Gefahrenabwehr: Eine dogmatische Rekonstruktion [1 ed.] 9783428498697, 9783428098699

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Polizeimaßnahmen hat sich eine Besonderheit entwickelt: Maßnahmen zur Gefahre

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German Pages 224 Year 1999

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Gefahrenabwehr: Eine dogmatische Rekonstruktion [1 ed.]
 9783428498697, 9783428098699

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Ralf Poscher · Gefahrenabwehr

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 802

Gefahrenabwehr Eine dogmatische Rekonstruktion

Von Ralf Poscher

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Poscher, Ralf: Gefahrenabwehr : eine dogmatische Rekonstruktion / von Ralf Poscher. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 802) Zugl.: Berlin, Humboldt-Uni v., Diss., 1999 ISBN 3-428-09869-2

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09869-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Herrn Prof. Dr. Bernhard Schlink danke ich herzlich für die Betreuung der Arbeit. Er hat mich seit meiner Studienzeit gefördert und immer wieder ermutigt, einen Gedanken zu Ende zu denken. Herrn Prof. Dr. Gunnar-Folke Schuppert gilt mein Dank für die Erstattung des Zweitgutachtens und die Auseinandersetzung mit den Thesen der Arbeit. Danken möchte ich auch den Mitgliedern des Arbeitskreises zur Geschichte, Methodik und Dogmatik des Öffentlichen Rechts, die mir ein erstes Diskussionsforum geboten haben, von dem eine Reihe von Anregungen ausgingen, sowie Dres. Christian Bumke, Thomas Flint, Klaus Joachim Grigoleit und Ulla Held-Daab für die kritische Lektüre des Manuskripts. Herrn Prof. Dr. jur. h. c. Norbert Simon danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Schriften zum öffentlichen Recht" und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für den unbürokratisch gewährten Druckkostenzuschuß. Ich widme das Buch Roswitha und Heinz Poscher.

Berlin, im März 1999

Ralf Poscher

Inhaltsverzeichnis Einleitung

9 Erster Teil Die positiv-rechtlichen Vorgaben

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Zweiter Teil Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

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A. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr I. Das Gefahrenabwehrrecht in der Zeit des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 1. Die Programmatik 2. Die Fallpraxis a) Rechtsprechung b) Literatur II. Das Gefahrenabwehrrecht in der Bundesrepublik 1. Die ersten Entscheidungen und Stellungnahmen 2. Die theoretische und dogmatische Konsolidierung 3. Der dogmatische Ausbau a) Die Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit b) Die Diskussion um den Gefahr- und Störererforschungseingriff c) Dogmatik auf zwei Ebenen - Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche 4. Neuere Ansätze III. Resümee B. Ursachen und Gründe der Subjektivierung I. Epistemischer Status der Wahrscheinlichkeit II. Technisierung der Lebenswelt und Paradigmenwechsel in den Naturwissenschaften III. Rechtswidrigkeitsurteil und Steuerungsfunktion des Rechts IV. Wille zum subjektiven System oder dogmatische Verlegenheit? C. Resümee und Ausblick Dritter Teil Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr A. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme I. Der Begriff der Gefahr 1. Die zeitliche Dimension

29 30 31 34 34 45 49 50 55 64 64 65 69 78 81 83 83 88 96 103 108

110 112 112 114

8

Inhaltsverzeichnis

2. Perspektivisch-personelle Dimension 3. Die sachliche Dimension 4. Objektiver Wissenshorizont und Objektivität 5. Resümee II. Polizeiliche Verantwortlichkeit III. Gefahrenabwehrmaßnahme IV. Kosten V. Entschädigung VI. Resümee Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit der Gefahrenabwehrorgane I. Anscheinsgefahr und Anscheinsverantwortlichkeit II. Gefahrverdacht und Verdachtsverantwortlichkeit 1. Gefahrverdacht und die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts a) Gefahrverdacht als Überzeugung von einer Gefahr minderen Grades? b) Reflexive Wahrscheinlichkeit und Gefahrverdacht 2. Beweismaßreduktion a) Beweismaßreduktion und Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes ( 1 ) Gefahrverdacht und Teleologie des Gefahrenabwehrrechts (2) Gefahrverdacht in der Geschichte des Gefahrenabwehrrechts (3) Gefahrverdacht und Kodifikation des Gefahrenabwehrrechts b) Art der Beweismaßreduktion (1) Grad der Beweismaßreduktion (2) Voraussetzungen der Beweismaßreduktion c) Bedeutung der Beweismaßreduktion ( 1 ) Rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme (2) Dienstliche Verhaltenspflichten des Gefahrenabwehrorgans (3) Strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des Gefahrenab wehrorgans 3. Verdachtsverantwortlichkeit C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen I. Der strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff. II. Die vollstreckungsrechtliche Lösung 1. Vollstreckung von Gefahrenabwehrverfugungen a) Gestrecktes Verfahren b) Sofortige Vollziehung c) Abgekürztes Verfahren d) Polizeiliche Standardmaßnahmen 2. Sofortvollzug und unmittelbare Ausführung D. Resümee

118 122 125 127 128 132 140 143 146 147 148 151

179 183 184 185 188 188 189 189 190 192 194 200

Literaturverzeichnis

205

SachWortregister

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Einleitung Eine Arbeit zu dem „Recht der Gefahrenabwehr" hat Anlaß, zunächst die Wahl ihres Gegenstands zu rechtfertigen. Zumindest zwei Zweifel drängen sich auf. Der eine zielt auf die Existenz des Untersuchungsgegenstands, der andere auf den mit der Themenwahl unterstellten rechtswissenschaftlichen Bedarf. Die Arbeit an einem dogmatischen System des Gefahrenabwehrrechts setzt voraus, daß es noch „das" Recht der Gefahrenabwehr gibt. Wäre die Behauptung früher noch trivial gewesen und mit dem Hinweis auf die Polizeigesetze belegt worden, so erscheint sie heute problematisch. Das Recht der Gefahrenabwehr hat sich in eine Vielzahl von Spezialgesetzen ausdifferenziert, die wesentliche Bereiche der Lebenswelt abdecken. Nur noch selten scheinen die Polizeigesetze, auf die früher für die Einheit des Rechts der Gefahrenabwehr verwiesen worden wäre, Bedeutung zu entfalten. Gefahrenabwehrrecht ist heute weitgehend außerhalb der Polizeigesetze geregelt.1 Spötter könnten davon sprechen, daß die Polizeigesetze wesentlich nur noch das Abschleppen von Kraftfahrzeugen regeln 2 - und das auch nur unter größten dogmatischen Schwierigkeiten, mit Ach und Krach. 3 Ist es in Anbetracht der Ausdifferenzierung des Gefahrenabwehrrechts noch sinnvoll, von „dem" Recht der Gefahrenabwehr zu sprechen? Die Arbeit an einem dogmatischen System des Rechts der Gefahrenabwehr würde sich nicht mehr lohnen, wenn sich das Gefahrenabwehrrecht in Spezialgesetzen nicht nur thematisch ausdifferenziert, sondern darüber hinaus

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So schon 1950 Wolff, VVDStRL 9, 134/160. Dazu jetzt monographisch Schieferdecker, Die Entfernung von Kraftfahrzeugen. 3 Die Spötter müßten jedoch die gegenüber den Spezialgesetzen subsidiäre Funktion der Polizeigesetze unterschlagen, die dem allgemeinen Polizeirecht gegenüber neuen Gefahren schlagartig zu Aktualität verhelfen kann. Wie das Beispiel der Altlasten belegt, können die Reaktionszeiten der Politik so verlangsamt sein, daß erhebliche gesellschaftliche Probleme zunächst über längere Zeiträume mit dem Instrumentarium des klassischen Polizeirechts bearbeitet werden müssen. Zwar haben inzwischen alle Länder besondere Regelungen zum Umgang mit Altlasten erlassen - s. die Aufstellungen bei Papier, DVB1. 1996, 125 und Pohl, NJW 1995, 1645, die jetzt noch um das Berliner Bodenschutzgesetz vom 10.10.1995, GVB1. S. 646, ergänzt werden können. Doch das allgemeine Gefahrenabwehrrecht hat seine Bedeutung auch jetzt noch nicht gänzlich verloren, da die neuen Regelungen überwiegend nur neben den Rechtsgrundlagen des Polizeirechts Anwendung finden - s. z.B § 2 BlnBodSchG, i.e. Papier, JZ 1994, 810. 2

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Einleitung

von den dogmatischen Strukturen emanzipiert hätte, die dem traditionell in den Polizeigesetzen geregelten Recht der Gefahrenabwehr zugrunde liegen. Zum Teil ist eine solche Emanzipation erfolgt. Für den Umgang mit Risiken sind im technischen Sicherheitsrecht mit den Regelungen zur Gefahrenvorbeugung und -Vorsorge eigene gefahrenbezogene, aber weit über die traditionelle Gefahrenabwehr hinausgehende Instrumente entwickelt worden. Die Gefahrenvorbeugung wurde mittlerweile auch in die Polizeigesetze aufgenommen und hat sich neben der Gefahrenabwehr als eigene rechtliche Struktur etabliert. Das Recht hat im Umgang mit Gefahren neben der Gefahrenabwehr weitere Regelungsformen entwickelt, die auf neuartige Schädigungspotentiale reagieren. Umweltgefahren lassen sich häufig nicht mehr abwehren, wenn sie konkret geworden sind; es muß der konkreten Gefahr vorgebeugt und für den Schadensfall vorgesorgt werden. Reagieren mußte das Recht nicht nur im Hinblick auf neuartige faktische Schädigungspotentiale, sondern auch im Hinblick auf eine neuartige rechtliche Bewertung traditioneller polizeilicher Tätigkeiten. Die Polizei hat immer schon Personen und Orte observiert, Karteien über Taten und Täter angelegt, allgemein Informationen zur Vorbeugung von Gefahren gesammelt. 4 Doch erst seit dem Volkszählungs-Urteil mußte auf die grundrechtliche Dimension dieser traditionellen Instrumente der Gefahrenvorbeugung reagiert werden. Insoweit wurde mit der Gefahrenvorbeugung kein neues Instrumentarium in die Polizeigesetze eingeführt, sondern traditionelle Handlungsformen der Polizei kodifiziert, 5 die besonders aufgrund der Entwicklung der Informationstechnologie grundrechtlich neu bewertet worden sind. Die Innovation und die Kodifikation traditioneller Handlungsformen haben das klassische Gefahrenabwehrrecht aber weder in den Spezialgesetzen noch in den neuen Polizeigesetzen ersetzt. Sie sind nicht an dessen Stelle, sondern an dessen Seite getreten. Viele Sonderordnungsgesetze beschränken sich darauf, für ihren Gegenstandsbereich Rechtspflichten zu statuieren, ohne Ermächtigungsgrundlagen zur Durchsetzung der Rechtspflichten vorzusehen. Die materiellen Regelungen des Sonderordnungsrechts werden zu einem Teilaspekt der öffentlichen Sicherheit, deren Gefährdung dann auf der Grundlage der allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze abgewehrt werden kann.6 Das allgemeine Polizeirecht regelt den Sachbereich zwar nicht mehr materiell, aber die materiellen Regelungen der Sonderordnungsgesetze werden in das allgemeine Gefahrenabwehrrecht eingelassen und über dessen dogmatische Strukturen umgesetzt. Dabei bleiben gerade die dogmatischen Strukturen des klassischen Gefahrenabwehrrechts erhalten, die den Gegenstand der Arbeit bilden sollen. Und auch 4 5 6

Vgl. Bäumler, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. J Rn. 147-158. Zusammenstellung ebd. Rn. 563-657. Götz, Polizeirecht, Rn. 580.

Einleitung dort, wo Sonderordnungsgesetze einmal selbst Eingriffsermächtigungen vorsehen, wird das dogmatische System des Gefahrenabwehrrechts meist lediglich thematisch konkretisiert oder allenfalls modifiziert, nicht aber strukturell verändert. Das Versammlungsgesetz knüpft seine Eingriffstatbestände an eine qualifizierte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; soweit aber bei unmittelbaren Gefahren die Versammlung nicht gleich aufgelöst werden soll, richtet sich der Erlaß von Verfügungen gegen einzelne Demonstrationsteilnehmer nach den Grundsätzen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts. 7 Entsprechendes gilt für das Luftverkehrsgesetz 8 und die Landeswassergesetze9. Die Bauordnungen der Länder regeln in ihren bauordnungsrechtlichen Generalklauseln die Gefahrenabwehr für die von baulichen Anlagen ausgehenden Gefahren lediglich thematisch spezieller und modifizieren die polizeiliche Verantwortlichkeit, indem sie sie für den Bauherrn, Unternehmer und Bauleiter besonders ausgestalten.10 Die Beispiele ließen sich vermehren. 11 Die dogmatische Struktur des Gefahrenabwehrrechts bleibt von den Konkretisierungen und Modifikationen unberührt. Die Bedeutung des in den Polizeigesetzen archetypisch normierten dogmatischen Systems ist trotz der nachhaltigen Ausweitung des Sonderordnungsrechts ungebrochen. Die traditionelle Dogmatik bildet nach wie vor das Rückgrat des allgemeinen und besonderen Polizei- und Ordnungsrechts. 12 Doch auch wenn das Gefahrenabwehrrecht nicht durch neue Rechtsformen abgelöst, sondern nur ergänzt worden ist, bleibt die Frage, ob es heute noch Gründe gibt, sich Gedanken über die dogmatischen Strukturen eines Systems zu machen, das auf eine Norm des Preußischen Allgemeinen Landrechts zurückgeführt und in über 100 Jahren Verwaltungsrechtsprechung durchgearbeitet worden ist. In der historischen Perspektive erscheint es kontraintuitiv, daß das dogmatische System des Gefahrenabwehrrechts nicht schon längst zu einem verbindlichen Ergebnis geführt worden ist. Nach über 100 Jahren mögen sich immer wieder Einzelfragen neu stellen, doch das dogmatische System - so wäre die unbefangene Vorhersicht - kann nach einer solchen Zeit nicht mehr der Bearbeitung bedürfen. Es reicht indes ein Blick in ein neueres Polizeirechtslehrbuch, entsprechende intuitiv begründete Erwartungen zu enttäuschen und zum Lernen zu zwingen. 7

Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15 Rn. 27 ff.; Götz, Polizeirecht, Rn. 194. 8 BVerwG, NJW 1986, 1626; VGH Mannheim, DVB1. 1983, 41. 9 OVG Hamburg, DÖV 1983, 1016; VGH Kassel, UPR 1986, 116; VGH Mannheim, N V w Z 1986, 325; Götz, Polizeirecht, Rn. 194. 10 Vgl. etwa §§ 52-53 BauO Bln. 11 I.e. zu Bedeutung des allgemeinen Polizeirechts in den Sonderordnungsmaterien Götz, Polizeirecht, Rn. 576-594. 12 Vgl. Breuer, in: GS Martens, S. 315/318 f.; Schenke, in: FS Friauf, S. 455/456.

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Einleitung

Die Stichworte Gefahr- und Gefahrenverdacht 13 - mit und ohne Gefahrqualität, 14 qualifiziert, nicht qualifiziert 15 - , Anscheins- und Putativgefahr, Anscheinsverdacht 16, Gefahrverdachts-, Anscheins-, Verdachts- und Putativstörer, Verursachungsverdächtigter 17, anscheins- und verdachtsbetroffener Nichtstörer 18 , Doppelverdacht 19, Gefahrerforschungseingriff - echter und unechter 20 - , Ex-ante- und Ex-post-Perspektive, Primär- und Sekundärebene mögen zunächst ausreichen, um die Vielfalt dogmatischer Angebote in Erinnerung zu rufen, die derzeit eine Orientierung im Polizeirecht erschweren. 21 Dabei besteht kein Mangel an Arbeiten, die sich einzelnen mit diesen Begriffen umschriebenen Problemen widmen. Allenfalls am Rande nehmen diese Arbeiten aber das dogmatische Gesamtsystem in den Blick. So wird etwa ein wissenschaftstheoretisch durchgebildeter Gefahrbegriff entwickelt, ohne danach zu fragen, zu welchen Konsequenzen die Annahme eines solchen Gefahrbegriffs bei der Verteilung der Kosten einer Polizeimaßnahme zwingt. 22 Brüche, die sich daraus im dogmatischen System ergeben, werden zwar mittlerweile offensiv unter Differenzierungen wie Primär- und Sekundärebene vertreten 23, doch vermögen sie nicht darüber hinwegzutäuschen, daß sie die Brüche und Inkonsistenzen nicht aufheben, sondern lediglich markieren. 24 Trotz einer Vielzahl von Arbeiten, die sich

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In der polizeirechtlichen Literatur ist die Verwendung des Fugenlauts „en" für Komposita mit „Gefahr" als Bestimmungswort schwankend. Nach Duden Grammatik, Rn. 850, gilt für feminine Bestimmungswörter, die konsonantisch auslauten, daß das Fugen-en nur dort steht, wo das Bestimmungswort in seiner Mehrzahlbedeutung vorausgesetzt wird (Bsp.: Tat-en-drang). Danach ist das Kompositum von Gefahr und Verdacht „Gefahrverdacht". 14 Schenke, in: FS Friauf, S. 455/458. 15 Dill, Amtsermittlung, S. 66-69. 16 Vitt, ZStW 1994, S. 581/597. 17 Dill, Amtsermittlung, S. 85. 18 Breuer, in: GS Martens, S. 317/337. 19 EBd. S. 341. 20 Walker, Gefahr, S. 150. 21 Götz, Polizeirecht, Rn. 165; Nierhaus, UTR 1994, 369/376. 22 Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 22-99; Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 74-93; bezeichnend auch Schneider, DVB1. 1980, S. 406/408: „Eine andere Frage ist, ob der als Störer in Anspruch Genommene eine Entschädigung verlangen kann." Mit der Antwort auf diese Frage setzt Schneider sich nicht auseinander. 23 Die Unterscheidung wird bereits verfassungsrechtlich abgleitet von Hoefi, Die Entschädigung des Störers, S. 234-237; Lindner, Adressatenpflichten, S. 162-166. 24 Von Brüchen im dogmatischen System der herrschenden Meinung sprechen jetzt auch Schenke/Ruthig, VerwArch. 1996, 329/351-355 und Schenke, in: FS Friauf, S. 455/490-496, die gleichzeitig den bislang konsequentesten Versuch eines auf einem subjektiven Gefahrbegriff aufbauenden dogmatischen Systems liefern. Vgl. auch Martensen, Erlaubnis, S. 111-117, der von „Durchbrechungen" der Korrespondenz von

Einleitung einzelnen polizeirechtlichen Kategorien und Problemen 25 widmen, war das dogmatische System als solches soweit ersichtlich noch nicht Gegenstand einer monographischen Behandlung. Die Arbeit thematisiert das Recht der Gefahrenabwehr nicht im Sinne einer systematischen Erschließung seiner einzelnen Ausprägungen in den verschiedenen Bereichen des besonderen Ordnungsrechts. Thema ist vielmehr die dogmatische Struktur des Rechtsgebiets, wie sie sich im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelt hat. Ziel ist der Entwurf eines dogmatischen Systems des Rechts der Gefahrenabwehr, das den Anforderungen an dogmatische Theoriebildung weitgehend gerecht wird. Der dogmatische Vorschlag soll zu einem konsistenten26, möglichst einfachen 27 und in seinen praktischen Folgen 28 effektiven Recht der Gefahrenabwehr fuhren. Die Arbeit tritt dabei gegen einen dogmatischen Meinungsstand an, der dem letztgenannten Gesichtspunkt weitgehend genügt. Das Recht der Gefahrenabwehr leidet nicht unter einer Dogmatik, die den Gefahrenabwehrbehörden in Fällen, in denen es eines effektiven Rechtsgüterschutzes bedürfte, die Hände bindet. Es wurde eine Vielzahl dogmatischer Strategien entwickelt, die die Effektivität der Gefahrenabwehr sicherstellen sollen. Doch die bisherigen Angebote zeichnen sich weder durch begriffliche Konsistenz noch durch Einfachheit aus. So wird etwa der Gefahrbegriff bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme und der Entscheidung polizeilicher Verantwortlichkeit und Kostentragung spricht und Selmer, in: GS Martens, S. 482/492, der ein „Zerreißen" des sachlichen begründeten Zusammenhangs zwischen der polizeilichen Verantwortlichkeit und ihres kostenrechtlichen Surrogats sieht, das mit der Gesetzeslage nicht vereinbar sei. 25 Etwa aus der neueren monographischen Literatur Baumann, Der Störer im Umweltbereich; Binder, Zustandsverantwortlichkeit; Brandner, Gefahrenerkennbarkeit; Dill, Amtsermittlung; Griesbeck, Materielle Polizeipflicht; Hansen-Dix, Gefahr; Hoeft, Die Entschädigung des Störers; Kese, Polizeirechtliche Ordnungsklausel; Kränz, Zustandsverantwortlichkeit; Lindner, Adressatenpflichten; Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme; Müllensiefen, Gefahrenabwehrrecht und Gefahrerforschung; Ziehm, Störerverantwortlichkeit; Spießhofer, Der Störer im allgemeinen und besonderen Ordnungsrecht; Widder, Zweckveranlasser. 26 Zur Konsistenz als Kriterium dogmatischer Theoriebildung etwa Alexy, Theorie, S. 322-325; Canaris, JZ 1993, 377/384 f.; Dreier, in: FS Schelsky, S. 103/129; Neumann, in: Rechtsphilosophie, S. 375/387. Dworkin, Laws Empire, stellt einen anspruchsvoll verstandenen Begriff der Konsistenz „Integrity" in das Zentrum seines Rechtsverständnisses und gleichwertig neben materielle Gerechtigkeit und verfahrensrechtliche Fairness. Zum Verhältnis von „Integrity" und Konsistenz ebd. S. 219-224. 27 So zumindest auch im Sinne der Unzulässigkeit von Ad-hoc-Hypothesen Canaris, JZ 1993, 377/387 28 Zu den praktischen Folgen als Kriterium einer dogmatischen Theorie im Sinne einer Anbindung der Dogmatik an die allgemeine praktische Argumentation Alexy, Theorie, S. 324.

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Einleitung

über die Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche unterschiedlich besetzt. Und der begriffliche Apparat zur Bewältigung von Anscheins- und Verdachtslagen ist mittlerweile so unübersichtlich geworden, daß er selbst auf ausgewiesene Polizeirechtler „schwindelerregend" wirkt. 29 Die begrifflichen Inkonsistenzen und Hypertrophien schlagen zurück auf den praktischen Wert der Dogmatik. Sie mindern ihre Entlastungs- und Vermittlungsfunktion 30, weil die Anwendung sowie die Lehr- und Lernbarkeit des Gefahrenabwehrrechts wegen der Schwierigkeiten seiner Dogmatik schwierig bleibt. Gemessen an den basalen Kriterien juristischer Dogmatik erscheint der status quo verbesserungswürdig. Daß das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr auch verbesserungsfähig ist, will die Arbeit belegen. Zunächst werden in einem kurzen ersten Teil die unterschiedlichen Elemente des Gefahrenabwehrrechts und ihre positiv-rechtlichen Verknüpfungen vorgestellt. Begriffliche Konsistenz kann ein dogmatisches System nur aufweisen, wenn es die einzelnen Begriffe des Gefahrenabwehrrechts so besetzt, daß deren positiv-rechtlichen Verknüpfungen erhalten bleiben. Daß das positive Recht der Dogmatik eine ausgeprägte und anspruchsvolle Systematik vorgibt, läßt sich auf wenigen Seiten zeigen. Der zweite Teil wendet sich der Entwicklung der Dogmatik in Rechtsprechung und Literatur zu. Ausgehend vom Preußischen Oberverwaltungsgericht, wird einer Tendenz nachgegangen, die als die Subjektivierung des Polizeirechts beschrieben worden ist. Nach einer Skizze der einzelnen Stadien der Entwicklung werden die unterschiedlichen in der Diskussion angeführten Ursachen und Gründe für die Subjektivierung des Gefahrenab wehrrechts untersucht. Gibt es begriffliche Gründe für die Subjektivierung des Gefahrbegriffs, oder verlangt die Technisierung unserer Lebenswelt die Umstellung des Gefahrenabwehrrechts auf ein subjektiviertes Konzept? Soll unter dem Gefahrbegriff nicht mehr danach gefragt werden, ob eine Gefahr vorlag, sondern danach, ob der Beamte ohne Verschulden eine Gefahr angenommen hat? Verlangt die Verhaltenssteuerungsfunktion des Rechts, daß bei der Kostenersatzpflicht des Störers entsprechend danach gefragt wird, ob er die schuldlose Annahme einer Gefahr verschuldet hat? In einem dritten Teil wird schließlich ein eigener Vorschlag entwickelt, der das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr in einem weiten Sinn in den Blick nimmt. Die Dogmatik soll nicht nur im Hinblick auf die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme ausgestaltet werden, sondern auch die dienstlichen Verhaltenspflichten des Beamten und die Verhaltenspflichten der Betroffenen be29

Götz, Polizeirecht, Rn. 165; vgl. auch Nierhaus, UTR 1994, 369/376. Zu den Funktionen juristischer Dogmatik im einzelnen Alexy, Theorie, S. 326-332; Canaris, in: FS Kitagawa, S. 60/63-66; ders., JZ 1993, 377/378 f.; Dreier, in: FS Schelsky, S. 103/118; Harenburg, Rechtsdogmatik, S. 5 - 2 0 ; Neumann, in: Rechtsphilosophie, S. 375/385. 30

Einleitung rücksichtigen. So kann etwa der Schluß von der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Maßnahme auf die Handlungsunfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane, der die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts maßgeblich motiviert, näher untersucht werden. In der so weiter ausgreifenden Betrachtung liegt das Potential sowohl für eine Analyse als auch für eine Lösung der dogmatischen Probleme, die die Gärungsprozesse in Rechtsprechung und Literatur seit über 100 Jahren stimulieren.

Erster Teil

Die positiv-rechtlichen Vorgaben Das positive Recht gibt einer Dogmatik des Polizeirechts nicht nur einzelne Elemente, sondern auch eine Zuordnung und einen Zusammenhang der einzelnen Elemente vor. Die einzelnen Normen des Gefahrenabwehrrechts greifen ineinander, sind tatbestandlich miteinander verknüpft. So besteht die polizeiliche Verantwortlichkeit nicht unabhängig von einer Gefahr, die Kostenregelungen nicht unabhängig von der Verantwortlichkeit. Dies folgt schon aus dem positiven Recht, bedarf keiner dogmatischen Konstruktion. Der Aufbau eines dogmatischen Systems des Rechts der Gefahrenabwehr ist nicht beliebig. Die Dogmatik des Polizeirechts kann nur die Spielräume füllen, die ihr das positive Recht läßt. Sie kann sich einen objektiven oder subjektiven Gefahrbegriff überlegen, kann darüber nachdenken, ob polizeiliche Verantwortlichkeit wie strafrechtliche Verantwortlichkeit ein Verschulden voraussetzt. Doch gleich, wie sie Gefahrbegriff und Verantwortlichkeit im einzelnen konstruiert, kann sie sie nicht voneinander lösen, kann Verantwortlichkeit nicht statt auf die Gefahr auf die polizeiliche Maßnahme beziehen. Schon nach den positiv-rechtlichen Vorgaben, nicht erst als Ergebnis dogmatischer Konstruktion muß der Störer die Gefahr, nicht das polizeiliche Einschreiten zu verantworten haben. Doch bevor die Zusammenhänge näher betrachtet werden, zunächst ein kurzer Blick auf die einzelnen positiv-rechtlichen Elemente des Rechts der Gefahrenabwehr. Das Recht der Gefahrenabwehr baut auf dem Begriff der Gefahr auf, der Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder in einigen neueren Polizeigesetzen nur noch für die öffentliche Sicherheit 1. Sowohl der Begriff der

1

In ihren neuen Polizeigesetzen haben Bremen, das Saarland, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen die „öffentliche Ordnung" aus der Generalermächtigung herausgenommen. Die Einschränkung des gegenständlichen Bezugspunkts der Gefahr ist für die dogmatische Konstruktion indes ohne Bedeutung. Die Dogmatik muß Vorschläge dazu unterbreiten, wie sich der Gefahrbegriff auf seinen Gegenstand bezieht. Sie betrifft die Relation zwischen Gefahr und Gegenstand der Gefahr. Der Umfang der Schutzgüter läßt die Relation des Gefahrbegriffs zu dem Schutzgut unberührt. Ferner dürfte die öffentliche Ordnung neben der öffentlichen Sicherheit heute ohnehin allenfalls noch marginale Bedeutung haben, in diesem Sinne neben grundsätzlichen Bedenken gegen die öffentliche Ordnung als Rechtsbegriff Kese,

Erster Teil: Die positiv-rechtlichen Vorgaben

17

Gefahr als auch der Begriff der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sind durch eine lange Tradition geprägt. Erst in den neueren Polizeigesetzen finden sich Legaldefinitionen. Doch die Definitionen spiegeln lediglich die Traditionen. Wenn die Gefahr als „eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß in absehbarer Zeit ein Schaden fur die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird" 2 , definiert wird, dann trifft dies den unstreitigen Kern des Begriffs. Die Definitionen entscheiden indes nicht über den subjektiven oder objektiven Gefahrbegriff. Sie legen nicht fest, ob der Schadenseintritt lediglich aus der Perspektive eines pflichtgemäßen Amtswalters oder objektiv wahrscheinlich sein muß. Sie entscheiden damit auch noch nicht, ob Situationen unter den Gefahrbegriff fallen, in denen Gefahrenabwehrorgane das Vorliegen gefahrbegründender Tatsachen unverschuldet, aber irrtümlich annehmen (Anscheinsgefahr) oder nur für möglich oder wahrscheinlich halten (Gefahrverdacht). 3 Die Legaldefinitionen lassen der dogmatischen Begriffsbildung Raum. Einen Spielraum, der indes sensibel genutzt werden will, denn mit dem Gefahrbegriff werden die Weichen für das gesamte System gestellt. Er muß besonders fein justiert werden, sonst wird das Fundament schief gelegt. Das zweite Element der Dogmatik des Rechts der Gefahrenabwehr ist die polizeiliche Verantwortlichkeit. Sie kommt in zwei in sich weiter differenzierten Grundformen als Verantwortlichkeit für das Verhalten von Personen und als Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen vor. 4 Verantwortlich ist, wer durch eigenes Verhalten oder das Verhalten einer Person, das ihm zugerechnet wird, eine Gefahr verursacht oder wer tatsächliche Sachherrschaft oder Eigentum 5 an einer Sache innehat, die eine Gefahr hervorruft. Die Verantwortlichkeit ist für das Gefahrenabwehrrecht jedoch nicht nur positiv von Interesse; das Gefahrenabwehrrecht kennt auch Regelungen, die gerade an die NichtVerantwortlichkeit anknüpfen. Der polizeilichen Verantwortlichkeit eignet eine di-

Polizeirechtliche Ordnungsklausel, S. 154-158; Stornier, DV 1997, S. 233/252-257 jeweils m.w.N. 2 § 3 Nr. 3a SASOG; vgl. auch § 2 Nr. 3a BrPolG; § 2 Nr. la NdsGefAG; § 54 Nr. 3a ThOBG. 3 Vgl. die Einführung der Unterscheidung bei Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 2, 8. Aufl., S. 111. Sie hat sich weitgehend durchgesetzt, etwa Denninger, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 35-39; Götz, Polizeirecht, Rn. 154, 161; Schwabe, in: GS Martens, S. 419; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 286, 289. Eine theoretisch präzise Definition des Gefahrverdachts kann erst im dritten Teil gegeben werden, s. dort B. II. 1. b). 4 §§4 und 5 MEPolG. 5 Die Eigentümerverantwortlichkeit endet dort, wo ein anderer ohne den Willen des Eigentümers die tatsächliche Gewalt ausübt (§ 5 Abs. 2 S. 2 MEPolG). 2 Poscher

18

Erster Teil: Die positiv-rechtlichen Vorgaben

chotome Struktur. 6 Im Hinblick auf die Eingriffsbefugnisse denkt das Recht der Gefahrenabwehr im Gegensatz von Verantwortlichkeit und Nichtverantwortlichkeit - tertium non datur.7 Damit zwingt das Polizeirecht zur Eindeutigkeit. Wer sich bei einem Eingriff gegen die Verantwortlichkeit entscheidet, hat sich für die NichtVerantwortlichkeit entschieden. Wer sich für die Verantwortlichkeit entscheidet, kann keine NichtVerantwortlichkeit mehr annehmen. Eine Eingriffsrechtfertigung kann nur gegenüber dem Störer oder dem Nichtstörer bestehen. Daß die Berücksichtigung dieser logischen Trivialitäten die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts große Mühen kostet, zeigen die auf der sogenannten Primär- und Sekundärebene unterschiedlich ausgestalteten Beurteilungsmaßstäbe an. Mit der Gefahr und der Verantwortlichkeit sind die wesentlichen Tatbestandsmerkmale der polizeirechtlichen Normen bezeichnet. An sie, oder genauer an eine bestimmte Kombination positiver und negativer Werte für diese Tatbestandsmerkmale, knüpfen die einzelnen Rechtsfolgen des Polizeirechts an. Die primäre Rechtsfolge, auf die alle weiteren Rechtsfolgen dann noch einmal tatbestandlich bezogen werden, ist die Maßnahme der Gefahrenabwehr. Neben den Generalklauseln,8 die die Gefahrenabwehrmaßnahmen nicht näher spezifiziert haben, sehen Standardbefugnisse 9 einzelne Gefahrenabwehrmaßnahmen für besondere Gefahr- und Verantwortlichkeitssituationen vor. Die weiteren Rechtsfolgen ließen sich unter einem wirtschaftlichen Begriff der Kosten der Gefahrenabwehrmaßnahme zusammenfassen. Das Recht der Gefahrenabwehr folgt dieser wirtschaftlichen Betrachtung indes nicht. Es unterscheidet zwischen Kosten und Schäden - den Kosten der Gefahrenabwehrbehörde und den Schäden des durch die Maßnahme betroffenen Bürgers. Anders

6 Selmer, in: GS Martens, S. 482/497-503, will diese Dichotomie dadurch auflokkern, daß er die Pflicht zur Vornahme einer Gefahrenabwehrmaßnahme an der Art des Verursachungsbeitrags und der Gefahrenabwehrmaßnahme ausrichtet. Dadurch kann jemand, der eine Gefahr verursacht hat, im Hinblick auf unterschiedliche Gefahrenabwehrmaßnahmen sowohl Störer als auch Nichtstörer sein. Die Dichotomie wird jedoch nicht aufgelöst, sondern nur relativ zu einer Gefahrenabwehrmaßnahmen beurteilt. Für die jeweilige Gefahrenabwehrmaßnahme gibt es auch nach Selmer nur die Entscheidung zwischen Störer- und Nichtstörereigenschaft. 7 Einige Polizeigesetze kennen noch den „Unbeteiligten" (Art. 70 Abs. 3 BayPAG; § 59 Abs. 1 Nr. 2 BlnASOG; § 73 MVSOG; § 222 SHLVwG). Der Unbeteiligte ist an der Gefahrenabwehr unbeteiligt. Ihn treffen nur die unbeabsichtigten Nebenfolgen der Gefahrenabwehr - z.B. die verirrte Kugel. Dem Unbeteiligten steht ein Entschädigungsanspruch zu. Das Gefahrenabwehrrecht bleibt aber unter den Beteiligten dichotom. Nur Verantwortliche und Nichtverantwortliche können Adressaten von Gefahrenabwehrmaßnahmen sein. 8 Nach dem Vorbild des § 8 MEPolG. 9 Nach dem Vorbild des § § 9 - 2 4 MEPolG.

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als für die bislang vorgestellten Elemente ist die Rechtslage in den einzelnen Bundesländern hinsichtlich der Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche nicht ganz homogen. Einen allgemeinen Kostenersatzanspruch 10 kennen die Gefahrenabwehrgesetze nur, soweit sie die unmittelbare Ausführung vorsehen. 11 Der Verantwortliche hat die Kosten der unmittelbaren Ausführung zu tragen. Daneben wird für Gefahrenabwehrmaßnahmen im Wege der Ersatzvornahme auf den Kostenersatzanspruch nach dem jeweiligen Vollstreckungsrecht der Länder zurückgegriffen. Darüber hinaus kennen nur Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und das Saarland besondere Regelungen für die Kosten des unmittelbaren Zwangs.12 Der „Tradition des rechtsstaatlichen deutschen Polizeirechts, in seinen Normenbestand auch Entschädigungsansprüche"13 aufzunehmen, wird in den einzelnen Ländern zwar durchgehend, aber nicht einheitlich gefolgt. Alle Länder kennen einen Entschädigungsanspruch des Nichtstörers, soweit er durch die Gefahrenabwehrmaßnahme Schaden nimmt. Alle Länder kennen grundsätzlich neben dem allgemeinen Staatshaftungsrecht einen verschuldensunabhängigen Haftungstatbestand für rechtswidrige Gefahrenabwehrmaßnahmen. 14 In Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein besteht ein solcher Anspruch allerdings nur für Nichtstörer. 15 Störer, die rechtswidrig - etwa unverhältnismäßig - in Anspruch genommen werden, sind auf den allgemeinen Amtshaftungs- und Folgenbeseitigungsanspruch verwiesen. Damit sind die verschiedenen Elemente des Gefahrenabwehrrechts benannt: Gefahr, Verantwortlichkeit, Gefahrenabwehrmaßnahmen, Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche. Die unterschiedlichen dogmatischen Elemente des Rechts der Gefahrenabwehr werden durch das positive Recht aufeinander bezogen und in einen festen systematischen Zusammenhang gebracht. Unmittelbar an die polizeirechtliche Gefahr knüpft die polizeiliche Verantwortlichkeit an. Dies gilt sowohl für die Verhaltens- als auch die Zustandsverantwortlichkeit. „Verursacht eine Person eine Gefahr" und „Geht von einer Sache eine Gefahr aus" formuliert der Musterentwurf eines einheitlichen Poli-

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Ein spezieller Kostenersatzanspruch ist für die Sicherstellung und Verwahrung nach dem Vorbild des § 24 Abs. 3 MEPolG vorgesehen. 11 Art. 9 BayPAG, §§8 BWPolG, 15 BlnASOG, 7 HbgSOG, 8 HessSOG, 9 SASOG, 6 RPPOG, 6 SachPolG, 9 ThPAG, auch § 19 BGSG. 12 I.e. zu diesen Sonderregelungen Götz, Polizeirecht, Rn. 462-468; Sailer, Handbuch des Polizeirechts, Abschn. M Rn. 23-57. 13 Götz, Polizeirecht, Rn. 427. 14 Nach dem Vorbild des § 45 Abs. 1 S. 2 MEPolG. 15 Art. 70 Abs. 2 BayPAG, §§ 73 MVSOG, 222 SHLVwG.

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zeigesetzes die Verantwortlichkeit. 16 Dies bedeutet zum einen, daß über Verantwortlichkeit im Sinne des Gefahrenabwehrrechts erst geredet werden kann, wenn eine Gefahr vorliegt. Es mag zwar Gefahren ohne polizeiliche Verantwortlichkeit geben - etwa bei Naturkatastrophen - , aber keine Verantwortlichkeit im Sinne des Gefahrenabwehrrechts ohne Gefahr. Zum anderen muß der Verantwortliche die Gefahr verursacht haben. Es reicht nicht aus, daß zwar das, was wir im Gefahrenabwehrrecht als Gefahr anerkennen wollen, vorliegt, der Betroffene aber etwas anderes als genau diese Gefahr verursacht hat. Wenn der Gefahrbegriff objektiv definiert wird, kann niemand dadurch zum Störer werden, daß er den bloßen Anschein oder Verdacht einer Gefahr verursacht hat. Umgekehrt wird derjenige zum Störer, der den bloßen Anschein oder Verdacht einer Gefahr verursacht hat, wenn der bloße Anschein oder Verdacht einer Gefahr eine Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts sein soll. Ein positiv-rechtlicher Zusammenhang besteht auch zwischen der Gefahr und der NichtVerantwortlichkeit. Als Nichtstörer kann jemand nur in Anspruch genommen werden, wenn „eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist". Liegt keine Gefahr vor, so können sich die Gefahrenabwehrbehörden nicht darauf berufen, daß sie den Betroffenen dann eben als Nichtstörer in Anspruch genommen hätten.17 Es ist insoweit konsequent, wenn der Bundesgerichtshof Entschädigungsansprüche in Fällen der Anscheinsgefahr und des Gefahrverdachts nur entsprechend den Bestimmungen über die Ausgleichsansprüche für Nichtstörer gewährt. 18 Jemand, der ohne Vorliegen einer Gefahr in Anspruch genommen wird, ist kein Nichtstörer im Sinne des Gefahrenabwehrrechts. Nicht jeder, der nicht stört, ist ein Nichtstörer. Der polizeiliche Notstand dispensiert nicht vom Vorliegen einer Gefahr, im Gegenteil, er setzt eine besonders erhebliche Gefahr 19 voraus. Allein nach der Generalklausel geurteilt, scheint es so, als könnten Gefahrenabwehreingriffe, soweit sie denn notwendig sind, unabhängig von den Regeln über die polizeiliche Verantwortlichkeit genommen werden. Die Generalklausel

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§§ 4 Abs. 1 u. 5 Abs. 1 MEPolG - Hervorhebung durch den Verfasser. Den Zusammenhang betont auch Schenke, in: FS Friauf, S. 455/466. A u f ihn stößt auch der Versuch, Verdachtslagen über den polizeilichen Notstand zu erfassen. Dazu Kniesel, DÖV 1997, S. 905/908, der deshalb eine analoge Anwendung der Notstandsregelung vorschlägt. 18 BGHZ 117, 303/Leitsatz; 126, 279/283; NJW 1996, 2355, anders die Entscheidungsgründe in BGHZ 117, 303/307, die von einer Auslegung der Nichtstörervorschriflen sprechen. Zu dieser Diskrepanz auch Schenke, in: FS Friauf, S. 455/491. 19 I.e. zu den Anforderungen an die Notstandsgefahr Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme, S. 31. 17

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allein setzt nur eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung voraus. 20 Davon, daß die Maßnahmen nur gegen Störer ergriffen werden dürften, ist in der Generalklausel nicht die Rede. Nach der Generalklausel allein müssen Gefahr und Verantwortlichkeit nicht kumulativ vorliegen. Daß die Verantwortlichkeit im positiven Recht als regelmäßige Voraussetzung eines Gefahrenabwehreingriffs statuiert wird, ergibt sich erst aus den Regelungen über den polizeilichen Notstand. Die Regeln über den polizeilichen Notstand sehen vor, daß Maßnahmen gegen andere Personen als die für die Gefahr verantwortlichen nur ergriffen werden dürfen, wenn qualifizierte Voraussetzungen vorliegen. Sie machen damit deutlich, daß Eingriffe zur Gefahrenabwehr auch bei Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nur erfolgen dürfen, wenn entweder Gefahr und Verantwortlichkeit kumulativ vorliegen oder eine Gefahr vorliegt und die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands erfüllt sind. Aus den Notstandsregelungen folgt der systematische Zusammenhang von Gefahr, Verantwortlichkeit und Gefahrenabwehrmaßnahme, den jede Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts berücksichtigen muß. Die Gefahrenabwehrmaßnahme ist die primäre Rechtsfolge des Gefahrenabwehrrechts. Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche dienen der wirtschaftlichen Abwicklung der Gefahrenabwehrmaßnahme und bauen insoweit auf der Gefahrenabwehrmaßnahme auf. Ohne Gefahrenabwehrmaßnahme kann es auch keine Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche geben. Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche sind gegenüber den Gefahrenabwehrmaßnahmen sekundär. Dies ist der systematische Kern der Differenzierung zwischen einer Primär- und Sekundärebene des Gefahrenabwehrrechts, ohne daß die dogmatischen Konzepte, die unter diesen Begriffen vertreten werden, dem Gefahrenabwehrrecht vorgegeben sind. Wie die Gefahrenabwehrmaßnahme setzt auch der Kostenersatzanspruch der Gefahrenabwehrbehörden kumulativ Gefahr und Verantwortlichkeit voraus. 21 Soweit die Kostenfolge den Regelungen über die unmittelbare Ausführung entnommen wird, folgt dies aus dem systematischen Zusammenhang von Gefahr und Verantwortlichkeit. Entstehen durch die unmittelbare Ausführung Kosten, „so sind die ... Verantwortlichen zum Ersatz verpflichtet." 22 Eine Verantwortlichkeit kann aber nur dort bestehen, wo eine Gefahr vorliegt. Soweit für den

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Dies nimmt etwa Schoch, JuS 1994, 849/850 f., zum Anlaß in der polizeilichen Verantwortlichkeit dogmatisch kein Tatbestandsmerkmal, sondern eine Ermessensgrenze zu sehen. Differenzierend dazu Kniesel, DÖV 1997, S. 905/906 f., mit einer Darstellung des Meinungsstands. 21 Zur Korrespondenz von Ordnungspflichtigkeit und Kostentragungspflicht Seibert, DVB1. 1985, S. 328; Classen, JA 1995, 608/609. 22 § 5a Abs. 2 S. 1 MEPolG.

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Kostenersatz im Rahmen der Ersatzvornahme auf die Regelungen der Verwaltungsvollstreckungsgesetze zurückgegriffen werden muß, wird der gleiche Zusammenhang dadurch hergestellt, daß Vollstreckungskosten nur erhoben werden können, solange ein vollstreckbarer Verwaltungsakt vorliegt. 23 Verwaltungsakte, die eine Gefahrenabwehrmaßnahme zum Gegenstand haben, aber bei fehlender Gefahr oder Verantwortlichkeit des Betroffenen angefochten und aufgehoben werden können, geben nur eine instabile Grundlage für einen Kostenersatzanspruch. Auch für die Entschädigungsansprüche wird schon durch die Gefahrenabwehrgesetze ein systematischer Zusammenhang mit der polizeilichen Gefahr und Verantwortlichkeit hergestellt. Der Anspruch des Nichtstörers setzt Schäden „infolge einer rechtmäßigen Inanspruchnahme" 24 als Nichtstörer voraus. Es reicht nicht aus, daß der Betroffene als Nichtstörer in Anspruch genommen wurde, sondern der Hinweis auf die rechtmäßige Inanspruchnahme macht deutlich, daß im Rahmen des Entschädigungsanspruchs selbständig geprüft werden muß, ob zum einen eine Gefahr im Sinne des polizeilichen Notstands vorlag und ob zum anderen der als Nichtstörer in Anspruch Genommene nicht doch verantwortlich war. Hätten die Gefahrenabwehrbehörden einen Störer als Nichtstörer in Anspruch genommen, so wäre er nicht rechtmäßig als Nichtstörer in Anspruch genommen worden, da Nichtstörer nur andere Personen als Verantwortliche sein können. Die Dichotomie der polizeilichen Verantwortlichkeit 25 schlägt auf die Entschädigungsansprüche durch. Ein negativer Zusammenhang zwischen Gefahr und Verantwortlichkeit besteht für den Entschädigungsanspruch wegen rechtswidriger Inanspruchnahme. Eine Gefahrenabwehrmaßnahme ist rechtswidrig, wenn eine Gefahr, eine Verantwortlichkeit oder die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands nicht vorgelegen haben. Wie oben erwähnt, haben einige Länder diesen systematischen Zusammenhang auch in dem Sinne strikt geknüpft, als bei Vorliegen von Gefahr und Verantwortlichkeit Entschädigungsanspüche wegen anderer Rechtsverstöße nicht gewährt werden. 26

23 Der theoretisch denkbare Fall der Ersatzvornahme gegen den Nichtstörer setzte freilich nur eine Gefahr und die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands voraus. Insoweit kann es theoretisch im Rahmen der Ersatzvornahme im Unterschied zur unmittelbaren Ausführung auch einen Kostenersatzanspruch gegen den Nichtstörer geben. 24 § 45 Abs. 1 S. 1 MEPolG - Hervorhebung durch den Verfasser. 25 In der Dichotomie Störer/Nichtstörer sieht auch Lindner, Adressatenpflichten, S. 3, ein Grundelement der herkömmlichen Dogmatik, das jedoch seiner Ansicht der „Flexibilisierung" bedarf, ebd. S. 176. 26 S.o. erster Teil.

Erster Teil: Die positiv-rechtlichen Vorgaben

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Letztlich bleibt noch zu klären, ob ein systematischer Zusammenhang zwischen Kostenersatz- und Entschädigungsansprüchen besteht. Wird zwischen Kosten und Schaden differenziert, müssen Ersatz- und Entschädigungsfrage theoretisch nicht gleichlaufend entschieden werden. Durch die Unterscheidung wird grundsätzlich denkbar, daß zwar der Staat Ersatz seiner Kosten, aber auch der Betroffene Ausgleich für den ihm entstandenen Schaden verlangen kann. Indes trennt das Recht der Gefahrenabwehr zwar zwischen Kosten und Schäden, doch verknüpft es sie insofern wieder, als Kostenersatz und Entschädigung einander ausschließen. Kostenersatz kann es nur im Falle eines rechtmäßigen Eingriffs geben, Entschädigung nur im Falle des rechtswidrigen oder des polizeilichen Notstands. Das Gefahrenabwehrrecht erzwingt eine einheitliche Entscheidung über die ökonomischen Kosten der Gefahrenabwehrmaßnahme. Sie sind von dem Verantwortlichen zu tragen, wenn der Eingriff rechtmäßig war; sie fallen dem Staat zur Last, wenn der Eingriff rechtswidrig oder im Wege des polizeilichen Notstands erfolgte. Als Schaubild lassen sich die positiv-rechtlichen Zusammenhänge wie folgt darstellen:

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Erster Teil: Die positiv-rechtlichen Vorgaben

Was die Ausgestaltung des dogmatischen Systems zu einer anspruchsvollen Aufgabe macht, ist nicht die Komplexität des positiven Rechts. Eher das Gegenteil ist der Fall. Gerade die Inflexibilität des Systems, die Beschränktheit möglicher Verknüpfungen, die eindeutige Hierarchie der positiv-rechtlichen Vorgaben fordern die Dogmatik. Die einander nachgeordneten Elemente stehen jeweils in einem eindeutigen Abhängigkeitsverhältnis. Wer im Gefahrenabwehrrecht A sagt, muß auch Β sagen. Für Zwischenlösungen ist kein Raum, es gibt nur Entweder - Oder: entweder Gefahr oder nicht, entweder Verantwortlichkeit oder NichtVerantwortlichkeit, entweder Kostenersatz oder Entschädigung. Einem dogmatischen System des Gefahrenabwehrrechts werden damit hohe Konsequenzanforderungen auferlegt. Es muß die Fülle lebensweltlicher Gefahrensachverhalte mit einer verhältnismäßig wenig komplexen Struktur erfassen. Ein dogmatischer Vorschlag wäre billig, wenn er nur auf die Konsequenzanforderungen des positiven Rechts Rücksicht nehmen müßte. Das positive Recht läßt sich mit jedem beliebigen Gefahrbegriff durchrechnen; dies folgt schon aus seiner systematischen Konsistenz. Doch eine Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts kann nicht ohne Rücksicht auf die praktische Leistungsfähigkeit des Systems entwickelt werden. Ein Vorschlag muß die Rechtspraxis nicht eins zu eins abbilden. Aber auch wenn er sich systematisch stringent zeigt, darf er Gefahrenabwehrmaßnahmen dort nicht ausschließen, wo sie erforderlich sind und ihnen keine rechtsstaatlichen Interessen entgegenstehen. So ist etwa unumstritten, daß die Gefahrenabwehrbehörden in Gefahrverdachtssituationen handeln können müssen. Und die rechtliche Abwicklung von Anscheinsgefahren darf nicht dazu führen, daß die Gefahrenabwehrorgane aus Furcht vor Sanktionen nur noch zögerlich gegen Gefahren einschreiten. Eine Dogmatik des Rechts der Gefahrenabwehr steht nicht nur unter engen positiv-rechtlichen Restriktionen, sondern auch unter Effektivitätserwartungen, die sich letztlich auf die Teleologie des Gefahrenabwehrrechts zurückführen lassen. Das Recht der Gefahrenabwehr dient dem effektiven Rechtsgüterschutz.27 Es handelt nicht von der rechtlichen Abwicklung vergangener Ereignisse, sondern von der möglichst effektiven Abwendung zukünftiger Schäden. Seine Anlage ist wirkungs- und erfolgsorientiert. 28 Jeder dogmatische Vorschlag muß sich auch an dieser Wirkungs- und Erfolgsorientierung des Gefahrenabwehrrechts messen lassen.

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Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrensabwehr, S. 304 f.; Griesbeck, Materielle Polizeipflicht, S. 75; Kloepfer/Thull, DVB1. 1989, 1121; Ossenbühl, DÖV 1976, S. 463/469, 471; Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 100; Ziehm, Störerverantwortlichkeit, S. 71. 28 Griesbeck, Materielle Polizeipflicht, S. 76.

