgewerbe eingehende tatsächliche Untersuchungen an. Im Zusammenhang damit durchgeführte Erhebungen haben - auch in den befaßten Ministerien der Länder - nachfolgende Umstände ergeben: - Das Bewachungsgewerbe ist wegen der Vielzahl der Unternehmen 60 stark zersplittert 61 . - Die meisten der in der Bundesrepublik tätigen Sicherheitsunternehmen haben deutlich unter 100 Beschäftigte 62 . - Irgendwie geartete Absprachen über ein „sicherheitsmäßiges Zusammenwirken" bestehen zwischen den Unternehmen - wegen der gewerbeinternen Konkurrenzsituation naheliegend! - nicht 6 3 . - Kein Einzelbetrieb ist aufgrund seiner Organisations- und Führungsstruktur zur Durchführung operativer Maßnahmen militärischen oder pseudo-militärischen Charakters in der Lage; auch Zusammensetzung, Ausbildung und Bewaffnung des Personals sind hierfür ungeeignet 64 . - Namentlich eine hierarchische, armeeähnliche Organisation liegt bei keinem privaten Wachunternehmen vor 6 5 . Angesichts dieser Umstände liegt es auf der Hand, daß selbst ein weiteres Anwachsen des privaten Sicherheitsgewerbes keine Bedenken rechtfertigen würde, hier könnte sich eine „Privatarmee" etablieren und das staatliche Gewaltmonopol aushöhlen 66 . 2. Private Sicherheitsdienste ein demokratisch ungenügend kontrollierbares Machtpotential?

Soeben67 wurde bereits angedeutet, daß im Schrifttum Bedenken gegen die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste auch unter dem Aspekt des Demo60

Siehe dazu schon oben Kap. 11 6 a. Schweinoch, Innere Sicherheit ist unteilbar, W + S Information 159, 73 (74). 62 Vgl. bereits oben Kap. 11 6 a. 63 Häring, Sicherheit, PFA 1980, S. 179 (190). 64 Ebd. 65 So ausdrücklich ein Autor aus dem Polizeibereich: Blum, Das Bewachungsgewerbe, W + S Information 162, 11 (13). 66 Übereinstimmend Häring, Sicherheit, PFA 1980, 179 (190); Blum ebd. - zwei Vertreter aus dem Bereich der Landesinnenministerien bzw. der Polizei. - Soweit gegen private Sicherheitsunternehmen der weitergehende Vorwurf erhoben wird, ihr Tätigwerden sei unabhängig von ihrer Größe unzulässig, weil jeder Betrieb ein Machtpotential darstelle, welches nicht in den „Rahmen demokratischer Kontrolle" eingebunden sei - so namentlich Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (278); Roßnagel, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 196 - soll hierauf nachfolgend eingegangen werden. 67 Letzte Fußnote. 61

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

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kratieprinzips erhoben worden sind; private Sicherheitsdienste seien eine „latente Bedrohung des Rechtsstaates und der Demokratie" 6 8 . Damit muß sich die vorliegende Abhandlung schon der Vollständigkeit halber in der gebotenen Kürze befassen. Für Hoffmann-Riem bestehen insoweit „Skrupel aus verfassungsrechtlicher Perspektive ... insbesondere mit Rücksicht auf das Demokratieprinzip" 6 9 . Er begründet dies wie folgt: M i t privaten Sicherheitsdiensten etabliere sich ein neues „Macht- und Gewaltpotential, das anders als die Polizei nicht in den Rahmen demokratischer Kontrolle gebunden" sei. Der Inhaber von Verfügungsrechten über diese „Kräfte" konkurriere „mit dem Staat in einem besonders gefährlichen Bereich: der Innehabung der Entscheidungsmacht über den Einsatz organisierter Gewalt". Diese Verfügungsmacht sei käuflich und könne daher von interessierter Seite zu politischen Zwecken „umgewidmet" werden 70 . Im Gefolge von Hoffmann-Riem haben Franzheim 71 , Roßnagel 72 und neuerdings Stacharowsky 73 die gleichen Bedenken geäußert. Soweit die zitierten Autoren den Eindruck zu erwecken suchen, mit den in Deutschland tätigen gewerblichen Sicherheitsdiensten sei ein Einsatzpotential entstanden, welches quantitativ auch nur annähernd politisch relevante „Schlagkraft" erreicht habe, entbehrt dies allerdings, wie oben im Zusammenhang mit dem Vorwurf drohender „Privatarmeen" erörtert, jeder Grundlage. Die Personalziffern der derzeit tätigen Unternehmen verweisen derartige Andeutungen - zurückhaltend formuliert - in den Bereich der Phantasie. Die geschilderte „Marktsituation" - Zersplitterung der Branche und eine Zusammenballungstendenzen entgegensteuernde KonkurrenzSituation - zerstreuen solche Bedenken auch im Blick auf die Zukunft. Von einer drohenden Gefahr revolutionärer Zusammenschlüsse innerhalb der Bevölkerung zu sprechen, hätte ähnlich geringe Realitätsnähe 74 . Nicht nur im Hinblick auf die „reale" Seite, sondern auch in rechtsgrundsätzlicher Hinsicht dürfen Hoffmann-Riems Argumente freilich nicht un68 69 70 71

(153). 72

Roßnagel, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 196. Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (278 f.). Ebd. S. 279. Strafrechtliche Probleme des Personenschutzes, W + S Information 151, 152

Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 197. Private Sicherungsdienste, KrimJournal 1985, 228 (232). 74 Insofern ist es völlig unerfindlich, warum Hoffmann-Riem behauptet, die von ihm geschilderten Gefahren seien „real" (Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279)); insoweit kann es sich schlechterdings nur um ein Verkennen der Bedeutung dieses Fremdwortes handeln. Kritisch insoweit auch Eberstein, Rechtsgrundlagen für das Tätigwerden von gewerblichen Sicherheitskräften, BB 1980, 863 (867). 73

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2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

widersprochen bleiben. Das rasch in die Diskussion eingeführte Demokratieprinzip ist inzwischen bedauerlicherweise fast zu einem Schlagwort herabgesunken, welches in der rechtlichen wie politischen Auseinandersetzung eine Ausdehnung mit einer daraus resultierenden Konturerweichung erfahren hat, die nur noch selten seinen eigenen Bedeutungsgehalt erkennen läßt 75 . Dieser Vorwurf kann auch dem Beitrag Hoffmann-Riems nicht erspart bleiben; er nötigt zu kritischer Erwiderung: „Machtpotentiale" entwickeln sich innerhalb des Gemeinwesens in mannigfacher Hinsicht. Von nennenswertem Einfluß auf das innerstaatliche Gesamtgeschehen sind hierbei keineswegs nur diejenigen, die auf der Basis physischer Gewaltsamkeit operieren; auch wirtschaftliche Potenz, oder publizistischer Einfluß, sind erwähnenswerte „Machtpotentiale" 76 . Nun vermittelt der „faktische Besitz gesellschaftlicher Macht... noch keinen rechtlich-öffentlichen Status" 7 7 . Es ist daher gründlich verfehlt, das Demokratieprinzip dahin ausdeuten zu wollen, auch nur eines dieser „Machtpotentiale" verlange „demokratische Einbindung" i. S. der Kontrolle durch die jeweilige Abstimmungsmehrheit 78 . Weder dies noch eine Unterwerfung jener Bereiche unter unmittelbaren staatlichen Lenkungseinfluß sind gefordert. Der Demokratiegrundsatz, welcher im Rahmen der vom Grundgesetz verfaßten Ordnung nur im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip sinnverleihend ausgelegt werden kann 7 9 , verlangt insoweit nur die Bindung eines „Machtpotentials" an das staatlich gesetzte und sich im Rahmen der übrigen verfassungsmäßigen Vorgaben handelnde Recht 80 . „Demokratieprinzip" heißt nicht: „Zwingend abstimmungsmehrheitlich bestimmte Legitimation außerstaatlicher Institutionen bzw. Verbände" oder gar „unmittelbare staatliche Kontrolle aller gesellschaftlichen Machtpotentiale"; solches wäre nur durch deren völlige Verstaatlichung realisierbar, die selbstverständlich von unserer Verfassungsordnung keineswegs geboten, sondern in weiten Bereichen eher untersagt ist. Die „Einbindung (des gewerblichen Sektors) in den Mechanismus demokratischer Kontrolle" 8 1 ist unter der Geltung des Grundgesetzes ein vom Ansatz her verfehltes Postulat 82 . 75

Dazu sehr eingehend Stern, Staatsrecht I, § 18 I, III. - Vgl. bereits Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 1: „Demokratie (ist der)... mißbrauchteste aller politischen Begriffe ... (und ist zu einer) konventionellen Phrase degradiert". 76 Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (283) spricht an einer Stelle zusammenfassend von „politisch-ökonomisch-sozialer Macht". 77 Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 125 f. 78 So aber offenbar, ohne Begründung, Hoffmann-Riem, a.a.O., S. 283. 7 ® Stern, Staatsrecht I, § 18 I I 7 b. 80 Schwabe, Private Sicherheitskräfte, ZRP 1978, 165. 81 - die sich offenbar Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (283) wünscht - .

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

91

Der Einwand, private, gewerbliche Sicherheitsdienste seien mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar, geht deswegen ersichtlich fehl und bedarf keiner weiteren Beachtung. 3. Private Sicherheitsdienste im Sozialstaat: Sicherheit nur für Reiche?

a) Käufliche Sicherheitsgewährleistung Hoffmann-Riem bemüht nicht nur das Demokratie-, sondern auch das Sozialstaatsprinzip, um verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Tätigwerden privater Sicherheitsdienste herzuleiten 83 . Seine Bedenken lassen sich unter den Stichworten „Kommerzialisierung der Sicherheit zugunsten der Reichen" und „Resozialisierungsfeindlichkeit" zusammenfassen: Private Sicherheitsdienste böten käufliche Sicherheit, die nur entsprechend finanzkräftigen Teilen der Bevölkerung zugute komme. Die staatliche Polizei gewinne demgegenüber den Charakter einer „Einrichtung mit Wohltätigkeitscharakter zugunsten finanzschwacher Bevölkerungskreise" 84 . Das führe absehbar zu einem Nachlassen der polizeilichen Motivation; „ i n der Konsequenz dürften die Aufklärungserfolge der Polizei weiter abnehmen und das Vertrauen der Bevölkerung in deren Leistungsfähigkeit gemindert werden" 8 5 . Im übrigen werde die kriminelle Handlung „ i n schlechter geschützte Wohngegenden" verdrängt, was „unter sozialstaatlicher Perspektive schwer tragbar" sei. - Schließlich sei eine private „Präventionsund Straftatverfolgungsinstanz" 86 wie ein gewerblicher Sicherheitsdienst nicht dem Resozialisierungsgedanken verpflichtet, der im Sozialstaat Leitund Richtschnur für polizeiliche Strafverfolgungstätigkeit sei, jedenfalls sein müsse 87 . Die „sozialstaatlichen" Bedenken Hoffmann-Riems sind, wie schon zuvor diejenigen aus dem Demokratieprinzip, 1985 von Stacharowsky 88 wiederholt, aber bedauerlicherweise keiner kritischen Würdigung unterzogen worden, was nachdrücklich geboten gewesen wäre 89 .

82

Hierzu Stern, Staatsrecht I, § 18 I I I 3. Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (279 f.). 84 Ebd. S. 277. es Ebd. S. 278. 86 Ebd. S. 280. 87 Ebd. S. 279 f. 88 Private Sicherungsdienste, KrimJournal 1985, 228 (233). 89 Den gleichen Vorwurf muß man leider auch der GdP machen, die nach einer Zeitungsnotiz der SZ vom 7. 9. 1984 S. 11 ähnliche schlagwortartige Vorwürfe gegen private Sicherheitsdienste erhoben hat: „Derjenige, der viel Geld hat, bekommt Sicherheit; die anderen 90 % gehen i n immer größerem Maße leer aus". 83

92

2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Ebenso wie im Zusammenhang mit der Hypertrophierung des Demokratieprinzips ist auch in bezug auf das Sozialstaatsprinzip die K r i t i k berechtigt, hier werde allzu oft „rechtsdogmatische Deduktion von politischem Räsonnement verdrängt" 9 0 . Zu den von Hoffmann-Riem vorgebrachten Gesichtspunkten ist im einzelnen folgendes festzustellen: b) Unsoziale Umlenkung der Kriminalität Seine erste These, die privat-kommerziell erledigte Bewachung namhafter Vermögenswerte führe zu einer Umlenkung der Kriminalität in „ärmere" Gebiete, ist bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht stichhaltig; sie fordert geradezu zur Polemik heraus: „Nun sehe ich nicht, wie die ,Umlenkung' von Tätern bei polizeilichem (statt privatem) Schutz zu verhindern wäre. Zwar könnte man nach Ersetzung privater Schutzmechanismen durch staatliche die Umlenkung dem Sozialstaatsgebot anpassen, indem man die Wohnungen der Armen bewacht und die Täter auf die feineren Villenviertel ausweichen läßt. Ob das volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, ist zu bezweifeln - wie schon Hoffmann-Riems Prämisse, daß Diebe, wenn sie die Häuser der oberen Zehntausend bewacht finden, sich ausgerechnet an den ,Armen 4 schadlos halten", schreibt Schwabe in einer treffenden Erwiderung auf Hoffmann-Riems Ausführungen 91 . Ein weiteres: Oben wurde es unter Bezugnahme auf den Subsidiaritätssatz als konsequent herausgestellt, daß die Polizei Private zur möglichst wirkungsvollen Eigensicherung ihres gefährdeten Besitzes anhält 9 2 . Derartige Eigensicherungsmaßnahmen sind heute schon aus tatsächlichen Erwägungen eine Notwendigkeit, da der Personalbestand der Polizei zu lückenlosem Schutz im präventiven Bereich in schwindendem Maße in der Lage ist 9 3 . Rechtliche Bedenken waren gegen diese „Tendenz zum Selbstschutz" nach allen bisherigen Untersuchungen nicht zu erheben. Appelliert die staatliche Polizei mit Recht an Maßnahmen Privater zur Eigensicherung, so gilt dies naheliegenderweise insbesondere für Personenkreise, die wegen des Wertes ihres Vermögens besonders gefährdetes potentielles Angriffsobjekt für Kriminelle sind und insoweit eine intensivere Gefahrenquelle darstellen. Ein - die Pflichten der Polizei bestimmender „Grundsatz erhöhter Gefahr" in dem Sinne, die Polizei habe sich im Rahmen ihrer präventiven Maßnahmen bevorzugt dem Schutz vermögender, 90 91 92 93

Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 324. Private Sicherheitskräfte, ZRP 1978, 165. Siehe oben Abschn. I I 2 b hh. Dazu oben Kap. 117.

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

93

insoweit besonders gefährdeter Kreise zuzuwenden, hat im geltenden Polizeirecht keine Grundlage 94 . Die Polizei ist zu gleichmäßigem Schutz verpflichtet. Im Bereich des Sicherheits- und Ordnungsrechts ist statt dessen eine Tendenz auszumachen, beispielsweise Betreiber besonders gefährdeter oder gefährdender Objekte zu verstärkten Eigensicherungsmaßnahmen anzuhalten 9 5 . Die Möglichkeit jener Bevölkerungsgruppen, das von ihrem Vermögen ausgehende erhöhte Gefährdungspotential durch privat veranlaßte wie privat finanzierte Bewachung auf kommerzieller Basis gewissermaßen zu kompensieren, ist gerade aus „sozialstaatlicher" Perspektive mit Nachdruck zu begrüßen statt zu verurteilen, führt es doch auf Seiten der staatlichen Polizei sogar zu einem Freiwerden von Kräften, die sich statt dessen verstärkter Bewachung der „ärmeren" Viertel und verstärktem Einsatz im repressiven Bereich zuwenden können. So problematisch es erscheint, den „Grad der Sicherheitsgewährleistung" in irgendeiner Hinsicht zu quantifizieren, so berechtigt ist gleichwohl die Feststellung, daß die Bewachungstätigkeit privater Sicherheitsdienste neben der polizeilichen Gefahrenabwehrtätigkeit zu einem erhöhten Sicherheitsniveau, zu einem allgemeinen Zuwachs an Sicherheit führt. Sehr treffend ist in diesem Zusammenhang ein Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung aus 19 7 5 9 6 : „Während die Wach- und Sicherheitsgesellschaften ihre (bezahlte) Arbeit tun, kann sich die Polizei auf ihre Rolle als Freund und Helfer besinnen. Sie hat es in der Hand, Mißtrauen gegen sich abzubauen, ohne daß sie andere Aufgaben versäumt. Dann lebt, wer arm ist, nicht gefährlicher als der, den das Geld vor Verbrechen schützt" 9 7 . 94 So zutreffend Wehner, Privatpolizeien - Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1980, 34 (35); ebenso Gallus, Ist Sicherheit käuflich?, BKA 1976, 71 (73). 95 Vgl. dazu auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 308 und 319 mit Beispielen und dem Hinweis, daß die Begründung von Rechtspflichten zur Eigensicherung gesetzlicher Regelungen bedürfe; darauf ist hier nicht näher einzugehen; vgl. hierzu eine neuere Entscheidung des BVerwG, JZ 1986, 896 m. Anm. von Karpen, S. 898, mit Überblick über den Sach- und Streitstand. Das Programm für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik fordert in diesem Zusammenhang die Statuierung von Eigensicherungspflichten für Juweliere; abgedruckt bei Thomsen / Merk, Zivilschutz und Selbstverteidigung, Heft K, S. 132 (149). Ebenso spricht sich Krüger, DÖV 1977, 263 ff. für eine „gesetzliche Pflicht zur Eigensicherung" zum Schutz von Sachwerten vor Entwendung und Zerstörung aus. Zurückhaltender insoweit Schiller / Drettmann, Probleme einer gesetzlichen Verpflichtung zur Eigensicherung gefährdeter Objekte, DVB1.1977, 956 (959 u. durchgehend). Grundsätzliche Bedenken gegen gesetzliche Verpflichtungen zum Selbstschutz im rein privaten Bereich dagegen bei Schwabe, Legitimation und Schranken für Sicherheitsgewerbe und betrieblichen Werkschutz, W + S Information 158, 10 (13). Daß Eigenvorsorge weithin eine versicherungsvertragliche Obliegenheit in der Schadensversicherung ist, stellt zutreffend Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281) fest. 96 Ohne genaues Datum zitiert bei Wehner, Privatpolizeien - Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, Kriminalistik 1980, 34 (35). 97 Nicht von ungefähr verlautet aus Kreisen der Polizeiführung gerade aus den geschilderten Erwägungen eine deutlich positive Einstellung zur Tätigkeit gewerb-

94

2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

Daß demgegenüber die partielle Entlastung der Polizei zu einem Motivationsverlust und zu schwindendem Erfolg der Polizeiarbeit führen „ d ü r f t e " 9 8 ist eine ebensowenig beweisbare wie plausible Hypothese. c) Resozialisierung sfeindlichkeit Ebenso wie das erste Bedenken Hoffmann-Riems unter sozialstaatlichem Aspekt entbehrt auch der zweite von ihm angesprochene Gesichtspunkt der Grundlage: die angeblich fehlende „Resozialisierungsverpflichtung" privater Sicherheitsdienste. Mit Nachdruck muß zunächst dem von Hoffmann-Riem suggerierten Eindruck widersprochen werden, private Sicherheitsdienste nähmen im Rahmen ihrer Tätigkeit Strafverfolgungsaufgaben wahr: Wenn private Sicherheitsbedienstete im Rahmen ihrer präventiven Bewachungstätigkeit mit akuten Störungshandlungen konfrontiert werden und einschreiten, hält sich dies, wie oben 99 bereits festgestellt, nach wie vor im präventiven Bereich 100 ; mit repressiver Strafverfolgungstätigkeit - dies der in jenem Zusammenhang von Hoffmann-Riem 101 mehrfach benutzte Ausdruck - hat das nichts zu tun 1 0 2 . - Dies als klärende Vorbemerkung. Die These Hoffmann-Riems, Polizeibeamte seien nun bei ihrer diesbezüglichen Tätigkeit der „Resozialisierung" verpflichtet, soll an dieser Stelle nicht weiter problematisiert und diskutiert werden 1 0 3 . Selbst unter Zugrundelegung dieser - so allgemein vorgetragen durchaus zweifelhaften - Prämisse ist nicht ersichtlich, inwieweit die Tätigkeit privater Wachdienste hier einen „sozialstaatlich bedenklichen" abweichenden Charakter hat. Das Gegenteil trifft - immer aus der Argumentationswarte Hoffmann-Riems heraus gesehen - zu: Die Polizei unterliegt gerade bei ihrer Strafermittlungs- und Verfolgungstätigkeit viel engeren, durch das Legalitätsprinzip gesetzten Schranken als der Private. Sie ist im Rahmen licher Sicherheitsunternehmen; vgl. Kraus, Polizei schätzt die Sicherheitsunternehmen, W + S Information 159, 71 f.; Groß / Geerds, Handbuch der Kriminalistik II, S. 486. Ebenso positiv ist die Stellungnahme der Innenministerien der Länder: Sie erkennen durchweg die „wichtige Entlastungsfunktion" der privaten Wachunternehmen; vgl. Bericht B M I 1982, S. 19. 98 So Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (278). 99 In Absch. 2 I I b ee. 100 Dazu auch noch weiter unten Kap. 3 V I I 2. 101 Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (280). 102 Verkannt von Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 89. 103 Wenngleich der von ihm in diesem Zusammenhang vorgetragene Gesichtspunkt, private Sicherheitsdienste unterlägen keiner derartigen „Begrenzung", ihre Erfolge bemäßen sich statt dessen an der „Zahl der verhinderten Straftaten und der zur Festnahme gebrachten Straftäter" (S. 280) zu lebhafter Opposition reizt! W i l l HoffmannRiem damit andeuten, die Polizei sei aufgrund ihrer „Sozialbindung" gehalten, aufgegriffene Rechtsbrecher laufen zu lassen?!

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

95

ihrer Strafverfolgungsaufgabe grundsätzlich zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet, hat entsprechende Vorgänge der Staatsanwaltschaft weiterzuleiten und besitzt gerade im Gebiet der Strafverfolgung nur einen verhältnismäßig engen Entscheidungsspielraum nach Maßgabe des Opportunitätsprinzips 104 . - Ganz anders der private Wächter: Er kann es nach seinem Belieben unterlassen, gestellte Rechtsbrecher der Strafverfolgung zuzuführen und dadurch zu „kriminalisieren". Oben 105 ist in diesem Zusammenhang schon die Bemerkung Bulls zitiert worden 1 0 6 , gerade unter Resozialisierungsaspekten sei die Privatisierung von Gefahrenabwehrtätigkeit eher erwünscht denn bedenklich. Auch mit dieser These bedarf es hier keiner vertieften Auseinandersetzimg; zu zeigen war lediglich, daß beide Ansätze Hoffmann-Riems, unter dem Aspekt des Sozialstaatsgebotes Bedenken gegen die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste herzuleiten, als verfehlt zurückgewiesen werden müssen.

4. Ergebnis

Oben 107 wurde bereits die grundsätzliche Zulässigkeit der Betätigung Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsgrundsatzes dargelegt. Nunmehr bleibt abschließend festzustellen: - Gègen dieses Tätigwerden bestehen rechtsstaatliche Bedenken, die aus dem Gesichtspunkt der Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols erhoben werden, nicht. Die Gefahr der Etablierung von Privatarmeen ist nicht gegeben. Das Gewaltmonopol besteht nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und ist durch die - auch im Rechtsstaat bedenkenfreien - Jedermann-Notrechte zulässigerweise durchbrochen 108 . - Auch Bedenken aus dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips bestehen nicht. Jener Grundsatz verlangt keine „demokratische Kontrollierbarkeit" jedes gesellschaftlichen Machtpotentials durch den Staat, sondern nur seine Bindung an das staatlich gesetzte Recht. Dieses Erfordernis ist durch die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste nicht verletzt.

104

S. 370. 105

Vgl. hierzu statt aller Drews / Wacke / Vogel / Martens,

Gefahrenabwehr,

Abschn. I I 2 b ee. Die Staatsauf gaben nach dem Grundgesetz, S. 100. io? Abschn. I I 2 b hh. 108 Pfennig, Die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben durch private und öffentliche Einrichtungen, PFA 1980, 7 (26) stimmt dem im Ergebnis zu, faßt seine Erkenntnis aber unter der These „weg vom staatlichen Gewaltmonopol" zusammen. Diese Formulierung trifft keineswegs zu. Das staatliche Gewaltmonopol bleibt unangetastet, es besteht nur von vornherein nicht lückenlos. 106

96

2. Kap.: Subsidiaritätsprinzip contra staatliches Gewaltmonopol

- Schließlich begründet auch das Sozialstaatsgebot keine Bedenken gegen die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste. Die teilweise Kommerzialisierung von Sicherheit bedingt nur eine sozialstaatlich erwünschte Kompensation eines höheren Gefährdungsrisikos vermögender Bevölkerungskreise. Die insoweit freiwerdenden staatlichen Polizeikräfte können sich vermehrt der Bewachung sozial problematischer Gebiete und der Strafverfolgungstätigkeit zuwenden. Auch unter Resozialisierungsgesichtspunkten führt die Privatisierung der Gefahrenabwehr eher zu einer Verringerimg des Kriminalisierungsrisikos denn zu seiner Erhöhung. „Gefahrenabwehr" durch Private begegnet daher im dargelegten Rahmen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie beeinträchtigt insbesondere nicht das staatliche Gewaltmonopol. Insoweit wurde freilich bereits oben 109 angedeutet, daß das Rechtsproblem, in welchem Umfang jene Notrechte auf private Sicherheitsdienste anwendbar sind, für die abschließende Beurteilung ihrer rechtlichen „Befugnisse" von maßgeblicher Bedeutung ist. Diesem Problemkreis w i r d sich, nachdem die Frage nach der grundsätzlichen Berechtigung Privater zu nicht-hoheitlicher gefahrenabwehrender Tätigkeit behandelt ist, das folgende Kapitel widmen.

109 Absch. I I 2 b ee.

Drittes Kapitel

Jedermannrechte als Eingriffs-,^efugnisnormen" für private Sicherheitsdienste? I. Problemstellung Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, daß die Frage nach der Anwendbarkeit der sogenannten Jedermann-Notrechte auf die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste nicht erst deren Aufgabenumf ang näher konkretisiert. Die Frage, ob professionelle private Bewacher überhaupt Rechte bzw. Befugnisse aus jenen Vorschriften herleiten können, gibt vielmehr Aufschluß über die grundsätzliche Kompetenz jener Unternehmen, auf dem Gebiete der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Tätigkeit zu entfalten. Der ersten Einzeldarstellung zu diesem Themenbereich, der Schrift von Honigl 1 kann auch in diesem Zusammenhang 2 der Vorwurf nicht erspart werden, bereits Detailprobleme zu erörtern, bevor entscheidende allgemeine Grundfragen angesprochen, geschweige denn gelöst sind. 1. Nothilfe als Befugnisnorm für den Kampf um Recht und Ordnung

Es ist nämlich keineswegs von vornherein klar, daß die Jedermann-Notrechte taugliche Eingriffsgrundlage für „berufsmäßige private Ordnungshüter" sind. Auf den ersten Blick sollte man dies zwar vermuten. Als exemplarischer Fall eines solchen „Notrechts" sei hier und für die folgenden Untersuchungen zunächst die „Nothilfe" des § 32 I, I I 2. Alternative StGB herausgegriffen. Diese Vorschrift bestimmt, vereinfachend gesagt, daß derjenige nicht rechtswidrig handele, der von einem anderen mit Gewalt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abwendet; sie gibt, so sollte man meinen, jedermann die Befugnis ζμ Eingriffen und zu Abwehrmaßnahmen im Falle rechtswidriger Angriffe^ auf andere. Daß unter „jedermann" ein jeder Privatmann fällt, der in „Notlagen" hilft, scheint unproblematisch; §32 I, I I 2. Alternative StGB erweist sich damit vordergründig als die

1

Tätigwerden von Privaten, S. 67 ff. Wie bereits oben im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip; siehe oben Kap. 2 I I 2 vor a. 2

7 Mahlberg

98

3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

„Magna Charta des Schwarzen Sheriffs", Angriffen auf Recht und Ordnung mit Gewalt zu begegnen. Spätestens hier dürften sich freilich Bedenken regen, die zu vertiefter Behandlung 3 des Problembereichs nötigen. So bedürfte es der Prüfung, ob die genannte Norm nach ihrer ratio überhaupt derartige Eingriffsbefugnisse vermitteln will. Zu klären wäre anschließend die sich dann erneut nachdrücklich stellende Frage nach der Abgrenzung der „JedermannNothilfebefugnisse" zum polizeilichen Gefahrenabwehrbereich. 2. Umfangreichere Kompetenzen für den privaten Nothelfer als für die Polizei?

Noch drängender ist aber das Problem des Ausmaßes der Befugnisse der aufgrund der allgemeinen Nothilfevorschriften anscheinend handlungsbefugten privaten Ordnungswächter. Die strafrechtliche Doktrin geht nämlich, was hier zunächst nur festgestellt werden soll, mit - immer noch deutlicher Mehrheit davon aus, daß § 32 StGB dem in Notwehr Befindlichen ebenso wie dem Nothelfer grundsätzlich keinerlei Beschränkungen hinsichtlich seiner Abwehrhandlungen - etwa was die Art der Verteidigungshandlung oder die Wahl des Abwehrmittels betrifft - auferlege. Eine Güterabwägung zwischen bedrohtem Rechtsgut und möglichem Verletzungserfolg infolge der Verteidigungshandlung, etwa nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, soll bei § 32 StGB entbehrlich sein; auch unproportionale Abwehraktionen seien grundsätzlich gerechtfertigt 4 . Diese Rechtslage stünde in offensichtlichem Gegensatz zu den polizeirechtlichen Eingriffsbefugnisnormen, die durchweg - man denke insbesondere an die Zwangsrechte - eingehende Restriktionen und Bindungen statuieren und das hoheitliche Abwehrhandeln der Polizei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterstellen. Zwischen dem, was für „jedermann" strafrechtlich gerechtfertigt und dem, was der Polizei in Ausführung ihres Gefahrenabwehrauftrages erlaubt ist, scheint eine Diskrepanz zu bestehen. Wenn es stimmt, daß die allgemeinen „Notrechte" dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht unterstellt sind und damit auch zu unproportionalen Verteidigungshandlungen berechtigen, würde dies zu dem befremdlichen Resultat führen, daß private Sicherheitsdienste in Gefahrensituationen weitergehende Eingriffsrechte hätten als die Polizei. Roxin berichtet, ohne dies ausführlicher zu kommentieren, daß aus derartigen Erwägungen in seinen Seminaren mehrfach eine Tabuisierung 3 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 32 (FN 68) stellte 1973 zutreffend fest, eine solche stecke noch gänzlich „ i n den Kinderschuhen" ; daran hat sich bis heute nichts geändert. 4 Statt aller Dreher / Tröndle, StGB § 32 Rn. 17 m.w.N.

I. Problemstellung

99

privater Selbsthilfe vorgeschlagen worden sei; diese „Lösung" hält er für „möglicherweise ... de lege ferenda zu begrüßen" 5 . Nachfolgende Stimmen zeigen hier noch weniger Zurückhaltung: Hoffmann-Riem ζ. B. lehnt die Anwendbarkeit der geltenden Jedermann-Notrechte für professionelle private Sicherheitsdienste unter Hinweis auf die beschriebene Diskrepanz zu Befugnissen der Polizei rundweg ab 6 ; dieser Ansicht haben sich weitere Autoren angeschlossen7. Andere, namentlich Arzt 8 , warnen vor der Gefahr der Bildung militanter Bürgerwehren, die drohe, wenn die Jedermannrechte keine gesetzliche Einschränkung mit ausdrücklich normierter rechtsstaatlich-verhältnismäßiger Bindung erführen. - Dem stehen freilich auch engagiert vorgetragene Gegenansichten gegenüber; Schwabe ζ. B. polemisiert gegen die von Hoffmann-Riem vertretene „tabula rasa, bei der jemand froh sein (müsse), einen Dilettanten als Nothelfer zu finden, weil der ungleich bessere gerüstete Profi dem Verdikt der Rechtswidrigkeit und damit der Untätigkeit" verfalle 9 . Es erweist sich daher, entgegen dem ersten Eindruck, durchaus als notwendig, das Problem im einzelnen zu untersuchen und namentlich die anscheinend bestehende Diskrepanz zwischen den allgemeinen „Befugnissen" des Nothelfers und denjenigen der Polizei näher zu beleuchten. 3. Gang der weiteren Untersuchung

Eine Auflösung dieser Diskrepanz könnte etwa darin gesucht werden, der Polizei die - anscheinend umfassenderen - „Jedermann-Notrechte" gleichfalls zuzubilligen; sie wäre freilich auch erreicht, wenn sich bei näherer Betrachtung ergäbe, daß die These von der Nichtgeltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Notrechte, beispielsweise für die Nothilfe, nicht zutrifft, so daß es von daher unbedenklich wäre, auch berufsmäßigen privaten Sicherheitsdiensten aus jener Vorschrift Eingriffsrechte zu gewähren. Die nachfolgenden Untersuchungen gehen den letztgenannten Weg. Der heftig umstrittenen Frage, ob Polizeibeamten gleichfalls Eingriffsrechte aus den sogenannten Notrechten zustehen, ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, die sich mit Eingriffs-„Befugnissen" Privater befaßt, nicht nachzugehen 10 . 5

Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 72. Privatpolizei, ZRP 1977, 277 ff. (durchgehend; insbesondere S. 281 bis 283). 7 Etwa Roßnagel, Zum Schutz kerntechnischer Anlagen, ZRP 1983, 59 (62); Stacharowsky, Private Sicherungsdienste, K r i m Journal 1985, 228 (233). 8 Notwehr, Selbsthilfe, Bürgerwehr, FS Schaffstein, S. 72 (88) m. N. 9 Private Sicherheitskräfte, ZRP 1978, 165 (167). 10 Vgl. dazu etwa Blei, Probleme des polizeilichen Waffengebrauchs, JZ 1955, 625 ff.; Amelung, Die Rechtfertigung von Polizeivollzugsbeamten, JuS 1986, 329 ff. 6

7*

100

3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Die folgenden Ausführungen haben sich infolgedessen vorrangig strafrechtsdogmatischen Fragen bezüglich der Nothilfe zu widmen. In einer öffentlich-rechtlichen Untersuchung mag das zunächst überraschen; da es aber um Gefahrenabwehrrechte Privater geht, ist es naheliegend, daß - u. a. - auch Rechtsfragen aus dem „Jedermannrecht des S t G B " 1 1 Gegenstand vertiefter Erörterung sein können und müssen. II. Grund und Wesen der Nothilfe Der Untersuchung, ob und inwieweit die Ausübung von „Notrechten" durch jedermann - exemplifiziert zunächst anhand der Nothilfe - Beschränkungen unterliegt und durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist, hat eine Erörterung der Frage nach Natur und Wesen dieser Rechtfertigungsnorm voranzugehen. Kann § 32 I I 2. Alternative StGB grundsätzlich als „Befugnisnorm" für - auch gewaltsame - Eingriffe herangezogen werden? Worin liegt ggf. der Rechtsgrund für diese „Gewaltgestattung"? - Vorfragen, die zu beantworten sind, bevor das Problem einer möglichen rechtsstaatlich-verhältnismäßigen Einschränkung der Nothilfe behandelt werden kann. 1. Zwei Strömungen in der strafrechtlichen Forschung

Es liegt auf der Hand, daß die nähere Ausgestaltung des Nothilferechts von der Auffassung über den Rechtsgrund dieses Instituts unmittelbar abhängt. In der strafrechtlichen Forschung ist dieser Themenbereich, der zunächst kein Gegenstand grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten war 1 , namentlich in den letzten Jahren Gegenstand eingehender Untersuchungen2 mit z.T. deutlichen Kontroversen gewesen. Im Rahmen des Gegenstandes der vorliegenden Untersuchung ist es zwar nicht geboten, die hierzu geführte Diskussion in allen Einzelheiten nachzuvollziehen. Gleichwohl ist es nötig, die vertretenen Meinungen jedenfalls in ihren Grundzügen darzustellen. Wenn das Nothilferecht generell als „Eingriffsbefugnisnorm in Fremdinteresse" überhaupt in Frage kommen soll, wird nachzuweisen sein, (sowie in zahlreichen früheren, dort zitierten Publikationen); Seebode, Polizeiliche Notwehr und Einheit der Rechtsordnung, FS Klug, S. 359 ff.; LK™-Spendel, § 32 Rn. 255 ff.; Schwabe, Die Notrechtsvorbehalte des Polizeirechts, durchgehend; alle m.w.N. 11 Formulierung von Breuer, Terrorismus, wehrfähiger Staat und individuelle Rechte, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 79 (87). 1 Das gilt namentlich für die hier entscheidende Frage der Bindung der Notwehr bzw. der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; vgl. die einleitenden Ausführungen im Aufsatz von Schroeder, Die Notwehr als Indikator politischer Grundanschauungen, FS Maurach, S. 127; ferner Maurach / Zipf, Strafrecht AT 1, S. 336. 2 Genannt seien namentlich zwei ausführliche monographische Darstellungen: Suppert, Studien zur Notwehr und notwehrähnlichen Lage, S. 50 ff. und durchgehend; Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 124 ff. und durchgehend.