Zweiter Teil

Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr Die Entwicklung des Gefahrenabwehrrechts ist als die seiner Subjektivierung beschrieben worden. Während das Polizeirecht ursprünglich allein an objektive Tatsachen angeknüpft haben soll, seien zunehmend subjektive Aspekte in seine dogmatische Entwicklung eingegangen.1 Dabei werden unterschiedliche und zum Teil heterogene Aspekte der Subjektivierung genannt. Zunächst wird der subjektive Aspekt des Gefahrbegriffs angeführt, unter den nach verbreiteter Ansicht nun auch die Anscheinsgefahr und der Gefahrverdacht fallen sollen. Gefahren sollen danach schon dann vorliegen, wenn das Gefahrenabwehrorgan nur subjektiv, ohne Verletzung seiner Aufklärungspflichten eine Gefahr annehmen oder einen Verdacht hegen durfte. 2 Subjektiviert wird auch die polizeiliche Verantwortlichkeit. Es soll nicht mehr darauf ankommen, ob eine Gefahr verursacht wurde, sondern darauf, ob das Gefahrenabwehrorgan subjektiv, ohne Verletzung seiner Aufklärungspflichten von einer Verursachung oder dem Verdacht einer Verursachung ausgehen konnte.3 Diese Form der Subjektivierung von Gefahr und Verantwortlichkeit ist komplex. Zum einen wird die Perspektive subjektiviert, aus der heraus die Rechtmäßigkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme beurteilt werden soll: Nicht mehr die objektive, sondern die subjektive Perspektive des Gefahrenabwehrorgans soll maßgeblich sein. Zum anderen wird diese weitgehende Subjektivierung wieder durch ein normatives Korrektiv eingeschränkt. Die subjektive Sicht des Gefahrenabwehrorgans soll nur maßgeblich sein, wenn sie auf einer pflichtgemäßen Einschätzung der Sachlage beruht. Indem das normative Korrektiv auf eine Pflichtwidrigkeit bei der Beurteilung der Sachlage abstellt, trägt es selbst subjektive Züge. Zwar ist nicht subjektives 1 Schlink, Jura 1999, 169; von Subjektivierungen im Polizeirecht sprechen etwa auch Friauf, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. 2 Rn. 53; Ossenbühl, DÖV 1976, S. 463/467; Schröder, Das „Irrtumsprivileg" des Staates, S. 68-70, 82; Sparwasser/Geißler, DVB1. 1995, S. 1317/1323. 2 Denninger, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 37; Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 28; Schoch, JuS 1994, 667/668; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 285. 3 Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. L Rn. 8 f.; Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 93c; Schoch, JuS 1994, 932/934; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 289 f.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Verschulden im Sinne individueller Schuld gemeint, aber ein Verschulden im Sinne objektiver Pflichtwidrigkeit, die notwendige Bedingung eines Verschuldens ist. Mit der Subjektivierung der Perspektive dringt so gleichzeitig ein Verschuldenselement in das Gefahrenabwehrrecht ein. Entsprechende subjektive Aspekte finden sich im Rahmen der Kosten- und Entschädigungsansprüche. Der Anscheins- oder der Verdachtsstörer soll zu den Kosten der rechtmäßigen Maßnahme nur herangezogen werden können, wenn ihn an dem Verdacht oder dem Anschein ein Verschulden trifft. 4 Auch im Rahmen der Kostenregelungen wird der Pflichtwidrigkeitsgedanke als Korrektiv gegen unerwünschte Folgen der Subjektivierung eingesetzt. Entsprechendes gilt für die Entschädigungsansprüche. Über sie entscheidet nicht allein die Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Auch für rechtmäßige Maßnahmen gegen Anscheinsund Verdachtsstörer soll eine Entschädigung gewährt werden, wenn den Anscheins· und Verdachtsstörer kein Verschulden trifft. 5 Als ein subjektiver Aspekt der polizeilichen Verantwortlichkeit kann auch die Figur des Zweckveranlassers 6 verstanden werden. Mit dem Zweck wird auf ein Kriterium abgestellt, dem jedenfalls eine subjektive Dimension beigelegt werden kann. Ein subjektiver Gedanke ist ferner in die Altlastendiskussion eingeführt worden. Kosten sollen dem Zustandsstörer nicht schon dann zur Last fallen, wenn die Gefahr von einem Grundstück ausgeht, über das er die Sachherrschaft ausübt. Seine polizeiliche Verantwortlichkeit soll entfallen, wenn er sich in einer Opferrolle befindet, für die nicht zuletzt die subjektive Kenntnis oder das subjektive Kennen-müssen der gefährlichen Eigenschaften des Grundstücks maßgeblich sein soll. 7 Schließlich wird der subjektive Anspruch auf polizeiliches Einschreiten als ein weiteres subjektives Moment des Gefahrenabwehrrechts angeführt. 8 Die einzelnen subjektiven Aspekte unterscheiden sich in ihrer Art und den sie tragenden Überlegungen. Der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten mit der Einräumung subjektiver Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten spricht einen

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Schoch, JuS 1995, 504/507; Sailer, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. M Rn. 16 f.; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 582. 5 BGHZ 117, 303/307; 126, 279/283; BGH, NJW 1996, 2355; Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. L Rn. 8 f.; Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 93c; Schoch, JuS 1994, 932/934; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 289 f. 6 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Figur erhebt jetzt Widder, Zweckveranlasser, m.w.N. zur Rechtsprechung und Literatur. 7 Götz, Polizeirecht, Rn. 223; Schoch, JuS 1994, 1024/1026; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 642. 8 Schlink, Jura 1999, 169/171 f.

Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr anderen Gegenstand an als die auf Handlungszwecke gerichtete Subjektivität, die sich mit der Figur des Zweckveranlassers verbinden läßt. Entspricht der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten einer allgemeinen grundrechtlich fundierten Tendenz, die individuelle Rechtsdurchsetzung zu stärken, so ist die Lehre vom Zweckveranlasser einer Zurechnungsüberlegung bei der Bewertung unterschiedlicher kausaler Verhalten oder Zustände geschuldet.9 Beide Tendenzen sind wiederum verschieden von dem Pflichtwidrigkeits- und Verschuldenselement, das in den Gefahr- und Verantwortlichkeitsbegriff eingedrungen ist und auch für die Kosten- und Ersatzansprüche Bedeutung erlangt hat. Unterschiedlich ist auch die ratio der einzelnen Subjektivierungen. Das subjektive Verständnis von Gefahr und Verantwortlichkeit wird zumeist mit der Notwendigkeit effektiven polizeilichen Handelns begründet. 10 Der subjektive Aspekt der Kostenlast und des Entschädigungsanspruchs wird mit der Zumutbarkeit für den Inanspruchgenommenen in Verbindung gebracht. Dort, wo er den Anschein oder den Verdacht, den er erregt, oder die Altlast, die er erwarb, nicht erkennen konnte, soll eine Kostenpflicht unzumutbar sein. Für die Altlastenhaftung wird dies häufig mit Art. 14 GG begründet. 11 Die einzelnen subjektiven Aspekte unterscheiden sich aber auch - und dies ist für die Untersuchung maßgeblich - in ihrer Bedeutung für das dogmatische System. Das subjektive Recht auf polizeiliches Einschreiten ist den systematischen Zusammenhängen der einzelnen Elemente äußerlich. Die dogmatischen Elemente und ihr systematischer Zusammenhang bestimmen zunächst, ob eine Maßnahme rechtmäßig erfolgen kann. Ob dann auch noch ein individuell durchsetzungsfähiges Recht auf diese Maßnahme besteht, ist eine dem nachgeordnete Frage. Sie baut auf dem oben beschriebenen positiv-rechtlichen Zusammenhang auf. Ein Anspruch auf Einschreiten kann nur gegeben sein, wenn eine Maßnahme den Anforderungen des wie immer dogmatisierten Systems genügt, bezieht sich aber nicht auf die dogmatische Ausgestaltung der einzelnen Elemente. Von untergeordneter Bedeutung ist auch die Figur des Zweckveranlassers. Sie betrifft zwar das Element der polizeilichen Verantwortlichkeit, doch zum einen nur den sehr speziellen Fall der Bewertung unterschiedlicher kausa9

Pietzcker, DVB1. 1984, 457/461 f. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 224; Gusy, Polizeirecht, Rn. 119; Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 58; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 289. 11 Götz, Polizeirecht, Rn. 223; Papier, Altlasten, S. 47-58; Sparwasser, DVB1. 1995, 1317-1327; anders Griesbeck, Materielle Polizeipflicht, S. 137-140, der den verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt in Art. 3 Abs. 1 GG sieht. Er weist darauf hin, daß die Zustandsverantwortlichkeit nicht an das Eigentum anknüpft, sondern an die Sachherrschaft (ebd. S. 63 f.) und die Kostenfolgen nicht das Eigentum, sondern das nicht in Art. 14 GG geschützte Vermögen (ebd. S. 135 f.) betreffen. 10

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

1er Verhalten oder Zustände.12 Zum anderen ist die subjektive Lesart der Figur nur eine; andere suchen unter einem objektiven Zweckbegriff nach objektiven Zurechnungskriterien. 13 Ein für das System zentraler subjektiver Aspekt liegt indes in einem subjektiven Verständnis des Gefahrbegriffs. Mit dem Gefahrbegriff werden die dogmatischen Weichen gestellt. Die Einbeziehung des Pflichtwidrigkeits- und Verschuldenselements in die anderen Kategorien erfolgt nicht zufällig neben einem subjektiven Gefahrkonzept, sondern ergibt sich als dessen Konsequenz. Wer die Gefahr subjektiv konstruiert, muß auch die polizeiliche Verantwortlichkeit subjektiv verstehen. Für etwas, das nur dem subjektiven Anschein des Gefahrenabwehrorgans nach existiert, kann keine objektive Verantwortlichkeit bestehen. Es bleiben nur zwei Auswege: Entweder wird auch für die polizeiliche Verantwortlichkeit auf den subjektiven Anschein abgestellt14, oder die Verantwortlichkeit wird nicht mehr als Verantwortlichkeit für einen gefährlichen Zustand, sondern als Verantwortlichkeit für den subjektiven Anschein eines gefährlichen Zustands konzipiert 15 . Die Konsequenzanforderungen des positivrechtlichen Systems bringen sich unweigerlich zur Geltung. Von dort ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, auch beim objektivem Vorliegen einer Gefahr nur noch auf den Anschein oder den Verdacht einer Verantwortlichkeit für diese objektive Gefahr abzustellen. Die entsprechende Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit folgt nicht zwingend aus der Subjektivierung des Gefahrbegriffs, liegt aber in der Tendenz dieser Entscheidung. Nichts anderes gilt für die subjektiven Aspekte der sekundären Rechtsfolgen. Die Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche müssen aufgrund eines subjektiven Gefahrbegriffs nicht um ein Verschuldenselement angereichert werden. Es ist auch denkbar, demjenigen, der für die scheinbare Gefahr nur scheinbar verantwortlich ist, die Kosten der scheinbaren Gefahrbeseitigung aufzuerlegen und eine Entschädigung für seinen real erlittenen Einbußen zu versagen. Doch zumindest in Fällen, in denen der scheinbar Verantwortliche den Schein oder Verdacht nicht einmal in einer wie auch immer vorwerfbaren Weise veranlaßt hat, erscheint dies den Vertretern eines subjektiven Gefahrbegriffs unzumutbar. Soll dem Gefahrenabwehrorgan der Vorwurf rechtswidrigen Handelns erspart bleiben, wenn es in nicht vorwerfbarer Weise eine Gefahr bloß angenommen

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Pietzcker, DVB1. 1984,457/461 f. Kritisch zu dieser Objektivierung des Zweckbegriffs Ziehm, Störerverantwortlichkeit, S. 90. 14 Etwa VGH Mannheim, DÖV 1985, 687/688; bestätigt durch VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 24/26. 15 Schenke/Ruthig, VerwArch. 1996, 329/337-347; Schenke, in: FS Friauf, S. 455/478-485. 13

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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hat, so soll darum aber nicht der scheinbar Verantwortliche aus der Maßnahme einen Schaden haben, wenn er den nicht vorwerfbaren entstandenen subjektiven Anschein oder Verdacht objektiv nicht vorwerfbar verursacht hat. Wird die mangelnde Vorwerfbarkeit für das Gefahrenabwehrorgan entlastend herangezogen, lassen sich unzumutbar erscheinende Ergebnisse nur noch vermeiden, wenn die mangelnde Vorwerfbarkeit für die Sekundäransprüche auch zugunsten des scheinbar Verantwortlichen berücksichtigt wird. Der in die Altlastendiskussion eingeführte subjektive Gedanke16 betrifft zwar auch einen Spezialfall und ist insoweit nicht schon für sich genommen mit einer Systementscheidung verbunden. Doch verstärkt die Einbeziehung von Verschuldensüberlegungen für einzelne eng umrissene Fallgruppen die Subjektivierung der Sekundäransprüche, die in der Subjektivierung der Grundbegriffe angelegt ist. Anders als etwa bei dem Anspruch auf polizeiliches Einschreiten oder der Figur des Zweckveranlassers handelt es sich bei der Erkennbarkeit der Kontamination eines Grundstücks auch um einen schuldorientierten Gedanken. Die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts wird als Tendenz, als Entwicklungsrichtung beschrieben. Damit träte zu den einzelnen, schon zu konstatierenden subjektiven Aspekten noch ein dynamisches Moment. Das Gefahrenabwehrrecht wäre in Bewegung und zwar in Bewegung hin zu einer immer stärkeren Berücksichtigung subjektiver Elemente. Ließen sich nicht nur subjektive Elemente im Gefahrenabwehrrecht ausmachen, sondern eben eine solche Entwicklungsrichtung, so wäre nach ihren Ursachen zu fragen, und wären die Ursachen zwingend, so müßte auch die Suche nach einem dogmatischen System in die vorgegebene Entwicklungsrichtung gehen. Als Ergebnis stünde unter Umständen eine Dogmatik, die die subjektiven Aspekte noch konsequenter als bislang zur Geltung und die Entwicklung zum Abschluß bringt, die sich in der Subjektivierung andeutet.

A. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr Von einer Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts als einer Tendenz, als einer Entwicklungsrichtung kann nur die Rede sein, wenn das Gefahrenabwehrrecht nicht immer schon mit den subjektiven Elementen operiert hat, die seine Subjektivierung ausmachen sollen. Die These von der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts muß sich an der Geschichte seiner Dogmatik messen lassen. 16

Eine Subjektivierung sehen auch Sparwasser/Geißler, DVB1. 1995, S. 1317/1323, die an dem Argument der Opferposition kritisieren, daß damit ein systemfremdes Verschuldenselement in das Polizeirecht eingeführt werde.

Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

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I. Das Gefahrenabwehrrecht in der Zeit des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts kann als zeitlicher und als sachlicher Anknüpfungspunkt für einen Abriß der dogmatischen Entwicklung des Gefahrenabwehrrechts dienen. Das Polizeirecht ist zwar älter als das Preußische Oberverwaltungsgericht und neben dem Preußischen Oberverwaltungsgericht haben auch die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe in anderen deutschen Ländern zum Polizeirecht judiziert. Doch zum einen war es das Preußische Oberverwaltungsgericht, das das Polizeirecht gültig auf das Gefahrenabwehrrecht festgelegt hat. 17 Und zum anderen war die Rechtsprechung der anderen Gerichte dogmatisch nicht so durchgebildet 18 und lehnte sich zum Teil offen an die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts an 19 . Die dogmatischen Strukturen des auf das Gefahrenabwehrrecht beschränkten Polizeirechts wurden unter der Führung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts entwickelt. 20 Auch die heutigen Gefahrenabwehrgesetze entsprechen in ihrem Kern dem Preußischen Polizeiverwaltungsgesetz von 1931, mit dem der Gesetzgeber von 1931 im wesentlichen nur die Früchte einer über 50-jährigen Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zum Gefahrenabwehrrecht erntete. 21 Die Kodifikation vollzog in ihren Grund17

PrOVGE 9, 353; vgl. Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. 3, S. 6. Vgl. etwa die auch 1925 noch eher tastenden Ausführungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zum Begriff der Gefahr, Jahrbücher SächsOVG 28, 258/260; für den Württembergischen Verwaltungsgerichtshof s. Regers Entscheidungen 51 (1931), 585/593; aus der Literatur Finke/Messer, Das allgemeine Polizeirecht Thüringens, S. 9 - 1 1 . 19 Etwa BadVGH, JW 1928, 3287. 20 Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. 3, S. 6.; Das Reichsverwaltungsgericht lieferte in der kurzen Zeit seines Bestehens keine Entscheidungen, die unter dem Gesichtspunkt der Subjektivierung zur Entwicklung des Gefahrenabwehrrechts beigetragen haben, vgl. Heuer, Generalklausel, S. 507. 21 Götz, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 417, 419; Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. 3, S. 6. Die Weimarer Republik brachte Veränderungen in der Poizeiorganisation, nicht aber des materiellen Gefahrenabwehrrechts, das schon im Spätkonstitutionalismus eine rechtsstaatliche Entwicklung genommen hatte, Boldt, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. A Rn. 58; Götz, ebd., S. 410. Rechtsstaatlich entwickelt hatten sich zumindest die Formen des Polizeihandelns, wenn auch die Unbestimmtheit der Ermächtigungen der Praxis keinem grundlegenden Wandel aufgezwungen haben mag, so Lüdtke, Staat 1981, 201/226-228, u.a. unter Bezug auf Mayer, in: Das Stiftungsfest, S. 17/41: „Unser Staat kann auch in der Verwaltung nicht mehr sein ohne das Gewand der Rechtsordnung. Aber dieses Gewand muß passend sein, die Bewegungen nicht hemmen und verrenken, sondern sich ihnen harmonisch anschließen und diese mit schönem Maße umgeben." 18

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zügen nur nach, was in der Rechtsprechung des Gerichts nicht nur angelegt, sondern entwickelt und dogmatisch durchgebildet worden war. 22 Von einer Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts kann daher nur gesprochen werden, wenn das Gefahrenabwehrrecht in der Zeit des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zunächst in einem objektiven Sinn verstanden worden ist.

1. Die Programmatik Die Programmatik des Gerichts und die der die Rechtsprechung begleitenden Literatur gibt auf die Frage nach der Objektivität des Polizeirechts eine eindeutige Auskunft: Gefahrenabwehrrecht orientiert sich ausschließlich an objektiven Gegebenheiten, ist objektives Recht; subjektive Rechts- oder Tatsachenüberzeugungen, Erwägungen zu Schuld und Verschulden sind ihm fremd. 23 Schon ganz früh in seiner polizeirechtlichen Judikatur stellt das Gericht fest, daß es für die Rechtmäßigkeit einer polizeirechtlichen Verfügung nur darauf ankommt, „ob sie objektiv dem bestehenden Rechte entspricht." 24 Ob die Behörde subjektiv von zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist, sei unerheblich. 25 Es „kann füglich nicht entscheidend sein, daß die Polizeibehörde sich von der bevorstehenden Störung der öffentlichen Ordnung und von der Nothwendigkeit der angeordneten Maßnahmen überzeugt hielt, sondern allein, ob die Besorgnis der Polizeibehörde den Umständen nach berechtigt war, d.h. Tatsachen die Annahme rechtfertigten, daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet und weiter, ob zur Abwendung der drohenden Gefahr das gewählte Mittel geboten oder doch dienlich gewesen ist." 26 Entsprechend deutlich sind die Erklärungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zu den Anforderungen, die an das Vorliegen einer Gefahr zu stellen sind: „Das Oberverwaltungsgericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß die Polizei zu einem Einschreiten behufs Abwendung einer Gefahr aufgrund des § 10 Titel 17 Teil I I des Allgemeinen Landrechts nur dann berechtigt ist, wenn tatsächlich eine objektive Gefahr vorhanden ist. Die bloße 22 Jellinek, RVB1. 1931, S. 121, hielt sogar die förmliche Aufhebung des § 10 I I 17 ALR, den das Preußische Oberverwaltungsgericht zur Grundlage seiner Rechtsprechung gemacht hatte, für „nicht gerade pietätvoll" und schlug vor, ihm einen „freundlichen Altersplatz" einzuräumen, indem § 14 PrPVG den Klammerzusatz „vgl. § 10 I I 17 ALR" erhalten sollte. 23 So auch der Befund von Heuer, Generalklausel, S. 186 f. 24 PrOVGE 6, 359/366 - Hervorhebung durch den Verfasser - ; vgl. schon PrOVGE 6, 307/310; später PrOVGE 36, 237/239; 40, 363/373; 76, 383/385. 25 Ebd. 26 PrOVGE 39, 392/394; vgl. PrOVG, PrVBl. 25, 161.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Annahme einer Gefährdung reicht hierzu nicht aus. Stellt sich im Verlaufe des Verwaltungsstreitverfahrens heraus, daß die von der Polizeibehörde als tatsächlich angenommene Gefahr in Wirklichkeit nicht bestanden hat, so muß die zu ihrer Abwendung erlassene Verfügung aufgehoben werden, die Polizeibehörde also in dem Verwaltungsstreit unterliegen." 27 Und auch noch in der Entscheidung im 77. Band, die häufig als Beleg dafür herangezogen wird, daß auch schon das Preußische Oberverwaltungsgericht den subjektiven polizeilichen Anschein einer Gefahr für ausreichend erachtet habe28, heißt es, „daß die Polizei zu einem Einschreiten behufs Abwendung einer Gefahr aufgrund des § 10 Titel 17 Teil II des Allgemeinen Landrechts nur dann befugt ist, wenn tatsächlich eine objektive Gefahr vorhanden ist, während die bloße Annahme einer Gefährdung hierzu nicht ausreicht. ... Die polizeirechtliche Gefahr stellt sich dar als eine die erkennbare objektive Möglichkeit eines Schadens enthaltende Sachlage, der nach verständigem Ermessen vorzubeugen ist" 29 . Auch die polizeiliche Verantwortlichkeit bestimmt sich nach den Äußerungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts ausschließlich nach objektiven Kriterien. Auf ein Verschulden des Verantwortlichen kommt es nicht an. Dies hat das Gericht ebenfalls früh und besonders für die Zustandshaftung betont. „Dagegen besteht allerdings für jeden Eigentümer die Pflicht, sein Grundstück in einem solchen Zustande zu erhalten,... daß polizeilich zu schützende öffentliche Interessen nicht beeinträchtigt oder gefährdet werden und nicht minder erscheint die Polizeibehörde berechtigt, den jeweiligen Eigentümer eines Grundstücks ... zur Abstellung der Mängel anzuhalten - ohne Rücksicht darauf ob er für seine Person dieselben verschuldet hat, oder ob sie auf die Einwirkung eines Dritten oder auf einen Zufall zurückzuführen sind." 30 Nicht anders wurde das Polizeirecht in der Literatur gesehen. In der ersten systematischen Darstellung des Polizeirechts als Gefahrenabwehrrecht betont Drews , daß die Gefahr sich „aufgrund objektiver Tatsachen nach den Erfahrungen des praktischen Lebens"31 beurteilt. „Die Polizei entscheidet allein die 27

PrOVG, PrVBl. 38, 360/361 - Hervorhebung durch den Verfasser. Vgl. auch WürttembVGH, Regers Entscheidungen, 51 (1931), 585/593: Die Entscheidung über die Gefährdung „ist nicht nach der subjektiven Anschauung der Verwaltungsbehörde, sondern nach der Anschauung des Verkehrs unter Würdigung der, falls notwendig, im Wege der Beweiserhebung festzustellenden Verhältnisse zu treffen." 28 Etwa Denninger, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 37; Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 217. 29 PrOVGE 77, 333/338. 30 PrOVGE 7, 348/351 - Hervorhebung durch den Verfasser - ; vgl. mit ausführlicher Begründung zur Verfassungsmäßigkeit der Eigentümerverantwortlichkeit und weiteren Nachweisen PrOVGE 65, 369/375. 31 Drews, Preußisches Polizeirecht, S. 10 - Hervorhebung durch den Verfasser.

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o b j e k t i v e T a t s a c h e , ob eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vorliegt, die ohne das betreffende Handeln oder ohne den betreffenden Zustand nicht eingetreten sein würde. Es liegt hierin einer der grundlegensten Unterschiede des Polizeirechts vom Zivil- und Strafrecht und ein wesentlicher Kernpunkt des Polizeirechts überhaupt ." 3 2 Ebenso verlangt Hatschek: ,Jïs muß eine Gefahr vorliegen, d.i. ein Schwebezustand, während dessen der Eintritt eines Schadens objektiv möglich ist" 33 . Er unterscheidet das Polizeirecht vom Strafrecht gerade dadurch, daß „im Strafrecht noch außer der Frage der objektiven Möglichkeit die Frage nach der ,subjektiven Schuld' von Wichtigkeit" 34 ist. Mayer charakterisiert die polizeiliche Verantwortlichkeit dadurch, daß im Unterschied zum Strafrecht kein „sittliches Urteil ausgesprochen und das hierfür erforderliche Verschulden festgestellt werden soll. Die polizeiliche Verantwortlichkeit rechnet viel äußerlicher. Sie hat es nicht mit dem Menschen als sittlichem Wesen zu tun, sondern mit der gesellschaftlichen Einzelheit, die der Gesellschaft als Gesamtheit gegenübersteht."35 Selbst Arbeiten, die sich ausführlich mit dem prognostischen Element gefahrenabwehrrechtlicher Beurteilungen auseinandersetzten, kamen zu keinen anderen Resultaten. Sowohl Scholz 36 als auch v. Müller 37 gelangten in ihren Untersuchungen zum Zusammenhang von Wahrscheinlichkeitsurteilen und dem polizeirechtlichen Gefahrbegriff zu einem objektiven Begriff der Wahrscheinlichkeit und damit zu einem objektiven Begriff der polizeilichen Gefahr. 38 Die Kommentierungen des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes gingen einhellig sowohl von einem objektiven Verständnis des Gefahrentatbestands als auch von einer objektiven Beurteilung der polizeilichen Verantwortlichkeit aus.39 Soweit die Programmatik von Rechtsprechung und Literatur: Rechtsprechung und Literatur skizzierten ihr Verständnis des Gefahrenabwehrrechts als ein durchgehend objektives. Gerade die Objektivität des Polizeirechts galt als „wesentlicher Kernpunkt des Polizeirechts überhaupt t4°. 32 Ebd. S. 42 - Gesperrtdruck Hervorhebung durch den Verfasser, Kursivdruck Hervorhebung im Original. 33 Hatschek, Verwaltungsrecht, S. 132 - Hervorhebung im Original. 34 Ebd. 35 Mayer, Verwaltungsrecht, S. 221; de lege ferenda schlug allerdings Jellinek, RVB1. 1931, S. 121/121 f., eine verschuldensabhängige Begrenzung der Verhaltensveranwortlichkeit vor. 36 Scholz, VerwArch. 1919, 1/35. 37 Müller, RVB1. 1930, 92/93. 38 Zur Objektivität des Gefahrbegriffs bei Scholz und Müller auch Ladeur, Umweltrecht in der Wissensgesellschaft, S. 12. 39 Etwa Friedrichs, Polizeiverwaltungsgesetz, § 14 Anm. 4; Schäfer/Wichards/Wille, Polizeiverwaltungsgesetz, § 14 Anm. IV. 1 u. 3; §§ 18, 19, 20 Anm. 1. 40 Drews, Preußisches Polizeirecht, S. 42 - Hervorhebung im Original. 3 Poscher

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr 2. Die Fallpraxis

Eine andere Frage ist, wie es Rechtsprechung und Literatur mit der Objektivität des Polizeirechts in concreto hielten. Wie gingen Rechtsprechung und Literatur mit den „hard cases" um? Waren für sie Irrtümer der Polizei selbst dann unbeachtlich, wenn sie unvermeidbar waren? Spielten subjektive Aspekte im Rahmen der polizeilichen Verantwortlichkeit tatsächlich keine Rolle? Auf diese Fragen läßt sich keine Antwort in programmatischen Äußerungen finden. Wieweit Rechtsprechung und Literatur mit der Objektivität des Polizeirechts ernst gemacht haben, kann sich nur an den Entscheidungen in Grenzfällen und deren Würdigung in der Literatur zeigen.

a) Rechtsprechung Das Preußische Oberverwaltungsgericht beschäftigte sich häufiger mit Irrtümern der Gefahrenabwehrbehörden. Es unterscheidet zwischen Rechts- und Tatsachenirrtümern. Rechtsirrtümer sind für das Gericht grundsätzlich unbeachtlich. Für die Beurteilung polizeilicher Maßnahmen sei allein die objektive Rechtslage entscheidend. Es komme nicht darauf an, ob der Beamte die Maßnahme für rechtmäßig hielt. 41 Entsprechend müßten sich polizeiliche Maßnahmen nicht an der herangezogenen, sondern an der objektiv einschlägigen Rechtsgrundlage messen lassen.42 Mit tatsächlichen Irrtümer bei der Beurteilung von Gefahrenlagen hat sich das Preußische Oberverwaltungsgericht zunächst nur im Rahmen sogenannter Konfliktverfahren auseinandersetzen müssen. Diese konnten auf Antrag der vorgesetzten Behörde als verwaltungsgerichtliche Verfahren einem Prozeß vor den ordentlichen Gerichten vorgeschaltet werden, in dem es entweder für die strafrechtliche Verfolgung von Amts- und Diensthandlungen oder im Rahmen von Amtshaftungsprozessen auf die Überschreitung von Amtsbefugnissen ankam. 43 In dem Konfliktverfahren stellte das Preußische Oberverwaltungsgericht

41 PrOVGE 6, 359/366. Das Gericht nahm im Falle des Rechtsirrtums grundsätzlich auch eine Amtspflichtverletzung an, PrOVGE 14, 420/424 f.; 427/431; 19, 445/449; 23, 417/422; Nur bei einer falschen, aber vertretbaren Auslegung des Rechts, sollte dem Beamten kein Vorwurf gemacht werden, PrOVGE 55, 459/464: Ausnahme, vertretbare Auslegung. 42 PrOVGE 36, 237/239; 40, 363/373; 76, 383/385. 43 Seit dem 27.1.1877 war der Konflikt in § 11 EGGVG geregelt. Danach durfte die straf- und zivilrechtliche Verfolgung von Zivil- oder Militärbeamten nicht mehr von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Unberührt blieben hingegen die landesrechtlich vorgesehenen Konfliktverfahren. In Preußen waren die Konflikte

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fur die nachfolgenden Verfahren verbindlich die Überschreitung der Amtsbefugnisse fest. In den Konfliktverfahren berief sich die vorgesetzte Behörde häufig darauf, daß der Amtsträger zwar von einer falschen Tatsachenlage ausgegangen sei, aber seinen Aufklärungspflichten genügt habe und damit eine Überschreitung der Amtsbefugnisse nicht vorliege. Bereits im achten Band der amtlichen Sammlung findet sich der LaktometerFall, in dem das Preußische Oberverwaltungsgericht seine Grundsätze für die Beurteilung tatsächlicher Irrtümer im Rahmen des Konfliktverfahrens festlegt. 44 Um zu verhüten, daß zuwider § 367 Nr. 7 des Reichsstrafgesetzbuches mit Wasser verdünnte Milch in den Verkehr gebracht wurde, hatte das Polizeipräsidium Berlin die regelmäßige Untersuchung der von den Milchhändlern angebotenen Milch angeordnet. Zur Überprüfung der einzelnen Milchhändler wurde mit einem Laktometer eine Probe aus dem Milchvorrat genommen. Während handelsübliche Milch Laktometerwerte von mindestens 14 erreichte, erzielte verdünnte Milch aufgrund des geringeren spezifischen Gewichts entsprechend niedrigere Werte. Einer Anordnung des Polizeipräsidiums folgend, hielt ein Polizeileutnant eine amtliche Revision der Milchvorräte bei dem späteren Kläger ab. Bei einem Faß, das nach Angaben der Verkäuferin Milch enthielt, ergab der Laktometertest den Wert 11. Außerdem hatte die Milch „ein sehr durchsichtiges Ansehen"45. Daraufhin ließ der Polizeileutnant den Inhalt des Fasses in den Brunnenabfluß gießen. In dem anschließenden Strafprozeß wurde der Milchhändler frei gesprochen. Die Beweisaufnahme hatte ergeben, daß das Faß keine verdünnte Milch, sondern zum Buttern bestimmter Sahne enthielt. Der Laktometertest war negativ ausgefallen, weil der Buttersahne zur Kühlung Eisstücke zugesetzt waren. Infolge des Schmelzens der Eisstücke hatte sich eine obere Schicht aus einem Gemisch von Schmelzwasser und Sahne gebildet. In dem vom Polizeipräsidium erhobenen Konflikt entschied das Preußische Oberverwaltungsgericht, daß dem Beklagten „trotz des in tatsächlicher Beziehung unterlaufenen Irrthums eine Überschreitung seiner Amtsbefugnisse nicht zur Last" 46 fällt. „Die ... Grenze seiner Amtsbefugnisse wird dadurch nicht verrückt

nach dem Gesetz über die gerichtliche Verfolgung von Diensthandlungen vom 13.11.1854 (GS 86) und nach den §§ 2 und 4 des Gesetzes über die Haftung des Staates und anderer Verbände für Amtspflichtverletzungen von Beamten bei der Ausübung der öffentlichen Gewalt vom 1.8.1909 (GS 691) vorgesehen. Beide Konfliktverfahren wurden zu Beginn der Weimarer Republik durch das Gesetz vom 16.11.1920 abgeschafft. (Stier-Somlo, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, S. 645 f.) Im einzelnen zum Konfliktverfahren, Gravenhorst, Konflikt. 44 PrOVGE 8, 417. 45 PrOVGE 8, 417/418. 46 PrOVGE 8, 417/424.

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oder überschritten, daß er sich trotz seiner pflichtgemäßen Prüfung in dem thatsächlichen Resultat irrte." 47 Die Entscheidung behandelt einen typischen Fall der Anscheinsgefahr. Der sorgfältige, mehrmals messende und nur durch unglückliche Umstände und falsche Angaben irregeleitete Polizeileutnant kommt zu einer falschen Tatsacheneinschätzung, ohne daß ihm auch nur entfernt ein Verschulden vorgeworfen werden könnte. Als sorgfältiger Polizeibeamter mußte er einen Verstoß gegen das Reichsstrafgesetzbuch und damit eine Gefahr annehmen, und es klingt so als würde das Preußische Oberverwaltungsgericht diese berechtigte subjektive Perspektive für die Rechtmäßigkeit des Eingriffs ausreichen lassen. Eine Überschreitung der Amtsbefugnisse lag nach Ansicht des Preußischen Oberverwaltungsgerichts nicht vor. Ganz in diesem Sinne stellt das Gericht bei der Überprüfung eines objektiv rechtswidrigen polizeilichen Schlachtverbots im Rahmen eines Konfliktverfahrens fest: „Aber nicht jede objektiv unzulässige Amtshandlung stellt eine Überschreitung der Amtsbefugnisse dar ... Demgemäß ist in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts einerseits angenommen worden, daß eine Überschreitung der Amtsbefügnisse nicht vorliegt in Fällen, in denen das bestehende Recht dem Beamten für die Feststellung und Beurteilung tatsächlicher Verhältnisse zum Zwecke der Anwendung des objektiven Rechtes eine pflichtgemäße Untersuchung und freies Ermessen eingeräumt hat, der Beamte aber hierbei trotz pflichtgemäßer Prüfung geirrt hat." 48 Es scheint, als würde das Gericht seine programmatisch objektive Position in Fällen des Tatsachenirrtums nicht sonderlich ernst nehmen, sondern insoweit auf die pflichtgemäße subjektive Beurteilung des handelnden Polizeibeamten abstellen. Daß dies nur so klingt, macht hingegen ein genauerer Blick auf den Gegenstand des Konfliktverfahrens und nicht zuletzt auf die Entscheidungen des Gerichts selbst deutlich. Im Rahmen der Konfliktentscheidung hatte das Gericht zu klären, ob „Schuld infolge Überschreitung der Amtsbefugnisse oder Unterlassung einer dem Beamten obliegenden Amtshandlung vorliegt oder nicht ,.." 49 . Dabei hatte das Konfliktgericht nur zu entscheiden, ob die Diensthandlung objektiv pflichtwidrig war, nicht, ob die Pflichtverletzung auch auf einem subjektiven Verschulden beruhte, und auch nicht, ob die Maßnahme wegen der Pflichtverletzung rechtwidrig oder trotz der Pflichtverletzung rechtmäßig war. Die Frage eines subjektiven Verschuldens war, soweit der Konflikt verworfen

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PrOVGE 8, 417/422. PrOVGE 46, 441/448 f. - Hervorhebung im Original - , vgl. auch PrOVGE 14, 420/425; 15, 443/448; 75, 435/439. 49 Gravenhorst, Konflikt, S. 134. 48

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wurde, von den ordentlichen Gerichten zu beurteilen. 50 Bei der Betrachtung von Konfliktentscheidungen muß zwischen der objektiven und subjektiven Pflichtwidrigkeit des Beamten und der Rechtswidrigkeit der Maßnahme unterschieden werden. Mit der Ablehnung einer objektiven Pflichtverletzung ist über die Rechtswidrigkeit der Maßnahme noch kein Urteil gefallt. Im Rahmen der Überschreitung der Amtsbefugnisse prüft das Preußische Oberverwaltungsgericht nicht die Rechtmäßigkeit der Verfügung, sondern die objektive Verletzung von Amtspflichten. Dabei müssen Rechtswidrigkeit der Maßnahme und Überschreitung von Amtsbefugnissen nicht zusammenfallen. Dort, wo der Beamte trotz pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage einen rechtswidrige Amtshandlung vornimmt, kann es trotz Rechtswidrigkeit an einer Überschreitung der Amtsbefugnisse im Sinne einer objektiven Pflichtverletzung fehlen. Unberührt von der Rechtswidrigkeit und der darauf gestützten Aufhebung einer Polizeiverfügung „bleibt die Frage, ob der Beamte bei Erlaß der aufgehobenen Verfügung seine Amtsbefugnisse überschritten hat. Die Entscheidung dieser Frage greift materiell - wenn nicht regelmäßig, so doch vielfach - weiter als die ... der Aufsichtsbehörde. Wird die letztere im Beschwerdewege um Aufhebung einer polizeilichen Verfügung angegangen, so hat sie diese auszusprechen, sobald die objektiven Voraussetzungen und Erfordernisse der Verfügung in rechtlicher oder tatsächlicher Beziehung nach ihrem ausschließlich maßgebenden Ermessen nicht vorliegen. Dagegen ist auf erhobenen Konflikt ein Mehreres zu prüfen ... Das Resultat dieser Prüfung kann sehr wohl sein, daß der Beamte die Grenzen seiner Amtsbefugnisse nicht überschritten hat, obwohl derselbe namentlich in thatsächlicher Beziehung - irrte, als die objektiven Grundlagen der streitigen Verfügung nach dem Ermessen des Gerichtshofes ... nicht vorliegen." 51 Das Preußische Oberverwaltungsgericht hat mitunter selbst zunächst die Polizeiverfügung im Beschwerdeverfahren wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben und dann im Anschluß im Konfliktverfahren eine Überschreitung der Amtsbefugnisse verneint. In dem oben erwähnten Konfliktverfahren um das polizeiliche Schlachtverbot weist das Gericht auf eine vorgängige eigene Aufhebungsentscheidung in derselben Sache hin, ohne daß diese Aufhebungsentscheidung seine Konfliktentscheidung präjudiziell „Daraus, daß die polizeiliche Verfügung ... bereits im Verwaltungsstreitverfahren durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 4. November 1898 als rechtswidrig aufgehoben worden ist, folgt nicht die Unzulässigkeit der Konflikterhebung ... nicht jede objektiv unzulässige Amtshandlung stellt eine Überschreitung der Amtsbefugnisse dar;

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PrOVGE 14, 420/424; Gravenhorst, Konflikt, S. 134 f. PrOVGE 8, 411/414.

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... vielmehr kann auch ... eine objektiv unzulässige Verfügung erlassen werden, ohne daß der Beamte hiermit seine Amtsbefügnisse überschreitet." 52 Die Konfliktentscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts deuten entgegen dem ersten Eindruck mithin nicht auf eine Subjektivierung des Rechtmäßigkeitsmaßstabs.53 Im Gegenteil zeigen sie, daß das Gericht deutlich zwischen der objektiv zu stellenden und auch objektiv zu beantwortenden Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Polizeiverfügung auf der einen und der auf die subjektiv-normative Perspektive abzielende Frage nach der objektiven Amtsüberschreitung unterschied, die noch einmal von der erst durch die ordentlichen Gerichte zu klärenden Frage eines subjektiven Verschuldens abgesetzt war. Mit dem Konfliktverfahren war eine Unterscheidung institutionalisiert, die später im subjektiven Gefahrbegriff aufgelöst worden ist. Neben den Konfliktentscheidungen gibt es einige Urteile, die sich mit tatsächlichen Irrtümern von Gefahrenabwehrbehörden bei der Beurteilung einer vermeintlichen Gefahrsituation befassen. Die deutlichste Stellungnahme findet sich im Grudekoks-Urteil vom 30. April 1915.54 Ein Amtsvorsteher sah, daß rauchender Grudekoks in eine Scheune verbracht wurde. Er erkundigte sich telefonisch bei der Land-Feuersozietät nach der Feuergefährlichkeit des Grudekokses. Er erhielt die Antwort, daß eine Selbstentzündung nicht auszuschließen und eine Entfernung des Kokses aus der Scheune ratsam sei. Sein von ihm ersuchter Stellvertreter erließ gegen den Pächter des Scheunengrundstücks eine Verfügung, mit der dieser aufgefordert wurde, den Grudekoks binnen 24 Stunden aus der Scheune zu entfernen. Schon im Verfahren vor dem Bezirksausschuß stellte sich indes heraus, daß Grudekoks sich nicht selbst entzündet und auch sonst keine Feuersgefahr bestanden hatte. Der Bezirksausschuß hob die Entscheidung aus diesem Grund auf. Die Revision vor das Preußische Oberverwaltungsgericht stützte sich auf Argumente, wie sie heute zur Rechtfertigung der Anscheinsgefahr vorgetragen werden. „Ein Revisionsgrund wird nur darin erblickt, daß lediglich der tatsächliche Zustand, wie ihn der Bezirksausschuß feststellt, der Entscheidung zugrunde gelegt worden ist, nämlich die objektive Feststellung, daß Grudekoks sich nicht selbst entzünden kann. Demgegenüber sei ... von erheblicher Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der ergangenen polizeilichen Verfügung auch das subjektive Moment. Ein Polizeibeamter, der aufgrund genügenden Materials nach sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung und

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PrOVGE 46, 441/448. Daß es sich bei den Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, die auf das pflichtgemäße Handeln des Beamten abstellen, um Konflikt-Entscheidungen handelt, verkennt Schröder, Das „Irrtumsprivileg" des Staates, S. 12, dem daher die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts „unklar" erscheint. 54 PrOVG, PrVB1.38, 360 f. 53

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Erkundigung nach Lage der Sache annehmen könne, daß eine Gefährdung vorliege, müsse einschreiten und sei auch zum Einschreiten berechtigt, selbst dann, wenn tatsächlich eine Gefahr nicht vorgelegen habe. Es sei für den Beklagten nicht möglich gewesen, erst Sachverständige aus dem Kohlenrevier zu hören .... Hätte er dies getan und habe wirklich eine Gefährdung vorgelegen, so wäre inzwischen das Unglück längst eingetreten. ... Der Polizeibeamte dürfe nicht warten, bis das Unglück eingetreten sei. Eine Gefährlichkeit im Sinne des Gesetzes sei schon ein Zustand, in dem er das Vorliegen einer Gefahr nach pflichtgemäßem Ermessen annehmen könne." 55 Will man es kurz fassen, so wurde dem Preußischen Oberverwaltungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Anscheinsgefahr eine Gefahr im Sinne des Polizeirechts ist. Die tragenden Gründe des Preußische Oberverwaltungsgericht sind kurz und lassen an Klarheit und Bestimmtheit nichts zu wünschen übrig: „Das Oberverwaltungsgericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß die Polizei zu einem Einschreiten behufs Abwendung einer Gefahr aufgrund des § 10 Titel 17 Teil II des Allgemeinen Landrechts nur dann berechtigt ist, wenn tatsächlich eine objektive Gefahr vorhanden ist. Die bloße Annahme einer Gefährdung reicht hierzu nicht aus. Stellt sich im Laufe des Verwaltungsstreitverfahrens heraus, daß die von der Polizeibehörde als tatsächlich angenommene Gefahr in Wirklichkeit nicht bestanden hat, so muß die zu ihrer Abwendung erlassene Verfügung aufgehoben werden, die Polizeibehörde also in dem Verwaltungsstreit unterliegen. ... Die Berücksichtigung des subjektiven Moments bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer aufgehobenen polizeilichen Verfügung ist gesetzlich nicht zugelassen und deswegen ausgeschlossen."56 Das Preußische Oberverwaltungsgericht sieht sich durch die Gesetzesbindung daran gehindert, dort, wo das Gesetz eine Gefahr verlangt, den Anschein einer Gefahr ausreichen zu lassen. Auch im konkreten Fall macht das Gericht mit seinem objektiven Programm ernst, das mit der nicht weiter belegten ständigen Rechtsprechung in Bezug genommen wird. Diese so klare und als ständige Rechtsprechung vorgestellte Linie des Preußischen Oberverwaltungsgericht ist indes nicht ungebrochen. Von den wenigen veröffentlichten Entscheidungen, die sich mit Anscheins- oder Verdachtskonstellationen befassen, deuten einige auch auf ein weniger rigoroses Verständnis der Objektivität des Polizeirechts oder schränken es sogar ausdrücklich ein. Dies gilt auch für den Senat, der sich in der Grudekoks-Entscheidung so rigoros gezeigt hat. Fünf Jahre vor Grudekoks hatte derselbe Senat über eine Verfügung zu entscheiden, die einen Eigentümer verpflichtete, die Brandmauer seines Hauses abzustützen, nachdem in der Nachbarschaft zwei Häuser eingestürzt 55 56

Ebd. 361 - Hervorhebung durch den Verfasser. Ebd. - Hervorhebung durch den Verfasser.

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waren. Zum Zeitpunkt der Verfügung war die Brandmauer durch den Schutt der eingestürzten Häuser so unzugänglich, daß die Standfestigkeit der Mauer im Falle einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Statik nicht ohne Gefährdung des Sachverständigen zu klären gewesen wäre. Nach der Abstützung der Wand ergab ein Gutachten, daß die Brandwand zu keinem Zeitpunkt einsturzgefährdet war und den Einsturz der Nachbarhäuser ohne jeden Schaden überstanden hatte. Objektiv lag zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr vor. 57 Daß die Polizei es nicht besser wissen konnte, hat später auch den Beamten im Grudkoks-Fall nicht vor der Aufhebung seiner Verfügung geschützt. Man könnte erwarten, daß der Senat auch die Abstützungsverfügung nicht geschont haben würde. Indes bestätigt das Gericht die Entscheidung der Behörde: „Daß durch den Einsturz der beiden Häuser ... das Haus der Klägerin mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen sei, war eine naheliegende Besorgnis. ... Eine über die äußere Besichtigung hinausgehende Untersuchung der zunächst bedrohten Brandmauer war nach dem Erachten der Sachverständigen ohne Gefahr nicht möglich. Eine Gewißheit über deren objektive Standfestigkeit war deshalb nicht zu erlangen, weshalb dem Umstände, daß nachher diese Brandmauer sich als standfest erwiesen hat, wesentliche Bedeutung nicht beizumessen ist." 58 Die Entscheidung läßt sich nicht schon durch die für das Gericht selbstverständliche und später ausdrücklich betonte Ex-ante-Perspektive der Gefahrbeurteilung erklären. Nach der Ex-ante-Perspektive ist maßgeblich, ob „die Sachlage so, wie zur Zeit des Erlasses der Verfügung beschaffen war, sich bei objektiver Betrachtung als gefahrdrohend darstellte: trifft letzteres zu, so wird die Verfügung nicht deshalb nachträglich ungültig, weil die als gefahrdrohend beurteilte Sachlage tatsächlich irgendeine Schädigung der Allgemeinheit nicht im Gefolge gehabt hat." 59 Dies bedeutet indes nur, daß eine Gefahr nicht notwendig den späteren Schadenseintritt voraussetzt. Eine objektive Gefahr kann auch dann vorliegen, wenn die Entwicklung des Geschehens zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung objektiv nicht vorhersehbar war und die Befürchtungen sich nicht verwirklicht haben. Eine Lawinengefahr kann auch dann bestehen, wenn sich die Lawine wider Erwarten nicht löst. So liegen die Dinge in der Brandmauer-Entscheidung aber nicht. Die Mauer war objektiv auch zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung standfest. Es zeigte sich ex post nicht nur, daß die Mauer nicht eingestürzt ist, sondern ex post zeigte sich auch, daß die Mauer zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung nicht einsturzgefährdet war. Die Entscheidung muß aber nicht so gelesen werden, daß sie im Widerspruch zum Grudekoks-Urteil steht. Anders als im Grudekoks-Fall, in dem ein Sach57 58 59

PrOVG,PrVBl. 32, 119-121. Ebd. 120 - Hervorhebung durch den Verfasser. PrOVGE 93, 87/91 f.

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verständiger zum Zeitpunkt der Entscheidung eine Gefahr ausgeschlossen hätte, schien im Brandmauer-Fall auch den Sachverständigen der Ausschluß einer Gefahr nicht möglich. Während im Grudekoks-Fall eine Gefahr nur nach dem subjektiven Horizont des Polizeibeamten vorgelegen hatte, lag im BrandmauerFall eine Gefahr auch nach dem subjektiven Horizont der Sachverständigen vor. Zwar hätte jedermann objektiv gefahrlos den Schutt beseitigen und die Standfestigkeit der Brandmauer feststellen können, doch subjektiv konnte niemand die objektive Gefahrlosigkeit erkennen, ohne sich subjektiv einer Gefahr auszusetzen. Die Entscheidung könnte etwa so gedeutet werden, daß das Preußische Oberverwaltungsgericht eben den sachverständigen subjektiven Erkenntnishorizont, nicht aber den polizeilichen der Objektivität gleichstellt. Damit wäre das Polizeirecht indes nicht mehr allein an den objektiven Tatsachen, sondern an einem sachverständigen subjektiven Maßstab ausgerichtet. Die Entscheidung, auf die sich die Vertreter einer Subjektivierung der Gefahrbeurteilung heute regelmäßig berufen, wenn sie für ihre Auffassung eine Tradition begründen wollen 60 , findet sich erst 12 Jahre später. 61 Ein Ehemann sah sich in seinen Vermögensverwaltungsrechten aus dem gesetzlichen Güterstande verletzt, als seine Ehefrau Vermögensgegenstände aus der ehelichen Wohnung auf einen Möbelwagen schaffen ließ. Da eine beantragte einstweilige Anordnung des Zivilgerichts vor der Verladung des Vermögens auf einen Güterzug nicht mehr zu erreichen war, wurde der Möbelwagen von der Polizeiverwaltung bis zu einer Entscheidung des Gerichts beschlagnahmt. Neben der Frage, wann Polizeibehörden in zivilrechtlichen Angelegenheiten überhaupt tätig werden dürfen 62, beschäftigt sich das Gericht mit der Frage, ob es für die Rechtmäßigkeit der Polizeiverfügung erheblich sei, ob tatsächlich ein widerrechtliches Verhalten der Ehefrau vorgelegen habe, oder ob es ausreicht, daß die Polizei subjektiv von dem Vorliegen einer Gefahr überzeugt sein durfte. Es verneint diese Frage und gibt eine sich deutlich von der Grudekoks-Entscheidung absetzende Antwort: Der objektive Grundsatz der Grudekoks-Entscheidung „gilt unbedingt in allen Fällen, in denen die Polizei eine auf Dauer angelegte Verfügung, eine endgültige Anordnung erläßt. Andere Grundsätze kommen jedoch für den Fall in Betracht, daß die Polizei... nur vorläufig ... eingreift..., um die pflicht60

Etwa Denninger, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 37; Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 217. 61 PrOVGE 77, 333. 62 Einen ähnlichen Sachverhalt behandelt RG, JW 1930, 1213. Das Reichsgericht setzt sich aber mit dem Problem der ungewissen privatrechtlichen Rechtslage nicht auseinander. Gerland weist in einer Anmerkung zu der Entscheidung des Reichsgerichts (ebd. 1214) darauf hin, daß bei streitigen privatrechtlichen Verhältnissen jede Partei mit gleichem Recht ein Einschreiten der Polizei verlangen könne. Er spricht der Polizei aus diesem Grund die Befugnis zu einstweiligen Regelung in privatrechtlichen Streitigkeiten ab.