II. Grund und Wesen der Nothilfe

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daß jenes Institut überindividuellen Charakter hat und nicht bloß unter dem Aspekt individueller Selbstverteidigung gesehen werden darf. Mit diesen Stichworten sind auch die in der Strafrechtsforschung zu jenem Problembereich vertretenen beiden Strömungen im wesentlichen umschrieben 3 . 2. Individualistischer Aspekt der Notwehr

Ihre anerkannte Funktion als Rechtfertigungsgrund 4 für gewaltsame Abwendung rechtswidriger Angriffe auf eigene bzw. fremde Rechtsgüter legt zunächst die Auffassung nahe, im Kern gehe es bei der Notwehr um den Erhalt bedrohter Rechtsgüter. Entscheidende ratio für die rechtfertigende Wirkung der Notwehr wäre folglich der im Menschen wesensmäßig verwurzelte, von der Rechtsordnung gebilligte Selbsterhaltungstrieb. Von diesem Ansatz her versucht denn auch ein namhafter Teil des strafrechtlichen Schrifttums die theoretische Begründung des Instituts der Notwehr 5 . Maurach ζ. B. nennt das Institut der Notwehr, jenem Begründungsansatz folgend, „ i m Ausgangspunkt starr individualistisch" 6 . Wurzel jener Deutung der Notwehr waren individualistisch-liberalistisch geprägte Auffassungen des 19. Jahrhunderts. Ein vertiefter historischer Überblick über diese geistigen Strömungen ist in unserem Zusammenhang nicht geboten. Insoweit sei etwa auf den bereits zitierten Aufsatz von Schroeder 7 verwiesen, der die anfängliche Dominanz der individualistischen Notwehrdeutung nachweist. Auch im strafrechtlichen Schrifttum unserer Zeit finden sich gelegentlich noch Stimmen, die jener Interpretation des Notwehrrechts zumindest das Übergewicht geben8. Im Strafprozeß-Lehrbuch von Roxin heißt es ζ. B.: Notwehr und Nothilfe unterscheiden sich vom privaten Festnahmerecht gem. § 127 StPO, weil erstere „dem Eigeninteresse des Privaten", letzteres „dem öffentlichen Interesse" diene 9 . 3 Vgl. statt aller Haas ebd. S. 143 ff., 171 ff.; üblich ist auch die Gegenüberstellung des „individualrechtlichen" gegen den „sozialrechtlichen" Aspekt der Notwehr. Vgl. L K 10-Spendel, § 32 Rn. 14 mit F N 32; dort w. N. 4 „Ein wichtiger, wenn nicht der bedeutendste Rechtfertigungsgrund"; Spendel ebd. Rn. 5. 5 Vgl. statt aller die ausführliche Darstellung des Meinungsstandes bei Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 171-177 mit zahlreichen N. und detaillierter Wiedergabe der geringfügigen Varianten dieser „individualistischen" Theorien. 6 Maurach / Zipf, Strafrecht AT 1, S. 347; ebenso Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281). 7 Die Notwehr als Indikator politischer Grundanschauungen, FS Maurach, S. 127 ff. (dort namentlich S. 127 - 131). 8 Überblick über den Meinungsstand bei Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 171-177. 9 Roxin, Strafprozeßrecht, S. 195. Eine Kommentierung dieser Auffassung soll hier unterbleiben; das private Festnahmerecht wird an späterer Stelle Gegenstand der Erörterung sein.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

In eine ähnliche Richtung geht der Deutungsversuch der Notwehr von Kinnen 1 0 : Sie wurzele im menschlichen Selbsterhaltungstrieb; mit ihrer strafrechtlichen Normierung habe der Gesetzgeber seine Anerkennung und Wertschätzung dieser menschlichen Grundeigenschaft zu erkennen gegeben 11 . Charakterisierendes Merkmal all derjenigen Erklärungen des Notwehrrechts, die seine individualistische Seite betonen und seine Wurzel im menschlichen Selbsterhaltungstrieb sehen, ist, daß im Mittelpunkt der Betrachtungen nicht das Unrecht des Angreifers, sondern das (bedrohte) Recht des Verteidigers steht. Eine solche Sichtweise der Notwehr liegt auf den ersten Blick auch durchaus nahe 12 ; sie begegnet aber einem entscheidenden, bereits im Gesetzeswortlaut wurzelnden Bedenken: Die rein individualistische, ja selbst die zwar beide Komponenten berücksichtigende, die individualrechtliche jedoch höher gewichtende Deutung der Notwehr ist offensichtlich nicht in der Lage, das Phänomen der Nothilfe dogmatisch befriedigend zu erfassen: Nach geltendem Recht ist die Abwehr rechtswidriger Angriffe „von sich oder einem anderen" in jeder Beziehung identisch geregelt und terminologisch unter dem einen Begriff der „Notwehr" zusammengefaßt. Eine Deutung der Notwehr, die den rechtfertigenden Faktor nur oder primär im verletzten Recht des Angegriffenen sieht, muß bei der Frage, warum das Gesetz dieselbe Rechtfertigung auch der Abwehr eines einem Anderen geltenden Angriffs gewährt, in Begründungsschwierigkeiten kommen und kann sich hierüber nur mit wenig überzeugenden Konstruktionen wie etwa der, daß ein Angriff auf einen Bürger jeden anderen mitbetrifft 1 3 , hinweghelfen. Darüber hinaus lassen sich gegen die „individualistische" Deutung der Notwehr als Ausfluß des menschlichen Selbsterhaltungstriebes auch gravierende „straf rechtssystematische" Bedenken anmelden, deren vertief te Erörterung hier freilich dahinstehen muß. Nur soviel: Die Berücksichtigung des menschlichen Selbsterhaltungstriebes ist, heute nahezu unstreitig, Grund und Wesen des Institutes des „entschuldigenden Notstandes", § 35 StGB 1 4 . 10 Notwehr und Nothilfe als Grundlage hoheitlicher Gewaltanwendung, MDR 1974, 631 (633). 11 Ebenso Klose, Notrecht des Staates, ZStrW 89, 61 (86). 12 Schmidhäuser, der freilich zu denjenigen Autoren zählt, die statt des individuellen den überindividuellen Aspekt der Notwehr zu ihrer theoretischen Begründung betonen - er hält ihn sogar für ihre einzig mögliche ratio, zieht hieraus allerdings m. E. unrichtige Konsequenzen; dazu unten - spricht im Zusammenhang mit der traditionellen Auffassung der Notwehr in seinem Lehrbuch AT, S. 343 nicht ohne Polemik davon, die Notwehr werde von einem Teil der Lehre „ i m übrigen ... von einem gewissermaßen ,altdeutsch-mannhaften', empfindsamen Ehrgefühl her geprägt ..." und verweist auf Autoren, die das bedrohte Recht und die verletzte Ehre des Angegriffenen zum rechtfertigenden Faktor für die Abwehrhandlung erklären. 13 Nachweise hierzu bei Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 178 f. 14 Vgl. hierzu statt aller SK-Rudolphi, § 35 Rn. 2 mit zahlreichen N.; ferner: Bokkelmann, Notrechtsbefugnisse der Polizei, FS Dreher, S. 235 (243).

II. Grund und Wesen der Nothilfe

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Dieses Institut gewährt dem Täter Straflosigkeit für eine rechtswidrige Tat, die er zur Abwendimg einer „gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit... von sich, einem Angehörigen oder einer anderen, ihm nahestehenden Person" begeht. Die „individualistischen" Gesichtspunkte: „Selbsterhaltungstrieb" und „Hilfsbereitschaft zugunsten nahestehender Personen" hat der Gesetzgeber damit durchaus aufgegriffen, ihnen jedoch lediglich entschuldigende Wirkung beigemessen: § 35 StGB kann nur zum Tragen kommen, wenn die Tat rechtswidrig, mithin durch keinen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Die rechtfertigende Wirkung von Notwehr und Nothilfe muß demgegenüber, auch aus dieser Erwägung heraus, einem „umfassenderen", über den individualistischen Rahmen hinausgehenden Rechtsgrund entspringen. Diese Überlegungen haben im strafrechtlichen Schrifttum zu der - heute im Grundsatz herrschenden - Erkenntnis geführt, daß das Institut der Notwehr auch eine überindividuelle, sozialrechtliche Komponente enthält, deren Gewichtung in der Strafrechtslehre gerade in jüngster Zeit in unverkennbarem Aufstieg begriffen ist 1 5 . Die „gleich einem Rechtssprichwort einprägsame Formel" 1 6 : „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen" ist bereits 1848 geprägt worden 1 7 und w i r d in Lehre und Rechtsprechung seit langem zur Begründung der ratio der Notwehr herangezogen 18. Mit Recht: Die o. a. Erwägungen, vor allem der Umstand, daß das Institut der Notwehr dogmatisch befriedigend nur mit dieser jedenfalls überwiegend 19 „sozialrechtlich" geprägten Sichtweise erklärt werden kann, genügt, jene Deutung als die unserer Rechtslage gemäße zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen zu nehmen. 3. Notwehr als Eingriffsbefugnis zum „Kampf gegen das Unrecht"

Welches sind nun die Gesichtspunkte aus dem „überindividuellen" Bereich, die den Gesetzgeber bewogen haben, durch sie motivierte Eingriffshandlungen für rechtmäßig zu erklären? In der strafrechtlichen Lehre werden jene rechtfertigenden Gesichtspunkte der Notwehr im allgemeinen mit dem Stichwort „Kampf um die Bewährung der Rechtsordnung" umschrieben 20 : „Die in Notwehr (Zusatz 15 So Maurach / Zipf, Strafrecht AT 1, S. 336; Jescheck, Strafrecht AT, S. 269 f., jeweils m. N. 16 LKio-Spendel, § 32 Rn. 13. 17 Von Berner, Archiv des Criminalrechts 1848, 547 (zitiert nach Spendel ebd.). 18 Umfassende Nachweise bei Suppert, Studien zur Notwehr und notwehrähnlichen Lage, S. 374 - 376. 19 Schmidhäuser, Studienbuch AT, S. 150 f. und ausführlich zuvor in „Über die Wertstruktur der Notwehr", FS Honig, S. 185 (186 f.) hält die „sozialrechtliche" Seite sogar für die einzig taugliche Erklärung der Notwehr.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

des Verfassers: u n d z u m Z w e c k der N o t h i l f e ) begangene T a t ist rechtmäßig, w e i l sie sich gegen U n r e c h t w e n d e t " 2 1 . U n t e r der K u r z f o r m e l „Das Recht b r a u c h t dem U n r e c h t n i c h t zu weichen" l e g i t i m i e r t der Gesetzgeber E i n g r i f f e i n Rechtsgüter eines w i d e r r e c h t l i c h Angreifenden, die Rechtsordnung d u r c h sein H a n d e l n Beeinträchtigenden. Diese W e r t u n g des Gesetzgebers korrespondiert m i t dem allgemeinen Rechtsbewußtsein, w o n a c h derjenige, der d u r c h w i d e r r e c h t l i c h e s V e r h a l t e n die Rechtsordnung beeinträchtigt, A b w e h r e i n g r i f f e h i n z u n e h m e n habe u n d f ü r erlittene Schädigungen „ n i c h t z u b e k l a g e n " sei 2 2 . I n der Gestalt v o n N o t w e h r u n d N o t h i l f e g i b t der staatliche Gesetzgeber d a m i t j e d e r m a n n die „ B e f u g n i s " , einen r e c h t s w i d r i g e n Angreifer a b z u w e h ren, u. U. sogar gewaltsam z u schädigen, d. h. i n seine Rechtsgüter einzugreifen, u m der Rechtsordnung i m Falle ihrer Störung zur Wiederherstellung z u v e r h e l f e n 2 3 . Derartige A b w e h r h a n d l u n g e n sind n i c h t bloß gerechtfertigt i n dem Sinne, sie seien u r s p r ü n g l i c h m i t einem w i e i m m e r

gearteten

„ R e c h t s m a k e l " behaftet, der „ q u a Rechtfertigungsgrund N o t w e h r " nacht r ä g l i c h beseitigt w ü r d e 2 4 ; sie s i n d v i e l m e h r a p r i o r i e r l a u b t : N o t w e h r u n d N o t h i l f e s i n d sogenannte Erlaubnissätze, b e i deren Eingreifen eine k o n k r e t e V e r b o t s n o r m keine W i r k s a m k e i t e n t f a l t e t 2 5 . D i e V e r w i r k l i c h u n g eines be20 Aus dem Schrifttum statt aller Dreher / Tröndle, StGB § 32 Rn. 2 m.w.N.; in der Rechtsprechung wird diese Formel identisch aufgegriffen; vgl. etwa BGHSt 24, 356 (359). 21 Bockelmann, Notrechtsbefugnisse der Polizei, FS Dreher, S. 235 (243) mit zahlreichen N. 22 Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 217 f. mit zahlreichen N. aus rechtssoziologischem Schrifttum. 23 Vgl. hierzu nur die detaillierte Einzeluntersuchung zu jener Thematik von Schmidhäuser, Über die Wertstruktur der Notwehr, FS Honig, S. 185 ff. - Umstritten an Schmidhäusers Arbeit ist nicht seine dogmatische Begründung der Notwehr, sondern seine hieraus gezogene Konsequenz, die Notwehr fordere nie verhältnismäßige Abwehrreaktionen, da auf seiten des Angegriffenen immer der Gesichtspunkt der „Bewährung der Rechtsordnung" stehe. Als Rechtswert überwiege dieser alle anderen, weshalb der Angegriffene zur Wiederherstellung der Rechtsordnung grundsätzlich zu jedem Mittel greifen dürfe. Auf diese Argumentation ist weiter unten noch einzugehen. - Als weiteren „sozialrechtlichen" Gesichtspunkt der Notwehr nennt Suppert, Studien zur Notwehr und notwehrähnlichen Lage, S. 375 f. mit FN 105 und 113, ihre „präventive Funktion". 24 Wie dies etwa bei den Entschuldigungsgründen, etwa § 35 StGB, die zutreffende Sichtweise wäre; vgl. statt aller Jescheck, Straf recht AT, S. 385. 25 Sehr treffend vermeidet der Verwaltungsrechtler Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56, insoweit übrigens den Terminus „Befugnis" und charakterisiert die Notwehr als „übertragene Gewalt" bzw. „Gewaltgestattungsnorm". Der Strafrechtler Jakobs, Strafrecht AT, S. 329, hält dies ohne Begründung für „zweifelhaft"; warum, bleibt indes offen. Der Terminologie Mertens ist demgegenüber nachdrücklich zuzustimmen: Der Begriff „Befugnis" ist in der polizeirechtlichen Terminologie i. S. der Ermächtigung obrigkeitlich handelnder Polizeibeamter „belegt" und sollte im Zusammenhang mit der Ermächtigung Privater daher nicht verwandt werden, um Mißverständnisse zu vermeiden. Auch Breuer, Terrorismus, wehrfähiger Staat und individuelle Rechte, FS Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 79 wehrt sich aus diesem Grunde gegen die Bezeichnung des Notstandes, § 34 StGB, als „Befugnisnorm";

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stimmten Verbotstatbestandes ist rechtlich gebilligt, da sie von einer regelrechten „Eingriffsbefugnis", treffender formuliert: Gewaltgestattungsnorm, oder auch „Eingriffsberechtigung" gedeckt ist. Dieser Standpunkt wird heute in der Strafrechtsdogmatik mit geradezu überwältigender Mehrheit vertreten 26 . Rechtfertigungssätze „fungieren ... als Erlaubnissätze ..., die die Straftatbestandsverwirklichung als rechtmäßig, d. h. von der Rechtsordnung gebilligt, ausweisen und dem ... Täter ... eine Eingriffsbefugnis, ein subjektives Recht zu Eingriffen in fremde Rechtsgüter gewähren ..." - mit diesen Worten faßt Günther 2 7 die völlig h. A. zutreffend zusammen. Der letztgenannte Autor hat zwar, was hier der Vollständigkeit halber nicht übergegangen werden darf, den Versuch unternommen, jenen generellen Erlaubnischarakter der Rechtfertigungsnormen in Frage zu stellen und die h. L. durch eine theoretische Neukonzeption zu ersetzen 28. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit seiner umfangreichen strafrechtsdogmatischen Studie kann hier freilich nicht erfolgen. Nur soviel: Günthers Lehre ist in der strafrechtlichen Forschung auf Ablehnung gestoßen. Weber zeigt überzeugend die Konsequenzen der praktischen Rechtsanwendung der neuen Theorie auf und weist ihre Bedrohlichkeit für die Rechtssicherheit nach 29 . Angesichts der Zurückhaltung des Gesetzgebers bei der Normierung spezifisch strafrechtlicher Rechtswidrigkeitserwägungen - man denke an die problematische und umstrittene Rechtswidrigkeitsdefinition in der Nötigungsvorschrift - wird das Urteil Webers plausibel, die Theorie Günthers passe nicht recht in die Konzeption des Strafrechts, welches grundsätzlich „von einer ... abschließenden Unrechtstypisierung durch die Straftatbestände ausgehe und zusätzlichen unrechtsspezifischen Strafwürdigkeitserwägungen des Richters (n. b. - auf denen die Theorie Günthers aufbaut!) keinen Raum geben möchte" 30 . Webers eingehende Untersuchung führt schließlich zum Ergebnis, daß die neue Definition des Wesens der Rechtfertigungsgründe auch innerhalb Günthers eigener Konzeption dogmatisch unstimmig ist und systematischen Bedenken begegnet 31 . damit soll aber nicht zur - hier nicht zu erörternden - Frage Stellung genommen werden, ob § 34 StGB nicht doch als Ermächtigungsgrundlage für Hoheitsträger in Frage kommt, was Breuer verneint. 26 Vgl. statt vieler Jescheck, Straf recht AT, S. 259; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB, § 32 Vorbemerkung 4; Stratenwerth, Strafrecht AT, Rn. 183; Wessels, Strafrecht AT, S. 166; Dreher / Tröndle, StGB § 1 Vorbemerkung 27 und § 32 Vorbemerkung 2; alle mit zahlreichen w. N. 27 Straf rechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 251. 28 Ebd. S. 251 ff. und durchgehend. Er entwickelt in seiner Studie die These, daß die Rechtfertigungsnormen des StGB im Grunde nichts über die allgemeine Rechtswidrigkeit einer Tat besagen, sondern nur eine spezifische „Strafrechtswidrigkeit" definieren; folglich sei ihre Definition als Erlaubnissatz unhaltbar. 29 Rezension von Günther, JZ 1984, 275 (276). 30 Ebd. S. 277.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

In einer detaillierten Erwiderung hat auch Roxin 3 2 Günthers Ansatz als zwar in vielen Einzelheiten diskutabel, seine dogmatischen Schlußfolgerungen jedoch als zu „rasch", zu weitgehend und vom Ergebnis her weder zwingend noch praktisch geboten bezeichnet 33 . Die Differenzierung von Unrecht und Schuld sei das zutreffende Ergebnis langjähriger, intensiver Strafrechtsforschung. Günthers nunmehriger Versuch, jene Differenzierung zu relativieren und einzuebnen, müsse „mit entschiedener Abwehr rechnen" 34 . Günther selbst räumt in seiner Abhandlung ein 3 5 , sowohl das von ihm entwickelte wie das ansonsten einhellig vertretene Modell sei „konstruierbar und mit logischen Argumenten nicht zu widerlegen". Man sollte sogar noch einen Schritt weitergehen: Die Logik spricht nachdrücklich dafür, das überkommene System beizubehalten. „Die Systemkategorie des Unrechts hat die Aufgabe, Erlaubtes und Verbotenes zu trennen und dem Bürger mit aller Deutlichkeit zu sagen, was er im konkreten Fall tun darf und was er unterlassen soll" 3 6 . Einfach, aber mit logischer Konsequenz formuliert heißt das: Was das Strafgesetz, sei es auch mittels allgemeiner „Ausnahmebestimmungen" wie der Notrechte ausdrücklich nicht mißbilligt, ist dem Bürger von der Rechtsordnung erlaubt. Es besteht kein Anlaß, an jener fast banal erscheinenden Erkenntnis 37 mit diffizilen Erwägungen zu deuteln. Diese zutreffende und völlig herrschende Sicht der Notrechte als Erlaubnistatbestände soll auch in dieser Arbeit den weiteren Ausführungen zugrundegelegt werden.

4. Konsequenzen aus dem primär überindividuellen Aspekt der Nothilfe

Der Umstand, daß - jedenfalls primäre - ratio der Notwehr (bzw. Nothilfe) ihre überindividuelle, sozialrechtliche Eingriffserlaubnis zum Kampf gegen Störungen der Rechtsordnung ist, führt zu diversen, für die vorliegende Untersuchung bedeutsamen Folgerungen:

31 Ebd. S. 277 f. Die notstandsähnliche Lage - ein Strafunrechtsausschließungsgrund?, FS Oehler, S. 181 ff., durchgehend. 33 Ebd. S. 181 ff. und 194 - 196. 34 Ebd. S. 181. 35 Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 77. 36 Roxin, Die notstandsähnliche Lage - ein Strafunrechtsausschließungsgrund?, FS Oehler, S. 181 (195). 37 Baumann / Weber, Straf recht AT, S. 291 umschreiben sie ebenso lapidar wie zutreffend mit der Formulierung: „Ein Verhalten kann nicht rechtmäßiger sein als rechtmäßig". 32

II. Grund und Wesen der Nothilfe

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a) Notwehr nur in „psychischen Ausnahmesituationen"? Bereits an dieser Stelle kann eine Überprüfung der These vorgenommen werden, die Notwehr sei - unter anderen Gesichtspunkten - als rechtliche Regelung einer „psychischen Ausnahmesituation des Angegriffenen" zu erklären, indem sie letzteren für nicht „strafbedürftig" erkläre, ihm vielmehr zubillige, in seiner Not Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. HoffmannRiem bedient sich in seinem schon mehrfach zitierten Aufsatz - neben der später zu erörternden angeblich fehlenden Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - auch dieser Argumentation, um § 32 StGB von vornherein als Erlaubnisnorm für „professionelle private Nothelfer" ausscheiden zu lassen 38 . Er greift in seinen diesbezüglichen Ausführungen eine Lehre auf, der in der Tat ein nennenswerter Teil der strafrechtlichen Doktrin angehangen hat; allerdings im 19. Jahrhundert 39 ! Jene damaligen Erklärungsversuche der Notwehr liefen, kurz zusammengefaßt, darauf hinaus, die durch den Angriff bewirkte psychische Zwangslage schließe die Zurechnungsfähigkeit des Angegriffenen aus. Deswegen sei der Verteidiger nicht „bestrafungsfähig". Es bedarf keiner vertieften Erörterung, um nachzuweisen, daß derartige Begründungsversuche der Notwehr neben der längst etablierten Erkenntnis ihres - jedenfalls auch - überindividuellen Charakters nicht mehr Platz greifen. Der heutige strafrechtliche Forschungsstand mit seiner bereits oben angesprochenen Differenzierung zwischen rechtfertigenden und entschuldigenden (sowie sogenannten „strafausschließenden") Gesichtspunkten einer Tat verweist alle Überlegungen im Zusammenhang mit einer eventuellen psychischen Ausnahmesituation des Angegriffenen in den Bereich der Entschuldigungsgründe 40 . Insoweit gilt ähnliches wie für das Kriterium des Selbsterhaltungstriebes, das gelegentlich zur Begründung der Notwehr herangezogen wurde 4 1 : Rechtsverletzungen, die Ausfluß des ijienschlichen Selbsterhaltungstriebes sind, unterfallen u. U. der Vorschrift des § 35 StGB (entschuldigender Notstand), nicht aber der rechtfertigenden Wirkung der Notwehr. - Überreaktionen bei der Abwehr im Rahmen einer Notwehrlage, die der Angegriffene aufgrund von Furcht, Erregung oder Schrecken - kurz: aufgrund seiner psychischen Ausnahmesituation - begeht, sind gem. § 33 StGB u. U. entschul38

Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281 f., 283). Vgl. insoweit die zusammenfassende Darstellung bei Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 193 mit Verweis auf zahlreiche Einzelabhandlungen des letzten Jahrhunderts. 40 Vgl. statt aller Schmidhäuser, Studienbuch AT, S. 239. 41 Oben I I 2. 39

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

digt; die rechtfertigende Tragen 42 .

Wirkung des § 32 StGB kommt hingegen nicht zum

Das Kriterium der psychischen Ausnahmesituation hat, um eine Formulierung Hoffmann-Riems aufzugreifen 43 , bei der Erklärung der Notwehr (bzw. Nothilfe) „nichts zu suchen". Schwabe hat in einem sich auch mit Hoffmann-Riems Thesen kritisch auseinandersetzenden Aufsatz 44 dessen Argumentation mit der „psychischen Zwangslage" zur Erklärung des Notwehrtatbestandes auch durch ein praktisches Beispiel ad absurdum geführt: Es sei unerfindlich, weshalb „bei dieser in sich verfehlten Konzeption nur auf das Profitum in Selbstschutzorganisationen, nicht aber bei Individuen" abgehoben werde: „Weshalb gelten nicht auch bei einem abwehrgeschulten und im Combat-Schießen ausgebildeten Juwelier die Jedermannrechte als überzogen?" - Letztere Konsequenz zieht Hoffmann-Riem in der Tat nicht; aus gutem Grund: denn eine dahingehende Beschneidung des Notwehrrechts Privater wäre offensichtlich mit der gegebenen Rechtslage nicht vereinbar und de lege ferenda auch keineswegs zu begrüßen 45 . b) Notwehr als private Ausübung staatlicher Befugnisse Der dominierende „sozialrechtliche" Aspekt der Notwehr läßt ihre engen Bezüge zum zuvor behandelten, materiell durchaus „staatlichen" Aufgabenbereich des „Schutzes der Rechtsordnung" deutlich hervortreten: Staatliche Ordnungssicherung ebenso wie private Notwehr weisen in gewissem Umfang „Zielkonkordanz" auf. Aus diesem Grunde ist es geboten, der Klarheit halber folgendes deutlich herauszustellen: Indem der staatliche Gesetzgeber jedermann das Notwehrrecht einräumt, duldet er grundsätzlich konkurrierendes Tätigwerden Privater zum Schutz der Rechtsordnung: Der Staat überläßt gewissermaßen in bestimmtem Umfang dem Privaten die Ausübung eines Teils seiner - des Staates - Aufgaben. Diese Erkenntnis ist, für sich genommen, keineswegs neu, wird aber im Schrifttum nur selten mit der gebotenen Deutlichkeit artikuliert. Dabei 42 Beispielhafte Erörterung tatsächlicher „Grenzsituationen" zwischen Unrechtsund Schuldbereich bei Roxin, Die notstandsähnliche Lage - ein Strafunrechtsausschließungsgrund?, FS Oehler, S. 181 (185 ff.) mit Darstellung der von der herrschenden strafrechtlichen Lehre entwickelten Lösungen. 43 Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281). 44 Legitimation und Schranken für Sicherheitsgewerbe und betrieblichen Werkschutz, W + S Information 158, 10 (15). 45 Über die Frage, ob und inwieweit eine legislatorische Beschränkimg der Selbsthilf erechte wünschenswert sei, werden an späterer Stelle (VII 3) rechtspolitische Überlegungen folgen.

II. Grund und Wesen der Nothilfe

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ergeben sich aus dem Umstand, daß der Staat, der im Notwehrrecht Teile seiner Aufgaben privater Ausübung überläßt und daher an dieser Ausübung jedenfalls mittelbar intensiv beteiligt ist, wesentliche Konsequenzen für den Umfang jener „Notrechte"; hierauf ist noch zurückzukommen. - An dieser Stelle sollen allerdings noch einige Autoren zitiert werden, die den engen Zusammenhang zwischen staatlicher Ordnungsaufgabe und privatem Notwehrrecht zweifelsfrei unterstrichen haben: Wahlberg 46 formuliert ζ. B., im Notwehrrecht sei der Private „gleichsam mit Mitteln der öffentlichen Gewalt ausgerüstet". Er sei, so G. Jellinek 47 , in einer Notwehrsituation - d. h. auch in der Ausübung von Nothilfe - „Vertreter des Staates" und tue etwas, „was eigentlich Sache der Polizeibeamten wäre" 4 8 . - I n einem neueren Beitrag schreibt schließlich Bockelmann 49 , der Notwehr-Übende (Zusatz des Verfassers: und der Nothilfe-Leistende) übernehme in jenem Moment „gleichsam die Rechte des Polizisten". Diese wenigen Beispiele mögen zum Nachweis genügen, daß die engen Bezüge und die identische Zweckrichtung von staatlicher Gefahrenabwehr und privater Notwehr im straf- und verwaltungsrechtlichen Schrifttum längst zutreffend und übereinstimmend gewürdigt sind, ohne daß sich gegen jene Feststellungen - dem Grunde nach - Einwendungen erhoben hätten bzw. erheben ließen. Da den beiden Normenkomplexen identische Zielvorstellungen zugrunde liegen, drängt sich die Forderung auf, der Gesetzgeber dürfe bei ihrer Regelung auch nicht ohne weiteres unterschiedliche Lösungen wählen. Die Übereinstimmung der staatlichen wie der privat ausgeübten „Störungsabwehr" auch dem Umfange nach herzuleiten, sollte bei ihrer festgestellten „funktionellen Übereinstimmung" nun nicht mehr schwerfallen. 5. Unterlassene Hilfeleistung als materiell-rechtliche Absicherung der überpersönlichen Nothilfe

Das bislang hergeleitete Ergebnis - Erklärung der Nothilfe als sozialrechtlich und überindividuell geprägte Eingriffserlaubnisnorm zur Wiederherstellung gestörter Ordnung - w i r d jedenfalls flankiert, ja sogar erhärtet, 46 Der Rechtscharakter der Selbsthilfe und der Nothwehr, in: Gesammelte kleinere Schriften 3, S. 83. 47 System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 247; gerade im Zusammenhang mit der Nothilfe trifft Jellinek diese gewichtigen Feststellungen! 48 Diese Erkenntnis hat G. Jellinek zu dem - heute als überholt angesehenen Standpunkt veranlaßt, der Notwehrübende handele hoheitlich. Jene Ansicht, die organisationsrechtlich auch die Qualifikation des „berufsmäßigen Nothelfers" als „Beliehenen" nach sich zöge, ist oben Kap. 2 I I 2 b gg bereits verworfen worden. Die Erkenntnis der „Zielkonkordanz" von Nothilfe und staatlichem Ordnungsschutz zwingt nicht zur Annahme, die Nothilfe habe hoheitlichen Charakter! 49 Notrechtsbefugnisse der Polizei, FS Dreher, S. 235 (243).

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

wenn man weiter in Rechnung stellt, daß das Nothilferecht in § 323 c StGB eine besondere materiellrechtliche „Sicherung" 5 0 erfahren hat. Nach dieser Vorschrift ist jedermann zur Leistung der Nothilfe u. U. rechtlich, bei Strafandrohung im Falle seines Untätigbleibens, verpflichtet. Welzel hat zu § 330 c a. F. 5 1 bemerkt, daß die Vorschrift ihre Rechtfertigimg aus der „sozialen Verantwortung des Bürgers" erhalte; ihr Schutzgut sei die öffentliche Sicherheit 52 . In der Tat liegt die parallele Bewertung beider Vorschriften nahe - des § 32, der die Fremdhilfe erlaubt, und des § 323 c, der sie in gewissen Fällen gebietet. Der Staat duldet mithin nicht nur privates Tätigwerden bei „Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not"; er erhebt es ggf. sogar im sozialen Interesse - zur Pflicht. Das untermauert die überpersönliche Deutung der Nothilfe. Im übrigen ist es aufschlußreich, die Entwicklung der Vorschrift über die unterlassene Hilfeleistung zu verfolgen: Vor ihrer erstmaligen Einführimg in das StGB 1935 bestimmte § 360 Nr. 10 StGB a. F. lediglich: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not, von der Polizeibehörde zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistet .. , " 5 3 - eine Übertretungsvorschrift, die noch ganz der überkommenen obrigkeitlichen Staatsauffassung verhaftet war, „nach der es allein Aufgabe der Polizei war, für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sorgen" 54 . Es verdient Beachtung, daß diese Vorschrift ersetzt wurde durch die an jedermann adressierte Verpflichtung, in derartigen Situationen selbständig „notzuhelfen". Die Idee der umfassend zuständigen Polizei hat der Einsicht in die Mitzuständigkeit des Bürgers Platz gemacht. 6. Zusammenfassung

Zusammengefaßt hat sich als tragfähige Erklärung der identischen Behandlung von Notwehr und Nothilfe deren jedenfalls überwiegend überindividueller, sozialrechtlicher Charakter herausgestellt. Daraus ergibt sich eine funktionale Übereinstimmung des Notwehr- und Nothilferechts mit dem staatlichen Aufgabenbereich des Ordnungsschutzes. Diese Übereinstimmung drängt den Schluß auf, in ihrer näheren Ausgestaltung dürften Nothilfe und staatliche Gefahrenabwehr nicht willkürlich auseinanderklaffen. Es wird, nachdem nunmehr die notwendigen dogmatischen Vorberei50

Dreher / Tröndle, StGB § 323 c Rn. 1. = 323 c n.F. 52 Welzel, Straf recht, S. 470; zustimmend Maurach / Schroeder, Straf recht BT 2, S. 33. Anders, aber nicht näher begründet SK-Rudolphi, § 323 c Rn. 1. 53 Zitiert nach Maurach / Schroeder ebd. 54 Welzel, Strafrecht, S. 470. 51

III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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tungen getroffen sind, nachzuweisen sein, daß ein solches „Auseinanderklaffen" in der Tat nicht besteht und insbesondere die i m Straf recht vorherrschende Theorie, das Notwehrrecht sei nicht durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeschränkt, abzulehnen ist.

ΙΠ. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 1. Strafrechtstheorie gegen eine Bindung

Ein Privater, der - bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Notwehrlage - Nothilfe übt, nimmt damit, wie dargelegt, eine Tätigkeit wahr, die funktional (auch) zum Aufgabenbereich des Staates gehört: Er trägt zur Wiederherstellung der gestörten Rechtsordnimg bei. Nach überwältigender strafrechtlicher Doktrin soll er nun hierbei, insbesondere was die Folgen der Abwehrhandlung betrifft, grundsätzlich frei sein und insbesondere keiner Einschränkung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterliegen 1 . Zwar hat die Strafrechtsdoktrin über das Tatbestandsmerkmal der „Gebotenheit" eine Art „Mißbrauchslehre" entwickelt, um die Fälle krasser Disproportionalität von angegriffenem und durch die Abwehr bedrohtem Rechtsgut aus dem Bereich der Notwehr auszuscheiden2. Hierbei beruft man sich auf die gesetzgeberischen Motive zur aktuellen Fassung der Notwehrvorschrift 3 . Bemerkenswert ist aber, daß der Terminus des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - im öffentlichen Recht inzwischen fast schon eine Art generalklauselartiges Korrektiv - in der strafrechtsdogmatischen Diskussion dieses Problems nicht vorkommt. Ein „In-Verhältnis-Setzen" der betroffenen Rechtsgüter könne, auch bei Anerkennung einer Einschränkung der Notwehr nach dem Gesichtspunkt der Gebotenheit „für die Notwehr nicht gelten" 4 . 1 Vgl. etwa Schmidhäuser, Über die Wertstruktur der Notwehr, FS Honig, S. 185 ff. (198 und durchgehend); Krause, Zur Problematik der Notwehr, FS Bruns, S. 71 (80 f.); Seebode, Polizeiliche Notwehr und Einheit der Rechtsordnimg, FS Klug, S. 359 (360); Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 302; Jescheck, Strafrecht AT, S. 245; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB, §32 Rn. 34; Dreher / Tröndle, StGB § 32 Rn. 16 f.; SK-Samson, § 32 Rn. 19; LK^-Spendel, § 32 Rn. 224; jeweils m.w.N. 2 Vgl. hier statt aller die eingehende Darstellung bei Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 303 - 305. 3 Nachweis bei Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 303 (dort F N 50). 4 Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 303. In diesem Zusammenhang soll nicht vertieft auf die Frage eingegangen werden, ob eine entsprechende Notwehreinschränkung aus Art. 2 I I der Europäischen Menschenrechtskonvention folgt. Danach soll die absichtliche Tötung eines Menschen im wesentlichen nur erlaubt sein, um „die Vertei-

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Eine zwingende Begründung für diese im Strafrecht allenthalben anzutreffende These muß man freilich vermissen; gelegentlich ersparen sich ihre Vertreter eine auch nur kurze Begründung ganz. Statt dessen setzt man die Nichtgeltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für das „schneidige" Notwehrrecht schlechthin als Prämisse. Dabei ist durchaus nicht einzusehen, warum sich die Strafrechtslehre mit dieser, fast möchte man sagen, Hartnäckigkeit an die angebliche Unbeschränktheit des Notwehrrechts klammert. Als Anregung für die Auseinandersetzung eignet sich bevorzugt die Theorie Schmidhäusers 5, der von sämtlichen Strafrechtsautoren gewissermaßen „am weitesten geht": Ausgehend von der Prämisse, der Notwehr-Übende verteidige gleichzeitig die Rechtsordnung und werfe damit deren überwältigendes Gewicht in die Waagschale, folgert Schmidhäuser, selbst einer noch so geringfügigen „Angriffshandlung" kônné mit „scheinbar" weit überproportionalen Abwehrhandlungen begegnet werden, da nicht das geringfügige, konkret bedrohte materielle Rechtsgut auf dem Spiele stehe, sondern eben jener alles überragende ungestörte Bestand der Gemeinschaftsordnung. Der Kirschendieb darf daher vom gelähmten Eigentümer im Rollstuhl tatsächlich vom Baum heruntergeschossen werden; diese Maßnahme ist „erforderlich", da der Eigentümer anders die Angriffshandlung des Diebes nicht beenden kann 6 . Schmidhäusers Prämisse trifft zu; sie ist auch allgemein nicht bestritten: Der Notwehrende verteidigt in der Tat die Rechtsordnung, die der Angreifer stört. Seine Schlußfolgerung stimmt jedoch nicht mehr: Die Störung der Rechtsordnung, die durch die Gefährdung eines geringwertigen Gutes eintritt, kann durch Schädigung eines unverhältnismäßig höherwertigen Gutes nicht repariert werden, weil eine unverhältnismäßige Abwehrmaßnahme ihrerseits eine Störung der Rechtsordnung bedeuten würde. Anders ausgedrückt: Die Rechtsordnung bliebe nach jener Abwehrmaßnahme gestört; die Störung hätte lediglich eine „Verlagerung" erfahren.

digung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen". Nach einer Mindermeinung bedeute dies eine wirksame Einschränkung des deutschen Notwehrrechts: Die MRK bestimme, daß bei rechtswidrigen Angriffen auf Sachgüter das Leben des Angreifers nicht bedroht werden dürfe (vgl. zuletzt ausführlich Frister, Zur Einschränkung des Notwehrrechts durch Art. 2 der Europäischen MRK, GoltdA 1985, 553 (561 ff.)). Dagegen mit überzeugenden Gründen (namentlich: „Verteidigung eines Menschen" bedeute Schutz seiner Rechtsgüter Leben, Leib und Freiheit, aber auch Eigentum; für eine Herausnahme des letzteren sei kein Grund ersichtlich) LK™-Spendel, § 32 Rn. 257 ff. (260 f.). 5 Über die Wertstruktur der Notwehr, FS Honig, S. 185 ff. 6 Beispiel von Schmidhäuser selbst: ebd. S. 198.

III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Vorstehende These findet ihre Grundlage in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die sich gängigerweise in einem Satz zusammenfassen läßt: Er „durchwaltet die ganze Rechtsordnimg" 7 , ist auch keineswegs mehr auf den ursprünglichen Anwendungsfall der Beurteilung hoheitlichen Tätigwerdens beschränkt, sondern hat sich als „allgemeines Rechtsprinzip" etabliert 8 . Es ist zweifellos nicht einfach - wenn es überhaupt möglich ist - , aus der Fülle der Urteile des BVerfG, die sich mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz befassen, etwas wie eine „einheitliche Linie" mit der Folge voraussehbarer Abwägungsergebnisse herauszudestillieren. Obwohl sich das Gericht in überaus zahlreichen Entscheidungen mit ihm befaßt hat, ist nach wie vor 9 die Feststellung berechtigt, weder Inhalt noch Struktur, verfassungssystematische Verortung und Anwendungsbereich des Prinzips seien mit letzter Sicherheit geklärt. Immerhin erlaubt eine Analyse der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Feststellung, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in zunehmendem Maße und inzwischen als bestimmender Beurteilungsmaßstab zur Überprüfung staatlichen Handelns wie zur verfassungskonformen Gesetzesinterpretation in Betracht gezogen worden ist bzw. gezogen werden muß. Dieser Umstand wirkt sich auch, wie zu zeigen sein wird, auf die hier vorzunehmende Auslegung der Notwehrvorschrift aus. Im Rahmen dieser Problemstellung ist freilich entbehrlich, alle in Rechtsprechung und Schrifttum streitigen Details in bezug auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip im einzelnen zu behandeln. Unerörtert bleiben kann namentlich die in Einzelheiten abweichende Terminologie 10 .

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Treffende Formulierung von Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 24 m. N. 8 Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 204 m. N.; näheres sogleich. 9 Wie schon 1976 von Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (570) bemerkt. 10 Hier differenziert das BVerfG zwischen dem „Verhältnismäßigkeitsprinzip im weiteren Sinne" - bestehend aus den Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit; vgl. Grabitz ebd. S. 570 mit umfassenden N. - und dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne". Letzteren umschreibt es mit dem Stichwort des Übermaßverbotes. Das wird im Schrifttum zum Teil anders gesehen; Lerche nimmt in seiner grundlegenden Monographie „Übermaß und Verfassungsrecht" ζ. B. eine abweichende Systematisierung vor, indem er das „Übermaßverbot" als Oberkategorie setzt und dieses gliedert in die Aspekte der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit; den Gesichtspunkt der Geeignetheit w i l l er in diesem Zusammenhang gar nicht berücksichtigt wissen; Lerche, Ubermaß und Verfassungsrecht, S. 21, 76 f. und durchgehend. 8 Mahlberg

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Von Bedeutung ist vorliegend nur der Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" 1 1 mit seinem bestimmenden Kriterium des „Übermaßverbotes", für den Grabitz die treffende Bezeichnung der „Proportionalität" vorschlägt 12 . Im folgenden sollen einige Grundsätze zunächst einzeln angesprochen werden, bevor versucht wird, sie auf den Problembereich der Notwehr anzuwenden: a) Übermaßverbot Das Übermaßverbot ist nach insoweit gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausschlaggebender Beurteilungsmaßstab für alle Vorgänge, die einer Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterliegen. Derartige Maßnahmen dürfen nach einer feststehenden Wendung des Bundesverfassungsgerichts den Betroffenen „nicht übermäßig belasten" oder, kurz, „unzumutbar sein" 13 . Konrad Hesse hat den Prüfungsvorgang, den das Bundesverfassungsgericht bei sämtlichen ihm zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalten vornimmt, als die „Zuordnung zweier Variabler" bezeichnet 14 : die Relation von Zweck und Mittel einer bestimmten Maßnahme. Eine derartige Güterabwägung hat bei der Beurteilung der Zulässigkeit einzelner Maßnahmen im grundrechtlich geschützten Bereich regelmäßig stattzufinden; sie hat - so wiederum Konrad Hesse - zum Ziel, zwischen gesetzlich intendiertem Zweck und grundrechtlich geschütztem Interesse „Konkordanz" zu stiften 1 5 . Entscheidende Überlegung bei der Zulässigkeitsprüfung einer Maßnahme - dies ist, wie noch zu zeigen sein wird, von Wichtigkeit - ist keineswegs, (positiv) festzustellen, ob sie in dieser Relation „angemessen" ist; es genügt, (negativ) klarzustellen, daß sie „nicht unangemessen" ist 1 6 . Dieses Mißverhältnis muß im übrigen, wie das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen zusätzlich betont hat, evident sein 17 . Inso11 In der Terminologie des BVerfG; vgl. BVerfGE 7, 377 (407); 19, 330 (337). ι 2 Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (571) im Anschluß an Gentz, Zur Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen, NJW 1968, 1600 (1601). ι 3 Vgl. etwa BVerfGE 14, 19 (22); ständige Rechtsprechung. 14 K. Hesse, Verfassungsrecht, § 2 I I I 2 b cc (S. 27). ι 5 Ebd. S. 28. 16 Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (576) mit zahlreichen N. aus der Rechtsprechung des BVerfG. 17 Besonders deutlich BVerfGE 46, 17 (29): „ ... bedarf es zur hinreichenden Begründung der UnVerhältnismäßigkeit ihrer sich aus den Umständen ergebenden Evidenz." - Ebenso etwa BVerfGE 44, 353 (373); 26, 305 (309). Vgl. auch Gentz, Zur Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen, NJW 1968, 1600 (1604).

III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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weit ist zwar streitig, ob das Bundesverfassungsgericht mit dieser Restriktion eine materiell-inhaltliche Komponente des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder lediglich seine begrenzte Justitiabilität zum Ausdruck bringen wollte 1 8 ; über das Erfordernis der Offensichtlichkeit besteht indes Einigkeit. Die vom Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung regelmäßig angelegten Kriterien lauten, stichwortartig aufgeführt: Intensität eines Eingriffs; Dringlichkeit der intendierten Gemeinwohlinteressen; Bedeutung der vom Eingriff tangierten Individualinteressen 19 . b) Rechtliche Struktur; sedes materiae Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als solcher hat immittelbar in der Verfassung keine irgendwie geartete rechtssatzmäßige Ausprägung erhalten. Er hat nach feststehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gleichwohl Verfassungsrang 20 und wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet 21 . Er wurzelt damit nicht in einem bestimmten Einzelgrundrecht 2 2 , sondern gewissermaßen in der gesamten grundgesetzlichen Wertordnung 23 . In bezug auf die Verortung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bestehen im Schrifttum zwar z.T. abweichende Ansichten 24 , dies bedarf hier jedoch keiner Vertiefung.

18 So Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 207 mit Darstellung des Meinungsstandes. 19 Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (580). 20 So wörtlich BVerfGE 23, 127 (133). 21 Vgl. etwa BVerfGE 23, 127 (133 f.); 38, 348 (368). - Daß das BVerfG das Rechtsstaatsprinzip in „materiellem Sinne" versteht, hat es in E 11, 150(163) wörtlich zum Ausdruck gebracht. Die in den Grundrechten getroffenen Wertentscheidungen des Grundgesetzes müssen daher als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips gesehen werden. Vgl. hierzu auch von Münch / Schnapp, GG Art. 20 Rn. 22 m. N. 22 Vereinzelt hat das BVerfG aber auch ausgesprochen, das Verhältnismäßigkeitsprinzip ergebe sich „bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst" und brauche daher nicht mehr aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet zu werden (BVerfGE 19, 348). - Im Ergebnis braucht man dieser Differenzierung kaum grundlegende Bedeutung beizumessen: Mit dem „Wesen der Grundrechte selbst" spricht das BVerfG ja die gesamte grundrechtliche Wertordnung an, die letztlich Ausfluß des rechtsstaatlichen Prinzips ist. 23 Das rechtfertigt die schon eingangs zitierte Formulierung Roxins, das Verhältnismäßigkeitsprinzip durchwalte die gesamte Rechtsordnung. 24 Lerche, auf dessen oben zitierte grundlegende Monographie zahlreiche der hier zusammengefaßt wiedergegebenen Standpunkte des BVerfG zurückgehen, vertritt z. B. eine teilweise andere Ableitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, lehnt allerdings die von Ipsen, Rechtsfragen der Investitionshilfe, AöR 78, 284 (314; dort F N 46) vertretene Herleitung aus dem Gleichheitssatz ebenfalls ab; Übermaß und Verfassungsrecht, S. 29 ff., 40 ff.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

c) Anwendungsbereich Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - in der Ausprägung des Übermaßverbotes - ist mithin zutreffend als Essenz der gesamten grundgesetzlichen Wertordnung bezeichnet. Er wird vom Bundesverfassungsgericht im Bereich aller Grundrechte angewandt. Dies geschieht zwar mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichem Umfang 25 ; darauf braucht hier indes gleichfalls nicht eingegangen zu werden. Strikte Anwendung findet das Verhältnismäßigkeitsprinzip jedenfalls im grundrechtlich geschützten Bereich der körperlichen Unversehrtheit und der Freiheit 26 . Gerade der Gesetzgeber ist hier bei Eingriffen jedweder Art besonders intensiv unter „Rechtfertigungszwang" gestellt; das Übermaßverbot wirkt hier mit besonderer Stringenz. Ein Verbot zieht hier sehr schnell das Verdikt der Grundgesetzwidrigkeit einer Maßnahme des Staates nach sich 27 . Die grundrechtliche Ordnung bindet freilich gemäß Art. 1 I I I GG den Staat in allen drei Gewalten - der Legislative, der Exekutive und der Judikative. Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht Auswirkungen des Übermaßverbotes in verschiedensten Bereichen der Rechtsordnung, alle drei Gewalten betreffend, festgestellt und unverhältnismäßige Maßnahmen ggf. kassiert 28 . Zwei beispielhafte Entscheidungen aus dem Normbereich der Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit - ein Recht, welches bei übermäßiger Notwehrausübung etwa am ehesten tangiert sein könnte - seien namentlich erwähnt, wobei die tragenden Gedanken zusammengefaßt wiedergegeben werden. Im sogenannten „Liquorentnahme-Fall" 2 9 hat das Bundesverfassungsgericht die Ansicht des „Gegners" 30 verworfen, die richterliche Anordnung einer Liquorentnahme sei schon deshalb zulässig, weil sie auf einem - in diesem Fall tatbestandlich nicht näher eingeschränkten - Gesetz beruhe: Das Gesetz gestatte, so das BVerfG, nur verhältnismäßige Eingriffe; die auf-

25 Nach der in den Entscheidungen des BVerfG zutage tretenden Linie ist die These Grabitz' überzeugend, das BVerfG wende den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach dem Maß der „Freiheit des Gesetzgebers" an: je freier dieser sei, desto schwächer wirke das Übermaßverbot. Vgl. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (600 f.). 26 Grabitz ebd. S. 597 und 604 f. mit zahlreichen N. 27 Vgl. auch Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 7 (S. 863 f.). 28 Vgl. den Überblick bei Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (590 ff., 610 ff.). 29 BVerfGE 16, 191 (201 f.). 30 Dort der Freistaat Bayern.

III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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grund eines solchen Gesetzes zulässigen Eingriffe müssen stets unter Beachtung der Wertmaßstäbe des Grundgesetzes getroffen werden. Im „Hirnkammerluftfüllungs-Fall" 3 1 hat das Gericht erneut betont, das Recht auf körperliche Unversehrtheit verlange, wie jedes Freiheitsrecht, die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dazu reiche es nicht, daß ein Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruhe; das Gesetz, welches einen Eingriff erlaube, müsse vielmehr selbst unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - in der Konkretisierung des Übermaßverbotes - interpretiert werden. Die Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lassen sich nach Vorstehendem thesenartig wie folgt zusammenfassen: Der Gesetzgeber unterliegt unmittelbar wie mittelbar dem Übermaßverbot. Unmittelbar: Die legislative Gewalt ist im grundrechtlich geschützten Bereich gehindert, qua Gesetz unzumutbar belastende Eingriffe in die Rechtssphäre der Grundrechtsträger vorzunehmen. Mittelbar: Er ist gehindert, qua Gesetz Eingriffe zu erlauben, die die Grundrechtsträger unzumutbar belasten 32 , bzw., aus anderem Blickwinkel formuliert: Eingriffserlaubnisnormen haben sich diesem Maßstab zu unterwerfen bzw. sind an ihm auszulegen33. Das Übermaßverbot wirkt - diese Formulierung bietet sich an - bereits mittelbar-abstrakt und greift auf die aufgrund einer normativen Erlaubnis des Gesetzgebers getroffene konkrete Eingriffsmaßnahme durch 34 .

3. Anwendung dieser Grundsätze im Bereich des Straf rechts

Die genannten, vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze unmittelbarer wie mittelbarer Anwendung des Übermaßverbotes müssen auch hinsichtlich des Notwehrrechts Berücksichtigung finden 35 . Die abwei31 BVerfGE 17, 108 (117). 32 Schwabe, Grenzen des Notwehrrechts, NJW 1974, 670 (672 m. N.) listet eine umfangreiche Sammlung von Entscheidungen auf, i n denen das BVerfG „zugunsten von Privaten erlassene staatliche Rechtsbefehle ohne viel Aufhebens ... einer Überprüfung an den Grundrechten unterworfen hat: das Gebot, ehrenrührige Behauptungen, die Werbung für caritative Sammlungen oder pietätlose Auftragsbeschaffung zu unterlassen; ferner das Verbot, das Andenken Verstorbener oder das Persönlichkeitsrecht Lebender zu verletzen". 33 Sehr anschaulich die Formulierung von Dürig in Maunz / Dürig, GG Art. 1 I I I Rn. 104: „Früher (nämlich nach dem Verständnis der Weimarer Reichsverfassung) Grundrechte nur im Rahmen der Gesetze - heute (nämlich nach dem Verständnis des GG) Gesetze nur im Rahmen der Grundrechte". 34 Ein passendes Beispiel hierzu liefert Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (610): Die - als Ausfluß des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Anwendungsbereich von Art. 12 GG entwickelte - „Stufentheorie" ist auch bei Maßnahmen (nichtstaatlicher) Beruf s verbände „entsprechend" anzuwenden; zu unverhältnismäßigen Berufswahlregelungen ist ein Berufsverband vom Gesetzgeber nicht ermächtigt; dies die Quintessenz von BVerfGE 33, 125 (160).

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

chende herrschende Strafrechtsdoktrin beruht auf einer unrichtigen, weil wichtige, oben bereits herausgearbeitete verfassungsrechtliche Zusammenhänge außer Acht lassenden Sichtweise: Das leuchtet vordergründig schon mit dem bereits genannten Argument ein, ein Verstoß gegen die geltende Rechtsordnung könne nicht mit einer Aktion kompensiert werden, die ihrerseits aus der von der Verfassung geprägten Wertordnung herausfällt. Das soeben zitierte Argument, privates Handeln sei nicht am Maßstab der Grundrechte zu messen, verfängt bereits aus formalen Erwägungen heraus nicht, da sedes materiae des Übermaßverbotes kein bestimmtes Grundrecht, sondern das Rechtsstaatsprinzip und damit eine allgemeine 36 Wertentscheidung der Verfassung ist. Aber auch aus materiellen Gründen hat die Behauptung fehlender Grundrechtsgeltung für privates Handeln im Fall des Notwehrrechts keine Berechtigung: Es ist schon angedeutet worden, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz über seinen ursprünglichen Anwendungsbereich als Schranke obrigkeitlicher Eingriffsbefugnisse 37 hinausgewachsen ist. Gerade im Bereich der Notwehr liegt seine Berücksichtigimg besonders nahe: Wie dargelegt, übt der Notwehr-Ausübende gleichzeitig eine formal „staatliche", vom Staat funktional dem Privaten überlassene Aufgabe nämlich den Schutz der Rechtsordnung - aus. Die Bindung, der der Staat ohne weiteres unterliegt, wenn er diese Ordnungsaufgabe im konkreten Fall selbst erfüllt, geht keineswegs verloren, wenn der Eingriff von privater Hand, in „Vertretung des Staates" 38 , in Ausübung einer vom Staat eingeräumten Erlaubnis erfolgt. Es ist allgemein anerkannt, daß sich der Staat der ihn treffenden Bindungen nie entledigen kann, indem er die Durchführung der betreffenden Aufgaben Privaten überläßt 39 oder indem er selbst in privatrechtlicher Form tätig wird 4 0 . Es besteht keinerlei Anlaß, diesen Grundsatz für den Bereich des Ordnungsschutzes gewissermaßen „außer Kraft zu setzen". Die Bindungen beim 35 Auch Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 199 f. unterzieht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer eingehenden Betrachtung aus strafrechtlicher Sicht. Er bezieht seine Erkenntnisse allerdings nur auf den Problembereich „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Verhaltenskriminalisierung", so daß seine Ausführungen vorwiegend allenfalls sekundär Berücksichtigung finden können. 36 Und damit auch ζ. B. in die Privatrechtsordnung hineinwirkende! - vgl. etwa den Grundsatz von Treu und Glauben, oder den Wucherparagraphen 138 BGB, die heute beide als Ausfluß der im Rechtsstaatsprinzip konkretisierten „Gerechtigkeitsidee" betrachtet werden; Palandt / Heinrichs, BGB § 138 Anm. 1 b; vor § 241 Anm. 1 d; § 242 Anm. 1 d. 37 Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 201 m. N. 38 So die bereits zitierte Formulierung von G. Jellinek (siehe oben Abschn. b). 39 Statt aller von Münch, GG Art. 1 Rn. 53 mit zahlreichen N. 40 Zum Meinungsstand eingehend statt vieler Graf von Pestalozza, Formenmißbrauch des Staates, S. 166 ff. und durchgehend.

III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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Schutz der Rechtsordnung sind identisch, gleichgültig, ob er vom Staat selber oder von Privaten in Form der Ausübung des Notwehrrechts realisiert wird 4 1 . Die Parallelen polizeilicher Befugniseinschränkung und strafrechtlicher Notwehrbegrenzung drängen sich nachgerade auf: Hier wie dort werden nur die „nötigen" bzw. „erforderlichen" Abwehrreaktionen zur Wiederherstellung der gestörten Rechtsordnung legitimiert; was hinsichtlich des Polizeirechts unbestritten ist 4 2 , gilt aus verfassungsrechtlichen Gründen auch für die Notwehr. Insoweit kann durchaus wieder auf das Tatbestandsmerkmal der „Gebotenheit" zurückgegriffen werden: Zutreffend ausgelegt, öffnet es den Weg zu einer Integration des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ins Notwehrrecht. Irgendwelcher Sonderkonstruktionen wie der Lehre vom „Mißbrauch des Notwehrrechts" oder seiner „sozialethischen Einschränkung" 43 bedarf es hier also nicht. Ein weiteres: Wie dargelegt, ist der Staat, der in der Notrechts-„Befugnis" dem Privaten einen Teil seiner Aufgaben zur Ausübung überläßt, an jener Notwehrausübung mittelbar intensiv beteiligt, nämlich durch eben seine normative Erlaubnis, die der Gesetzgeber durch Erlaß der Notwehrvorschrift gegeben hat 4 4 . Aufgrund dieser Erwägungen läßt sich das Argument der fehlenden „ D r i t t w i r k u n g " 4 5 der Grundrechte für den Bereich der Notwehr nicht aufrechterhalten: Mit letzterem Stichwort werden von einzelnen Vertretern der Strafrechtslehre gelegentlich Versuche zurückgewiesen, verfassungsrechtliche Bindungen in Strafrechtsvorschriften zu inkorporieren. Da - so die Argumentation - die unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte zu Recht abgelehnt werde, sei es unzulässig, auf allgemeine Gesetze gestütztes Handeln Privater am Maßstab der verfassungsrechtlichen Ordnung zu messen und ggf. zu limitieren 4 6 . 41 Sehr überzeugend insoweit Schwabe, Grenzen des Notwehrrechts, NJW 1974, 670 (671). 42 Vgl. hierzu statt aller die Wiedergabe des Forschungsstandes bei Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 201 f. mit knappem historischem Überblick und Nachweisen aus neuerem Schrifttum. 43 Vgl. bereits die Nachweise oben F N 2 : ferner Jescheck, StrafR AT, S. 276-279 m. zahlr. w. N. 44 Schwabe, Urteilsbesprechung des „Mephistourteils", DVB1. 1971, 689 (690 f.); ders., Grenzen des Notwehrrechts, NJW 1974, 670 (671). 45 Wegen „fehlender Drittwirkung der Grundrechte" w i r d die unmittelbare Anwendbarkeit „der Grundrechte" im Bereich reinen Privathandelns von der weitaus h. L. auch im Staatsrecht abgelehnt (vgl. statt aller von Münch, GG Vorbemerkung Art. 1 - 1 9 Rn. 28 ff.). Es ist hier nicht veranlaßt, die insoweit vorgetragenen Argumente im einzelnen zu vertiefen; es soll sich auf eine konkrete Überprüfung dieser These am Beispiel des Notwehrrechts beschränkt werden. 46 Darstellung des Meinungsstandes insoweit etwa bei Schwabe, Grenzen des Notwehrrechts, NJW 1974, 670 (671).

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Das Bundesverfassungsgericht ist der These, das Strafrecht biete keinen konformen Ansatzpunkt für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, allerdings bereits entgegengetreten. Es hat Tatbestände des Strafrechts und des Strafprozeßrechts im Lichte des Übermaßverbots ausgelegt und diese Prüfung etwa auf die Angemessenheit verhängter Strafen und strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bezogen47 . Aus den vorstehenden Erörterungen kann gefolgert werden, daß dies auch im Fall der hier zu untersuchenden Erlaubnistatbestände der Notwehr bzw. Nothilfe gelten muß: Es verbietet sich von vornherein, die strafrechtliche Notwehrbefugnis ausschließlich beschränkt auf den „privatrechtlichen" Aspekt zu sehen: Das Strafrecht ist, obwohl im Prinzip an jedermann adressiert, Bestandteil des öffentlichen Rechts 48 . Was die Ausübung des Notwehrrechts betrifft, so wurde darüber hinaus deren jedenfalls überwiegend überindividueller, „sozialrechtlicher" Charakter ausführlich hergeleitet, so daß gerade hier der Hinweis auf die fehlende Drittwirkung der Grundrechte bei reinem „Privathandeln" vollends fehlgeht. - Schließlich verdeutlicht auch der Verweis Schwabes auf die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte und auf die grundrechtskonforme Auslegung von gesetzlich normierten Eingriffsrechten, daß die vorliegend zu erörternde Problematik nichts weniger denn ein Fall der „unmittelbaren Drittwirkung" ist, sondern - wenn überhaupt - nur ein solcher der „mittelbaren Drittwirkung" 4 9 , das heißt, der - freilich unstreitig anerkannten 5 0 - Beeinflussung der gesamten Rechtsordnung durch die objektive grundrechtliche Wertordnung 51 . 47 Vgl. insoweit die eingehenden Nachweise bei Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (614); umfassend auch Günther, Straf rechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 199 ff. (210 ff.). 48 Statt aller Jescheck, Strafrecht AT, S. 12; vgl. ferner Schwabe, Grenzen des Notwehrrechts, NJW 1974, 670 (671). 49 Noch weit darüber hinaus geht die Lehre Schwabes (eingehend entwickelt namentlich in „Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte", durchgehend). Er will, mit ähnlicher - freilich etwas fragwürdiger - Argumentation (jeder Akt eines Privaten beruhe auf einer legislativen Erlaubnis), den gesamten Begriff der „ D r i t t wirkung" ad absurdum führen. Das ist hier in sämtlichen Details nicht weiter zu erörtern. Gegenstand dieser Untersuchung ist nur das Notwehrrecht mit seiner spezifischen Stellung als Strafrechtsnorm sozialrechtlichen Charakters, als echter legislativer Erlaubnistatbestand und als private Besorgung eines „öffentlichen" Anliegens. Der Kernbereich der Drittwirkungsdiskussion, das reine Privatrecht, ist hier ersichtlich nicht tangiert, so daß sich eine vertiefte Untersuchung der Thesen Schwabes vorliegend erübrigt. Vgl. eine kurze Einführung i n die Diskussion bei von Münch, GG Vorbemerkung Art. 1 - 1 9 Rn. 33; kritisch dagegen Dürig in Maunz / Dürig, GG Art. 3 I Rn. 506. 50 Statt aller von Münch ebd. Rn. 31 mit zahlreichen N.; ebenso die ständige Rechtsprechung des BVerfG: vgl. BVerfGE 7, 198 (205). 51 Im Ergebnis übereinstimmend Dürig in Maunz / Dürig, GG Art. 2 I Rn. 73: „Für die Notwehr ist das Übermaßverbot hinsichtlich der Verteidigung heute verfassungs-

III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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D i e These v o n der N i c h t b i n d u n g der N o t w e h r an den V e r h ä l t n i s m ä ß i g keitsgrundsatz ist b e k a n n t l i c h a l t u n d existierte schon lange v o r der V e r a b schiedung des Grundgesetzes. Sie hat, i n wechselnder B e l e u c h t u n g u n d G e w i c h t u n g , diverse Geschichtsepochen i n D e u t s c h l a n d d u r c h w a n d e r t u n d ist seit G e l t u n g der rechtsstaatlich geprägten W e r t o r d n u n g des Grundgesetzes n i c h t m e h r h a l t b a r . D i e S t r a f r e c h t s d o k t r i n sollte alsbald Gelegenheit nehmen, dies expressis verbis a n z u e r k e n n e n 5 2 . Befürchtungen, das N o t w e h r r e c h t w ü r d e h i e r d u r c h seine praktische E f f i zienz u n d „ S c h n e i d i g k e i t " v e r l i e r e n 5 3 , erscheinen demgegenüber n i c h t p l a u sibel. D i e U n t e r w e r f u n g des N o t w e h r r e c h t s u n t e r den V e r h ä l t n i s m ä ß i g keitsgrundsatz bedeutet keine „ K n e b e l u n g " des i n N o t w e h r B e f i n d l i c h e n ; sie z w i n g t n i c h t z u langer Suche n a c h der „angemessenen" A b w e h r r e a k t i o n , sondern v e r p f l i c h t e t (nur) z u m Ausschluß einer evident sowie u n e r t r ä g l i c h „unangemessenen" 5 4 .

rechtliches Gebot". Dürig begründet das mit der allgemeinen Einschränkung des Freiheitsgrundrechts durch die „Rechte anderer" (Art. 2 I GG). Die Ausübung des Notwehrrechts sei, so Dürig, kein „Eingriff", sondern die „RückVerweisung" jemandes, der die Rechte eines anderen mißachtet hat, in die ursprünglichen Schranken. Diese Rückverweisung dürfe, um nicht dem Verdikt der Unerlaubtheit zu verfallen, ihrerseits keinen „übermäßigen" Eingriff in die Rechte des Angreifers darstellen. 52 Bockelmann, Notrechtsbefugnisse der Polizei, FS Dreher, S. 235 (244 f.) erwägt, die Begrenzung der Notwehr auf das Erforderliche sei bereits eine hinreichende Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das trifft nicht zu: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fordert, auf die Notwehr angewandt, auch eine Abwägung der durch Angriff bzw. Abwehr bedrohten materiellen Rechtsgüter, ein Kriterium, welches bei der „Erforderlichkeit" keine Rolle spielt. Allerdings könnte die von der herrschenden strafrechtlichen Lehre entwickelte „Mißbrauchsdoktrin", die die Notwehr bei extremem Mißverhältnis der bedrohten materiellen Rechtsgüter als mißbräuchlich ausschließen will, als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes interpretiert werden; nur hat sich zu diesem „Eingeständnis" bislang noch kaum ein Strafrechtler bereit gefunden (siehe unten 4). - Vgl. auch die Differenzierung bei S chaff stein, Die strafrechtlichen Notrechte des Staates, Gedächtnisschrift Schröder, S. 102 (111 bei FN 23): Die Lehre vom „Notwehrmißbrauch" betreffe „nur Extremfälle"; der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setze dagegen engere Grenzen. Schaffstein läßt freilich offen, wo diese angeblichen Unterschiede konkret liegen sollen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nach feststehender verfassungsrechtlicher Rechtsprechung (erst) bei einem „unerträglichen" bzw. „unzumutbaren" Mißverhältnis tangiert. Das Recht braucht auch bei einer verhältnismäßig ausgeübten Notwehr dem Unrecht nicht zu weichen! 53 Jescheck fürchtet, einschränkende Generalklauseln wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz trügen „nur dazu bei, die Abgrenzung des Notwehrrechts unsicher zu machen"; Strafrecht AT, S. 277. Spendel meint, Tendenzen zu „sozialethischer" Einschränkung des Notwehrrechts führten „nur zu (seiner) Aufweichung und Verunsicherung" ( L K 1 0 §32 Rn. 308). Ebenso Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 302: „Eine vollständige Güterabwägung im Bereich der Erforderlichkeit würde zur Erweichung des Notwehrrechts führen". Im gleichen Sinne die herrschende strafrechtliche L. 54 Vgl. insoweit schon oben Abschn. 2 b.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen" 4. Neuere Tendenzen der strafrechtlichen Lehre zugunsten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Es darf freilich nicht verkannt werden, daß Teile des strafrechtlichen Schrifttums inzwischen dazu übergegangen sind, zwar zurückhaltend, jedoch unübersehbar, dem Gebot einer verfassungskonformen Auslegung des Notwehrrechts nachzukommen und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausdrücklich in die Notwehr zu integrieren 55 . Ein richtungsweisender Ansatz in Richtung der hier entwickelten Lösung findet sich zwar schon in einem Aufsatz von 1878 (!) 5 6 . Der Autor hat aber bis in die neueste Zeit in der Strafrechtsdoktrin keine Gefolgschaft gefunden 57 . Erst in neuerer Zeit scheint sich insoweit ein Änderungsprozeß anzubahnen: Zipf betont die allmählich einsetzende Tendenz der Betonung der sozialrechtlichen Seite der Notwehr, was es „nahe(lege), die Auslegung der Notwehr an dieselben Maßstäbe zu binden, nach denen die Staatsorgane selbst vorgehen müßten" 5 8 . Sehr weit geht Seelmann 59 , der kritisiert, daß sich Rechtsprechung und h. L. „bis heute nicht ... zu einer naheliegenden Begrenzung des § 32 StGB ... bereit gefunden" haben: „Zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips". - Ähnlich stellt auch Eser 60 zutreffend fest, die bereits anerkannte Notwehreinschränkung der „Mißbrauchslehre" sei in Wirklichkeit bereits die begrüßenswerte Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. - Lange 61 betont als Fazit seiner Untersuchung: „Das scheinbar (!) 55 I n der Kommentarliteratur zum BGB herrscht das gleiche Bild. Noch verneint die h. M. das Erfordernis einer Güterabwägung bei der Notwehr (vgl. statt aller Palandt / Heinrichs, BGB § 227 Anm. 1 d m.w.N.); eine wachsende Mindermeinung bejaht sie hingegen (vgl. ζ. B. Enneccerus / Nipperdey, AT § 240 I I 4; nunmehr auch Staudinger / Dilcher, BGB § 227 Rn. 21). 56 von Buri, Nothwehr und Nothhilfe, Gerichtssaal 30, 434 ff. (461 - 463). 57 Seine Argumentation verdient es gleichwohl, kurz referiert zu werden: Er kritisiert die auch damals scheinbar unumstößliche These einer angeblich schrankenlosen Notwehr. Zur Begründung führt er zunächst aus (1.), die Intensität der Abwehr müsse der Intensität der „Schuld" des Angriffs korrespondieren. Ein erst begonnener oder hinsichtlich des Schadens nur begrenzter Angriff weise „noch keine volle Schuld" auf. Diese entwickle sich erst; entsprechend müsse sich die Abwehrintensität entwikkeln. - Bedeutsamer und auch im Lichte heutiger Erkenntnis tragfähiger das zweite Argument: Gegenstand des rechtswidrigen Angriffs auf ein Rechtsgut sei stets das öffentliche Interesse; darum dürfe auch „rechtsgemäß zum Schutze des angegriffenen Rechtsgutes nicht mehr geschehen als von dem Staate selbst geschehen würde..." Der Staat müsse stets „ i n Bedacht nehmen, ob ihm nicht aus der Anwendung des Mittels zur Verhinderung des Unrechts ... ein größeres Übel erwachsen werde, als wenn er sich das Unrecht vollziehen lasse ..." - Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen kann hier verständlicherweise nicht erfolgen. Angesichts der heute entwickelten und verfestigten Lehre vom Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erscheinen diese frühen Überlegungen aber durchaus beachtenswert. 58 Maurach / Zipf, Strafrecht AT 1, S. 336. 59 Grenzen privater Nothilfe, ZStrW 89, 36 (42). 60 Strafrecht AT 1, S. 99. 61 Der gezielte Todesschuß, JZ 1976, 546 (548 a. E.).

III. Bindung der Nothilfe an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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weitergehende N o t h i l f e r e c h t der §§ 32 S t G B u n d 227 B G B w i r d . . . de facto u n d de iure i n die gleichen Grenzen verwiesen, w i e sie § 41 I I M E dem P o l i zeibeamten z i e h t " 6 2 . - L e n c k n e r 6 3 stellt zutreffend fest, daß n a c h I n t e n s i t ä t u n d Z i e l p r i v a t e E i n g r i f f e a u f g r u n d der J e d e r m a n n - N o t r e c h t e solchen des Staates „ v ö l l i g g l e i c h " stehen; daher leuchte es „ n i c h t ein, w a r u m es h i e r dem P r i v a t e n . . . gestattet sein müßte, sich über Grundrechtssätze h i n w e g zusetzen, die f ü r staatliches H a n d e l n u n a b d i n g b a r s i n d " . Z i t i e r t sei abschließend S c h r o e d e r 6 4 , der d e n K e r n der v o r l i e g e n d e n U n t e r s u c h u n g i n einer - w e n n auch n i c h t w e i t e r v e r t i e f t e n u n d z u r ü c k h a l t e n d f o r m u l i e r t e n - B e m e r k u n g genau t r i f f t : „ W e n n die Rechtsordnung den ex professu zu i h r e m Schutz berufenen Organen eine A b w e h r strafbarer H a n d l u n g e n n u r u n t e r d e m Gesichtspunkt der V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t gestattet u n d dazu d u r c h das Grundgesetz gezwungen ist, erscheint es f r a g w ü r d i g , wieso der Private b e i e i n e r 6 5 A u s n a h m e v o m G e w a l t m o n o p o l des Staates z u einem schrankenlosen Schutz berechtigt sein s o l l " . D e r a r t i g e S t e l l u n g n a h m e n v o n Seiten der Strafrechtslehre weisen i n die r i c h t i g e R i c h t u n g u n d k ö n n t e n f ü r die z u k ü n f t i g e Sichtweise des N o t w e h r rechts v o r b e s t i m m e n d sein 6 6 . 62 Soweit diese These den Befugnisumfang der Polizei anspricht, soll hierauf nicht näher eingegangen werden. Lange geht von der herrschenden polizeirechtlichen Lehre aus, Abwehrhandlungen der Polizei seien nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebunden; das bejaht er auch für Abwehrhandlungen aufgrund der Notwehr. 63 Der rechtfertigende Notstand, S. 216. 64 Die Notwehr als Indikator politischer Grundanschauungen, FS Maurach, S. 127 (138). 65 Zusatz des Verfassers: ihm vom staatlichen Gesetzgeber eingeräumten. 66 Es ist nicht Aufgabe dieser rechtssystematischen Untersuchung, sich mit den rechtspolitischen Bedenken auseinanderzusetzen, die von Seiten der Strafrechtslehre angesichts einer verfassungsrechtlich gebotenen Beschränkung des Notwehrrechts z.T. erhoben werden (vgl. etwa LK 10-Spendel, § 32 Rn. 21 und 307 ff.; Schmidhäuser, Studienbuch AT, S. 154 ff.; jeweils m. N.). Nur soviel: Zu der befürchteten oder sogar schon festgestellten Aufweichung der Notwehr mit der Folge, daß „der einzelne nicht mehr weiß was er zu seiner oder anderer Verteidigung eigentlich noch tun darf oder nicht" (Spendel ebd. Rn. 21) führt eher der um die Notwehrbestimmung entstandene terminologische Wirrwarr aller möglichen Beschränkungen und Eingrenzungen denn die schlichte Erkenntnis, daß ein im Dienste der Rechtsordnung stehendes Verhalten einem diese Rechtsordnung prägenden Wertprinzip schlechterdings nicht zuwiderlaufen darf! Eben daraus wird aber deutlich, daß es im konkreten Fall stets um eine vergleichende Betrachtung gehen muß, bei der ein unzumutbares MißVerhältnis zwischen Angriff und Abwehr hinsichtlich aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte - eben die Ersetzung einer Störung der Rechtsordnung durch eine andere - unerlaubt ist. Dies, nicht mehr und nicht weniger, ist die Essenz des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die „ethische" Beurteilung der Abwehrhandlung am Empfinden von Recht und Unrecht ist die jedem Bürger und letztlich auch dem Richter überlassene Frage, die sich schematischer Kategorisierung oder „bequemer Konkretisierbarkeit" (letztere wünscht sich anscheinend Krause, Zur Problematik der Notwehr, FS Bruns, S. 71 (81) und verwirft daher den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit seiner „schwer faßbaren übergesetzlichen Wertung"), gleich in welchem Sinne, regelmäßig entzieht. Dies einzuräumen sollte der Rechtswissenschaftler bereit sein!

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

IV. Verhältnismäßig gebundene Notwehr als Eingriffserlaubnis für „professionelle Nothelfer" 1. Problemstellung

Die vorstehenden Ausführungen haben zu einigen bedeutsamen Zwischenergebnissen geführt: Die Nothilfe hat, jedenfalls primär, überindividuellen - sagen wir: sozialnützlichen - Charakter. Und sie unterliegt, um ihrer „rechtserhaltenden" oder „-wiederherstellenden" Funktion genügen zu können, einer Bindung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Unter diesen Prämissen kann abschließend-zusammenfassend die Frage beurteilt werden, ob sie sich als quasi-Befugnisnorm für professionelle private Gefahrenabwehr eignet. Läßt die ratio der Notwehr eine solche Sichtweise zu? Die Frage ist zu bejahen: Daß die Notwehrvorschrift keineswegs nur in „psychischen Ausnahmesituationen" Platz greift, wurde oben 1 bereits herausgestellt. In geringfügiger Abwandlung dieses Ansatzes könnte immerhin vertreten werden, sie sei aufgrund ihrer ratio auf die Bewältigung tatsächlicher Ausnahmesituationen eben „Not"-Lagen - angelegt. Wer sich, wie ein privater Sicherheitswächter, beruflich in „Notlagen" begibt, könne sich daher nicht auf die Notwehr berufen 2 . 2. Angriffe als tatsächliche „Notlage" auch für professionelle Wächter

Nun wäre eine derartige Argumentation bereits aus tatsächlichen Erwägungen nicht stichhaltig. Der professionelle Wächter begibt sich, ebensowenig wie ein Polizist, von vornherein gezielt in „Notwehrlagen". Situationen, die ihn zu Verteidigungshandlungen „nötigen", kommen auch für ihn unberechenbar, nicht einkalkuliert und daher überraschend. Ein Vorfall, der gewaltsame Abwehreingriffe erfordert, ist auch für den Wachmann eine „Ausnahmesituation". Allenfalls könnte davon gesprochen werden, daß der private Wächter sich ex professu einem erhöhten Risiko aussetzt, in eine solche „Notlage" zu geraten. Es kann aber noch nicht einmal die Rede davon sein, solche Situationen würden durch den Wachmann provoziert.