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gemäße Aufklärung eines Sachverhalts herbeizufuhren und die zur Gefahrbeseitigung nötigen Anstalten treffen zu können, falls sich die Voraussetzungen polizeilichen Einschreitens als gegeben erweisen. ... Ist nicht ohne weiteres erkennbar, ob die den Anschein einer Gefahr erweckende Sachlage in der Tat eine polizeirechtliche Gefahr in sich birgt, so hat die Polizei die erforderlichen Ermittlungen anzustellen ... Die Polizei ist befugt, ... in derartigen Fällen die Entwicklung eines Geschehens oder einer in Angriff genommenen Handlung, aus der nach dem bisher erkennbaren Tatbestande bei verständigem Ermessen eine polizeiliche Gefahr hervorzugehen scheint, so lange aufzuhalten ... bis über das tatsächliche Vorliegen oder NichtVorliegen einer polizeilichen Gefahr Klarheit geschaffen ist." 63 Die Ausnahme wird mit zwingenden Erfordernissen einer effektiven Gefahrenabwehr gerechtfertigt. 64 Ob dem Betroffenen ein Entschädigungsanspruch zusteht, läßt das Gericht offen. 65 Die Objektivität des Polizeirechts wird für diejenigen Fälle relativiert, in denen die Polizei die Unsicherheit über das Vorliegen einer Gefahr nicht aufklären kann. In diesen Fällen soll bereits die pflichtgemäße subjektive Überzeugung von der Möglichkeit einer Gefahr zu Eingriffen berechtigen. Diese Eingriffe sollen indes auf vorläufige Maßnahmen beschränkt sein. Die damit verbundene Subjektivierung geht weiter als in der Brandmauer-Entscheidung. Hinsichtlich vorläufiger Maßnahmen wird nicht auf den kollektiven subjektiven Erkenntnishorizont abgestellt, sondern auf den subjektiven Erkenntnishorizont des jeweils pflichtgemäß handelnden Beamten. Es ist daher zutreffend, daß das Gericht darin eine Ausnahme zu den im Grudekoks-Urteil aufgestellten Grundsätzen sieht. Die Entscheidung bleibt auch nicht singulär, sie wird später im Fall einer vorläufigen Unterbringung eines möglicherweise gemeingefährlichen Geisteskranken bestätigt.66 Auch diese Entscheidung versteht sich ausdrücklich als Ausnahme zu dem im Grudekoks-Urteil als ständige Rechtsprechung behaupteten Grundsatz. 67 Dennoch versucht das Gericht hier, dem Verdacht einer Gefahr noch den Anschein der Objektivität zu geben. „Voraussetzung der Rechtmäßigkeit eines derartigen vorläufigen Vorgehens ist jedoch, ... daß eine auch bei objektiver Betrachtung den Anschein einer... Gefahr erweckenden Sachlage vorgelegen hat" 68 . Die nun geforderte Objektivität des Scheins hat allerdings

63

Ebd. 338. Ebd. 65 Ebd. 339. 66 PrOVGE 103, 142-147. 67 Ebd. 144. 68 Ebd. - Hervorhebung durch den Verfasser; von einem „objektiven Anschein" spricht Drews schon in der ersten Auflage seines Polizeirechts von 1927, S. 61. 64

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nichts mehr von der Klarheit der Objektivität, auf die sich die GrudekoksEntscheidung bezieht. Gemeint sein kann nur ein subjektivierter Erkenntnishorizonts, der wie im Brandmauer-Fall kollektiv oder wie im Möbelwagen-Fall normativ verstanden wird und sich von dem individuell faktischen Horizont des Beamten abhebt. Die Entscheidung erweckt terminologisch zudem den Eindruck, als habe das Preußische Oberverwaltungsgericht Maßnahmen aufgrund einer Anscheinsgefahr für rechtmäßig erachtet. Indes handelt es sich in allen drei Fällen, in denen das Preußische Oberverwaltungsgericht die Objektivität des Gefahrenabwehrrechts einschränkt, nicht um Fälle einer Anscheinsgefahr, sondern um Gefahrverdachtssituationen im Sinne der heutigen Diktion. Sowohl im Brandmauer- als auch im Möbelwagen-Fall unterlag die Behörde keinem Irrtum, war nicht von den gefahrbegründenden Tatsachen überzeugt, sondern konnte deren Vorliegen lediglich nicht aufklären. Und auch der Unterbringungs-Entscheidung liegt ein Sachverhalt zugrunde, in dem die Behörde nicht von einer gemeingefährlichen Geisteserkrankung des Bäckermeister überzeugt war, sondern sie lediglich für möglich hielt, weshalb er „zur weiteren Untersuchung auf seinen Geisteszustand in die Heil- und Pflegeanstalt in K. verbracht" 69 wurde. Entsprechend wurde die Einweisung auch nur als vorläufige Maßnahme bis zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts verstanden. 70 Auch noch in anderer Hinsicht ging das Preußische Oberverwaltungsgericht zur Rechtfertigung polizeilicher Eingriffe über den objektiven Gefahrentatbestand hinaus. Schon früh hatte es jenseits der ausdrücklichen polizeilichen Befugnisse ein Recht der Behörden anerkannt „Vorverfügungen zu erlassen, welche die Entschließung der Behörde, ob Anlaß zu einem polizeilichen Einschreiten vorliegt, vorzubereiten bestimmt sind" 71 . Die Befugnis, „Vorverfügungen" zu erlassen, erfaßte das Recht, polizeiliche Vorladungen zum Zwecke der Auskunftserteilung auszusprechen,72 und das Recht, Grundstücke zum Zwecke der Untersuchung auf Gefahrenherde zu betreten 73. Gerechtfertigt wurde das Vorverfügungsrecht mit reinen Zweckmäßigkeitsüberlegungen. „Es hieße, die Aktion der Polizeibehörden illusorisch machen, wollte man ihnen die Mittel, ohne welche eine solche nicht möglich ist, lediglich deshalb versagen, weil dieselben nicht speziell und ausdrücklich im Gesetze bezeichnet sind." 74 Mit dem Recht, Gefahrenabwehranordnungen zu erlassen, sollte den Polizeibehörden zugleich die Befugnis gegeben sein, die erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung der Gefahrenlage zu treffen. Auch hinsichtlich der Aufklärungs69 70 71 72 73 74

PrOVGE PrOVGE PrOVGE Ebd. PrOVGE PrOVGE

103, 142. 103, 142/144. 15,423/425. 43, 414/415 f.; PrOVG, PrVB1.25, 884. 15,423/425.

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maßnahmen macht das Gericht eine Ausnahme von dem im Grudekoks-Urteil betonten Gesetzesvorbehalt. Sie unterscheidet sich jedoch von der im 77. Band formulierten Ausnahme für vorläufige Maßnahmen. Sie knüpft nicht an das fehlende Verschulden der Gefahrenabwehrorgane an, sondern postuliert objektive Gefahrermittlungsrechte. Gleichwohl sind die Entscheidungen für die Frage nach der Subjektivierung des Polizeirechts interessant, weil sie das kennzeichnen, was das Preußische Oberverwaltungsgericht unter Gefahrerforschungseingriffen verstanden hat, die später in die Nähe zur Anscheinsgefahr und zum Gefahrverdacht rücken. Nimmt man die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zum Gefahrtatbestand als ganzes in den Blick, so bleibt ein Bild mit Brüchen: einerseits nach ihrer Programmatik, ihren Grundsätzen und auch in konkreten Fällen auf die objektiv vorliegenden Tatsachen abstellend, finden sich andererseits auch Entscheidungen, die diese Objektivität wieder zurücknehmen. Dogmatisch werden die Einschränkungen aber nicht über eine Modifikation des Objektivitätsstandards vermittelt. Das Preußische Oberverwaltungsgericht überlegt nicht, ob Gefahren nicht von einem bestimmten subjektiven Erkenntnishorizont aus beurteilt werden müßten. Es läßt sich in seinem grundsätzlich objektiven Gefahrenverständnis nicht erschüttern. Es wagt lieber den offenen Bruch mit dem Grundsatz und postuliert Ausnahmen: eine für vorläufige Maßnahmen und eine andere für „Vorverfügung" zur Gefahrermittlung. Beide werden mit Effektivitätsüberlegungen gerechtfertigt. Dafür muß es sich über die im GrudekoksUrteil streng verstandene Gesetzesbindung hinwegsetzen. Die späte Entscheidung, in der von einer objektiven Betrachtung des Anscheins der Gefahr die Rede ist, blieb zu vereinzelt, um sagen zu können, ob sich darin ein Strategiewechsel andeutete, der auf eine Modifikation der Objektivität der Gefahrbeurteilung hinausgelaufen wäre. Die Ausnahme für vorläufige Regelungen erscheint jedenfalls als eine Ad-hoc-Lösung, die in dem Gefahrenkonzept des Gerichts noch nicht weiter verarbeitet worden ist. Ein in allen dogmatischen Konsequenzen durchgearbeitetes oder gar theoretisch reflektiertes Konzept der polizeilichen Gefahr kann der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts nicht entnommen und auch nicht unterstellt werden. 75 Doch selbst in den Abweichungen und Durchbrechungen zeigt sich noch ein Wille zur Objektivität. Hinsichtlich der Zurückweisung jedes Verschuldenselements konsequenter ist die Rechtsprechung zur polizeilichen Verantwortlichkeit. Auch dort, wo der Eigentümer nur das Opfer einer durch Dritte betriebenen Veränderung der Umgebung wird, ändert dies jenseits aller zivilrechtlichen Unterlassungs-, Beseiti75 Skeptisch gegenüber entsprechenden Erkenntniserwartungen auch Breuer, in: GS Martens, S. 332.

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gungs- und Schadensersatzansprüche nichts an seiner polizeilichen Verantwortlichkeit. So kann der Eigentümer zu baulichen Veränderungen auf seinem Grundstück gezwungen werden, auch wenn die Feuergefahr durch Funkenflug erst mit der Ausweitung des Eisenbahnbetriebs in der Nähe des Grundstücks entstanden ist. 76 Daß aber auch hier eine grundsätzlich konsequente Rechtsprechung gegenüber exzeptionellen Situationen noch unsicher wird, mag die einzige Entscheidung belegen, in der im Zusammenhang mit der Beurteilung der polizeilichen Verantwortlichkeit zum Verschuldenskritierium Zuflucht genommen wird. 77 Ein Bergungsverein hatte übernommen, ein havariertes Lastschiff aus der Fahrrinne der Elbe zu ziehen. Bei dem Versuch trat schlechtes Wetter ein, so daß das Lastschiff abermals auf Grund gesetzt wurde und die Fahrrinne der Elbe an anderer Stelle versperrte. Den anschließend für die erneute Bergung polizeilich in Anspruch genommenen Bergungsverein sprach das Preußische Oberverwaltungsgericht von einer Verantwortlichkeit frei, da ihn am Mißlingen des ersten Bergungsversuchs kein Verschulden getroffen habe. „Hiernach ist dieser Zustand ohne ein Verschulden des Klägers und obwohl er alles getan hat, was er nach menschlicher Voraussicht und menschlichen Kräften tun konnte und tun mußte, durch höhere Gewalt... verursacht worden, mit anderen Worten: der Kläger ist nicht der Urheber des Zustandes."78 Die Entscheidung ist singulär geblieben. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Verhaltens- im Gegensatz zur Zustandsverantwortlichkeit grundsätzlich von einem Verschulden abhängig gemacht werden soll. Das Preußische Oberverwaltungsgericht hat kein abgeschlossenes dogmatisches System des Gefahrenabwehrrechts entwickelt. Es hat dessen Grundzüge und wesentliche Elemente bestimmt. In seiner Rechtsprechung finden sich keine fertigen dogmatischen Antworten auf die Probleme, die sich heute unter dem Gesichtspunkt der Subjektivierung diskutieren lassen. Vieles war auch in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts noch im Fluß. Aber das Gericht setzte seine Dogmatik objektiv an und versuchte, diese Objektivität auch noch durch deren Durchbrechungen hindurch aufrecht zu erhalten.

b) Literatur Im wesentlichen spiegelt die polizeirechtliche Literatur die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts: in ihrem objektiven Ansatz und 76 77 78

PrOVGE 65, 369/375 f. m.w.N. PrOVGE 44, 418. Ebd. 426.

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seinen Durchbrechungen. Ganz überwiegend werden in der Literatur, die auch noch maßgeblich von dem letzten Präsidenten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Drews geprägt wird 79 , die dogmatischen Grundaussagen des Gerichts übernommen und einzelne Entscheidungen kompiliert, ohne die dogmatische Spannung, die zwischen den Grundaussagen und einzelnen Entscheidungen besteht, aufzugreifen oder gar einer eigenen Lösungen zuzuführen. 80 Teilweise treten die Spannungen sogar noch deutlicher hervor. So wird die Gefahr subjektiv als Zustand der Unwissenheit definiert, zu dem gehört, „daß die Unwissenheit sich nicht mit den zugänglichen Mitteln heben läßt" 81 , und zwei Sätze später die Grudekoks-Entscheidung zustimmend erwähnt, in der das Preußische Oberverwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit einer Polizeiverfügung verneint hatte, obwohl der Beamte alle zugänglichen Mittel ausgeschöpft hatte. Die Beispielsfälle, die sich in der Literatur finden, weichen zum Teil noch deutlicher von dem objektiven Gefahrverständnis ab als die in der Rechtsprechung entschiedenen. So sollen polizeiliche Maßnahmen zulässig sein, „wenn ein Schutzmann ... einen schlecht gekleideten Knaben mit einer goldenen Uhr in der Hand in aller Eile aus einem Hause herauslaufen" sieht und „nachher kommt heraus, daß der Junge von der Frau geschickt ist, um dem Manne die Uhr, die er vergessen hatte, nach der Bahn zu bringen." 82 Anders als die vom Preußischen Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fälle handelt das Beispiel nicht von einem Gefahrverdacht, sondern von einer Anscheinsgefahr im Sinn der späteren Unterscheidung. Entsprechend wird die Rechtmäßigkeit des Einschreitens auch nicht wie in den Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts mit der Notwendigkeit vorläufiger Maßnahmen begründet, sondern damit, daß für das Vorliegen einer Gefahr nicht erheblich sei, „daß das Befürchtete nicht eingetreten ist und die Gefahr nicht begründet war" 83 . Schon terminologisch verrät die Rede von der bestehenden, aber „nicht begründeten Gefahr" Unsicherheit. Die Literatur ist, soweit sie nicht einfach die Rechtspre79 Drews ist sowohl Autor der auflagenstärksten systematischen Darstellung zum Preußischen Polizeirecht, als auch gemeinsam mit Lassar Kommentator des Polizeirechts in: Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. 2, Hbd. 1, ferner gilt er als geistiger Vater des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes, Götz, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 417; Waldecker, Das neue preußische Polizeirecht, S. 17. 80 Etwa zum Gefahrbegriff Drews, Polizeirecht, 1. Aufl., S. 10, 60 f.; ders./Lassar, in: Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. 2, Hbd. 1, PrPVG § 14 Anm. II. 11; Friedrichs, Das Polizeigesetz, S. 8 f.; ders., Polizeiverwaltungsgesetz, § 14 Anm. 4; Hatschek, Lehrbuch, S. 132; Klausner/Kerstiens/Kemper, Polizeiverwaltungsgesetz, § 14 Anm. IV; Rosin, Begriff der Polizei, S. 58 ff.; Waldecker, Das neue preußische Polizeirecht, S. 17. 81 Friedrichs, PrVBl. 42, 51/52. 82 Ebd. 83 Ebd.

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chung wiedergibt, eher hinter deren Reflexionsniveau zurückgeblieben als darüber hinausgegangen. Dies gilt jedoch nicht für zwei vertiefende Beiträge zum Begriff der Gefahr und der Wahrscheinlichkeit, die beide von Mitgliedern des Preußischen Oberverwaltungsgerichts verfaßt worden sind. Unter dem Titel „Die polizeirechtliche Gefahr" wurde der Zentralbegriff des Polizeirechts erstmals von Scholz zum Gegenstand einer eigenen Abhandlung gemacht.84 Bei Scholz wird der Gefahrbegriff des Polizeirechts soweit ersichtlich zum ersten Mal in Verbindung mit allgemeinen Problemen der Wahrscheinlichkeit gebracht. Scholz thematisiert zum ersten Mal die Spannung, die in der Objektivität des Weltverlaufs und der Subjektivität unseres Wissen über die Welt liegt. Für ihn ist die polizeiliche Gefahr die Möglichkeit des Schadenseintritts, „die im Gegensatz steht zu der Sicherheit, d.h. zu der naturgesetzlichen Notwendigkeit, des Eintritts oder Nichteintritts des Schadens. Allerdings ist die Möglichkeit, daß ein Schaden eintreten werde, im einzelnen gegebenen Falle ... nur für unser beschränktes menschliches Wissen vorhanden, nicht in der Außenwelt, weil die Bedingungen eines Schadens entweder vorliegen oder nicht vorliegen und im erstem Falle dessen Eintritt, im letzteren Falle dessen Nichteintritt sicher ist." 85 Die Ungewißheit über den Kausalverlauf ist für ihn ein subjektiver Zustand, dem aber die „Objektivität nicht allgemein abzusprechen" ist. „Zwar ist diese Möglichkeit nicht objektiv in dem Sinne, daß sie als ein Zustand der Außenwelt angesehen werden könnte ... Aber die Möglichkeit ist objektiv in dem Sinne eines den Tatsachen entsprechenden Urteils, zu dem jeder unbefangene, genügend unterrichtete und erfahrene Mensch gleichmäßig gelangt oder doch befähigt ist." 86 Scholz versteht daher die polizeirechtliche Gefahr als „objektive Möglichkeit eines Schadens"87. Subjektive Momente im Sinne eines Verschuldens oder einer Pflichtgemäßheit oder Pflichtwidrigkeit eines Beamten spielen für den Gefahrbegriff nach Scholz ausdrücklich keine Rolle. „Für die objektive Möglichkeit ist nicht entscheidend, daß einzelne, insbesondere diejenigen Personen, welche der Gefahr begegnen sollen ..., die Sachlage nicht erkennen und auch nicht erkennen können" 88 . Auch „wenn sich die Polizei genötigt glaubt, schleunigst einzuschreiten, ohne das zur Beurteilung des Zustandes erforderliche Gutachten eines

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Scholz, VerwArch. 1919, 1. Scholz greift auf die Arbeiten von v. Kries, Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, und auf straf- und zivilrechtliche Arbeiten zum Wahrscheinlichkeitsbegriff zurück, Traeger, Der Kausalbegriff, S. 120 ff.; Schmoller, AcP 1906, S. 1; zuvor aus der Perspektive des Polizeistrafrechts schon Rotering, ZStW 1903,353. 85 Ebd. 17. 86 Ebd. 18. 87 Ebd. 13-20. 88 Ebd. 41.

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Sachverständigen abzuwarten, und wenn dann dieses Gutachten die Gefahr verneint... braucht darum das polizeiliche Einschreiten nicht auf Pflichtwidrigkeit zu beruhen, aber als berechtigt ... kann es nicht gelten, sofern die Ungefährlichkeit für einen Sachverständigen sofort erkennbar war." 89 Scholz trifft bei der Gefahrbeurteilung dieselbe Differenzierung, die verfahrensrechtlich im Unterschied von Konflikt- und Aufhebungsverfahren angelegt ist. Der Polizeibeamte handelt bei Maßnahmen, die er auf eine für ihn unerkennbar ungefährliche Sachlage stützt, nicht pflichtwidrig, aber gleichwohl rechtswidrig. Das, was bei der Subjektivierung im Gefahrbegriff zusammenfällt, wird in dem ersten theoretischen Beitrag zum polizeilichen Gefahrbegriff noch deutlich geschieden. Scholz liegt mit seiner Untersuchung auf der Linie der frühen Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts in den Konfliktentscheidungen und dem Grudekoks-Urteil. Eine Ausnahme für vorläufige besonders eilbedürftige Maßnahmen, wie sie die Möbelwagen-Entscheidung später einführt, kennt Scholz nicht. Die „Objektivität" der Gefahr schränkt er lediglich auf deren sofortige Erkennbarkeit für einen Sachverständigen ein. Auch der Beitrag von Müller setzt bei der Spannung von deterministischem Weltbild und Vorstellungen von Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit an. Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit ist für ihn ein „rein subjektiver Begriff, dessen Anwendung hier nur von der Unzulänglichkeit unseres Wissens seinen Ursprung nimmt. ... Dennoch hat es einen angebbaren Sinn, von objektiver Möglichkeit zu sprechen." 90 Auch ohne vollständige Erkenntnis der Naturzusammenhänge verfügten wir über Erfahrungssätze, nach denen auf bestimmte Ursachen in einem verhältnismäßig feststehenden Bruchteil aller Fälle eme bestimmte Wirkung folgt. Soweit jedenfalls, als „das scheinbare Chaos der zusammenwirkenden Naturvorgänge in ihren Ergebnissen um ganz feste Punkte zu springen pflegt ... ist man befugt, von einem objektiven Maße der Wahrscheinlichkeit zu sprechen." 91 Müller bemüht sich, die einzelnen Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts mit einem in diesem Sinne objektiven Wahrscheinlichkeitsbegriff zu systematisieren. Er versucht, auch die Entscheidungen in einen allgemeinen Gefahrbegriff zu integrieren, die das Preußische Oberverwaltungsgericht als Ausnahmen von einem objektiven Ansatz formuliert hat, und leistet damit das, was sich in der ganz späten Rechtsprechung vielleicht schon andeutete. Die Brandmauer- und die MöbelwagenEntscheidung werden harmonisiert. In beiden Fällen habe nach allgemeinen Erfahrungssätzen eine Gefahr vorgelegen. In beiden Fällen sei die Polizei über ein konkretes Tatbestandsmerkmal im Zweifel gewesen. Und gleichgültig, ob es

89 90 91

Ebd. 43 - Hervorhebung im Original. Müller, RVB1. 1930, 92/93 - Hervorhebung im Original. Ebd.

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sich um ein technisches - die Standsicherheit des Hauses - oder ein rechtliches - die Rechtswidrigkeit der Räumung - handele, „ist die Rechtslage nicht sehr glücklich gekennzeichnet, wenn man in einem solchen Falle, in dem sich der zweifelhafte Punkt alsbald aufklären läßt, sagt, es habe überhaupt keine Gefahr bestanden."92 Anders wird der Grudekoks-Fall beurteilt. Im Falle der Unkenntnis allgemeiner Erfahrungssätze über die Feuergefährlichkeit von Materialien läge objektiv überhaupt keine Gefahr vor. 93 Müller schlägt zur Abbildung der einschlägigen Judikate eine Unterscheidung zwischen der Unkenntnis tatsächlicher, rechtlicher und erfahrungsgesetzlicher Verhältnisse vor. Die subjektive Unkenntnis allgemeiner Erfahrungsgesetze vermag für Müller keine objektive Gefahr zu begründen, weil von der Polizei verlangt werden kann, daß sie „über den durchschnittlichen Schatz allgemeiner Erfahrungen verfügt". 94 Davon abgesetzt wird die Unkenntnis über tatsächliche Verhältnisse. Auch wenn offen bleibt, ob diese Unkenntnis auf eine wie auch immer zu bestimmende Allgemeinheit oder einen idealtypischen Amtswalter oder gar das konkrete Gefahrenabwehrorgan bezogen werden soll, liefert Müller den bis dahin einzigen Versuch, auch die späte Judikatur des Preußische Oberverwaltungsgerichts unter einem dogmatisch angelegten Gefahrbegriff zu systematisieren.

II. Das Gefahrenabwehrrecht in der Bundesrepublik In der Bundesrepublik fehlt es anders als in der Zeit des Preußischen Oberverwaltungsgerichts an ähnlich programmatischen Äußerungen zum objektiven oder subjektiven Charakter des Gefahrenabwehrrechts. 95 Die Entwicklung vollzog sich an den einzelnen dogmatischen Kategorien. An den Entscheidungen zu ihnen und den literarischen Äußerungen über sie muß die These von der Subjektivierung des Polizeirechts überprüft werden. Anders als zur Zeit des Preußischen Oberverwaltungsgerichts wurde die Entwicklung auch nicht mehr so eindeutig von einem Gericht dominiert. Dies zunächst schon deshalb nicht, weil sich eine ganze Reihe von Gerichten an der dogmatischen Diskussion beteiligte. Neben dem Bundesverwaltungsgericht

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Ebd. Ebd. 94 Ebd. 95 Allenfalls Götz', Polizeirecht, 3. Aufl., S. 61, Rede vom „Erfordernis einer tatsächlich vorhandenen Gefahr als Voraussetzung ... von beträchtlichem liberalrechtsstaatlichem Rigorismus" könnte in diesem Sinne verstanden werden, bezieht sich aber auch nur auf die Gefahr und nicht auf das Gefahrenabwehrrecht allgemein. 93

4 Poscher

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haben besonders die Oberverwaltungsgerichte der Länder die Entwicklung geprägt, deren letztinstanzlicher Jurisdiktion die Kerngebiete des Gefahrenabwehrrechts unterstellt sind. Aber auch der Bundesgerichtshof schaltete sich über seine Rechtsprechung zu den gefahrenabwehrrechtlichen Entschädigungsvorschriften in die Diskussion ein. Anders als zu Zeiten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts traten Rechtsprechung und Literatur in einen stärkeren Dialog, rezipierten sich gegenseitig, bauten aufeinander auf.

1. Die ersten Entscheidungen und Stellungnahmen Die erste prominente Entscheidung zum Gefahrbegriff traf der Bundesgerichtshof 1952.96 Er hatte über den Entschädigungsanspruch eines Kraftfahrers zu entscheiden, von dem die Polizei nicht aufklären konnte, ob er entgegen der Kraftfahrzeugsbenutzungsverordnung einen Pkw zu einer nächtlichen Vergnügungsfahrt benutzt hatte. Die Beschlagnahme der Papiere hielt der Bundesgerichtshof für gerechtfertigt, weil die Polizei nicht nur dann einschreiten dürfe, „wenn eine ... objektive Gefahr besteht, sondern ... auch dann, wenn eine Sachlage bei verständigem Ermessen den Anschein einer polizeilichen Gefahr erweckt, ... bis über das tatsächliche Vorliegen einer polizeilichen Gefahr Klarheit geschaffen ist." 97 Ähnlich wie schon bei der Unterbringungs-Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts ist die Terminologie des Bundesgerichtshofs auf dem Hintergrund der späteren Unterscheidung zwischen Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht verwirrend. Wie an dem letzten Halbsatz des Zitats erkennbar, bezieht sich die Entscheidung nicht auf einen Sachverhalt, bei dem die Behörde über die gefahrbegründenden Tatsachen irrt, sondern sich ihrer lediglich unsicher ist. Auch wenn der Bundesgerichtshof von dem Anschein einer Gefahr redet, handelt es sich in der neueren Terminologie um einen Fall des Gefahrverdachts. Hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs stellt der Bundesgerichtshof fest, daß dem Betroffenen eine Entschädigung nur geleistet werden soll, wenn er den Anschein der Gefahr nicht schuldhaft verursacht hat. „Die polizeiliche Verfügung richtet sich zwar dann gegen eine Person, die nicht in Wirklichkeit, sondern nur dem äußeren Anschein nach eine polizeiliche Gefahr geschaffen hat. Sie greift jedoch nicht in die Rechtssphäre eines Unbeteiligten ein. Denn nicht nur derjenige stört die öffentliche Ordnung und Sicherheit, der

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BGHZ 5, 145; zuvor findet sich lediglich eine Entscheidung des OVG Lüneburg veröffentlicht, die lediglich von dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und Überlegungen zur Verhältnismäßgkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme handelt, OVG Lüneburg, AS 10, 341. 97 Ebd. 152.

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objektiv eine polizeiliche Gefahr verursacht, sondern auch derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig den Anschein für eine objektive Gefahr hervorruft." 98 Das letzte Zitat ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen klingt es so, als wolle der Bundesgerichtshof das Problem über das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lösen. Der Verdacht einer Gefahr ist keine Gefahr für das anscheinend gefährdete Rechtsgut, aber eine Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Es verletzt die Regeln des geordneten Zusammenlebens, schuldhaft den Verdacht einer Gefahr zu erzeugen. Doch ganz so kann die Stelle wohl doch nicht gemeint sein, denn eine auf den Schutz der anscheinend gefährdeten Rechtsgüter gerichtete Gefahrenabwehrmaßnahme wäre immer ungeeignet, die Gefahr für die durch den Verdacht gestörte Sicherheit und Ordnung zu beseitigen. Die Stelle kann aber als Versuch verstanden werden, den Gefahrverdacht in den Tatbestand der polizeilichen Generalklausel zu integrieren. Hatte das Preußische Oberverwaltungsgericht noch eine Berechtigung der Polizei zu vorläufigen Maßnahmen nur neben der gesetzlichen Ermächtigung anerkannt und an dem objektiven Verständnis der Generalklausel festgehalten, erscheint der Verdacht einer Gefahr nunmehr als tatbestandliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Zum andern subjektiviert der Bundesgerichtshof auch den Entschädigungsanspruch. Während § 70 PrPVG dem Nichtstörer verschuldensunabhängig einen Entschädigungsanspruch zubilligte, will der Bundesgerichtshof ihn im Falle des Gefahrenverdachts nur gewähren, wenn der Inanspruchgenommene den Verdacht weder vorsätzlich noch fahrlässig verursacht hat. Die Subjektivierung hat damit zum ersten Mal auch die Sekundäransprüche erfaßt. Die erste prominente Nachkriegsentscheidung hat die Subjektivierung des Polizeirechts mit großen Schritten vorangetrieben. Neben dieser ersten auf eine starke Subjektivierung deutenden Entscheidung finden sich zum Gefahrbegriff aber auch frühe Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die in eine andere Richtung weisen. So stellte der Bundesgerichtshof 1954 noch einmal fest, daß die Grundsätze zum Gefahrverdacht nur für vorläufige Maßnahmen gelten und erachtete eine Abrißverfügung, die auf der irrtümlichen Annahme der Einsturzgefahr von Trümmerresten beruhte, für rechtswidrig, weil es sich um eine endgültig wirkende Maßnahme handelte.99 Hätte der Bundesgerichtshof zu diesem Zeitpunkt den Gefahrverdacht bereits als tatbestandliche Gefahr erachtet, wäre die Rechtswidrigkeit des Abrisses mit dem Hinweis auf die Endgültigkeit der Maßnahme nicht verständlich. Der Gefahrverdacht war für den Bundesgerichtshof noch keine Gefahr wie jede andere.

98 99

Ebd. BGH, DVB1. 1954,813.

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In diese Richtung gingen auch die Entscheidungen in einem Kompetenzstreit mit dem Bundesverwaltungsgericht um den Rechtsweg für Klagen auf Entschädigung nach tierseuchengesetzlichen Bestimmungen. Der Bundesgerichtshof erachtete sich für zuständig, weil anders als bei Vorliegen einer objektiven Gefahr Tötungsanordnungen, die auf dem bloßen Verdacht einer Gefahr beruhten, Enteignungen im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG seien.100 Dabei stellte der Bundesgerichtshof wieder ausdrücklich darauf ab, daß eine Verdachtstötung schon deshalb nicht nach polizeirechtlichen Grundsätzen entschädigungslos bleiben könne, weil das Polizeirecht endgültige Maßnahmen aufgrund eines Verdachts nicht zulasse.101 Auch in diesen Entscheidungen zeigt sich, daß der Bundesgerichtshof in seiner frühen Rechtsprechung den Verdacht einer Gefahr noch nicht mit einer polizeilichen Gefahr im Sinne der Generalklausel identifizierte. 102 Die ersten Äußerungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Polizeirecht fielen in dem entschädigungsrechtlichen Zuständigkeitsstreit mit dem Bundesgerichtshof. 103 Nach dem Bundesverwaltungsgericht hat der Gesetzgeber mit den Verdachtstatbeständen der Tierseuchengesetze eine Gefahr spezialgesetzlich bestimmt, so daß dem Betroffenen im Falle der in den Gesetzen näher beschriebenen Verdachtstatbestände der Gegenbeweis nicht offen stehe, daß eine Gefahr nicht vorliege. 104 Nach dem Bundesverwaltungsgericht können auch bloße Verdachtslagen - zumindest, wenn der Gesetzgeber sie explizit regelt Gefahren im Sinne des Polizeirechts sein. Mit seiner Ansicht, nach der auch Tötungen aufgrund einer Verdachtslage keine Enteignung darstellen, hat sich das Bundesverwaltungsgericht letztlich beim Bundesverfassungsgericht durchgesetzt, ohne daß dieses aber zur Gefahrendogmatik Stellung genommen hätte. 105 Weniger deutlich von den Eingriffsbefugnissen der Generalklausel abgesetzt werden die Verdachtsbefugnisse auch in einer frühen Entscheidung zum badenwürttembergischen Unterbringungsgesetz. Das Bundesverwaltungsgericht hält die Auslegung der Unterbringungsnormen im Sinne von Verdachtstatbeständen für irrevisibel. Daß Verdachtseingriffe vor den Grundrechten gerechtfertigt werden können, zeige „insbesondere die Rechtsprechung zum Begriff der poli100

BGHZ 17,137/139; 20,112/115; BGH, NJW 1962,252 f.; BGHZ 43,196/201-208. BGHZ 43, 196/204; vgl. auch VGH Mannheim, NJW 1969, 2109/2111. 102 So versteht auch das Bundesverwaltungsgericht den Bundesgerichtshof, BVerwGE 7, 257/262. 103 Das Bundesverwaltungsgericht sah auch in Verdachtsmaßnahmen nur eine Aktualisierung der Sozialbindung des Eigentums BVerwGE 7, 257/261 f.; 12, 87/96; vgl. auch OVG Münster, DÖV 1961, 344 f. 104 Ebd. 261 f. 105 BVerfGE 20, 351. Das Bundesverfassungsgericht stellt maßgeblich darauf ab, daß die Tötungen nicht der Güterbeschaffung dienen, ebd. 359. 101

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zeilichen Gefahr" 106 . Nach dieser Rechtsprechung könne die Polizei in Verdachtslagen einstweilige polizeiliche Verfügungen erlassen, auch wenn „eine Gefahr tatsächlich nicht vorgelegen hat." 107 Die Äußerung des Bundesverwaltungsgerichts ist ambivalent. Zwar unterscheidet das Bundesverwaltungsgericht noch zwischen tatsächlicher Gefahr und Verdacht. Doch hatte das Preußische Oberverwaltungsgericht noch deutlich die vorläufigen Eingriffsbefugnisse der Polizei neben den Gefahrentatbestand der Generalklausel gestellt, so wird diese Unterscheidung zumindest verwischt, wenn die Einräumung einstweiliger Verfügungsbefugnisse durch das Preußische Oberverwaltungsgericht als Rechtsprechung zum „Begriff der Gefahr" in Bezug genommen wird. Das Preußische Oberverwaltungsgericht hatte die vorläufigen Befugnisse gerade nicht aus dem Begriff der Gefahr entwickelt. Das Bundesverwaltungsgericht scheint sie in den Begriff der Gefahr aufnehmen zu wollen. Damit hätte es den Begriff der Gefahr subjektiviert. Den Schritt, den Gefahrentatbestand im Sinne eines Verdachtstatbestandes auszulegen und damit Verdacht und Gefahr gleichzustellen, ging das Bundesverwaltungsgericht zunächst im Seuchenrecht. 108 Besonders deutlich wird dies in der Samonellen-Entscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht legt den Gefahrentatbestand des § 10 Abs. 1 BSeuchG so aus, „daß der Gesetzgeber bereits den Verdacht als gefährlich festgestellt und die Eingriffsbefugnis der Polizei bereits an den Seuchenverdacht geknüpft hat." 109 Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht nur einen spezialgesetzlichen Tatbestand des Seuchenrechts auslegt, wird deutlich, daß der Unterschied zwischen Gefahr und Verdacht für das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls nicht so kardinal ist, daß es nicht beide Begriffe unter den der Gefahr bringen kann. Das Bundesverwaltungsgericht zieht auch zum ersten Mal die Konsequenz, daß bei einer Gleichsetzung von Verdacht und Gefahr die Maßnahmen im Verdachtsfall nicht mehr auf vorläufige Maßnahmen beschränkt sein müssen. Wird dem subjektivierten Gefahrbegriff gefolgt, „so ist es eine andere, nicht mehr die Tatbestands-, sondern die Rechtsfolgenseite betreffende Frage, welche Maßnahmen die Polizei ... treffen darf." 110 Beim Preußischen Oberverwaltungsgericht stand der Verdachtstatbestand noch neben der Gefahrengeneralklausel und erlaubte nur vorläufige Maßnahmen. Ob vorläufige oder endgültige Maßnahmen zulässig waren, war eine Frage des Tatbestands. Nach § 10 BSeuchG a.F. in der Auslegung des Bundesverwaltungsgericht ist es lediglich eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolge. Das Bundesverwaltungsgericht beginnt, die Konsequenzen aus der 106 107 108 109 110

BVerwG, DVB1. 1960, 725/726. Ebd. BVerwGE 12, 87/93-96; 39, 190/193-197. BVerwGE 39, 190/193 f. Ebd. 195.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Subjektivierung des Gefahrbegriffs zu ziehen, und geht dabei auch im Ergebnis über das hinaus, was das Preußische Oberverwaltungsgericht vorgab. In diese ersten Jahre fielen auch die wesentlichen Entscheidungen zur polizeilichen Verantwortlichkeit der Eigentümer von Trümmergrundstücken. Anders als für den Gefahrbegriff zeigte sich die Rechtsprechung hinsichtlich der polizeilichen Verantwortlichkeit weitgehend allen subjektivierenden Argumentationen verschlossen. Sie hielt, gestützt auf die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, daran fest, daß die Störereigenschaft und die Störerhaftung den Eigentümer unabhängig von jeglichem Verschulden trifft. 111 Es wurde lediglich überlegt, die polizeiliche Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Unmöglichkeit zu begrenzen. 112 An der Objektivität der polizeilichen Verantwortlichkeit wurde aber auch in diesen Entscheidungen festgehalten. 113 In der Literatur wurde die Dogmatik des Polizeirechts in diesen Jahren in erster Linie in Lehrbüchern behandelt. Das Lehrbuch von Drews wurde von Wakke in seinem rechtsprechungsnahen, weniger auf kritische Auseinandersetzung als auf systematische Darstellung angelegten Stil fortgesetzt. 114 Inhaltlich gilt dasselbe für die Behandlung der Gefahrendogmatik in Wolff s Lehrbuch des Verwaltungsrechts von 1966. 115 Die Kommentare zum Preußischen Polizeiverwaltungsgesetz und den neu entstanden Polizeigesetzen der Länder wurden wesentlich nur um das neue Entscheidungsmaterial ergänzt. Die Darstellungen referierten die in der Rechtsprechung vorangetriebene Subjektivierung des Gefahrbegriffs, ohne sie weiter theoretisch oder dogmatisch auszuarbeiten. Kritisch ließ sich zunächst Ule auf die Rechtsprechung zum Gefahrbegriff ein. In seiner 1965 erschienenen Kommentierung des § 14 PrPVG stellte er sich ganz auf den Standpunkt der Grudekoks-Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts und wendete sich ausdrücklich gegen alle Entscheidungen sowohl des Preußischen Oberverwaltungsgerichts als auch des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, die von dem Erfordernis einer tatsächlich bestehenden Gefahr abweichen. „Eine bloß vermeintliche Gefahr (Pu111 Wegweisend OVG Münster, DÖV 1952, 735; OVG Lüneburg, JZ 1952, 437; VGH Kassel, AS 2, 59; OVG Berlin, NJW 1953, 1767; OVG Koblenz, DÖV 1954, 216; BGH, DVB1. 1953, 367; BGHZ 16, 12; a.A. VGH Freiburg, NJW 1952, 1311. 112 OVG Koblenz, DÖV 1954, 216; BGHZ 16, 12/14-16; OVG Koblenz, DÖV 1954, 216; dagegen Drews/Wacke, Polizeirecht, 7. Aufl., S. 234, mit einem zusammenfassenden Überblick über die Rechtsprechung der 50er Jahre. 113 OVG Koblenz, DÖV 1954, 216; BGHZ 16, 12/14-16 114 Drews/Wacke, Polizeirecht, 6. Aufl. 1954, S. 112 f., 210 und 7. Aufl. 1961, S. 58 f., 468. 115 Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. 3, S. 44-46.

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tativgefahr) reicht nicht aus,... auch dann nicht, wenn der Anschein der Gefahr schuldhaft durch das Verhalten Dritter verursacht worden ist (sog. Scheingefahr ... ). Eine andere Frage ist, ob Polizeibehörden unter solchen Umständen zur Feststellung, ob eine Polizeigefahr vorliegt oder nicht, vorübergehende Maßnahmen treffen können (so lagen jedoch die vom PrOVG und BGH ... entschiedenen Fälle nicht... )." 1 1 6 Auch die 1969 von Friauf und 1970 von Götz bearbeiteten Darstellungen des Polizeirechts betonten das Erfordernis einer objektiv vorliegenden Gefahr. Maßnahmen, die zur Abwehr einer Scheingefahr getroffen würden, seien grundsätzlich rechtswidrig. Anders seien nur „Gefahrerforschungseingriffe" zu beurteilen, wenn der objektive Anschein einer Gefahr bestand.117 Damit lagen aber auch Friauf und Götz letztlich noch auf der Linie der neueren Rechtsprechungsentwicklung. In diesem ersten Zeitraum wurde die Entwicklung noch ganz von der Rechtsprechung getragen. Es zeichnete sich zumindest beim Bundesverwaltungsgericht eine deutliche Tendenz zur Subjektivierung des Gefahrbegriffs und beim Bundesgerichtshof auch zur Subjektivierung der Entschädigungsansprüche ab. Gegenüber dem Preußischen Oberverwaltungsgericht waren beide Tendenzen neu. Sie wurden von der Literatur weitgehend ohne nähere kritische Auseinandersetzung zustimmend begleitet. Die Kritik, die zum Ausdruck gebracht wurde, ging auf die Schwierigkeiten, die sich mit einem objektiven Verständnis des Gefahrbegriffs verbinden, nicht weiter ein.

2. Die theoretische und dogmatische Konsolidierung Die frühe Rechtsprechung zum Polizeirecht in der Bundesrepublik war noch von einigen Unsicherheiten gekennzeichnet. Ist nun der berechtigte Verdacht eine Gefahr oder muß ein Verdachtstatbestand neben der Generalklausel gedacht werden? Wenn der berechtigte Verdacht aber eine Gefahr sein sollte, was bedeutet dann die Rede von der tatsächlichen, wirklichen Gefahr im Unterschied zum berechtigten Verdacht? Erklärt sich daraus, daß der berechtigte Verdacht nicht wirklich eine Gefahr ist, die Ablehnung endgültiger Maßnahmen auf der Grundlage eines berechtigten Verdachts, die der Bundesgerichtshof in

116 Ule/Rasch, Polizeirecht, § 14 Pr PVG Anm. 2.; kritisch gegenüber der Rechtsprechung auch schon Dröge, Drohende Gefahr, S. 19 Fn. 1, der unter Bezug u.a. auf PrOVGE 77, 333 meint, daß die Objektivität der Gefahr in Rechtsprechung und Literatur „keinen klaren Ausdruck gefunden hat." 117 Friauf, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 1. Aufl. , S. 137/160 f.; Götz, Polizeirecht, 1. Aufl., S. 53.

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seiner frühen Rechtsprechung betonte 118 und auch das Bundesverwaltungsgericht zumindest für das allgemeine Gefahrenabwehrrecht 119 noch nicht ausdrücklich aufgegeben hatte? Das Gefahrenabwehrrecht drängte in Richtung einer Subjektivierung seiner zentralen Kategorie „der Gefahr". Doch vieles stand in der Rechtsprechung noch dogmatisch und theoretisch unvermittelt nebeneinander. Den ersten großen Versuch, die theoretische und dogmatische Vermittlung der Subjektivierungssplitter zu leisten, lieferte Hoffmann-Riem in einem Festschriftbeitrag aus dem Jahre 1972. Für Hoffmann-Riem, der unter den Begriff der Anscheinsgefahr noch Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht im Sinne der heutigen Unterscheidung faßt, ist die Anscheinsgefahr kein Fremdkörper, sondern fügt sich nahtlos in die polizeirechtliche Dogmatik ein. „Die Anscheinsgefahr ist eine echte polizeiliche Gefahr ... im Sinne der polizeilichen Ermächtigungsnormen." 120 An dem Tatbestandsmerkmal der Gefahr unterscheidet Hoffmann-Riem einen prognostischen und einen diagnostischen Anteil. Sowohl für Prognose als auch für Diagnose sei ein Wahrscheinlichkeitsurteil zu fällen. Das eine bezöge sich auf zukünftige, das andere auf vergangene oder gegenwärtige Tatsachen. Für die Bewertung einer Anscheinsgefahr ist das diagnostische Wahrscheinlichkeitsurteil maßgeblich. Tatsachen würden in der Rechtsordnung nur aufgrund ihres Bewiesenseins relevant und der Beweis knüpfe an Überzeugungen und damit an ein Wahrscheinlichkeitsurteil über einen Sachverhalt an. Die polizeiliche Tatsachenfeststellung unterscheide sich aber von etwa der gerichtlichen, indem über den Begriff der Gefahr zum Ausdruck gebracht werde, daß sich die Polizei mit einem geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad begnügen dürfe als dem für den gerichtlichen Vollbeweis erforderlichen. Die aufgrund der verfügbaren Daten gestellte polizeiliche Diagnose werde nicht dadurch rechtswidrig, daß sie ex post widerlegt werde. Die polizeiliche Tatsachenannahme müsse sich vielmehr nur ex ante als Diagnose ausweisen lassen, die einem normativen Standard genügt. 121 Hoffmann-Riem bietet damit eine erste theoretische Argumentation an, mit der die berechtigte subjektive Annahme einer Gefahr als Gefahr im Sinne der polizeilichen Ermächtigungsnormen erklärt werden soll.

118

Der Bundesgerichtshof hat seine Ansicht zur notwendigen Vorläufigkeit von Verdachtsmaßnahmen später ohne Auseinandersetzung mit dieser frühen Rechtsprechung aufgegeben, BGHZ 117, 303; BGH DVB1. 1992, 1158/1159. 119 Die erste veröffentlichte Entscheidung zum allgemeinen Gefahrenabwehrrecht, die in einer Verdachtslage eine nicht nur vorläufige Maßnahme rechtfertigte, traf soweit ersichtlich das VG Münster, N V w Z 1983, 238/239. 120 Hoffinann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/331. 121 Ebd. 330-332.

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Er zieht auch die dogmatischen Konsequenzen aus der Subjektivierung des Gefahrbegriffs. Wenn auch der Anschein der Gefahr eine veritable Gefahr im Sinne der polizeirechtlichen Ermächtigungen ist, so ist die Polizei auch in Fällen der Anscheinsgefahr nicht auf vorläufige Maßnahmen beschränkt. 122 Die aufgrund einer Anscheinsgefahr getroffenen Maßnahmen sind nicht rechtswidrig, so daß dem Betroffenen auch kein Entschädigungsanspruch zuerkannt wird. Anders als für den Bundesgerichtshof kommt es für Hoffmann-Riem auf ein Verschulden des Störers nicht an. 123 Auf die polizeiliche Verantwortlichkeit will Hoffmann-Riem den Anscheinsgedanken hingegen ausdrücklich nicht übertragen. Steht eine Gefahr fest, und ist nur der Verursacher ungewiß, so enthielten die polizeilichen Ermächtigungen keinen Hinweis darauf, daß schon der nicht den Gewißheitsgrad erreichende Anschein einer Verursachung ausreichen solle. Es bestehe auch keine Notwendigkeit für eine entsprechende Reduzierung des Gewißheitsgrades, da die Polizei die Möglichkeit habe, den Anscheinsverursacher als Nichtstörer in Anspruch zu nehmen, wenn ein Einschreiten unvermeidlich sein sollte. Einen Entschädigungsanspruch will Hoffmann-Riem dem Nichtstörer aber nur zuerkennen, wenn er sich im Nachhinein nicht als Verantwortlicher erweist. Die Figur des „Anscheinsverursachers" lehnt er ab. Folglich spricht er sich auch gegen eine Inanspruchnahme des Bürgers aus, die der Ermittlung seiner Störereigenschaft dient. Es gelte allgemein, daß ein Verwaltungsakt nicht erlassen werden dürfe, um seine Voraussetzungen zu klären. 124 Hoffmann-Riem bot die erste theoretische Argumentation für eine Integration der Anscheinsgefahr in den polizeilichen Gefahrbegriff. Er dehnte die Subjektivierung aber nicht aus, sondern nahm sie sogar hinsichtlich der Sekundäransprüche zurück. Damit konsolidierte und begrenzte er die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts zugleich. 125 Es wundert nicht, daß das Bundesverwaltungsgericht in der DutschkeEntscheidung von 1974 die Auffassung Hoffmann-Riems rezipierte und mit Hinweis auf dessen Festschriftbeitrag und den Zweck der polizeilichen Gefahrenabwehr feststellte, daß „eine Gefahr im Sinne der maßgebenden Ermächti122

Ebd. S. 335. Ebd. S. 331. 124 Ebd. S. 336-338. 125 Dem Gefahrbegriff Hoffmann-Riems folgten in der Literatur etwa Denninger, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 37; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 223. Lukes/Feldmann/Knilppel, in: Gefahren, S. 117 f., 122 f.; Murswiek, in: Handwörterbuch des Umweltrechts, S. 803/807; Trifterer, in: FS Mallmann, S. 373/ 394-417; Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 28; Schoch, JuS 1994, 667/668; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 285-290. 123

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gungsnormen auch in Fällen der sogenannten Anscheinsgefahr vorliegt" 126 . Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Rechtsprechung wenig später in einer Entscheidung zu einem Demonstrationsverbot anläßlich des Schahbesuchs. Es hielt das Demonstrations verbot gegen einen Perser aufgrund einer Information des Bundesinnenministeriums über dessen politischen Aktivitäten für rechtmäßig, da es nach dem Erkenntnisstand der Behörde zum Zeitpunkt seines Erlasses beurteilt werden müsse.127 Die Verwaltungsgerichte der Länder folgten dem Bundesverwaltungsgericht. 128 So stellte das Oberverwaltungsgericht Münster in seiner Eckensteher-Entscheidung fest, daß „der tatsächlich bestehenden Gefahr ... im Polizei und Ordnungsrecht ... die sog. Anscheinsgefahr gleichzusetzen"129 ist. Immer noch besteht die Spannung zwischen der tatsächlichen Gefahr und der Anscheinsgefahr, die nicht tatsächlich, aber eben doch eine Gefahr ist. Jedoch ist die Anscheinsgefahr keine Konstellation mehr, die zu Eingriffen jenseits der Gefahrenabwehrermächtigungen berechtigt, sondern sie ist nun auch für das allgemeine Gefahrenabwehrrecht in den Gefahrbegriff aufgenommen. Der Begriff der Gefahr ist subjektiviert. Zur dogmatischen Konsolidierung trug auch eine von Martens 1975 erstmals vorgeschlagene begriffliche Differenzierung zwischen „Anscheinsgefahr" und „Gefahrenverdacht" bei. 130 Bislang wurde weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur danach differenziert, ob die Behörde in der irrtümlichen Überzeugung handelte, daß tatsächlich eine Gefahr vorlag, 131 oder ob sie eine Gefahr nur für möglich oder wahrscheinlich hielt, sich aber des Sachverhaltes oder eines Erfahrungssatzes nicht gewiß war. Vielmehr war für beide Arten von Sachverhalten von Scheingefahr, Anscheinsgefahr und Verdacht einer Gefahr die Rede, wobei die in der Rechtsprechung entschiedenen - anders als die zum Teil in der Literatur diskutierten Fälle 132 - sich zunächst auf Gefahrverdachtssituationen beschränkten. Erst die Eckensteher-Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster im Jahre 1978 betraf einen eindeutigen Fall der Anscheinsgefahr, in dem die Polizei nach den gerichtlichen Feststellungen nicht auf der Grundlage einer Ungewißheit über den Sachverhalt, sondern aufgrund

126

BVerwGE 45,51/58. BVerwGE 49, 36/42 f. 128 Etwa OVG Münster, NJW 1980, 138; DVB1. 1982, 653/654; OVG Hamburg, NJW 1986, 2005/2006; VGH Kassel, NVwZ 1993, 1009/1010; VG Würzburg, NJW 1980, 2541/2542; vgl. OVG Lüneburg, NJW 1986, 2007; VG Bremen, NJW 1981, 1227. 129 OVG Münster, NJW 1980, 138/139. 130 Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 2, 8. Aufl., S. 111. 131 So lag der Sachverhalt etwa in BGHZ 5, 145; BGH, DVB1. 1954, 813. 132 Ein fiktiver Anscheinsgefahrfall findet sich etwa schon bei Friedrichs, PrVBl. 42, 51/52. 127

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eines Irrtums gehandelt hatte.133 Martens selbst knüpfte noch keine dogmatischen Konsequenzen an die Unterscheidung von Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht, sondern hob sie nur von der Putativgefahr ab, die auf ungerechtfertigten behördlichen Annahmen beruht. Doch die von ihm eingeführte Unterscheidung bot eine begriffliche Struktur für die Ausarbeitung einer subjektivierten Dogmatik des Gefahrbegriffs, auf der andere aufbauen konnten. So wurde die Differenzierung von der Rechtsprechung aufgegriffen 134 und später zum Anknüpfungspunkt für dogmatische Unterscheidungen benutzt: sei es, daß bei Gefahrverdacht im Unterschied zur Anscheinsgefahr nur vorläufige Maßnahmen getroffen werden dürften; sei es, daß polizeiliche Eingriffe nur bei einem Gefahrverdacht, nicht aber in Fällen der Anscheinsgefahr für rechtmäßig erachtet werden. 135 Neben Arbeiten, die die Subjektivierung des Gefahrbegriffs durch Wertungsgesichtspunkte136 oder mit experimentellen Plausibilitätserwägungen 137 untermauern wollen, erschienen Anfang der 80er Jahre zwei in Methode und Ergebnissen weitgehend übereinstimmende Monographien, die sich um eine theoretische Vertiefung der dogmatischen Entwicklung bemühen. Darnstädt 138 und Neil 139 versuchen, die subjektive Interpretation des Gefahrbegriffs wissenschaftstheoretisch zu untermauern. Wie Hoffmann-Riem knüpfen auch sie zunächst daran an, daß der Gefahrbegriff auf die Prognose eines Schadenseintritts und damit auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil abstellt. Sie gehen aber über die Analysen Hoffmann-Riems hinaus, indem sie sich noch einmal dem Begriff der Wahrscheinlichkeit als Element des Gefahrenabwehrrechts zuwenden, wie dies vor ihnen Anfang des Jahrhunderts nur Scholz und Müller getan hatten. In Auseinandersetzung mit unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen und mathematischen Theorien zur Wahrscheinlichkeit ermitteln sie die Wahrscheinlichkeit

133

OVG Münster, NJW 1980, 138/139. In BVerwGE 45, 51; 49, 36 wird nicht deutlich, ob die Behörde von der Gefährlichkeit Dutschkes oder des Persers ausgegangen war oder sie nur für möglich hielt. 134 Zuerst OVG NW, DVB1. 1982, 653/654; in der Literatur etwa Schwabe, DVB1. 1982, 655; gegen die Unterscheidung nicht als begriffliche, aber als dogmatisch überflüssige etwa Riegel, DVB1. 1982, 1006; Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 386 Fn. 29. 135 So wird Götz seine Ansicht zur Zulässigkeit von vorläufigen Gefahrenabwehrmaßnahmen später mit dem Begriff des Gefahrverdachts verbinden, Polizeirecht, 8. Aufl., Rn. 125-131. 136 Hansen-Dix, Gefahr, S. 66-68. 137 Schneider, DVB1. 1980, 406, der den objektiven Gefahrbegriff anhand eines fiktiven Falles ad absurdum zu führen versucht. 138 Darnstädt, Gefahrenabwehr. 139 Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile.