1

Abschn. I I 4 a. So können die Ausführungen Hoffmann-Riems, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281 f.) durchaus interpretiert werden, obwohl er sie unter den Leitgedanken der „psychischen Ausnahmesituation" faßt. 2

IV. Notwehr als Eingriffserlaubnis für „professionelle Nothelfer"

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3. Rechtsgrundsätze der Notwehrprovokation

Das letztgenannte Stichwort weist zu den Grundsätzen, mit denen die prinzipielle Anwendbarkeit der Notwehrvorschrift auf professionelle Wächter auch rechtsdogmatisch zu fundieren ist. Die Strafrechtslehre hat unter der Überschrift der „provozierten Notwehrlage" hinreichende Kriterien geliefert, die auf diesen Problembereich Anwendung finden können. Erfreulicherweise herrscht insoweit in Lehre wie in Rechtsprechung nahezu völlige Übereinstimmung, so daß Roxin die Rechtslage hier als „ i m wesentlichen gesichert" bezeichnen kann 3 . Der Grundsatz lautet kurz, daß ein sozialethisch nicht zu mißbilligendes Vorverhalten zu keinerlei Einschränkimg des Notwehrrechts führt 4 . Im einzelnen hat die Strafrechtsdoktrin hinsichtlich der sozialethischen Bewertung des „Vorverhaltens" mannigfache graduelle Abstufungen unterschieden - von völlig „neutralem" Verhalten bis zu gezielter Provokation 5 . Die hier einschlägige - sich einem möglicherweise erhöhten Angriffsrisiko auszusetzen - ist dabei dem im Hinblick auf das Notwehrrecht „unschädlichsten" Bereich zuzurechnen 6 : Es nimmt kaum wunder, daß im äußerst umfangreichen strafrechtlichen Schrifttum der Frage, ob sich ein „berufsmäßiger Nothelfer" in Angriffssituationen auf die Notwehrvorschrift berufen kann, nicht ausdrücklich erörtert wird; der ganze Problembereich ist, wie eingangs angedeutet7, in der Rechtswissenschaft kaum vertieft behandelt und im öffentlichen wie im Strafrecht tabula rasa. Die Situation des Wachbediensteten, der auf „Bewachungsstreife" geht, läßt sich aber problemlos in die Gruppe derjenigen Fälle einordnen, in denen sich der später Angegriffene in Kenntnis einer potentiell drohenden Gefahr an den betreffenden Ort begibt. In diesen Fällen bleibt dem Verteidiger die Notwehrbefugnis nach nahezu einhelliger Ansicht uneingeschränkt erhalten: „Wer also ein Wirtshaus aufsucht, obwohl er dort mit Auseinandersetzungen rechnet," - ein im Vergleich zur Situation des Wachmannes sogar entschieden höheres Gefährdungsrisiko! „wer seinen geplanten Weg fortsetzt, obwohl er einen Überfall durch Row3 So die sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts, ZStrW 93, 68 (91) m.w.N. 4 So der Leitsatz von BGHSt. 27, 336. Ebenso praktisch das gesamte strafrechtliche Schrifttum; vgl. die Nachweise bei L K 10-Spendel, § 32 Rn. 281. Spendel selbst nimmt sogar einen noch weitergehenden Standpunkt ein, indem er die Einschränkung des Notwehrrechts bei Provokationen jeweder Art ablehnt. Das bedarf hier keiner Vertiefung. 5 Vgl. statt aller die zusammenfassende Darstellung bei Baumann / Weber, Strafrecht AT, S. 306 ff. 6 Umfassende Nachweise bei LK 10-Spendel, § 32 Rn. 282; vgl. auch den Fallbeispielskatalog bei Roxin, Die provozierte Notwehrlage, ZStrW 75, 541 - 543. 7 Vgl. hierzu die Einleitung.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

dies vorhersieht," - vollkommen auf die Lage des Wächters in der U-Bahn übertragbar! - „ w i r d durch dieses Vorverhalten nicht in seiner Notwehrbefugnis beschränkt, wenn er tatsächlich angegriffen wird" - mit dieser Formulierung fassen Baumann / Weber 8 die gesicherte und annähernd übereinstimmend beurteilte Rechtslage zusammen. Die Gewaltgestattungsnorm des § 32 StGB bleibt auch demjenigen erhalten, der sich einem erhöhten Gefährdungsrisiko aussetzt. Die einzige abweichende Stimme im Schrifttum findet sich bei Maurach / Zipf 9 . Diese bejahen eine „Einschränkungsmöglichkeit" (?) des Notwehrrechts für den Fall, in dem der Verteidiger auch ohne vorwerfbares Vorverhalten eine spätere Notwehrsituation erkennen konnte. Indes ist ihre Ansicht nicht haltbar und wird von der h. M. mit Recht abgelehnt. Sie ist nur unter dem oben 10 angedeuteten dogmatischen Ansatz Maurachs erklärbar, der die Notwehr als „ i m Ausgangspunkt starr individualistisch" 1 1 sieht. Wer den Selbstschutz bei der Notwehr in den Vordergrund stellt, muß das Notwehrrecht nach der Devise „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um" im Fall vorhersehbarer Notlagen einschränken. - Sieht man dagegen zutreffend den überindividuellen, sozialrechtlichen Aspekt der Notwehr als ihre primäre ratio, kommt eine Notwehreinschränkung wegen sozial „neutralem" - ja sogar mit Sozialnutzen motiviertem! - Vorverhalten nicht in Betracht. Der Umstand, daß sich ein privater Wächter „beruflich", d. h. kraft übernommener vertraglicher Verpflichtung in Situationen erhöhten Gefährdungsrisikos begibt, kann mithin zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage führen als in den Fällen, in denen der Verteidiger ohne eine derartige selbst übernommene Verpflichtung, aber in Kenntnis eines erhöhten Risikos rechtswidriger Angriffe „seinen Weg fortsetzt" - in beiden Fällen braucht das Recht dem Unrecht nicht zu weichen. Eine differenzierte Behandlung der in der Notwehrvorschrift zusammengefaßten Tatbestände der Notwehr und der Nothilfe kommt schon wegen ihrer identischen Regelung nicht in Frage. 4. Spezialerlaubnisnormen de lege ferenda abzulehnen

Die ratio der Notwehr schließt daher keineswegs aus, daß sich in Ausübung ihrer Berufstätigkeit angegriffene oder mit einer rechtswidrigen Angriffsaktion auf Dritte konfrontierte Wachleute auf sie berufen; sie 8 Strafrecht AT 1, S. 307 m. N., auch aus der übereinstimmenden jüngsten Rspr. des BGH. 9 Strafrecht AT 1, S. 387 f. 10 Abschn. I I 2. 11 Maurach / Zipf ebd. S. 385.

V. Zwischenergebnis

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spricht ausdrücklich für ihre Anwendbarkeit in solchen Situationen. Es bedarf insoweit weder einer legislatorischen Erweiterung der Notwehrvorschrift noch gar der Schaffung einer neuen „Quasi-Befugnisnorm für private Sicherheitsdienste", was bei der ohnehin allenthalben beklagten überbordenden Gesetzesflut 12 an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt werden sollte.

V. Zusammenfassung der bisherigen Erörterungen; weiterer Gang der Untersuchungen Es hat sich ergeben, daß die verbreitete These von der fehlenden Verhältnismäßigkeitsbindung der Notwehr nicht haltbar ist. Damit ist, um auf den Ausgangspunkt der Untersuchung zurückzukommen, das rechtlich gravierendste Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit jener Norm auf Abwehreingriffe privater „Berufs-Nothelfer" ausgeräumt. Die Qualifikation der „Notwehr" als Erlaubnisnorm 1 für private Eingriffe zur Wiederherstellung der gestörten Sicherheit und Ordnung prädestiniert die genannte Vorschrift de lege lata 2 vielmehr als Grundlage für das Tätigwerden Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 3 . Der Vollständigkeit halber soll zunächst (VI.) noch ein Blick auf mögliche andere „Jedermannrechte" geworfen werden, die gleichfalls als „Erlaubnisnorm" Grundlage für gefahrenabwehrende Tätigkeit privater Sicherheitsdienste sein können, bevor unter Einbeziehung der Untersuchungen in Kap. 2 eine Gesamt-Beurteilung des Tätigwerdens Privater im öffentlichen Bereich auf der Grundlage allgemeiner „Notrechte" vorgenommen w i r d (VII.). Bei dieser Beurteilung wird auch rechtspolitischen Bedenken nachgegangen werden, die das gefundene Ergebnis aufwerfen könnte. Eine Abgrenzung zu Auftrag und Tätigkeitsbereich der staatlichen Polizei ist in diesem Zusammenhang ebenfalls geboten. 12 Sehr engagiert hierzu zuletzt Isensee, Mehr Recht durch weniger Gesetze, ZRP 1985, 139 ff. (durchgehend). 1 Der Terminus „Eingriffsbefugnisnorm", der im öffentlichen Recht im Zusammenhang mit Rechtseingriffen von Hoheitsträgern Anwendung findet - statt aller Knemeyer, POR, Rn. 53 - , soll im folgenden bewußt vermieden werden. - K r i t i k am Terminus „Befugnis" im Zusammenhang mit den Rechten privater Wachdienste auch bei Lehmann, Bewachung von Leben und Eigentum durch gewerbliche Unternehmer, DNP 1980, 265 (266). 2 Rechtspolitische Überlegungen de lege ferenda werden in diesem Kapitel unter V I I 3 angeschlossen. 3 Die von Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (283) vertretene Gegenansicht, die Nothilfevorschrift gelte für berufsmäßige Wächter nicht, führt zur von ihm selbst eingeräumten Konsequenz, daß deren Eingriffstätigkeit ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Hoffmann-Riem erwähnt leider nicht - ob zufällig oder absichtlich, ist nicht erkennbar - die konsequente „Kehrseite der Medaille", daß derartige Eingriffe dann nicht nur „ohne Rechtsgrundlage", sondern sogar strafbar sein müßten. Wie das angesichts des tatbestandlich keineswegs auf „Nichtprofis" eingeschränkten § 32 StGB mit Art. 102 GG vereinbar sein soll, bleibt allerdings ein Rätsel.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Alsdann werden in einem abschließenden Punkt (VIII.) dieses Kapitels die Handlungsmöglichkeiten im Detail erörtert, die die „Jedermann-Notrechte" privaten Sicherheitsdiensten gewähren. VI. Sonstige, als Eingriffsgrundlage taugliche „Jedermannrechte" 1. Zivilrechtliche Notwehr, § 227 BGB

Die Notwehrregelung des § 227 BGB stimmt mit derjenigen des StGB wörtlich überein, und es ist unstreitig, daß beide Vorschriften gleicher ratio entspringen und einheitlich auszulegen sind 1 . Rechtsgrund auch der zivilrechtlichen Notwehr ist der Gesichtspunkt der Bewährung der Rechtsordnung 2 . Damit kommt auch § 227 BGB unproblematisch als Grundlage und Maßstab für Eingriffe privater Nothelfer in Betracht 3 . 2. Notstands Vorschriften

a) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB, und defensiver bzw. aggressiver Notstand, §§ 228 und 904 BGB Zu den „Jedermann-Notrechten" 4 zählen auch die Notstandsvorschriften in StGB und BGB. Ihr Umfang und Regelungsbereich soll an dieser Stelle noch nicht vertieft erörtert werden; hier interessiert zunächst nur, ob es rechtssystematisch vertretbar ist, auch sie als „Eingriffserlaubnisnormen" anzusehen und sie prinzipiell als Grundlage für Eingriffe privater Sicherheitsdienste heranzuziehen. Kurz zusammengefaßt, bestimmen §§ 34 StGB, 228 und 904 BGB übereinstimmend, daß eine Einwirkung auf eine Sache - bzw., für § 34 StGB noch weitergehend, auf ein rechtlich anerkanntes Interesse - in einer Gefahrensituation für ein anderes Rechtsgut „nicht widerrechtlich" ist, wenn die Einwirkung zur Abwehr der Gefahr in jeder Beziehung - ausdrücklich und namentlich ist hier auch die Abwägung des Wertes der betroffenen Güter einbezogen - verhältnismäßig ist. Das gravierendste Bedenken, welches 1

Statt aller Palandt / Heinrichs, BGB § 227 Anm. 1. Ebd. 3 So wohl auch Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 68. Gegenstand bzw. Hintergrund der Notwehrbestimmung des BGB ist freilich ihre Verknüpfung mit zivilrechtlichen Vorschriften über Schadenersatzpflichten (namentlich §§ 823 ff. BGB); aus diesem Grunde dürfte es näherliegen, ausschließlich § 32 StGB in Betracht zu ziehen, wenn es um die bloße Frage einer „Eingriffserlaubsnisnorm" geht. 4 Eingebürgerter Oberbegriff, der auch die Notstandsvorschriften einschließt. Vgl. ζ. B. Jescheck, Strafrecht AT, S. 267; Dreher / Tröndle, StGB vor § 32 Rn. 9. 2

VI. Sonstige, als Eingriffsgrundlage taugliche „Jedermannrechte"

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nach der (unzutreffenden) Ansicht einiger Autoren die Anwendbarkeit der Nothilfevorschrift auf private Sicherheitsdienste ausschloß, nämlich die befürchtete Diskrepanz zwischen polizeilichen und privaten Befugnissen, stellt sich im Fall der Notstandsregelung mithin nicht 5 . Da auch sie einen Eingriff rechtfertigen 6 , müssen sie systematisch als Erlaubnistatbestände interpretiert werden, die daher grundsätzlich taugliche Grundlage für Maßnahmen Privater auf dem Sektor der Gefahrenabwehr darstellen. Der Charakter auch des § 34 StGB als echtes „Eingriffsrecht" ist denn auch im Schrifttum nahezu einhellig anerkannt 7 . - Für die Notstandsvorschriften des BGB, die die Tat gleichfalls für nicht widerrechtlich erklären, gilt aus rechtssystematischen Gründen das gleiche; § 34 StGB erfaßt als tatbestandlich umfassendste Norm ohnehin ihren gesamten Anwendungsbereich 8 . Angehörige privater Sicherheitsdienste können daher, gleich jedem Privaten, Vorschriften des rechtfertigenden Notstandes bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen als Erlaubnisnormen für Eingriffe in Rechte und Sachgüter Dritter in Anspruch nehmen. Inwieweit das auch für Fälle gilt, in denen die bedrohten Rechtsgüter solche der Allgemeinheit sind - ein gerade bei Betrachtung der Gefahrenabwehrtätigkeit Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung naheliegend relevantes Problem - , ist an dieser Stelle (noch) nicht zu erörtern: Es ging und geht vorliegend um die grundsätzliche Frage der Anwendbarkeit von Jedermannrechten auf professionelle Wachdienste. Die Anwendung der Notrechtsbefugnisse Privater bei Gefahren für Rechtsgüter der Allgemeinheit ist nachfolgend im Zusammenhang zu erörtern 9 . b) Entschuldigender Notstand, § 35 StGB Im Gegensatz zum „rechtfertigenden Notstand" des § 34 StGB, der, dem Wesen der Rechtfertigungsgründe entsprechend, die Rechtswidrigkeit eines 5

Bezeichnend ist allerdings, daß Hoffmann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (283) die Notstandsvorschriften überhaupt nicht erörtert und gleichwohl mit dem pauschalen Fazit schließt, Notrechte gälten für private Sicherheitsdienste generell nicht; ihre Eingriffe seien vielmehr stets ohne Rechtsgrundlage und daher widerrechtlich. Dieses „Ergebnis" kann auch unter diesem Aspekt nur als abwegig bezeichnet werden. Vgl. im übrigen schon oben Abschn. V, dort F N 3. 6 Statt aller Palandt / Heinrichs, BGB § 228 Anm. 4; Ρalandt I Bassenge, BGB § 904 Anm. 3 a; Dreher / Tröndle, StGB § 34 Rn. 19. 7 Statt aller Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 34 Rn. 1 i.V.m. Vorbemerkung §§ 32 ff. Rn. 10a; anders aus grundsätzlichen Erwägungen die Theorie von Günther, der hier aber nicht gefolgt wird; vgl. oben Abschn. I I 3. 8 Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 34 Rn. 6. 9 In Abschn. V I I 2 c. Mahlberg

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Eingriffs entfallen läßt und daher den Charakter einer Erlaubnisnorm hat, läßt § 35 StGB die Rechtswidrigkeit eines rechtsverletzenden Eingriffs unberührt. Daß Entschuldigungsgründe aus rechtssystematischen Gründen und unter Berücksichtigung ihrer Wertstruktur nicht als Erlaubnissätze für Eingriffe in Frage kommen, bedarf keiner vertieften Darlegungen. Eine bloß entschuldigte Tat ist rechtlich nicht „gebilligt" - d. h. von vornherein erlaubt - ; sie w i r d nur „nachgesehen" 10 , und zwar aus dem Grundgedanken der Unzumutbarkeit normgerechten Verhaltens 11 . Es liegt auf der Hand 1 2 , daß Entschuldigungsgründe deshalb keine Rechtsgrundlage für jedwedes Eingriffshandeln darstellen können. 3. Vorläufige Festnahme, § 127 I StPO

Als letzte der hier als Jedermann-Notrechte bezeichneten Rechtfertigungsnormen ist § 127 I StPO, das vorläufige Festnahmerecht Privater, zu erwähnen. Auch diese Vorschrift ist als „befugnisverleihender" Rechtfertigungsgrund anerkannt. 13 Sie kommt daher als Eingriffserlaubnisnorm für Private unproblematisch und offensichtlich in Frage. § 127 StPO offenbart ohnehin mit besonderer Deutlichkeit die vom Gesetzgeber tolerierte punktuelle Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols, um Private in die Gemeinschaftsaufgabe der Erhaltung der Rechtsordnung einzubeziehen: Daß jene Norm einzig und allein 1 4 dem öffentlichen Interesse dient, w i r d nicht bestritten 15 . Was Zimmermann 1882 schrieb 16 , hat heute nach wie vor unverändert Geltung: „Die Organe des Staates können nicht überall stets thätig sein, um die Verbrecher zu verfolgen; in dieser Nothlage werden daher alle Staatsbürger ... zur Unterstützung der Behörden im öffentlichen Interesse ermächtigt" 1 7 . 10

Jescheck, Strafrecht AT, S. 385. u Ebd. S. 386. 12 Mißverständlich insoweit Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 68, der im Zusammenhang mit dem Notstand (§ 34 StGB) als „Befugnisnorm" auch ausdrücklich Abwägungsgesichtspunkte des § 35 StGB erörtert. - Eberstein, Rechtsgrundlagen für das Tätigwerden gewerblicher Sicherheitskräfte, BB 1980, 863 (866) zählt § 35 StGB sogar ausdrücklich zu den „Befugnisnormen". Hier wird die Rechtslage offensichtlich verkannt. 13 Vgl. statt aller KK-Meyer, § 127 Rn. 6. Auf die einschränkende Klarstellung bei Ul 2*-Wendisch, StPO § 127 Rn. 2 m.w.N., § 127 StPO begründe keine Eingriffsbefugnis zu präventivpolizeilichen Zwecken, ist unten, im Zusammenhang mit den Einzelbefugnissen aus den Notrechten, noch zurückzukommen. 14 Und nicht, wie die Notwehr, in Konkurrenz mit - freilich zweitrangigen - individuellen Gesichtspunkten. 15 Statt aller Roxin, Strafprozeßrecht, S. 195. 16 Ueber die vorläufige Festnahme durch Private und Wachen, GA 30, 404 (408).

VI. Sonstige, als Eingriffsgrundlage taugliche „Jedermannrechte"

131

Bedenken h i n s i c h t l i c h einer eventuellen Diskrepanz der „Befugnisse" v o n P r i v a t e n einer- u n d Polizeibeamten andererseits stellen sich i m F a l l des § 127 I StPO n i c h t . M a ß n a h m e n a u f g r u n d dieser V o r s c h r i f t s i n d u n s t r e i t i g n a c h Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes v o r z u n e h m e n 1 8 . Insbesondere d ü r f e n E i n g r i f f e n i c h t vorgenommen werden, w e n n sie z u r Bedeut u n g der Sache i n offensichtlichem M i ß v e r h ä l t n i s stehen 1 9 . Daß die Strafrechtswissenschaft dies - i m U n t e r s c h i e d z u § 32 S t G B ohne vertiefte E r ö r t e r u n g e n oder gar Bedenken anerkennt, erscheint z u m i n dest b e m e r k e n s w e r t 2 0 , ist aber v o m Ergebnis her z u begrüßen. B e a c h t l i c h s i n d i n diesem Z u s a m m e n h a n g die A u s f ü h r u n g e n D ü n n e b i e r s 2 1 , die der h i e r vertretenen A r g u m e n t a t i o n h i n s i c h t l i c h der N o t w e h r durchaus entsprechen: „ E r ( n ä m l i c h der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) muß . . . auch gelten, w e n n ein Privater, i m öffentlichen Interesse handelnd, den V o l l z u g eines k ü n f t i g e n H a f t b e f e h l s 2 2 gleichsam v o r w e g n i m m t " . D i e u n m i t t e l b a r e G e l t u n g des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes f ü r P r i v a t h a n d e l n i m öffentl i c h e n Interesse ist h i e r zutreffend k l a r g e s t e l l t 2 3 . Fragen des Umf anges der f ü r p r i v a t e Sicherheitsdienste aus § 127 I StPO abzuleitenden Eingriffsrechte, aber auch Probleme i h r e r A b g r e n z u n g z u 17 Die enge Beziehung zwischen privatem Festnahmerecht und Notwehr bzw. Nothilfe (vergleichbare ratio; ein Eingriff nach § 127 I StPO enthält in der Regel stets Elemente, die aufgrund von § 32 StGB legitimiert sind) zeigt Arzt, Zum privaten Festnahmerecht, FS Kleinknecht, S. 1 (10 f.) auf. 10 Vgl. etwa Roxin, Strafprozeßrecht, S.. 196; LK™-Dünnebier, StPO § 127 Rn. 27. - Anders, aber nicht überzeugend, lediglich Arzt, a.a.O., S. 8 f.: Nicht das Verhältnismäßigkeitsprinzip, sondern die Subsidiarität gegenüber amtlichen Eingriffen beschränke das private Festnahmerecht. - Die angebliche (in Wahrheit jedoch zu verneinende, dazu noch weiter unten) Subsidiarität ersetzt nicht die gebotene materielle Beschränkung des privaten Festnahmerechts. Arzt gelangt zu seinem Ergebnis auch nur durch eine Überinterpretation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Dieser ist, wie unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG ausgeführt (oben Abschn. I I I 2), durchaus erst bei erheblichem und evidentem Mißverhältnis verletzt! 19 Im einzelnen daraus abzuleitende Konsequenzen für den Befugnisumfang werden später erörtert. 20 Eine Begründung hierfür könnte darin gesehen werden, daß § 127 I StPO unstreitig, im Gegensatz zur Notwehr, keine individualrechtliche Komponente aufweist. Eine Ungleichbehandlung gegenüber § 32 StGB ist damit aber nicht hinreichend erklärbar: Wie gesehen, ist auch bei der Notwehr der sozialrechtliche Aspekt der schlechthin dominierende; die überschießende individuelle Komponente allein vermag eine unverhältnismäßige Abwehrreaktion auch nicht zu rechtfertigen. 21 L K 2 3 , StPO § 127 Rn. 27. 22 Zu ergänzen wäre hier wohl noch „bzw. einer künftigen polizeilichen Identitätsfeststellung zum Zwecke der Sicherung der Strafverfolgung", denn auch dies ist ein Festnahmegrund für einen Privaten; auch er dient ausschließlich dem öffentlichen Interesse (vgl. nur Kleinknecht / Meyer, StPO § 127 Rn. 4 f.). 23 Ob deshalb freilich der Ansicht Nauckes, Die Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für § 127 StPO, SchlHA 1966, 97 (101) zuzustimmen ist, die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebotene Abwägung sei überaus schwierig, weshalb Eingriffe nach § 127 I StPO Privaten nur bei besonders schweren Verstößen überhaupt gestattet seien, begegnet durchgreifenden Bedenken; darauf ist im Rahmen der Erörterung des Eingriffsumfanges im einzelnen noch einzugehen.

9*

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

entsprechenden Tätigkeiten der Polizei sollen, wie gesagt, nachfolgend erörtert werden. VII. Gesamtbeurteilung des Tätigwerdens Privater auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 1. Bisheriges Ergebnis

In den bisherigen Untersuchungen dieses Kapitels wurde dargelegt, daß die sogenannten Jedermann-Notrechte auf die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste Anwendung finden und diesen regelrechte Eingriffserlaubnisse gewähren. Das geschieht rechtsdogmatisch aus der Motivation, Gefahren für bedrohte, überragende Rechtsgüter abzuwenden und zur Konsolidierung der Rechtsordnung beizutragen. Mit diesem Resultat kann an die abschließenden Ausführungen des 2. Kapitels wieder angeknüpft werden. Dort wurde die bewußte punktuelle a-priori-Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols dargelegt, um privatem Engagement zum Schutz der Rechtsordnung nach der grundgesetzlichen Konzeption des Subsidiaritätsprinzips und auf der Grundlage der Jedermannrechte Eingriffsmöglichkeiten zu eröffnen. Solche Eingriffsmöglichkeiten stehen auch professionellen privaten Sicherheitswächtern zu, da die Notrechte auch für sie gelten. 2. Abgrenzung zum polizeilichen Tätigkeitsbereich

Diese Erkenntnis nötigt zu einer vertieften Darlegung des Abgrenzungsbereiches zwischen zulässiger privater und notwendig obrigkeitlicher, d. h. durch Polizeikräfte der öffentlichen Hand durchzuführender Gefahrenabwehr. a) Grenzziehung Zur näheren Bestimmung dieses Grenzbereiches kann zunächst auf die einschlägigen Ergebnisse der Untersuchung des 2. Kapitels zurückgegriffen werden. Danach duldet unsere vom Subsidiaritätsprinzip bestimmte Rechtsordnung private Tätigkeit auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im präventiven Bereich, namentlich im Gefahrenvorfeld 1 . Aber auch im Bereich akuter, andauernder Störungen ist private Gefahrenabwehrtätigkeit gestattet: auch sie stellen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar; ihre Bekämpfung enthält, neben dem repressiven Aspekt, gleichzeitig ein präventives Element 2 . 1

Vgl. dazu oben Kap. 2 I I 2 b ee.

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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Gegen dieses Ergebnis gab es in rechtsstaatlicher Hinsicht nichts zu erinnern: Es beruht auf der zutreffenden Anwendung der Jedermann-Notrechte, die das staatliche Gewaltmonopol in rechtsstaatlich unbedenklicher Weise punktuell durchbrechen. Nur, wo sich die Polizei auf ausschließlich sie berechtigende Spezial-Befugnisnormen stützt, lag ausschließlich staatliches, obrigkeitliches Imperium vor 3 . b) Rechtslage im Bereich konkurrierender „Eingriffsbefugnis" privater und öffentlicher

Hand

In jenem allgemeinen, präventiven oder jedenfalls „auch-präventiven" Gefahrenabwehrbereich ist es deswegen berechtigt, von einem überlappenden Kompetenzbereich polizeilicher und privater „Eingriffsbefugnis" zu sprechen. Für diesen Bereich bedarf es eines Eingehens auf die Frage der Konkurrenz beider Tätigkeitsformen. Auch insoweit ist im vorangegangenen Kapitel 2 bereits ein grundlegender Ausgangspunkt hergeleitet worden: Aufgrund des in unserer Verfassung prinzipiell anerkannten Subsidiaritätsgedankens ist es erwünscht, bei überlappenden Kompetenzbereichen staatlicher und privater Hand der privaten Erledigung einer Angelegenheit den Vorzug zu geben4. Das soll nunmehr, nach der Erörterung der als Eingriffsgrundlage bejahten Jedermann-Notrechte, konkretisiert und im Detail beleuchtet werden: Allgemeine Untersuchungen zu jener Problematik finden sich in der Abhandlung von Haas 5 . Seinen Ausführungen kommt das Verdienst zu, nachgewiesen zu haben, daß der praktisch problematische Bereich äußerst klein, nämlich auf diejenigen Fälle reduziert ist, in denen Polizei und private Notwehr-Übende gleichzeitig präsent sind 6 . Insoweit müssen, wie noch auszuführen sein wird, differenzierte Beurteilungen angelegt werden; Haas bemängelt mit Recht, daß im Schrifttum hier nicht mit der erforderlichen Schärfe unterschieden werde. - Im übrigen kommt leider in seiner einschlägigen Untersuchung das - aus verfassungsrechtlicher Sicht in diesem Zusammenhang sich aufdrängende! - Stichwort des Subsidiaritätsprinzips kein einziges Mal vor, so daß schon aus diesem Grunde gegen das von ihm hergeleitete, zu allgemein gehaltene Ergebnis 7 2 Jener Bereich soll im Folgenden vereinfacht mit „auch-präventiv" bezeichnet werden. 3 Vgl. oben Kap. 2 I I 2 b ee. 4 Vgl. Kap. 2 I I 2 b dd. 5 Notwehr und Nothilfe, S. 284 ff.; auf S. 284 und 292 findet sich die - soweit ersichtlich, nach wie vor zutreffende - Feststellung, daß anderweitige Untersuchungen dieser Problematik fehlen. 6 Ebd. S. 291 f. 7 Ebd. S. 297.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

- wenn Polizei präsent ist, darf ein Privater in keinem Fall Notwehr üben - Bedenken anzumelden sind, abgesehen davon, daß dieses Resultat, so generell formuliert, hinsichtlich seiner praktischen Konsequenzen ganz und gar unakzeptabel erscheint. aa) Private Eingriffsrechte bei nichtpräsenter Polizei Aus der Untersuchung auszuscheiden sind zunächst allerdings die Fälle, in denen staatliche, konkret polizeiliche Hilfe im Vorfeld einer Gefahr oder in einer akuten Gefahrensituation nicht präsent ist. Privaten Eingriffen steht hier kein rechtliches Hindernis im Weg. Der Staat ist, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätssatzes, nicht einmal gehalten, für die Präsenz polizeilicher Kräfte in jenem Bereich lückenlos Sorge zu tragen. Er kann - wie oben bereits angedeutet8 - den Bürger zum Selbstschutz anhalten und wird dies ohnehin um so nachdrücklicher tun, als seine notwendig nicht unbegrenzten Polizeikräfte im repressiven Bereich und mit der Ermittlung abgeschlossener Störungs- bzw. Straftatbestände gebunden sind. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden. Auf § 1 I I ME PolG, der die Subsidiarität polizeilichen Eingreifens zum Schutz individueller Rechtsgüter in ausschließlich privatem Interesse statuiert, ist hier erneut 9 hinzuweisen. Für die Fallkonstellationen nichtpräsenter staatlicher Hilfe ist im übrigen noch die Frage zu behandeln, ob namentlich im Fall einer akuten Gefahr eine Rechtspflicht angenommen werden muß, obrigkeitliche Hilfe anzufordern, bevor private Abwehrmaßnahmen eingeleitet werden. Unter Zugrundelegung der oben entwickelten Grundsätze der Subsidiarität staatlichen Handelns gegenüber privater Betätigung ist diese Frage zu verneinen, solange nicht der Bereich ausschließlich repressiver Tätigkeit, die dem obrigkeitlichen Imperium vorbehalten ist, erreicht wird. In rechtlicher Hinsicht ist hier die Grenzlinie zu ziehen; in praktischer Hinsicht wird das, da der Übergang vom „auch-präventiven" zum „nur-repressiven" Bereich fließend ist 1 0 , allerdings dazu führen, bei manifest werdender konkreter Gefahr polizeiliches Einschreiten gerade dann anzufordern, wenn der Gefahrenzustand andauert und längerfristige Maßnahmen - insbesondere rein repressiver Natur wie die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen - geboten sind 11 . 8

Kap. 2 I I 2 b hh. Vgl. schon oben Kap. 2 I I 2 b ee - a. E. 10 Samper, PAG Art. 2 Rn. 3 a. 11 Im Ergebnis stimmt das mit demjenigen Haas', Notwehr und Nothilfe, S. 304, überein, der allerdings als Strafrechtler nicht mit dem Subsidiaritätsgedanken operiert, sondern - m. E. etwas vage - mit praktischen Gesichtspunkten: Im Regelfall werde sich „kaum mit ausreichender Sicherheit von vornherein sagen lassen, ob und wann diese (nämlich polizeiliche) Hilfe zu erreichen ist und dann überhaupt noch ausreichend gewährleistet werden kann. " - Unzutreffend Kay, Einschreiten der Polizei 9

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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Um das an einem konkreten Beispiel, welches u. a. Anlaß zu der vorliegenden Untersuchung war, zu illustrieren: Die routinemäßige Bewachung öffentlicher U-Bahnhöfe kann ohne weiteres privaten Wachdiensten überlassen werden bzw. bleiben. Im Falle einer kurzfristigen Störung - ein Besucher schickt sich an, einem Fahrgast die Tasche zu entreißen - ist es nicht nur praktisch meist ausgeschlossen, sondern auch rechtlich nicht geboten, staatliche Hilfe zum Eingriff anzufordern. Die Jedermann-Notrechte erlauben privaten Wachdienstangehörigen die Unterbindung des gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs. Nach beendetem Angriff ist die Polizei für die weiteren Maßnahmen der Strafverfolgung zuständig. Im Fall einer ersichtlich langfristigen Störung - Gruppen jugendlicher Fußballfans beginnen eine Schlägerei, die zu eskalieren droht - sind private Wächter durchaus berechtigt, in Anwendung der Notrechte die Störung zu unterbinden. Praktisch wird die Anforderung der Polizei aber insbesondere bei sich abzeichnender längerer Dauer der Störung naheliegen, um die Störer sogleich der Strafverfolgung zuzuführen. Die hier entwickelten Abgrenzungsprinzipien lassen einer praktisch handhabbaren Gestaltung der Gefahrenabwehr ohne weiteres Raum. Sie verweisen insbesondere private Wachunternehmen nicht aus einem Tätigkeitsbereich, in dem sie tatsächliche wie rechtliche Existenzberechtigung haben, um staatliche Kräfte nicht unnötig zu binden 12 . Die „übergeordnete" Zuständigkeit der staatlichen Polizei wird im übrigen bei der hier entwickelten Kompetenzlösung nicht tangiert. Aus dem Subsidiaritätsprinzip folgt ja gerade auch, daß die Polizei überall und jederzeit da eingreifen darf und muß, wo die - zulässige - private Abwehrtätigkeit nicht (mehr) zum Ziel gelangt 13 . Eine differenzierte Beurteilung ist selbstverständlich in den Fällen geboten, in denen sich die Herbeirufung der Polizei als das mildere Mittel darstellen würde. Zu denken wäre etwa an Fälle, in denen sich private Bewacher gegenüber einer Überzahl von Störern unverhältnismäßiger Mittel zur Unterbindung der Störung bedienen müßten, während die Polizei in größerer Stärke und mit weniger beeinträchtigenden Abwehrmitteln die Abwehr vornehmen könnte. Angesichts der Bindung der privaten Abwehrrechte an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz würde in derartigen Fällen die Eingriffserlaubnis der Jedermann-Rechte nicht Platz greifen, wobei freilich in die zum Schutz privater Rechte, DP 1981, 369 (375), der ohne nähere Begründung behauptet, vor Inanspruchnahme der Notrechte habe der Private „zu seinem Schutz polizeiliche Hilfe zu verlangen". 12 Diese Erwägungen spielen bereits in den rechtspolitischen Problemkreis hinein, der nachfolgend noch erörtert werden soll, s. unten Abschn. 3. 13 Zutreffend insoweit Amelunxen, Werkschutz und Betriebskriminalität, S. 83.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

erforderliche Abwägung der von Haas 14 erwähnte praktische Gesichtspunkt, ob beim Anruf der Polizei ausreichende Hilfe noch sicher gewährleistet wäre, mit einzubeziehen wäre. Im Zweifel wird auch das dazu führen, privaten Sicherheitsdiensten ein Eingreifen zum Schutz der Rechtsordnung zu gestatten. - Im übrigen handelt es sich insoweit nicht um ein Problem der Subsidiarität, sondern des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Voraussetzung und Maßstab für das Eingreifen einer Private berechtigenden Abwehrerlaubnisnorm 15 . bb) Private Eingriffsrechte bei präsenter Polizei Die eigentlichen „Problemfälle" der Konkurrenz von polizeilichen und privaten Abwehreingriffen sind diejenigen präsenter Polizei bei gleichzeitiger Anwesenheit privater „Nothelfer". Das Ergebnis der Untersuchung von Haas wurde insoweit schon angedeutet 16 ; darauf ist nunmehr zurückzukommen. Haas spricht Privaten in den genannten Fällen jegliche Eingriffsbefugnis ab; er leitet dieses Ergebnis folgendermaßen her 1 7 : Die Sicherstellung der Erhaltung der Rechtsordnung komme - was hier bekanntlich nicht bestritten werden soll, sofern die „letzte Verantwortung", nicht aber ein angebliches Ausführungsmonopol für die Erledigung der Ordnungsaufgaben gemeint ist 1 8 - der Staatsgewalt zu 1 9 . Da die Notwehr bzw. Nothilfe 2 0 denselben rechtsdogmatischen Zweck verfolge, entfalle die materielle Begründung für das Eingreifen der Notwehrwirkungen stets dann, wenn der Staat als berufener Garant der Rechtsordnung präsent und damit selbst in der Lage sei, alleinverantwortlich und mit abschließender Autorität über den Bestand der Rechtsordnung und ihre Wiederherstellung zu entscheiden. Präsente obrigkeitliche Polizei lasse damit die „Konfliktverarbeitung durch Notwehr überflüssig" werden; Notwehr sei dagegen „unmißverständlicher Ausdruck der Tatsache, daß der Staat nicht nur aktue l l . . . sondern auch generell in derartigen Situationen keine Möglichkeit hat zu bestimmen, wie die Rechts- und Friedensordnung aufrechtzuerhalten ist". Sie müsse daher „hier ausgeschlossen sein" 21 . 14

Notwehr und Nothilfe, S. 304; vgl. soeben F N 1. is Zutreffend Haas ebd. S. 291. 16 Soeben bei FN 7. 17 Notwehr und Nothilfe, S. 295 f. ι 8 Insoweit sind die Ausführungen Haas' etwas unklar. Es wurde allerdings schon herausgestellt, daß ein grundlegender Unterschied zwischen der Verantwortung für eine bestimmte Aufgabe und dem oft unzulässigerweise hiermit gleichgesetzten Ausführungsmonopol besteht; siehe dazu vor allem Kap. 2 I I 2 b ff. 19 Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 295. 20 Haas beschränkt seine Untersuchung auf diese Tatbestände.

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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Diese Lösung erscheint auf den ersten Blick folgerichtig und schlüssig. Es erheben sich aber gravierende Bedenken, die am deutlichsten herauszustellen sind, wenn man sich ihre praktischen Konsequenzen an einem Beispielsfall vergegenwärtigt: Nach der dargelegten Ansicht müßte ein tätlich Angegriffener gewissermaßen bewegungslos verharren, wenn sich in unmittelbarer Nähe ein Polizeibeamter befindet. Er wäre gehindert, einen „Überraschungsangriff", gelte er einem nahe dabeistehenden Dritten oder ihm selbst, durch entsprechend schnellen Konter zu parieren. - Daß dieses Ergebnis schon aus praktischen Erwägungen nicht zu befriedigen vermag, liegt auf der Hand 2 2 . Ein erstes rechtliches Bedenken löst Haas selbst auf: Da seine Argumentation alleine auf der ratio der Notwehr aufbaut, paßt sie auf diejenige des Notstandes nicht, dessen rechtfertigende Wirkung nicht wie diejenige der Notwehr auf dem Gesichtspunkt des Schutzes der Rechtsordnung aufbaut. Haas räumt folgerichtig ein 2 3 , sein Ergebnis gelte nicht für den Notstand; dessen Eingriffsbefugnisse blieben privaten Rechtsgutverteidigern auch bei präsenter Polizei erhalten. Das bedeutet in der Praxis eine bedeutsame Stärkung der Rechtsposition privater Bewacher. Ein weiteres, durchgreifendes Bedenken hinsichtlich der Notwehr ist insoweit zu erheben, als Haas unzulässigerweise den überindividuellen Aspekt jenes Instituts als schlechthin einzigen darstellt. Das ist freilich so nicht haltbar. Kommt dem „sozialrechtlichen" Aspekt der Notwehr, wie ausgeführt 24 , auch ein rechtsdogmatisch dominierender Stellenwert zu, so bezweckt grundsätzlich jede Notwehrhandlung auch den Schutz individueller Rechtsgüter eines Angegriffenen. Soweit das der Fall ist, mag im Falle präsenter Polizei der Aspekt des Rechtsordnungsschutzes für den Privaten zurücktreten; das Recht, seine oder eines angegriffenen Dritten individuellen Rechtsgüter vor rechtswidrigen Angriffen zu verteidigen, wird hiervon nicht beeinträchtigt. Das führt zu dem Schluß, daß privaten Bewachern auch bei präsenter Polizei Eingriffe nach Maßgabe und im oben abgesteckten Rahmen der Jedermann-Befugnisnormen rechtlich erlaubt sein müssen. Die Koordination der Abwehrmaßnahmen Privater mit denen herzugerufe21 Haas ebd. S. 297. Im Ergebnis offenbar ebenso L K 10-Spendel, § 32 Rn. 234; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 41. 22 Der Polizeirechtler wird gegen die von Haas entwickelte Ansicht ohnehin sogleich das eher formale „Gegenargument" vorbringen, daß der (präsenten) Polizei hinsichtlich ihres Einschreitens ein Entschließungsermessen zustehe - dies jedenfalls der Standpunkt der h. M.; vgl. statt aller Götz, POR § 4 I I I m. N.; dagegen z. B. Knemeyer, Der Schutz der Allgemeinheit und der individuellen Rechte, W D S t R L 35, 221 (233 ff.); ders., POR Rn. 92 - , diese Unwägbarkeit jedoch nicht notwendig zu Lasten des zur Notwehr gezwungenen - und berechtigten - Angegriffenen gehen dürfe. - Auf den Streit i n der Polizeirechtslehre bezüglich dieses „Entschließungsermessens" soll hier nicht weiter eingegangen werden. 23 Notwehr und Nothilfe, S. 298. 24 Oben Abschn. I I 3.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

ner Polizeibeamter ist damit nichts weiter als ein praktisches Problem, nicht aber ein rechtstheoretisches. Der gedankliche Ansatz, die Durchsetzung von Rechten sei primär Angelegenheit der staatlichen Organe und mache private Notwehr daher bei präsenter Polizei stets unzulässig, ist in dieser Allgemeinheit folglich verfehlt und von manchen heutigen Strafrechtsautoren 25 nicht zutreffend „zu Ende gedacht" 26 . Rechtsdogmatisch besteht nicht nur keine Veranlassung, die Ausübung der Jedermann-Notrechte bei gegenwärtiger staatlicher Hilfe auszuschließen; der Vorrang privater Abwehr rechtswidriger Angriffe ist sogar ausdrücklich zu bejahen, wenn sie sich nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als gleichwertig erweist 27 . c) Materielle Grenze für private Abwehreingriffe (Kreis der zu schützenden Rechtsgüter) Mit den genannten Gesichtspunkten des allgemeinen präventiven bzw. auch-präventiven Gefahrenabwehrbereichs und der Präsenz obrigkeitlicher Hilfe sind allerdings noch nicht alle Aspekte erfaßt, die bei der rechtlichen Gesamtbeurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit aufgrund der Jedermann-Notrechte und ihrer Abgrenzung zum Aufgabenbereich der Polizei zu beachten sind. Es bedarf vielmehr abschließend einer Erörterung der Frage, ob der Kreis der von Privaten zu schützenden Rechtsgüter mit demjenigen identisch ist, dessen Schutz auch Aufgabe der staatlichen Polizei ist oder ob insoweit zu Lasten der privaten Gefahrenabwehrtätigkeit Einschränkungen geboten sind. Die bisherigen Darlegungen haben gezeigt, daß - die tatbestandlichen Voraussetzungen der Notrechte sowie die Einhaltung der hinsichtlich der 25 Heutiger Meinungsstand wiedergegeben bei Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 289 ff.; auf S. 286 - 289 weist er allerdings eingehend nach, daß die frühere Strafrechtslehre durchweg den zutreffenden gegenteiligen Standpunkt einnahm. 26 Das gilt etwa für Lenckner (Schänke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 41), der private Notwehr sogar ausschließen will, wenn polizeiliche Hilfe nicht präsent ist, aber herbeigerufen werden kann (dagegen mit Recht LK 10-Spendel, § 32 Rn. 34). Abgesehen davon, daß diese Auffassung praktisch schon kaum durchführbar sein dürfte, bedeutet sie eine dogmatisch unzutreffende, zu einseitig auf den sozialrechtlichen Aspekt der Notwehr abstellende Einschränkung dieses Rechtsinstitutes, welches die allgemein geltenden Grundsätze des Subsidiaritätsgedankens geradezu i n ihr Gegenteil verkehrt. Ebenso verfehlt Arzt, Notwehr, Selbsthilfe, Bürgerwehr, FS Schaffstein, S. 77 (84). 27 Aus dem Erfordernis der Gleichwertigkeit der Abwehr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes folgt selbstverständlich wiederum, daß private Nothelfer mit „schwerem Geschütz" zurücktreten müssen, wenn anwesende Polizisten mit weniger einschneidenden Abwehrmitteln in der Lage sind, Angriffe von Störern w i r k sam zu parieren. - Im übrigen wird die Frage der Subsidiarität privater gegenüber staatlicher Rechtsdurchsetzung unten, im Zusammenhang mit der Selbsthilfe gem. § 229 BGB erneut aufzugreifen sein.

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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Abwehrhandlung zu beachtenden Grenzen vorausgesetzt - der verbreitete Hinweis auf die Subsidiarität privater gegenüber staatlicher Gefahrenabwehr verfehlt ist. Daraus ist nun freilich nicht der Schluß zu ziehen, jeder Private sei durch jene Vorschriften rechtlich befugt, sich zum „Hilfspolizisten" 2 8 zu machen und als „privater Ordnungshüter" Aufgaben allgemeiner Unrechtsbekämpfung zu erledigen. Der rechtssystematisch zutreffende Ansatzpunkt für eine materielle Kanalisierung und Limitierung privater Gefahrenabwehrtätigkeit ist die in der Notrechtsdogmatik entwickelte Differenzierung notwehrfähiger bzw. notstandsfähiger Rechtsgüter. aa) Notwehrfähige Rechtsgüter Was den Erlaubnistatbestand der Notwehr (bzw. Nothilfe) betrifft, so werden die einschlägigen Probleme regelmäßig unter dem Stichwort „Notwehrfähigkeit von Rechtsgütern der Allgemeinheit" behandelt 29 . Rechtsprechung und Lehre gehen - in beinahe seltener Einmütigkeit konform, daß die private Notwehrbefugnis nur Platz greift, „ ... wenn der Störer ... (ausschließlich oder gleichzeitig)... geschützte Individualinteressen angreift" 3 0 . Das bedarf der Vertiefung: Auf die vorrangige ratio der Notwehrvorschrift als Eingriffserlaubnisnorm zum Schutz der Rechtsordnung wurde bereits eingegangen. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, jedermann seien Abwehreingriffe bereits dann gestattet, wenn sich das Verhalten eines Dritten als allgemeine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Würde die Eingriffsbefugnis der Notwehr diese Tatbestände erfassen, wäre nach der hier entwickelten Auffassung in der Tat eine umfassende Berechtigung Privater zu „öffentlichem" Ordnungsschutz zu bejahen, der gegenüber sogar die Tätigkeit der Polizei 31 als subsidiär zurückzutreten hätte. Einer solch weiten Auslegung des Notwehrrechts sind Rechtsprechung und h. L., beginnend in den 30er Jahren, durch die o. a., einschränkende Auslegung der Norm begegnet. Die hierbei häufig gebrauchte, vereinfachende These, Rechtsgüter „der Allgemeinheit" oder „des Staates" seien nicht notwehr- bzw. -hilfefähig 3 2 , gibt freilich Anlaß zu Bedenken. Bereits das Reichsgericht hatte in einer Entscheidung vom 8. 5.1929 33 Anlaß, hier zu 28

Formulierung von L K 10-Spendel, § 32 Rn. 198. Vgl. etwa die Nachweise bei L K 10-Spendel, § 32 Rn. 198; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 8. 30 So die Formulierung des Leitsatzes der Entscheidung des BGH, NJW 1975, 1161 ff. 31 Wohlgemerkt: nur im präventiven bzw. „auch-präventiven" Bereich! 32 So etwa OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1783 (1784); Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 8. 33 RGSt. 63, 215 (220). 29

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

differenzieren: Auch zugunsten juristischer Personen des öffentlichen Rechts könne u. U. Nothilfe geübt werden, denn auch diese können Träger individueller Rechtsgüter sein. Dem Bestand von Rechtsgütern des Staates habe der Gesetzgeber keinen geringeren Schutz zuteil werden lassen wollen als solchen eines einzelnen Menschen. Die Möglichkeit, daß jeder Private bei einem solchen Angriff „gegen den Staat" zur Nothilfe berechtigt ist, kann man in der Tat „nicht gut bezweifeln" 3 4 . Auch Rechtsgüter, die (nur) dem Staat als Träger der Staatshoheit zustehen, kurz: Rechtsgüter des Staates, sind u. U. nothilfefähig. Treffender und präziser erscheint insoweit die gängige o. a. Einschränkimg, das Notwehrrecht greife stets, aber auch nur dann Platz, wenn durch den Angriff - gelte er gleichzeitig auch einem Rechtsgut der Allgemeinheit, ζ. B. der Ordnung des Straßenverkehrs 35 - auch geschützte Individual-Rechtsgüter bedroht sind 36 . Eine Begründung für diese „griffige" Formulierung, namentlich für die darin liegende Begrenzung des Notwehrrechts, ist freilich nicht ganz einfach. Die übliche Erklärung, die Notwehr sei schließlich „kein allgemeines Unrechtsverhinderungsrecht" 37 ersetzt die Begründung durch eine petitio principii, die zudem mit der unstreitigen Erklärung der Wertstruktur der Notwehr als Instrument zwar nicht zur Verhinderung, jedoch zur Beseitigung von Unrecht, also rechtsordnungswidrigen Zuständen, nur schwer in Einklang zu bringen ist. Auch der weitergehende Hinweis Spendeis, der Erhalt „der Rechtsordnung" sei Sache der öffentlichen Hand 3 8 , vereinfacht, für sich genommen, zu sehr: Wie gezeigt, tritt die Kompetenz des Staates sogar zurück, wenn und soweit Private berechtigterweise im Rahmen der ihnen staatlicherseits eingeräumten Notrechte agieren und damit, jedenfalls auch, die gestörte Rechtsordnung wieder herstellen. Vom Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips her ist es systematisch geboten, durch eine materiellinhaltliche Definition des Notrechtsumfanges die Kompetenz Privater zu umreißen, um anschließend diejenige des Staates im Wege der „Negativselektion" näher bestimmen zu können. Spendel liefert allerdings im Zusammenhang mit der oben zitierten Fundstelle 39 eine materielle Differenzierung, die geeignet ist, den Umfang des Nothilferechts nach sachlichen Kriterien zu bestimmen und seine Anwend-

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Baumann, Notwehr im Straßenverkehr?, NJW 1961, 1745 (1746). Vgl. hierzu Entscheidung des OLG Düsseldorf, NJW 1961,1783, sowie neuestens, OLG Schleswig, NJW 1984, 1470. 36 Im Ergebnis heute nahezu unstreitig. Vgl. statt aller hK 10-Spendel, § 32 Rn. 199 m.w.N. 37 So etwa Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 8. 38 L K "-Spendel, § 32 Rn. 198. 39 ebd. Rn. 197. 35

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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barkeit gerade im Hinblick auf das Tätigwerden professioneller privater Nothelfer in Konkurrenz zu polizeilicher Gefahrenabwehr zu entwickeln: Er unterscheidet, namentlich unter Hinweis auf eine ältere Abhandlung von Schück 40 , zwischen „Rechtsgütern", die regelmäßig notwehrfähig und damit auch dem Schutze durch private Hand zugänglich sind, und „allgemein geschützten Interessen", die - und zwar durch die staatliche Rechtsordnung - erst zu Rechtsgütern erhoben und damit einem bestimmten Träger zuordnungsfähig gemacht werden. Demgemäß sind weder die „Rechtsordnung" als solche noch allgemeine Kategorien wie „die guten Sitten", die Rechtspflege, die Ordnung des Straßenverkehrs etc. Rechtsgüter, die dem Schutz durch private Nothelfer von vornherein unterliegen. Weist die Rechtsordnung jedoch dem Einzelnen bestimmte Interessen individuell zu, läßt sie ihn an einem „allgemeinen Rechtswert" in irgendeiner Weise individuell teilhaben, so ist die Verletzung jener individuellen Komponente ein nothilfefähiger Angriff auf Rechtsgüter, den jeder Private abwehren darf. Ein ähnlicher, etwas abweichend gewichtender Ansatz findet sich in der zitierten Abhandlung von Baumann 41 : Er differenziert zwischen „Rechtsgütern" und „Rechtswerten". Zu den letzteren zähle die „öffentliche Ruhe und Ordnung". Diesen Rechtswert habe der Staat bewußt nicht „spezialisiert" und ihn damit nicht dem Schutz des Einzelnen anheimgegeben, seine Ausgestaltung wie seinen Erhalt vielmehr sich selbst vorbehalten. Da, wo der Staat keine „Spezialisierung" - bzw., wie sinngemäß zutreffend ergänzt werden kann, „Individualisierung" - eines allgemeinen Rechtswertes vorgenommen hat, bleibt ihm allein seine Realisierung und sein Schutz überlassen 42 .

40 Nothilfe Privater zugunsten des Staates, Breslau 1930; hier namentlich S. 18 -23. - Die Erkenntnisse Schücks sind weiterentwickelt bei Sommerfeld, Notwehr zur Verteidigung sämtlicher Rechtsgüter?, S. 73ff., 77 f. und durchgehend. Seine prägnante Differenzierung - Notwehr auch bei Rechtsgütern der Allgemeinheit, soweit der Angriff die „personale Güterwelt" eines Einzelnen tangiert - ist zur Abgrenzung tauglich. Bis zur Untersuchung von Schück wurde im Schrifttum noch die Gegenansicht herrschend vertreten; vgl. namentlich Kurzweg, Über ein Notrecht zur Verteidigung der öffentlichen Ordnung, GA 70, 72 (73 f. und durchgehend), nach dem es „bei näherem Betracht kaum verneint werden (könne), ... daß ... die öffentliche Ordnung zu den wehrfähigen Gütern gehöre". 41 Notwehr im Straßenverkehr?, NJW 1961, 1745 ff. 42 Ebd. S. 1746. - Aus der Sicht der Polizeirechtsdogmatik befriedigt das Beispiel Baumanns nicht ganz, da die terminologische Differenzierung zwischen Rechtsgut und Rechtswert Mißverständnisse aufkommen lassen kann: Es entspricht, wie oben Kap. 2 I I 2 b ee a. E. schon ausgeführt, gefestigter Ansicht, daß gerade der Rechtswert der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung" nicht nur einen kollektivrechtlichen Aspekt enthält, sondern ausdrücklich (§ 11, 2 MEPolG) bestimmte Individualrechtsgüter umfaßt (möglicherweise wählte Baumann deshalb die untechnische Wendung „öffentliche Ruhe und Ordnung"?). Dem Schutz Privater nicht unterstellt ist, um das Beispiel Baumanns präzise zusammenzufassen, die „kollektivrechtliche Seite" des Rechts wertes „öffentliche Sicherheit und Ordnung".

142

3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

D e r entscheidende Gesichtspunkt, auf den B a u m a n n abhebt, ist: E i n a l l gemeiner Rechtswert w i r d erst d a n n z u m n o t w e h r f ä h i g e n Rechtsgut, w e n n i h n der Staat spezialisiert

bzw. individualisiert

und damit

kenntlich

gemacht hat, daß er, der Staat, n i c h t m e h r auf eigener, fremde H i l f e ausschließender T ä t i g k e i t z u r Realisierung jenes Rechtsgutes b e s t e h t 4 3 . D i e Differenzierungsansätze v o n Spendel, Schück u n d B a u m a n n erweisen sich als taugliche, materielle K r i t e r i e n z u r D e f i n i t i o n der hier untersuchten Tatbestandsvoraussetzungen p r i v a t e r N o t h i l f e : D i e D e f i n i t i o n des „Rechtsgutes" als eines i n d i v i d u a l i s i e r t e n Rechtswertes 4 4 schließt die A n w e n d b a r k e i t des Notwehrrechts auf eine reine Ordnungsschutztätigkeit i m K o l l e k t i v interesse aus, da der Staat m i t E i n r ä u m u n g der N o t w e h r einem P r i v a t e n (lediglich) die R e t t i m g bedrohter „Rechtsgüter" gestattet h a t 4 5 . Das A b s t e l l e n w i e d e r u m darauf, was der Staat dem P r i v a t e n z u m eigenv e r a n t w o r t l i c h e n 4 6 Schutz gestattet hat, fügt sich i n die hier e n t w i c k e l t e Z u s t ä n d i g k e i t s v e r t e i l u n g ohne weiteres ein: I m Sektor der öffentlichen Sicherheit u n d O r d n u n g w a r das S u b s i d i a r i t ä t s p r i n z i p i n s o w e i t anzuerkennen, als sich die p r i v a t e n N o t h e l f e r auf die Jedermann-Notrechte de lege l a t a berufen k o n n t e n ; u m g e k e h r t w a r - u n d b l e i b t - ausschließlich staatliche Aufgabe a l l das, was der Staat, ohne d a m i t gegen Rechtspflichten n a m e n t l i c h verfassungsrechtlichen

Ursprungs zu verstoßen, f ü r sich i n

A n s p r u c h n i m m t 4 7 u n d seiner eigenen E r l e d i g u n g vorbehält. D e r Schutz 43 Knemeyer, Der Schutzanspruch im Baurecht, DVB1. 1978, 37 (39 f.) zeigt, allerdings in gänzlich anderem Kontext, auf, daß auch das öffentliche Recht in weiten Bereichen von jener Unterscheidung zwischen bloßen allgemeinen Interessen und individuellen Rechtsgütern bestimmt ist. Er weist dies für den Bereich des Bauordnungsrechts nach: Teilweise dienen dessen Normen ausschließlich dem Schutz der Allgemeinheit; oft sind sie aber „individualisiert", liegen also im Interesse des Einzelnen und begründen einen individuellen Schutzanspruch. Knemeyers Ausführungen widmen sich in diesem Zusammenhang der Frage, ob der Staat (die Verwaltung) zum Schutz dieser individualisierten Rechtsgüter verpflichtet ist; seine Ausführungen sollen daher an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. 44 I. Erg. übereinstimmend Sommerfeld, Notwehr zur Verteidigung sämtl. Rechtsgüter?, S. 83. - Widersprüchlich dagegen Schmidhäuser, Lehrbuch, S. 345, der zwar die „Rechtspflege" zum nothilfefähigen „Rechtsgut" erklärt, im folgenden Absatz aber das Problem anschneidet, wem ein bestimmtes Rechtsgut „zustehe" (letzteres sei unerheblich). - Jenes individualistische Kriterium paßt etwa auf die Rechtspflege nicht, da diese offensichtlich niemandem „zusteht". - Dieser semantische Exkurs dokumentiert die Richtigkeit der Differenzierung von Spendel und Baumann zwischen Rechtswerten und Rechtsgütern. An Schmidhäusers Formulierung anknüpfend, könnte man vereinfachend sagen: Nothilfefähiges Rechtsgut ist eines, welches einem Individuum „zusteht" - und sei dies Individuum auch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. - Beispiel: Das Eigentum der Stadt an einem U-Bahnwagen. Wenn Randalierer sich anschicken, einen solchen zu demolieren, kann an der Berechtigung eines privaten Sicherheitswächters, aufgrund von § 32 StGB diesen Angriff zu beenden, kein Zweifel bestehen. 45 Dies freilich zum Zwecke des Erhalts der (staatlichen) Rechtsordnung, welche jene Güter bzw. Interessen zu individuell zugeordneten Rechtsgütern erhoben hat. 46 D. h.: sein, des Staates Eingreifen nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips sogar ins sekundäre Glied zurücktreten lassenden.

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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angegriffener, bloß kollektiver Rechtswerte im Rahmen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bleibt bei fehlender gleichzeitiger Verletzung individueller Rechtsgüter alleinige Aufgabe des Staates, der seinen zuständigen Organen hierfür obrigkeitliche, nur ihm zur Verfügung stehende 48 Weisungs- und Zwangsrechte bereitstellt 49 . Als „Kehrseite der Medaille" statuiert § 1 I I MEPolG, wie mehrfach festgestellt 50 , von vornherein die Subsidiarität polizeilichen Schutzes privater Individualrechtsgüter insoweit, als dieser nicht auch im öffentlichen Interesse liegt. Selbst, soweit die Verletzung individueller Rechtsgüter gleichzeitig eine Verletzung des „kollektivrechtlichen" Aspektes der öffentlichen Sicherheit darstellt 5 1 ändert sich an der Berechtigung Privater zu Eingriffen aufgrund der Notwehrvorschriften nichts; der Bereich ausschließlichen obrigkeitlichen Imperiums ist insoweit gleichfalls nicht tangiert. Zusammengefaßt: Am zuvor erarbeiteten Kompetenzsystem ändert sich nach dieser Betrachtung nichts; es verbleibt bei der Zulässigkeit privater Gefahrenabwehr aufgrund der Nothilfe. Dem Anwendungsbereich dieser Norm entsprechend 52 , erfaßt diese damit jedoch keine Abwehrtätigkeit gegen Angriffe auf allgemeine Rechtswerte wie die „Rechtsordnung", sondern lediglich die Verteidigung von aufgrund der Rechtsordnung spezialisierten, individuellen Rechtsgütern. bb) Notstandsfähige Rechtsgüter Eine entsprechende Untersuchung ist auch für private Gefahrenabwehrtätigkeit aufgrund der Notstandsvorschriften anzustellen. Wenn der Kreis der „notstandsfähigen Rechtsgüter" identisch ist mit dem der „nothilfefähigen", wäre eine identische Beurteilung der Rechtslage die offensichtliche Konsequenz.

47 So die bereits oben Kap. 2 I I 2, F N 102 zitierte Formulierung von Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, W D S t R L 29, 137 (153). 48 Erinnert sei hier an die zugrunde gelegte, zutreffende Definition Vogels des Begriffs „obrigkeitliches Imperium": Es beruht auf einer ausschließlich öffentlichrechtlichen Befugnis und seine Wirkung hat rechtsgestaltenden Charakter; siehe oben Kap. 2 I I 2 b ee. 49 Gerade diese klare Kompetenztrennung würde verwischt, wenn man dem oben Kap. 2 I I 2 b gg bereits abgelehnten Vorschlag Roßnagels (Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 142) folgen wollte, private Sicherheitsdienste mit obrigkeitlichen Kompetenzen zu beleihen. Eine praktikable Zuständigkeitsabgrenzung wäre dann äußerst problematisch. 50 Oben Kap. 2 I I 2 b ee a. E. sowie Kap. 3 V I I 2 b aa. 51 Das wird bei einer Verletzung der Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit und Freiheit einhellig bejaht; vgl. statt aller Knemeyer, POR Rn. 97. 52 Das gilt für die nach ratio und Wortlaut übereinstimmende Notwehrvorschrift des § 227 BGB in gleicher Weise; vgl. BGH, NJW 1975, 1161.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Aufgrund ihres Wortlautes könnten die Notstandsvorschriften in der Tat so verstanden werden, als seien die dem Schutz Privater anheimgegebenen Rechtsgüter die gleichen wie im Fall der Nothilfe, nämlich Individualrechtsgüter, nicht jedoch allgemeine Rechtswerte. Diese Auslegung läge insbesondere mit Rücksicht auf die in Rechtsprechimg und Lehre ganz einmütig vertretene Ansicht nahe, Privaten dürfe durch keines der JedermannNotrechte, also auch nicht durch die Notstandsvorschriften, die Befugnis zu allgemein-polizeilicher Gefahrenabwehrtätigkeit vermittelt werden 53 . Angesichts dessen überrascht es, festzustellen, daß in Schrifttum und Judikatur von einem abweichenden, umfassenden „Rechtsgut"-Begriff der Notstandsvorschriften ausgegangen wird, der nicht bloß Individualrechtsgüter, sondern auch allgemeine Rechtswerte wie „Sicherheit und Ordnung" 5 4 , „Erhaltung der Wirtschaft und der Lebensmittelversorgung" 55 etc. umfassen soll. Eine Begründung für diese These sucht man freilich stets vergebens; man findet allenfalls die Feststellung, eine der Notwehr entsprechende Einschränkung der erfaßten Rechtsgüter werde „dem Wesen des Notstands nicht gerecht" 56 . Die gleichwohl einhellig gewünschte Ausschließung Privater von allgemeiner Gefahrenabwehrtätigkeit erreicht man über das Tatbestandsmerkmal der „Gebotenheit": Da allgemeine Gefahrenabwehrtätigkeit Sache der staatlichen Polizei sei, sei ein Tätigwerden Privater in jenen Fällen nicht „geboten" und daher nicht durch die Notstandsvorschriften erlaubt 57 . Diese einmütig vertretene Begründung überzeugt freilich in keiner Weise; sie beruht auf einem Zirkelschluß: Wie zuvor dargelegt, trifft die allgemein vorgetragene These vom Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr gerade da nicht zu, wo sich Private in legitimer Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols der ihnen staatlicherseits eingeräumten Abwehrbefugnisse der Jedermann-Notrechte bedienen dürfen; in diesem Bereich ist staatlicher Einsatz subsidiär gegenüber privatem Engagement. Der angebliche Vorrang staatlicher Tätigkeit kann daher als Begründung zur Einschränkung der Notrechte folgerichtig nicht herangezogen werden: Er ergibt sich erst als Konsequenz der Nichtanwendbarkeit des Notstandsrechts.

53

Für die Notstandsvorschriften vgl. statt aller LK 10-Hirsch, § 34 Rn. 23; Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 34 Rn. 10. 54 ζ. B. im Straßenverkehr: vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1970, 674; OLG Koblenz, NJW 1963, 1991; oder Interesse an der Kriminalitätsbekämpfung (! - Rauschgifthandel): BayObLG, NJW 1972, 2275. 55 RGSt. 62, 35 (46); OLG Stuttgart, DRZ 1949, 93. 56 Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 34 Rn. 10. 57 Schönke / Schröder / Lenckner ebd.; L K 10-Hirsch, § 34 Rn. 23; aus der Rechtsprechung sehr nachdrücklich OLG Koblenz, NJW 1963, 1991.

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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Eine der Notwehr entsprechende, einschränkende Auslegung des „Rechtsguts "-Begriffs der Notstandsvorschriften schlägt, soweit ersichtlich als einziger, Hirsch vor 5 8 . Das im Einzelfall betroffene Rechtsgut müsse „klar erfaßbar sein; nicht konkretisierte Allgemeininteressen erfüllen schon nicht die Voraussetzungen eines notstandsfähigen Rechtsgutes. Im Hinblick auf das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr reichen ferner bloß abstrakte Gefährdungen der Allgemeinheit nicht aus, um eine Notstandsbefugnis zu begründen". Individualrechtsgüter blieben andererseits auch dann Individualrechtsgüter, wenn ihr Inhaber der Staat sei 59 . Dieser Auslegung der Notstandsvorschriften ist nachdrücklich zuzustimmen. Es besteht keinerlei Anlaß, den Rechtsgutbegriff der Notstandsvorschriften - also jener Jedermannvorschriften, die zusammen mit der Nothilfe und dem privaten Festnahmerecht den Umfang privater Gefahrenabwehrrechte definieren - weiter auszulegen, als dies für die Nothilfe zutreffend erfolgt ist. Eine Schmälerung des Rechtsgüterschutzes ist mit dieser einschränkenden Auslegung praktisch ohnehin nicht verbunden: Bei Vorliegen eines akuten, konkreten Gefahrenzustandes wird eine Bedrohung individueller Rechtsgüter im Regelfall durchaus anzunehmen sein. In diesem Fall sind Private aufgrund der Jedermann-Notrechte zu Eingriffen befugt; ansonsten ist ihnen eine mit Eingriffen verbundene Gefahrenabwehrtätigkeit versagt. Zur Grenzziehung zum ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der staatlichen Polizei ist die identische Auslegung von Nothilfe- und Notstandsrecht im Hinblick auf die erfaßten Rechtsgüter ebenso unerläßlich wie naheliegend. d) Zusammenfassung Das Verhältnis von privater und polizeilicher Gefahrenabwehrtätigkeit läßt sich damit wie folgt zusammenfassen: Es wurde bereits hergeleitet, daß im präventiven und „auch-präventiven" Bereich eine konkurrierende Zuständigkeit zwischen Gefahrenabwehrtätigkeit der Polizei und der privaten Hand gegeben ist. Aufgrund und im Rahmen der Jedermann-Notrechte stehen Angehörigen privater Sicherheitsdienste hier Eingriffsrechte zu, hinter denen polizeiliche Tätigkeit nur subsidiär entfaltet zu werden braucht. Daraus folgt, daß der Staat insoweit nicht mit staatlicher Polizei allfällige Präsenz zeigen muß, ein „privater Ordnungshüter" andererseits nicht zur Zuhilfenahme obrigkeitlicher Polizei gehalten ist, sofern ausschließlich repressive Tätigkeit nicht entfaltet werden muß. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann er viel58 Ebd. 59 Entsprechend für die Nothilfe soeben Abschn. aa. 10 Mahlberg

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

mehr eigenverantwortlich Gefahrenabwehr besorgen. - Bei präsenter Polizei braucht private Abwehrtätigkeit, die sich im von den Notrechten vorgegebenen Rahmen hält, rechtlich nicht hinter dem Einsatz der Polizei zurückzustehen; Fragen der Koordination bzw. des alleinigen Einsatzes der Polizei sind rein praktischer Natur. In jedem Falle legitimieren die Notrechte Private nur zur Abwehr von Gefahren für Individualrechtsgüter, die freilich auch der öffentlichen Hand zustehen können. Eine „allgemeine Gefahrenabwehrtätigkeit" ist durch die Notrechte nicht gedeckt; hier ist allein die staatliche Polizei aufgrund der ihr vom Staat vorbehaltenen Spezialbefugnisse zu Eingriffen berechtigt.

3. Rechtspolitische Beurteilung dieses Ergebnisses

Gegen die auf den vergangenen Seiten erstmals rechtlich ausführlich fundierte und materiell definierte Tätigkeit Privater auf dem Gefahrenabwehrsektor, namentlich im „öffentlichen" Bereich, haben sich seit Jahren rechtspolitische Bedenken erhoben 60 , an denen die vorstehend hergeleitete Zulässigkeit privater Abwehrtätigkeit schon der Vollständigkeit halber gemessen werden muß. Soweit jene Bedenken ihren Ursprung in einer befürchteten Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols haben 61 , ist dem freilich schon an früherer Stelle 62 mit formalrechtlicher Begründung begegnet worden: Angesichts des Umstandes, daß private Sicherheitsbedienstete ihre umfangreichsten Befugnisse gerade aus vom Gesetzgeber bewußt vorgenommenen Durchbrechungen des staatlichen Gewaltmonopols in Gestalt der Notrechte schöpfen, liegt ein rechtsstaatlich bedenklicher Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol nicht vor. Nun könnte in rechtspolitischer Hinsicht weiter gefragt werden, ob derartige „Durchbrechungen" des staatlichen Gewaltmonopols, die auch professionelle Ordnungsschützer erfassen, de lege ferenda zu tolerieren sind, führen sie doch nach dem oben Dargelegten in einem durchaus beträchtlichen Umfang zu überlappender, konkurrierender Zuständigkeit Privater und des 60 Zitiert seien als repräsentative Auswahl: Ho ff mann-Riem, Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (278 f. und durchgehend); Kunz, Die organisierte Nothilfe, ZStrW 95, 973 (975 f.; 978 und durchgehend); Arzt, Notwehr, Selbsthilfe, Bürgerwehr, FS Schaffstein, S. 77 (88 und durchgehend); Stacharowsky, Private Sicherungsdienste, KrimJournal 1985, 228 (237 f. und durchgehend); zurückhaltender Jakobs, Strafrecht AT, S. 327 (FN 80); Bericht B M I 1982, 16 ff.; Schaffstein, Die strafrechtlichen Notrechte des Staates, Gedächtnisschrift Schröder, S. 97 (100 f.); zur allgemeinen rechtspolitischen Diskussion um das Thema „private Gewalt" auch Isensee, Die Friedenspflicht des Bürgers und das Gewaltmonopol des Staates, FS Eichenberger, S. 23 ff. 61 Dies namentlich die Tendenz bei Hoffmann-Riem und Arzt ebd. 62 Oben Kap. 2 I I I 1 b.

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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Staates zur Gefahrenabwehr, dies sogar mit der Maßgabe der bloß subsidiären Kompetenz staatlicher Kräfte im Anwendungsbereich der Notrechte. Dieser Ansicht sind im Ergebnis alle soeben zitierten Autoren, die in jener Konkurrenz privaten Ordnungsschutzes mit der Tätigkeit staatlicher Polizei aus mannigfachen Gründen eine Gefahr sehen: Hoffmann-Riem 63 befürchtet im Bereich der Konkurrenz von privater und staatlicher Gefahrenabwehr eine Zunahme des Einsatzes privater Kräfte und eine schwindende Effizienz staatlicher Polizeiarbeit. Unter Verweis auf eine soziologische Studie von Arzt 6 4 warnt er vor einer drohenden „Reprivatisierung" der Verbrechensbekämpfung 65 und vor einem künstlich geschürten „Angstmarkt", der einen immer lauter werdenden Ruf nach „Recht und Ordnung" bedinge 66 . Im weiteren Verlauf wird er dann noch „deutlicher": Jene künstliche (?) Verbreitung des Gefühls von Unsicherheit verweise „den Bürger auf die Vermeidung von Risiken und damit generell auf die Erhaltung des Bestehenden". Sie ziele „auf eine möglichst kritiklose Folgebereitschaft und damit eher auf die Abwehr als die Förderung von Innovationsbereitschaft oder gar gesellschaftlichen Reformen" 67 . Als Alternative schlägt er freilich nicht einen verstärkten Ausbau der Polizei vor, sondern „andere Vorkehrungen zur Kriminalitätsbekämpfung, wie die Verminderung der Arbeitslosigkeit, die Verbesserung von Entfaltungschancen, die Mäßigung der für viele gegenwärtig kaum widerstehlichen Konsumanreize, den Abbau von Diskriminierungen und die Ermöglichung von Resozialisierung" 68 . Die Auseinandersetzung mit manchen dieser Thesen muß hier unterbleiben: Zu eindeutig dominieren dort einerseits allgemein- statt rechtspolitische Erwägungen, zu vage sind andererseits die angeblichen Beziehungen zwischen der Tätigkeit privater Sicherheitsdienste und den nach Ansicht des Autors daraus drohenden Konsequenzen aufgezeigt, geschweige denn nachgewiesen. Soweit Hoffmann-Riem in wünschenswerter Nähe zum rechtspolitischen zentralen und einzig bedeutsamen Gesichtspunkt, der Sicherheitsgewährleistung ohne staatlichen Polizeieinsatz verbleibt, sind sachliche Argumente in seiner Abhandlung zu vermissen. Eine polemische Diffamierung des Wunschzustandes von „Recht und Ordnung" kann als überzeugendes Argument gegen gefahrenabwehrende Tätigkeit gleich welcher Seite - ob staatlicher oder privater Hand - zweifellos nicht dienen 69 .