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als ein notwendig subjektives Konzept. 140 Anschaulich wird der subjektive Aspekt der Wahrscheinlichkeit an Urteilen über vergangene oder gegenwärtige Sachverhalte. Objektiv lagen oder liegen Sachverhalte vor oder nicht - tertium non datur. Jedes Wahrscheinlichkeitsurteil zu vergangenen oder gegenwärtigen Sachverhalten kann nur eine subjektive Überzeugung zum Gegenstand haben.141 Da das Gefahrurteil sowohl prognostische als auch diagnostische, auf das Vorliegen gegenwärtiger Tatsachen bezogene Elemente enthalte und sich prognostische und diagnostische Elemente allenfalls analytisch unterscheiden ließen, 142 müsse auch das mit dem Gefahrbegriff verlangte Wahrscheinlichkeitsurteil ein subjektives und damit der Gefahrbegriff selbst ein subjektiver sein. Wenn aber der Gefahrbegriff notwendig subjektiv sei, so seien Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht integrale Bestandteile des Gefahrbegriffs selbst. Die Anscheinsgefahr schon deshalb, weil die Wahrscheinlichkeit immer nur auf einer subjektiven Einschätzung beruhe, 143 und der Gefahrverdacht, weil in Gefahrverdachtssituationen lediglich eine geringere subjektive Überzeugung hinsichtlich des Schadenseintritts vorliege als in Situationen, in denen von einer tatsächlichen Gefahr die Rede Ί44

sei. Unter dem Gesichtspunkt der Subjektivierung interessiert zunächst nicht die wissenschaftstheoretische Argumentation im einzelnen.145 Wichtiger ist der theoretische Anspruch, mit dem die Subjektivierung des Gefahrbegriffs begründet wird. Für Damstädt und Neil erscheint ein im strengen Sinne objektiver Gefahrbegriff nicht nur mit den Geboten gefahrenabwehrrechtlicher Effektivität unvereinbar, sondern auch wissenschaftstheoretisch unmöglich. Die Subjektivierung des Gefahrbegriffs wird gleichsam erkenntnistheoretisch abgedichtet. Die Aufgabe des objektiven Gefahrbegriffs traf nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf zum Teil differenzierende, zum Teil aber auch grundsätzliche Ablehnung. Kritisch gegenüber der herrschenden Meinung zur Anscheinsgefahr hat sich seit der dritten Auflage seines Lehrbuchs Götz geäußert. 146 Für ihn birgt die herrschende Meinung „die Gefahr der Subjektivierung des Gefahrbegriffs und einer zu starken Beschneidung rechtsstaatlicher Kontrollen." 147 Die Gefahr hat sich für ihn in der Schahbesuch-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bereits verwirklicht, nach der eine Freiheitsentziehung allein auf der 140

Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 35-82; Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 18-57; vgl. auch Schneider, DVB1. 1980, 406/407. 141 Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 80. 142 Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 81. 143 Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 84 f.; Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 85-94. 144 Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 95-99. 145 Hierzu unten II. 2. 146 Götz, Polizeirecht, 3. Aufl., S. 60-62. 147 Götz, Polizeirecht, 8. Aufl., S. 69 - Hervorhebung durch den Verfasser.

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Grundlage eines unzutreffenden Berichts des Innenministeriums gerechtfertigt gewesen wäre. Demgegenüber beruft er sich auf das Preußische Oberverwaltungsgericht, das an dem Erfordernis der objektiven Gefahr festgehalten habe. „Gefahr ist die mit Wahrscheinlichkeit zum Schadenseintritt führende Sachlage..., nicht schon die dafür gehaltene Sachlage."148 Anerkennen will Götz lediglich die Befugnis der Polizei zu vorläufigen Maßnahmen im Falle eines Gefahrverdachts. Dabei identifiziert Götz vorläufige Maßnahmen in Fällen des Gefahrverdachts mit Gefahrerforschungseingriffen. Die Ermächtigung zu Gefahrerforschungseingriffen sei „in der Ermächtigung, konkrete Gefahren abzuwehren, sinngemäß mitenthalten." 149 Im Gegensatz zu denjenigen, die die Aufnahme der Anscheinsgefahr in den Gefahrbegriff fordern, kann sich Götz für seine Position ganz zu Recht auf das Preußische Oberverwaltungsgericht berufen. Götz stellt sich insoweit der Subjektivierungstendenz entgegen, als er sich wie das Preußische Oberverwaltungsgericht weigert, die Objektivität des Gefahrbegriffs den Handlungsnotwendigkeiten in Gefahrverdachtssituationen zu opfern. Wie das Preußische Oberverwaltungsgericht erkennt er vielmehr nur eine neben der Gefahrenabwehrermächtigung stehende, aber „sinngemäß" mitgeregelte Ermächtigung zum Erlaß vorläufiger Maßnahmen an. Eine zunächst noch unauffällige Ungenauigkeit in der Rezeption des Preußischen Oberverwaltungsgerichts schleicht sich allerdings ein, wenn Götz die vorläufigen Maßnahmen in Fällen des Gefahrverdachts grundsätzlich mit Gefahrerforschungseingriffen identifiziert. Das Preußische Oberverwaltungsgericht kannte neben der Befugnis zu vorläufigen Maßnahmen der Gefahrenabwehr noch Gefahrerforschungsbefügnisse, die nicht schon der vorläufigen Abwehr, sondern allein der Erforschung der Gefahr dienten. 150

148

Ebd. Ebd. S. 71. Eine ähnliche Lösung bietet etwas später Kickartz an. Auch er verhält sich kritisch gegenüber der Subjektivierung des Gefahrbegriffs. In einer Analyse der Möbelwagen-Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts versucht er zu zeigen, daß die Subjektivierung des Gefahrbegriffs die Entscheidung überinterpretiert. Die Entscheidung sei in erster Linie auf die Erweiterung der polizeilichen Kompentenz zu einstweiligen Anordnungen in Zivilrechtsangelegenheiten gerichtet gewesen (Kickartz, Ermittlungsmaßnahmen, S. 21-23). Für ihn bildet die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vielmehr die Grundlage einer gewohnheitsrechtlichen Ermächtigung der Gefahrenabwehrbehörden zur Gefahrerforschung und zum Erlaß einstweiliger polizeilicher Anordnungen (Ebd. S. 253-268). Auch Leisner, Umweltschutz durch Eigentümer, S. 142 f., lehnt eine Subjektivierung des Gefahrbegriffs ab, erkennt aber die Notwendigkeit polizeilicher Gefahrerforschungsbefugnisse an. 150 PrOVGE 15, 423/425; 43, 414/415; PrOVG, PrVBl. 25, 884; i.e. s.o. I. 2. a). 149

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Die rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Anerkennung von Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht wurden von Schwabe aufgegriffen. Für ihn läuft die Gleichstellung von Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht mit der Gefahr Jedem Sprachsinn und jeder vernünftigen Begrifflichkeit zuwider; wie das Scheinbare gleichzeitig das Reale sein soll, bleibt unerfindlich." 151 Dort, wo der Gesetzgeber die bloße berechtigte Annahme eines Tatbestandsmerkmals habe ausreichen lassen wollen, habe er dies in Verdachtstatbeständen zum Ausdruck gebracht. Gegenüber einer allgemeinen Ausweitung des Gefahren- zum Verdachtstatbestand fordert er den Gesetzesvorbehalt ein. Insoweit handele es sich um rechtspolitische Entscheidungen, „die im jeweiligen Parlament zu diskutieren sind, dem angemessenen Ort zur Festlegung solcher einschneidender Hoheitsbefugnisse." 152 Einige Jahre später generalisierte Schwabe das Thema der Anscheinsgefahr zu der Frage, ob das bloße Fürmöglichhalten und die irrige Annahme von Tatbestandsmerkmalen Eingriffe rechtfertigen können. 153 Für Schwabe heißt die Frage stellen, sie zu verneinen und damit auch im Polizeirecht die Anscheinsgefahr abzulehnen.154 Er wendet sich aber ebenso gegen die von Götz noch konzedierten Gefahrerforschungseingriffe. Auch hier schafft für Schwabe die Generalisierung des Gedankens Klarheit: Mit Eingriffsnormen ist nicht gleichzeitig die Ermächtigung zu Eingriffen gegeben, die erst deren Voraussetzung klären sollen; anderenfalls handelte es sich bei den Eingriffstatbeständen der Strafprozeßordnung weitgehend um redundante Kodifikationen. 155 Schwabe vertritt ein streng objektives Verständnis des Gefahrenabwehrrechts, das nicht nur die Subjektivierung seiner Begriffe, sondern auch diejenigen Konzessionen an die Effektivität der Gefahrenabwehr ablehnt, die sich das Preußische Oberverwaltungsgericht zu machen gezwungen sah. Er selbst hält die praktischen Konsequenzen seiner Auffassung nicht für gravierend. Zwar könne die Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen bei Anscheins- und Verdachtslagen „zuweilen ... auch zur Strafbarkeit führen, jedoch sind das keine praktisch bedeutsamen Fallgestaltungen."156 Aufgrund der Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit auch rechtswidriger polizeilicher Verfügungen ließe sich über das Verwaltungsvollstreckungsrecht zu der herrschenden Meinung vergleichbaren Ergebnissen kommen. Auch wenn Schwabe seine Überlegungen zu den Folgen seines streng objektiven Gefahrbegriffs nicht im einzelnen ausarbeitet, 151

Schwabe, DVB1. 1982, 655. Ebd. 657. 153 Schwabe, in: GS Martens, S. 419; vgl. auch ders., JuS 1996, 988. 154 Ihm folgen später etwa Kränz, Zustandsverantwortlichkeit, S. 175; Schröder, Das „Irrtumsprivileg" des Staates, S. 57-87. 155 Schwabe, in: GS Martens, S. 419/438 f.; vgl. schon Hoffinann-Riem, in: FS Wakke, S. 336-338. 156 Schwabe, in: GS Martens, S. 419/440. 152

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ist sein Beitrag gerade darin interessant, daß er zum ersten Mal Lösungsansätze fur Folgeprobleme eines streng objektiven Verständnisses diskutiert, die nicht bei einer Relativierung des Gefahrentatbestands ansetzen. Doch weder Schwabe noch Götz konnten sich mit ihrer Kritik gegenüber dem Subjektivierungstrend durchsetzen. Nicht durchsetzen konnte sich auch ein in den Anfang der Konsolidierungsphase fallender weitergehender Subjektivierungsversuch Ossenbühh151, der noch im Nachtrag erwähnt sei. Ossenbühl stellt ein Spannungsverhältnis zwischen der Sachlogik des Gefahrenabwehrrechts und rechtsstaatlichen Anforderungen fest. Einerseits habe die gesetzliche Bindung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen um so enger zu sein, je intensiver die Verwaltung in die Rechte der Bürger eingreife. Danach bedürfe die Polizei als Eingriffsverwaltung „par excellence" einer besonders strengen gesetzlichen Regelung. Andererseits stünde diesem rechtsstaatlichen Regelungsbedarf die Sachlogik der Gefahrenabwehrentscheidung entgegen, die situationsbedingt und nur eingeschränkt abstraktgenerell normierbar sei. 158 Die Rechtsprechung habe auf diese Spannung unter anderem reagiert, indem sie den Gefahrbegriff subjektiviert habe. „Die Subjektivierung des Gefahrbegriffs zeigt sich darin, daß die ,Gefahr 4 nicht nach objektiven Gesichtspunkten vom Standpunkt des urteilenden Richters, also ex post, sondern vielmehr aus der Sicht des entscheidenden Polizeibeamten, also nach dem Ex-ante-Maßstab, festgestellt wird." 1 5 9 Angesichts des prognostischen und situationsbedingten Charakters der Entscheidung sei der Polizei ein gerichtlich nicht nachprüfbarer Beurteilungsspielraum bei der Anwendung des Gefahrbegriffs einzuräumen. Im Rahmen dieses Spielraums unterläge die Verwaltungsentscheidung weder der Aufhebung noch einer Sanktion durch Schadensersatzansprüche. 160 Bei Ossenbühl greift die Subjektivierung auch auf die Sekundärebene aus. Auch wenn sich die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in einigen Rechtsgebieten der Vorstellung gerichtsfester Beurteilungsspielräume der Verwaltung genähert hat, 161 hat sie den Vorschlag soweit ersichtlich für den Gefahrbegriff nicht aufgegriffen. 162

157

Ossenbühl, DVB1. 1976, 463, Überlegungen von Bachof, JZ 1955, 99/100 aufgreifend. 158 Ossenbühl, DVB1. 1976, 463/464. 159 Ebd. 467 - Hervorhebung im Original. 160 Ebd. 467. 161 Eine Würdigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts etwa bei Sieckmann, DVB1. 1997, S. 101-107 m.w.N. 162 Ablehnend aus der Literatur etwa Nierhaus, DVB1. 1977, S. 19/25; Lingemann, Gefahrenprognose;Vgl. allerdings im Atomrecht VGH Kassel, ET 1997, 632-635 der der Atombehörde für die Gefahrermittlung und -bewertung eine Einschätzungsprärogative zugesteht.

Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

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3. Der dogmatische Ausbau Nachdem der Gefahrbegriff als subjektiver dogmatisch konsolidiert und theoretisch durchgearbeitet schien, wandte sich die Entwicklung den weiteren dogmatischen Elementen des Gefahrenabwehrrechts zu. Nach der Subjektivierung des Gefahrbegriffs ging es nun darum, die Konsequenzen für die übrigen dogmatischen Elemente zu ziehen. Was bedeutet ein subjektiver Gefahrbegriff für die polizeiliche Verantwortlichkeit, für den Inhalt von Gefahrenabwehrmaßnahmen, für Kosten und Entschädigungsansprüche. Bislang lagen insoweit nur einige negative Erkenntnisse des Bundesgerichtshofs vor, in denen er einen Entschädigungsanspruch im Falle des Gefahrverdachts verneint hatte, wenn der Verdacht schuldhaft veranlaßt war. Doch woraus sollte sich ein Entschädigungsanspruch ergeben, wenn der Verdacht oder Anschein einmal nicht schuldhaft veranlaßt war? 163 Zur Kostenlast in Fällen des Gefahrverdachts und der Anscheinsgefahr lagen noch keine Entscheidungen vor. All dies gehörte erst zum Ausbau des subjektiven Konzepts, der Anfang der 80er Jahre in einer dritten Phase von Rechtsprechung und Literatur vorangetrieben wurde. Dabei griffen Rechtsprechung und Literatur wieder ineinander: Die Bewegung ging von der Rechtsprechung aus, die einige Entscheidungen vorgab, und wurde von der Literatur aufgenommen, die die neuen Judikate systematisierte, in dogmatische Formen goß und in ihren Konsequenzen auszog und kehrte zurück in die Rechtsprechung, die die Literatur rezipierte und sich so ihrer selbst vergewisserte.

a) Die Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit Die Frage, ob die Gefahrenabwehrbehörden im Falle der Kenntnis einer Gefahr auch gegen denjenigen vorgehen dürfen, den sie nicht als Verursacher der Gefahr ausmachen können, den sie aber als Verursacher verdächtigen, wurde in der veröffentlichten Rechtsprechung soweit ersichtlich zum ersten Mal vom Oberwaltungsgericht Saarlouis in einem Beschluß aus dem Jahre 1983 gestellt und verneint. Obwohl Anhaltspunkte dafür vorlagen, daß der Grundstückseigentümer für eine festgestellte Grundwasserverseuchung verantwortlich war, konnte die Rechtmäßigkeit einer gegen ihn gerichteten Ordnungsverfügung nicht festgestellt werden, weil nicht zwingend widerlegt wurde, daß die Verseuchung auch von einem anderen Grundstück ausgehen konnte. 164 Wie Hoffmann-

163

So lehnte etwa Papier, DVB1. 1975, 567/573, entgegen dem Bundesgerichtshof einen Entschädigungsanspruch des Anscheinsstörers grundsätzlich auch bei unverschuldeter Verdachtserregung ab. 164 OVG Saarlouis, DÖV 1984, 471/472.

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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Riem reichte dem Oberverwaltungsgericht Saarlouis der Verdacht einer Verantwortlichkeit noch nicht zur Rechtfertigung einer Gefahrenabwehrmaßnahme. Anders wurde eine entsprechende Konstellation schon 1985 vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim beurteilt. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim tat das, was in der Tendenz der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrecht nahelag: Er wendete die zum Gefahrbegriff entwickelten Grundsätze auf die polizeiliche Verantwortlichkeit an. „Zwar stand die Kl. nicht als polizeirechtliche verantwortliche Urheberin der Verschmutzung, d.h. als Störerin, fest. Dies war aber nach dem Ziel und der Art der Maßnahme ... weder möglich noch erforderlich. Insoweit liegt es nahe, die Grundsätze, die für die Verifizierung eines objektiven Gefahrverdachts entwickelt wurden, auch im Fall einer Gefahrerforschung in subjektiver Hinsicht, also dann heranzuziehen, wenn nicht die Existenz einer Gefahr, sondern lediglich deren Urheber ungeklärt ist. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte, die den Verdacht einer Gefahrenverursachung begründen, so kann ... der Betreffende vorläufig als Störer in Anspruch genommen werden." 165 Für die Subjekti vierung der polizeilichen Verantwortlichkeit war damit das Eis gebrochen. Hatte Hojfmann-Riem noch ausdrücklich die Figur des Anscheins- oder Verdachtsstörers abgelehnt,166 weil der gesetzlich geforderte Verursachungszusammenhang im Unterschied zum Schadenseintritt kein bloß wahrscheinlicher, sondern ein strikter sein müsse, setzte sich die Dynamik der Subjekti vierung über entsprechende Bedenken hinweg.

b) Die Diskussion um den Gefahr- und Störererforschungseingriff Verwoben mit der Ausweitung der polizeilichen Verantwortlichkeit ist eine Diskussion um den Kreis der zulässigen Maßnahmen der Gefahrenabwehrbehörden. Gefahrverdachtssituationen stellen zunächst vor die Frage, ob überhaupt der Tatbestand gefahrenabwehrrechtlicher Eingriffsbefugnisse erfüllt ist. Wird angenommen, daß entweder der Gefahrverdacht unter den Gefahrbegriff fällt oder die Voraussetzung einer mit und neben der Generalklausel erteilten Ermächtigung erfüllt, so stellt sich die zweite Frage, welche Rechtsfolgen in

165

VGH Mannheim, DÖV 1985, 687/688; bestätigt in VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 24/26. Soweit die Gefahrenabwehrbehörden die Gefahr selbst beseitigen, hat der VGH Mannheim neben der Subjektivierungsstrategie später noch eine vollstreckungsrechtliche Lösung vorgeschlagen. In den Maßnahmen wird eine unmittelbare Ausführung gesehen. Der Verantwortliche wird erst im Rahmen der Kostenentscheidung festgelegt, VGH Mannheim, NVwZ 1990, 784/785; ebenso Dietlein, NWVB1. 1991, 81/85; Schenke, in: FS Friauf, S. 455/499-501, i.e. zu dazu dritter Teil: Α. II. und IV. 166 Hoffmann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/336-338. 5 Poscher

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Gefahrverdachtsfällen zulässig sind. 167 Objektive Gefahren können nur durch Maßnahmen abgewehrt werden, die den schadensgeneigten Kausalverlauf unterbrechen. In Gefahrverdachtsfällen kann zwar auch durch Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden, die den Geschehensverlauf zumindest vorläufig unterbrechen. Der Möbelwagen wird sichergestellt, um die befürchtete rechtswidrige Verbringung des Hausrats zu verhindern. Doch sind daneben noch Maßnahmen denkbar, die ohne in den Geschehensablauf einzugreifen, nur darauf gerichtet sind, dem Gefahrverdacht durch bloße Sachverhaltsaufklärung abzuhelfen. 168 Dem Eigentümer der einsturzverdächtigen Mauer wird nicht aufgegeben, dieselbe abzustützen,169 sondern ein statisches Sachverständigengutachten erstellen zu lassen170. In der Logik des subjektiven Gefahrbegriffs läßt sich eine entsprechende Ausweitung der Gefahrenabwehrmaßnahmen auf Gefahrerforschungseingriffe darstellen. Wenn der Verdacht einer Gefahr eine Gefahr im Sinne des Polizeirechts ist, dann können auch Maßnahmen zur Aufklärung des Verdachts Maßnahmen der Gefahrenabwehr sein. Die subjektive Gefahr kann durch die Erweiterung des subjektiven Wissen abgewehrt werden. Soweit die Aufklärung den Verdacht nicht bestätigt, beseitigt sie den Verdacht und damit die subjektive Gefahr. Auf der Grundlage des subjektiven Gefahrbegriffs kann Gefahrerforschung in diesem Sinne Gefahrenabwehr sein. Anfang der 80er Jahre hat der bis heute nicht zum Abschluß gekommene171 Streit um die Zulässigkeit von Gefahr- und Störererforschungseingriffen begonnen. In einem Beschluß aus dem Jahre 1982 lehnte das Oberverwaltungsgericht Münster die Verpflichtung einer Grundstückseigentümerin ab, auf ihrem Grundstück gelegene und mit Chemikalien gefüllte Tanks auf ihren Inhalt und ihre Dichtigkeit überprüfen zu lassen, weil nicht, wie von der ordnungsbehördlichen Generalklausel vorausgesetzt, eine bestehende Gefahr abgewehrt, sondern erst festgestellt werden sollte. 172 167

Diese beiden Aspekte des Gefahrerforschungseingriffs werden nicht immer unterschieden; deutlich abgeschichtet finden sie sich bei Breuer, in: GS Martens, S. 317/344; Classen, JA 1995, 608/609. 168 So auch Breuer, in: GS Martens, S. 317/344, der die Maßnahmen der vorläufigen Gefahrenabwehr mit interimistischem Charakter von den Gefahrerforschungsmaßnahmen unterscheidet. Die als Beispiel für die frühe Anerkennung von Gefahrerforschungsmaßnahmen etwa von Papier, DVB1. 1985, 873/875, zitierte MöbelwagenEntscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, PrOVGE 77, 333, betrifft eine interimistische Verfügung. Eher einschlägig sind die Entscheidungen, die neben der Gefahrenabwehrermächtigung Ermitttlungsrechte der Polizei annehmen, PrOVGE 43, 414/415 f.; PrOVG, PrVBl. 25, 884. 169 PrOVG, PrVBl. 32, 119-121. 170 VGH Kassel, NVwZ-RR 1992, 288. 171 Weiß, N V w Z 1997, 737. 172 OVG Münster, ZfW 1983, 180/181 f.

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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Einige Monate später traf das Verwaltungsgericht Karlsruhe eine erste Entscheidung, in der die Pflicht eines Verantwortlichen zur Durchführung von Gefahrerforschungsmaßnahmen auf wasserrechtliche Gefahrenabwehrvorschriften gestützt wurde. „Dieses Ergebnis wird durch spezifisch polizeirechtliche Überlegungen bestätigt. Geht z.B. von einer Sache eine Anscheinsgefahr aus, so kann die Polizeibehörde dem Anscheinsstörer aufgeben, durch entsprechende Nachweise an der Feststellung mitzuwirken, ob (und in welchem Umfang) eine reale Gefahr vorliegt; diese Aufklärungsmaßnahmen können dem Anscheinsstörer auferlegt werden, weil und soweit der Anschein der Gefahr auf ihn ... zurückgeht." 173 Die Entscheidung argumentiert in Richtung des beschriebenen Zusammenhangs zwischen dem subjektiven Gefahr- und Verantwortlichkeitsbegriff und dem Gefahrerforschungseingriff. 174 Wenn schon Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht und Anscheins- und Verdachtsverantwortlichkeit den Tatbestand der Eingriffsnormen erfüllen, auf was anderes soll dann die Rechtsfolge gerichtet sein als auf die Erforschung des Anscheins oder Verdachts. In der obergerichtlichen Rechtsprechung erkannte zunächst der Verwaltungsgerichtshof Mannheim die Pflicht des Grundstückseigentümers an, Probebohrungen zu dulden. 175 Auch in dieser Entscheidung wird eine Verfügung, die der Aufklärung eines Verdachts dient, unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr für zulässig erachtet. Indes anders als in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe betrifft dies zunächst nur die Duldung von Aufklärungsmaßnahmen und nicht die Pflicht zur Vornahme entsprechender Maßnahmen durch den vermeintlich Verantwortlichen. Neu an dieser Entscheidung ist nicht die Annahme entsprechender Duldungspflichten. Das Preußische Oberverwaltungsgericht hatte die Pflicht zur Duldung von Maßnahmen der Gefahrermittlung für selbstverständlich erachtet. 176 Neu ist, die Maßnahmen als Gefahrenabwehrmaßnahmen zu begreifen. Für das Preußische Oberverwaltungsgericht stand die allgemeine Duldungspflicht gegenüber Maßnahmen der 173 VG Karlsruhe, ZfW 1985, 55/59; Das Gericht zitiert noch zwei unveröffentlichte Entscheidungen zum Wasserrrecht, die bereits zuvor die Zulässigkeit von Aufklärungsanordnungen angenommen haben sollen (VG Karlsruhe, 4.7.1980 - 1 Κ 45/80; VGH Mannheim, 20.11.1980 - 5 S 1642/80). Nach OVG Koblenz, NVwZ 1987, 240/241, hatte sich auch das Oberverwaltungsgericht Koblenz bereits 1980 für die Zulässigkeit von Gefahrerforschungsanordnungen entschieden (Entscheidung vom 10.7.1980 - 1 A 202/78). 174 Die Rechtsprechung geht nicht so weit, die Aufklärung des Verdachts als Gefahrenabwehr zu betrachten, weil damit der als Gefahr erachtete Verdacht beseitigt wird, vgl. aber die enge Verknüpfung der Argumentation zum Gefahrverdacht und Gefahrerforschungseingriff in VGH Kassel, NVwZ-RR 1992, 288 f. 175 VGH Mannheim, DÖV 1985, 687/688; bestätigt in VGH Mannheim, N V w Z 1986, 325. 176 PrOVGE 15, 423/425; 43, 444/415 f.; PrOVG, PrVB1.25, 884.

Zweiter Teil: Die Subjekti vierung des Rechts der Gefahrenabwehr

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Gefahrermittlung noch neben der Gefahrenabwehrermächtigung. 177 Sie beruhte auf einer Befugnis, die der Polizei in der Gefahrenabwehrermächtigung mitgegeben worden war. Wie schon hinsichtlich der Anscheinsgefahr und des Gefahrverdachts zeigt sich eine Tendenz, das, was das Preußische Oberverwaltungsgericht noch von den Gefahrenabwehrbefugnissen unterschieden hat, über eine Subjekti vierung der Dogmatik in das Gefahrenab wehrrecht zu integrieren. Einen Schritt weiter ging dann der Verwaltungsgerichtshof Kassel, der wie das Verwaltungsgericht Karlsruhe nicht nur die Verpflichtung zur Duldung, sondern auch zur Vornahme von Gefahrerforschungsmaßnahmen auf eine Gefahrenabwehrermächtigung stützte. „Zwar fuhren diese Maßnahmen nicht unmittelbar zur Beseitigung oder Verminderung der eigentlichen Gefahr, sondern haben eher vorbereitenden Charakter ... Jedoch müßten entsprechende Untersuchungen auch dann erfolgen, wenn gleich mit der Abtragung von Grund und Boden begonnen würde. ... Demnach stellen die ... Maßnahmen mindestens einen Schritt in Richtung auf die Gefahrbeseitigung dar." 178 Die Gefahrerforschung wird als notwendiger Bestandteil der Gefahrenabwehr gedeutet. Auf dieser Linie lagen auch Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte. 179 Ist eine Maßnahme der Gefahrenabwehrbehörden „gewissermaßen ... Diagnose und Therapie zugleich" 180 , so soll es nach dem Verwaltungsgerichtshof München im Ermessen der Behörde stehen, ob sie sich für Amtsermittlungsmaßnahmen oder für eine entsprechende Ordnungsverfügung gegen den Anscheinsstörer entscheidet.181 Kontrovers wurde der Gefahrerforschungseingriff in der Rechtsprechung dann mit einer selbstkritischen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz, in der das Gericht ausdrücklich von einer früheren Entscheidung abrückte. Zwar lägen auch in Fällen des Gefahrverdachts die Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten vor, doch sei damit noch nicht entschieden, ob der vermeintliche Störer nur zur Duldung oder auch zur Durchführung der Maßnahmen herangezogen werden könne. Traditionell sei die Ermittlungstätigkeit als eigene Aufgabe der Verwaltung angesehen worden. „Ein Wandel dieser Praxis trat erst in neuerer Zeit ein, nachdem zunehmend Fälle auftraten, in denen bereits die Kosten der Gefahrermittlung in erheblichem Umfang den Ver-

177

Ebd.; i.e. s.o. I. 2. a). VGH Kassel, DÖV 1987, 260 (7. Senat); die spätere Rechtsprechung des 14. Senats zum Abfallrecht zeigte sich demgegenüber zurückhaltender,VGH Kassel, N V w Z 1991, 498; N V w Z 1992, 1101. 179 OVG Hamburg, HmbJVBl 1986, 93; VGH München, N V w Z 1986, 942/944. 180 VGH München, NVwZ 1986, 942/944. 181 Ebd., ähnlich Schink, DVB1. 1989, 1182/1188, der die Kostenlast nach dem Schwerpunkt der Maßnahme bestimmen will. 178

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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waltungshaushalt belasteten, was dazu führte, daß nach einer Möglichkeit zur Abwälzung der Kosten Ausschau gehalten wurde, was sicherlich im Interesse eines sparsamen Umgangs mit Steuermitteln zu begrüßen, aber nicht ohne weiteres mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Vorbehalt des Gesetzes zu vereinbaren ist." 182 Hinsichtlich der Duldungspflicht gegenüber Gefahrermittlungsmaßnahmen, die ebenso nicht der Abwehr einer Gefahr, sondern ihrer Ermittlung dienen, zeigte sich aber auch das Oberverwaltungsgericht Koblenz weniger rechtsstaatlich rigoros. 183 Dies entspricht der Position des Preußischen Oberverwaltungsgerichts. Nur hatte das Preußische Oberverwaltungsgericht die Duldungspflicht nicht als Gefahrenabwehrmaßnahme im Sinne der Generalklausel gedeutet.184

c) Dogmatik auf zwei Ebenen - Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche Mit seinem rechtspolitischen Ausflug hat das Oberverwaltungsgericht Koblenz das dritte Thema angesprochen, für dessen Dogmatisierung neben der Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit und den Maßnahmen zur Aufklärung von Verdachtslagen Anfang der 80er Jahre in der Rechtsprechung der Grundstein gelegt worden ist: die Frage der Kostenlast in Anscheins- und Verdachtslagen. Zunächst hatte das Oberverwaltungsgericht Hamburg über die Kosten eines Polizeieinsatzes aufgrund einer Anscheinsgefahr zu entscheiden. Aufgrund von Zeugenaussagen hatte die Polizei einen größeren Einsatz gegen einen frei in der Hamburger Innenstadt umherlaufenden Löwen veranlaßt. Im Laufe der Aktion stellte sich heraus, daß es sich um ein vier Monate altes Löwenbaby gehandelt haben mußte, das allmorgendlich ausgeführt wurde und keinerlei Bedrohung bedeutete. Das Oberverwaltungsgericht erachtete den Polizeieinsatz aufgrund der durch die Zeugenaussagen gegebenen Anscheinsgefahr zwar für rechtmäßig, lehnte aber trotzdem einen Anspruch des Landes auf Ersatz der Kosten der unmittelbaren Ausführung ab. Neben einer Gefahr setze der Kostenanspruch die polizeiliche Verantwortlichkeit des Löwenhalters voraus. Diese bedürfe in Fällen der Anscheinsgefahr einer besonderen Beurteilung. „Während im Falle einer wirklichen Gefahr eine ... Verantwortlichkeit für das Verhalten einer Person oder den Zustand einer Sache regelmäßig zur Folge hat, daß dem Verantwortli182

OVG Koblenz, N V w Z 1987, 240/241. Ebd.; eine Duldungspflicht gegenüber Gefahrerforschungsmaßnahmen erkennen auch VGH Kassel, NVwZ 1991, 498; OVG Koblenz, N V w Z 1992, 499; OVG Münster, NWVB1. 1990, 159, an. 184 PrOVGE 43, 414/415; PrOVG, PrVBl. 25, 884; i.e. s.o. 1. b) (I). 183

Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

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chen auch die Kosten einer notwendig gewordenen Verwaltungsvollstreckung zur Last fallen, bedarf die Kostenpflicht im Falle der Anscheinsgefahr einer Prüfung, ob der beim Eingreifen vorhandene Anschein einer dem vermeintlichen Störer zugerechneten Gefahr bei rückschauender Betrachtung von ihm tatsächlich veranlaßt und zu verantworten ist." 185 Es scheint so, als setze die polizeiliche Verantwortlichkeit im Falle der Anscheinsgefahr die Verantwortung für den Anschein voraus. Doch ganz so kann die Passage nicht gemeint sein, denn sonst müßte das Gericht Maßnahmen im Falle der Anscheinsgefahr für rechtswidrig erachten, bei denen sich später herausstellt, daß der Anscheinsstörer den Anschein nicht zu verantworten hat. Auch hier geht es aber von der Rechtmäßigkeit des Einsatzes aus. Die Verantwortlichkeit im Sinne der Kostenvorschriften muß eine andere sein, als die im Sinne der primären Eingriffsbefügnisse. Die Trennung zwischen Primär- und Sekundärebene zeichnet sich ab. Nicht ganz deutlich wird, welchen Inhalt die Verantwortlichkeit im Sinne der Kostenvorschriften hat. Im zu entscheidenden Fall stellt das Gericht maßgeblich darauf ab, daß die Anrufe, die den Polizeieinsatz ausgelöst hatten, erst zwei Stunden nachdem der kleine Löwe seinen Spaziergang beendet hatte, bei der Polizei eingingen. Schon aufgrund der Zeitspanne zwischen der Ausführung des Löwen und den Anrufen, sei der Halter des Löwen nicht mehr für den Anschein verantwortlich. 186 Das Gericht hält den Löwenhalter nicht mehr für den unmittelbaren Verursacher des Anscheins. So jedenfalls ließe sich diese Entscheidung zur Anscheinsverantwortlichkeit mit den allgemeinen Grundsätzen zur polizeilichen Verantwortlichkeit harmonisieren. Für den zu entscheidenden Fall bietet sich diese Argumentation an, doch allgemein hat das Oberverwaltungsgericht mit der Frage nach der kostenrechtlichen Anscheinsverantwortlichkeit mehr ein Problem sichtbar gemacht als gelöst. Oder sollte tatsächlich jeder, der bei der Polizei den Anschein einer Gefahr unmittelbar hervorruft, die Kosten für die Maßnahmen tragen, die sich gegen den Anschein richten? Mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung begann auch die Literatur, sich zunächst beiläufig im Rahmen der Altlastendiskussion dem Ausbau der subjektiven Dogmatik zuzuwenden. Sie verhielt sich zunächst kritisch gegenüber der Zulässigkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen, die von den Betroffenen mehr als die bloße Duldung der Gefahrenaufklärung verlangen. 187 Papier begründet diese Ansicht mit einem Rückgriff auf die vom Preußischen Oberverwaltungs185

OVG Hamburg, NJW 1986, 2005/2006; so auch VG Berlin, NJW 1991, 2854. OVG Hamburg, NJW 1986, 2005/2007. 187 Papier, DVB1. 1985, 873/875; ders. Altlasten und polizeiliche Störerhaftung, 1985, S. 17; ders, N V w Z 1986, 256/257; Pietzcker, JuS 1986, 719/722; Schink, DVB1. 1986, 161/165. 186

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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gericht entwickelten Grundsätze, nach denen der Anschein oder Verdacht einer Gefahr nur zur vorläufigen Unterbrechung des gefährlich erscheinenden Kausalverlaufs berechtige, um eine weitere behördliche Sachaufklärung zu ermöglichen. 188 Nach der Subjektivierung des Gefahrbegriffs, die auch Papier voraussetzt, 189 kann der Verweis auf das Preußische Oberverwaltungsgericht aber nicht mehr ganz ungebrochen gelingen. Für das Preußische Oberverwaltungsgericht war die Befugnis der Polizei zu vorläufigen Maßnahmen eine Art Notkompetenz, die ausdrücklich neben die Gefahrenabwehrbefugnis trat. Daß diese Notkompetenz der Polizei nicht die ganze Bandbreite der Maßnahmen eröffnete, die ihr im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen der polizeilichen Generalklausel zu Gebote stehen, entspricht dem Ausnahmecharakter einer Ausnahmekompetenz. Wird aber der Verdacht mit der Gefahr gleichgesetzt, so daß im Falle des Verdachts der Tatbestand der allgemeinen Gefahrenabwehrbefugnis erfüllt ist, ist nicht mehr einsichtig, warum die Behörde auf vorläufige Duldungsverfügungen beschränkt sein sollte, solange sie nicht gegen Ermessensgrundsätze verstößt. Vereinzelt finden sich auch schon Überlegungen zur Kostenlast in Anscheins- und Verdachtssituationen. Anders als das Oberverwaltungsgericht Hamburg schlug Pietzcker vor, dem Anscheinsstörer die Kostenlast dann aufzuerlegen, wenn sich der Anschein oder der Verdacht einer Gefahr bestätigt. Dies solle gleichermaßen für Gefahrerforschungsmaßnahmen gelten. 190 Auch in diesem Ansatz deutet sich eine Spaltung zwischen Primär- und Sekundärebene an. Für die Eingriffsbefugnis soll der Anschein oder Verdacht einer Gefahr ausreichen, die Kostenlast soll aber danach verteilt werden, ob eine „wirkliche" Gefahr vorgelegen hat. Was der Aufsatz Hoffmann-Riems in der Phase der Konsolidierung für die Dogmatisierung des Gefahrbegriffs bedeutete, bedeutete ein Aufsatz Breuers aus dem Jahre 1987 für die Dogmatisierung der in der Ausbauphase anfallenden Fragen. 191 Breuer machte die unterschiedlichen Anscheins- und Verdachtslagen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und bot eine erste systematische Antwort auf die Fragen nach polizeilicher Verantwortlichkeit, Art der polizeilichen

188

Papier, DVB1. 1985, 873/875 Ebd. 190 Pietzcker, JuS 1986, 719/722; vgl. auch Götz, Polizeirecht, 8. Aufl., Rn. 131, 288 und später VGH München, BayVwBl. 1995, 309/310, für den eine Kostentragung des bloßen Verdachtsstörers nur in Betracht kommt, er die Kosten der Gefahrerforschung durch mangelnde Mitwirkung in die Höhe getrieben hat. 191 Breuer, in: GS Martens, S. 316. Eine entsprechende Bewertung des Beitrags, dessen zentrale Aussagen sich in stark geraffter Form auch in ders, NVwZ 1987, 451/454 f , finden, bei Nierhaus, UTR 1994, 369/375. 189

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Maßnahmen, Kosten und Entschädigung, die sich aus der weiteren Subjektivierung der Dogmatik ergaben. Systematisch unterscheidet Breuer zum einen unterschiedliche Anscheinsund Verdachtslagen und zum anderen unterschiedliche Typen von Anscheinsoder Verdachtsbetroffenen. In Anscheins- und Verdachtslagen kann sich der Anschein oder der Verdacht bereits auf das Vorliegen einer Gefahr oder, bei feststehender Gefahr, nur auf die polizeiliche Verantwortlichkeit beziehen. In beiden Fällen läßt sich fur die polizeiliche Verantwortlichkeit nach Breuer wieder zwischen „echten Anscheins- bzw. Verdachtsstörern" und den „anscheins- bzw. verdachtsbetroffenen Nichtstörern" unterscheiden. Während der „echte Anscheins- bzw. Verdachtsstörer" den Verursachungsanschein oder verdacht zu verantworten habe, sei der anscheins- oder verdachtsbetroffene Nichtstörer dadurch gekennzeichnet, daß er weder durch rechtswidriges noch durch sonst nachlässiges Verhalten den Anschein oder Verdacht provoziert habe. 192 Dogmatisch unterscheidet Breuer zwischen einer Ex-ante-Betrachtung, die für die Frage der Zulässigkeit der Maßnahmen gelten soll, und einer Expost-Betrachtung, die für Sekundäransprüche maßgeblich sei. Danach sind Maßnahmen in Anscheins- und Verdachtslagen grundsätzlich 193 auch dann rechtmäßig, wenn der ex ante aus Sicht der Behörde bestehende Anschein oder Verdacht ex post widerlegt wird. Doch im Falle der Widerlegung ex post wird der Betroffene von der Kostenlast freigestellt, und der anscheins- oder verdachtsbetroffene Nichtstörer erhält als Nichtstörer auch einen Entschädigungsanspruch, weil er anders als der „echte" Anscheins- oder Verdachtsstörer die Maßnahme nicht rechtswidrig oder nachlässig provoziert hat. Diese Grundsätze sollen auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und Kostenlast bei Gefahrerforschungseingriffen gelten. 194 Breuer bietet damit die erste Systematisierung eines auf einem subjektivierten Gefahr- und Verantwortlichkeitsverständnis aufbauenden Gefahrenabwehrrechts. In der Systematisierung wird der Bruch deutlich, der das subjektivierte System von demjenigen des positiven Rechts unterscheidet. Während Breuer das Polizeirecht in ex ante und ex post zu beurteilende Normen aufteilen muß, 192

Breuer, in: GS Martens, S. 316/335-343. Eine Ausnahme bilden insoweit nur Maßnahmen gegen den verdachtsbetroffenen Nichtstörer. „Da die Behörde sich beim Gefahrverdacht der Unvollständigkeit der Tatsachenkenntnis bewußt ist ... begegnet es jedenfalls Bedenken, wenn der bloß Verdachtsbetroffene ohne weiteren Zurechnungsgrund zur Vornahme ... von Abwehrmaßnahmen herangezogen wird." (Ebd. 340 f.) Der bloß Verdachtsbetroffene könne nur als Nichtstörer herangezogen werden. Zumindest nach der Logik der Subjektivierung müßte allerdings auch der Anschein, wenn nicht auch der Verdacht eines Zurechnungsgrundes den Verdachtsbetroffenen zum „echten" Anscheins- oder Verdachtsstörer machen. 194 Ebd. S. 346-349. 193

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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kennt das positive Recht diese Unterscheidung nicht. Demgegenüber sind Abweichungen wie das Auseinanderfallen von Kostenlast und Entschädigungsanspruch beim echten Anscheins- und Verdachtsstörer zweitrangig und akzidentiell. Es wird vielmehr der Bruch in der rechtlichen Beurteilung von Gefahrenabwehrmaßnahmen auf der einen und Kosten- und Entschädigungsansprüchen auf der anderen Seite, von „Primär- und Sekundärebene" sein, der die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts in den Folgejahren bestimmt. Dies bedeutet nicht, daß Breuers Ergebnisse im einzelnen übernommen werden - einzelne Fragen wie etwa die Zulässigkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen sind bis heute auch in der Rechtsprechung umstritten - , aber die Unterscheidung verschiedener Perspektiven für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs und der Sekundäransprüche wurde weithin rezipiert. 195 Breuer ist bemüht, die Grundsätze über die Verantwortlichkeit des Anscheins· oder Verdachtsstörers möglichst den allgemeinen Regeln über die polizeiliche Verantwortlichkeit anzupassen. Anscheins- oder Verdachtsstörer sei, wer die Gefahrenschwelle überschreite. Doch das subjektive Element schlägt auf die Kriterien der Anscheins- und Verdachtsverantwortlichkeit durch. Für Anscheins- und Verdachtsfälle entwickelt Breuer Zurechnungskriterien, die über den sonst nur für die polizeiliche Verantwortlichkeit geforderten Verursachungszusammenhang hinausgehen. So soll die Gefahrenschwelle überschritten sein, wenn dem Anscheins- oder Verdachtsstörer eine Rechts- oder Sorgfaltswidrigkeit zur Last fällt. 196 Diese wiederum zumindest auch auf subjektive Kriterien gestützte Einengung der bereits subjektivierten polizeilichen Verantwortlichkeit ist nicht zwingend, liegt aber nahe. Mit der Subjektivierung wird die polizeiliche Verantwortlichkeit um die Menge der Handlungen und Zustände erweitert, die nicht gefährlich sind, aber aufgrund subjektiver Umstände bei einem Gefahrenabwehrorgan den Anschein oder Verdacht einer Gefahr erzeugen. Aus der Sicht des Betroffenen sind diese subjektiven Umstände häufig zufällig. Nicht, daß polizeiliche Verantwortlichkeit nicht auch für zufällig eintretende Gefahren entstehen kann. Aber dort, wo es nicht mehr um tatsächliche Gefahren und tatsächliche Verursachung geht, sondern nur um die rechtliche Abwicklung von Mißverständnissen, scheint soviel Kontingenz nicht zumutbar. Es müssen weitere Zurechnungskriterien eingeführt werden, um die Haftung zu begrenzen.

195 Erichsen/Wernsmann, Jura 1995, S. 219/221 f.; Martensen, Erlaubnis, S. 150; Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. L, Rn. 8; Schoch, JuS 1995, S. 505/507; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 542. Um eine verfassungsrechtliche Fundierung der Unterscheidung bemühen sich Hoeft, Die Entschädigung des Störers, S. 234-237 und Lindner, Adressatenpflichten, S. 162-166. 196 Breuer, in: GS Martens, S. 317/346-349.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Im Gegensatz zur Rechtsprechung begannen Mitte der 80er Jahre Teile der Literatur, anläßlich der Altlastenfälle erneut ein subjektives Element in die Kostenverantwortlichkeit jenseits der Anscheins- und Verdachtsfälle einzuführen. Erne Reihe von Autoren wollte die Kosten von Sanierungsmaßnahmen nicht mehr an die Zustandsverantwortlichkeit geknüpft sehen, wenn der Zustandsverantwortliche sich in einer „Opferposition" befindet, weil er von der Kontamination seines Grundstücks nichts wußte und auch nichts wissen konnte oder mußte.197 Die Rechtsprechung hat dem zuerst im Zusammenhang mit den Trümmergrundstücksfällen vorgetragenen Anliegen bislang erneut widerstanden. Eine entsprechende Begrenzung der Zustandshaftung wurde zwar in Betracht gezogen, aber bis heute noch nicht anerkannt. 198 Die literarische Tendenz zur Begrenzung der Zustandshaftung durch die Einführung eines subjektiven Elements ist nicht zwingend mit den Entwicklungen infolge der Subjektivierung des Gefahrbegriffs verknüpft, reiht sich aber atmosphärisch in die Entwicklung ein. Harmonischer gestaltete sich das Verhältnis zwischen Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich des Ausbaus der übrigen Subjektivierungsaspekte. Ganz auf die Linie Breuers stellte sich der Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Im Rahmen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gefahrerforschungsverfügung aufgrund ernes Verursachungsverdachts führt er die von Breuer vorgeschlagene Differenzierung in seme Rechtsprechung ein. „Im Sinne der begrifflichen Differenzierung von Breuer .., welche den Senat überzeugt, ist die Kl. ,echte Anscheinsstörerin'. ... Dadurch unterscheidet sich die Kl. vom ,anscheinsbetroffenen Nichtstörer 4, der weder durch sein Verhalten noch durch den Zustand seiner Sache den Verursachungsanschein erweckt hat. ... Mit Rücksicht auf die Funktionsfähigkeit der Gefahrenabwehr hält der Senat nicht nur bei der Beantwortung der Gefahrenfrage, sondern auch bei der hier zu erörternden Frage, wer ... richtiger Adressat einer Polizeiverfügung ist, die Ex-antePerspektive für angebracht." 199 In einem obiter dictum legt das Gericht nahe, dem rechtmäßig herangezogenen anscheinsbetroffenen Nichtstörer einen polizeilichen Entschädigungsanspruch in entsprechender Anwendung der Nichtstörerentschädigungsvorschriften zu gewähren. 200

197 Breuer, N V w Z 1987, 751/756; Hohmann, DVB1. 1984, 997; Papier, DVB1. 1985, 873; ders, N V w Z 1986, 256/251 f.; Schink, DVB1. 1986, 161/169 f.; zuvor schon allgemein zur Begrenzung der Zustandshaftung Erler, Maßnahmen der Gefahrenabwehr, S. 119, 206; Friauf, in: FS Wacke, S. 293; ders, VVDStRL 35, 350 f. 198 BVerwG, N V w Z 1991, 475; OVG Koblenz, NVwZ 1987, 240; OVG Koblenz, N V w Z 1992, 499/500; VGH Mannheim, VB1BW 1997, 110 f.; OVG Münster, 3.6.1997 - 5 A 4/96; vgl. Seibert, DVB1. 1992, 664/672 m.w.N. 199 VGH Mannheim, DÖV 1991, 165/167; bestätigt etwa durch VGH Mannheim, N V w Z 1991,491 und 498. 200 VGH Mannheim, DÖV 1991, 165/167.