63

Ebd. S. 278. Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 39 und durchgehend. 65 Hoffmann-Riem ebd. 66 Ebd. S. 279. ®7 Ebd. 68 Ebd. S. 284. 64

10'

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Der Beitrag Stacharowskys 70 erschöpft sich im wesentlichen in einer Wiederholung der von Hoffmann-Riem vorgebrachten Gesichtspunkte. Auch er warnt, als Zentralpunkt seiner Kritik, davor, ein Anwachsen privater Sicherheitsdienste könne den Einsatz der Polizei teilweise überflüssig machen und durch rechtlich nicht „eingebundene" Eingriffe Privater ersetzen. Rechtlich ist, wie gezeigt, jenes Argument nicht zu halten: Auch der Eingriff Privater aufgrund der Notrechte ist durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden und dem Erhalt der Rechtsordnung, d. h. dem auf dem verfassungsmäßigen, auf demokratischem Konsens beruhenden Wertsystem des Gemeinwesens verpflichtet. Arzt und Kunz malen in ihren Beiträgen aufgrund der Zunahme privater Gefahrenabwehr geradezu düstere Schreckensbilder. Arzt befürchtet, am Ende der Entwicklung stehe eine ungezügelte Lynchjustiz, der der Staat durch eine „drastische Beschränkung der Selbsthilferechte" Einhalt gebieten müsse 71 . - Kunz sieht - weil „nur der Staat die gesetzmäßige Gewaltanwendung garantieren" könne - eine Welle „organisierter, privater, physisch-gewaltsamer Rechtsdurchsetzung" auf uns zukommen. Diese führe ins „Chaos" und sei „gesellschaftlich desintegrierend. Bürgerwehrähnliche Zusammenschlüsse im Binnenbereich und ... Selbstwehrmentalität" schürten „gegenseitiges Mißtrauen, ... eigennutzorientiertes Verhalten und begünstigten das Klima latenter Gewaltanwendung". Das gefährde eine „offene Gesellschaft, die auf Friedfertigkeit und Verständigungsbereitschaft im mitmenschlichen Umgang setzt" 7 2 . Auch diesen Darlegungen ließe sich entgegenhalten, daß es ihnen an der gebotenen Verdeutlichung ermangele, auf welche konkreten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkte sich die geäußerten Befürchtungen hinsichtlich der weiteren Entwicklung stützen. Mit Schwabe 73 könnte lapidar festgestellt werden, daß die derzeitige tatsächliche Entwicklung keinerlei Anlaß zu irgendwelchen Beanstandungen hinsichtlich der Tätigkeit privater Sicherheitsdienste gegeben hat, die auch nur andeutungsweise in die Richtung derartiger von Arzt und Kunz beschworener Notstände gewiesen hätten 74 . 69 Schwabe, Private Sicherheitskräfte, ZRP 1978, 165 ff., erspart sich in seiner Erwiderung auf Hoffmann-Riem, m. E. zu Recht, völlig ein näheres Eingehen auf die zitierten „Argumente" Hoffmann-Riems. - Eine sehr pointierte K r i t i k an der - auch aus einigen der zitierten Schriften hervorgehenden - „Verspottung einer law-andorder-Mentalität" auch bei Merten, Rechtsstaatsdämmerung, FS Samper, S. 35 (48); ebenso Dürig in Maunz / Dürig, GG Art. 3 I I I Rn. 129. 70 Private Sicherungsdienste, K r i m Journal 1985, 228 (2 32 und durchgehend). 71 Notwehr, Selbsthilfe, Bürgerwehr, FS Schaffstein, S. 77 (88). 72 Die organisierte Nothilfe, ZStrW 95, 973 (975 und 978). 73 Private Sicherheitskräfte, ZRP 1978, 165 (167). 74 Ein Befund, den auch der BMI, Bericht 1982, 19 f.; Eberstein, Rechtsgrundlagen für das Tätigwerden von gewerblichen Sicherheitskräften, BB 1980, 863 (867 f.) und Hammacher, Betrieblicher Werkschutz, PFA 1980, 59, teilen.

VII. Globale Beurteilung privater Gefahrenabwehrtätigkeit

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Bei der Suche nach rechtlichen Anhaltspunkten für die prognostizierte Fehlentwicklung ist übereinstimmend in beiden Beiträgen denn auch nur die von den Autoren gesetzte Prämisse auszumachen, Eingriffsrechte Privater seien „nicht eingebunden" und nicht dem Übermaßverbot bzw. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen - ein, wie gezeigt, rechtlich verfehlter Ausgangspunkt 75 . Soweit einzelne Autoren allgemein von exzedierender, den Rechtsstaat schwächender, unlegitimierter und unkontrollierter Bürgergewalt warnen 76 , ist dem zweifellos mit Nachdruck zuzustimmen. Vom Ansatz her verfehlt ist es hingegen, mit denselben Attributen die der Rechtsordnung verpflichtete und ihren Wertmaßstäben unterworfene Ordnungsschutztätigkeit privater Sicherheitsdienste zu versehen. Diese Tätigkeit wendet sich von ihrem Selbstverständnis nicht gegen die aktuelle Rechtsordnung, die es zu überwinden gelte 77 - sie dient ihrem Erhalt. Sie ist nicht revolutionierend, sondern konservierend 78 und verdient insoweit eine differenzierte Beurteilung. A l l jenen wiedergegebenen, durchaus wenig realistisch anmutenden, entweder auf rechtlich falschen Prämissen beruhenden oder politisch überpointierten und daher der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht zugänglichen Bedenken sind demgegenüber Erwägungen entgegenzuhalten, die das hier vertretene rechtliche Ergebnis auch in rechtspolitischer Hinsicht stützen: Der Verfasser vermag sich nicht der These anzuschließen, ein „Mehr" an Sicherheit i. S. eines „Weniger" an rechtsordnungswidrigen Übergriffen gegen geschützte Rechtsgüter sei ein politisch unerwünschter Zustand; das Gegenteil legt er vielmehr seiner politischen Gesamtbewertung der Sachund Rechtslage zugrunde 79 . Mit Recht qualifiziert Schaffstein jenes Sicherheitsbedürfnis als eines der „elementarsten Bedürfnisse" der Bürger 80 . De 75 Und eine rechtspolitisch bedauerliche Konsequenz der herrschenden Strafrechtslehre, die Notwehr gestatte un verhältnismäßige Eingriffe! 76 Zitiert seien als Auswahl: Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 46; ders., Rechtsstaatsdämmerung, FS Samper, S. 35 ff.; Isensee, Die Friedenspflicht des Bürgers und das Gewaltmonopol des Staates, FS Eichenberger, S. 23. 77 Vgl. etwa Merten, FS Samper, S. 42, 44 f. und durchgehend m. N. (insbesondere zum Thema der „Überwindung der strukturellen Gewalt der herrschenden Machtverhältnisse"). 78 Mit jener Antithese nimmt Merten eine anschauliche Differenzierung rechtsstaatswidriger Privatgewalt vom grundgesetzlich garantierten Widerstandsrecht vor; ebd. S. 42. 79 Im gleichen Sinne die schon oben F N 69 zitierte K r i t i k Mertens und Dürigs an einer Verspottung der „law-and-order-Mentalität". 80 Schaffstein, Die strafrechtlichen Notrechte des Staates, Gedächtnisschrift Schröder, S. 97 (102 f.). - Haas, Notwehr und Nothilfe, S. 218 zitiert in diesem Zusammenhang eine soziologische Untersuchung von Gehlen - Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957, S. 15 - : Der Mensch habe ein „instinktähnliches Bedürfnis nach Umweltstabilität".

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

lege ferenda ist es abzulehnen und nicht vertretbar, jenes menschliche Urbedürfnis nach Sicherheit zu konterkarieren und rechtlich abgesicherte Möglichkeiten seiner Durchsetzung nicht wahrzunehmen bzw. abzuschaffen. Wegen der Einbindung privater Rechtsdurchsetzung aufgrund der staatlicherseits gewährten Jedermannrechte in die Wertorientierung der gesamten Rechtsordnung ist ihre Konkurrenz zu staatlicher Gefahrenabwehrtätigkeit rechtspolitisch zu begrüßen. Zum einen wäre es nicht vertretbar, Private von der Gefahrenabwehr auszuschließen, wo der Staat jener Aufgabe, aus welchem Grund auch immer, nicht nachkommen kann 8 1 . Zum anderen würde ein abweichendes Resultat, im Gegensatz zu den nicht näher fundierten Vorstellungen Hoffmann-Riems 82 , zwingend eine erhebliche Erweiterimg des polizeilichen Personalbestandes bedingen 83 . In seinem Bericht reflektiert der BMI mit Recht die Frage, ob jene „dann notwendig verstärkt sichtbare Polizeipräsenz politisch wünschenswert wäre" 8 4 . Angesichts des heute rasch erhobenen Vorwurfs vom „Polizeistaat" 8 5 wird man jener Alternative aus rechtspolitischen Gründen keineswegs den Vorzug größerer Akzeptanz seitens der Bevölkerung bescheinigen können, wobei die finanziellen Konsequenzen für den staatlichen Haushalt hier gar nicht vertieft werden sollen 86 . Zusammengefaßt ist jedenfalls die Feststellung erlaubt, daß die gegen private Gefahrenabwehr geäußerten rechtspolitischen Bedenken durchweg der nachvollziehbaren Grundlage entbehren, daß vielmehr im Gegenteil dominierende rechtspolitische Erwägungen das vorstehend hergeleitete Ergebnis rechtfertigen und unterstützen.

VIII. Eingriffsberechtigungen aufgrund der Jedermann-Notrechte im einzelnen Die vorstehenden grundsätzlichen Ausführungen zu Fragen der Eingrenzung und des Eingriffsumfanges privater Gefahrenabwehrmaßnahmen aufgrund der Jedermannrechte sind abschließend durch einige spezielle Unter81 So mit Recht Schaffstein ebd. S. 103; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56. S2 Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (284). 83 Vgl. hierzu oben Kap. 11 6 und Kap. 2 I I I 1 b. 84 Bericht B M I 1982, 20. 85 Merten, Rechtsstaatsdämmerung, FS Samper, S. 35 (44) konstatiert beispielsweise eine heute verbreitete „Diffamierung der staatlichen Gewalt als ,polizeistaatlich'". 86 Jeder zusätzlich eingestellte Polizeibeamte verursacht dem Staat einmalige Ausbildungskosten von ca. 120 000 D M sowie durchschnittliche jährliche Personalkosten von ca. 38 000 D M (Vergütungsgruppe A 8/A 9 BBesG; Stand 1982); vgl. Bericht B M I 1982, S. 20.

VIII. Eingriffsberechtigungen aufgrund der Notrechte im einzelnen

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suchungen zu einzelnen „Befugnissen" der jeweiligen Erlaubnisnormen zu ergänzen. 1. Notwehr bzw. Nothilfe

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung besteht kein Anlaß, auf Einzelbefugnisse aufgrund der Nothilfevorschrift vertieft einzugehen; insoweit ergeben sich keine besonderen Probleme. Sie erlaubt die gewaltsame Abwehr eines gegenwärtigen (d. h. unmittelbar bevorstehenden, begonnenen bzw. noch fortdauernden), rechtswidrigen (also namentlich nicht seinerseits durch eine Rechtfertigungsnorm gedeckten) Angriffs 1 . Hinsichtlich der Abwehr, d. h. der endgültigen Beendigung des Angriffs sind praktisch diverse Möglichkeiten denkbar. Einwirkungen auf das „Angriffsmittel" bzw. -Werkzeug sind ebenso von der Erlaubnis der Notwehrvorschrift erfaßt wie Einwirkungen auf den Angreifenden selbst. Einwirkungen auf unbeteiligte Dritte sind hingegen von der Notwehrvorschrift nicht gedeckt 2 . Es ist allerdings wiederholend nochmals darauf hinzuweisen, daß der herrschenden Meinung nicht zuzustimmen ist, soweit diese die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Ausübung des Notwehrrechts bestreitet. Auch zwischen den betroffenen Rechtsgütern darf bei zutreffender Auslegung des Notwehrrechtes kein unzumutbares 3 , evidentes Mißverhältnis bestehen; entgegen der h. M. ist daher auch insoweit eine Güterabwägung vorzunehmen. Daß jene Abwägung in gewissem Maße Wertungssache ist, die sich einer schablonenhaft-generellen ebenso wie einer kasuistisch differenzierten Katalogisierung entzieht, ist ein in einer grundsätzlichen rechtswissenschaftlichen Untersuchung hinzunehmendes Faktum - allerdings keine Besonderheit des hier vorgeschlagenen Lösungsweges! Auch die h. M. kommt nicht ohne derartige wertende Beurteilung dessen, was „Mißbrauch der Notwehr" ist, aus4. 1 Vgl. insoweit statt aller die kurze, mit Beispielen versehene Darstellung bei Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 67 f. mit Verweis auf die einschlägige Kommentarliteratur. 2 Hierzu eingehend LK 10-Spendel, § 32 Rn. 204 ff.; 210 ff. 3 Nur im Falle der Unzumutbarkeit hat das BVerfG einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angenommen; darauf ist nochmals hinzuweisen. Vgl. statt aller Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, AöR 98, 568 (575), dort F N 33 m. zahlreichen Ν. 4 Ohne eine solche Wertung ist im Ergebnis kein Notwehrfall zu lösen; vgl. die Zusammenfassung aller diskutierten Notwehreinschränkungen bei Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 46. Auch die von Spendel allein zugelassenen Einschränkungen („wegen völliger UnVerhältnismäßigkeit der betroffenen Güter") las-

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Für die h. M. ergibt sich sogar noch die zusätzliche Schwierigkeit, daß das „Mißbrauchskriterium" ein überflüssigerweise speziell in der NotwehrDogmatik entwickeltes ist, während der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit - etwa in der Rechtsprechung des BVerfG - bereits eine brauchbare Konkretisierung und Schematisierung erfahren hat. Gerade der vom BVerfG eingeführte Gesichtspunkt der Evidenz eines besonderen Mißverhältnisses macht die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Handhabung der Notrechte durchaus praktikabel. Einerseits kann in das flexible Abwägungssystem der Einzelfallwertung für professionelle, auf Gefahrsituationen geschulte Nothelfer problemlos ein höherer Sorgfaltsmaßstab eingeführt werden; andererseits nimmt das Merkmal der Offensichtlichkeit des Mißverhältnisses der Notwehr praktisch nichts von ihrer stets verlangten 5 „Schneidigkeit" und praktischen Effizienz. In Notsituationen, in denen schnelle Reaktion vonnöten ist, mag gerade das Evidenzkriterium die Beurteilung zugunsten einer Erweiterung der Nothilfeberechtigungen verschieben, um im Ergebnis den wirksamen Schutz der widerrechtlich angegriffenen Rechtsordnung zu gewährleisten. Angesichts der stark von einer Wertung abhängigen Gesamtbeurteilung der Notwehrberechtigungen bestehen gegen jede Schematisierung der Betrachtungsweise prinzipielle Bedenken. So verbietet sich die schlagwortartige Höherbewertung des Rechtsgutes der körperlichen Integrität über den Wert von Sachgütern von vornherein. Einem Räuber, der einem U Bahn-Fahrgast soeben die Tasche entrissen hat, darf sich ein privater Wächter entgegenstellen und seinen Widerstand mittels eines gezielten Fausthiebes brechen: Ein derartiges Verhalten würde, am Maßstab eines „unerträglichen Mißverhältnisses" der betroffenen Rechtsgüter gemessen, nicht als rechtswidrig zu qualifizieren sein. Dieselbe Reaktion auf den Versuch eines Fahrgastes, ohne Fahrschein die Bahnsteigsperre zu überwinden, würde hingegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz offensichtlich verletzen.

sen sich m. E. ohne weiteres als Konkretisierungen des zutreffend ausgelegten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstehen. - Bei einigen seiner in L K 1 0 § 32 Rn. 317 auf gelisteten Beispielen mißbräuchlicher Nothilfe ist i. ü. z.T. das von ihm geforderte „krasse, unerträgliche, außergewöhnliche und völlig maßlose" (Rn. 318) Mißverhältnis sicher problemlos zu bejahen (ζ. B. Erschießen eines Menschen wegen Diebstahls einer Sirupflasche von 10 Pfg. Wert); bei anderen bestehen dagegen m. E. erhebliche Zweifel (ζ. B. dichtes Auffahren zur Erzwingung des rechtswidrig verhinderten Überholens). Als Fazit wird auch Spendel einräumen müssen, daß jede Entscheidung Ergebnis einer umfassend abwägenden Wertung ist. 5 Vgl. nur Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 1 m. N.

VIII. Eingriffsberechtigungen aufgrund der Notrechte im einzelnen

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2. Notstands Vorschriften

Auch in bezug auf die Notstandsvorschriften erübrigt sich eine eingehende Erörterung der Eingriffsrechte im Detail 6 . Das sich im Zusammenhang mit der Anwendung der Notstands Vorschriften auf gefahrenabwehrende Tätigkeit privater Sicherheitsdienste vorrangig stellende Rechtsproblem ist oben schon erörtert worden: Danach ist Privaten ein Eingriff in fremde Rechtsgüter in einer Gefahrenlage nur dann erlaubt, wenn die Gefahr Individualrechtsgütern droht, nicht jedoch schon bei einer „allgemeinen" Gefahr für die kollektivrechtliche Komponente des Rechtswertes „öffentliche Sicherheit und Ordnung". Sind demgegenüber notstandsfähige Individualrechtsgüter betroffen, so dürfen Private zu deren Schutz Eingriffe in andere Rechtsgüter - unbeteiligte oder diejenigen, von denen die Gefahr ausgeht - nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vornehmen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bestehen insoweit keine Besonderheiten, auf die vertieft einzugehen wäre. Hirsch 7 formuliert i n diesem Zusammenhang: Bei Umschlagen einer „abstrakten Gefahr in eine konkrete" werden „vielfach Individualrechtsgüter betroffen sein". Die Verwendung der Termini „abstrakte" und „konkrete" Gefahr befriedigt aus polizeirechtlicher Sicht nicht; denn diese feststehenden Begriffe sind für abweichende Tatbestände bzw. rechtliche Zusammenhänge „belegt" 8 und dürfen nicht mit den Kategorien des „strafrechtlichen" abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikts verwechselt werden. - Gemeint ist hier offensichtlich: Bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung werden - neben deren kollektiv-rechtlichem Aspekt - häufig Individualrechtsgüter mit gefährdet sein; dem ist freilich zuzustimmen. 3. Festnahmerecht

Nähere Betrachtung verdienen die einzelnen Erlaubnisse, die sich aus dem privaten Festnahmerecht gem. § 127 I StPO für Angehörige privater Sicherheitsdienste ergeben. In der Praxis ist gerade jener Gestattungsnorm entscheidende Bedeutung beizumessen. Da die „Befugnis" Privater im Rahmen der Jedermann-Notrechte den ausschließlich repressiven Bereich nicht mehr erfaßt, ist der strafverfolgungssichernde Aspekt der privaten Festnahme für private Ordnungsschützer von besonderer Relevanz. Dies gilt ins6

Verwiesen sei wiederum auf die anschauliche, mit Beispielen versehene Zusammenstellung bei Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 68 ff., mit Verweisen auf einschlägige Kommentare. 7 L K 1 0 § 34 Rn. 23. 8 Vgl. statt aller Knemeyer, POR Rn. 62 ff.; Götz, POR Rn. 119 f.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

besondere im Hinblick darauf, daß sich das Festhalten eines auf frischer Tat betroffenen Delinquenten, um ihn der ordnungsgemäßen Strafverfolgung zuzuführen, in zahlreichen Fällen als das mildeste und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes daher einzig gerechtfertigte Mittel erweisen wird, so daß das Eingriffsrecht des § 127 I StPO gerade für die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste häufig in Frage kommen wird 9 . I m Hinblick auf ihre praktische Relevanz für die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste ist auf vier spezielle Rechtsprobleme einzugehen, die im Zusammenhang mit § 127 StPO diskutiert werden: a) Verdachtsgrad Honigl 1 0 schließt sich - ohne sich freilich mit der Gegenansicht auseinanderzusetzen - der Ansicht an, die Festnahme wegen Betreffens auf frischer Tat sei nur bei Sicherheit der Täterschaft erlaubt 11 . Eine - auf den ersten Blick durchaus schlüssige - Begründimg findet man nur bei Eb. Schmidt: „Wer nicht wirklich sicher ist, daß der andere wirklich eine Straftat verübt hat, soll des anderen Freiheit nicht antasten, sondern alles Erforderliche den staatlichen Behörden überlassen" 12 . Mit Recht sind ein namhafter Teil des Schrifttums 13 und seit neuerem auch der B G H 1 4 dieser Ansicht entgegengetreten, und zwar ausgehend von praktischen Erwägungen: Das Abstellen auf die Sicherheit der Täterschaft sei „schlechthin unrealistisch ... Der Augenschein kann stets täuschen; was als rechtswidrige Tat erscheint, kann einen, dem Beobachter unbekannten, Rechtfertigungsgrund haben" 1 5 . Das Festnahmerecht - welches der Festnehmende im Interesse einer wirksamen Strafverfolgung und damit im öffentlichen Interesse erfüllt - liefe bei Zugrundelegung der hier verworfenen Tatsicherheitstheorie praktisch leer, weil mit Recht niemand das Risiko einer Festnahme nach § 127 I StPO auf sich nehmen würde, wo er den - subjektiven, möglicherweise fehlerhaften 9 Arzt, Zum privaten Festnahmerecht, FS Kleinknecht, S. 1 (10) weist freilich mit Recht darauf hin, daß im Rahmen der praktischen Anwendung innerhalb einer „Festhalteaktion" eines Privaten aufgrund von § 127 I StPO die Überwindung physischen Widerstandes durch gewaltsame Reaktionen nach Maßgabe der Notwehrvorschrift zu beurteilen ist und §§ 127 StPO und 32 StGB oft zusammenwirken. 10 Tätigwerden von Privaten, S. 70. 11 So aus der Rechtsprechung etwa OLG Hamm, NJW 1972, 1826; im Schrifttum namentlich Eb. Schmidt, StPO Nachtrag I Rn. 8; Kleinknecht / Meyer, StPO § 127 Rn. 8. 12 Eb. Schmidt ebd. 13 Vgl. etwa KK-Boujong, § 127 Rn. 9; LB.2*-Wendisch, StPO § 127 Rn. 9 f.; Roxin, Strafprozeßrecht, S. 195. 14 NJW 1981, 745. 15 Wendisch ebd. Rn. 9.

VIII. Eingriffsberechtigungen aufgrund der Notrechte im e i n z e l n e n 1 5 5

Eindruck hat, der von ihm Betroffene sei ein Rechtsbrecher. Da die Festnahmeberechtigung des § 127 StPO „an die sichtbare Tat knüpft" 1 6 , ist es rechtlich hinreichend und rechtspolitisch geboten, für das Festnahmerecht den sich aus dem 17 erkennbaren Geschehen ergebenden dringenden Tatverdacht ausreichen und die Eingriffserlaubnis daher ex post auch dann nicht entfallen zu lassen, wenn sich bei der nachfolgenden Überprüfung der ursprüngliche Tatverdacht nicht erhärten sollte. b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Auch das private Festnahmerecht untersteht, nahezu unstreitig 18 , dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Festnahme selbst und die Festnahmemittel dürfen daher zur Bedeutung der entdeckten Tat und dem Zweck der Festnahme 19 nicht unzumutbar und evident außer Verhältnis stehen; insbesondere ist auf die Festnahme ganz zu verzichten, wenn der angetrebte Zweck z. B. der Identitätsfeststellung zweifelsfrei auf weniger einschneidendem Wege erreicht werden kann. Naucke zieht aus der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für das Festnahmerecht weitgehende Schlüsse 20 : Da es einem Privaten praktisch ausgeschlossen sei, ein zutreffendes Urteil hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit einer Festnahme zu fällen, sei das private Festnahmerecht praktisch nur auf die Fälle anwendbar, in denen „an der Verhältnismäßigkeit der Festnahme kein Zweifel besteht, also auf die Gewaltdelikte gegen Leben, Gesundheit und Freiheit der Person Die vereinzelt gebliebene Auffassung Nauckes ist abzulehnen. Sie stellt, wie aus dem Zusammenhang seiner Ausführungen erhellt, zu einseitig auf den „haftbefehlsvorbereitenden" Aspekt der Festnahme ab und überträgt unzulässigerweise dessen Verhältnismäßigkeitserfordernisse auf diejenigen der privaten Festnahme. Auch die bloße Identitätsfeststellung ist hingegen Festnahmegrund des § 127 I StPO und kann im übrigen Strafverfolgungserfordernissen völlig genügen; die bloße vorübergehende Festnahme zu ihrer Ermöglichung wiegt weit weniger schwer und ist daher auch anläßlich geringfügigerer Delikte erlaubt.

16

Ebd. Rn. 10. Mit allen denkbaren subjektiven Fehlerquellen. 18 Anders nur Arzt, Zum privaten Festnahmerecht, FS Kleinknecht, S. 1 (8 f.); dazu bereits oben Abschn. V I 3. 19 Als Festnahmegründe nennt § 127 die Fluchtgefahr und die Feststellung der Identität des Betroffenen. 20 Die Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für § 127 StPO, SchlHA 1966, 97 (101). 17

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

c) Festnahme nicht nur durch den Tatentdecker Von besonderer Relevanz für die Tätigkeit privater Sicherheitsbediensteter ist der - übrigens unstreitige und daher hier nur kurz zu erwähnende Umstand, daß eine Festnahme von § 127 I StPO nicht nur demjenigen erlaubt ist, der eine Tat entdeckt, sondern auch dem, der von ihr gehört hat 2 1 . Ein privater Ordnungshüter darf also einen mit einer soeben entrissenen Tasche flüchtenden Räuber verfolgen und festnehmen, auch wenn er erst durch Hilferufe des Beraubten auf die Tat aufmerksam wurde. d) Einzelheiten zur Identitätsfeststellung Ein Problem praktischer Relevanz ist schließlich angesprochen, wenn in aller gebotenen Kürze auf die Art des durch § 127 I StPO legitimierten Eingriffs eingegangen wird. Nach seinem Wortlaut gestattet die Vorschrift die „Festnahme", und zwar auch zum Zwecke der Identitätsfeststellung. Bevor auf die näheren Einzelheiten zur Art und Weise der Festnahme zu diesem Zweck eingegangen wird, ist freilich ein „materiell-rechtlicher Exkurs" geboten: aa) Materiell-rechtliche Ergänzung des § 127 StPO durch § 111 OWiG In der Kommentarliteratur wird im Zusammenhang mit § 127 StPO die materiell-rechtliche Vorschrift des § 111 OWiG, die die „falsche Namensgabe" gegenüber zuständigen Behörden, Amtsträgern oder Soldaten der Bundeswehr als Ordnungswidrigkeit qualifiziert, regelmäßig übergangen. Ihr Zusammenhang mit dem Festnahmerecht Privater drängt sich freilich auch nicht ohne weiteres auf. Ohne einer - systematisch sinnvoll erst später vorzunehmenden - Untersuchung vorgreifen zu wollen, soll hier schon angedeutet werden, daß Angehörige gewerblicher Sicherheitsdienste u. U. - nämlich dann, wenn sie für Behörden bzw. Verwaltungsstellen (i.d.R. der öffentlichen Hand) gefahrenabwehrend tätig sind, als Amtsträger i.S.v. § 111 2 StGB gelten können 22 . § 111 OWiG ist insoweit in diesen Fällen einschlägig: Adressat der ordnungswidrigen Handlung sind nämlich u. a. „Amtsträger", deren Definition unstreitig derjenigen des § 11 I 2 StGB folgt 2 3 , sowie „Soldaten"; letztere 21 Vgl. statt aller KK-Boujong, § 127 Rn. 13; LR ^-Wendisch, StPO § 127 Rn. 15, jeweils m. N. 22 Dazu näher unten Kap. 4 I I I 2.

VIII. Eingriffsberechtigungen aufgrund der Notrechte im einzelnen

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haben das Recht zur Personenüberprüfung im Rahmen der ihnen übertragenen Wach- und Sicherheitsaufgaben aufgrund des UZwGBw 2 4 . Insoweit stehen ihnen gem. § 1 I I UZwGBw zilvile Wachpersonen gleich 25 . Es ist auch unumstritten, daß das Recht zur Identitätsfeststellung grundsätzlich schon im Rahmen der „Gefahrenabwehr", also nicht erst im „nurrepressiven" Bereich gegeben ist 2 6 . Als einschlägiges Kriterium wird man das Entstehen eines bestimmten Verdachtgrades zu berücksichtigen haben, welcher ein Interesse der Behörde bzw. der „Verwaltungsstelle" begründet, die Identität des Verdächtigen zu erfahren 27 . Angehörigen privater Sicherheitsdienste steht daher in den Fällen, in denen sie als Amtsträger i.S.v. § 111 2 StGB gelten, nach Maßgabe der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 111 OWiG ein materielles Befragungsrecht zum Zwecke der Identitätsfeststellung zu. Dieses materielle Recht w i r d prozessual ergänzt durch das Jedermann-Festnahmerecht gem. § 127 I StPO. bb) Festnahme oder Ausweiskontrolle? Die Modalitäten jener das materielle Befragungsrecht prozessual ergänzenden Festnahme sind freilich ausdrücklich nur für Polizeibeamte 28 ausdrücklich geregelt, und zwar in § 127 I 2 StPO durch Verweis auf die Spezialvorschrift des § 163 b I StPO. Eine entsprechende Regelung für den Fall der Festnahme durch Private fehlt dagegen. Die Feststellung der Identität des Betroffenen zum Zweck seiner Strafverfolgung ist bereits Gegenstand des repressiven Bereichs; sie ist damit der Erledigung durch die Polizei zugewiesen. Der Schluß, die private Festnahme habe daher anzudauern, bis die Polizei zur Einleitung der erforderlichen Maßnahmen eintrifft 2 9 , befremdet allerdings mit Rücksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Jedenfalls, wenn nur eine weniger bedeutende 23 Rebmann / Roth / Hermann, OWiG § 111 Rn. 29 mit Verweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drucksache VI/3250 S. 189; Göhler, OWiG § 111 Rn. 18. 24 So ausdrücklich Göhler, OWiG § 111 Rn. 9. 25 Nähere Ausführungen zum UZwGBw unten Kap. 4 I I 3 b. 26 Vgl. namentlich OLG Bremen, NJW 1977, 158; ferner Rebmann / Roth / Hermann, OWiG § 111 Rn. 34; Göhler, OWiG § 111 Rn. 16. 27 Auf Schutzzweck und übrige Tatbestandsmerkmale des § 111 OWiG soll in diesem Zusammenhang nicht vertieft eingegangen werden; insoweit sei etwa auf die zitierte Kommentarliteratur verwiesen. 28 Nach seinem Wortlaut wendet sich § 127 I StPO an Private und Polizeibeamte; unstreitig, vgl. LR^-Wendisch, StPO § 127 Rn. 26 m.w.N. 29 Bzw. der Festgenommene sei notwendig zur nächsten Polizeidienststelle zu verbringen.

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3. Kap.: Jedermannrechte als „Befugnisnormen"

Straftat in Rede steht 30 , erweist sich eine Kontrolle des Personalausweises zweifellos als der bei weitem weniger gravierende und daher möglicherweise einzig gerechtfertigte Eingriff. Zwischen der Grenze der Eingriffserlaubnis am repressiven Bereich und dem Gebot der Anwendung des mildesten Mittels besteht namentlich in der geschilderten Fallkonstellation eine rechtlich problematische Antinomie. Eb. Schmidt lehnt mit rechtsdogmatischen Erwägungen die Umdeutung des Festnahmerechts in ein „Wegnahmerecht" - nämlich des Ausweises ab: § 127 I StPO erlaube, auch nach seiner systematischen Stellung im Gesetz, nur die „Festnahme". Die Wegnahme des Ausweises könne dagegen nur als „Beschlagnahme" interpretiert werden; diese sei kein minus, sondern ein aliud 3 1 . Gegen diese Ansicht bestehen Bedenken. Zweifellos hat Eb. Schmidts Ansicht das Argument großer rechtsdogmatischer Genauigkeit für sich. Das ändert aber nichts an der Berechtigung, im Wege der Auslegung die Erlaubnis des § 127 I StPO erweiternd, zutreffender gesagt: einschränkend dahin zu interpretieren, daß ein die Rechtssphäre des Betroffenen erheblich weniger beeinträchtigender Eingriff jedenfalls gestattet ist, wenn das Gesetz schon die gravierendere Maßnahme der Festnahme erlaubt. Das gilt nicht nur in dem naheliegenden Falle, daß sich der Betroffene auf Befragen mit der Kontrolle seines Ausweises und der Feststellung seiner Personalien einverstanden erklärt. Der private Wächter darf den Ausweis vielmehr auch kontrollieren, wenn der Betroffene der Namensbefragung keine Folge leistet, die Identitätsfeststellung aber gleichwohl geboten ist. Durch die Ausweiskontrolle kann die „einschneidendere" Alternative der gleichfalls erlaubten Festnahme vermieden werden 32 . In notwendiger Durchbrechung des Grundsatzes, daß die Notrechte Privater am nur-repressiven Bereich enden, erlaubt § 127 I StPO daher auch die Ausweiskontrolle eines auf frischer Tat betroffenen Straftatverdächtigen, da sie sich hier als milderes Mittel gegenüber der (noch-präventiven) Festnahme zur Ermöglichung der Strafverfolgung erweist 33 .

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ζ. B. eine Leistungserschieichung („Schwarzfahren"), § 265a StGB. StPO Nachtrag I, § 127 Rn. 26. 32 Unstreitig ist freilich, daß § 127 StPO nicht die Durchsuchung des Tatverdächtigen etwa nach Ausweispapieren o. a. rechtfertigt. Vgl. nur Eberstein, Rechtsgrundlage für das Tätigwerden von gewerblichen Sicherheitskräften, BB 1980, 863 (866); ebenso Droste, Privatjustiz gegen Ladendiebe, S. 65 f. 33 Ebenso ausdrücklich, aber ohne nähere Ausführungen Roxin, Strafprozeßrecht, S. 195. Unklar, ob sich die nach § 127 I StPO zulässige „Wegnahme" auch auf Personalpapiere, d. h. auf eine Ausweiskontrolle, erstreckt, LR24-Wendisch, StPO § 127 Rn. 30. - Der gleichen Ansicht war auch das RG; vgl. RGSt. 64, 385 (387) mit zahlreichen N. aus älterem Schrifttum. 31

IX. Schlußbemerkung

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IX. Schlußbemerkung Mit dieser Betrachtung sind die Eingriffsrechte privater Sicherheitsdienste aufgrund der Notrechte abschließend erörtert. Das folgende vierte Kapitel widmet sich denjenigen Rechtsgrundlagen, die Wachdiensten für gefahrenabwehrende Tätigkeit in besonderen Fällen neben den JedermannRechten zur Verfügung stehen.

Viertes Kapitel

Weitere Rechtsgrundlagen für Eingriffe Privater; Straftatbestände als rechtliche Schranken für private Gefahrenabwehr In seinem Bericht über die Tätigkeit gewerblicher Sicherheitsunternehmen erörtert der B M I 1 im Zusammenhang mit dem Problem der „befugnisverleihenden Normen" ausschließlich die Jedermannrechte. Den damit zusammenhängenden Rechtsproblemen haben sich die vorstehenden Ausführungen eingehend gewidmet. Mit diesen Notrechten ist der Kreis der Erlaubnisnormen für Private Sicherheitsdienste jedoch noch nicht abschließend erfaßt. Neben die umfangreiche Gruppe der Vorschriften, die jedermann in bestimmten Situationen Eingriffsrechte gegenüber jedermann gewähren, tritt eine - rechtssystematisch getrennt zu erörternde - Gruppe von Bestimmungen, die (nur) einem bestimmten Personenkreis aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen Handlungsermächtigungen verleihen. Jene Gruppe ist wiederum zu teilen in Rechtsgrundlagen für Eingriffe gegen einen von vornherein rechtlich eingegrenzten Personenkreis und Rechtsgrundlagen für Eingriffe gegen jedermann aufgrund abgeleiteten Rechts eines Hoheitsträgers oder privaten Auftraggebers. Schwabe2 stellt freilich, durchaus nachvollziehbar, fest, daß die „Eingriffsbefugnisse" aufgrund der Jedermann-Notrechte für die Praxis des Sicherheitsgewerbes „weitaus am wichtigsten" seien. Die nachfolgenden Ausführungen werden das im einzelnen bestätigen. Gleichwohl ist auf die Gruppe der Eingriffserlaubnisse aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen oder aufgrund abgeleiteten Rechts der Vollständigkeit halber einzugehen.

1 Bericht 1982, 15 f. (Problemübersicht) und 20 ff. (Eingriffserlaubnisnormen im Detail). 2 Legitimation und Schranken für Sicherheitsgewerbe und betrieblichen Werkschutz, W + S Information 158, 10 (13).

I. Besondere Rechtsbeziehungen zu den Eingriffsadressaten

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I. Handlungsberechtigungen aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zu den Eingriffsadressaten Die erste Gruppe von Eingriffsgrundlagen läßt sich zusammenfassend am prägnantesten mit der Formel „Handlungsberechtigungen aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zu den Eingriffsadressaten" umschreiben. Es handelt sich um verschiedene Institutionen aus dem arbeitsrechtlichen Bereich, die im einschlägigen Schrifttum nur selten im Zusammenhang erörtert werden. Gemeinsam ist ihnen allen, daß sie nur in einem geschlossenen Gefüge von Rechtsverhältnissen zum Tragen kommen, und zwar in Unternehmen bzw. Betrieben. In diesem Sektor ist private Gefahrenabwehr, namentlich in der speziellen betriebseigenen Form des Werkschutzes, eine längst etablierte Einrichtung 3 . Aufgrund des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts und mittels Dienstund Arbeitsordnungen - Betriebsvereinbarungen gem. § 77 BetrVG - ist es gewerblichen Sicherheitsdiensten, im Grundsatz unstreitig, gestattet, unter bestimmten Voraussetzungen Eingriffe gegen Betriebsangehörige vorzunehmen; letztere sind aufgrund der gleichen Regelungen zur Duldung derartiger Eingriffe verpflichtet 4 . Art und Umfang jener Eingriffsrechte verdienten grundsätzlich eine vertiefte Erörterung. Das Thema ist rechtlich wie rechtspolitisch von hohem Interesse, da gerade betriebsintern seitens des Sicherheitspersonals - seien es Angehörige eines gewerblichen Sicherheitsdienstes oder eines betriebseigenen Werkschutzes - oft Aktivitäten entfaltet werden, die in besonders auffälliger Weise den Charakter nicht bloß präventiv-sichernder, sondern auch repressiv-verfolgender Tätigkeit besitzen; das geht bis zur „Aburteilung" ermittelter Werksangehöriger Delinquenten durch eine speziell hierfür eingeführte „Betriebsjustiz" 5 . Eine derartige vertiefte Untersuchung würde allerdings die Themenstellung der vorliegenden Untersuchung verlassen. Es soll zwar nicht verkannt 3

Siehe dazu bereits Kap. I U I . Zu den einzelnen Instituten und ihren näheren Einzelheiten vgl. statt aller Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, S. 114 ff.; 300 ff.; 1321 ff.; speziell ζ. B. in bezug auf Leibesvisitationen, S. 263 f. Zusammenfassende Erörterungen aus dem Blickwinkel des Werkschutzrechts sind selten und regelmäßig nicht sehr detailliert; vgl. etwa die kurzen Ausführungen bei Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 63; Gaul, „Betriebsjustiz" als zulässige Konkurrenz der Rechtspflege, DB 1965, 665 (666). 5 Vgl. hierzu etwa die kontroversen Berichte und Stellungnahmen von Maass, Die Rechtsgrundlagen des industriellen Werkschutzes, DB 1965, 144 (146 f. und durchgehend) und Gaul ebd. S. 667 f. und durchgehend; ferner Baur, Betriebsjustiz, JZ 1965, 163 ff.; Arndt, Private Betriebs-„Justiz"?, NJW 1965, 26 f.; Kuhlmann, Betriebs]ustiz und Werkschutz, ZRP 1977, 298 (299); Feest und Mezger-Pregizer, Tagungsbericht, ZStrW 86, 1154 ff. (hier insbesondere den sehr pointiert vorgetragenen Diskussionsbeitrag von Roxin, S. 1172, der für die Subsidiarität des staatlichen Kriminalstrafrechts und gegen die „Verrechtsstaatlichung" der Betriebsjustiz (!) eintritt); alle m.w.N. 4

11 Mahlberg

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

werden, daß auch die geschilderte „Strafverfolgungstätigkeit" eines Werkschutzes u. U. Ausstrahlungen in den „öffentlichen" Bereich zeigt - wenn sie sich etwa gegen Diebstahl sicherheitsempfindlichen Materials 6 richtet. Gleichwohl ist die Tätigkeit von Sicherheitsdiensten im rein betriebsinternen Bereich schon oben frühzeitig aus der Untersuchung ausgegliedert worden 7 , da sich die Erörterungen gerade auf Aktivitäten privater, professioneller Ordnungswächter im öffentlichen Bereich konzentrieren sollten. Die innerbetrieblich, gerade bei Eingriffsmaßnahmen des Werkschutzes auftretenden Rechtsprobleme sind in diesem Zusammenhang anderer Natur und hier nicht vertieft zu erörtern, weil sie ihre Grundlage ausschließlich in den Rechtsbeziehungen der Betriebsangehörigen untereinander haben. Soweit sich in diesem Zusammenhang das Problem einer Einbeziehung der öffentlichen Gewalt in innerbetriebliche Ermittlungs- und Verfolgungsmaßnahmen stellt, ist dies kein Gegenstand der vorliegenden Arbeit mehr, die sich auf die Erörterung von Rechtsproblemen privater Gefahrenabwehr im öffentlichen Bereich zu beschränken hat. Arbeitsrechtliche Eingriffsberechtigungen - d. h. arbeitsvertraglich bzw. betriebsintern geregelte Handlungs- und Duldungspflichten - betreffen nur einen begrenzten, den jeweiligen Bestimmungen unterworfenen Personenkreis. Das rechtfertigt es, sie bei der vorliegenden Untersuchung unberücksichtigt zu lassen8. II. Handlungsberechtigungen gegenüber jedermann aufgrund abgeleiteter Rechte Für Eingriffe privater Gefahrenabwehrdienste im „öffentlichen Bereich" ist hingegen eine zweite Gruppe spezieller Handlungserlaubnisnormen relevant, die den privaten Sicherheitsbediensteten Eingriffsberechtigungen aufgrund abgeleiteter - regelmäßig vom Auftraggeber übertragener - Rechte verleihen. Zu behandeln sind zunächst die aus den privatrechtlichen Instituten des Besitzes und des Eigentums abzuleitenden Rechte (1). Alsdann ist die abgeleitete Wahrnehmung des Hausrechts zu untersuchen, wobei hier eine rechtsdogmatisch bedeutsame Differenzierung zwischen dem rein privatrechtlichen und dem sogenannten öffentlich-rechtlichen Hausrecht der öffentlichen Hand vorzunehmen ist (2). Gerade hier erweist sich der Über6

Man denke etwa an Diebstähle von Brennstoffen aus Kernkraftwerken o. dgl. Oben Kap: 1 I I 1. 8 Soweit ein betriebsinterner Werkschutz, etwa im Zusammenhang mit Torkontrollen o. dgl., gegen Betriebsfremde vorgeht und sich insoweit an die „Öffentlichkeit" wendet, handelt er freilich aufgrund der bereits erörterten Jedermann-Berechtigungsnormen. Insoweit ergeben sich für den Werkschutz keinerlei Besonderheiten gegenüber anderen, im öffentlichen Bereich tätigen gewerblichen Sicherheitsunternehmen. 7

II. Abgeleitete Rechte

163

gang von bloßer, Privaten ohne Beleihungsakt gestatteter 1 , nichthoheitlicher Gefahrenabwehr zur Ausübung obrigkeitlicher Gewalt als problematisch, weshalb namentlich für das öffentliche Hausrecht eine eingehende Erörterung des Problembereiches erforderlich ist. Abschließend ist auf die spezialgesetzliche Übertragung von besonderen Berechtigungen - insbesondere im Bereich der Bundeswehr durch das UZwGBw - einzugehen sowie ihr rechtlicher Charakter - Übertragung bloß nichthoheitlicher Handlungserlaubnisse oder obrigkeitlicher Eingriffsbefugnisse? - und die daraus zu ziehenden rechtlichen Konsequenzen für die Tätigkeit privater Wachdienste zu erörtern (3). 1. Rechte aus Besitz, Eigentum und Anspruchsinhaberschaft

a) Besitzschutzrechte Dem Besitzer sind in § 859 BGB Selbsthilferechte zum - auch gewaltsamen - Schutz seines Besitzes gegen denjenigen, der ihm gegenüber „verbotene Eigenmacht" begeht, eingeräumt. Als „verbotene Eigenmacht" definiert das Gesetz in § 858 I BGB die Besitzstörung oder -entziehung gegen den Willen des Besitzers. Rechtlich stellen sich im Zusammenhang mit der Ausübung von Besitzschutzrechten durch gewerbliche Sicherheitsdienste namentlich zwei Probleme: aa) Zur Ausübung der Besitzschutzrechte berechtigte Personen Die Rechte aus § 859 BGB - die sogenannte Besitzwehr und die Besitzkehr - stehen zunächst dem Besitzer zu. Die Besitzereigenschaft ist allerdings in der Person des Angehörigen eines privaten Sicherheitsdienstes zu verneinen: ihm fehlt das - neben der Sachherrschaft - essentielle Kriterium des Besitzbegründungswillens 2 . Besitzer ist vielmehr der Auftraggeber des privaten Sicherheitsdienstes, der den Wachdienstangehörigen mit der Bewachung beauftragt hat; letzterer ist lediglich Besitzdiener (§ 855 BGB). Er übt die tatsächliche Gewalt über die ihm zur Bewachimg „übertragenen" Sachen kraft besonderer vertraglicher Vereinbarung mit dem Besitzer aus, steht mithin in dem in § 855 BGB statuierten „sozialen Abhängigkeitsverhältnis" 3 .

1 2 3

Vgl. oben Kap. 2 I I 2 b gg. Hierzu statt aller Palandt / Bassenge, BGB § 854 Anm. 2. Zu letzterem Bassenge ebd. Anm. 1.

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

Der Gegenstand seiner Bewachungstätigkeit ist im Bewachungsvertrag festgelegt; dem Besitzer, d. h. dem Auftraggeber 4 steht es aufgrund der Vertragsfreiheit frei, dem Wachdienstangehörigen umfassende Weisungen hinsichtlich der näheren Ausgestaltung der Wachtätigkeit zu erteilen, denen der Bewacher unterworfen ist 5 . Auch über die Besitzschutzrechte vermag der private Sicherheitsdienst daher zwar keine weisungsfreie, allgemein-polizeiliche Tätigkeit zu entfaltender ist als Besitzdiener aber in der Lage, über § 860 BGB unmittelbar und im Falle einer konkreten Störung aus eigenem Entschluß die Besitzschutzrechte des § 859 BGB auszuüben. bb) Art und Umfang der Besitzschutzrechte a) Besitzwehr § 859 I BGB gestattet dem Besitzer bzw. dem Besitzdiener, sich „verbotener Eigenmacht mit Gewalt zu erwehren" (sog. Besitzwehr). Diese Vorschrift ist von einigen Autoren als überflüssig bezeichnet worden, da sie im Ergebnis keine weiteren Rechte gewähre als das allgemeine Notwehrrecht 6 . Letzterer Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen: Zu den notwehrfähigen Rechtsgütern gehört unstreitig auch der Besitz 7 ; ein ihm geltender Angriff darf gewaltsam aufgrund der Notwehrvorschrift abgewehrt werden. Gesichtspunkte, die bei § 859 I BGB einen erweiterten Befugnisumfang oder erleichterte Eingriffsvoraussetzungen begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Vereinzelt ist behauptet worden, § 859 I BGB setze keinen gegenwärtigen Angriff auf den Besitz voraus 8 . Das ist indes bereits aus logischen Gründen ausgeschlossen: Der Terminus der „Abwehr" eines Angriffs setzt dessen Aktualität begriffsnotwendig voraus; im Falle eines bereits beendeten, nicht mehr gegenwärtigen Angriffs bedarf es entweder keiner „Abwehr" mehr wenn keine Störung mehr vorliegt - , oder es ist ein Fall der „Rückgängigmachung", der „Besitzkehr" 9 eingetreten. Umgekehrt stellt eine Dauerstörung 4

Der Auftraggeber selbst, d. h. der „Besitzherr", muß keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die zur Bewachung übertragene Sache haben; unstreitig; vgl. Bassenge ebd. 5 Zur Weisungsunterworfenheit als weiteres essentielles Kriterium der Besitzdienereigenschaft statt aller Staudinger / Bund, BGB § 855 Rn. 4. 6 Vgl. statt aller die Nachweise bei Staudinger / Bund ebd., der jener Begründung zwar zustimmt, aus anderen Gründen aber die „Überflüssigkeit" des § 8591 BGB verneint. 7 Vgl. statt aller Schönke / Schröder / Lenckner, StGB § 32 Rn. 5a. 8 Rohde, Studien zum Besitzrecht, S. 19 (zitiert nach Staudinger / Bund ebd.). 9 Dazu sogleich.

II. Abgeleitete Rechte

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des Besitzes im Moment ihrer Entdeckung unproblematisch einen gegenwärtigen Angriff dar, der zur Abwehr berechtigt 10 . - Insoweit ist tatsächlich kein Anwendungsfall des § 859 I BGB ersichtlich, der nicht auch die Tatbestandsvoraussetzungen der Notwehr erfüllte. Bund verneint freilich die Überflüssigkeit des § 859 I BGB aus anderen Gründen 11 : Das Notwehrrecht gewähre einen umfassenden Rechtsgutschutz; § 859 I BGB bedeute insoweit für den Notwehrschutz des Besitzes eine Verschärfung der allgemeinen Notwehrvoraussetzungen: Nur ein Angriff auf den unmittelbaren Besitz sei abwehrfähig; außerdem löse nur ein Angriff in Gestalt der „verbotenen Eigenmacht" die Notwehrbefugnisse in bezug auf den Besitz aus. Diese Ansicht - soweit ersichtlich, nur von Bund vertreten - ist freilich gleichfalls nicht zu halten. Tatbestandlich ist es bereits fraglich, welche tatsächlichen Fälle Bund bei seiner Differenzierung von „allgemeinen Angriffen" und „Angriffen in Form der verbotenen Eigenmacht" im Sinn hat. Der Begriff der verbotenen Eigenmacht umfaßt schlechthin jede denkbare Form eines Angriffs auf den Besitz, nämlich Besitzentziehung und Besitzstörung. Insoweit bedeutet § 859 BGB also keinerlei tatbestandsmäßige Einengung der Notwehrvorschrift. - Die Beschränkung der „Besitz-Notwehr" auf Störungen des unmittelbaren Besitzes ist gleichfalls abzulehnen; sie bedeutet eine sachlich nicht gebotene, der gesetzlichen Regelung fremde Einschränkung des Notwehrrechts, abgesehen davon, daß die Abwehr eines Angriffs auf den mittelbaren Besitz aufgrund der Notwehrvorschrift tatbestandlich stets auch eine Notwehr in bezug auf den unmittelbaren Besitz darstellen dürfte; abweichende Fallkonstellationen nennt Bund jedenfalls nicht, sie sind auch schlechthin unerfindlich. Damit ist zusammengefaßt festzuhalten, daß das Institut der Besitzwehr im Hinblick auf das Tätigwerden privater Sicherheitsdienste überflüssig ist und der Übersichtlichkeit des Systems der einzelnen Eingriffserlaubnisnormen halber in unserem Zusammenhang als gegenstandslos betrachtet werden sollte 12 .

10 Unzutreffend insoweit Palandt / Bassenge, BGB § 859 Anm. 2; die dort in Bezug genommene Entscheidung BGH NJW 1967, 46 (47) besagt hierzu nichts. Im dort entschiedenen Fall verneinte der BGH die Voraussetzungen der Notwehr (§ 227 BGB), verwies indes zurück, da nicht geklärt sei, ob die Voraussetzungen des Besitzschutzes vorgelegen haben. Insoweit zielt der BGH aber ersichtlich auf die Besitz/cehr (§ 859 I I I - Grundstück!) ab; vgl. BGH ebd. S. 48 Ii. Sp. 11 Staudinger / Bund, BGB § 859 Rn. 5. 12 Dies auch i.S. der schon zitierten Bemerkung von Schwabe, im Vergleich zu den Jedermannrechten seien die „abgeleiteten Handlungserlaubnisse" ohne besondere Relevanz.

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

ß) Besitzkehr Das trifft auf die Besitzkehr, § 859 I I und III, hingegen keineswegs zu. Insoweit ist nämlich unstreitig, daß jenes Recht den Eingriffsumfang des Angegriffenen aufgrund der Notwehr erheblich erweitert 13 . Die Ausübung des Besitzkehrrechts durch private Wachdienste bedeutet für letztere eine Ausdehnung ihrer „Befugnisse": Das Recht zur Besitzkehr - also zur gewaltsamen Wiederbeschaffung weggenommener Sachen - entsteht erst nach Vollendung eines Angriffs auf den Besitz, nämlich nach dessen Entziehung. Ein gegenwärtiger Angriff liegt bei Entstehung des Besitzkehrrechts damit nicht mehr vor; die zeitliche Grenze zur Ausübung der Notwehr ist überschritten. In das einleitend entwickelte Konzept der „primären" Gefahrenabwehrkompetenz Privater nur im präventiven und „auch-präventiven" Bereich läßt sich die Gewaltgestattung der Besitzkehr gleichwohl noch integrieren: Nach der Wegnahme einer Sache dauert eine rechtswidrige Besitzlage an; es verbleibt also bei einem gegenwärtigen, fortwirkenden Störungszustand. In der Person des Wegnehmenden entsteht zwar sogleich neuer, unmittelbarer Besitz hinsichtlich der Sache. Dieser Besitz entfaltet grundsätzlich auch jedermann gegenüber Rechtswirkungen, namentlich die Eigentumsvermutung gemäß § 1006 I BGB. Ausgenommen von dieser ist jedoch ausdrücklich der frühere Besitzer, demgegenüber die verbotene Eigenmacht begangen wurde. In dessen Person - und in der Person des bei der verbotenen Eigenmacht gegenwärtigen Wächters - ist die neue Besitzlage objektiv und subjektiv mit dem gegenwärtigen Makel der Rechtswidrigkeit behaftet. Das Gesetz stellt auf diesen akuten Aspekt der verbotenen Eigenmacht ersichtlich ab, indem es dem früheren Besitzer bzw. dem Besitzdiener (also dem Wächter) gestattet, gewaltsame Besitzkehr auszuüben, wenn er den Täter auf frischer Tat betroffen oder verfolgt hat. Durch diese enge zeitliche Anbindung grenzt das Gesetz das Besitzkehrrecht von bloßer verfolgender und repressiver Tätigkeit ab, die erst mit der Beendigung der Tat einsetzt und in keinem zeitlichen oder sonstwie gearteten Zusammenhang mit der Störung selbst steht. § 859 I I BGB erlaubt dem mit dem Besitzschutz beauftragten Wächter, einem Täter, der soeben den Besitz entzogen, eine bewachte Sache weggenommen hat, nachzueilen 14 und sich der Sache gewaltsam wieder zu bemächtigen. Es ist nicht bestritten, daß sich die Intensität der bei der Besitzkehr erlaubten Gewaltanwendung nach den Grundsätzen der Besitzwehr bestimmt 15 , die - wie schon angedeutet 16 - als Sonderfall des allgemei13

Statt aller Staudinger / Bund, BGB § 859 Rn. 13. So der auch im Schrifttum zu § 859 BGB allgemein eingebürgerte tatbestandsumschreibende Begriff, vgl. statt aller Palandt / Bassenge, BGB § 859 Anm. 3a. 14

II. Abgeleitete Rechte

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nen Notwehrrechts anzusehen ist. Als solche unterliegt die Gewaltanwendung, wie für die Notwehr eingehend dargelegt, der Bindung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die h. M., die den gegenteiligen Standpunkt vertritt und als Konsequenz dessen das Erfordernis einer Güterabwägung zwischen dem Wert der „weggenommenen" und des durch die erforderliche Gewaltanwendung bedrohten Rechtsgutes verneint 17 , ist aus den insoweit erörterten Gründen abzulehnen. In zutreffender Anwendung des Übermaßverbotes ist eine Gewaltanwendung zur Besitzkehr, deren Folgen in unerträglichem Mißverhältnis zum Wert des weggenommenen Rechtsgutes stehen, unzulässig 18 . Hinsichtlich der Besitzentziehung bei bewachten Grundstücken trifft § 859 I I I BGB eine besondere Besitzkehrregelung. Er gestattet dem Bewacher, den Entzieher „sofort" nach der Entziehung - nicht nach Kenntniserlangung von der Entziehung! 19 - gewaltsam zu vertreiben und sich des Besitzes an dem Grundstück wieder zu bemächtigen. Wiederum nimmt das Gesetz eine sich nahtlos in die hier entwickelte Zuständigkeitszuweisung an Private einfügende, objektive, zeitlich enge Anbindung an die Besitzentziehung vor 2 0 . Damit ist auch hier die erforderliche Ausgrenzung privater Gefahrenabwehrtätigkeit aus dem rein repressiven Bereich gewahrt. Sämtliche Rechte - praktisch relevant also namentlich die Besitzkehr kann der Wächter gemäß § 859 IV BGB sogar noch gegen den Rechtsnachfolger des Entziehers ausüben, freilich unter Wahrung der genannten, engen und objektiven Zeitgrenzen. Der Vorschrift des § 859 IV ist insoweit kaum große praktische Bedeutung beizumessen21. Besitzkehr gegen Hehler - um einen naheliegenden Beispielsfall anzuführen - ist damit im praktisch denkbaren Regelfall Sache der staatlichen Polizei. 15

Staudinger / Bund, BGB § 859 Rn. 16. Soeben bei F N 6. 17 Für die Besitzschutzrechte etwa Staudinger / Bund, BGB § 859 Rn. 8 m.w.N.; Palandt / Bassenge, § 859 Anm. 2; Soergel / Mühl, BGB § 859 Rn. 5 m.w.N. 18 Daß die Formel „Das Rechtsgut der körperlichen Integrität überwiegt stets das eines Sachwertes" in dieser Verallgemeinerung nicht zutrifft und keineswegs zwingende Folge des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist, wurde oben Kap. 3 V I I I 1 a. E. bereits dargelegt. 19 Unstreitig; vgl. Staudinger / Bund, BGB § 859 Rn. 18. 20 „Sofort" i. S. des § 859 I I I BGB ist unstreitig objektiv i. S. unmittelbaren zeitlichen Anschlusses, nicht aber, wie „unverzüglich", subjektiv, i. S. der Vermeidung schuldhafter Verzögerung zu verstehen. Gleichwohl erlaubt auch die Regelung des „sofort" eine Beurteilung nach den konkreten Fallumständen. Der Wächter darf also ζ. B. mit dem Besitzer durchaus zunächst verhandeln, bevor er ihn gewaltsam des Besitzes entsetzt; vgl. statt aller Bund ebd. Rn. 17. 21 So auch Soergel / Mühl, BGB § 859 Rn. 8. - BGB-RGRK-KregeZ, § 859 Rn. 5 betont allerdings zutreffend, daß durch die Ausdehnung des Besitzkehrrechts auf den Rechtsnachfolger des Besitzentziehers im tatbestandsgemäßen, zeitlichen Rahmen die Umgehung der Besitzschutzvorschriften durch den Täter - ζ. B. mittels sofortiger Weitergabe einer weggenommenen Sache an einen wartenden Komplizen - ausgeschlossen wird. 16

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

b) Selbsthilferechte

des Eigentümers

Honigl bejaht neben den aus dem Besitz abgeleiteten Selbsthilferechten auch ein aus dem Eigentum abgeleitetes Abwehrrecht; er stützt es auf die Vorschrift des § 903 BGB 2 2 , nach der der Eigentümer andere „von jeder Einwirkung auf das Eigentum ausschließen" kann. Es ist jedoch unstreitig, daß - wie Honigl ebd. auch einräumt - § 903 BGB dem Eigentümer keinerlei Recht zu gewaltsamen Eingriffen verleiht. Die Vorschrift statuiert lediglich einen Abwehranspruch, dessen Geltendmachung auf gerichtlichem Wege, gegebenenfalls auch durch Notwehr, erfolgt 23 . Insoweit wird auch eine „abgeleitete" Geltendmachung des EigentumAbwehranspruchs nirgends diskutiert; die gewaltsame Unterbindung von Eigentumsstörungen mittels Abwehreingriffen, auch durch Dritte, ist in den Jedermann-Notrechten vielmehr umfassend geregelt. Für das Tätigwerden privater Sicherheitsdienste auf dem Gebiete des Eigentumsschutzes ist § 903 BGB mithin - entgegen der nicht begründeten These von Honigl - nicht einschlägig. c) Selbsthilferechte

des Anspruchsinhabers

Im Allgemeinen Teil regelt das BGB schließlich einen umfassend mit „Selbsthilfe" überschriebenen Tatbestand. Jene Selbsthilfe knüpft tatbestandlich an die enge rechtliche Voraussetzung der Inhaberschaft eines Anspruchs an; die Ausübung der Selbsthilfe durch private Sicherheitsdienste erweist sich damit ebenfalls als abgeleitete Wahrnehmimg eines Eingriffsrechts und ist systematisch an dieser Stelle zu erörtern. Im folgenden werden wiederum nur diejenigen Rechtsprobleme behandelt, die im Zusammenhang mit dem Tätigwerden privater Wachdienste von Relevanz sind. aa) Ausübung des Selbsthilferechts durch Dritte Das Selbsthilferecht steht nach dem Wortlaut des § 229 BGB dem Inhaber eines Anspruchs zu; eine unmittelbare Wahrnehmung des Rechts durch Dritte aus deren eigenem Entschluß wird deswegen nahezu einhellig abgelehnt 2 4 . 22

Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 65. Vgl. nur Palandt / Bassenge, BGB § 903 Anm. 2 b; BGB-RGRK-Augustin, § 903 Rn. 2. 24 Vgl. ζ. B. Staudinger / Dilcher, BGB § 229 Rn. 7; MüKo-von Feldmann, § 229 Rn. 2; Soergel / Fahse, BGB § 229 Rn. 9. - Die in diesem Zusammenhang gelegentlich erörterte Frage, ob Selbsthilfe durch Dritte als „Geschäftsführung ohne Auftrag" 23

II. Abgeleitete Rechte

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In einer früheren Untersuchung hat sich lediglich Titze 2 5 für die Befugnis jedermanns, aus eigenem Entschluß und unbeauftragt Selbsthilfe zugunsten Dritter wahrzunehmen, ausgesprochen 26. Er hat dies mit der „unpersönlichen Fassung des Gesetzes" begründet. Gegen seine These bestehen Bedenken, die sich schon mit der sprachlichen Benennung des Eingriffsrechts als „Selbsthilfe" begründen lassen. Eine von der Anspruchsinhaberschaft losgelöste Eingriffsbefugnis jedermanns wäre zutreffend nur mit „Fremdhilfe" bezeichnet; die Wahl der Umschreibung jenes anspruchssichernden Eingriffsrechts als „Selbsthilfe" weist darauf hin, daß jene Rechte auf die Anspruchsinhaberschaft abstellen, ihre Ausübung also an den Anspruchsinhaber geknüpft ist. Materiell würde die Ansicht Titzes darauf hinauslaufen, daß jedermann zu anspruchssichernden Eingriffen im Interesse Dritter berechtigt wäre. Das wäre in der Konsequenz nichts anderes als die Zulassung Privater zu allgemeinem, nicht individualrechtsbezogenem Rechtsordnungsschutz. Oben wurde bereits dargelegt 27 , daß dies mit der von der verfassungsrechtlichen Ordnung vorgegebenen Zuständigkeitsordnung unvereinbar wäre. Titzes Auffassung ist daher abzulehnen; sie wird heute mit Recht allgemein nicht mehr vertreten. Unproblematisch ist dagegen das Recht Dritter - etwa privater Sicherheitsdienste - zu bejahen, kraft entsprechender Ermächtigung die gesetzlichen „Selbsthilferechte" abgeleitet wahrzunehmen und die von § 229 erlaubten Eingriffe durchzuführen 28 . Insoweit ist auch eine vorherige, generelle Ermächtigung als ausreichend zu erachten; das ergibt sich schon daraus, daß das Gesetz nicht die Fälligkeit des Anspruchs fordert 29 . bb) Art und Umfang der Selbsthilferechte Die „zum Zwecke der Selbsthilfe" erlaubten Eingriffe umschreibt das Gesetz mit - Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, - Festnahme eines der Flucht verdächtigen Verpflichteten und zulässig sein kann (ablehnend ζ. B. Staudinger / Dilcher ebd.; die übrigen Kommentare zustimmend), bedarf hier keiner Erörterung, da private Sicherheitsdienste regelmäßig in Ausübung eines (Sicherungs-)Auftrages und daher mit vorheriger Ermächtigung tätig sind. 25 Die Notstandsrechte im Deutschen BGB, durchgehend. 26 Ebd. S. 121; dort findet sich auch die zutreffende Feststellung, daß die Motive des BGB jene Frage nicht beantworten. 27 Kap. 3 V I I 2 c. 28 So z. B. sämtliche soeben F N 24 zitierten Kommentare. 29 So bereits Titze, Die Notstandsrechte im Deutschen BGB, S. 122.

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

- Brechung des Widerstandes des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist. Dieser Eingriffskatalog ist sachlich durchaus bereits durch die ausführlich erörterten, privaten Sicherheitsdiensten zustehenden Notrechtserlaubnisse, namentlich der Notwehr und des privaten Festnahmerechts, abgedeckt. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, daß das Selbsthilferecht für die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste, ähnlich dem Recht zur Besitzwehr, ohne Belang wäre; für die Anwendung der Selbsthilfevorschriften neben jenen Notrechten besteht in gewissen Fällen nämlich ein eminentes praktisches Bedürfnis. Das Notwehrrecht knüpft an das Vorliegen eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs an; das private Festnahmerecht an den Verdacht einer Straftat, bei der der Verdächtige auf frischer Tat betroffen wurde. Das Selbsthilferecht kennt keine dieser einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen und bedeutet daher für den mit der Bewachung auch im „öffentlichen" Bereich beauftragten privaten Sicherheitsbediensteten eine praktisch bedeutsame Handlungserweiterung. Es ist nicht bestritten, daß zu den möglichen gefährdeten, durch Selbsthilfemaßnahmen sicherbaren Ansprüchen auch iVebenansprüche aus einer, wie auch immer gearteten, Rechtsbeziehung zählen 30 . Zwei Beispiele aus der Rechtsprechung mögen den daraus resultierenden, weiten Anwendungsbereich der Selbsthilfevorschrift verdeutlichen: Gemäß den aufgrund der einschlägigen VO über die allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und O-Busverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vom 22. 2. 1970 31 erlassenen Bedingungen sind Fahrgäste öffentlicher Verkehrsmittel auch ohne Vorliegen eines Verdachts der Beförderungserschieichung verpflichtet, den von den Verkehrsbetrieben ermächtigten (!) Kontrolleuren - auch Angehörige privater Sicherheitsdienste können hiermit problemlos betraut werden - auf Verlangen den Fahrausweis vorzuzeigen. Bei Weigerung eines Fahrgastes, jenem Anspruch der Verkehrsbetriebe zu genügen, stehen dem Bediensteten die Selbsthilferechte des § 229 BGB zu; er kann ζ. B. den betroffenen Fahrgast festhalten, wenn er sich zur Flucht anschickt; er darf auch physischen Widerstand des Fahrgastes durch Gegengewalt brechen 32 . Jedes Schuldverhältnis begründet die allgemeine, auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurückzuführende Nebenverpflichtung jedes Beteiligten, bei Streitigkeiten „ i m Rahmen des ihm Zumutbaren dahin mitzuwirken, daß der andere in die Lage versetzt wird, eine Klärung der umstrittenen ver30

Statt aller MüKo-uon Feldmann, § 229 Rn. 2. 1 BGBl. I, 230. 32 Vgl. OLG Karlsruhe, VRS 58, 393. 3

II. Abgeleitete Rechte

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traglichen Ansprüche ... herbeizuführen": Mit jener Begründung hat das OLG Hamburg 3 3 einem Taxifahrer das Selbsthilferecht auf Festnahme eines Fahrgastes zugestanden, der einerseits kein ausreichendes Fahrgeld bei sich geführt 34 , sich andererseits jedoch geweigert hatte, dem Taxifahrer seine Personalien durch Vorzeigen der Ausweispapiere bekanntzugeben 35 . Die Selbsthilfebefugnisse erweisen sich damit namentlich in den Fallgestaltungen als relevant, in denen wegen fahrlässiger, nicht strafbewehrter Tat das Festnahmerecht des § 127 StPO versagt 36 oder mangels eines rechtlich mißbilligten Verhaltens ein rechtswidriger Angriff als Voraussetzung einer Notwehrlage nicht vorliegt 3 7 . Wiederum finden die von § 229 BGB erlaubten Eingriffe ihre Grenze und Bindung im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das w i r d zwar im Schrifttum bestritten 38 , ist aber nicht haltbar. Insoweit gelten die oben 39 allgemein dargelegten Grundsätze ohne jedwede Besonderheiten 40 . cc) Die Subsidiaritätsklausel des § 229 BGB Sämtliche bislang erörterten Eingriffsrechte enthielten keine ausdrückliche Bestimmimg über ihr Verhältnis zu obrigkeitlichen Eingriffsmaßnahmen. Insoweit sind bereits, unter Zugrundelegung des Subsidiaritätssatzes, Abgrenzungskriterien hergeleitet worden, die bei der Anwendung der Eingriff sberechtigungsnormen Anwendung finden 41 . 33

MDR 1969, 759. Unterstellt konnte hier also werden, daß der Fahrgast nicht vorsätzlich die Beförderung erschlichen hatte. Wäre dies der Fall gewesen, wäre freilich bereits das Festnahmerecht des § 127 StPO gegeben gewesen. Bei der gegebenen, fahrlässigen „Schwarzfahrt" war § 127 StPO dagegen nicht in Betracht gekommen, da keine Straftat gegeben war. 35 Vgl. in diesem Zusammenhang ferner die Entscheidung des AG Heidelberg, NJW 1977, 1541: Das Gericht verneint hier die Befugnis eines Privaten, ein vor seiner Grundstücksausfahrt verbotswidrig geparktes Kfz. abschleppen zu lassen; ein solches Verhalten sei „nicht durch Selbsthilfe gedeckt". Das ist zwar ebenso selbstverständlich wie banal (zustimmend auch etwa van Veenroy, NJW 1977,1926); das Gericht hat aber offensichtlich § 227 BGB - die Notwehr - übersehen, die das Abschleppen erlaubt hätte. 36 Weitere Beispiele, auch zum Wegnahmerecht, bei Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 66. 37 Wie ζ. B. bei dem an keine Verdachts-Voraussetzungen geknüpften Anspruch auf Vorzeigen des Fahrausweises. 38 Vgl. etwa Soergel / Fahse, BGB § 230 Rn. 1; MüKo-von Feldmann, § 229 Rn. 7; Staudinger / Bücher, BGB § 230 Rn. 1; alle m.w.N., jedoch ohne jedwede Begründung. 39 Kap. 3 III. 40 Immerhin zieht MüKo-uon Feldmann ebd. die Grenze des Selbsthilferechts beim Mißbrauch und verweist insoweit auf die Notwehr. Darin mag im oben dargelegten Sinne eine Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes i m zutreffenden Rahmen gesehen werden. 41 Siehe oben Kap. 3 V I I 2. 34

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

Im Unterschied zu sämtlichen übrigen Notrechten statuiert § 229 BGB ausdrücklich, daß die Selbsthilfe-Eingriffsbefugnisse nur Anwendung finden, wenn „obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erreichen ist". Es bleibt zu untersuchen, ob jene, auf den ersten Blick bedeutsame Einschränkung in das hier entwickelte allgemeine Zuständigkeitsverteilungssystem integriert werden kann. Ausgangspunkt der Überlegungen muß sein, daß die Selbsthilfe im Hinblick auf die spätere Verwirklichung des Anspruchs ausschließlich sichernden Charakter hat 4 2 . Insoweit ist zwar die Vermutung naheliegend, „Selbsthilfe" spiele sich im präventiven, „zuvor-kommenden" Bereich ab. Voraussetzung für das Eingreifen der Selbsthilferechte ist aber eine „abgeschlossene" Verletzung eines ausdrücklich geltend gemachten 43 Anspruchs, dessen Durchsetzung der Berechtigte erstrebt. Die Selbsthilfemaßnahme wendet sich mithin gegen eine „beendete Anspruchsverletzung", ohne das Eingriffsrecht, wie sämtliche anderen erörterten Erlaubnisnormen, an die Gegenwärtigkeit eines Angriffs oder an eine unmittelbare zeitliche Nähe zur Verletzungshandlung zu binden. Insoweit hat sie ausschließlich repressiven Charakter. - Im übrigen sichert sie lediglich die spätere, endgültige, ohnehin staatlichen Organen - nämlich den Gerichten - vorbehaltene Durchsetzung des Anspruchs 44 . Daraus ergibt sich zunächst, daß in § 229 BGB mit „obrigkeitlicher Hilfe" ohnehin in erster Linie die zum Erlaß einstweiliger Verfügungen berufenen Gerichte gemeint sind 45 . Im übrigen ist es im Hinblick darauf, daß die Selbsthilfemaßnahme die Reaktion auf eine abgeschlossene „Verletzung" eines geltend gemachten Anspruchs ist, nicht mehr gerechtfertigt, sie noch dem „auch-präventiven" Bereich - geschweige denn dem ausschließlich präventiven - zuzurechnen. Schließlich ist es mit Rücksicht darauf, daß sie die nachfolgende Anspruchsdurchsetzung durch den Staat bloß vorbereitet, geboten, sie nur für den Fall zuzulassen, daß jener Staat nicht auch im Zeitpunkt der notwendigen vorbereitenden bzw. Sicherungs-Maßnahmen bereits präsent ist. Die Ausübung der Selbsthilfe ist dogmatisch weder Gefahrenabwehr noch Schutz vor 42 Vgl. statt aller Staudinger / Dilcher, BGB § 229 Rn. 1; MüKo-von Feldmann, § 229 Rn. 2, jeweils m.w.N. 43 Insoweit sei nochmals die zitierte Entscheidung des OLG Karlsruhe, VRS 58, 393 (394) erwähnt: Im konkreten Fall hat das Gericht, völlig zutreffend, im Ergebnis ein Festhalterecht des Fahrkartenprüfers trotz grundsätzlicher Bejahung abgelehnt, weil der Prüfer den Fahrgast, welcher im Aussteigen begriffen war, zuvor nicht ausdrücklich zum Vorzeigen des Fahrscheines aufgefordert, d. h. seinen dahingehenden Anspruch geltend gemacht hatte. Folglich lag auch keine Verletzung jenes Anspruchs durch ausdrückliche Weigerung, den Fahrschein zu präsentieren, vor, den der Kontrolleur alsdann durch Ausübung des Festhalterechts hätte sichern können. 44 Sehr deutlich betont bei Soergel / Fahse, BGB § 229 Rn. 3. 45 Vgl. statt aller Staudinger / Dilcher, BGB § 229 Rn. 10.

II. Abgeleitete Rechte

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Rechtsgutsangriffen. Sie ist Sicherung individueller Ansprüche und insoweit nicht nach den für die übrigen Not- und Besitzschutzrechte geltenden Kriterien zu beurteilen. Diese Gesichtspunkte werden von Hoffmann-Riem 46 übersehen, der die Subsidiaritätsklausel des § 229 BGB unzulässigerweise auf sämtliche Notrechte überträgt: Die „Subsidiarität privaten Handelns zur Abwehr von Rechtsguts Verletzungen" ergebe sich „wörtlich aus Normen wie § 229 BGB" 4 7 . Jene Argumentation trifft, wie gesagt, nicht zu: Das in § 229 BGB statuierte Subsidiaritätskriterium paßt nur auf die Selbsthilfe; es tangiert das hier entwickelte Kompetenzabgrenzungssystem im übrigen nicht. Es ist zum einen bereits methodisch bedenklich, die nur in § 229 BGB normierte einschränkende Klausel auch auf solche Notrechtsvorschriften anzuwenden, die eine entsprechende Bestimmung nicht aufweisen. Vollends erhärtet wird diese These bei einer Berücksichtigung des soeben erörterten Sinnzusammenhangs der Klausel, der auf die übrigen Notrechte nicht übertragbar ist 4 8 . Die praktische Bedeutung der Selbsthilferegelung darf trotz der Subsidiaritätsklausel im übrigen nicht unterbewertet werden. Die Selbsthilfevorschrift des BGB zielt praktisch auf Eilfälle 4 9 ab, in denen ein Anspruch für den Auftraggeber gefährdet zu werden droht. Soweit in derartigen Fällen, dem denkbaren Regelfall entsprechend, staatliche Polizei nicht präsent ist 5 0 , läuft die Regelung des § 229 BGB praktisch auf die Berechtigung privater Wächter zu sichernden Eingriffen hinaus. Es ist nicht sachangemessen, § 229 BGB, wie Hoffmann-Riem dies unternimmt, „negativ" zu lesen. Zutreffender ist vielmehr die „positive" Sichtweise, die darauf abstellt, daß dem Privaten bei fehlender staatlicher Hilfe gewaltsame Maßnahmen zur Anspruchssicherung positiv erlaubt sind. 2. Abgeleitete Wahrnehmung des Hausrechts

Angesichts der Tatsache, daß private Sicherheitsdienste in weitem Umfang Gebäude und umschlossene Räume bewachen - und zwar auch sol46

Privatpolizei, ZRP 1977, 277 (281). Offenbar im gleichen Sinne, jedoch ebenfalls verfehlt Kay, Einschreiten der Polizei zum Schutz privater Rechte, DP 1981, 369 (375). 48 Oben Kap. 3 V I I 2 b bb wurde ausführlich hergeleitet, daß präsente Polizei die Ausübung des Notwehrrechts nicht hindert. 49 Tatbestandsvoraussetzung ist, daß „ohne sofortiges Eingreifen" der Anspruch gefährdet zu werden droht. 50 Aus welchem Grunde staatliche Hilfe ausbleibt, ist übrigens, völlig unstreitig, gleichgültig. Neben zu Unrecht verweigerter staatlicher Hilfe (!) ist auch der „alltäglichere" Fall denkbar, daß der Staat mangels personeller Mittel nicht i n der Lage ist, rechtzeitigen und umfassenden Schutz zu gewähren; vgl. MüKo-von Feldmann, § 229 Rn. 3. 47

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

che, die im Herrschaftsbereich der öffentlichen Hand stehen - drängt sich die Untersuchung der Frage nach einer abgeleiteten Wahrnehmung des Hausrechts durch private Sicherheitsdienste auf. Es würde freilich den Rahmen dieser Abhandlung sprengen, wollte sie sich all jenen dogmatischen Fragen im Detail zuwenden, die bei jenem Rechtsinstitut ungeklärt bzw. umstritten sind. Die Untersuchung wird sich auf die Problembereiche zu beschränken haben, die zur Beantwortung nachfolgender Fragen von Interesse sind: Steht privaten Sicherheitsdiensten das Recht zur abgeleiteten Wahrnehmung des Hausrechts zu? Falls ja: Welche konkreten Rechte können sie hieraus für ihr Handeln herleiten? a) Privates Hausrecht Der Begriff „Hausrecht" ist gesetzlich nirgends definiert; das Institut w i r d durchweg stillschweigend vorausgesetzt 51 . Rechtsprechung und Schrifttum sind sich einig, daß es - jedenfalls u. a. 52 Schutzgut des § 123 StGB ist 5 3 . In der Kommentarliteratur zu § 123 StGB finden sich durchweg übereinstimmende Inhaltsbestimmungen des Hausrechts. Alle definieren es als ein Rechtsgut sui generis, das die Freiheit bedeutet, innerhalb bestimmter geschützter Räume zu bestimmen, wer sich darin aufhalten darf und wer nicht 5 4 . Mit dieser Inhaltsbestimmimg liegt es auf den ersten Blick nahe, dieses Institut mit dem Eigentum und der darauf beruhenden Verfügungsgewalt zu assoziieren 55. Es ist zwar offensichtlich und unbestritten, daß der Eigentümer nicht immer mit dem Hausrechtsinhaber identisch ist 5 6 . Aber die nächstliegende Überlegung geht dahin, daß das Institut des Hausrechts seine Wurzeln im privatrechtlichen Bereich habe. Was jenes privatrechtlich fundierte Hausrecht betrifft, so stellen sich im Zusammenhang mit seiner Wahrnehmung durch private, vom Hausrechtsinhaber beauftragte Sicherheitsbedienstete keine grundsätzlichen dogmati51 Knemeyer, Öffentlich-rechtliches Hausrecht und Ordnungsgewalt, DÖV 1970, 596 (597 bei F N 11); ders. in HÖD, Hausrecht, Sp. 761 f. 52 Vgl. insoweit die Nachweise bei Knemeyer, DÖV 1970, 596 (597 mit F N 13); jene Differenzierung bedarf in diesem Zusammenhang keiner Vertiefung. 53 Statt aller L K ^-Schäfer, § 123 Rn. 1. 54 Statt aller Schänke / Schröder / Lenckner, StGB § 123 Rn. 1. 55 Vgl. § 903 BGB: Der Eigentümer kann u. a. andere von der Benutzung seines Eigentums ausschließen. 56 So hat z. B. der Mieter eines Raumes, also derjenige, dem vertraglich das Nutzungsrecht eingeräumt worden ist, gegenüber dem Vermieter das Hausrecht, selbst wenn dieser - wie regelmäßig - Eigentümer ist; vgl. statt aller LK?-Schäfer, § 123 Rn. 41.