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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In seinen neueren Urteilen zu gefahrenabwehrrechtlichen Entschädigungsansprüchen ist der Bundesgerichtshof diesem Vorschlag gefolgt. Die Reihe der Entscheidungen nahm ihren Auftakt 1992 mit der Kälbermast-Entscheidung 201. Ein Kälbermäster hatte 300 Tiere seines Bestandes von einem Betrieb erworben, bei dem die Verwendung verbotener hormoneller Masthilfen festgestellt worden war. Für die Ordnungsbehörde ergab sich daraus der Verdacht, daß auch die von dem Kälbermäster erworbenen Tiere mit Hormonen gefüttert worden waren. Die im Anschluß an die behördlich angeordnete Schlachtung von fünf Kälbern angestellten Untersuchungen ergaben hingegen keine Hinweise auf den Einsatz verbotener Masthilfen. Der Bundesgerichtshof hatte über den Entschädigungsanspruch des Kälbermästers zu entscheiden. Zunächst betont der Bundesgerichtshof die Befugnis der Ordnungsbehörden, auch in Anscheins- und Verdachtslagen einzuschreiten, 202 ohne sich aber mit seiner alten Rechtsprechung auseinanderzusetzen, die dies nur für vorläufige Maßnahmen anerkannt und für die Tötung von Tieren ausdrücklich abgelehnt hatte. 203 Der Bundesgerichtshof schließt sich inhaltlich der Subjektivierung des Gefahrbegriffs an, für die eine grundsätzliche Begrenzung der ordnungsbehördlichen Möglichkeiten in Anscheins- und Verdachtslagen auf vorläufige Maßnahmen nicht mehr einleuchtet.204 Dann unterscheidet der Bundesgerichtshof aber zwischen der Eingriffsbefugnis und dem Entschädigungsanspruch. Die Befugnis zur Tötung der Tiere besage nicht, daß der Kälbermäster die Schlachtung der Tiere entschädigungslos hinnehmen müsse. „Der Entschädigungsanspruch ... hängt davon ab, ob der Kl. ... Störer ... oder Nichtstörer ... war. Eine (verständige) Betrachtung aus der Sicht im Zeitpunkt des Eingriffs ist hier nicht angebracht." 205 Entsprechend stehe dem Kälbermäster eine Entschädigung als Nichtstörer jedenfalls dann zu, wenn er wie im zu entscheidenden Fall die den Anschein oder Verdacht begründenden Umstände nicht zu verantworten habe. Der Kälbermäster habe von dem unerlaubten Einsatz der Masthilfen nichts gewußt und auch nicht mit ihm rechnen müssen. Die Begründung ließe sich so verstehen, als sei bereits für die polizeiliche Verantwortlichkeit auf die Ex-post-Perspektive abzustellen, als würde der Bundesgerichtshof sich zwar der Subjektivierung des Gefahrbegriffs, nicht aber der Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit anschließen. Danach wären Anscheins- und Verdachtseingriffe rechtswidrig, wenn die Voraussetzungen

201

BGHZ 117, 303. Ebd. 305 f. 203 BGHZ 43, 196/204. 204 So ausdrücklich für die Tötung von Tieren aufgrund eines Anscheins oder Verdachts auch BGH, UPR 1998, 22/23. 205 BGHZ 117,303/307. 202

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

des polizeilichen Notstands nicht vorgelegen haben. Auf diese Voraussetzung geht der Bundesgerichtshof indes bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs nicht weiter ein. Die Begründung muß daher ganz im Sinne Breuers so verstanden werden, daß erst für die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs nicht mehr auf die Ex-ante-Perspektive abzustellen ist. Auch der Bundesgerichtshof unterscheidet nun zwischen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs aus der Perspektive der Behörde ex ante und der Beurteilung des Nichtstörerentschädigungsanspruchs aus der objektiven Perspektive ex post. Wenn der Bundesgerichtshof davon spricht, daß der Betroffene „wie ein Nichtstörer zu entschädigen ist" 2 0 6 , deutet er allenfalls an, daß auch bei der Wahl der Ex-post-Perspektive die Voraussetzungen eines Nichtstörerentschädigungsanspruchs nicht vorlagen. Aus der Ex-ante-Perspektive liegen sie nicht vor, weil der Betroffene in der Ex-ante-Sicht der Behörde Störer ist; in der Ex-post-Sicht liegen sie nicht vor, weil ex post feststeht, daß keine Gefahr vorlag, zu deren Abwehr der Betroffene als Nichtstörer hätte herangezogen werden können. Anders als die Begründung des Bundesgerichtshofs nahelegt - sie spricht davon, daß der Wortlaut der Vorschriften über die Nichtstörerentschädigung ihrer Anwendung nicht entgegensteht - 2 0 7 , kann es sich allenfalls um eine analoge Anwendung der Nichtstörervorschriften handeln.208 Nimmt man die vom Bundesgerichtshof vorgeschlagene Perspektive ernst, so handelt es sich ex post um einen rechtswidrigen Eingriff, für den in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Entschädigungsvorschriften bestehen. Deutlich wird beim Bundesgerichtshof auch, daß sich die Subjektivierung des Entschädigungsanspruchs nicht verdrängen läßt. Die entschädigungsrechtliche Beurteilung der polizeilichen Verantwortlichkeit nimmt ein der polizeilichen Verantwortlichkeit sonst fremdes Sorgfaltspflichtelement auf, um den Enschädigungsanspruch zu bestimmen. Während es für die objektive Beurteilung der polizeilichen Verantwortlichkeit unerheblich wäre, ob der Kälbermäster beim Erwerb seiner Tiere mit verbotenen Masthilfen rechnen mußte, er vielmehr auch dann in Anspruch genommen werden könnte, wenn seine Tiere ohne sein Wollen, Wissen oder Wissen-müssen verseucht worden wären, soll es für die Beurteilung der Störereigenschaft im Rahmen des Entschädigungsanspruchs auf einen Sorgfaltspflichtverstoß ankommen.

206

Ebd. 308. Ebd. 208 So auch der Leitsatz BGHZ 117, 303 und die Folgeentscheidungen BGHZ 126, 279/283; BGH, NJW 1996, 2355, anders die Entscheidungsgründe in BGHZ 117, 303/307, die von einer Auslegung der Nichtstörervorschriften sprechen. Zu dieser Diskrepanz auch Schenke, in: FS Friauf, S. 455/491. 207

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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Dies wird auch bei den beiden Folgeentscheidung des Bundesgerichtshofs deutlich, in der er die in der Kälbermast-Entscheidung entwickelten Grundsätze bestätigte und auf die Verhaltensverantwortlichkeit übertrug. 209 Der Bundesgerichtshof rechtfertigte den Entschädigungsanspruch dort ausdrücklich damit, daß es an einem erheblichen „Mitverschulden" 210 des Betroffenen für den Anschein der Gefahr fehle oder daß es dem Betroffenen nicht zum „Verschulden" 211 gereiche, nicht klüger als die Ordnungsbehörde zu sein. In der Literatur wird zum Teil vorgeschlagen, diese um das Verschulden kreisenden Zurechnungsüberlegungen um den Risikosphärengedanken zu erweitern. 212 Hinsichtlich der Beurteilung der Sekundäransprüche hat sich damit eine einheitliche, ordentliche und Verwaltungsgerichtsbarkeit übergreifende Linie durchgesetzt. Die Rechtsprechung unterscheidet für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Eingriff auf der einen und der Kostenersatz und Entschädigungsansprüche auf der anderen Seite zwischen zwei Beurteilungsmaßstäben. Der eine orientiert sich an der subjektiven Sicht der pflichtgemäß verfahrenden Behörde ex ante, der andere an einem objektiven Maßstab, der als Ex-postPerspektive gekennzeichnet wird. Kompensatorisch werden die Sekundäransprüche in Anscheins- und Verdachtslagen über ein Verschuldenselement gesteuert. Nicht so einheitlich ist die Rechtsprechung hinsichtlich der Gefahrerforschungseingriffe. Die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte geht sowohl hinsichtlich der Zulässigkeit über bloße Duldungsverfügungen hinausgehender Gefahrerforschungsmaßnahmen 213 als auch hinsichtlich der Kostenlast weiterhin noch auseinander. 214 Insoweit handelt es sich um eine Folge der Sub209

BGHZ 126, 279/283 f.; BGH, NJW 1996, 3151 f.; die Verwaltungsgerichte der Länder stimmten dem Bundesgerichtshof zu etwa VGH Mannheim, VB1BW 1990, 469/471; VGH München, DÖV 1996, 82 f.; OVG Münster, DVB1. 1996, 1444/1444 f. 210 BGHZ 126, 279/286. 211 BGH, NJW 1996, 3151/3252. 212 Kokott, DVB1. 1992, 749/751; Müllensiefen, Gefahrenabwehrrecht und Gefahrerforschung, S. 211 f.; Nierhaus, UTR 1994, 369/391 f.; Spießhofer, Störer, S. 273 f., eine verfassungsrechtlich orientierte Güterabwägung schlägt jetzt Lindner, Adressatenpflichten, S. 122-128, vor. 213 Zum Teil sogar zwischen den Senaten eines Gerichts, vgl. OVG Münster DVB1. 1444/1444 f. und 3.6.1997 - 5 A 4/96 (5. Senat) gegen OVG Münster, NWVB1. 1990, 159 (12. Senat); zur Rechtsprechung der einzelnen Senate des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim Rudisile, VB1BW 1993, 321. 214 Grundsätzlich gegen eine Kostentragungspflicht des Bürgers etwa VGH München, BayVBl. 1995, 309/309 f.; 760/761 f. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Kontroverse noch keine Stellung bezogen, sondern die Entwicklung unter Hinweis auf die Irrevisibilität der landesrechtlichen Gefahrenabwehrvorschriften den Verwaltungsgerichten in den einzelnen Ländern überlassen, BVerwG, 19.12.1996 - 1 Β 122/96 und

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

jektivierung des Gefahrenabwehrrechts, deren Klärung noch darunter leidet, daß die Umstellung auf ein subjektiviertes Gefahrenabwehrrecht zumindest in der Rechtsprechung noch nicht gänzlich vollzogen worden ist, daß die Rechtsprechung sich im Kern immer noch an der Vorstellung der wirklichen, objektiven Gefahr orientiert. Denn darin ist die Subjektivierung in der Rechtsprechung immer noch gebrochen. Einerseits erkennt sie Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht als Gefahren im Sinne der Ermächtigungsnormen an, andererseits hält sie an dem Begriff der wirklichen, objektiven Gefahr fest. Nimmt man Primär- und Sekundärebene auf einmal in den Blick, so schillert der Gefahrbegriff zwischen Subjektivierung und Objektivität. Diesem Schillern zwischen subjektivem und objektiven Gefahrbegriff entspricht die Unsicherheit gegenüber Gefahrerforschungseingriffen. Wäre die Anscheinsgefahr und der Gefahrverdacht tatsächliche eine Gefahr im Sinne der polizeilichen Befugnisnormen, dann wäre die Beseitigung des Anscheins und des Verdachts durch eine Maßnahme der Gefahrerforschung auch Gefahrenabwehr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts. Doch so ganz hat sich die Rechtsprechung dem subjektiven Gefahrbegriff noch nicht verschrieben. Die Literatur ist der Rechtsprechung und Breuer im wesentlichen gefolgt. Auch in der Literatur wird nun weitgehend zwischen der Ex-ante-Beurteilung und der Ex-post-Beurteilung unterschieden. Die Unterscheidung wird terminologisch noch durch die Rede von der Primär- und Sekundärebene des Gefahrenabwehrrechts verfestigt. 215

4. Neuere Ansätze Die Unterscheidung zwischen der Primär- und Sekundärebene ist einerseits die Figur, anhand derer sich die unterschiedlichen Entwicklungen der Ausbauphase integrieren lassen, andererseits markiert sie einen Bruch, der zu neuen Vorschlägen herausfordert. Dabei gehen die Ansätze, die sich kritisch gegen den bisherigen Stand der Subjektivierung wenden, in unterschiedliche Richtungen. Einige Autoren versuchen die Subjektivierung zu radikalisieren, andere versuchen sie zu vermeiden, indem sie alternative Figuren entwickeln. 24.1.1995 - 4 Β 7/95. Eine ausführliche Darstellung des Meinungsstands in Rechtsprechung und Literatur bei Weiß, N V w Z 1997, 737; Nierhaus, UTR 1994, 369; weitere Hinweise auch bei Petri, DVB1. 1996, 443; Schink, DVB1. 1989, 1182; Classen, JA 1995, 608. 215 Erichsen/Wernsmann, Jura 1995, S. 219/221 f.; Lindner, Adressatenpflichten, S. 162-166; Martensen, Erlaubnis, S. 150; Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. L Rn. 8; Schoch, JuS 1995, S. 505/507; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 542.

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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Neuere Beiträge von Schenke und Ruthig zeigen, daß die Dynamik der Subjektivierung noch nicht nachgelassen hat. In den Beiträgen wird eine konsequente Umstellung des Gefahrenabwehrrechts von der objektiven Gefahr auf den subjektiven Anschein oder Verdacht versucht. Es handelt sich dabei um die bislang letzte unter dem Gesichtspunkt der Subjektivierung des Polizeirechts zu beschreibende Entwicklung. Schenke und Ruthig stellen das Gefahrenabwehrrecht gänzlich von der Gefahr auf den Anschein und den Verdacht der Gefahr um. Für sie geht es im Gefahrenabwehrrecht nicht mehr nur um die Abwehr von Gefahren, sondern schon um die Abwehr des Anscheins oder des Verdachts einer Gefahr. Ihr Ausgangspunkt ist der subjektive Gefahrbegriff, unter den sich nach ihrer Ansicht Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht „mühelos" subsumieren lassen.216 Demgegenüber erscheint ihnen anders als dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim eine Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit schon mit dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen nicht vereinbar. 217 Im Gegensatz zum Gefahrentatbestand käme es nach „dem Wortlaut und der Struktur" 218 der Störervorschriften darauf an, daß tatsächlich ein Verhalten oder ein Zustand vorläge, der für eine Gefahr im Sinne der Ermächtigungsgrundlagen ursächlich sei. Dies war schon das Argument Hoffmann-Riems 219. Doch anders als Hoffmann-Riem ziehen sie daraus nicht die Konsequenz, daß dann entsprechende Maßnahmen nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes rechtmäßig sind. Vielmehr nehmen sie die Gleichstellung der Anscheinsgefahr und des Gefahrverdachts mit der „wirklichen" Gefahr ernst und stellen auch für die polizeiliche Verantwortlichkeit nicht mehr auf die Verursachung einer „wirklichen" Gefahr, sondern nur noch auf die Verursachung des Anscheins oder Verdachts einer Gefahr ab 220 . Derjenige, der bei einem verständig handelnden Polizeibeamten die subjektive Vorstellung oder den Verdacht einer Gefahr erregt, ist Störer im Sinne des Gefahrenabwehrrechts - nicht nur in einem vorläufigen, allein auf die Primärebene bezogenen, sondern in einem endgültigen für Primär- und Sekundärebene gleichermaßen gültigen Sinn. 221 Damit fangen sie im wesentlichen die

216

Schenke/Ruthig, VerwArch. 1996, S. 329/336. Ebd. 334 f.; Schenke, in: FS Friauf, S. 455/474-485. 218 Schenke/Ruthig, VerwArch. 1996, S. 329/336. 219 Hoffmann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/336-338. 220 Schenke/Ruthig, VerwArch. 1996, 329/337-347; Schenke, in: FS Friauf, S. 455/478-485. 221 Ausdrücklich anders sieht dies der VGH München, BayVBl. 1995, 760/761: „Veranlasser ist ... nicht jedoch derjenige, der lediglich den Anschein einer Gefahr verursacht hat." Gegen eine Anscheinsvermeidungspflicht auch Dill, Amtsermittlung, S. 89 f.; Scholler/Broß, DÖV 1976, S. 472/474. Eine materielle Polizeipflicht zu „unverdächtigem Verhalten", eine Pflicht, „den bösen Schein zu meiden", wird auch von 217

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Ergebnisse der herrschenden Meinung ein und vermeiden den von ihnen kritisierten Bruch zwischen Primär- und Sekundärebene. Hinter der Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit bleiben sie nur insoweit zurück, als sie zur Rechtswidrigkeit der Gefahrenabwehrmaßnahme gelangen müssen, wenn die Behörden unverschuldet über die polizeiliche Verantwortlichkeit für eine Gefahr oder den unverschuldeten Anschein einer Gefahr irren. 222 Weil sie einen objektiven Begriff der polizeilichen Verantwortlichkeit vertreten, stellen sich insoweit diejenigen Probleme, die allgemein mit einem objektiven dogmatischen Programm verbunden sind. Gegen die Subjektivierung schon des Gefahrbegriffs richtet sich hingegen Lücke mit einem unmittelbar auf der Ebene der Verfassung ansetzenden Vorschlag. Maßnahmen in Fällen des Gefahrverdachts, auch wenn sie lediglich vorläufig erlassen werden, haben für ihn keine gesetzliche Grundlage. 223 Damit kommt er aber noch nicht zur Rechtswidrigkeit entsprechender Eingriffe. Nach Lücke lassen sich Gefahrerforschungsmaßnahmen - wie allgemein vorläufige Staatsakte ohne gesetzliche Grundlage - über Art. 20 Abs. 3 GG legitimieren, wenn die auf die Gefahrenabwehr beschränkten polizeilichen Ermächtigungsnormen „als krasses, durch ,Recht' korrigierbares gesetzliches' Unrecht ... zu betrachten" 224 wären. Dies sei dann anzunehmen, wenn sich die gesetzlich ausgeschlossene Maßnahme zur Abwendung irreparabler Schäden an bedeutsamen Rechtsgütern als notwendig erweist. „Eine solche Lage könnte bei gewissen (vorläufigen) Gefahrerforschungseingriffen auftreten. Denkbar ist dies vor allem, wenn derartige Eingriffe auf den Abbruch eines für das Leben, die Gesundheit oder erhebliche Sachgüter gefahrverdächtigen Geschehens zielen." 225 Auch wenn die Radbruchsche Formel im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit wieder an Aktualität gewonnen hat, hat der Vorschlag Lücke s weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur Anhänger gefunden. Zumindest so lange Angebote vorliegen, das Problem des Gefahrverdachts mit dogmatischen Mitteln zu bewältigen, scheint eine gewisse Scheu zu bestehen, das Schwert der Gerechtigkeit gegen Vorschriften zu führen, die intuitiv unter

Martensen, DVB1. 1996, 286/289 abgelehnt. Für Martensen bedeutet dies indes nur, daß in Anscheins- und Verdachtslagen hinsichtlich der Befugnis zu Gefahrenabwehrmaßnahmen materielle Polizeipflicht und polizeiliche Befugnisse auseinanderfallen. A u f der Ebene der Kosten- und Entschädigungsansprüche sei anders als auf der Primärebene auf die materielle Polizeipflicht abzustellen. Die Polizeipflicht dient ihm so dazu, die mit dem unterschiedlichen Beurteilungsmaßstab der Sekundärebene verbundenen Billigkeitserwägungen anhand eines materiellen Kriteriums zu legitimieren. 222 Einen solchen Fall diskutiert etwa Vitt, ZStW 1994, S. 581/597. 223 Lücke, Staatsakte, S. 25, 163-215. 224 Ebd. S. 229 - Hervorhebung im Original. 225 Ebd.

Α. Vom objektiven zum subjektiven Recht der Gefahrenabwehr

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dem Gesichtspunkt der übermäßigen Einengung staatlicher Eingriffsbefugnisse so unverdächtig erscheinen wie die polizeiliche Generalklausel. Ein weiterer Vorschlag verbindet sich mit der recht jungen Figur des vorläufigen Verwaltungsakts. Der vorläufige Verwaltungsakt wurde im Bereich des Leistungsverwaltungsrechts entwickelt 226 und im Gefahrenabwehrrecht zunächst nur als dogmatische Form fiir polizeiliche Maßnahmen in Anscheins- und Verdachtslagen vorgeschlagen, die die Befugnis zu entsprechenden Maßnahmen immer schon voraussetzte.227 Später wird die dem vorläufigen Verwaltungsakt zugrundeliegende Unsicherheit über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen selbst zur Grundlage des Eingriffs gemacht. „Der Ausweg liegt darin, daß man ... die Zweifelhaftigkeit des Vorgehens als solche zur Grundlage für die Rechtfertigung des Vorgehens macht und konsequent die Heranziehung lediglich für eine Zwischenlösung für richtig hält." 228 Zwar werden die sich aus dem Gesetzesvorbehalt ergebenden Bedenken gegen vorläufige Verwaltungsakte im Bereich der Eingriffsverwaltung gesehen, doch unter Hinweis darauf zurückgestellt, daß der Gesetzesvorbehalt „den Besonderheiten der vorbehaltenen Vorläufigkeit ... nicht gerecht werden dürfte" 229 . Auch wenn der vorläufige Verwaltungsakt als Form polizeilicher Verfügungen in Verdachtslagen rezipiert worden ist, 230 hat sich die Vorläufigkeit als eine den Gesetzesvorbehalt derogierende Grundlage vorläufiger Gefahrenabwehrmaßnahmen noch nicht durchgesetzt.231

I I I . Resümee Der von dem Gesichtspunkt der Subjektivierung geleitete und auf einige wesentliche Entscheidungen und Beiträge 232 beschränkte Überblick über die Ent226

Vgl. BVerwGE 81, 84; aus der Literatur Kemper, DVB1. 1989, S. 981; Peine, DÖV 1986, 849; Kopp, DVB1. 1989, S. 238; Schimmelpfennig, BayVBl. 1989, 69 jeweils m.w.N. 227 Di Fabio, DÖV 1991, 629/634 f.; ders., Jura 1996, 566/569; zustimmend etwa Götz, DVB1. 1992, S. 1162. 228 Losch, DVB1. 1994, 782/783 f. 229 Ebd. 784. 230 Etwa OVG Münster, DVB1. 1996, 1444/1445 f.; Götz, Polizeirecht, Rn. 155. 231 Kritisch gegenüber der Argumentation Loschs etwa Schenke, in: FS Friauf, S. 455/497. 232 Besonders die Literatur zu den dogmatischen Strukturen des Gefahrenabwehrrechts blieb überschaubar. Zum einen setzt sie relativ spät ein; zum anderen gibt es zwar immer wieder Monographien zu einzelnen Themen des Polizeirechts, doch die Arbeiten, die neben den eher auf eine systematische Darstellung des Status quo angelegten Lehrbüchern und Kommentaren auf die Entwicklung der systematischen Zusammenhänge angelegt sind, beschränkem sich auf einige Aufsätze. Bezeichnend ist insoweit auch, daß 6 Poscher

82

Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

wicklung der Dogmatik läßt erkennen, welch weiten Weg das Gefahrenabwehrrecht hinter sich hat. Ausgangspunkt war zumindest der Wille, es objektiv zu denken und zu konstruieren. Dies ist hingegen nie gänzlich stimmig gelungen, und das Gefahrenabwehrrecht ist schon sehr früh um Ausnahmen und Notbefugnisse erweitert worden. Die Subjektivierung des Polizeirechts bedeutet den Versuch, die der Effektivität der Gefahrenabwehr geschuldeten Ausnahmen und Notbefugnisse in die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts zu integrieren. Dabei hat sich, wenn mit Schenke/Ruthig der vorläufig letzte Stand der Entwicklung in den Blick genommen wird, auch der Gegenstand des Polizeirechts gewandelt. War ehemals die Gefahr der Gegenstand des Gefahrenabwehrrechts, so wird heute vertreten, daß es schon der Anschein und der Verdacht der Gefahr ist. Für den Bürger besteht nicht mehr nur die materielle Polizeipflicht, objektive Gefahren zu vermeiden 233 oder auch nur zu beseitigen234, sondern die Pflicht, bereits das Enstehen eines subjektiven behördlichen Anscheins oder Verdachts einer Gefahr zu verhindern. Mit der Umstellung von der objektiven Gefahr auf den subjektiven Anschein oder Verdacht ist das subjektive Element in alle Aspekte des Gefahrenabwehrrechts eingedrungen. Ohne Rückgriff auf subjektive Perspektiven und Verschuldenserwägungen lassen sich weder die Gefahr noch die polizeiliche Verantwortlichkeit noch die Kostenlast noch die Entschädigungspflicht bestimmen. Dabei ist die Subjektivierung aber noch nicht mit letzter Konsequenz eingeführt. Immer noch wird die polizeiliche Verantwortlichkeit außerhalb der Anscheins- und Verdachtslagen rein objektiv bestimmt, immer noch kommt die Bestimmung der Sekundäransprüche beim Vorliegen einer „wirklichen" Gefahr ohne Rückgriff auf subjektive Elemente aus. Es gibt sie, die Bewegung vom objektiven hin zum subjektiven Gefahrenabwehrrecht. Doch es ist keine enthusiastische, programmatisch beflügelte, sondern eine gequälte, die objektiven Standards nur unter dem Druck der Effektivität preisgebende, letztlich doch immer noch an ihnen festhaltende, schillernde Entwicklung. Es scheint eine Entwicklung wider Willen, eine Entwicklung gegen die Struktur des Gefahrenabwehrrechts zu sein.

keine Habilitationsschriften veröffentlicht sind, die das Gefahrenabwehrrecht nicht nur berühren, sondern zu ihrem zentralen Gegenstand machen. Vgl. hingegen für das österreichische Recht Davy, Gefahrenabwehr im Anlagenrecht. 233 Brandner, Gefahrenerkennbarkeit, S. 66; Drews/Wache/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 293; Selmer, in: GS Martens, S. 483/485 f.; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 305 234 Griesbeck, Materielle Polizeipflicht, S. 88-94; Martensen, DVB1. 1996, S. 286/288

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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B. Ursachen und Gründe der Subjektivierung Bislang wurde eher deskriptiv nachgewiesen, daß es eine Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr gegeben hat. Allenfalls am Rande gerieten Ursachen und Gründe der Subjektivierung in den Blick. So wurde im Zusammenhang mit dogmatischen Neuerungen immer wieder berichtet, daß auf das Erfordernis der Effizienz und Effektivität der Gefahrenabwehr hingewiesen worden ist. Doch warum drängen Effizienz und Effektivität der Gefahrenabwehr gerade auf eine Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts? Gibt es tiefere Ursachen und Gründe für die beschriebene Tendenz? Entfaltet sich eine dem Gefahrenabwehrrecht innewohnende Dynamik, oder verlangen dem Recht äußerliche Entwicklungen eine entsprechende Verschiebung? Als Ursachen und Gründe, die die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr erzwingen sollen, werden die epistemische Subjektivität der Wahrscheinlichkeit, die fortschreitende Technisierung unserer Lebenswelt und die Verhaltenssteuerungsfunktion des Rechts diskutiert.

I. Epistemischer Status der Wahrscheinlichkeit Der ontologische oder epistemische Status der Wahrscheinlichkeit bezeichnet einen zwar konsolidierten 235, aber immer noch nicht gelösten Grundlagenstreit der Wissenschaftstheorie. 236 In der Wissenschaftstheorie ist nicht nur umstritten, ob Wahrscheinlichkeit als ein objektives oder subjektives Phänomen begriffen werden muß, sondern auch, ob die unterschiedlichen objektiven oder subjektiven Deutungen exklusiv (Monisten) oder kumulativ eingesetzt werden können (Pluralisten) oder müssen (Dualisten). 237 Für die Dogmatik des Gefahrbegriffs sind die subjektiven Wahrscheinlichkeitstheorien von Interesse, soweit sie herangezogen werden, um die beschriebene Subjektivierung des Gefahrbegriffs wissenschaftstheoretisch zu untermauern. Erwiese sich die Subjektivierung des Gefahrbegriffs auf der Grundlage einer subjektiven Theorie der Wahrscheinlichkeit als zwingend, und wäre wissenschaftstheoretisch einem monistischen subjektiven Wahrscheinlichkeitsverständnis der Vorzug zu geben, so erübrigten sich alle weiteren Fragen nach den Ursachen der Subjektivierung des Gefahrbegriffs. Die Subjektivierung des 235

Howson, Brit. J. Philos. Sci. 46 (1995), 1/27. Einen Überblick über die traditionellen Lager und den aktuellen Meinungsstand geben Howson, ebd. S. 1; Pähler, in: Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, S. 376; Rott/Lübbe, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, S. 605. 237 Zu dieser Einteilung Pähler, ebd. S. 376/378. 236

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Gefahrbegriffs wäre schlicht als Erkenntnisgewinn zu erklären, das Ringen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts um die Objektivität des Gefahrenabwehrrechts als Don Quichotterie, die allmähliche Aufnahme subjektiver Elemente in den Gefahrbegriff als das mühsame Lernen der Dogmatik an ihrem Gegenstand, der ihr seine Gesetze aufzwingt. Neben Stellungnahmen der Literatur, die die Subjektivität der Wahrscheinlichkeit eher grundsätzlich gegen die Vorstellung eines objektiven Gefahrbegriffs in Stellung bringen, ohne sich im einzelnen mit der wissenschaftstheoretischen Kontroverse auseinanderzusetzen,238 finden sich mit den Arbeiten von Darnstädt und Neil auch zwei eingehendere Untersuchungen zum wissenschaftstheoretischen Fundament des Gefahrbegriffs. Besonders Darnstädt scheint die Subjektivierung des Gefahrbegriffs unmittelbar einem wahrscheinlichkeitstheoretischen Argument zuordnen zu wollen. Darnstädt argumentiert mit einer in unterschiedlichen Ausprägungen von Carnap und Hempel entwickelten Anwendungstheorie statistischer Hypothesen. 239 Danach haben Wahrscheinlichkeitsaussagen immer nur relativ zu ihren Prämissen einen Sinn. Anders als die Existenzaussage, daß ein Ereignis vorliegt, ist die Aussage, daß ein Ereignis wahrscheinlich ist, unvollständig. Die Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ist nur sinnvoll, wenn sie auf eine bestimmte statistische Prämisse bezogen wird. Nur so kann erklärt werden, warum die Prämissen zweier widersprüchlicher statistischer Erklärungen wahr sein können. Das Mehrdeutigkeitsproblem statistischer Erklärung läßt sich an Toulmim Beispiel des schwedischen Katholiken anschaulich machen.240 Aus der Prämisse, daß weniger als 2% aller Schweden Katholiken sind, kann bei Anwendung syllogistischer Regeln darauf geschlossen werden, daß Petersen mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Katholik ist, wenn wir wissen, daß Petersen Schwede ist. Andererseits kann aus der Prämisse, daß weniger als 2 % der Menschen, die nach Lourdes pilgern, keine Katholiken sind, darauf geschlossen werden, daß Petersen mit hoher Wahrscheinlichkeit Katholik ist, wenn wir wissen, daß Petersen nach Lourdes gepilgert ist. 241 Die Mehrdeutigkeit statistischer Erklärungen liegt darin, daß alle vier Prämissen wahr sein können. Sie zeigt, daß statistische Erklärungen nur relativ zu ihren Prämissen sinnvoll verstanden werden können.

238

Denninger, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 36; Gerhardt, Jura 1987, 521/523; Schneider, DVB1. 1980, 406/407 f.; einschränkend Schoch, JuS 1994, 667/668. 239 Zur den unterschiedlichen Problemebenen der Wahrscheinlichkeitstheorie Stegmüller, Probleme, Bd. 1, S. 775-777. 240 Zu diesem Beispiel auch Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 294, 305. 241 Zitiert nach Stegmüller, Probleme, Bd. 1, S. 784.

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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Das Mehrdeutigkeitsproblem kann nur durch die Einfuhrung einer Anwendungsbedingung fur statistische Erklärungen entschärft werden. In seiner strengen, von Carnap geforderten Form verlangt die Anwendungsbedingung „totale Evidenz". 242 Nach Carnap muß das gesamte relevante Erfahrungswissen der Bildung der Prämisse zugrundegelegt werden. Hempel hat die Anwendungsbedingung dann zu der Forderung nach maximaler Spezifizierung induktivstatistischer Erklärungen ausgeformt. 243 Danach ist ein zu erklärender Einzelfall solange zu spezifizieren, bis kein Umstand mehr bekannt ist, von dem vermutet werden muß, daß er für die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung von Belang ist. Von der Erklärung wird dann verlangt, daß sie auf eine statistische Wahrscheinlichkeitsaussage über die kleinste Bezugsklasse zurückgreift, zu der der zu erklärende Einzelfall nach allem relevanten Erfahrungswissen gehört. 244 Für Herrn Petersen wäre also nach einer statistischen Hypothese über schwedische Lourdespilgerer zu fragen. Die von Carnap und Hempel formulierte Anwendungstheorie verschiebt die Relativität von Wahrscheinlichkeitsaussagen von den Prämissen auf die Anwendungsbedingung. Die induktiv-statistische Erklärung ist relativ zu der „Wissenssituation"245, die die Anwendungsbedingung in Bezug nimmt. An diese Relativität der Wissenssituation knüpft Darnstädt an, um aufzuzeigen, daß eine Differenzierung zwischen „wirklicher Gefahr" und Anscheinsgefahr überflüssig ist. Die Identität von wirklicher Gefahr und Anscheinsgefahr ergibt sich für ihn aus der Theorie der induktiv-statistischen Erklärung. „Unser Begriff der induktiven Bestätigung ist das nationale Für-wahr-Halten des Prognostizierenden zum letztmöglichen Zeitpunkt aufgrund seines durch ihn korrekt für relevant gehaltenen Wissen.' Dies entspricht ... dem ,normativ-subjektiven Gefahrbegriff von Hoffmann-Riem." 246 Für Darnstädt ist der Polizeibeamte „der Prognostizierende" in diesem Sinne und damit fallen „wirkliche Gefahr" und Anscheinsgefahr in eins. In der Terminologie Hempels wird die für die für maximale Spezifizierung maßgebliche Wissenssituation auf den Wissenshorizont des handelnden Beamten eingeschränkt. Diese Einschränkung entfernt den Rationalitätsstandard der Gefahrenprognose allerdings recht weit von dem wissenschaftstheoretischen Vorschlag, dessen Hintergrund das gesamte Weltwissen bildet. Wissenschaftstheoretisch kann die Begründung der Einschränkung jedenfalls nicht ausfallen. Für sie kann nur dogmatisch argumentiert werden. Nun begründet Darnstädt zwar ausführlich die zeitliche Einschränkung des Wis242 Carnap, Logical Foundations of Probabality, S. 211; Carnap/Stegmüller, Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit, S. 83 f. 243 Hempel, Aspekte, S. 83. 244 Ebd. S. 80. 245 Hempel, Aspekte, S. 86. 246 Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 87.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

senshorizonts auf den für die Abwehr der Gefahr letztmöglichen Zeitpunkt, 247 der sachlich-personellen Beschränkung auf den Wissenstand des handelnden Beamten schenkt er hingegen wenig Aufmerksamkeit. Indes erscheint gerade die sachlich-personelle Einschränkung des Wissenshorizonts begründungsbedürftig, ist doch die Einschränkung des Rechtswidrigkeitsurteils relativ zum Wissensstand des handelnden Staatsorgans nicht die dogmatische Regel. Auch wenn die mit der Gefahrenprognose verbundenen Wahrscheinlichkeitsurteile sich nur relativ zu einem bestimmten Wissenshorizont rekonstruieren lassen, ist damit noch keine Entscheidung gefällt, wie dieser Wissenshorizont anzusetzen ist. Wenn Wahrscheinlichkeitsurteile relativ zu Wissensständen sind, so lassen sich relativ zu unterschiedlichen Wissenshorizonten unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsurteile unterscheiden. So kann ein Wahrscheinlichkeitsurteil, das nach der Hempelschen Spezifizierungsregel auf dem Wissensstand des Polizeibeamten den Rationalitätskriterien genügt, vor dem Horizont des Weltwissens das Spezifizierungskriterium verfehlen. In der von Darnstädt verfolgten Theorie induktiv-statistischer Erklärungen müßte sich die von ihm negierte Differenz zwischen „wirklicher Gefahr" und Anscheinsgefahr als Differenz unterschiedlicher Wissensstände rekonstruieren lassen. Ein Indiz für die Möglichkeit einer solchen Rekonstruktion des „objektiven" Gefahrbegriffs im Rahmen einer relativen Theorie induktiv-statistischer Erklärung kann darin gesehen werden, daß auch die Vertreter eines subjektiven Gefahrbegriffs für die sogenannte Sekundärebene mit der „wirklichen" Gefahr einen Gefahrbegriff wählen, der Anscheinsgefahren ausschließt. Die Theorie induktiv-statistischer Erklärungen bietet ein Modell, in dem sich polizeirechtliche Gefahrbeurteilungen darstellen lassen. Eine Antwort auf die Frage nach dem dogmatisch zutreffenden Gefahrbegriff läßt sich ihr indes nicht entnehmen. Dasselbe gilt auch für die Überlegungen Neils. In einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Wahrscheinlichkeitstheorien entscheidet sich Neil für einen Theoriestrang, der Wahrscheinlichkeit epistemisch im Sinne des Grades subjektiver Überzeugung von einem Ereignis deutet.248 Wahrscheinlichkeit ist damit zunächst nur ein deskriptiver Begriff. Für den normativen Kontext ist er unbrauchbar; für seine Verwendung in juristischen Zusammenhängen muß er normativ angereichert werden. 249 Es müssen normative Bedingungen formuliert werden, unter denen ein subjektiver Überzeugungsgrad als Wahrscheinlichkeitsurteil Geltung beanspruchen können soll. Neben allgemeinen Rationalitätskriterien- etwa Konsistenz- müssen für den juristischen Gebrauch normative Anforderungen an den maßgeblichen Wissenshorizont formuliert werden. Neil 247 248 249

Ebd. S. 55-57, 87-90. Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 33-46. Ebd. S. 47.

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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zeigt deutlicher als Darnstädt, daß der Wissenshorizont, der einem normativsubjektiven Gefahrbegriff zugrunde gelegt wird, wissenschaftstheoretisch kontingent ist. „Welcher Informationshorizont hier zugrundezulegen ist, ergibt sich aus dem Wahrscheinlichkeitsbegriff als solchem nicht." 250 Bei der Überprüfung behördlicher Gefahrbeurteilungen „hat das Gericht die Wahl, ob es auf den eigenen Informationsstand, auf den der Behörde oder auf den eines gedachten durchschnittlichen oder idealen Beobachters abstellt" 251 Die Qual der Wahl will Neil durch einen Hinweis auf die Praxis beenden: „Praktisch besteht aber Einigkeit, daß die Frage, ob eine behördliche Maßnahme der Gefahrenabwehr im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war, ob also eine Gefahr vorgelegen hat, nach Ex-ante-Maßstäben zu beantworten ist: es kommt auf den Informationshorizont der Behörde an, d.h. allerdings nicht nur auf die von ihr tatsächlich berücksichtigten Informationen, aber auf die, die ihr bei pflichtgemäßer Prüfung zur Verfügung gestanden hätten." 252 Nach Neil kann das dem Gefahrbegriff zugrundeliegende Phänomen der Wahrscheinlichkeit nur mit Hilfe einer subjektiven Theorie erklärt werden. Doch auch nach der subjektiven Theorie ist Wahrscheinlichkeit ein zu einem bestimmten Wissenhorizont relatives Phänomen.253 Die subjektive Wahrscheinlichkeitstheorie gibt den Wissenhorizont, anhand dessen Wahrscheinlichkeitsurteile überprüft werden können, nicht vor. Von der subjektiven Theorie der Wahrscheinlichkeit läßt sich zwar auch auf den epistemischen Status des Gefahrbegriffs schließen, auf eine Subjektivität des normativ maßgeblichen Wissenshorizonts im Sinne des subjektiven Gefahrbegriffs kann hingegen - so nahe die begriffliche Assoziation liegen mag - nicht geschlossen werden. Neben einem Gefahrbegriff, der die Anscheinsgefahr einschließt, lassen sich auch andere epistemische Gefahrbegriffe bilden, die sie ausschließen. Die Entscheidung, wie der Gefahrbegriff gebildet werden soll, kann damit keine wahrscheinlichkeitstheoretische, sondern auch nach Neil nur eine dogmatische sein. Dogmatisch ist der Hinweis Neils auf die Praxis aber problematisch. Zum einen kann der Hinweis auf die Praxis als dogmatisches Argument nur überzeugen, wenn die Praxis über eine überzeugende Dogmatik verfügt. Hält man die Konsistenz dogmatischer Begriffe für ein Kriterium zur Bewertung dogmatischer Vorschläge, so ist die Praxis, auf die Neil verweist, mit ihrem zwischen Primär- und Sekundärebene gespaltenen Gefahrbegriff zumindest leidend. Die von Neil in Bezug genommene Praxis entspricht nur für die sogenannte Primärebene seiner Darstellung. Für die sogenannte Sekundärebene 250 251 252 253

Ebd. S. 85. Ebd. Ebd. Ebd. S. 57 f.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

wählt auch die von ihm angeführte herrschende Meinung mit der Frage nach der „wirklichen Gefahr" einen weiteren Informationshorizont. Zum anderen klingt es so, als sei mit der Entscheidung der Praxis für einen Ex-ante-Maßstab schon die Entscheidung für die Maßgeblichkeit des Informationshorizonts der Behörde gefallen. Indes ist auch der von der herrschenden Meinung auf der sogenannten Sekundärebene herangezogene Maßstab ein Exante-Maßstab. Auch für das, was unter einer wirklichen Gefahr verstanden wird, ist nicht maßgeblich, ob der prognostizierte Schaden ex post tatsächlich eingetreten ist, sondern ob er ex ante wahrscheinlich war. Für die Differenzierung zwischen dem subjektivierten Gefahrbegriff, den die herrschende Meinung auf der Primärebene einsetzt, und der „wirklichen Gefahr" der Sekundärebene liegt das Kriterium nicht in der zeitlichen Dimension der Ex-ante- oder Ex-postBetrachtung, sondern in der sachlich-personellen, die Neil mit der Unterscheidung zwischen dem tatsächlichen, durchschnittlichen, pflichtgemäßen oder idealen Beobachtern anspricht. Während der subjektive Gefahrbegriff auf die Ex-ante-Beobachtung eines ordentlichen Amtswalters abstellt, scheint sich der Begriff der „wirklichen Gefahr" an dem Ex-ante-Urteil eines idealen Beobachters zu orientieren. 254 Das Verdienst der wissenschaftstheoretischen Analysen Darnstädts und Neils liegt darin, die probabilistischen Strukturen der Gefahrbeurteilung aufgehellt zu haben. Anhand beider Ansätze wurde deutlich, daß Wahrscheinlichkeitsbegriffe nur relativ zu einem bestimmten Wissenshorizont beurteilt werden können. Eine Entscheidung über den im Recht der Gefahrenabwehr maßgeblichen Wissenshorizont läßt sich den Wahrscheinlichkeitstheorien indes nicht entnehmen. Die beschriebene Subjektivierung des Gefahrbegriffs ist nicht wissenschaftstheoretisch determiniert. Sie muß andere Ursachen haben.

II. Technisierung der Lebenswelt und Paradigmenwechsel in den Naturwissenschaften Entfaltet sich in der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts nicht eine seinen Begriffen immanente Dynamik, so könnte sich die Subjektivierung als Reaktion auf Anforderungen erweisen, die von außen an das dogmatische System herangetragen werden. Es wäre denkbar, daß sich die Lebenswelt, die das Recht der Gefahrenabwehr in Bezug nimmt, in einer Weise verändert hat, die eine Anpassung der Dogmatik erforderlich macht. Seit den Zeiten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts ist die Welt und unser Wissen um die Welt komplexer geworden. Mit diesem Aspekt des technischen und wissenschaftli254

Vgl. in diesem Sinne zum „objektiven" Gefahrbegriff Dill, Amtsermittlung, S. 58.

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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chen Fortschritts wird die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts in Verbindung gebracht. Zum einen habe der Einsatz moderner Produktionsverfahren und Produkte nicht nur zur Mehrung des allgemeinen Wohls beigetragen, sondern auch erhebliche Gefahrenpotentiale mit sich gebracht. Zwischenfälle in Atomkraftwerken, Chemieunfälle und Flugzeugabstürze werden als die sich mit trauriger Regelmäßigkeit wiederholenden Katastrophen genannt, die sich bereits in unserem Alltag eingenistet haben.255 Zum anderen habe sich hinsichtlich unseres naturwissenschaftlichen Wissens um die Welt ein Paradigmenwechsel vollzogen. Das Netownsche Weltbild „einer linearen, periodischen Ordnung natürlicher Abläufe ist dort seit langem durch ein Konzept komplexer Dynamik ersetzt. Die Welt ist danach in ihrer Grundstruktur nichtlinear und bringt aus dem Chaos lediglich einzelne ,Inseln der Ordnung' hervor ...". 256 Mit dem Fortschritt des naturwissenschaftlichen Wissens habe sich der Horizont des bewußten Nichtwissens überproportional erweitert. Vom „Mythos der Prognostizierbarkeit" physikalischer und biologischer Prozesse sei Abstand zu nehmen.257 Auf die durch gestiegene Komplexität der Schadenspotentiale bei gestiegenem bewußten Nichtwissen gekennzeichnete Entwicklung habe das Recht der Gefahrenabwehr reagiert. „Die traditionelle ordnungsrechtliche Dogmatik ist bemüht, derartige Konstellationen der Ungewißheit mit dem Begriff des ,Gefahrenverdachts' einzufangen." 258 Nach einer starken, zugespitzten Lesart der These wäre der Gefahrverdacht als dogmatische Figur entwickelt worden, um den mit den neuen Schadenspotentialen verbundenen modernen Ungewißheiten Rechnung zu tragen. Die Veränderungen der Welt und unseres Wissens um die Welt wären ursächlich für die Umstellung der Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts von Gefahr auf Gefahrverdacht. Die Subjektivierung der Dogmatik wäre eine mit der Entwicklung unserer Gesellschaft verbundene Modernisierungserscheinung. Die Objektivität des Polizeirechts gehörte in eine Zeit der vermeintlich überschaubaren Lebensverhältnisse und Kausalverläufe. Und war nicht zu beobachten, daß ein wesentlicher Entwicklungsschub für den Ausbau eines subjektivierten Gefahrenabwehrrechts vornehmlich auf Sachverhalte aus dem Bereich des Umweltrechts

255

Scherzberg, VerwArch. 1993, 484/485; vgl. auch Classen, JA 1995, 608. Scherzberg, VerwArch. 1993, 484/493; zur Bedeutung des Paradigmenwechsels für das Gefahrenabwehrrecht bereits eingehend Ladeur, in: Grenzwerte, S. 263/271 — 276; ferner Köck, AöR 1996, S. 1/16-20. 257 Scherzberg, VerwArch. 1993, 484/495. 258 Ebd.; dem Bereich des Risikos wird der Gefahrverdacht auch von di Fabio, Jura 1996, 566/569 zugeordnet. 256

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

zurückzuführen ist, 259 einem Rechtsgebiet, in dem gerade die gefährlichen Folgen der Modernisierung aufgearbeitet werden? Nach einer schwächeren Lesart ist die Figur des Gefahrverdachts nicht angesichts der modernen Schadenspotentiale entwickelt worden, doch der Gefahrverdacht hätte für ihre Beherrschung durch das Recht eine eigene Bedeutung entfaltet. Der Zusammenhang von Modernisierung der Lebenswelt und Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts wäre danach kein genetischer 260, aber immer noch stark. Vorausgesetzt, die Figur des Gefahrverdachts würde zur Bewältigung neuer Ungewißheiten nicht nur herangezogen, sondern auch taugen, erwiese sich die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts als zu Zeiten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vielleicht noch kontingente, nun aber zwingende Entwicklung. Sie hätte gegenüber einem Phänomen Bedeutung erlangt, das bereits als Charakteristikum unserer heutigen Gesellschaft beschrieben worden ist. 261 Die Risikogesellschaft erzwänge ein subjektiviertes Gefahrenabwehrrecht. Besteht, wenn schon kein genetischer, so doch ein funktionaler Zusammenhang zwischen der neueren Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts und den Entwicklungen in Wissenschaft und Technik? Gegen die starke, genetische Lesart spricht die Entwicklungsgeschichte der gefahrenabwehrrechtlichen Dogmatik. Schon das Preußische Oberverwaltungsgericht hatte zu Gefahrverdachtssituationen zu entscheiden. Nicht erst der Einsatz neuer Techniken und unser gestiegenes Wissen um unser Nichtwissen hat das Gefahrenabwehrrecht vor das dogmatische Problem des Umgangs mit Konstellationen des Gefahrverdachts gestellt. Als dogmatisches Problem ist der Gefahrverdacht so alt wie die Geschichte der Dogmatisierung des Gefahrenabwehrrechts selbst. Auch die Integration des Gefahrverdachts in den Gefahrbegriff erfolgte nicht anhand von Konstellationen, die Risiken betrafen, die spezifisch mit der gestiegenen Komplexität zeitgenössischer Lebensverhältnisse in Zusammenhang stehen. Dogmatisch prägend waren Entscheidungen zum Versammlungs-, Ausländer- und Seuchenrecht, 262 nicht zum Immissionsschutz-, Atom- oder Gentechnikrecht. Der Ausbau der subjektivierten Dogmatik im Hinblick auf die polizeiliche Verantwortlichkeit sowie die Kosten- und Entschädigungsansprüche erfolgte zwar auch im Rahmen umweltrechtlicher Konstellationen, doch zum einen nicht 259

S.o. Α. II. 3. Den will Scherzberg wohl auch nicht behaupten, denn er spricht davon, daß die mit dem Einsatz des Gefahrverdachts zur Bewältigung moderner Ungewißheiten verbundene „Subjektivierung und Relativierung der Sachverhaltsbeschreibung ... polizeirechtlicher Tradition" entspricht, ebd. 496. 261 Beck, Risikogesellschaft; Luhman, Soziologie des Risikos. 262 S.o. I. 2. b). 260

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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ausschließlich,263 zum anderen nicht im Hinblick auf die von Scherzberg beschriebenen neuen Ungewißheiten. Die neuen Ungewißheiten sind einer Komplexität geschuldet, die kaum noch prognostische Erkenntnisse erlaubt. Entsprechend hätte zur Figur des Gefahrverdachts Zuflucht genommen werden müssen, um im Hinblick auf unsere Erkenntnis- und Informationsverarbeitungsmöglichkeiten chaotische Prozesse rechtlich doch noch mit den Instrumentarien des Gefahrenabwehrrechts zu erfassen. Indes sind die vornehmlich wasserrechtlichen Fragen weitaus weniger spektakulär. In den entschiedenen Fällen geht es nicht um Einleitungen in das Grundwasser, deren Schadenspotential sich aufgrund komplexer physikalischer, chemischer und ökologischer Zusammenhänge nicht beurteilen läßt. Die Konstellationen waren allesamt profaner. Die Gefahrenabwehrbehörden wußten nicht, ob bekanntermaßen toxische Substanzen in einer das Grundwasser bedrohenden Menge freigesetzt worden waren oder wer nachgewiesene Gifte eingeleitet hatte. Die Fälle spielten nicht in den unberechenbaren Wogen des Chaos, sondern auf Inseln der Ordnung, auf denen es um die dem Recht vertrauten Fragen nach Tat und Täter ging. Die Ausweitung der Subjektivierung anhand der meist wasserrechtlichen Konstellationen erfolgte nicht, um das Chaos mit der traditionellen Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts einzufangen. Dies bedeutet nicht, daß gestiegene Komplexität für den Ausbau der Subjektivierung keine Bedeutung erlangt hat. Vieles spricht für die Vermutung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz, nach der es die Komplexität der Gefahrerforschungsmaßnahmen und die proportional zu dieser Komplexität gestiegenen Kosten waren, die eine Fortschreibung des subjektiven Modells für den Staat attraktiv gemacht haben.264 Ein genetischer Zusammenhang zwischen den neuen Qualität der Ungewißheiten und der Subjektivierung des Gefahrenabwehrechts läßt sich hingegen nicht feststellen. Daß kein genetischer Zusammenhang besteht, widerlegt noch nicht die schwächere These, daß die Subjektivierung des Polizeirechts zwar nicht an den neuen Ungewißheiten entwickelt, aber doch zu ihrer Beherrschung herangezogen worden ist. Es müßten sich also Entscheidungen oder Stellungnahmen in der Literatur finden, die den Versuch unternehmen, die spezifische Komplexität, die sich mit neuen, nicht anhand eines linearen Modells prognostizierbaren Schadenspotentialen verbindet, durch die Figur des Gefahrverdachts zu bewältigen. Und tatsächlich taucht der Begriff des Gefahrverdachts sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur zum technischen Sicherheitsrecht auf. Doch

263

Vgl. nur BGHZ 126, 279/286; OVG Hamburg, NJW 1986, 2005; VGH Kassel, NVwZ-RR 1992, 288; V G Berlin, NJW 1991, 2854. 264 OVG Koblenz, NVwZ 1987, 240/241; vgl. auch Nierhaus, UTR 1994, 369/370.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

die Aussagen, die sich dort zum Gefahrverdacht finden, passen nicht zu dem, was ansonsten mit dem Begriff vertreten und verknüpft wird, stehen ihm sogar diametral entgegen. Zur Bewertung kleinster Strahlendosen als gesundheitsgefährdend stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, „daß sie auf einer bloß hypothetischen Annahme beruht und damit keine Schadenswahrscheinlichkeit im Sinne des juristischen Gefahrenbegriffs angibt ... Das Berufungsgericht hat mithin verkannt, daß hier allem ein Risiko in Rede steht, welches - juristisch gesprochen - lediglich auf einem Gefahrenverdacht beruht." 265 Noch deutlicher wird die Absetzung des Gefahrverdachts nicht nur vom Begriff der Gefahr, sondern auch von der Aufgabe der Gefahrenabwehr in der Wyhl-Entscheidung. Zum atomrechtlichen Vorsorgeprinzip, nach dem eine Genehmigung für eine Anlage nur erteilt werden darf, wenn die erforderliche Vorsorge gegen Schäden getroffen ist, formuliert das Gericht: „In § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG ist nicht die Rede von Gefahrenabwehr ... Vorsorge ... bedeutet daher nicht, daß Schutzmaßnahmen erst dort zu beginnen brauchen, wo ,aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden' (so der klassische Gefahrenbegriff...). Vielmehr müssen auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein ,Besorgnispotential' besteht."266 Nach allem, was in Rechtsprechung und Literatur sonst zum Gefahrverdacht gesagt wurde, müssen diese Äußerungen verwundern. Wurde sonst der Gefahrverdacht als Grundlage zunächst nur vorläufiger, aber dann auch endgültiger, irreversibler Gefahrenabwehrmaßnahmen herangezogen, so soll der Gefahrverdacht nach diesen Entscheidungen gar nicht mehr zum Bereich der Gefahrenabwehr gehören. Wurde der Gefahrverdacht mit einer gemeinsamen Anstrengung in Rechtsprechung und Literatur in den Gefahrbegriff integriert, scheinen diese Stellen gerade das Gegenteil zu belegen. Tradition und Funktion werden herangezogen, um zu zeigen, daß der Gefahrverdacht nicht unter den Gefahrbegriff, nicht einmal in den Bereich der Gefahrenabwehr fällt. Was ist passiert? Deutet sich im technischen Sicherheitsrecht ein neuer Trend an, der den Gefahrverdacht wieder aus dem Gefahrbegriff und als Grundlage für Gefahrenab265

BVerwGE 61, 256/267 - Hervorhebung durch den Verfasser. BVerwGE 72, 300/315 - Hervorhebung durch den Verfasser; vgl.ferner BVerwGE 65, 313/320; 69, 37/43; VGH Kassel, N V w Z 1989, 1183/1185; auch in der Literatur wird der Gefahrverdacht zum Teil als Schadenswahrscheinlichkeit unterhalb der Gefahrensch welle dem Vorsorgeprinzip zugeordnet: Bender, N V w Z 1979, 1425/1426; Kloepfer/Kröger, NuR 1990, S. 8/12; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 15; weitere Nachweise bei Reich, Gefahr, S. 144-152. 266

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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wehrmaßnahmen ausschließt? Kündigt sich im technischen Sicherheitsrecht eine Reobjektivierung des Gefahrenabwehrrechts an? Auf diese Fragen kann nur kommen, wer das, was das Bundesverwaltungsgericht im technischen Sicherheitsrecht mit Gefahrverdacht bezeichnet, mit dem Gefahrverdachtbegriff identifiziert, den die Rechtsprechung im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht so gänzlich anders behandelt. Indes beziehen sich die beiden Gefahrverdachtsbegriffe auf unterschiedliche Gegenstände und Probleme, es handelt sich nur eine Identität des Wortes, nicht aber des Begriffs. 267 Die vom Bundesverwaltungsgericht im technischen Sicherheitsrecht verhandelten und von Scherzberg unter dem Gesichtspunkt der Chaostheorie beschriebenen Ungewißheiten sind anderer Art, als die sonst unter den Begriff des Gefahrverdachts gefaßten. In den Gefahrverdachtssituationen, die die Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts bestimmt haben, geht es nicht um „Schadensmöglichkeiten ..., die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können" 268 . Die Ungewißheiten betreffen vielmehr grundsätzlich erkennbare und in ihren Kausalverläufen und Auswirkungen einschätzbare Sachverhalte. Der Polizist, der Anhaltspunkte dafür hat, daß der Gegenstand, mit dem die Kinder spielen, eine geladene Schrotflinte ist, kann aufklären, ob es sich um eine Schrotflinte handelt, und weiß, daß geladene Schrotflinten in Kinderhänden mit großer Wahrscheinlichkeit zu Schäden führen. Die befürchteten Ursachenzusammenhänge liegen offen zu Tage. Die erwarteten Kausalverläufe sind nicht chaotisch komplex, sondern schlicht und überschaubar. Es besteht lediglich eine perspektivische Unkenntnis hinsichtlich grundsätzlich erkennbarer und einschätzbarer Tatsachen. Die im technischen Sicherheitsrecht unter dem Gefahrverdacht behandelten Konstellationen sind mit den sonst unter dem Begriff erörterten nicht identisch. Sie fallen nicht unter den herkömmlichen Begriff. Dies schließt nicht aus, daß das Bundesverwaltungsgericht den Versuch unternimmt, auch diese Ungewißheiten mit dem zuvor anhand des im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Institut des Gefahrverdachts zu erfassen. Es könnte den herkömmlichen Begriff des Gefahrverdachts auch auf die für das technische Sicherheitsrecht typischen Ungewißheiten ausdehnen und sie dem dogmatischen Regime des Gefahrverdachts unterstellen. Doch dies tut das

267

Daß mit Gefahrverdacht im technischen Sicherheitsrecht gänzlich andere Sachverhalte und Problem bezeichnet werden als im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, hebt auch Determann, Gefahrverdächtige Technologien, S. 37, hervor. 268 BVerwGE 72, 300/315.

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Gericht gerade nicht. 269 Die Ungewißheiten, die der Begriff des Gefahrverdachts im technischen Sicherheitsrecht bezeichnet, werden nicht der Gefahrenabwehr zugeordnet und von der Gefahr kategorial unterschieden. 270 Wenn gegen eine entsprechende Zuordnung die unterschiedliche Struktur der im technischen Sicherheitsrecht anfallenden Ungewißheiten angeführt werden und aufgezeigt wird, warum diese Ungewißheiten anderen Gesetzmäßigkeiten als die herkömmlichen Gefahren unterliegen, so trifft die Beobachtung über die unterschiedlichen Strukturen zu. 271 Die Kritik geht aber zu weit, wenn sie unterstellt, daß mit der Verwendung des Wortes Gefahrverdacht eine Ausweitung des dogmatischen Begriffs erfolgte, um die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts für die Bewältigung technischer Risiken fruchtbar zu machen.272 Die Verwendung des Wortes „Gefahrverdacht" im technischen Sicherheitsrecht beruht weder darauf, daß die dort unter ihm behandelten Konstellationen denjenigen entsprechen, die herkömmlich unter den Begriff des Gefahrverdacht gefaßt wurden, noch darauf, daß das mit dem herkömmlichen Begriff verbundene dogmatische Instrumentarium auf die neuen Ungewißheiten ausdehnt wurde. Mit der Verwendung des Wortes für die spezifischen Ungewißheiten des technischen Sicherheitsrechts wird lediglich eine Doppeldeutigkeit eingeführt, die das herkömmliche dogmatische Konzept des Gefahrverdachts unberührt läßt. Als herkömmliche Kategorie des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts bezeichnet der Gefahrverdacht Situationen, in denen den Gefahrenabwehrbehörden grundsätzlich aufklärbare Tatsachen subjektiv nicht mehr rechtzeitig zugänglich gemacht werden können. Der Gefahrverdacht wird hinsichtlich der Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen als Gefahr im Sinne des subjektiven Gefahrbegriffs behandelt. Im technischen Sicherheitsrecht bezeichnet der Gefahrverdacht eine Risikoform, die sich auf Zusammenhänge von großer Komplexität bezieht, die sich unserem Wissen noch nicht erschlossen haben oder sogar grundsätzlich unseren Wissenskapazitäten entziehen. Dieser Gefahrverdacht wird nicht dem Gefahrbegriff zugeordnet und rechtfertigt keine Gefahren-

269

Die unterschiedliche Behandlung des Gefahrverdachts im allgemeinen Polizeiund Ordnungsrecht und im technischen Sicherheitsrecht konstatiert auch Richter, Gentechnologie als Regelungsgegenstand, S. 51; keinen Unterschied sieht hingegen HansenDix, Gefahr, S. 172-181. 270 Auch die Autoren, die den Gefahrverdacht im technischen Sicherheitsrecht noch der Gefahrenabwehr zuorden wollen, tun dies nicht, um ihn dem dogmatischen Regime des herkömmlichen Gefahrverdachts zu unterstellen, sondern, um die Vorsorgeverpflichtungen in den von der Rechtsprechung auf die Gefahrenabwehr beschränkten Kreis drittschützender Vorschriften einzubeziehen, i.e. zu diesem Aspekt der Diskussion Reich, Gefahr, S. 133-163. 271 Scherzberg, VerwArch. 1993, 484/495 f.; vgl. auch Reich, Gefahr, S. 148 f. 272 Scherzberg, ebd.

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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abwehrmaßnahmen. Im technischen Sicherheitsrecht bezeichnet der Gefahrverdacht den Bereich der Gefahrenvorsorge.Wie konnte es zu einer solchen zur Begriffsverwirrung verleitenden Doppeldeutigkeit kommen?273 Es ist vielfach versucht worden, das Feld der Ungewißheiten anhand des den Gefahrbegriff strukturierenden Grundsatzes der gegenläufigen Proportionalität von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß in einem dreistufigen Modell zu strukturieren. 274 Ausgangspunkt und Schlüsselbegriff des Modells ist der Begriff der Gefahr, der eine von dem Ausmaß des erwarteten Schadens graduell abhängige hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts verlangt. Gefahren werden abgewehrt. Ein Risiko soll hingegen vorliegen, wenn ein Schaden möglich ist, die Eintrittswahrscheinlichkeit jedoch unter der für eine Gefahr erforderlichen liegt. Risiken werden nicht mit den Mittel des Polizeirechts abgewehrt, sondern ihnen wird vorgesorgt und vorgebeugt. Die Residualkategorie bildet in diesem Modell das Restrisiko, das der Tatsache Rechnung tragen soll, daß in komplexen Systemen ein Schadenseintritt nie mit letzter Gewißheit ausgeschlossen werden kann. Das Restrisiko muß als sozialadäquate Alltagsgefahr hingenommen werden. 275 Für die Identifikation des Risikobegriffs mit dem Begriff des Gefahrverdachts ist ausschlaggebend, daß das Risiko in diesem Modell als eine Gefahr minderen Grades verstanden wird. Als Gefahr minderen Grades wurde der Gefahrverdacht auch im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht interpretiert, um ihn so in den subjektiven Gefahrbegriff zu integrieren. Darnstädt etwa bilanziert seine Erläuterung des Gefahrverdachts: „Was als ,Gefahrverdacht' bezeichnet wird, ist also nichts weiter als eine Gefahr geringeren Wahrschein-

273

Die Literatur begegnet der Ambivalenz des Gefahrverachts gelegentlich, indem sie unterschiedliche Grade des Gefahrverdachts unterscheidet und nur den Gefahrverdacht unterhalb der Gefahrenschwelle dem Vorsorgeprinzip zuordnet, Dill, Amtsermittlung, S. 66-69; Kloepfer/Kröger, NuR 1990, S. 8/12; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 15 m.w.N.. In diesem Sinne auch Schenke, in: FS Friauf, S. 455/459 f., der den Gefahrverdacht als deskriptiven Begriff genutzt sehen will und ebenfalls zwischen dem Gefahrverdacht unterscheidet, der die Voraussetzungen des subjektiven Gefahrbegriffs erfüllt, und demjenigen, der die Gefahrenschwelle nicht überschreitet. Vgl. auch Trute, Vorsorgestrukturen, S. 17 f. 274 Eine Übersicht zu den unterschiedlichen Ausgestaltungen des Dreistufenmodells Steinberg/Roller, in: Schadensvorsorge, S. 13/19-27 m.w.N.; vgl. di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 104-106; Reich, Gefahr, S. 134-138; in der Rechtsprechung findet es sich besonders deutlich etwa in VGH Kassel, NVwZ 1989, 1183/1185. 275 Kritisch zum Dreitstufenmodell di Fabio, Risikoentscheidungen, S. 106-108 m.w.N.; Reich, Gefahr, S. 144-152; Ronellenfitsch, DVB1. 1989, 851/859: „Irrlehre"; Scherzberg, VerwArch. 1993, 484/495 f.

Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

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lichkeitsgrades." 276 Auf dem Hintergrund des dreistufigen Modells und der subjektiven Interpretation des Gefahrbegriffs, die den Gefahrverdacht einschließt, lag es daher nahe, Risiko und Gefahrverdacht als Gefahren minderen Grades miteinander in Verbindung zu bringen 277 und dabei zu übersehen, daß sich die Ungewißheiten strukturell unterscheiden. 278 Daß die Identifikation von Risiko und Gefahrverdacht dogmatisch nicht ernst gemeint war, zeigte sich darin, daß die Kategorie des Risikos anders als der Gefahrverdacht gerade nicht dem Gefahrbegriff und der Gefahrenabwehr, sondern der zweiten Stufe des Modells und dem Bereich der Vorsorge zugeordnet wurde. In dem von wissenschaftlichen Defiziten und chaotischen Prozessen und neuartigen Schadenspotentialen gekennzeichneten Risikobereich ist die dem Gefahrbegriff zugrundeliegende Struktur der gegenläufigen Proportionalität von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß nicht sinnvoll einsetzbar. Entsprechend können diese Phänomene auch nicht mit der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts rechtlich bearbeitet werden. Die Konfrontation mit den neuen Risiken hat im technischen Sicherheitsrecht vielmehr eine ganze Reihe eigener Instrumente hervorgebracht, die dem Umgang mit den neuen Ungewißheiten dienen. Die Regelungen zur Gefahrenvorsorge und -Vorbeugung seien nur als ein besonders prominentes, 279 aber bei weitem nicht einziges genannt.280 Die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts steht weder in einem genetischen noch in einem funktionalen Zusammenhang mit den von Scherzberg beschriebenen Risiken, die für die heutigen Industriegesellschaften charakteristisch geworden sind. Die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts wird weder durch die gestiegene Komplexität unserer Lebensverhältnisse und den naturwissenschaftlichen Pardigmenwechsel erzwungen, noch läßt sie sich so erklären.

I I I . Rechtswidrigkeitsurteil und Steuerungsfunktion des Rechts Die Subjektivierung der Tatbestandsmerkmale polizeilicher Eingriffsermächtigungen vermeidet in Anscheins- und Verdachtslagen ein Rechtswidrig276

Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 96. So besonders deutlich bei Trute, Vorsorgestrukturen, S. 17 f., der den Gefahrverdacht dann aber weder dem Gefahr- noch dem Vorsorgebegriff eindeutig zuordnet. Vgl. auch Papier, DVB1. 1979, 162. 278 Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 132, selbst lehnt die Zuordnung des Gefahrverdachts zum Vorsorgebegriff ausdrücklich ab. 279 Reich, Gefahr, S. 132. 280 Eine Analyse der unterschiedlichen Instrumente im Atom-, Immissionsschutz-, Gentechnik-, Chemikalien-, Pflanzenschutz- und Arzneimittelrecht bietet di Fabio, Risikoentscheidungen. 277

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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keitsurteil gegenüber den polizeilichen Maßnahmen. Besteht nur der Anschein oder der Verdacht einer Gefahr, so führt das Fehlen einer Gefahr nicht dazu, daß eine Gefahr im Sinne der gefahrenabwehrrechtlichen Eingriffsbefugnisse verneint werden muß. Obwohl nur der Anschein oder Verdacht einer Gefahr vorliegt, ist die Maßnahme auf der Grundlage eines subjektivierten Gefahrbegriffs rechtmäßig. Nach Freund folgt die Anpassung des Gefahrbegriffs und damit auch die Anpassung des Rechtswidrigkeitsurteils an die Erkenntnismöglichkeiten des Gefahrenabwehrorgans notwendig aus der Teleologie des Rechts als Instrument der Verhaltenssteuerung. „Eine der Teleologie der (Entscheidungs-) Verhaltenssteuerung verpflichtete rechtliche Bewertung darf nur auf im Zeitpunkt der zu beurteilenden Entscheidung - also ex ante - tatsächlich Verfügbares abstellen".281 Dabei wird die Verfügbarkeit von Freund nicht objektiv, sondern wie auch bei der im Gefahrenabwehrrecht beobachteten Tendenz subjektiv verstanden. „Nicht nur Zukünftiges ist insofern untauglicher Anknüpfungspunkt, sondern dies gilt nicht minder für solche an sich hic et nunc gegebene - also gegenwärtige - Umstände, die aus der - durchaus subjektiven Perspektive des vor der zu beurteilenden Entscheidung Stehenden nicht verfügbar sind. Denn da es bei der ... Verhaltensbewertung um eine ... (Entscheidungs-) Verhaltensbeeinflussung ... einer ganz bestimmten Person in einer speziellen, u.U. durch komplexe Begleitumstände gekennzeichneten Entscheidungssituation geht, kann nur deren subjektive Perspektive maßgeblich sein." 282 In der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts sieht Freund nur die Konsequenz des von ihm hergestellten Zusammenhangs von rechtlicher Bewertung, Verhaltenssteuerung und den Erkenntnismöglichkeiten des Regelungsadressaten. „Nach den im bisherigen angestellten grundsätzlichen Überlegungen wird in diesem Bereich im Ergebnis mit Recht ... die Eingriffsbefugnis ... nicht von Daten abhängig gemacht, die aus der durchaus subjektiven Perspektive des zur Entscheidung aufgerufenen Polizeibeamten gar nicht erkennbar sind - mögen sie auch hic et nunc gegebene Umstände betreffen, wie etwa die tatsächliche Schärfe der in einem Kaufhaus aufgefundenen Bombe ... Mit dem nicht ausreichenden bloßen Schein einer Gefahr haben wir es demnach erst dann zu tun, wenn ... dem Beamten eine Fehleinschätzung ... zur Last fällt... Ist das nicht der

281

Freund, GA 1991, 387/391. Entsprechend argumentiert auch Rupp, in: Rechtsschutz im Sozialrecht, S. 173/181, für die Behördenentscheidung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts. Die Steuerungsfunktion des Rechts verlange, daß jedes Rechtswidrigkeitsurteil auf einer Pflichtwidrigkeit beruhe. Zur These von Rupp eingehend Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, S. 161-166. 282 Freund, GA 1991, 387/392; vgl. auch Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 421-426. 7 Poscher

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

Fall, liegt auf die allein maßgebliche Entscheidungssituation und -perspektive bezogen das geforderte Datum der Gefahr tatsächlich vor." 283 Träfe die Argumentation Freunds zu, so wäre die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts durch die Teleologie des Rechts selbst vorgegeben. Ein objektiver Gefahrbegriff, nach dem Gefahrenabwehrmaßnahmen - wie in Fällen der Anscheinsgefahr - auch dann rechtswidrig sein können, wenn auch ein pflichtgemäßer Polizeibeamter zur Annahme einer Gefahr gelangen mußte, verstieße gegen die für das Recht zentrale Funktion der Verhaltenssteuerung. 284 Auf der Grundlage eines objektiven Gefahrbegriffs scheint das Gefahrenabwehrrecht von dem Beamten entgegen dem Grundsatz „impossibilium nulla est obligatio" zu verlangen, daß für ihn Unerkennbare zu erkennen. Das Preußische Oberverwaltungsgericht hätte sich in der Grudekoks-Entscheidung am Recht selbst vergangen. In der Lesart Freunds besagte die Entscheidung: Wisse, was Du nicht wissen kannst! Und trifft Freund jenseits aller theoretischen Reflexion über die Funktion des Rechts nicht auch eine Intuition, die gegen den objektiven Gefahrbegriff spricht? Erscheint es nicht ungereimt, die Maßnahme eines Polizeibeamten auch dann als rechtswidrig zu bewerten, wenn er doch nur das Gute wollte und sich bei pflichtgemäßer Amtsausübung nicht rechtmäßig verhalten konnte? Die Intuition trifft indes nur zu, wenn allein der Polizeibeamte in den Blick genommen wird. Denn es läßt sich andererseits fragen, ob eine staatliche Belastung des Bürgers auch dann rechtmäßig sein soll, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlagen, sondern einem Amtswalter bloß vorzuliegen schienen. So befragt, spricht die Intuition gegen eine Subjektivierung des Gefahrbegriffs. Auch die rechtstheoretische Überlegung zum Zusammenhang von rechtlicher Bewertung, Verhaltenssteuerung und den Erkenntnismöglichkeiten des Regelungsadressaten beziehen ihre scheinbare Evidenz daraus, daß nur die Verhaltenssteuerung des Polizeibeamten mit dem Rechtswidrigkeitsurteil in Verbindung gebracht wird. Indes sind die normtheretischen Zusammenhänge der Verhaltenssteuerung komplexer, als Freund sie beschreibt. Für die rechtliche Regelung einer Situation muß das Recht nicht nur ein Verhalten regeln, sondern zumindest auch das Verhalten des von dem Verhalten Betroffenen und, um anschlußfähig zu bleiben, auch das Verhalten, das an das geregelte Verhalten anknüpft. Für hoheitliche Maßnahmen bedeutet dies aus der Perspektive der „(Entscheidungs-) Verhaltenssteuerung", daß nicht nur das Verhalten des handelnden Hoheitsträgers, sondern auch das Verhalten des be283

Freund, GA 1991, 387/402. Ähnlich stellen Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 290, für die Gleichsetzung der Anscheinsgefahr mit einer Gefahr darauf ab, daß „ein als Dienstpflicht gebotenes Handeln der Polizei... anderenfalls in die Illegalität gedrängt" werde. 284

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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troffenen Bürgers und die hoheitlichen Folgeentscheidungen über den Bestand oder die Aufhebung der Maßnahme, die Kostentragung, den Schadensersatz oder die Entschädigung gesteuert werden müssen. Die materiellen Ermächtigungstatbestände, auf die die rechtliche Bewertung im Sinne Freunds abstellt, bilden nur ein Element der komplexeren Normen, die die Verhalten des handelnden Hoheitsträgers, des Bürgers und der Rechtsbehelfsinstanzen je spezifisch steuern. Die „(Entscheidungs-) Verhaltenssteuerung", nach der Freund sucht, ergibt sich erst aus dem materiellen Recht in Verbindung mit dem Verfahrensrecht, das für die verschiedenen Adressaten jeweils an deren Erkenntnismöglichkeiten angepaßte Regelungen enthält. Mit der rechtlichen Bewertung der hoheitlichen Maßnahmen stellt Freund allein auf die Regelungen ab, die die Folgeentscheidungen der Rechtsbehelfsinstanzen steuern. Stark stilisiert besagt diese Norm: „Wenn die Rechtsbehelfsinstanz zu der Überzeugung 285 gelangt, daß die Voraussetzungen eines gesetzlichen Tatbestands nicht vorlagen, dann soll sie die Folgeentscheidungen treffen, die nach der Rechtsordnung an die Rechtswidrigkeit der Maßnahme anknüpfen." An dieses Rechtswidrigkeitsurteil knüpft die Rechtsordnung etwa die Aufhebung belastender Entscheidung (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) oder im Polizeirecht eine Entschädigung (vgl. § 45 Abs. 1 S. 2 MEPolG). Die rechtliche Bewertung der Maßnahme erfolgt nach den Überzeugungen, die die Rechtsbehelfsinstanz von den tatsächlichen Umständen der Maßnahme gewonnen hat. Die Überzeugungen des Amtswalters, der die Maßnahme vorgenommen hat, sind für die Rechtsbehelfsinstanz bei deren rechtlicher Bewertung der Maßnahme etwa im Rahmen einer Aufhebungsentscheidung bedeutungslos. Das Verhalten des handelnden Hoheitsträgers wird hingegen von Verfahrensvorschriften gesteuert, die auf seine eigenen Überzeugungen von den tatsächlichen Umständen der von ihm in Aussicht genommenen Maßnahme abstellen. Nach dem Verwaltungsverfahrensrecht darf der Beamte eine Maßnahme vornehmen, wenn er subjektiv von dem Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer materiell-rechtlichen Ermächtigungsgrundlage überzeugt ist. 286 Die sich aus dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht ergebende Norm, die das Verhalten des handelnden Beamten regelt, trägt, indem sie auf dessen Überzeugung abstellt, ebenso seinen subjektiven Erkenntnismöglichkei-

285

Zur Bedeutung der Überzeugung im Verwaltungsgerichtsprozeß vgl. nur § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO. 286 Zur Überzeugung als Rechtsanwendungsvoraussetzung im Verwaltungsverfahren BVerwG, NJW 1982, 1893; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn. 20; Clausen, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn. 5; Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 24 Rn. 20; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 27 Rn. 15; Martens, Verwaltungsverfahren, Rn. 156 ff.

1 0 0 Z w e i t e r Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr ten Rechnung wie die Vorschriften, die die Folgeentscheidung der Rechtsbehelfsinstanzen regeln. Für beide werden durch die Maßgeblichkeit der Überzeugung des jeweiligen Adressaten die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten berücksichtigt und damit dem Verhaltenssteuerungsanspruch des Rechts genügt. Daß die Folgeentscheidungen der Rechtsbehelfsinstanzen - besonders die Entscheidung über die Aufhebung des von dem Beamten gesetzten Hoheitsakts nicht auf die Überzeugung des Beamten, sondern auf die Überzeugung der Rechtsbehelfsinstanz abstellen, läßt die Verhaltenssteuerung des Beamten unberührt. Ein Verstoß gegen die Steuerungsfunktion des Rechts läge nur vor, wenn die Handlungserlaubnis des Beamten von der Überzeugung der Rechtsbehelfsinstanz abhängig gemacht würde. Der Blick auf die Verhaltenssteuerungsfunktion des Rechts zeigt, daß zwischen den Regelungen, die die Folgeentscheidungen der Rechtsbehelfsinstanzen steuern, und den Regelungen, nach denen der Beamte über die Vornahme des Hoheitsakts entscheidet, unterschieden werden muß. Vergegenständlicht kann von dem Unterschied zwischen der rechtlichen Bewertung des Hoheitsakts und der rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Beamten bei der Vornahme des Hoheitsakts gesprochen werden. 287 Die rechtliche Bewertung des Hoheitsakts im Rahmen des Rechtswidrigkeitsurteils der Rechtsbehelfsinstanzen erfolgt ohne Rücksicht auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Amtswalters, der den Hoheitsakt erlassen hat. Dieses Rechtswidrigkeitsurteil ist besonders für den Bestand oder die Aufhebung des Hoheitsakts und andere Folgeentscheidungen von Bedeutung. Der Begriff der Rechtswidrigkeit übernimmt insoweit systematische Funktionen. Im Rahmen der Imperativentheorie 288 läßt er sich nicht als Verstoß gegen Verhaltenspflichten abschließend definieren. 289 Anders als das Rechtswidrigkeitsurteil stellt die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Beamten bei der Vornahme des Hoheitsakts maßgeblich auf dessen Überzeugung von den tatsächlichen Umständen seiner Entscheidung ab. Sie betrifft die dienstlichen Pflichten des Beamten und an die Dienstpflichten des Beamten anknüpfende Folgeentscheidungen etwa des Disziplinarrechts. Rechtswidrigkeits- und Pflichtwidrigkeitsurteil können unterschieden werden und - etwa bei der Anscheinsgefahr oder allgemein bei nicht vorwerfbaren Rechtsanwendungsirrtümern - auseinanderfallen. 287

Die Unterscheidung zwischen Pflichtwidrigkeit und Rechtswidrigkeit klingt auch in der neueren Rechtsprechung noch an. So differenziert der VGH München, BayVBl. 1995, 758/759, zwischen dem „pflichtgemäßem Handeln" des Gefahrenabwehrorgans und der durch den Eingriff geschaffenen „rechtswidrigen Lage". 288 Eine zusammenfassende Darstellung der Imperativentheorie etwa bei Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Normen, S. 126-130. 289 So aber Rupp, in: Rechtsschutz im Sozialrecht, S. 173/181; Olivet, Handlungsund Erfolgsunrecht, S. 8; dagegen auch Kleinlein, VerwArch. 1990, 149/166.

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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Neben dem Verhalten des Beamten und der Rechtsbehelfsinstanzen muß die Rechtsordnung das Verhalten des Bürgers steuern, der sich der Maßnahme ausgesetzt sieht. Insoweit hat das Verwaltungsverfahrens- und Vollstreckungsrecht die Verhaltenspflichten des Bürgers weitgehend von der materiellen Ermächtigungsgrundlage entkoppelt. Die Rechtsordnung kann nicht auch für den Bürger auf dessen Überzeugung von den tatsächlichen Verhältnissen abstellen. Käme es für die den Handlungserlaubnissen der Beamten korrespondierenden Verhaltenspflichten des Bürgers entsprechend auf dessen Überzeugung an, so wäre die Verhaltenssteuerung des Beamten und des Bürgers nur bei übereinstimmenden Überzeugungen koordiniert. Auf ein solches Risiko kann sich ein am Gewaltmonopol orientiertes Recht nicht einlassen.290 Die Verhaltenspflichten des Bürgers knüpfen nicht an die materielle Rechtslage an, sondern an die bloße Wirksamkeit des Verwaltungsakts und die sonstigen Voraussetzungen des Verwaltungsvollstreckungsrechts. Im Rahmen der Nichtigkeitsregeln des § 44 VwVfG entstehen die Verhaltenspflichten des Bürgers, die den Handlungserlaubnissen des Hoheitsträgers korrespondieren, unabhängig von den materiellrechtlichen Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage. Auch die in rechtswidrigen Verwaltungsakten konkretisierten Verhaltenspflichten sind für den Bürger wirksam und ihre Vollstreckung muß er dulden. Außerhalb des Gefahrenabwehrrechts sind diese Zusammenhänge nicht kontrovers. Der Steuerbeamte darf den Steuerbescheid erlassen und verhält sich nicht pflichtwidrig, wenn er zu der Überzeugung gelangt, daß der Steuertatbestand vorliegt. Der Steuerbescheid ist aber rechtswidrig und wird aufgehoben, wenn das Finanzgericht zu der Überzeugung gelangt, daß der Steuertatbestand nicht erfüllt war. Und der Bürger muß die Steuerschuld zahlen und die Vollstreckung unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids dulden, wenn er nicht aufgehoben oder seine Wirksamkeit aufgeschoben wird. Zur Wahrung der Verhaltenssteuerungsfunktion des Rechts bedarf es keiner Anknüpfung des Rechtswidrigkeitsurteils der Rechtsbehelfsinstanzen an die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des handelnden Beamten. Auch unsere Intuitionen sprechen nicht gegen das sich aus dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht ergebende Regelungsmodell unterschiedlicher Verhaltenspflichten für Ausgangsbehörde, Rechtsbehelfsinstanz und Bürger. Im Gegenteil, erst durch eine differenzierende Betrachtung der einzelnen Verhaltenspflichten werden unsere gegenläufigen Intuitionen bezüglich des Rechtswidrigkeitsurteils versöhnt. Einerseits verlangt das Verfahrensrecht von dem handelnden Hoheitsträger nichts Unmögliches, wenn seine Handlungserlaubnis von seiner Überzeugung von den tatsächlichen Voraussetzungen der Ermächtigungs290 Allgemein zu diesem Verrechtlichungszusammenhang Poscher, VerwArch. 1998, 111/113-120.

1 0 2 Z w e i t e r Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr grundlage abhängig gemacht wird. Andererseits werden die Folgeentscheidungen der Rechtsbehelfsinstanz aber für eine bessere Erkenntnis der Tatsachen geöffnet, indem deren Überzeugungen für maßgeblich erklärt werden - von deren Überlegenheit aufgrund des zumeist aufwendigeren Verfahrens und anderer Rahmenbedingungen ausgegangen wird. Die Verhaltenssteuerung erfolgt nicht allein durch das Rechtswidrigkeitsurteil, sondern durch ein System verfahrensrechtlich angereicherter Normen. Durch die auf die einzelnen Akteure abgestimmte verfahrensrechtliche Differenzierung der Verhaltenssteuerungsnormen wird eine Überforderung des den Hoheitsakt vornehmenden Beamten ebenso vermieden, wie eine Belastung des Bürgers mit als rechtswidrig erkannten Maßnahmen. Zwar kann ein Hoheitsakt zunächst auch dann Wirkung gegenüber dem Bürger entfalten, wenn er auf einer falschen Überzeugung eines Beamten beruht. Der Bürger kann die Entscheidung jedoch aufheben lassen. Für die Aufhebung als auch für andere Folgeentscheidungen, die die Rechtswidrigkeit der Maßnahme voraussetzen, ist die Überzeugung des Beamten nicht mehr maßgeblich. Die Verhaltenssteuerungsfunktion des Rechts steht einem objektiven Verständnis des Gefahrbegriffs und der polizeilichen Verantwortlichkeit nicht entgegen. Das Rechtswidrigkeitsurteil über einen staatlichen Hoheitsakt darf im Gefahrenabwehrrecht sowenig wie in anderen Bereichen des Verwaltungsrechts mit einem Urteil über die Pflichtwidrigkeit des Beamten gleichgesetzt werden. Dies bedeutet indes nicht, daß sich die Entscheidungssituation eines Gefahrenabwehrorgans nicht von derjenigen etwa eines Steuerbeamten signifikant unterscheiden kann. Besonders die bei der Gefahrenabwehr zeitlich oft stark eingeschränkten Möglichkeiten zur Sachverhaltsermittlung deuten auf eine strukturelle Eigenheit des Gefahrenabwehrrechts. Doch die eingeschränkten Aufklärungsmöglichkeiten führen auch auf der Grundlage eines objektiven Verständnisses nicht dazu, daß von dem Beamten rechtlich Unmögliches verlangt wird. Fraglich ist vielmehr, ob der Beamten auf der Grundlage eines objektiven Ansatzes rechtlich noch ausreichend handlungsfähig ist, um eine effektive Gefahrenabwehr sicherzustellen, oder ob sein Verhalten auf der Grundlage eines objektiven Ansatzes so gesteuert wird, daß er rechtlich auch dort nicht einschreiten darf, wo ein Einschreiten allgemein erwartet wird. Diese Frage nach den Konsequenzen eines objekiven Verständnisses der polizeilichen Gefahr und Verantwortlichkeit kann jedoch erst im Rahmen einer Rekonstruktion des gesamten dogmatischen Systems des Gefahrenabwehrrechts beantwortet werden, die der dritte Teil der Arbeit unternimmt. 291

291 Speziell zur Frage der Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane s.u. dritter Teil, B. und C.

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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Die Überlegungen zur Verhaltenssteuerung enthalten einen bleibenden systematischen Ertrag. Eine dogmatische Analyse des Gefahrenabwehrrechts wird die drei verschiedenen Regelungsaspekte von Gefahrenabwehrmaßnahmen unterscheiden müssen: zum einen die mit dem Rechtswidrigkeitsurteil verbundene Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme durch die Rechtsbehelfsinstanzen als Voraussetzung für die Aufhebungs-, Kosten- und Entschädigungsfolgen; zum anderen die dienstlichen Verhaltenspflichten des Gefahrenabwehrorgans und schließlich die Verhaltenspflichten des Bürgers. Dem preußischen Oberverwaltungsgericht hatte sich der Unterschied zwischen den beiden ersten Aspekten, der in der heutigen Diskussion nicht mehr so deutlich wahrgenommen wird, noch verfahrensrechtlich aufgedrängt. Neben den Anfechtungsprozessen, in denen es über die Rechtmäßigkeit und Aufhebung einer Maßnahme zu entscheiden hatte, mußte es zum Teil bezüglich derselben Maßnahme im Konfliktverfahren über die „Überschreitung der Amtsbefugnisse", d.h. die objektive Pflichtwidrigkeit des Beamten, urteilen.

IV. Wille zum subjektiven System oder dogmatische Verlegenheit? Wenn die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts weder durch die interne Dynamik seiner Begriffe noch durch die externen Veränderungen der Lebenswelt noch durch die Verhaltenssteuerungsfunktion des Rechts geboten ist, so könnte sie doch einem rechtspolitischen Willen zur Transformation des Gefahrenabwehrrechts entsprechen. Die Objektivität des Gefahrenabwehrrechts hat ihre Härten und ihren Rigorismus auf beiden Seiten. Maßnahmen von Gefahrenabwehrorganen werden einem Rechtswidrigkeitsurteil ausgesetzt, obwohl sie es nicht besser wissen konnten. Im Grudekoks-Fall wurde gerichtlich festgestellt, daß die polizeiliche Verfugung rechtswidrig war, obwohl das Gericht dem Beamten bescheinigte, alles getan zu haben, was er zur Aufklärung der Gefahr tun konnte, obwohl der Irrtum unvermeidlich war. Die Bürger auf der anderen Seite werden polizeilich verantwortlich gehalten, ohne daß sie sich etwas vorwerfen lassen müssen. Selbst wenn sie die Gefahr weder vorsätzlich noch fahrlässig verursacht haben, werden sie für Nachteile, die sie durch die Gefahrenabwehrmaßnahme erleiden, nicht nur nicht entschädigt, sondern müssen sogar noch die Kosten der Maßnahme tragen. Vielleicht sind diese Härten und Rigorismen rechtspolitisch fraglich geworden? Unter Umständen bringt sich in der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts eine rechtspolitische Tendenz zu einem „weicheren" und flexibleren Gefahrenabwehrrecht zum Ausdruck? Ob ein entsprechender rechtspolitischer Gestaltungswille die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts motiviert, läßt sich daran überprüfen, wie die Dogmatik eines konsequent subjekti vierten Gefahrenabwehrrechts aussähe und ob es An-

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

zeichen dafür gibt, daß die Idee eines entsprechend transformierten Gefahrenabwehrrechts die Subjektivierungstendenz leitet. Wie sähe ein konsequent subjektiviertes Gefahrenabwehrrecht aus? Um die Härten für die Gefahrenabwehrbehörden zu mildern, wäre auf der einen Seite im Sinne des subjektiven Gefahrbegriffs die sorgfaltspflichtgemäße subjektive Einschätzung der Behörde beachtlich. Auf der anderen Seite wäre hinsichtlich der polizeilichen Verantwortlichkeit nicht auf die unmittelbare, sondern auf die vorsätzliche oder sorgfaltspflichtwidrige Verursachung der Gefahr abzustellen. Dadurch träfen den Bürger auch die Kosten der Gefahrenabwehrmaßnahme nur, wenn er sich zumindest eine Sorgfaltspflichtwidrigkeit vorwerfen lassen müßte. In allen anderen Fällen könnte er nur im Wege des polizeilichen Notstands herangezogen werden, womit ihm dann aber auch gleich ein Entschädigungsanspruch zum Ausgleich der erlittenen Nachteile zur Seite gestellt werden würde. Auch für den Bürger würde das Gefahrenabwehrrecht damit seine Härten verlieren. Die konsequente Subjektivierung würde zwar nicht verhindern, daß er auch ohne Sorgfaltspflichtverstoß herangezogen werden könnte, doch würde seine Inanspruchnahme finanziell abgefedert und in ihren Konsequenzen gemildert. Die Transformation würde auch nicht notwendig zur Handlungsunfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden führen. Aufgrund der Subsidiarität der Inanspruchnahme eines Nichtstörers müßten sie nur häufiger selbst handeln und die Gefahrenabwehr in die eigenen Hände nehmen. Dafür, daß mit der beobachteten Tendenz der rechtspolitische Wille verbunden ist, ein konsequent transformiertes, von seinen Härten und Rigorismen befreites Gefahrenabwehrrecht einzuführen, gibt es wenig Anhaltspunkte. Einzig in der Diskussion um die Begrenzung der Zustandshaftung für Altlasten könnte ein Hinweis in diese Richtung gesehen werden. Doch zum einen handelt es sich um eine thematisch eng umrissene Diskussion, die nicht den Anspruch auf Generalisierung erhebt und sich gänzlich auf die Zustandsverantwortlichkeit beschränkt; zum anderen stößt sie in der sonst für die Subjekti vierungstendenz eher offenen Rechtsprechung auf größte Zurückhaltung. Gegenüber dem Altlastenproblem wird die grundsätzliche Objektivität der polizeilichen Verantwortlichkeit vielmehr betont und nur angesichts von Extremfällen die Möglichkeit einer Opfergrenze in Betracht gezogen.292 Auch die Altlastendiskussion drängt nicht auf eine grundsätzliche Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit. 293 292 BVerwG, N V w Z 1991, 475; OVG Koblenz, NVwZ 1987, 240; OVG Koblenz, NVwZ 1992, 499/500; VGH Mannheim, VB1BW 1997, 110 f.; OVG Münster, 3.6.1997 5 A 4/96; vgl. Seibert, DVB1. 1992, 664/672 m.w.N. 293 So kann Selmer, in: GS Martens, S. 482/486 auch im Hinblick auf die Altlastendiskussion feststellen: „ I m wesentlichen besteht Einigkeit auch darüber, daß es für das

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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Nicht nur die höheren Kosten eines subjekti vierten Modells - Vornahme der Gefahrenabwehr durch und auf Kosten der Verwaltung, Entschädigungszahlungen - lassen es als rechtspolitische Leitvorstellung unattraktiv erscheinen. Letztlich sperrt sich auch der zur Rechtfertigung der Subjektivierung angeführte Effektivitätsgedanke gegen eine um Verschuldensaspekte erweiterte Dogmatik. Gerade der für den präventiven Rechtsgüterschutz erforderlichen Effektivität des Gefahrenabwehrrechts ist geschuldet, daß der Staat den Bürger mit Maßnahmen und Kosten überzieht, ohne nach Gut und Böse, Schuld oder Unschuld zu fragen. Präventiver Rechtsgüterschutz ist gegenüber subjektiven Aspekten indifferent. Wenn ein Rechtsgut objektiv gefährdet ist, ist es für das Ziel der Schadensprävention unerheblich, ob der Schaden aufgrund von Sorgfaltspflichtverstößen oder gar Schädigungsvorsatz zu erwarten ist. Die Aufklärung von Verschuldensgesichtspunkten kann zur Prävention des Schadens nichts beitragen. Subjektive Gesichtspunkte stehen in keiner Beziehung zum Zweck des Gefahrenabwehrrechts. Dies ist anders für andere Rechtsgebiete, in denen andere Zwecke verfolgt werden. 294 Im Strafrecht, in dem es nur noch um die gesellschaftliche Reaktion auf eingetretene Schadensfälle geht, sind Feststellungen zum Verschulden für den Zweck des Strafrechts konstitutiv. Mit dem Strafrecht soll gerade individuelle Schuld geahndet werden. Im Zivilrecht, das die wirtschaftliche Zuordnung von Schäden regelt, ist das Verschulden häufig der Maßstab, anhand dessen die Zuordnung erfolgt. Zwar ist dieser Maßstab insofern kontingent, als die Zuordnung von Schäden auch nach anderen Kriterien erfolgen kann. Aber er erfüllt für die Zuordnung von Schäden die notwendige Funktion des Zuordnungskriteriums. Verschuldensaspekte sind aber für den Zweck des Gefahrenabwehrrechts weder konstitutiv, noch erfüllen sie eine für diesen Zweck notwendige Funktion. Für den Zweck des Gefahrenabwehrrechts ist einzig das Vorliegen einer Gefahr konstitutiv. Schon das Erfordernis der unmittelbaren Verursachung, das der polizeilichen Verantwortlichkeit zugrunde liegt, widerspricht dem Gefahrenabwehrzweck. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß es, wenn es darauf ankommt, aufgrund der Regeln über den polizeilichen Notstand aufgegeben wird. Wenn eine Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann, kommt es auf die Verantwortlichkeit des Inanspruchgenommenen letztlich nicht an. Das Verantwortlichkeitserfordernis noch mit Verschuldensgesichtspunkten anzureichern, würde dem Zweck des Gefahrenabwehrrechts noch mehr widerstreben. Ferner ist auch die Einfuhrung von Sorgfaltspflichtgesichtspunkten für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns unkonventionell. Der Entstehen der Polizeipflicht nicht darauf ankommt, ob den potentiell Pflichtigen ein (privat- oder strafrechtliches) Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) trifft." 294 Zu den unterschiedlichen Funktionen und Prinzipien anderer Rechtsgebiete im Verhältnis zum Gefahrenabwehrrecht auch Griesbeck, Materielle Polizeipflicht, S. 76 f.

1 0 6 Z w e i t e r Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr Rechtsstaat tritt dem Bürger grundsätzlich objektiv gegenüber. Die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns beurteilt sich nicht nach den subjektiven Interessen, Absichten, Ambitionen und Kenntnissen des jeweiligen Amtswalters, sondern nach den objektiven Gegebenheiten. Rechtsstaat ist kein personales Herrschafts Verhältnis, sondern auf Objektivität gegründete Ordnung. Auch wenn sich die Tendenz zur Subjektivierung von Eingriffstatbeständen auszudehnen scheint, ist eine grundsätzliche Distanzierung von dem objektiven rechtsstaatlichen Paradigma noch nicht ersichtlich. Unsere Rechtsordnung verfügt vielmehr über andere Einrichtungen, die die Subjektivität der Amtshandlung aufarbeiten. An erster Stelle sind das Disziplinar- und Amtshaftungsrecht zu nennen. In das Rechtmäßigkeitsurteil geht die Subjektivität der Amtshandlung grundsätzlich nicht ein. Rechtswidrigkeit mag ein Verschulden indizieren, nicht aber setzt Rechtswidrigkeit Verschulden voraus. Die Subjektivierung der Rechtswidrigkeit hoheitlichen Handelns bedeutet letztlich eine Entdifferenzierung unseres rechtlichen Instrumentariums. Daß auch von den Protagonisten des Subjektivierungstrends keine Transformation des Gefahrenabwehrrechts erstrebt wird, zeigt sich auf der sogenannten Sekundärebene darin, daß die Entscheidung über die Verteilung der Lasten einer Gefahrenabwehrmaßnahme wieder nach „wirklicher Gefahr" und „wirklicher Verantwortlichkeit" gefällt wird. 295 Letztlich zählt nicht Schein, Anschein und Verdacht, sondern die wirkliche Gefahr und die wirkliche Verantwortlichkeit. Die Rückkehr des Verdrängten weist auf den Kern. Das Gefahrenabwehrrecht, auch das Gefahrenabwehrrecht derjenigen, die die Subjektivierung tragen, orientiert sich letztlich immer noch an der „wirklichen" und nicht der scheinbaren Gefahr und Verantwortlichkeit. Die Subjektivierungen sind nicht als Schritte auf dem Weg zur Transformation des Gefahrenabwehrrechts rechtspolitisch gewollt. Sie sind vielmehr den Problemen geschuldet, denen sich das ursprünglich objektive Programm gegenüber Anscheins- und Verdachtssituationen ausgesetzt sieht. Die auf einem objektiven Gefahrbegriff aufbauende Dogmatik des Preußischen Oberverwaltungsgerichts wurde nicht soweit entwickelt, daß von ihr besonders für den Gefahrverdacht Ergebnisse erwartet wurden, die allgemein konsentierten Effektivitätsanforderungen genügen. Die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts ist nur der bislang entwickelteste Versuch, die Verlegenheit des objektiven Gefahrenabwehrrechts hinter einer dogmatischen Fassade zu verbergen. In den anderen Vorschlägen, etwa der außergesetzlichen Befugnis im Rückgriff auf Art. 20 Abs. 3 GG, wird die Verlegenheit offenbar. In der Unterscheidung von 295

Eine Aunahme bildet insoweit Schink, DVB1. 1989, S. 1182/1187, der einen Ersatzanspruch bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht auch dann grundsätzlich ausschließen will, wenn sich herausstellt, daß keine Gefahr vorgelegen hat.

Β. Ursachen und Gründe der Subjektivierung

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Primär- und Sekundärebene bleibt sie aber auch im Rahmen der Subjektivierung sichtbar. Die Subjektivierung, die nicht die Transformation des Gefahrenabwehrrechts sucht, wird immer nur zu einer gebrochenen, in ihren Begriffen inkonsistenten Dogmatik geraten. Wissenschaftstheoretisch trägt sie den Charakter einer Ad-hoc-These 296. Sie wird allein zur Bewältigung eines dogmatischen Problemfalls entwickelt und schon auf der Sekundärebene zurückgenommen. Im Rechtssystem allgemein hatte sie bislang keine Parallele. Die Subjektivierung, auf die das Gefahrenabwehrrecht zugetrieben ist, ist in ihren Konsequenzen nicht gewollt und in ihren Ursachen keinen sachlichen Zwängen, sondern einer dogmatischen Verlegenheit geschuldet. Dabei macht die Verlegenheitslösung Karriere. Auch für andere Rechtsgebiete wird versucht, dogmatische Schwierigkeiten mit der Unterscheidung von Ex-ante- und Ex-post-Perspektiven, Primär- und Sekundärebenen zu lösen. So wird im Verwaltungsvollstreckungsrecht für die Beurteilung der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Verwaltungsakte vorgeschlagen, die Unterscheidung von Primär- und Sekundärebene aus der „modernen Dogmatik des Polizeirechts" 297 zu übernehmen. Während für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vollstreckung die pflichtgemäße Überzeugung der Behörde von der Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsakts ausreiche (Primärebene), sei für die Frage der Kosten der Vollstreckung auf die tatsächliche Rechtslage abzustellen (Sekundärebene). 298 Immer dort, wo das positive Recht durch die tatbestandliche Verknüpfung unterschiedlicher Rechtsfolgen vor Problemen steht, kann der Knoten mit der Unterscheidung verschiedener Ebenen durchschlagen werden, auf denen identische Tatbestandsmerkmale für einzelne Rechtsfolgen unterschiedlich interpretiert werden. Daneben findet sich der Gedanke, auch grundsätzlicher für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns nicht mehr auf die objektive Sachlage abzustellen, sondern die verständige Beurteilung der Behörde zugrunde zu legen. So wird allgemein für die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine auf die Perspektive der Behörde beschränkte Rechtmäßigkeitskontrolle gefordert. 299 Es kommt danach nicht mehr darauf an, ob ein Grundrechtseingriff geeignet ist, sondern nur noch darauf, ob die Behörde ihn für geeignet halten durfte. Daß die Tendenz, von den 296

Zu dogmatischen Ad-hoc-Thesen, Canaris, JZ 1993, 377/ 387 Heckmann, VB1BW 1993, 41/44. 298 Ebd. 43 f. 299 Dill, Amtsermittlung, S. 101; Schenke/Ruthig, VerwArch. 1996, 329/336 Fn. 23; Schioer, Polizeirecht, S. 154 f.; für das Gefahrenabwehrrecht als Konsequenz der Subjektivierung des Gefahrbegriffs auch BVerwG, NJW 1975, 2158/2159, allgemein ausdrücklich anders etwa BVerwGE 26, 131/133: Nicht erlaubt ist ein Mittel, „das objektiv nicht ... geeignet ist, den erstrebten Erfolg zu erreichen" - Hervorhebung durch den Verfasser. 297

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Zweiter Teil: Die Subjektivierung des Rechts der Gefahrenabwehr

subjektiven Bedingungen jeder Rechtsanwendung auf die Subjektivität des Rechtmäßigkeitsmaßstabs zu schließen, vom Gefahrenabwehrrecht aus generalisiert, ist nicht ohne innere Stimmigkeit. Die Polizei gilt als die klassische Eingriffsverwaltung. Was der klassische Eingriffsverwaltung recht ist, kann anderen Verwaltungungsbereichen nur billig sein.

C. Resümee und Ausblick Im Blick zurück lassen sich die einzelnen Versuche zur Überwindung der Probleme eines objektiven Gefahrenabwehrrechts auf einer höheren Abstraktionsebene als Bemühungen beschreiben, eine zusätzliche Differenzierung in das System des positiven Rechts einzuführen: gesetzlich - außergesetzlich, objektiv subjektiv, ex ante - ex post, Primär- und Sekundärebene, Gesetz - Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), endgültiger - vorläufiger Verwaltungsakt. Die positivrechtlichen Vorgaben des Gefahrenabwehrrechts scheinen der Komplexität einer Gefahrenabwehr nicht angemessen, die selbstverständlich vorausgesetzten Effektivitätsanforderungen genügen soll. Dem positivierten System des Gefahrenabwehrrechts scheint eine Stelle zu fehlen. Dabei ist auffällig, daß gerade die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts zur Einebnung einer Differenzierung führt, die in unserer Rechtsordnung angelegt und regelmäßig berücksichtigt wird. Indem das Rechtswidrigkeitsurteil von einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten des Beamten abhängig gemacht wird, wird die Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und objektiver Pflichtwidrigkeit eingezogen. Uns ist aber generell vertraut, zwischen der Rechtswidrigkeit eines Hoheitsakts und der Pflichtwidrigkeit der Diensthandlung des Beamten zu unterscheiden. Unser Amtshaftungs- und Disziplinarrecht baut auf dieser Unterscheidung auf. Nicht auf das Gefahrenabwehrrecht bezogen, aber doch allgemein und entsprechend warnte schon Jellinek, daß „es ... nur die Rechtslage verwirren , wenn man den schuldlos rechtswidrigen Eingriff den rechtmäßigen Eingriffen beizählt." 300 Zur Verdeutlichung weist er auch für die Verwaltung auf das Beispiel des Strafrichters hin. „Hat er aber irrtümlich einen Unschuldigen verurteilt, so würde der gesunde Menschenverstand es nie begreifen, wenn man ein solches

300

Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 328. Jellineks These vom „großenVorrecht des Staates, irren zu dürfen" (ebd. S. 21) bezieht sich zum einen auf die Wirksamkeit auch rechtswidriger Verwaltungsakte und zum anderen auf den Ausschluß des Widerstandsrechts gegenüber rechtswidrigem, aber pflichtgemäßem hoheitlichem Handeln durch §113 StGB (ebd. S. 292-294; entsprechend auch Mayer, Verwaltungsrecht, S. 300). Das Irrtumsprivileg des Staates fuhrt bei Jellinek aber nicht zur Rechtmäßigkeit irrtümlich rechtswidriger Staatsakte. Dies verkennt Schröder, Das „Irrtumsprivileg" des Staates, S. 7.