II. Abgeleitete

echte

175

sehen Bedenken ein. Ohne daß an dieser Stelle bereits auf einzelne, aus dem Hausrecht fließende Erlaubnisse eingegangen werden soll 5 7 , ist es rechtssystematisch offensichtlich unproblematisch, jene privatrechtlichen Befugnisse auf Dritte zu übertragen und von ihnen wahrnehmen zu lassen, wie dies ohne weiteres etwa auch im Hinblick auf Besitzschutzrechte 58 zu bejahen war. b) Öffentlich-rechtliches

Hausrecht

Der Anwendungsbereich von § 123 StGB erstreckt sich freilich ausdrücklich auch auf solche Räume, die zum „öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind". Jenes „Hausrecht der öffentlichen Hand" ist in bezug auf seine Grundlage, seine Rechtsnatur und seinen Umfang seit langem Gegenstand kontroverser Diskussion. Einleitend ist hier zunächst eine klärende Bemerkung voranzuschicken. Die Meinungsverschiedenheit um die Rechtsnatur des Hausrechts der öffentlichen Hand betrifft tatsächlich nur die Fälle in Zusammenhang mit Räumlichkeiten, die hoheitlicher Tätigkeit 5 9 dienen. Wenn die Maßnahmen dagegen den Schutz rein fiskalischer Tätigkeit der öffentlichen Hand bezwecken, kommen unstreitig Grundsätze des soeben erörterten privatrechtlichen Hausrechts zum Tragen, so etwa bei Mietshäusern in städtischem Eigentum 60 . Streitig ist also nicht, wie es mißverständlich-vereinfachend oft heißt, das „Hausrecht der öffentlichen Hand", sondern das „Hausrecht zum Schutz ausschließlich öffentlich-rechtlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand". Wie eingangs ausgeführt, ist es im Rahmen dieser Untersuchung allerdings nicht geboten, die insoweit vertretenen Ansichten zur Rechtsnatur des Hausrechts der öffentlichen Hand im einzelnen nachzuvollziehen und zum Gegenstand eigener Stellungnahme zu machen. Der besseren Deutlichkeit halber soll vielmehr sogleich das im Zusammenhang des Tätigwerdens privater Sicherheitsdienste entscheidende Grundproblem aufgezeigt werden: Es darf inzwischen als geklärt gelten, daß jenes Hausrecht der öffentlichen Hand seine Grundlage - unstreitig jedenfalls in bestimmten Fallkonstellationen - im öffentlichen Recht hat. Nicht das Eigentum oder ähnliche privatrechtliche Institute sind in diesen Fällen seine Grundlage, sondern der spezifisch öffentlich-rechtliche Rechtsgrund ungestörter, ordnungsgemäßer Verwaltungstätigkeit 61 . 57

Dazu sogleich c. Vgl. in diesem Kap. Abschn. I I 1 a. 59 Wozu freilich auch Tätigkeit im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge, also etwa der örtlichen Personennahverkehr in städtischen U-Bahn-Anlagen gehört! 60 Vgl. statt aller Berg, Das Hausrecht des Landgerichtspräsidenten, JuS 1982, 260 (263); Ronellenfitsch, Das Hausrecht der Behörden, VerwArch. 73, 465 (472 mit F N 54 f.; dort zahlreiche w. N. und weitere Beispiele); Bethge, Das Hausrecht der öffentlichen Hand, Verwaltung 1977, 313 (332). 58

176

4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

In einer eingehenden Untersuchung von 1969 62 hat zwar noch Stürner den Nachweis versucht, daß auch das Hausrecht des hoheitlichen Verwaltungsträgers stets rein privatrechtlich fundiert sei; er hat diese Ansicht später mehrfach bekräftigt 6 3 . Seine Ansicht wird aber in Rechtsprechung und Schrifttum nirgends geteilt. Eine wachsende Gegenmeinung im Schrifttum vertritt vielmehr den genau entgegengesetzten Standpunkt, das Hausrecht der öffentlichen Hand sei ausnahmslos öffentlich-rechtlicher Natur 6 4 ; jener Ansicht hat sich neuerdings auch in einer „vielbeachteten" 65 Entscheidung das BayVGH angeschlossen66. Im übrigen herrscht in der Rechtsprechung (noch) eine differenzierende Betrachtungsweise vor, die auf eine ältere Entscheidung des OVG Münster zurückgeht 67 . Sie stellt zur Beurteilung der Rechtsnatur einer konkreten „Hausrechtsmaßnahme" im Bereich der öffentlichen Hand auf die Motivation des Hausbetreters ab: „Sofern der verwaltende Hoheitsträger durch ein Haus verbot eine Privatperson an der Ausübung ihres subjektiv-öffentlichen Rechts, ihre öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in dem Dienstgebäude mit dem Behördenpersonal zu besprechen oder in anderer Weise zu erledigen, hindert, enthält ein solches Verbot insoweit Regelungen eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts und ist deshalb ein Verwaltungsakt. Dagegen ist ein Hausverbot rein privatrechtlicher Natur, soweit es sich an Personen richtet, die Dienstgebäude nicht zur Erledigung von Dienstangelegenheiten, sondern ζ. B. aus geschäftlichen Gründen betreten wollen", lautete der Leitsatz der grundlegenden Entscheidung des OVG Münster. Im Schrifttum wird diese Ansicht als „psychologisierend" gebrandmarkt 6 8 und inzwischen nahezu einhellig abgelehnt 69 . Auf diesen dogmati61 Grundlegend Knemeyer, Öffentlich-rechtliches Hausrecht und Ordnungsgewalt, DÖV 1970, 596 (598). 62 Privatrechtliche Gestaltungsformen bei der Verwaltung öffentlicher Sachen, S. 101 ff., 108 ff. 63 Urteilsanmerkungen in JZ 1971, 98 und JZ 1977, 302. 64 Vgl. insbesondere Knemeyer, Öffentlich-rechtliches Hausrecht und Ordnungsgewalt, DÖV 1970, 596; ders., Janusköpfiges Hausrecht?, DÖV 1971, 303; ders., Öffentlich-rechtliches Hausrecht der Deutschen Bundesbahn, BayVBl. 1977, 206; ders., Anmerkung zu Gerhardt, BayVBl. 1981, 152; ders., Das Hausrecht der öffentlichen Verwaltung, VB1BW 1982, 249; Bethge, Das Hausrecht der öffentlichen Hand, Verwaltung 1977, 313; Berg, Das Hausrecht des Landgerichtspräsidenten, JuS 1982, 260; alle m.w.N., die die zunehmende Akzeptanz jener Lehre dokumentieren. 65 Ronellenfitsch, Das Hausrecht der Behörden, VerwArch. 73, 465 (475) mit Übersicht über die einzelnen Stellungnahmen des Schrifttums. 66 BayVGH in BayVBl. 1980, 723 (724). 67 OVG Münster, JZ 1963, 566; ebenso der BGH in Β GHZ 33, 330 und das BVerwG in JZ 1971, 96; jeweils m.w.N. 68 Ronellenfitsch, Das Hausrecht der Behörden, VerwArch. 73, 465 (478). 69 Vgl. die in FN 64 zitierten Autoren.

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II. Abgeleitete Rechte

sehen S t r e i t b r a u c h t hier aber n i c h t v e r t i e f t eingegangen z u werden, z u m a l die Rechtsprechung - bis auf den B a y V G H - i m m e r h i n i n den letzten 15 Jahren k e i n e n Anlaß m e h r hatte, sich m i t dem Rechtsproblem g r u n d s ä t z l i c h z u befassen u n d möglicherweise heute, w i e schon der B a y V G H , auf die i m S c h r i f t t u m herrschende L i n i e einschwenken dürfte. Fest steht jedenfalls, daß das Hausrecht der öffentlichen H a n d n a c h der (noch) herrschenden Rechtsprechung m a n c h m a l , n a c h der h. L . i m m e r

öffentlich-rechtlichen

Charakter hat. E i n e a u f g r u n d öffentlichen Rechts erlassene Hausrechtsmaßnahme ist f o l g l i c h als V e r w a l t u n g s a k t z u q u a l i f i z i e r e n 7 0 .

c) Wahrnehmung Hausrechts

des

öffentlich-rechtlichen

durch

Private?

D a m i t stellt sich h i n s i c h t l i c h des Tätigwerdens P r i v a t e r Sicherheitsdienste e i n entscheidendes P r o b l e m 7 1 : M a ß n a h m e n a u f g r u n d ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n Hausrechts sind, v o n der öffentlichen H a n d durchgeführt, V e r w a l t u n g s a k t e . D a m i t k ö n n e n sie v o n P r i v a t e n n i c h t ohne weiteres w a h r g e n o m m e n werden; erforderlich w ä r e vielmehr

ein f ö r m l i c h e r

Beleihungsakt. P r i v a t e Sicherheitsdienste,

die

öffentliches Hausrecht w a h r n e h m e n , w ü r d e n insoweit n u r als Beliehene, 70 Diese rechtliche Einordnung nehmen die Anhänger der „reinen öffentlich-rechtlichen Lehre" durchweg vor. In seinem ersten, grundlegenden Aufsatz spricht Knemeyer, DÖV 1970, 596 zwar im Hinblick auf das von ihm konstatierte Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage für jenen Verwaltungsakt davon, die Bezeichnung „Verwaltungsakt" passe auf das Hausverbot nicht; es handle sich vielmehr um einen Akt im Vorfeld der Verwaltungstätigkeit, um einen „Verwaltung ermöglichenden A k t " . Später hat er aber klargestellt, daß jener Akt prozessual eindeutig als echter Verwaltungsakt zu qualifizieren sei; vgl. ders., BayVBl. 1977, 206 (208); besonders prägnant ders., VB1BW 1982, 249 (250 f.). 71 Ein umfangreiches, rechtssystematisch im Prinzip im vorab zu erörterndes und im Schrifttum heftig umstrittenes Rechtsproblem kann hier unerörtert bleiben: Die Rechtsgrundlage für einen derartigen Verwaltungsakt. Nur soviel: Ausgehend vom Grundsatz der gesetzesgebundenen Verwaltung fragt das gesamte Schrifttum nach einer Ermächtigungsgrundlage für einen belastenden Verwaltungsakt wie das Hausverbot. Vier Lösungsversuche werden vorgeschlagen: Stürner findet keine öffentlichrechtliche, gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und lehnt aus diesem Grunde die Qualifizierung des Haus Verbotes als öffentlich-rechtlich ab (deutlich ζ. B. in Urteilsanmerkung JZ 1971, 98 (99)). Ronellenfitsch, Das Hausrecht der Behörden, VerwArch. 73, 465 (477) behauptet - mit m. E. wenig überzeugender Begründung - die Ausübung des öffentlich-rechtlichen Hausrechts sei „auch ohne spezielle rechtliche Grundlage jederzeit zulässig". Berg hält das Gewohnheitsrecht für eine volltaugliche Rechtsgrundlage (Das Hausrecht des Landgerichtspräsidenten, JuS 1982, 260 (265 f.)); ihm folgend offenbar, aber schwer nachvollziehbar Honigl, Tätigwerden von Privaten, S. 73; sehr nachdrücklich ablehnend dagegen Bethge, Das Hausrecht der öffentlichen Hand, Verwaltung 1977, 313 (329 bei F N 61)). Knemeyer (zuletzt in Das Hausrecht der öffentlichen Verwaltung, VB1BW 1982, 249 (252)) und Bethge (a.a.O. S. 330) sehen im „öffentlich-rechtlichen Sachzusammenhang", der sogenannten Annexkompetenz die gesuchte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Verwaltungsakte aufgrund des öffentlich-rechtlichen Hausrechts. Letztere Ansicht ist überzeugend begründet und im Schrifttum bislang nicht widerlegt; ihr dürfte zuzustimmen sein.

12 Mahlberg

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

aufgrund abgeleiteten Hoheitsrechts tätig werden können. Im Rahmen dieser Untersuchung, die sich auf gefahrenabwehrendes Tätigwerden Privater ohne Beleihung beschränkt, wäre das öffentlich-rechtliche Hausrecht als Tätigkeitsgrundlage mithin auszuscheiden. In seiner - zum Thema bislang einzig dastehenden - Untersuchung übersieht Honigl 7 2 diese Zusammenhänge völlig. Er spricht durchweg von der „Ausübung des Hausrechts" und steuert zielstrebig auf das erwünschte Ergebnis zu, nämlich der unproblematischen Übertragbarkeit jenes „Hausrechts" auf Private. Welche Konsequenzen seine Ansicht hat, wird deutlich, wenn man sich der Mühe unterzieht, einmal nicht bloß vom abstrakten Begriff des „Hausrechts" zu sprechen, sondern eine konkrete Befugnis betrachtet, die aus dem Hausrecht primär abgeleitet wird: dem Erlaß eines Hausverbots. Bejaht man die Übertragbarkeit des hoheitlichen Hausrechts auf private Wächter, so führt das konsequenterweise zur Berechtigung eines Wächters, dem Besucher eines von privaten Sicherheitsdiensten bewachten Behördengebäudes, ζ. B. eines Ministeriums, stets, also sogar, wenn sich der Besucher auf einem Behördengang befindet, ein Hausverbot zu erteilen, d. h., ihm für die Zukunft das Betreten des Gebäudes zu untersagen. Daß dieses Ergebnis schlechterdings nicht zutreffen kann, liegt m. E. auf der Hand. Der ohnehin schon unbefriedigende Eindruck, den Honigls Theorie von der „Übertragbarkeit des öffentlichen Hausrechts" nach allem hinterläßt, verstärkt sich nach Lektüre seiner Schlußbemerkung 73 : Etwas anderes - also das Verbot der abgeleiteten Erledigung durch Private - „gälte (?) wegen der größeren Eingriffsintensität bei der zwangsweisen Durchsetzung von Maßnahmen aufgrund des Hausrechts". Die Entfernung eines Querulanten, dem der Behördenleiter selbst ein Hausverbot erteilt und der, jenem zuwiderhandelnd, das Behördengebäude erneut betreten hat, soll danach mithin von einem Angehörigen privater Sicherheitsdienste offenbar nicht vorgenommen werden dürfen. - Ohne das Ergebnis der sogleich nachfolgenden Untersuchimg vorwegnehmen zu wollen, sei angemerkt, daß jenes Ergebnis vollkommen verkehrt ist; gerade die umgekehrte Lösung ist die richtige: aa) Hausverweis und Hausverbot als Ausübung des Hausrechts Zur sachgerechten Lösung des Problems ist es, wie deutlich geworden sein dürfte, unerläßlich, den abstrakten Begriff des „Hausrechts" zu vernachlässigen und sich sogleich den konkreten Berechtigungen zuzuwenden, die aus dem Hausrecht abgeleitet werden können. 72 73

Tätigwerden von Privaten, S. 71 ff. (73 f.). Ebd. S. 74.

II. Abgeleitete Rechte

179

Zu Recht differenziert Knemeyer bereits in seiner ersten Untersuchung zum Hausrecht zwischen dem aus dem Hausrecht resultierenden Bestimmungsrecht („Anordnungskompetenz") und seiner nachfolgenden Durchsetzung („Vollstreckung") 74 . Auch jene Anordnungskompetenz - also das Bestimmungsrecht, das das Hausrecht seinem Inhaber gewährt - ist jedoch noch weiter zu differenzieren, wie dies erstmals der BayVGH in seiner oben schon zitierten Entscheidung 75 deutlich zum Ausdruck gebracht hat: Das Hausrecht berechtigt zunächst zum „Hausverweis" - d. h. zur Anordnung an einen im Hause Befindlichen, sich zu entfernen, da seine weitere Anwesenheit unerwünscht sei. Es berechtigt, darüber hinausgehend, zum Hausverbot, d. h. zur in die (begrenzte oder unbegrenzte) Zukunft gerichteten Anordnung, das Haus nicht wieder zu betreten. Der Hausverweis wendet sich an den anwesenden Störer, sich zu entfernen; das Hausverbot gebietet dem entfernten Störer, nicht wieder zu erscheinen. Jene Unterscheidung muß - was im Schrifttum leider kaum 7 6 geschieht (im Zusammenhang mit der Untersuchung der Hausrechtsausübung durch den Inhaber selbst freilich auch kaum veranlaßt ist) - gerade im Zusammenhang mit privaten Sicherheitsdiensten nachdrücklich betont werden. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Der Erlaß eines „Hausverbotes" ist - im Gegensatz zum Hausverweis - zukunftsgerichtet und läßt sich schon aus diesem Grunde i n das hier entwickelte und durchweg bestätigte Schema der auf den akuten Gefahrenfall beschränkten Zuständigkeit Privater zur Störungsbeseitigimg nicht mehr integrieren. Im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Hausrecht soll also - bevor unten d) eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung auch des privaten Hausrechts erfolgt - nur noch der „Hausverweis" als einzige auf Private möglicherweise übertragbare Erlaubnis des Hausrechts untersucht werden. Die zitierte Entscheidung des BayVGH hält es für möglich, einen öffentlich-rechtlichen Hausverweis - im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Hausverbot, das er zutreffend als „vollziehbaren Verwaltungsakt" qualifiziert - „formlos" zu erteilen 77 . Dem hat bereits Berg überzeugend widersprochen 78 : „Da es sich bei einem Hausverweis ... ebenfalls um eine verbindliche Einzelfallregelung handelt, ist auch der Hausverweis als VA zu qualifizieren; 74

Öffentlich-rechtliches Hausrecht und Ordnungsgewalt, DÖV 1970, 596 (599). * BayVBl. 80, 723 (724). 76 Andeutungsweise bei Knemeyer, Anmerkung zu Gerhardt, BayVBl. 1981, 152; Berg, Das Hausrecht des Landgerichtspräsidenten, JuS 1982, 260 (262). 77 BayVBl. 80, 723 (724). 78 Das Hausrecht des Langerichtspräsidenten, JuS 1982, 260 (262). 7

12'

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

eine andere Handlungsform stellt das Verwaltungsrecht der Behörde für eine solche Maßnahme nicht zur Verfügung". Die von Wolff /Bachof in diesem Zusammenhang vorgeschlagene rechtliche Konstruktion einer bloßen „verwaltungsrechtlichen Willenserklärung" im Gegensatz zum Verwaltungsakt 79 findet in der Systematik der verwaltungsrechtlichen Handlungsformen keine Abstützung. Auch ein - stets an einen außenstehenden Dritten erlassener - Hausverweis erfüllt alle formalen Merkmale des Verwaltungsaktes 80 . Die Frage, ob bzw. worin der Verwaltungsakt eines Hausverweises seine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hat, bedarf auch hier keiner Vertiefung 81 . Wie beim Hausverbot stehen der „Hausrechtsausübung" durch Private in Form des schlichten Hausverweises rechtssystematische Bedenken entgegen: Auch ein Hausverweis stellt sich, sofern er auf öffentlichem Hausrecht beruht, als Verwaltungsakt dar; als solcher kann er von Privaten in abgeleiteter Wahrnehmimg öffentlich-rechtlichen Hausrechts nur aufgrund förmlicher Beleihung ausgesprochen werden. bb) Hausverweis als schlichte Ausübung der Notrechte Dieses Ergebnis erweckt freilich im Hinblick auf praktische Gegebenheiten Zweifel. Es mutet lebensfremd an, privaten Wächtern das Recht zu versagen, Störer eines Behördengebäudes o. dgl., mit dessen Bewachung sie beauftragt sind, zu verweisen. Die Lösung jenes rechtlichen Problems liegt freilich nicht im Institut des Hausrechts, sondern wesentlich näher - nämlich in jenen Jedermann-Notrechten, die bereits Gegenstand ausführlicher Erörterung waren und deren Anwendbarkeit auf private Sicherheitsdienste eingehend dargelegt wurde. Jede dem Willen des Hausrechtsinhabers zuwiderlaufende Verletzung des Hausrechts - also jedes Verhalten, welches ihn selbst zur Ausübung seines Hausrechts durch Hausverweis und Hausverbot berechtigen würde - stellt tatbestandlich die Verwirklichung des § 123 StGB, mithin einen rechtswidrigen Angriff gegen ein auch im Rahmen der Notwehr geschütztes Rechtsgut dar. Eine Hausrechtsverletzung berechtigt mithin einen privaten Wächter zur Nothilfe. Seine von § 32 StGB erlaubte Abwehrmaßnahme hat sich, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechend, auf das mildeste Mittel zu beschränken. Jenes mildeste Mittel ist nun offensichtlich, vor jeder 79

Wolff / Bachof, VwR II, § 99 I I c 1, S. 383. Auch Ronellenfitsch, Das Hausrecht der Behörden, VerwArch. 73, 465 (476) rügt, daß der BayVGH in der zitierten Entscheidung „den Nachweis für einen qualitativen Unterschied zwischen Hausverweis und Hausverbot schuldig" bleibe. 81 Wie schon beim Hausverbot erscheint die Theorie der Annexkompetenz als die plausibelste Begründung einer tauglichen Rechtsgrundlage auch für Hausverweise. 80

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II. Abgeleitete Rechte

körperlich-gewaltsamen Entfernung des Störers, die an ihn gerichtete Aufforderung, das Haus zu verlassen. Rechtlich stellt sich daher der von einem privaten Wächter ausgesprochene „Hausverweis" als nichts anderes dar als die mildeste Anwendungsform der Nothilfe. Mit einer wie auch immer gearteten abgeleiteten oder übertragenen Wahrnehmung des Hausrechtes hat er nichts zu tun 8 2 , schon gar nicht mit dem Erlaß eines Verwaltungsaktes. In dieser doppelten Erscheinungsform des öffentlich-rechtlichen Hausverweises - einerseits, vom Hausrechtsinhaber ausgesprochen, als Ausübung des Hausrechts in Form eines Verwaltungsaktes, andererseits die Abwendung eines gegenwärtigen Angriffs auf das Hausrecht in der denkbar mildesten Form - liegt der von Ronellenfitsch gesuchte83 entscheidende „qualitative Unterschied" zum Hausverbot. d) Zusammenfassende Betrachtung des Hausrechts Dies klargestellt, kann nunmehr der Komplex des „Hausrechts" insgesamt, das privat- und öffentlich-rechtliche zusammenfassend, beurteilt werden. Dabei wird sich zeigen, daß zwar nicht in der rechtsdogmatischen Konstruktion, wohl aber im praktischen Ergebnis eine differenzierte Beurteilung des Tätigwerdens Privater im Zusammenhang mit dem Hausrecht vorzunehmen ist, je nachdem, ob das Hausrecht privat- oder öffentlichrechtlichen Charakter hat. aa) Hausverbote Ein Hausverbot - also die in die Zukunft gerichtete Aufforderung an einen Besucher, ein bestimmtes Gebäude nicht mehr zu betreten - kann von Angehörigen privater Sicherheitsdienste in keinem Fall erlassen werden. Mag dies im Fall des privatrechtlichen Hausrechts rechtsdogmatisch wegen seiner Übertragbarkeit auf Dritte noch angehen, so überschreitet der Erlaß eines Hausverbotes gleichwohl den Rahmen Privaten erlaubter Störungsabwehr, da er sich nicht als die Abwehr akuter Gefahr darstellt. Der Erlaß von Hausverboten ist ausschließlich zukunftsgerichtet; er ist damit - eine im Grunde durchaus banale Feststellung - keine Aufgabe privater Sicherheitsdienste, sondern ausschließliches Recht des - öffentlichen oder privaten Hausrechtsinhabers selbst.

82

S. 61. 83

Unrichtig insoweit auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, Das Hausrecht der Behörden, VerwArch. 77, 465 (476).

Gefahrenabwehr,

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

bb) Hausverweise Hausverweise dürfen Angehörige privater Sicherheitsdienste hingegen regelmäßig aussprechen. Hier ist freilich hinsichtlich der rechtlichen Konstruktion zu differenzieren: Stets - beim privat- wie öffentlich-rechtlich fundierten Hausrecht - kann sich der Hausverweis rechtlich als die mildeste Form der Ausübung der Nothilfe darstellen: Dem rechtswidrigen Angriff auf das Hausrecht, also dem Verbleiben in einem Raum gegen den Willen des Hausrechtsinhabers, begegnet der Wächter durch die Aufforderung, den Raum zu verlassen. - Beim privatrechtlichen Hausrecht (aber auch nur hier; beim öffentlich-rechtlichen Hausrecht ist dies aus den dargelegten rechtsdogmatischen Gründen nicht möglich) kann ein Hausverweis rechtlich auch als unmittelbare, abgeleitete Übertragung des Hausrechts interpretiert werden. Hausverweise als Ausübung öffentlich-rechtlichen Hausrechts können von Privaten nur kraft förmlicher Beleihung ausgesprochen werden. Dieser Rechtsakt kann in der Praxis freilich problemlos vermieden werden, da auch die Nothilfe zum Hausverweis berechtigt. cc) Gewaltsame Entfernung Dritter aus Räumen Die zwangsweise „Durchsetzung des Hausrechts" durch körperliche Gewalt ist ebenfalls und unproblematisch Anwendung der Notrechte. Sie ist zulässig, wenn das mildeste Mittel, der Hausverweis, nicht gefruchtet hat. Die schon zitierte These Honigls, die gewaltsame Entfernung eines Störers aus einem Raum sei ein intensiverer Eingriff als der Erlaß eines Hausverbotes und daher unzulässig 84 , entbehrt gänzlich der Grundlage. Auch in dem der mehrfach zitierten Entscheidung des BayVGH zugrunde liegenden Sachverhalt ist das (dort auf ein Jahr befristete) Hausverbot als intensivste Maßnahme erst ausgesprochen worden, nachdem Hausverweise und gewaltsame Entfernung des Störers aus der öffentlichen Bibliothek ohne Erfolg geblieben waren 85 . Der Erlaß des Hausverbotes oblag allein dem Behördenleiter; beide vorangegangenen Maßnahmen - Verweis und Entfernung hätten hingegen von privaten Wächtern durchgeführt werden können. Im Ansatz ist es übrigens durchaus zutreffend, wenn der BayVGH in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, die Entfernung aus dem Gebäude hätte „allein durch Behörden der Gefahrenabwehr-Organisationen vollzogen werden können" 8 6 . Das geht auf eine Formulierung von Knemeyer zurück 8 7 : „Stören oder beeinträchtigen Maßnahmen eines Bürgers die Ver84

Tätigwerden von Privaten, S. 74. BayVGH i n BayVBl. 1980, 723. se Ebd. 87 Öffentlich-rechtliches Hausrecht und Ordnungsgewalt, DÖV 1970, 596 (599). 85

II. Abgeleitete Rechte

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wirklichung öffentlich-rechtlicher Pflichten, so ist der gestörte Hoheitsträger zwar berechtigt, die Störung festzustellen und zu verbieten 88 , eine eventuell erforderliche Beseitigung der Störung fällt jedoch in die Zuständigkeit der allgemein für die Störungsbeseitigung kompetenten Stellen." Diese offene Formulierung trifft uneingeschränkt zu: Sie umfaßt allerdings nicht nur die obrigkeitlich handelnde Polizei, sondern auch Private, die gegen den Hausrechtsangriff qua Nothilfe mit Gewalt vorgehen dürfen. dd) Vorgabe des Willens des Hausrechtsinhabers Das auch bei Honigl erörterte Problem der „abgeleiteten Wahrnehmung des Hausrechts durch private Sicherheitsdienste" entpuppt sich damit rechtlich - im Fall des öffentlichen Hausrechts sogar uneingeschränkt - als Phantom. Die „Hausrechtsausübung" privater Wächter ist nichts als die Durchsetzung des Willens des Hausrechtsinhabers, die allerdings u. U. auch die Erlaubnis zur Wahrnehmung von Gewaltrechten umfaßt. Die abschließend zu erörternde Frage ist, ob und inwieweit jener „Wille", dessen Nichtbeachtung durch einen Dritten einen Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB begründen und privaten Sicherheitsdiensten Abwehrmaßnahmen erlauben würde, vorher seitens des Hausrechtsinhabers definierbar und dem mit der Sicherung beauftragten Wächter zu vermitteln ist. Im Fall des privaten Hausrechts, also auch bei der Bewachung von Gebäuden der öffentlichen Hand, die nicht hoheitlichen, sondern allein fiskalischen Zwecken dienen, stellen sich grundsätzliche rechtliche Probleme nicht. Der Hausrechtsinhaber ist nicht gehindert, dem Wächter im Rahmen seiner vertraglichen Verpflichtung insoweit konkrete Vorgaben zu machen. Bezüglich des öffentlich-rechtlichen Hausrechts ergeben sich insoweit allerdings Bedenken. Zwar sind seine Grundsätze, wie gesagt, nur anwendbar, wenn das geschützte Gebäude der öffentlichen Hand zugleich hoheitlicher Verwaltungstätigkeit dient; da darunter jedoch auch schlichthoheitliche Tätigkeiten, beispielsweise im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge fallen, ist nicht nur die Bewachung von Behördengebäuden durch Private Anwendungsfall des öffentlich-rechtlichen Hausrechts 89 , sondern ζ. B. auch diejenige von Anlagen städtischer öffentlicher Verkehrsmittel. In bezug auf das öffentlich-rechtliche Hausrecht ist es geboten, in aller Kürze Bedenken gegen die „Im-Voraus-Definition" des Hausrechtswillens aufzuzeigen: Grundsätzlich gilt auch im Fall des öffentlichen Hausrechts: 88 Zusatz des Verfassers: Verbieten, d. h. dem Hausfriedensbrecher einen Hausverweis erteilen, darf auch ein Bewacher. 89 Die Bewachung von Behördengebäuden durch Private ist praktisch nicht relevant.

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4. Kap.: Weitere Eingriffsgrundlagen und strafrechtliche Schranken

Widerrechtliche, dem Willen des Hausrechtsinhabers zuwiderlaufende Hausrechtsverletzungen dürfen Private qua Nothilfe abwehren. Was allerdings im Fall des öffentlichen Hausrechts widerrechtlich ist, ist - im Gegensatz zum privatrechtlich fundierten Hausrecht, wo der Inhaber grundsätzlich nach eigenem Belieben die Grenzen definieren darf - nicht leicht zu generalisieren und vor allem im voraus praktisch kaum zu bestimmen. Es besteht Einigkeit, daß das öffentliche Hausrecht naheliegend bestimmten, rechtlichen Bindungen unterworfen ist; es ist enger als das private 90 . Wesen und Zweck des öffentlich-rechtlichen Hausrechts ist namentlich das ungestörte Funktionieren der öffentlichen Verwaltung 91 ; widerrechtlich i. S. des gebundenen öffentlich-rechtlichen Hausrechts ist damit namentlich ein Verhalten, welches dem Widmungszweck des Behördengebäudes zuwiderläuft 92 . Die Entscheidung über diese Frage - die nicht nur Tat- sondern regelmäßig zugleich Rechtsfrage ist! - trifft der Hausrechtsinhaber. Die Zulassung einer „Im-Voraus-Definition" würde im Ergebnis die verantwortliche Entscheidung hinsichtlich der Störung des öffentlich-rechtlichen Verwaltungszwecks auf die Person des privaten Wachpersonals überwälzen. Das begegnet naheliegend gravierenden, rechtlichen Bedenken. Die Willensentscheidung des Behördenleiters hat rechtlich-gebundenen, nicht tatsächlich-willkürlichen Charakter. Es ist daher grundsätzlich geboten, daß der Hausrechtsinhaber sie in jedem konkreten Einzelfall verantwortlich-persönlich, nicht aber generell im voraus trifft. Im Ergebnis führt dies dazu, privaten Wächtern selbständige, auf vorheriger Ermächtigung beruhende NotrechtsEingriffserlaubnisse bei Angriffen auf das geschützte Rechtsgut „öffentlichrechtliches Hausrecht" im Regelfall zu versagen. Auf konkrete Anweisung des Hausrechtsinhabers dürfen sie freilich tätig werden und Querulanten des Behördengebäudes verweisen. Eine die Rechte privater Wächter in Richtung größerer Selbständigkeit erweiternde Ausnahme hiervon wird man freilich in all den Fällen machen müssen, in denen die Zulassung eines Benutzers zu einer Anlage nicht dem Ermessen des Hausrechtsinhabers anheimgegeben, sondern durch genaue - im Regelfall gesetzliche - Vorgaben bereits im voraus bestimmt und reglementiert ist. In diesen Fällen existiert kein „Entscheidungsermessen" des Hausrechtsinhabers über die Störung des öffentlich-rechtlichen Verwaltungszwecks; da, wo eine gesetzliche Definition bzw. Bindung des Hausrechtsinhaltes gegeben ist, ergeben sich daher keine Bedenken, dem Bewa90 Statt vieler Knemeyer, Öffentlich-rechtliches Hausrecht und Ordnungsgewalt, DÖV 1970, 596 (600) mit Beispielen. 91 Knemeyer ebd. S. 600; ebenso ders., Anmerkung zu Gerhardt, BayVBl. 1981,152. 92 Ders., DÖV 1970, 596 (598).

II. Abgeleitete Rechte

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chungspersonal die selbständige Ausübung des Hausrechtswillens zu überlassen. Hauptanwendungsfall dieser Fälle „gesetzlich gebundenen Hausrechtsinhalts" ist, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung von naheliegender Relevanz, das Personenbeförderungsrecht. Der Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel unterliegt gem. § 22 PBefG einem Kontrahierungszwang 93 ; er ist zur Zulassung von Fahrgästen grundsätzlich verpflichtet. Auch die Ausnahmen von der Beförderungspflicht sind gesetzlich normiert 9 4 und durch die individuellen Beförderungsbedingungen hinsichtlich näherer Einzelheiten im voraus näher ausgestaltbar 95 . Ein darüber hinausgehendes Entscheidungsermessen bezüglich der Zulassung von Fahrgästen steht dem Betreiber der Einrichtung nicht zu. Da insoweit bindende und konkrete „Im-Voraus-Definitionen" des Hausrechts existieren, stellen sich die soeben für das öffentlich-rechtliche Hausrecht erörterten Bedenken hier nicht. Der Betreiber öffentlicher U-Bahnen ist rechtlich nicht gehindert, von vornherein anzuordnen, schlafende Stadtstreicher nachts aus den U-Bahnhöfen zu verweisen oder Personen, die gegen die Beförderungsordnung verstoßen, den Zutritt zu den Bahnanlagen zu verwehren. In Umsetzung dieser „Hausrechtsvorgabe" können private Bewacher ggf., wie erörtert, die Notrechte einsetzen und ohne vorherige konkrete Anweisung des Betreibers zum Hausverweis schreiten. e) Ergebnis Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß von der - auf den ersten Blick naheliegenden, von Honigl etwa durchweg unkritisch übernommenen These, private Sicherheitsdienste übten im Zusammenhang mit der Bewachung von Gebäuden das Hausrecht des Hausrechtsinhabers aus, Abschied genommen werden muß. Tatsächlich setzen sie nur den Willen des Hausrechtsinhabers durch und bedienen sich hierzu der Notrechte. Hinsichtlich deren Ausübung ist oben 96 bereits das Erforderliche gesagt worden.

93

Vgl. hierzu Fielitz / Meier / Montigel / Müller, PBefG § 22 Anm. 2. Vgl. § 13 Satz 2 der aufgrund des PBefG erlassenen VO über den Betrieb von Kraftfahrtunternehmen im Personenverkehr (BOKraft) v. 21. 6. 1975 (BGBl. I, 1573), zuletzt geändert durch VO v. 13. 5. 1981 (BGBl. I, 428). 95 § 22 Ziff. 1 PBefG; dort ist ausdrücklich bestimmt, daß der Kontrahierungszwang nur Platz greift, wenn der Fahrgast den Beförderungsbedingungen nachzukommen bereit ist; vgl. hierzu Fielitz / Meier / Montigel / Müller, PBefG § 22 Anm. 3. 9