C. Resümee und Ausblick

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Fehlurteil als rechtmäßigen Eingriff bezeichnen wollte." 301 Dieses Urteil des „gesunden Menschenverstandes" wurde in der dogmatischen Entwicklung des Gefahrenabwehrrechts zunehmend suspendiert. In den Anfängen des Gefahrenabwehrrechts lag ein solcher Schritt wohl deshalb noch fern, weil die Unterscheidung über das Konfliktverfahren institutionalisiert war. Die Prüfung der Rechtswidrigkeit des Hoheitsakts erfolgte im Verwaltungsstreit, die Prüfung der objektiven Pflichtwidrigkeit des dienstlichen Verhaltens im Konfliktverfahren. Bei hinreichender Abstraktion ist die Subjektivierung paradox: Sie führt eine Unterscheidung in das Gefahrenabwehrrecht ein, indem sie zugleich eine Unterscheidung nivelliert. Dieser Befund muß trotz seiner Abstraktheit stutzig machen. Wenn eine den allgemeinen Effektivitätserwartungen ausreichende Dogmatik durch die Einführung einer Differenzierung geleistet werden kann, die gleichzeitig eine Differenzierung aufhebt, scheint es nicht die Komplexität des1 positiv-rechtlichen Systems als solche zu sein, die einer objektiven Dogmatik im Wege steht. Denn das Komplexitätsniveau ist vor und nach der Subjektivierung gleich. Es könnte nur sein, daß sich die mit der Subjektivierung aufgelöste Unterscheidung nicht in einem Sinne handhaben läßt, der die Lösung der dogmatischen Probleme etwa von Anscheins- und Verdachtslagen erlaubt. Die dogmatischen Potentiale der Differenzierung zwischen der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme und der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Beamten sind aber für die Konstruktion einer objektivierten Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts noch nicht erschöpfend untersucht worden. Sollte sich zeigen, daß sich die Unterscheidung für die dogmatische Bewältigung von Anscheins- und Verdachtslagen fruchtbar machen läßt, so erschiene die Subjektivierung gleich in mehrfacher Hinsicht als ein defizitärer dogmatischer Ansatz. Dies nicht nur deshalb, weil sie mit inkonsistenten Begriffen arbeiten muß und einen Rechtmäßigkeitsstandard einführt, der „dem gesunden Menschenverstand" widerspricht, sondern auch, weil sie ohne Rücksicht auf begriffliche Konsistenz eine Differenzierung einebnet, mit deren Hilfe sich die Probleme bewältigen ließen. Die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts böte eine begrifflich inkonsistente Lösung für Probleme, die sich erst durch die Subjektivierung als unlösbare stellen.

301

Ebd.

Dritter Teil

Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr umfaßt mehr als nur die Normen des materiellen Gefahrenabwehrrechts und die Ausgestaltung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. In der Auseinandersetzung mit der Verhaltenssteuerungsfunktion des Rechts wurde deutlich, daß das materielle Recht in ein System verfahrensrechtlicher Normen eingebettet ist, das das Verhalten der Rechtsbehelfsinstanzen, des handelnden Beamten und des betroffenen Bürgers differenziert steuert. Eine Untersuchung des dogmatischen Systems des Rechts der Gefahrenabwehr muß zwischen der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme und dem damit verbundenen Rechtswidrigkeitsurteil, der Bewertung des Verhaltens des Beamten und dem damit verbundenen Pflichtwidrigkeitsurteil sowie den Verhaltenspflichten des von der Maßnahme Betroffenen unterscheiden. Aus der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme durch die Rechtsbehelfsinstanzen allein kann noch nicht auf die Verhaltenspflichten des Beamten oder des von der Maßnahme betroffenen Bürgers geschlossen werden. Im dogmatischen System des Rechts der Gefahrenabwehr ist die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme in erster Linie für die Entscheidung der Rechtsbehelfsinstanzen über die Aufhebung der Maßnahme, Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche maßgeblich. Aus dem Rechtswidrigkeitsurteil der Rechtsbehelfsinstanzen folgt hingegen noch nicht zwingend, daß der Beamte pflichtwidrig handelte, als er die Maßnahme ergriff, oder daß der betroffene Bürger die Maßnahme nicht dulden mußte. Erst wenn das Zusammenspiel der unterschiedlichen Regelungsaspekte in den Blick genommen wird, ergibt sich das vollständige Bild des dogmatischen Systems. Das in diesem umfassenderen Sinne zu entwickelnde dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr muß neben systematischen auch unterschiedlichen praktischen Anforderungen genügen. Einerseits muß die dogmatische Ausgestaltung der einzelnen Elemente des materiellen Gefahrenabwehrrechts so ausfallen, daß sie im Rahmen ihrer positiv-rechtlichen Verknüpfung zu befriedigenden Ergebnissen hinsichtlich des Rechtswidrigkeitsurteils und der daran anknüpfenden Aufhebungs-, Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche führt. Andererseits darf sich die objektive Interpretation des materiellen Gefahrenab-

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

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wehrrechts nicht so auf die Verhaltenspflichten des Beamten und des von der Gefahrenabwehrmaßnahme betroffenen Bürgers auswirken, daß die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane durch einen Pflichtwidrigkeits- oder gar Strafvorwurf oder ein Widerstandsrecht des Betroffenen in einer Weise beschränkt wird, die die Effektivität des Rechtsgüterschutzes beeinträchtigt. Von den Beamten kann nicht erwartet werden, sich in Anscheins- und Verdachtssituationen dem Risiko einer disziplinarischen oder sogar strafrechtlichen Sanktion auszusetzen. Entsprechendes gilt für die Verhaltenspflichten des Bürgers. Nur soweit die Gefahrenabwehrorgane nicht mit einem legalen Widerstand des Betroffenen rechnen müssen, kann von ihnen erwartet werden, Gefahrenabwehrmaßnahmen zu ergreifen. Selbst wenn sie nicht disziplinarisch oder strafrechtlich verantwortlich gehalten werden könnten, würde die Einsatzbereitschaft gemindert, wenn die Betroffenen gegenüber Anscheins- und Verdachtsmaßnahmen keine Duldungspflichten hätten, sondern auf ihre Notrechte zurückgreifen dürften. Dem Anforderungsprofil folgt die Ausarbeitung einer objektiv ansetzenden Dogmatik. Zunächst wird ein objektives Verständnis der einzelnen Elemente des materiellen Gefahrenabwehrrechts entwickelt und die Bedeutung des objektiven Ansatzes für die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme sowie für die Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche untersucht. Dem Abschnitt obliegt in erster Linie eine Klärung und präzise Bestimmung des Gefahrbegriffs und die Entfaltung einer Dogmatik, die den positiv-rechtlichen Verknüpfungen der einzelnen Elemente des Gefahrenabwehrrechts Rechnung trägt. Aber mit einer begriffliche Konsistenz wahrenden Dogmatik der Gefahrenabwehrmaßnahme sind die Hauptprobleme des Gefahrenabwehrrechts noch nicht gelöst. Sie liegen weniger bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme als in der Wahrung der Handlungsfähigkeit der Beamten angesichts von Anscheins- und Verdachtslagen. Ob eine reobjektivierte Dogmatik sich auch Anscheins- und Verdachtssituationen bewährt, zeigt sich nicht schon bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme, sondern erst an den disziplinarischen und strafrechtlichen Verhaltenspflichten der Beamten sowie an den korrespondierenden Verhaltenspflichten der betroffenen Bürger. Diesen beiden für die Effektivität der Gefahrenabwehr zentralen Aspekten sind die zwei Abschnitte gewidmet, die der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme folgen. Erst in diesen beiden Abschnitten können die Probleme behandelt werden, die die um die Effektivität der Gefahrenabwehr besorgte Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts motiviert haben. Ein Vorschlag für ein dogmatisches System des Rechts der Gefahrenabwehr muß sowohl bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme als auch hinsichtlich der für die Effektivität der Gefahrenabwehr maßgeblichen Verhaltenspflichten der Beamten und der betroffenen Bürger überzeugen.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

A. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme Jedes dogmatische Konzept des materiellen Gefahrenabwehrrechts muß seinen Ausgang in der genaueren Bestimmung des Begriffs der Gefahr nehmen. Die Darstellung der positiv-rechtlichen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen des materiellen Gefahrenabwehrrechts hatte bereits gezeigt, daß nicht nur alle weiteren Tatbestandsmerkmale an das Vorliegen einer Gefahr anknüpfen, sondern sich auch die unterschiedlichen Rechtsfolgen an der Gefahr scheiden. Ist der Grund mit dem Gefahrbegriff gelegt, so ist in einem zweiten Schritt zunächst zu zeigen, was dies für die Ausgestaltung der anderen dogmatischen Elemente des Gefahrenabwehrrechts und ihre Verknüpfungen bedeutet. Es ist jeweils aufzuzeigen, was der zuvor entwickelte Gefahrbegriff nicht nur für den Normalfall, sondern auch in den Problemfällen der Anscheinsgefahr und des Gefahrverdachts bedeutet, wie Anscheins- und Verdachtsverursachung zu bewerten sind. Auf der Ebene der Rechtsfolgen wird zu klären sein, wie die umstrittenen Gefahrerforschungseingriffe einzuordnen sind und wie sich für die problematischen Konstellationen Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche verteilen. Die rechtliche Bewertung jeder Gefahrenabwehrmaßnahme muß aber im Gefahrbegriff ihren Ausgang nehmen.

I. Der Begriff der Gefahr Als Gegenentwurf zum subjektiven läge ein objektiver Gefahrbegriff nahe. Doch das Naheliegende ist durch die wissenschaftstheoretische Reflexion zum epistemischen, das heißt notwendig auf einen Erkenntnishorizont bezogenen, Charakter des Wahrscheinlichkeits- und damit auch des Gefahrbegriffs problematisch geworden. Wenn Wahrscheinlichkeit und Gefahr ein epistemisches Element enthalten, kann die Objektivität des Gefahrbegriffs jedenfalls nicht die Objektivität meinen, die wir bei Existenzaussagen etwa über körperliche Gegenstände verwenden. Doch wenn die Objektivität des Gefahrbegriffs nicht diese Objektivität meinen kann, was genau wird dann mit der Rede von der Objektivität des Gefahrbegriffs, von der wirklichen oder tatsächlichen Gefahr ausgedrückt? Wie kann das, was auch die Anhänger eines subjektiven Gefahrbegriffs als wirkliche, tatsächliche oder objektive Gefahr bezeichnen, beschrieben werden? Das epistemische Element des Wahrscheinlichkeits- und damit auch des Gefahrbegriffs liegt in seiner Relativität zu einem bestimmten Wissenshorizont. Wahrscheinlichkeits- und Gefahrurteile lassen sich nicht objektiv, sondern nur

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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relativ zu einem bestimmten Wissenshorizont sinnvoll formulieren. 1 Für jeden Gefahrbegriff muß ein seinem Wahrscheinlichkeitselement zugrundegelegter Wissenshorizont angegeben werden. Insoweit ist der subjektive Gefahrbegriff zutreffend konstruiert. Mit der Perspektive eines pflichtgemäßen Amtswalters gibt er einen solchen Wissenshorizont an. Am subjektiven Gefahrbegriff ist nicht problematisch, daß er einen Wissenshorizont festlegt, sondern welchen. Daß ein Wissenshorizont angegeben werden muß, bedeutet nicht, daß es der des handelnden Beamten sein muß. Vielmehr widerspricht es unserem Alltagssprachgebrauch, von einer Gefahr zu reden, wenn die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur aus der Perspektive des Betroffenen - und sei es schuldlos - angenommen wird. 2 Zielt jemand mit einem Besenstiel auf einen anderen, der unvermeidlich davon ausgeht, daß es sich um ein Gewehr handelt, so reden wir nicht davon, daß er sich in Lebensgefahr befand, daß er noch einmal Glück gehabt habe, daß es noch einmal gut gegangen sei, sondern davon, daß er sich getäuscht habe, daß er auf einen - unter Umständen bösen - Scherz hereingefallen sei. Doch auch für den Gefahrbegriff, der unserem Alltagssprachgebrauch zugrunde liegt3 und der auch von den Vertretern eines subjektiven Gefahrbegriffs in Bezug genommen wird, wenn von der tatsächlichen oder der wirklichen Gefahr die Rede ist, muß ein Wissenshorizont konstruiert werden. Bei der Rekonstruktion dieses sogenannten objektiven Gefahrbegriffs können verschiedene Aspekte oder Dimensionen des maßgeblichen Wissenshorizonts unterschieden werden, die in der Diskussion immer wieder angesprochen und selten deutlich voneinander unterschieden werden. 4 Mit der Unterscheidung von Ex-ante- und Ex-post-Perspektive wird die zeitliche Dimension des Wissenshorizonts thematisiert. Für jeden Gefahrbegriff muß ein Zeitpunkt festgelegt werden, der dem Wahrscheinlichkeitsurteil über den Schadenseintritt zugrunde gelegt wird. Von dem zeitlichen Aspekt des Wissenshorizonts läßt sich die Perspektive unterscheiden, aus der der Wissenshorizont bestimmt wird. So schlagen etwa die 1

S. erster Teil: C. II. 1.; vgl. auch Davy, Gefahrenabwehr im Anlagenrecht, S. 361-372; Davy/Davy, Polizeigewalt, S. 131, für die ein „Beurteilungshorizont" konstitutives Merkmal des Gefahrbegriffs ist. 2 Gerade wenn die Entwicklung des Gefahrbegriffs bei einer „Analyse der normalen Sprache" ansetzt, scheint es nicht plausibel, ihn subjektiv zu definieren. So aber Davy, Gefahrenabwehr, S. 298-306; Davy/Davy, Polizeigewalt, S. 128, 131. 3 Die mangelnde Übereinstimmung des subjektiven Gefahrbegriffs mit dem allgemeinen Sprachgebrauch rügen für das Strafrecht auch Dimitratos, Begriffsmerkmal der Gefahr, S. 39; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 211. 4 Vgl. aber Davy, Gefahrenabwehr im Anlagenrecht, S. 362 f., der zwischen einem zeitlichen, inhaltlichen und anwendungsorientierten Aspekt des Gefahrbegriffs unterscheidet, sowie Deutsch, in: FS Larenz, S. 885/890-893, der zwischen einem zeitlichen, räumlichen und persönlichen Aspekt differenziert. 8 Poscher

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr Vertreter eines subjektiven Gefahrbegriffs die Perspektive des pflichtgemäß handelnden Beamten vor. Für den objektiven Gefahrbegriff hingegen muß von einer näher zu beschreibenden objektiven Perspektive ausgegangen werden. Dieser Aspekt des Wissenshorizont soll hier der perspektivisch-personelle genannt werden. Der Streit um den Gefahrbegriff wird in erster Linie um den perspektivisch-personellen Aspekt des dem Gefahrbegriff zugrundeliegenden Wissenshorizonts geführt. Letztlich soll der Wissenshorizont auch noch in der sachlichen Dimension präzisiert werden. In der sachlichen Dimension soll diskutiert werden, auf welchem sachlichen Wissensniveau der Wissenshorizont angesiedelt wird. Gleich aus welcher Perspektive der Wissenshorizont bestimmt wird, kann er unterschiedlich ausfallen, je nach dem, ob etwa der Stand der Wissenschaft oder das Alltagswissen maßgeblich sein soll. In der Diskussion des Gefahrbegriffs wird dieser Aspekt berührt, wenn darauf abgestellt wird, daß ein Schadensemtritt nach der Alltagserfahrung und nach Alltagstheorien wahrscheinlich sein muß.

1. Die zeitliche Dimension Ohne zeitlichen Fixpunkt ist ein stabiles Wahrscheinlichkeitsurteil nicht möglich 5 . Im Zeitablauf fallen Informationen an, die den Wissenshorizont beeinflussen. Ist aber das Wahrscheinlichkeitsurteil relativ zu einem Wissenshorizont, so verändert sich auch das Wahrscheinlichkeitsurteil, soweit im Zeitablauf weitere - im Sinne des Hempelschen Spezifikationsgrundsatzes 6 relevante Informationen anfallen. So erklärt sich, daß Wahrscheinlichkeitsüberlegungen bezüglich desselben Ereignisses von unterschiedlichen Zeitpunkten aus zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die Antwort auf die an Weihnachten gestellte Frage, ob für Ostern Regen wahrscheinlich ist, kann sich in Methode und Ergebnis grundsätzlich von der Antwort auf die am Karfreitag gestellte Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines verregneten Wochenendes unterscheiden. So unterschiedlich der für ein Wahrscheinlichkeitsurteil maßgebliche Wissenshorizont auch angesetzt werden kann, ist doch allen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen gemein, daß sie das zu beurteilende Ereignis nicht grundsätzlich in den Wissenshorizont aufnehmen können. Würde das Eintreten oder Ausbleiben des Ereignisses in den Wissenshorizont aufgenommen, ließen sich Aussagen immer mit Sicherheit, nicht nur mit Wahrscheinlichkeit treffen. Für das Gefahrurteil bedeutet dies, daß eine Ex-post-Perspektive derart, daß die

5 6

Diesen Aspekt des Gefahrurteils betont Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 77-81. Zum Hempelschen Spezifikationsgrundsatz s.o. erster Teil Β I.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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Kenntnis über den Eintritt oder das Ausbleiben des befürchteten Ereignisses in den Wissenshorizont mit einbezogen wird, keinen sinnvollen Bezug zum Wahrscheinlichkeitsbegriff mehr aufweist. Wenn ex post bereits bekannt ist, daß ein Ereignis eingetreten oder ausgeblieben ist, ist es sinnlos davon zu sprechen, daß dieses Ereignis wahrscheinlich ist. Es läßt sich immer noch sinnvoll behaupten, daß das Ereignis wahrscheinlich war. Doch damit wird wieder der Bezug zu einem Wissenshorizont hergestellt, in den das Ereignis selbst noch nicht eingegangen ist.7 Für den Gefahrbegriff des Gefahrenabwehrrechts bedeutet dies, daß der Wissenshorizont, auf den das Gefahrurteil bezogen wird, immer ein Wissenshorizont ex ante zu dem befürchteten Ereignis sein muß. Es ist insoweit zumindest mißverständlich, wenn der objektive Gefahrbegriff mit einer Ex-postPerspektive in Verbindung gebracht wird. 8 Dies hatte schon das Preußische Oberverwaltungsgericht erkannt und deutlich hervorgehoben. Für das Gefahrurteil ist maßgeblich, „ob die Sachlage so, wie sie zur Zeit des Erlasses der Verfügung beschaffen war, sich bei objektiver Betrachtung als gefahrdrohend darstellte: trifft letzteres zu, so wird die Verfügung nicht deshalb nachträglich ungültig, weil die als gefahrdrohend beurteilte Sachlage tatsächlich irgendeine Schädigung der Allgemeinheit nicht im Gefolge gehabt hat." 9 Die objektive Betrachtung des Gerichts nimmt mit dem Zeitpunkt der Verfügung auf einen Wissenshorizont ex ante Bezug. Der Eintritt oder das Ausbleiben des Ereignisses ex post ist für das Gefahrurteil nicht maßgeblich. Die Tatsache, daß sich die Lawine nicht gelöst hat, schließt eine Lawinengefahr nicht aus. Im Nachhinein ist man zwar immer schlauer, doch der Lernerfolg läßt das Urteil über die Gefahr unberührt. In dem Zitat sagt das Preußische Oberverwaltungsgericht auch gleich, welcher Ex-ante-Zeitpunkt maßgeblich sein soll: der Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung. Eine Gefahrenabwehrmaßnahme kann danach immer dann rechtmäßig ergehen, wenn relativ zum Wissenshorizont im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich war. Diese Aussage, die in dem vom Preußischen Oberverwaltungsgericht zu entscheidenden Fall und 7

Dies schließt retrospektive Wahrscheinlichkeitsurteile nicht aus. Doch auch bei retrospektiven Wahrscheinlichkeitsurteilen darf das Ereignis über dessen Wahrscheinlichkeit eine Aussage gemacht werden soll, nicht in den Wissenhorizont aufgenommen werden. So kann sinnvoll danach gefragt werden, ob aufgrund von Indizien ein vergangenes Ereignis wahrscheinlich stattgefunden hat. Es läßt sich indes nicht sinnvoll fragen, ob aufgrund der Kenntnis eines vergangenen Ereignisses, dieses Ereignis auch wahrscheinlich war. 8 Erichsen/Wernsmann, Jura 1995, S. 219/221 f.; Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. L, Rn. 8; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 542. 9 PrOVGE 93, 87/91 f. - Hervorhebung durch den Verfasser.

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr vielleicht sogar in der Regel zutreffen mag, läßt sich indes noch etwas präzisieren. Es sind Fälle denkbar, in denen zwar zu einem Zeitpunkt ex ante nach dem relevanten Wissen die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts gegeben ist, aber durch die Gefahrenabwehrorgane mit der Gefahrenabwehrmaßnahme noch zugewartet werden kann, ohne daß das Einschreiten zu spät käme. So könnte etwa in einem Skigebiet bereits am Montag die hohe Wahrscheinlichkeit einer Lawine für das Wochenende gegeben sein, und die Gefahrenabwehrbehörden dies zum Anlaß nehmen, bereits am Dienstag die Sperrung des Gebiets für das Wochenende zu verfügen, obwohl eine Sperrung am Freitag noch rechtzeitig käme, um einen Schadensfall sicher zu vermeiden. Träten nun Mittwoch oder Donnerstag unerwartete Umstände ein, die die Lawinenwahrscheinlichkeit für das Wochenende unter die Gefahrschwelle fallen ließen, so stellte sich die Frage, ob die Verfügung vom Dienstag rechtmäßig war. Wird allein auf den Zeitpunkt der Verfügung abgestellt, so müßte die Rechtmäßigkeit des Verbots bejaht werden, denn zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung war die Lawinenwahrscheinlichkeit noch hoch. Es besteht jedoch kein Grund, die Gefahrenabwehrorgane zu voreiligem Handeln zu motivieren. Die Gefahrenabwehrorgane müssen in ihrer Arbeit der Zeitabhängigkeit der Wahrscheinlichkeit Rechnung tragen. Wenn zwar eine hinreichende Schadenseintrittswahrscheinlichkeit vorliegt, aber noch zugewartet werden kann, ohne die Gefahrenabwehrchancen zu verschlechtern, tragen die Gefahrenabwehrorgane auf dem schwankenden Boden der Wahrscheinlichkeit das Risiko des Wegfalls der hinreichenden Bedingungen. Der maßgebliche Zeitpunkt des Ex-ante-Wissenshorizonts ist der Zeitpunkt der Gefahrenabwehrmaßnahme nur, wenn mit der Maßnahme nicht mehr abgewartet werden kann, ohne daß sich die Gefahrenabwehrchancen verschlechtern. Der Zeitpunkt, in dem sich hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit und letztmögliche sichere Schadensabwehrmöglichkeit kreuzen, ist der Zeitpunkt, auf den sich der für das Gefahrurteil maßgebliche Wissenshorizont bezieht. Auf das Wissen in diesem Zeitpunkt kommt es für die Ex-anteBeurteilung der Gefahr an. 10 Die zeitliche Relativität des Wissenshorizonts führt zu Schwankungen im Wahrscheinlichkeitsurteil. Was einmal eine Gefahr war, muß zu einem anderen Zeitpunkt keine Gefahr mehr sein und umgekehrt. Wahrscheinlichkeitsurteile beruhen auf einer Kombination von Tatsachen- und Erfahrungssatzwissen. Bei Gefahrbeurteilungen wird von Tatsachen mit Hilfe von Erfahrungssätzen auf die 10 Die Festlegung des Zeitpunkts für die Beurteilung der Gefahr anhand der Interpretation des materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmals entspricht auch der überwiegenden Ansicht zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung von Verwaltungsakten in der prozessualen Rechtsprechung und Literatur: BVerwG, NJW 1993, 1729/1730; N V w Z 1990, 653 f.; 1991, 360 f.; Mager, Der maßgebliche Zeitpunkt, S. 184-191; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 786-804 m.w.N.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts geschlossen. Sowohl unser Wissen um Tatsachen als auch unser Wissen um Erfahrungssätze ist einem zeitlichen Wandel unterworfen. So mögen Wissenschaftler feststellen, daß Gaseruptionen aus unter dem Meeresgrund liegenden Gasvorkommen für das mysteriöse Sinken von Schiffen im Bermudadreieck verantwortlich sind. Gäbe es nun Anhaltspunkte dafür, daß an anderen, aber unzugänglichen Stellen des Ozeans dieselbe Art von Gasfeldern mit derselben Art von Eruptionen existierten, so würde sich daraus für den Wissenshorizont ex ante eine Gefahr für den Schiffsverkehr ergeben. Erlaubten verbesserte Unterseeboote ex post eine Untersuchung der bislang unzugänglichen Stellen, und stellte sich heraus, daß entsprechende Gasfelder dort nicht existierten, so lag ex ante dieser neuen Tatsachenerkenntnis dennoch eine Gefahr vor. In die Fallgruppe des Auseinanderfallens von Tatsachenwissen ex ante und ex post lassen sich auch die Tollwutfälle fassen, die in den seuchenrechtlichen Entscheidungen immer wieder eine Rolle gespielt haben.11 Zumindest in den 60er Jahren war es Tiermedizinern nur durch erne Untersuchung des Hirngewebes, die eine Tötung der Tiere voraussetzte, möglich, eine Tollwutinfektion sicher festzustellen. Vor einem gefahrenabwehrrechtlichen Eingriff gegen die Eigentümer von Tieren, bei denen aufgrund anderer Tatsachen die Wahrscheinlichkeit einer Tollwutinfektion bestand, ließ sich jedenfalls mit dem tiermedizinischen Wissenshorizont der 60er Jahre die Tatsache der Tollwutinfektion nicht aufklären. Daß nach einer pathologischen Untersuchung des Hirngewebes ex post die Infektion aufgeklärt werden konnte, bedeutete nicht, daß ex ante, als eine solche Aufklärung nicht möglich war, keine Gefahr vorlag, wenn sich keine Erreger im Hirngewebe fanden. Auch hinsichtlich der Erfahrungssätze ist der Wissenshorizont zeitgebunden. So mag bislang beobachtet worden sein, daß der Verzehr bestimmter Früchte zuweilen zu Vergiftungen führt, weshalb die Früchte generell als gefährlich eingestuft worden sind. Wenn spätere medizinische Forschungen ergeben, daß die Früchte nur aufgrund bestimmter, neu entdeckter Stoffwechselzusammenhänge bei Rauchern zu Vergiftungen führen, wird damit ihre generelle Gefährlichkeit ex ante nicht angetastet. Die Kenntnis um die Stoffwechselzusammenhänge zwischen dem Verzehr der Früchte und dem Genuß von Nikotin gehörten nicht zu dem Wissen, das ex ante zur Verfügung stand. Unser Wissen um die Welt kann aber nicht nur zunehmen, sondern auch abnehmen. Gerade hinsichtlich unseres Tatsachenwissens findet nicht nur ein stetiger Ausbau, sondern auch ein Abbau von Informationen statt. So kann Wissen, das einmal zu unserem Wissensbestand gehörte, zu dem für die Gefah11

Etwa BGHZ 43, 196.

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr renabwehr maßgeblichen Zeitpunkt wieder entfallen sein. Durch den Wegfall von Wissen kann in einem Zustand eine Gefahr entstehen, in dem zuvor keine Gefahr bestanden hat. So mag in der unzugänglichen Meerestiefe ein gesunkenes Transportschiff liegen, das nach den bekannten Indizien Giftstoffe befördert haben soll. Werden die letzten Unterlagen, die einzig noch Auskunft über die Ladung geben konnten, vernichtet, bevor sie jemand zur Kenntnis nahm, so entsteht eine objektive Gefahr. Das Wissen um den Inhalt der Fässer wäre der Welt verloren gegangen. Es wäre zu dem für die Gefahrenabwehr maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr Bestandteil des Wissenshorizonts ex ante.

2. Perspektivisch-personelle

Dimension

Die zeitliche Festlegung des Wissenshorizonts fällt in den unterschiedlichen Gefahrbegriffen nicht auseinander. Auch nach dem subjektiven Gefahrbegriff entfällt eine Gefahr nicht allein dadurch, daß das befürchtete Ereignis nicht eingetreten ist. Unterschiedlich beantwortet wird nicht die Frage nach dem für den Wissenshorizont maßgeblichen Zeitpunkt, sondern das, was mit der perspektivisch-personellen Dimension des Wissenshorizonts bezeichnet sei. Für den subjektiven Gefahrbegriff wird auf die normativ-subjektive Perspektive des pflichtgemäß handelnden Gefahrenabwehrorgans abgestellt. Für den objektiven Gefahrbegriff läßt sich das maßgebliche Wissen hingegen mit einem objektiven, idealen Beobachter symbolisieren. 12 Weder eine individuell subjektive noch eine normativ subjektive, noch eine kollektive Perspektive sind entscheidend, sondern eine objektiv-ideale. Damit verfügt der objektive Beobachter über einen wesentlich weiteren Wissenshorizont als der handelnde Beamte und auch als der idealtypisch pflichtgemäß handelnde Beamte des subjektiven Gefahrbegriffs. Anders als ein kollektiver Beobachter verfügt er auch nicht nur über das psychisch empirisch vorliegende Wissen, sondern über alles Wissen, was idealer Weise ex ante erreichbar ist. 13 So sind etwa Tatsachen auch dann dem objektiven Wissensho-

12

Den idealen Beobachter erwähnt unter anderen auch Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 85, als eine mögliche maßgebliche Perspektive. 13 An dem perspektivisch nicht eingeschränkten Weltwissen im Sinne des Hempelschen Spezifikationsgrundsatzes richtet auch Kindhäuser, Gefährdung, S. 211, den strafrechtlichen Gefahrbegriff aus. Ohne Bezug auf Carnap oder Hempel, aber in der Sache ebenso Lenckner, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 14; Blei, Allgemeiner Teil, S. 150: „alle Gegenwartskenntnisse"; zu dem Streit um den strafrechtlichen Gefahrbegriff jeweils mit weiteren Nachweisen, Roxin, Allgemeiner Teil, § 16 Rn. 11-15; Jakobs, Allgemeiner Teil, § 13 Rn. 12 f.; für das Zivilrecht vgl. Deutsch, in: FS Larenz,

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

119

rizont zuzurechnen, wenn sie niemand wahrgenommen hat, sie mit dem Erkenntnisinstrumentarium der Zeit aber wahrnehmbar waren. Auch jede Art von Sonderwissen ist dem objektiven Beobachter zugänglich. In dem vorstehenden Beispiel des unzugänglich versunkenen Giftfrachters liegt auch dann keine Gefahr vor, wenn nur ein Matrose überlebt hat, der um die Ungefährlichkeit der Ladung weiß. 14 Der objektive Beobachter ist von allen situativen Erkenntnisbeschränkungen befreit. Daher können auch die Tatsachen und Erfahrungssätze herangezogen werden, die für die Gefahrenabwehrorgane aufgrund ihrer situativ begrenzten Erkenntnismöglichkeiten erst ex post erkennbar geworden sind. Mag das Gefahrenabwehrorgan zum Zeitpunkt des Eingriffs die maßgeblichen Tatsachen, die ihm den Ausschluß einer Gefahr erlaubt hätten, nicht mehr rechtzeitig klären können, oder mag dem Beamten der zutreffende Erfahrungssatz, nach dem eine Gefahr ausgeschlossen gewesen wäre, schuldlos nicht bekannt gewesen sein; in allen diesen Fällen liegt aus der Perspektive des objektiven Beobachters keine Gefahr vor. Damit sind die meisten Fälle, die unter den Begriffen Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht diskutiert werden, aus dem Gefahrbegriff ausgeschlossen. Wenn sich in Fällen der Anscheinsgefahr oder des Gefahrverdachts ergibt, daß vor dem Wissenshorizont des objektiven Beobachters ex ante keine Gefahr vorgelegen hat, dann lag auch keine Gefahr vor, wenn das Gefahrenabwehrorgan gute Gründe hatte, eine Gefahr anzunehmen. Dabei muß für die Frage der Rechtmäßigkeit des Eingriffs nicht zwischen einer Anscheinsgefahr und einem Gefahrverdacht, dem keine Gefahr zugrunde liegt, unterschieden werden. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs ist allein die Perspektive des objektiven Beobachters entscheidend. Entweder hat aus dieser Perspektive eine Gefahr vorgelegen oder nicht. Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht unterscheiden sich nur im Hinblick auf die subjektiven Überzeugungen des Gefahrenabwehrorgans, denen für die Frage der

S. 885/892, der die Perspektive „einer Idealperson, ausgerüstet mit allem Wissen ihrer Zeit" für einen möglichen Bezugspunkt des Gefahrbegriffs erachtet. 14 Die Beachtlichkeit entsprechenden Sonderwissens ist unserem Rechtssystem nicht grundsätzlich fremd. Auch wenn alle Indizien die Verurteilung des Angeklagten stützen, muß das Urteil aufgehoben werden, wenn in der Berufung der „einzige Zeuge" ermittelt wird und den Entlastungsbeweis erbringt. Ebenso wäre es in dem Prozeß um die Giftfässer, in dem unerwartet doch noch ein Besatzungsmitglied auftaucht und den ungefährlichen Inhalt der Ladung bezeugen kann. Ungewöhnlich ist in diesen extrem zugespitzten Fällen des Sonderwissens, daß das Fehlen von Sonderwissen materiell-rechtlich relevant wird. Auch wenn der Rechtsanwender sich nicht sicher ist, ob das gesunkene Schiff Giftstoffe geladen hat, kann er von einer Gefahr ausgehen, wenn er davon überzeugt ist, daß kein Besatzungsmitglied die Haverie überlebte.

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrmaßnahme nach dem objektiven Gefahrbegriff keine Bedeutung zukommt. Bei der Anscheinsgefahr war das Gefahrenabwehrorgan vom Vorliegen einer Gefahr überzeugt; beim Gefahrverdacht zog es auch das NichtVorliegen einer Gefahr in Betracht. Jede Anscheinsgefahr kann zum Gefahrverdacht werden, wenn in Rechnung gestellt wird, daß Irren menschlich ist. Insoweit ist der Gefahrverdacht, dem keine Gefahr zugrunde liegt, eine reflektierte Anscheinsgefahr. 15 Ob ein Fall der Anscheinsgefahr oder des Gefahrverdachts vorliegt, wenn ein Polizist Hilfeschreie aus einer Wohnung hört, ist allein eine Frage seiner subjektiven Überzeugung. Ist er überzeugt, daß es sich um ein Verbrechen handelt, liegt eine Anscheinsgefahr vor, 16 wenn er in der Wohnung nur auf die berüchtigte schwerhörige Dame vor dem Fernseher stößt. Hat der Beamte noch überlegt und bedacht, daß gerade ein Thriller im Fernsehen ausgestrahlt wird und in dem Häuserblock auch schwerhörige alte Menschen wohnen, aber sich trotzdem für den Einsatz entschieden, weil ihm die Folgen eines Nichthandeins im Falle eines Verbrechens gravierend erschienen, so lag ein Gefahrverdacht vor. Aus der Perspektive des objektiven Beobachters kommt es auf die verschiedenen Überzeugungen des Gefahrenabwehrorgans nicht an. Rührten die Geräusche von einem Verbrechen, so lag ex ante erkennbar eine Gefahr vor; schaute die alte Dame lediglich fern, so lag für den objektiven Beobachter - wie für die alte Dame - ex ante keine Gefahr vor, was immer sich auch der Polizist zu den Geräuschen gedacht haben mag. Damit erweist sich die Brandmauer-Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 17 als der erste Sündenfall der Rechtsprechung. Auch wenn die Statiker sich fürchteten, die Brandmauer ohne Abstützung zu untersuchen, stand für den objektiven Beobachter schon ex ante fest, daß die Mauer durch den Einsturz der Nachbarhäuser keinen Schaden genommen hatte, und jeder unvorsichtige Sachverständige hätte dies auch ex ante feststellen können. Daß die Gefahrenabwehrorgane verständliche Motive hatten, von einer weiteren Tatsachenaufklärung Abstand zu nehmen, ändert nichts daran, daß aus einer objektiven Perspektive keine Gefahr vorlag.

15

Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 226: Ein Gefahrverdacht liegt vor, „wenn der Behörde anders als bei der Anscheinsgefahr bestimmte Unsicherheiten bei der Diagnose des Sachverhalts ... oder der Prognose des Kausalverlaufs bewußt sind"; Breuer, in: GS Martens, S. 317/338; Lindner, Adressatenpflichten, S. 171; Seibert, DVB1. 1992, 664/667. 16 Zu einer vergleichbaren Konstellation OLG Köln, DÖV 1996, 86; V G Berlin, NJW 1991,2854. 17 PrOVG, PrVBl. 32,119, zur Grudekoks-Entscheidung i.e. s.o. erster Teil A I . 2. a).

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

121

Die Grudekoks-Entscheidung 18 zeigt, daß der objektive Wissenshorizont ex ante und derjenige des Gefahrenabwehrorgans auch hinsichtlich des Wissens um Erfahrungssätze auseinanderfallen können. Wenn über Grudekoks ex ante bekannt ist, daß er auch im schwelenden Zustand nicht selbstentzündlich ist, so bedeutet schwelender Grudekoks keine Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts. Ob der handelnde Beamte schuldlos überzeugt war, Grudekoks sei selbstentzündlich, oder ob er es nur neben der gegenteiligen Alternative für möglich hielt, aber angesichts der befürchteten Schäden nicht untätig bleiben wollte, ist für die Beurteilung der Gefahr aus der Perspektive des objektiven Beobachters gleichgültig. Aufgrund des für alle rationalen Wahrscheinlichkeitsurteile geltenden Spezifikationsgrundsatzes lassen sich aus Anscheinsgefahren und Gefahrverdachtssituationen, denen keine Gefahr zugrunde liegt, auch keine objektiven Gefahren konstruieren, indem weniger spezifische Erfahrungssätze über den Schadenseintritt gebildet werden, deren Voraussetzungen objektiv vorliegen. Weist etwa die amtliche Statistik eines Trinkwasserschutzgebiets aus, daß Schaum auf dem Wasser in 60% der registrierten Fälle ein Anzeichen einer Verseuchung ist, während er in 40% der Fälle lediglich eine unschädliche Algenentwicklung anzeigt, so ließe sich ein objektiver Erfahrungssatz bilden, der allein an der Schaumbildung ansetzt. Käme es in 90% der Verseuchungen zu Gesundheitsschäden in der Bevölkerung, so ließe sich ausweislich der amtlichen Statistik der objektive Erfahrungssatz aufstellen, daß schäumendes Wasser mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,6 χ 0,9 = 0,54 19 zu Gesundheitsschäden in der Bevölkerung führe. Auch wenn es sich um harmlosen Algenschaum handelte, könnte der Beamte, der den Schaum für das Anzeichen einer Verseuchung hielt oder nur einen Gefahrverdacht hegte, behaupten, daß trotzdem eine objektive Gefahr vorgelegen habe, da die Voraussetzungen des objektiven Erfahrungssatzes, nach dem schäumendes Wasser mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,54 zu Gesundheitsschäden in der Bevölkerung führt, objektiv vorgelegen habe. Zwar könne ein objektiver Beobachter den Schaum identifizieren und entweder eine Schadenseintrittswahrscheinlichkeit von 0,9 oder 0 angeben. Dies ändere aber nichts daran, daß bei Schaum auf dem Trinkwassersee auch der objektive Erfahrungssatz gelte, daß eine Gesundheitsschädigung der Bevölkerung mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,54 zu erwarten sei.

18

PrOVG, PrVBl. 38, 360 zur Brandmauer-Entscheidung i.e. s.o. erster Teil A I . 2. a). Wahrscheinlichkeiten werden konventionell als Werte zwischen 0 und 1 notiert. Diese Notation erleichtert Rechenoperationen mit Wahrscheinlichkeitswerten, z.B. die Multiplikation. 19

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr Eine entsprechende Argumentation macht sich die Mehrdeutigkeit statistischer Erklärungen 20 zu nutze. Sie verstößt gegen die von Hempel formulierte Rationalitätsanforderung der maximalen Spezifikation, dem auch das als rationales gedachte Wahrscheinlichkeitsurteil im Rahmen des Gefahrbegriffs genügen muß. Von einer objektiven Gefahr reden wir nur dann, wenn nach der einem objektiven Beobachter maximal möglichen Spezifizierung der Tatsachen und des Erfahrungssatzes die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts vorliegt. Nur solche Erfahrungssätze dürfen herangezogen werden, die für alle objektiv ex ante erkennbaren Tatsachen spezifisch sind. Erfahrungssätze, die zwar für die von dem handelnden Beamten erkannten Tatsachen spezifisch sind, aber nicht für die Situation, wie sie sich nach allen objektiv erkennbaren Tatsachen darstellt, müssen unberücksichtigt bleiben. Im Beispiel ist der von dem Beamten angeführte Erfahrungssatz nach dem Grundsatz der maximalen Spezifikation auf keine der beiden Situationen anwendbar, die für einen objektiven Beobachter vorliegen könnten: Ist das Wasser verseucht, so findet nach dem Grundsatz der maximalen Spezifikation der Erfahrungssatz für verseuchtes Wasser Anwendung, demgemäß mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,9 Gesundheitsschäden zu erwarten sind; handelt es sich um Algenschaum, so findet nach dem Grundsatz der maximalen Spezifikation der Erfahrungssatz für Algenschaum Anwendung, der eine Gesundheitsschädigung ausschließt. Der Beamte gliche demjenigen, der, auch nachdem er von dem Schweden Petersen erfahren hat, daß er nach Lourdes gepilgert ist, immer noch behauptet, daß Petersen mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Katholik ist, weil nur 2% aller Schweden Katholiken sind. 21

3. Die sachliche Dimension Sowohl die zeitliche als auch die perspektivisch-personelle Dimension des Wissenshorizonts wirken sich auf dessen sachliche Zusammensetzung im Sinne der Informationen aus, die den Wissenshorizont konstituieren. Im Sinne seines sachlich-informationellen Inhalts soll die sachliche Dimension des Wissenshorizonts hingegen nicht verstanden werden. Vielmehr sei mit der sachlichen Dimension des Wissenshorizonts ein Aspekt bezeichnet, der wie der zeitliche und der perspektivisch-personelle die Zusammensetzung des Wissenshorizonts bestimmt. Mit der sachlichen Dimension des Wissenshorizonts soll das Wissensniveau angesprochen sein, das für das Gefahrenurteil Berücksichtigung findet. Je höher das Wissensniveau angesetzt wird, desto mehr Informationen

20 21

S. o. zweiter Teil: Β. I. Zu diesem Beispiel Toulmins s. o. zweiter Teil: Β. I.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

123

fallen in den für das Gefahrurteil maßgeblichen Wissenshorizont; je niedriger es angesetzt wird, desto mehr Spezialwissen bleibt unberücksichtigt. Schon im Zusammenhang mit der zeitlichen Dimension des Wissenshorizonts wurde deutlich, daß Wahrscheinlichkeitsurteile sich nicht sinnvoll denken lassen, wenn das Ereignis, auf das sich das Wahrscheinlichkeitsurteil bezieht, bereits in den Wissenshorizont aufgenommen wird. Für das Wissensniveau folgt daraus, daß der objektive Beobachter kein Laplacescher Dämon ist. Er verfügt nicht über ein verborgenes Wissen um Tatsachen und Naturgesetze, für das es nur Notwendigkeit gibt. Der objektive Beobachter verfügt nur über Wissen, das sich die Welt bereits erschlossen hat. Sein Wissensniveau ist auf historisches Weltwissen zu dem für die Gefahrbeurteilung maßgeblichen Zeitpunkt beschränkt. Aber auch „Weltwissen" ist noch ein großes Wort, daß in Alltagssituationen zur Überforderung der Beteiligten tendiert. Die Perspektive des objektiven Beobachters wird daher im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht durch eine Einschränkung des sachlichen Wissensniveaus abgemildert, die sich häufig im Zusammenhang mit der Gefahrdefinition findet. Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht stellt hinsichtlich des zugrundezulegenden Wissensniveaus nicht auf das gesamte Weltwissen, sondern nur auf die allgemeine Lebenserfahrung, das Alltagswissen,22 zu einem Zeitpunkt ex ante ab.23 So wird die abstrakte Gefahr in neueren Polizeigesetzen als eine „nach allgemeiner Lebenserfahrung" 24 gefährliche Sachlage definiert. Wird das Wissensniveau derart modifiziert, so werden einige Konstellationen in den Gefahrbegriff einbezogen, die auf der Grundlage des vollständigen Weltwissens als Anscheins- oder Verdachtsfälle gelten müßten. So mag es für Waffenspezialisten möglich sein, Blindgänger anhand der Bauweise, Seriennummer oder waffentechnischer Untersuchungen auf die Möglichkeit einer Explosion hin zu beurteilen. Für das Alltagswissen gilt indes der Satz, daß Blindgänger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Spontanexplosionen neigen. Auf dem Niveau des Alltagswissens bedeutet daher ein Blindgänger auch dann eine Gefahr, wenn eine spätere waffentechnische Spezialuntersuchung ergibt, daß die Bombe nicht mehr spontan zünden konnte. 22

Drews/Wacke/Vogel/Martens, Polizeirecht, S. 159; Erichsen, VVDStRL 35, 171/186; Hoffinann-Riem, in: FS Wacke, S. 327; Knemeyer, Polizeirecht, S. 66; Scherzberg, VerwArch. 1993, 484/492; Tettinger, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 212; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 283; vgl. auch Wagner, Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen, § 1 Rn. 119. 23 Die Grudekoks-Entscheidung läßt daran zweifeln, daß auch das Preußische Oberverwaltungsgericht schon so deutlich zwischen Alltagswissen- und Expertenwissen unterschieden hat. Es läßt die Behauptung, der Beamte habe um die Feuergefährlichkeit von Grudekoks nicht wissen können, unwidersprochen. Über für die Gefahrenabwehr relevantes Alltagswissen kann ein Polizist aber wohl nur schuldhaft im Unwissen sein. 24 § 2 Nr. 2 NdsGefAG, § 3 Nr. 3 f SASOG, § 54 Nr. 3e ThOBG.

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr Mit der Eingrenzung des sachlichen Wissensniveaus verbindet sich keine Subjektivierung in der perspektivisch-personellen Dimension. Es wird lediglich das Wissensniveau des objektiven Beobachters eingeschränkt. Die Gefahr wird weiterhin unabhängig davon bestimmt, ob die nach dem Alltagswissen erreichbaren Informationen dem handelnden Beamten zur Verfugung standen. Handelt es sich nicht um einen Blindgänger, sondern um eine Bombenattrappe, die bei näherer Untersuchung auch fur den Laien als solche erkennbar ist, so bedeutet die Attrappe anders als der Blindgänger keine Gefahr, auch wenn der die Räumung des Hauses befehlende Beamte aufgrund der in der Bombendrohung angekündigten Explosionszeit keine Gelegenheit zu einer vorherigen Untersuchung hatte. Mit der Erweiterung des Gefahrbegriffs um die Konstellationen, die auf der Grundlage des Alltagswissens eine Gefahr bedeuten, ist jedoch nur eine Erweiterung, nicht auch eine Verengung des Gefahrbegriffs beabsichtigt. Daher bleiben Situationen, die zwar nicht nach dem Alltagswissen, wohl aber nach dem gesamten Weltwissen die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts begründen, objektive Gefahren im Sinne des polizeilichen Gefahrbegriffs. Genauer gefaßt ist das sachliche Wissensniveau so zu bestimmen, daß nach dem Alltagswissen oder dem Weltwissen ein Schadenseintritt wahrscheinlich sein muß. Entsprechend verlangen die angeführten Legaldefinitionen der abstrakten Gefahr eine „nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen" 25 gefährliche Sachlage. Die Einführung des Alltagswissens soll ein Einschreiten der Gefahrenabwehrbehörden nur erleichtern. Durch die alternative Fassung des Wissenshorizonts läßt sich vermeiden, daß die Gefahrenabwehrbehörde, die über ein nicht alltägliches Spezialwissen verfügt, aus dem sich die Gefährlichkeit einer Situation ergibt, untätig bleiben muß, wenn die Situation auf der Grundlage des Alltagswissens ungefährlich erscheint. 26 Welches Wissensniveau im einzelnen im Gefahrenabwehrrecht zugrunde zu legen ist, muß anhand der verschiedenen Sachbereiche und Sondergesetze beurteilt werden. 27 Dort, wo die Gefahrenabwehrorgane über spezialisierte Kenntnisse oder Erkenntnisinstrumente verfügen oder wo Spezialgesetze ein höheres 25

§ 2 Nr. 2 NdsGefAG, § 3 Nr. 3 f SASOG, § 54 Nr. 3e ThOBG. Dieses Problem stellt sich auch für den subjektiven Gefahrbegriff, dessen normativ-subjektive Perspektive auch am Alltagswissen orientiert sein soll. Zudem müßte im Rahmen des subjektiven Gefahrbegriffs ein entsprechendes Argument für den Fall einer objektiven Gefahr, die aber für einen pflichtgemäßen Amtswalter nicht zu erkennen war, entwickelt werden; es sei denn, die Gefahrenabwehrmaßnahme, die sich gegen eine objektive Gefahr richtete, sollte nur deshalb als rechtswidrig gelten, weil ein durchschnittlicher Amtswalter die Gefahr nicht hätte erkennen können oder annehmen dürfen. 27 Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Polizeirecht, S. 159; Erichsen, VVDStRL 35, 171/186; Wagner, Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen, § 1 Rn. 119. 26

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

125

Wissensniveau voraussetzen, muß sich dies auf den dem Gefahrbegriff zugrundezulegenden Wissenshorizont auswirken. 28 Wenn die Polizei über Meßgeräte zur Bestimmung des Blutalkohols verfügt, darf sie sich nicht auf die Alltagstheorie berufen, daß jemand mit einer Alkoholfahne höchst wahrscheinlich fahruntüchtig ist. Dort, wo das Gesetz differenzierte Regelungen über Emissionszusammensetzungen enthält, dürfen sich die Gefahrenabwehrorgane nicht auf die Alltagsweisheit berufen, daß dichter Rauch gefährlich ist. Gerade dort, wo das allgemeine Gefahrenabwehrrecht zur Umsetzung von Sonderordnungsrecht herangezogen wird, kommt eine Anhebung des Wissensniveaus gegenüber dem Alltagswissen in Betracht. Für den vorliegenden Zusammenhang ist die Bestimmung des Wissensniveaus im einzelnen nicht von Interesse. Für den dogmatischen Zusammenhang war nur darauf hinzuweisen, daß die Gefahrbeurteilung auch relativ zu dem sachlichen Wissensniveau ausfällt. Das dem objektiven Beobachter zur Verfügung gestellte sachliche Wissensniveau wirkt sich auf die Grenzen zwischen Gefahr und Anscheinsgefahr bzw. Gefahrverdacht aus.

4. Objektiver

Wissenshorizont

und Objektivität

Der objektive Gefahrbegriff konnte dem epistemischen Charakter der für ihn konstitutiven Wahrscheinlichkeit nicht entgehen. Wie der normativ-subjektive Gefahrbegriff ist auch der Begriff der „objektiven" Gefahr relativ zu einem bestimmten Wissenshorizont. Damit unterscheidet sich der „objektive" Gefahrbegriff von Tatbestandsmerkmalen, die auf objektive Gegenstände referieren. Wir müssen uns nicht erst über einen bestimmten Wissenshorizont einigen, um eine Aussage darüber zu machen, ob der Gegenstand, der zur steuerlichen Beurteilung ansteht, ein Kraftfahrzeug im Sinne des Gesetzes ist. Die Beurteilung, ob eine bestimmte Sachlage eine Gefahr darstellt, setzt hingegen eine entsprechende Einigung voraus. Doch obwohl der Gefahrbegriff relativ zu einem Wissenshorizont ist, obwohl er sich darin gerade von dem unterscheidet, was wir sonst mit der Objektivität der Gegenstandswelt beschreiben, wird er als „objektiv" gekennzeichnet. Es ist naheliegend, einfach eine gewisse Ungenauigkeit der Begriffsbildung zu konzedieren und darauf zu verweisen, daß die objektive Gefahr als objektiv genannt wird, weil die Objektivität den Gegenbegriff zur Subjektivität des subjektiven Gefahrbegriffs bildet. Der objektive Gefahrbegriff wäre das plakative, theoretisch aber nicht ernst gemeinte Gegenstück zum subjektiven Gefahrbe-

28 Eine Umschreibung des anlagenrechtlichen Beurteilungshorizonts bei Davy, Gefahrenabwehr im Anlagenrecht, S. 363-372.

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr griff, der ja auch nicht einfach subjektiv, sondern normativ-subjektiv verstanden werden will. Doch der Hinweis auf die oberflächliche Begriffsbildung bleibt an der Oberfläche. Es gibt einen tieferen Grund für die „Objektivität" des objektiven Gefahrbegriffs. Auch wenn der objektive Gefahrbegriff wie der subjektive Gefahrbegriff nur relativ zu einem bestimmten Wissenshorizont beschrieben werden kann, tritt die Relativität, des Gefahrbegriffs, die ihn von sonstigen Tatbestandsmerkmalen unterscheidet, nur beim subjektiven Gefahrbegriff deutlich in Erscheinung. Bei Tatbestandsmerkmalen, die auf einen objektiven Gegenstand referieren, erfolgt die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse unabhängig von den tatsächlichen Überzeugungen anderer Rechtsanwender. Kommt das Finanzgericht zu der Überzeugung, daß die tatsächlichen Voraussetzungen eines Steuertatbestand nicht erfüllt sind, hebt es den Steuerbescheid unabhängig davon auf, ob der Finanzbeamte von den tatsächlichen Voraussetzungen überzeugt war oder überzeugt sein durfte. Dieser Grundsatz wird durch den subjektiven Gefahrbegriff modifiziert. Nach dem subjektiven Gefahrbegriff richtet sich die Entscheidung der Rechtsbehelfsinstanz nicht nach deren eigener Überzeugung von den tatsächlichen Umständen der Gefahrenabwehrmaßnahme, sondern nach der Überzeugung der Rechtsbehelfsinstanz von der pflichtgemäß gewonnenen Überzeugung der Ausgangsbehörde. Anders als bei anderen Tatbestandsmerkmalen können die Rechtsbehelfsinstanzen die Entscheidung der Ausgangsbehörde nicht schon dann korrigieren, wenn sie zu einer anderen Überzeugung hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen einer Gefahr gelangen. Vielmehr bleibt für sie die pflichtgemäß gewonnene Überzeugung der Ausgangsinstanz maßgeblich. Lediglich wenn die Rechtsbehelfsinstanz der Ausgangsbehörde vorwerfen kann, daß sie in pflichtwidriger Weise zu ihrer Überzeugung gelangt ist, kann die Maßnahme als rechtswidrig aufgehoben werden. Wird der Gefahrbegriff hingegen nicht auf den subjektiven Erkenntnishorizont der Ausgangsbehörde eingestellt, sondern auf den objektiven Wissenshorizont, so entfaltet die Relativität des Gefahrbegriffs in der Rechtsanwendung praktisch keine Bedeutung.29 Anders als bei einem subjekti vierten Wissenshorizont, der auf die Ausgangsbehörde abstellt, läßt sich beim objektiven Gefahrbegriff praktisch jede Überzeugung, die eine Rechtsbehelfsinstanz von den tatsächlichen Verhältnissen ex ante gewinnt, dem Wissenshorizont des objektiven Beobachters zuschreiben. Gleichgültig, aufgrund welcher Beweise die Rechtsbehelfsinstanz zu der Erkenntnis gelangt, daß die Wohnung der alten Dame nicht der Schauplatz einen Verbrechens, sondern eines Fernsehvergnügens war, sie wird ihre Erkenntnis, daß ex ante kein Verbrechen stattfand, immer bei dem 29

Sichtbar wird die Relativität des Gefahrbegriffs nur hinsichtlich der zeitlichen Dimension des Wissenshorizonts.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

127

objektiven Beobachter voraussetzen können. Damit verhält sich der objektive Gefahrbegriff in der Rechtsanwendung weitgehend wie Tatbestandsmerkmale, die auf objektive Gegenstände verweisen. Weil die Relativität des Gefahrbegriffs sich beim objektiven Gefahrbegriff kaum auswirkt, wird ihm das wissenschaftstheoretisch nicht zutreffende, aber unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwendung praktisch verständliche Attribut der Objektivität beigelegt. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwendung hat die Zuschreibung der Objektivität also nicht nur einen plakativen, sondern auch einen praktisch-sachlichen Grund.

5. Resümee Durch die Bestimmung der zeitlichen, perspektivisch-personellen und sachlichen Dimension ließ sich ein Gefahrbegriff entwickeln, der das beschreibt, was cum grano salis im Alltagssprachgebrauch unter Gefahr und in der gefahrenabwehrrechtlichen Diskussion unter objektiver, tatsächlicher, wirklicher Gefahr verstanden wird. Eine Gefahr setzt danach voraus, daß der Eintritt eines Schadens zu dem Zeitpunkt der letzten effektiven Abwehrmöglichkeit aus der Perspektive eines objektiven Beobachters zumindest nach der allgemeinen Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich war. Der objektive Gefahrbegriff unterscheidet sich vom subjektiven in der perspektivisch-personellen Dimension des zugrundegelegten Wissenshorizonts. Wo der objektive Gefahrbegriff auf die objektive Perspektive eines idealen Beobachters abstellt, orientiert sich der subjektive Gefahrbegriff an den subjektiven Erkenntnismöglichkeiten eines pflichtgemäßen Amtswalters in der Situation des handelnden Beamten. Im Ergebnis fuhren objektiver und subjektiver Gefahrbegriff zu einer unterschiedlichen Bewertung von Maßnahmen bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht, dem keine Gefahr zugrunde liegt. Für den subjektiven Gefahrbegriff handelt es sich um Gefahren, wenn ein pflichtgemäßer Beamter subjektiv von einer Gefahr ausgehen durfte. Für den objektiven Gefahrbegriff sind alle subjektiven Aspekte und Unterschiede von Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht bedeutungslos. Auf der Grundlage des objektiven Gefahrbegriffs gibt es bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme zur Anscheinsgefahr und zum bloßen Gefahrverdacht wenig zu sagen: Beide sind schlicht keine Gefahren. Maßnahmen, die sich auf eine Anscheinsgefahr oder einen bloßen Gefahrverdacht stützen, sind rechtswidrig. Damit ist Entscheidendes zu Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht noch nicht gesagt. Interessant und schwierig ist die Auseinandersetzung um Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht nicht bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme, sondern hinsichtlich der Verhaltenspflichten der Beamten und der betroffenen Bürger. Die Frage, die bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht interessiert, ist weniger, ob entsprechende Eingriffe letztlich als rechtmäßig oder rechtswidrig bewertet werden, sondern

128

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

ob die Gefahrenabwehrorgane in entsprechenden Situationen handeln dürfen und ob ihnen ein entsprechender Einsatz angesichts etwaiger Notrechte der Betroffenen zumutbar ist. Bei dem Problem der Anscheinsgefahr und des Gefahrverdachts geht es in erster Linie nicht um die mit der Rechtmäßigkeit der Maßnahme verknüpften Kosten- und Entschädigungsfolgen, sondern um die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane. Auf diese Frage gibt die rechtliche Bewertung der Maßnahmen durch die Rechtsbehelfsinstanzen aber noch keine Auskunft. Entsprechend stellen sich die interessanten und schwierigen Probleme von Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht erst auf der Ebene der unten unter B. und C. behandelten Verhaltenspflichten.

II. Polizeiliche Verantwortlichkeit Die polizeiliche Verantwortlichkeit baut in einem objektivierten dogmatischen System des Gefahrenabwehrrechts auf der objektiven Gefahr auf, d.h., nur wenn eine in dem oben beschriebenen Sinne objektive Gefahr vorliegt, kann von einer polizeilichen Verantwortlichkeit für diese objektive Gefahr die Rede sein.30 Darüber hinaus muß die polizeiliche Verantwortlichkeit selbst auch wieder objektiv konzipiert werden, d.h., der Kausalzusammenhang zwischen der Gefahr und einem Zustand oder Verhalten muß objektiv, und nicht nur in der Vorstellung eines Beamten gegeben sein. Polizeiliche Verantwortlichkeit setzt die objektive Verursachung einer objektiven Gefahr voraus, nicht nur einen scheinbaren Verursachungsbeitrag oder den bloßen Verdacht eines solchen. Anders als hinsichtlich des Gefahrbegriffs gibt der Begriff der polizeilichen Verantwortlichkeit auch keinen Anhaltspunkt für ein anderes Verständnis. Dem Begriff der polizeilichen Verantwortlichkeit eignet unter Umständen ein wertendes, aber kein epistemisches Element derart, wie es dem Gefahrbegriff zugrunde liegt. 31 Ob das Verhalten einer Person oder der Zustand einer Sache ursächlich für eine Situation ist, die eine objektive Gefahr darstellt, läßt sich ohne Rückgriff auf einen bestimmten Wissenshorizont beschreiben. Die Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit verbindet sich auch nicht notwendig mit der Subjektivierung des Gefahrbegriffs. Ob ein Sachverhalt, der eine Gefahr in welchem Sinne auch immer bedeutet, von dem Verhalten einer Person oder dem Zustand einer Sache verursacht worden ist, läßt sich unabhängig davon beurteilen, ob von einem 30

So auch Kränz, Zustandsverantwortlichkeit, S. 175. Ob der Kausalitätsbgriff, der der polizeilichen Verantwortlichkeit als unmittelbarer Verusachung zugrunde liegt, auf einem anderen auch epistimeschen Konzept beruht, ist eine für das Polizeirecht nicht relevante allgemeine erkenntnistheoretische Frage, dazu etwa Gabriel/Mainzer/Janich, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2, S. 372. 31

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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objektiven oder subjektiven Gefahrbegriff ausgegangen worden ist. Dies hatte auch noch Hoffinann-Riem betont, der sich zwar erfolgreich für die Subjektivierung des Gefahrbegriffs eingesetzt hatte, aber vor der Subjektivierung der polizeilichen Verantwortlichkeit halt machte.32 Die Rechtmäßigkeit des Eingriffs setzt eine objektive Gefahr und - außer im Falle des polizeilichen Notstands - das objektive Vorliegen der Voraussetzungen der polizeilichen Verantwortlichkeit voraus. Dies gilt zunächst auch für alle Anscheinskonstellationen, in denen das Gefahrenabwehrorgan subjektiv von objektiver Gefahr und Verantwortlichkeit überzeugt ist, aber objektiv entweder keine Gefahr und keine polizeiliche Verantwortlichkeit oder zwar eine Gefahr, aber keine polizeiliche Verantwortlichkeit des Betroffenen vorliegen. Auch für die polizeiliche Verantwortlichkeit ist hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrmaßnahme gleichgültig, ob das Gefahrenabwehrorgan mit guten oder schlechten Gründen dem Anschein verfiel. Auf den bloßen Anschein von Gefahr oder Verantwortlichkeit kann die Rechtmäßigkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme nicht gestützt werden. Für die Fälle des Gefahrverdachts gilt grundsätzlich dasselbe, soweit sich erweist, daß schon keine Gefahr vorgelegen hat. Ohne Gefahr kann keine Verantwortlichkeit für eine Gefahr bestehen. In den Fällen des Gefahrverdachts, dem keine Gefahr zugrunde lag, fehlt es nicht nur an der erforderlichen Gefahr, sondern auch die Voraussetzungen der polizeilichen Verantwortlichkeit liegen nicht vor. Differenzierter ist das Bild, wenn die Gefahr feststeht oder sich der Verdacht einer Gefahr bestätigt hat, aber hinsichtlich der polizeilichen Verantwortlichkeit nur ein Verdacht bestand. Anders als bei der Anscheinsverantwortlichkeit, bei der die Behörde von der Verantwortlichkeit des Betroffenen überzeugt ist, ist im Falle des Verdachts, in dem die Behörde die Nichtstörereigenschafi in Betracht zieht, sowohl denkbar, daß die Behörde den Betroffenen als Störer in Anspruch nimmt, als auch, daß sie sich auf den polizeilichen Notstand beruft. Nimmt sie ihn als Störer in Anspruch, so ist die Maßnahme rechtswidrig, wenn der Verdacht sich nicht bestätigt. Nimmt sie ihn als Nichtstörer in Anspruch, so ist die Maßnahme jedenfalls dann rechtmäßig, wenn der Betroffene sich trotz des Verdachts nicht als Zustands- oder Verhaltensstörer erweist. Sie ist es aber auch dann, wenn der als Nichtstörer in Anspruch Genommene für die Gefahr polizeilich verantwortlich ist. Inwieweit zur Rechtfertigung einer Maßnahme eine andere Rechtsgrundlage herangezogen werden kann als diejenige, von der die Verwaltung beim Erlaß eines Verwaltungsakts ausging, wird kontrovers unter dem Schlagwort „Nachschieben von Gründen" diskutiert. Während bei rechtlich gebundenen Entschei-

32 Hoffinann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/336-338; für einen objektiven Begriff der polizeilichen Verantwortlichkeit auch Kränz, Zustandsverantwortlichkeit, S. 177-179. 9 Poscher

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

düngen ein Nachschieben von Gründen grundsätzlich als zulässig erachtet wird, 33 gilt es bei Ermessensentscheidungen auch noch nach der Einführung von § 114 S. 2 VwGO als problematisch. 34 Die Ermessenserwägungen gehören nach dem Bundesverwaltungsgericht zum Gegenstand, nicht zur Begründung der Entscheidung. Sie machen die Identität der Entscheidung aus. Entsprechend bedeutet ein Nachschieben von Ermessenserwägungen eine Änderung der Identität der Maßnahme. Rechtstechnisch liegt darin die Aufhebung der alten rechtswidrigen und der Erlaß einer neuen Entscheidung.35 Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen kann den ursprünglichen Ermessensverwaltungsakt nicht mehr rechtfertigen, sondern nur noch durch einen neuen ersetzen, weil der Austausch von Ermessensnormen regelmäßig neue Ermessenserwägungen erforderlich macht. Der Austausch der Ermessensnorm muß aber ausnahmsweise dort zur Rechtfertigung führen, wo die ursprüngliche Ermessensentscheidung die Ermessensentscheidung schon beinhaltet, die nach der Austauschnorm getroffen werden muß. In diesen Fällen bleibt die Identität der Maßnahme, die das Bundesverwaltungsgericht verlangt 36, erhalten, weil für die Ermessensentscheidung nach der nachträglich herangezogenen Norm keine neuen Ermessenserwägungen getroffen werden. Bei dem Verhältnis von Störer und Nichtstörerinanspruchnahme liegen diese Voraussetzungen nicht nur faktisch regelmäßig vor, weil die Behörde, die sich für ein Vorgehen gegen den Nichtstörer entscheidet, regelmäßig erst recht zu einem Vorgehen gegen den Störer entschlossen ist; sie werden durch das Subsidiaritätsverhältnis zwischen Störer- und Nichtstörerinanspruchnahme auch normativ gefordert. 37 Die Behörde darf gegen den Nichtstörer nicht vorgehen, wenn sie nicht auch zu einem Vorgehen gegen den Störer entschlossen ist. Sie darf den Nichtstörer nicht mit der Erwägung in Anspruch nehmen, daß sie ihn 33

BVerwGE 38, 191/195; Maurer, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 40; Horn, DV 1992, 203/220; mit Einschränkungen i.E. auch Schenke, NVwZ 1988, 1/13. 34 Für zulässig erachtet schon vor der Gesetzesänderung in BVerwGE 85, 163/ 165-167. Kritisch Schenke, NJW 1997, 81/88-90. Daß ein Nachschieben von Gründen durch § 114 S. 2 VwGO grundsätzlich zulässig geworden sein soll, meinen etwa die Begründung des gleichlautenden Entwurfs des Bundesrats, BT-Drs. 13/1433, S. 13, sowie Schmieszek, NVwZ 1996, 1151/1155 und Schmitz/Wessendorf, N V w Z 1996, 955/957. 35 BVerwGE 85, 163/165-167. Das Bundesverwaltungsgericht räumt der Behörde jedoch prozessual das Nachschieben von Gründen ein, soweit dies nicht durch das jeweilige materielle Recht ausgeschlossen ist. Hinsichtlich des ursprünglichen Verwaltungsakts kann die Klage dann für erledigt erklärt und eine entsprechende Kostenentscheidung verlangt werden. 36 BVerwGE 64, 356/358; 71, 363/368; BVerwG, N V w Z 1993, 976/977, dazu i.e. Horn, DV 1992, 203/231-236; Schenke, NVwZ 1988, 1/4-6. 37 § 6 Abs. 1 Nr. 2 MEPolG.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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als Störer nicht in Anspruch genommen hätte - etwa, weil nur dem Nichtstörer ein Entschädigungsanspruch zusteht. Nach den Regelungen über den polizeilichen Notstand muß sie den Störer vorrangig in Anspruch nehmen. Nimmt sie jemanden als Nichtstörer in Anspruch, muß sie entschlossen sein, ihn erst recht als Störer in Anspruch zu nehmen. Der Entscheidung, die Gefahr durch die Inanspruchnahme des Betroffenen als Nichtstörer abzuwehren, liegt die Entscheidung, auf ihn erst recht als Störer zuzugreifen, normativ voraus. Die Ermessensentscheidung, vom polizeilichen Notstand Gebrauch zu machen, beinhaltet die Entschlossenheit, gegen den Störer vorzugehen. Die Ermessenserwägungen, die für die Inanspruchnahme als Störer angestellt werden müssen, mußten auch schon für die Inanspruchnahme als Nichtstörer angestellt werden. Insoweit sind beide Entscheidungen in dem vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Sinn identisch.38 Wenn der Verdachtsstörer als Nichtstörer in Anspruch genommen wird, können ihn die Gefahrenabwehrbehörden nur zur Duldung von Gefahrenabwehrmaßnahmen durch die Behörde oder einen Beauftragten verpflichten, soweit die Behörde die Gefahr selbst oder durch einen Beauftragten abwehren kann. 39 Die Gefahrenabwehrmaßnahme selbst erfolgt dann im Wege der unmittelbaren Ausführung oder der Selbst- bzw. Ersatzvornahme im Wege des sofortigen Vollzuges 40 mit der entsprechenden Kostenfolge, wenn sich im Zuge der Gefahrenabwehrmaßnahme der Nichtstörer als Störer erweist. 41 Im Ergebnis trifft sich dieser auf einem objektiven Verständnis aufbauende Befund mit den Vertretern einer subjekti vierten Dogmatik, die gegenüber dem Verdachtsstörer nur Dul38

Das V G Karlsruhe, VB1BW 1985, 152/154, hält sogar einen Austausch von Verhaltens« und Zustandverantwortlichkeit für zulässig, obwohl bei der Inanspruchnahme eines Zustandsstörers andere Ermessenserwägungen möglich scheinen - besonders soweit wie in dem vom VG Karlsruhe entschiedenen Fall noch weitere Störer in Betracht kommen. 39 Etwa § 6 Abs. 1 Nr. 3 MEPolG 40 Zur Zulässigkeit der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzuges bei unbekanntem Störer VGH Mannheim, NVwZ 1990, 784/785; Dietlein, NWVB1. 1991, 81/84 f.; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 431; Schenke, in: FS Friauf, S. 455/499-501; a.A. Funke/Kaiser, BWVP 1990, 252/253 f., der die unmittelbare Ausführung nur gegenüber dem bekannten, aber nicht erreichbaren Störer für zulässig erachtet. Durch den Wortlaut der Vorschriften über die unmittelbare Ausführung ist eine solche Beschränkung indes nicht geboten. Daß selbst der Zwangsbegriff der Vorschriften über den sofortigen Vollzug einer entsprechenden Auslegung zugänglich ist, zeigt Dietlein, ebd. Der Konstruktion einer nachträglichen Ordnungsverfügung bedarf es nicht - so aber noch OVG Münster, DVB1. 1973, 924/926, dagegen mit weiteren Nachweisen OVG Münster, NVwZ-RR 1994, 549/550; Dietlein, NWVB1. 1991, 81/85; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 430-432. 41 Zur Kostenlast in diesem Fall unten 4.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

dungsverfügungen auf der Grundlage der Vorschriften über die polizeiliche Verantwortlichkeit erlauben, 42 ohne indes erklären zu können, warum die Gefahrenabwehrbehörden gegenüber einem Störer grundsätzlich auf Duldungsverfügungen beschränkt sein sollten43. Wie auch hinsichtlich der sekundären Rechtsfolgen, postuliert die subjektivierte Dogmatik Ergebnisse, die sich aus dem objektiven Ansatz allein aufgrund der positiv-rechtlichen Systematik ergeben. Eben weil der Verdachtsstörer als Nichtstörer in Anspruch genommen wird, darf ihm die Gefahrenabwehrmaßnahme regelmäßig nicht auferlegt, sondern lediglich zur Duldung aufgegeben werden.

I I I . Gefahrenabwehrmaßnahme Mit der Gefahr und der polizeilichen Verantwortlichkeit sind die wesentlichen Tatbestandsmerkmale des Gefahrenabwehrrechts geklärt. Damit gerät die Gefahrenabwehrmaßnahme als die primäre Rechtsfolge in den Blick. Nach der polizeilichen Generalklausel kann die Polizei „die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine ... Gefahr abzuwehren". 44 Die Maßnahmen, zu denen die Polizei ermächtigt wird, werden nicht sachlich beschrieben, sondern nur teleologisch bestimmt. Den Gefahrenabwehrorganen wird eine größtmögliche Freiheit in der sachlichen Gestaltung der Maßnahmen eingeräumt, beschränkt werden sie zunächst nur durch den Zweck. Gerade diese Zweckbindung konstituiert seit dem Kreuzberg-Urteil 45 den liberalen Sinn des modernen Polizeirechts. In Abgrenzung zu wohlfahrtsstaatlichen Eingriffen ist die teleologische Beschränkung der polizeilichen Befugnisse heute unproblematisch. Gefahr und polizeiliche Verantwortlichkeit dürfen nicht zum Anlaß für wohlfahrtsstaatliche Eingriffe benutzt werden. Dem für eine Altlast Verantwortlichen darf die Beseitigung der Altlast und der damit verbundenen Gefahren, nicht aber die Rekultivierung der Landschaft aufgegeben werden. 46 Schwierigkeiten bereitet die Beschränkung auf Maßnahmen der Gefahrenabwehr indes, soweit die Gefah-

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OVG Koblenz, NVwZ 1987, 241; NVwZ 1992, 499; VGH Kassel, N V w Z 1991, 498; VGH Mannheim, DÖV 1985, 687/688; VGH München, N V w Z 1986, 942; Breuer, N V w Z 1987, 751/754; ders, in: GS Martens, S. 317/347; Kloepfer, NuR 1987, 7/18 f.; Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme, S. 99; Pietzcker, JuS 1986, 719/722. 43 Dies vermerkt kritisch auch Weiß, N V w Z 1997, S. 737/740; ein Begründungsansatz findet sich lediglich bei Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme, S. 99, nach der mangels gesetzlicher Grundlage bei praktischem Handlungszwang das Ausmaß des außergesetzlichen Eingriffs begrenzt werden soll. 44 § 8 Abs. 1 MEPolG. 45 PrOVGE 9, 353. 46 Salzwedel, in: Altlastenbehandlung, S. 27/60.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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renabwehrorgane Maßnahmen anordnen, die der Erforschung der Gefahr dienen. Zumindest analytisch lassen sich Gefahrermittlung und Gefahrenabwehr unterscheiden. 47 Der in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutierte Gefahrerforschungseingriff 48 ist eng mit der Konstellation des Gefahrverdachts verknüpft. 49 In Gefahrverdachtssituationen hat die Behörde zwar Anhaltspunkte dafür, daß eine Gefahr vorliegt, weiß aber, daß ihre Gefahrbeurteilung anders ausfallen könnte, wenn sie über weitere Informationen verfügen würde. Besteht Handlungszwang und sind die Informationen nicht ohne Eingriff in die Rechte des Betroffenen möglich, haben die Behörden grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Zum einen können sie aufgrund der Anhaltspunkte, die ihnen den Eindruck einer Gefahr vermitteln, Maßnahmen anordnen, die die Gefahr beseitigen. Das nach den Anhaltspunkten verseuchte Erdreich des Altlastengrundstücks wird ausgekoffert und entsorgt. Zum anderen versuchen die Gefahrenabwehrbehörden häufig, gestützt auf ihre Gefahrenabwehrbefugnisse, weitere Ermittlungen durchzuführen. Klassisch sind Bodenuntersuchungen in Altlastenfällen, mit denen weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr gesammelt werden sollen.50 Wählt die Behörde den ersten Weg, so ist die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme unproblematisch. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme beurteilt sich allein danach, ob sich der Verdacht bestätigt. Bestätigt sich der Verdacht, ist die Maßnahme rechtmäßig; wird er widerlegt, ist die Maßnahme rechtswidrig, weil es an dem tatbestandlichen Erfordernis der objektiven Gefahr oder der polizeilichen Verantwortlichkeit fehlt. Für die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme ist deren Vorläufigkeit oder Endgültigkeit nicht von Bedeutung. Liegt ein e Gefahr vor, so sind auch endgültige Maßnahmen rechtmäßig; liegt keine Gefahr vor, wird die Maßnahme auch nicht dadurch rechtmäßig, daß sie nur eine vorläufige Regelung enthält. Dies entspricht insoweit der Rechtsprechungspraxis, als sie das Erfordernis der Vorläufigkeit von Maßnahmen bei Gefahrverdacht aufgibt, sobald die Situation weitergehende,

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Den Unterschied betont auch Walker, Gefahr, S. 149-151. I.e. s. zweiter Teil: Α. II. 3. b). 49 In Fällen der Anscheinsgefahr kommen Gefahrerforschungseingriffe nicht in Betracht. Die Anscheinsgefahr setzt gerade voraus, daß die Behörde vom Vorliegen einer Gefahr fälschlicherweise überzeugt ist. Die von der Gefahr überzeugte Behörde hat keinen Anlaß zu weiteren Erforschungsmaßnahmen, Breuer, in: GS Martens, S. 317/339. Außerdem sind alle Maßnahmen aufgrund eines bloßen Anscheins unabhängig von der konkret gewählten Rechtsfolge bereits deshalb rechtswidrig, weil es schon tatbestandlich entweder an der Gefahr oder der polizeilichen Verantwortlichkeit mangelt. 50 Etwa OVG Koblenz, NVwZ 1987, 240; NVwZ 1992, 499; VGH Kassel, N V w Z 1991, 498; VGH Mannheim, DÖV 1985, 687; VGH München, NVwZ 1986, 942. 48

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

endgültige Maßnahmen verlangt. 51 Ebenso unproblematisch beurteilt sich die Maßnahme im zweiten Fall, wenn der Verdacht widerlegt wird. Auch eine bloße Gefahrerforschungsmaßnahme ist rechtswidrig, wenn schon die tatbestandlichen Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten objektiv nicht vorgelegen haben. Problematisch ist die Beurteilung der Rechtmäßigkeit allein, wenn eine Gefahrerforschungsmaßnahme ergriffen wurde und sich der Verdacht bestätigt. Zwar sind hier die Anforderungen des Tatbestands erfüllt; die Maßnahme könnte indes trotzdem rechtswidrig sein, weil sie nicht zu den Rechtsfolgen gehört, zu denen das Vorliegen einer Gefahr ermächtigt. Ermächtigt werden die Gefahrenabwehrbehörden etwa in der Generalklausel nur zur Abwehr, nicht zur bloßen Ermittlung von Gefahren. In der Terminologie der Ermessensdogmatik läge eine Ermessensüberschreitung vor 52 , weil die Gefahrenabwehrbehörden eine Rechtsfolge gewählt hätten, zu der sie das Gefahrenabwehrrecht nicht ermächtigt. Wie die Kontroverse um den Gefahrerforschungseingriff, die selbst Oberverwaltungsgerichte spaltet53, zeigt, stellt sich das Problem unabhängig von dem vertretenen Gefahrbegriff, weil es sich nicht auf den Tatbestand, sondern auf die Rechtsfolge der Gefahrenabwehrbefugnisse bezieht. Auch auf der Grundlage des subjektiven Gefahrbegriffs stellt sich die Frage, ob Maßnahmen der Gefahrerforschung auf der Grundlage von Vorschriften, die zur Abwehr von Gefahren ermächtigen, gerechtfertigt werden können. Praktisch wird das Problem dadurch entschärft, daß Gefahrenabwehr ein komplexer Vorgang ist, der unterschiedliche Aspekte aufweist. Effektive Gefahrenabwehrmaßnahmen setzen häufig mehr als die Erkenntnis voraus, daß überhaupt eine Gefahr vorliegt. Vielfach ist für eine effektive Gefahrenabwehr näheres Wissen über die Ursachen, die Art und das Ausmaß der Gefahr erforderlich. Nur bei einem sehr engen Verständnis von Gefahrenabwehr fielen Maßnahmen, die der Ermittlung von Informationen für eine effektive Gefahrenabwehr dienen, aus dem Begriff der Gefahrenabwehr heraus. Würde von jeder Gefahrenabwehrmaßnahme verlangt, daß sie nicht nur die Gefahrenabwehr fördere, sondern jeweils schon die Gefahr zumindest teilweise beseitige, würden alle für die Gefahrenabwehr erforderlichen Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen nicht mehr von den Gefahrenabwehrbefügnissen umfaßt sein. Dagegen spricht zum einen, daß zwischen Maßnahmen, die eine Gefahr unmittelbar beseitigen oder mindern, und Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen ein so enger praktischer 51

Etwa BVerwGE 39, 190/195; BGHZ 117, 303. Anders Dill, Amtsermittlung, S. 101 f., die das Problem mit dem Erfordernis der Geeignetheit als Element des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Verbindung bringt. 53 OVG Münster, DVB1. 1444/1444 f. und Entscheidung v. 3.6.1997 - 5 A 4/96 (5. Senat) gegen OVG Münster, NWVB1. 1990, 159 (12. Senat); zur Rechtsprechung der einzelnen Senate des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim Rudisile, VB1BW 1993, 321. I.e. zur Diskussion um den Gefahrerforschungseingriff s. zweiter Teil: Α. II. 3. b). 52

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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Zusammenhang besteht, daß sie sich häufig nur analytisch, aber nicht praktisch sinnvoll unterscheiden lassen. Die Bestimmung der genauen Lage der Giftfässer, die den Einsatz des Baggers steuern soll, gehörte nicht mehr zur Gefahrenabwehr, erst das Bergen der Fässer selbst. Die Untersuchung der in Brand geratenen Substanzen zur Auswahl des Löschmittels wäre keine Gefahrenabwehr mehr, erst das Löschen der Flammen selbst. Zum anderen ließe sich theoretisch gegen ein solch enges Verständnis der Gefahrenabwehr anführen, daß genauere Kenntnisse die Gefahr zumindest dann mindern, wenn sie eine effektivere Gefahrenabwehr erlauben. Eine Gefahr, die effektiver bekämpft werden kann, ist geringer als eine Gefahr, bei der es an Informationen für eine effektive Abwehr fehlt. In Ermittlungsmaßnahmen zum Wie der Gefahr kann ein erster Schritt zur Gefahrenabwehr liegen. Soweit bei diesen Ermittlungen auch Informationen über das Ob der vorausgesetzten Gefahr anfallen, führt dies nicht dazu, daß die Maßnahme nicht mehr der Gefahrenabwehr dient. Die Maßnahme enthält beides: Ermittlungen zu Ursache, Art und Ausmaß der Gefahr und Ermittlungen, die die Gefahrbeurteilung bestätigen oder auch widerlegen können. Die Doppelfunktionalität einer Gefahrerforschungsmaßnahme beeinflußt ihre Rechtmäßigkeit nicht. 54 Sie bleibt auch Gefahrenabwehrmaßnahme und bewegt sich damit teleologisch in dem Rahmen, den ihr die Gefahrenabwehrermächtigungen vorgeben. In den doppelfunktionalen Eingriffen liegt keine Ermessensüberschreitung. Sie genügen auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Das Geeignetheitserfordernis verlangt nicht, daß der verfolgte Zweck mit der Maßnahme bereits gänzlich erreicht wird. Der Geeignetheit ist auch genügt, wenn die Maßnahme den Zweck lediglich fördert. 55 Dies zumindest dann, wenn die Maßnahme - wie bei der Ermittlung der näheren Umstände der Gefahr - Voraussetzung für die Erreichung des Zweckes ist. Gefahrermittlungsmaßnahmen, nach deren Ergebnis sich die weiteren Abwehrmaßnahmen richten, sind auch erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Sie sind notwendige Schritte auf dem Weg der Gefahrbeseitigung. Soweit Gefahrerforschungsmaßnahmen in dem Sinne doppelfunktional sind, daß sie sowohl der Ermittlung zum Zwecke der Gefahrenabwehr dienen als auch Informationen versprechen, die das Gefahrurteil bestätigen oder widerlegen können, sind die Gefahrenabwehrbehörden nicht auf bloße Duldungsverfügungen beschränkt. 56 Die Gefahrenabwehrbehörden können von dem Verant-

54 OVG Hamburg, HmbJVBl 1986, 93; VGH Kassel, DÖV 1987, 260; VGH München, N V w Z 1986, 942/944. 55 St. Rspr. BVerfGE 90, 145/172 m.w.N.; Dill, Amtsermittlung, S. 102; Götz, Polizeirecht, Rn. 333; Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. F, Rn. 130. 56 So aber OVG Koblenz, NVwZ 1987, 240; N V w Z 1992, 499; VGH Kassel, N V w Z 1991, 498; VGH Mannheim, DÖV 1985, 687; VGH München, NVwZ 1986,

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

wortlichen alle nötigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr verlangen - auch diejenigen, die für die Bestimmung des weiteren effektiven Vorgehens erforderlich sind. Auch den ersten Schritt auf dem Weg zur Beseitigung der Gefahr müssen die Gefahrenabwehrbehörden nicht selbst tun. Zu einer Beschränkung doppelfunktionaler Aufklärungsmaßnahmen auf Duldungsverfügungen besteht kein Anlaß. Auf Duldungsverfügungen beschränkt sind die Gefahrenabwehrbehörden hingegen, wenn die Maßnahmen der Ermittlung des polizeilich Verantwortlichen dienen. Auch Maßnahmen, die der Störerermittlung dienen, können doppelfunktional sein, wenn die bekannte Gefahr etwa nur durch die Ermittlung der Gefahrenquelle wirksam bekämpft werden kann. Wird das Grundwasser durch eine ungeklärte Einleitung von Giftstoffen bedroht, so liegt in der Ermittlung des Grundstücks, von dem die Einleitung ausgeht und auf dem allein die Einleitung bekämpft werden kann, auch eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Gehören die Grundstücke unterschiedlichen Eigentümern, können die Gefahrenabwehrbehörden nur rechtmäßig handeln, wenn die Eigentümer, von deren Grundstücken die Einleitung ausgehen könnte, als Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Würden alle Eigentümer als Störer in Anspruch genommen, wären alle Maßnahmen bis auf diejenigen rechtswidrig, die sich gegen den Eigentümer richten, von dessen Grundstück die Einleitung erfolgt. Der Subsidiarität der Inanspruchnahme als Nichtstörer entspricht jedoch nur eine Duldungsverfügung, da die Behörden regelmäßig selbst entsprechende Ermittlungen vornehmen oder durch Beauftragte vornehmen lassen können. Mit der pragmatischen These von dem Gefahrenabwehrzweck jeder Gefahrerforschung behilft sich die Rechtsprechung57 und tröstet sich die Literatur 58 . Doch zumindest theoretisch läßt sich das Problem verschärfen. Denn theoretisch lassen sich Situationen konstruieren, in denen Ermittlungsmaßnahmen in Betracht kommen, die sich nicht als erster Schritt auf dem Weg der Gefahrenabwehr verstehen lassen. Ermittlungsmaßnahmen, die nur die Existenz einer Gefahr zum Gegenstand haben, jedoch für die Abwehr der eventuell bestehenden Gefahr bedeutungslos sind, dienen nicht der Abwehr der Gefahr. Gefahrenabwehr setzt immer schon eine Gefahr voraus. Gefahrenabwehrmaßnahmen 942; Papier, DVB1. 1985, 873/875; ders. Altlasten und polizeiliche Störerhaftung, 1985, S. 17; ders, N V w Z 1986, 256/257; Pietzcker, JuS 1986, 719/722; Möller-Bierth, Polizeiliche Inanspruchnahme, S. 99. 57 OVG Hamburg, HmbJVBl. 1986, 93; VGH Kassel, DÖV 1987, 260; VGH München, NVwZ 1986, 942/944. 58 Etwa Petri, DÖV 1996, 443/449, der die Gefahrerforschung im Hinblick auf die Kostenlast bei erwiesener Gefahr ex post als unselbständigen Teil der Gefahrenabwehr „interpretieren" will. Vgl. auch Baumann, Der Störer im Umweltbereich, S. 75; Müllensiefen, Gefahrenab wehrrecht und Gefahrerforschung, S. 83 f.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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können sich nicht in der Bestätigung der Existenz einer Gefahr erschöpfen, sondern müssen einen Beitrag zu deren effektiver Beseitigung leisten. So kann der forensisch häufige Fall der Bodenkontamination dahin variiert werden, daß die Anhaltspunkte der Behörde auch Art und Ausmaß der vermuteten Gefahr eindeutig ergeben. Es steht fest, daß die Kontamination nur aus den ausgelaufenen Fässern stammen kann, die entweder eine bestimmte dioxionhaltige Lösung oder Kondenswasser enthalten. Die im Falle der Dioxinlösung notwendigen Abwehrmaßnahmen lassen sich schon allein anhand der bekannten ausgelaufenen Menge festlegen. Ließe sich nun durch eine Untersuchung der Fässer Sicherheit über deren ausgelaufenen Inhalt erlangen, so läge in der Untersuchung der Fässer allein eine Maßnahme zur Gefahrermittlung. Das Ergebnis der Untersuchung hätte im Falle der Bestätigung des Verdachts keine Bedeutung für die Gefahrenabwehrmaßnahmen. Schon anhand der ausgelaufenen Menge war bekannt, welcher Aushub vorzunehmen und wie er zu entsorgen wäre. Die Untersuchung der Fässer wäre nicht doppelfunktional. Sie wäre bloße Gefahrenermittlung, kerne Gefahrenabwehr. Entsprechendes gilt für Störererforschungsmaßnahmen, die für die Bekämpfung der Gefahr bedeutungslos sind. Die Ermittlung der Herkunft der im Wasserschutzgebiet abgeladenen Fässer hat keine Bedeutung für die Bekämpfung der Gefahr, wenn der Inhalt der Fässer bekannt ist. Für reine Ermittlungsmaßnahmen könnte daran gedacht werden, sie unter dem Gesichtspunkt des milderen Mittels zu rechtfertigen. Im vorstehenden Beispiel des Gefahrverdachts bedeutete die Untersuchung der Fässer einen geringeren Eingriff in die Rechte des Betroffenen als der Aushub seines Grundstücks. Doch unabhängig davon, ob sich mit dem Grundsatz des milderen Mittels auch für gesetzlich nicht vorgesehene Eingriffe argumentieren ließe, stimmt die Einschätzung, daß die Untersuchung einen milderen Eingriff bedeute, nur auf den ersten Blick. Bestätigt sich nämlich der Verdacht, wird die Auskofferung des Grundstücks der Untersuchung der Fässer folgen. Der Betroffene wäre zwei Eingriffen ausgesetzt und hätte zweifache Kosten zu tragen. Vermieden werden kann durch die Untersuchung nur der intensivere rechtswidrige Eingriff; denn nur wenn sich der Verdacht nicht bestätigt, würde der Aushub unterbleiben. Der Grundsatz des milderen Mittels bezieht sich indes nur auf das Verhältnis rechtmäßiger Alternativen. Auch über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lassen sich aus Eingriffsermächtigungen keine Befugnisse zur Ermittlung der Eingriffsvoraussetzungen ableiten.59 Gefahrenabwehrermächtigungen legitimieren keine reinen Ermittlungsmaßnahmen. Zurückgegriffen werden kann hingegen auf echte Ermittlungsbefugnisse des Gefahrenabwehrrechts. Es wird weithin übersehen, daß das Gefahrenabwehr59 Hoffinann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/336-338; Schwabe, in: GS Martens, S. 419/438 f.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

recht nicht nur Gefahrenabwehrbefugnisse, sondern auch Gefahrermittlungsbefugnisse enthält. Durchsuchungen von Personen, Sachen und Wohnungen sowie Vorladung, Identitätsfeststellung 60 und erkennungsdienstliche Maßnahmen sind grundsätzlich keine Maßnahmen der Gefahrenabwehr, sondern Maßnahmen der Gefahr- und Störererforschung. Durch die Durchsuchung als solche, durch die Feststellung der Identität wird in der Regel keine Gefahr abgewehrt, sondern erst einmal ermittelt. Auch die neueren Befugnisse zu Datenerhebungen dienen häufig der Ermittlung, nicht der Abwehr von Gefahren. 61 Als Gefahrermittlungsbefugnisse setzen die Ermittlungsvorschriften des Polizeirechts regelmäßig keine Gefahr voraus, sondern lediglich, daß die „Tatsachen die Annahme rechtfertigen" 62, daß Voraussetzungen einer Gefahrenabwehrbefugnis gegeben sein könnten. Sie sind wie auch die Ermittlungstatbestände der Strafprozeßordnung als Verdachtstatbestände konzipiert. 63 In ihrer anderen Funktion liegt auch der Grund für die tatbestandliche Abweichung dieser Standardbefugnisse vom Gefahrerfordernis. Sie sind auf Gefahrverdachtssituationen zugeschnitten, in denen noch Möglichkeiten der Ermittlung bestehen. Die Ermächtigungsgrundlagen des Gefahrenabwehrrechts differenzieren nicht nur hinsichtlich der Rechtsfolgen, sondern auch im Rahmen ihrer Tatbestände systematisch zwischen Gefahrermittlung und Gefahrenabwehr, in dem sie entweder bloße Tatsachen verlangen, die eine subjektive Annahme rechtfertigen, oder eine objektive Gefahr. Bereits aufgrund eines Gefahrverdachts können die Gefahrenabwehrbehörden auf eine Reihe von echten Ermittlungsbefugnissen zurückgreifen. Verlangt die weitere Aufklärung der Situation die Durchsuchung von Sachen, Personen oder Wohnungen, Vorladungen, Identitätsfeststellungen, erkennungsdienstliche Maßnahmen, so steht ein rechtliches Instrumentarium bereit. Im Beispiel der Bodenkontamination könnten die Behörden etwa die Wohnungs- und Geschäftsräume des Betroffenen nach Unterlagen durchsuchen, die Aufschluß über

60 Für die Identitätsfeststellung ausdrücklich so auch Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Absch. F, Rn. 201. 61 Exemplarisch die entsprechenden Vorschriften im Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder gemäß der Innenministerkonferenz vom 12. Januar 1984 in der Fassung von 12. März 1986 (ÄndMEPolG), abgedruckt in Kniesel, Polizeirecht, S. 237-246. 62 § 9 Abs. 1 Nr. 3, § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 17 Abs. 1 Nr. 2, § 18 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5, § 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2 MEPolG; für die neueren Datenerhebungsregelungen exemplarisch § 8a Abs. 2, § 8b Abs. 1 und 2, § 8c Abs. 1 Nr. 2b, § 8d Abs. 2 ÄndMEPolG. 63 Auch die Identitätsfeststellung, die in der Variante des § 9 Abs. 1 Nr. 1 MEPolG eine Gefahr vorausetzt, paßt in dieses Bild. Die Identiätsfeststellung erfolgt regelmäßig bei festgestellter Gefahr zur Ermittlung des polizeilich Verantwortlichen. Als Ermittlungsbefugnis, die sich auf die Verantwortlichkeit bezieht, kann sie - anders als die Maßnahmen, die der Gefahrermittlung dienen - eine Gefahr bereits voraussetzen.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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den Inhalt der Fässer zu geben vermögen. Sie könnten das Grundstück betreten und die Fässer zumindest vor Ort nach Giftrückständen „durchsuchen". Die Gefahrenabwehrgesetze haben die Ermittlungsbefügnisse kodifiziert, die schon das Preußische Oberverwaltungsgericht für selbstverständlich erachtet hatte64. Die Polizei darf sich dort umsehen, wo sie eine Gefahr vermutet. Indes liegen die positivierten Ermittlungsbefugnisse der Gefahrenabwehrbehörden weitgehend im Makrobereich unserer Alltagswahrnehmungen. Für den Makrobereich unseres Alltags lassen die Ermittlungsbefugnisse der Polizei kaum einen Wunsch offen. Auch hier zeigt sich wieder die Orientierung des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts an unserem Alltagshorizont und -erfahrungsbereich. Für Ermittlungsmaßnahmen, die den nur naturwissenschaftlich erschließbaren Mikrobereich unserer Lebenswelt betreffen, weist das allgemeine Gefahrenabwehrrecht hingegen Lücken auf, die nur zum Teil spezialgesetzlich geschlossen worden sind. 65 Dort, wo die Ermittlung der Gefahr nicht nur ein Aspekt einer Maßnahme ist, die sich auch als Maßnahme zum Zwecke der Gefahrenabwehr verstehen läßt, bietet die Einführung neuer Ermittlungsbefugnisse den einzigen Weg, reine Gefahrerforschungsmaßnahmen zu legitimieren, die durch die bisherigen Standardmaßnahmen noch nicht erfaßt sind. Dort, wo es an diesen spezialgesetzlichen Ermittlungsbefugnissen mangelt, kann die auf den ersten Blick kuriose Situation entstehen, daß reine Gefahrerforschungsmaßnahmen unabhängig vom Vorliegen einer Gefahr rechtswidrig sind, während einschneidendere Gefahrenabwehrmaßnahmen, bei Vorliegen einer Gefahr rechtmäßig erfolgen können. In dem entsprechenden Beispielsfall wäre die Auskofferung des Erdreichs bei Bestätigung des Gefahrverdachts rechtmäßig, während die Untersuchung der Fässer, aus der sich nur Hinweise zu dem „Ob" der Gefahr ergeben könnten, unabhängig vom Vorliegen einer Gefahr rechtswidrig wäre. Kurios ist dieses Ergebnis indes vornehmlich aus der Sicht der Behörden. Für den Betroffenen ist die Beurteilung, wie die Überlegungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gezeigt haben, nicht so eindeutig: Die Gefahrerforschungsmaßnahmen bleiben ihm erspart. Bestätigt sich die Gefahr, hätte er die Auskofferung ohnehin hinzunehmen; bestätigt sie sich nicht, wird er für den rechtswidrigen Eingriff entschädigt. In entsprechenden Fällen führt das Fehlen spezialgesetzlicher Ermittlungsbefugnisse in erster Linie zu einem Kostenrisiko des Staates, das allerdings durch eine zunächst partielle Gefahrenbeseitigung - im Beispiel die teilweise Auskofferung mit anschließender Untersuchung des Aushubs - wieder begrenzt werden kann. Daß die von diesem Kostenrisiko ausgehenden Anreize den Gesetzgeber erreichen, wird 64

PrOVGE 43, 414/415 f.; PrOVG, PrVBl. 25, 884. So etwa im Bereich der Altlasten Art. 28 BayAbfAlG, §§12 BlnBodSchG, 6 Hess AltlastG, 24 MVAbfAlG, 33, 34 NdsAbfG, 16c, 16d SaarlAbfG, 18 ThAbfG. 65

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

durch die bereits neu erlassenen spezialgesetzlichen Gefahrerforschungsbefugnisse belegt. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das allgemeine Gefahrenabwehrrecht weitgehende Ermittlungsbefugnisse kennt, mit denen sich eine Vielzahl von reinen Gefahr- und Verantwortlichkeitserforschungsmaßnahmen rechtfertigen lassen. Es weist nur dort Defizite auf, wo es zur Ermittlung von Gefahren herangezogen wird, die nicht mehr dem Makrobereich unser alltäglichen Lebenswelt entstammen. Für entsprechende Ermittlungen hat der Gesetzgeber - etwa im Umwelt- und Seuchenrecht - weitergehende Ermittlungsbefugnisse eingeräumt. Soweit dies noch nicht geschehen ist, können solche Maßnahmen, die auch für eine effektive Gefahrenabwehr erforderliche Umstände ermitteln, als doppelfunktionale Gefahrenabwehrmaßnahmen gerechtfertigt werden. Reine Gefahr- oder Störerermittlungsmaßnahmen lassen sich hingegen nicht auf Gefahrenabwehrbefugnisse stützen. Während reine Gefahr- oder Störerermittlungsmaßnahmen außerhalb allgemeiner oder spezialgesetzlicher Ermittlungsbefügnisse stets rechtswidrig sind, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit doppelfunktionaler Gefahrenabwehrmaßnahmen wie immer allem danach, ob Gefahr und Verantwortlichkeit oder die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands objektiv vorgelegen haben. Es sei jedoch daran erinnert, daß mit der rechtlichen Bewertung doppelfunktionaler Gefahrenabwehrmaßnahmen die für Situationen des Gefahrverdachts entscheidende Frage nach der Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane noch nicht beantwortet ist. Ob die Gefahrenabwehrorgane bei Gefahrverdacht einschreiten dürfen, richtet sich nicht allein nach der rechtlichen Bewertung doppelfunktionaler Maßnahmen, sondern nach den dienstlichen Verhaltenspflichten der Beamten, die erst unten unter B. diskutiert werden.

IV. Kosten Gefahrenab wehrmaßnahmen verursachen Kosten auf Seiten desjenigen, der sie vornimmt. Greift die Polizei nicht nur regelnd, sondern tatkräftig in das Geschehen ein, indem sie selbst oder ein Dritter in ihrem Auftrag die Gefahr beseitigt, so können diese Kosten dem Staat entstehen. Die Kostenersatzansprüche des Staates für das Handeln seiner Gefahrenabwehrbehörden regeln, ob es bei dieser Kostenverteilung bleibt oder ob die Kosten wieder auf den Bürger abgewälzt werden können. Neben einzelnen landesrechtlichen Spezialregelungen 66 kennt das Gefahrenabwehrrecht Kostenersatzansprüche wesentlich nur in

66

Hierzu i.e. Sailer, in: Handbuch des Polizeirechts, Kap. M Rn. 38-49.

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

141

Fällen der unmittelbaren Ausführung und der Ersatz- bzw. Selbstvornahme 67. Lediglich der Ersatzanspruch für die unmittelbare Ausführung ist in Gefahrenabwehrgesetzen geregelt. Die Ansprüche wegen der Ersatz- bzw. Selbstvornahme ergeben sich aus dem allgemeinen Vollstreckungsrecht. Für Länder, die das Institut der unmittelbaren Ausführung nicht kennen,68 bietet das allgemeine Vollstreckungsrecht überhaupt die einzige Rechtsgrundlage für Ersatzansprüche. Maßnahmen, die in den Gesetzen anderer Länder von der unmittelbaren Ausführung erfaßt werden, werden dort als sofortiger Vollzug der Zwangsmaßnahme nach dem Vollstreckungsrecht beurteilt. Allen Rechtsgrundlagen für den Kostenersatz von Gefahrenabwehraufwendungen ist gemein, daß sie letztlich das Vorliegen einer Gefahr und der polizeilichen Verantwortlichkeit voraussetzen. Für die unmittelbare Ausführung ergibt sich dies bereits aus der Ersatzregelung selbst, die den Ersatzanspruch nur gegen den Verantwortlichen gewährt. Polizeiliche Verantwortlichkeit setzt aber eine Gefahr voraus, da polizeiliche Verantwortlichkeit Verantwortlichkeit für eine Gefahr bedeutet. Für das Vollstreckungsrecht gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar setzt der Kostenanspruch nur die Rechtmäßigkeit der Ersatz- bzw. Selbstvornahme voraus, die ihrerseits nur die Wirksamkeit und Vollziehbarkeit des zugrundeliegenden Verwaltungsakts verlangt 69. Doch die rechtswidrige Grundverfügung bleibt im Rahmen der Rechtsbehelfsfristen aufhebbar, und mit der Aufhebung der Grundverfügung entfällt auch der Kostenersatzanspruch bzw. entsteht ein Erstattungsanspruch hinsichtlich schon geleisteten Kostenersatzes aus dem Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch. 70 Zur Abwendung der

67

Nach §§ 10, 12 VwVG ist die Selbstvornahme als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs ausgestaltet, für die sich der Kostenersatzanspruch aus § 19 Abs. 1 V w V G i.V.m. § 341 Abs. 1 Nr. 8 AO ergibt (in Berlin gilt das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes krafi Verweisung in § 5 Abs. 2 BlnVwVfG ). 68 Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Hollstein, s. dazu i. e. Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 204 f. 69 § 6 Abs. 1 VwVG. 70 I.e. dazu Poscher, VerwArch. 1998, 111/126-129; vgl. auch VGH München, BayVBl. 1995, 758/759, nach dem der Betroffene die Kosten, die ihm bei der Befolgung einer Gefahrerforschungsverfügung entstanden sind, aufgrund eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs erstattet verlangen kann, wenn keine Gefahr vorlag. Der VGH München begründet den Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch zwar nicht mit der Rechtswidrigkeit der Verfügung, aber doch mit der „rechtswidrigen Lage", die durch das „pflichtgemäße Handeln" der Gefahrenabwehrorgane entstanden ist. Die der Entscheidung zugrundegelegte Differenzierung zwischen dem „pflichtgemäßen Verhalten" der Gefahrenabwehrorgane und der „rechtswidrigen Lage" entspricht der Unterscheidung zwischen der rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Beamten und der rechtlichen Bewertung der Maßnahme. Zu dem dieser vergegenständlichten Redeweise zugrundeliegenden System der Verhaltenspflichten s.o. zweiter Teil: B. III.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Kostenersatzansprüche bei bloßen Anscheins- und Verdachtsmaßnahmen bedarf es auf der Grundlage des objektiven Ansatzes auch nicht der Figur des vorläufigen Verwaltungsakts. 71 Der Kostenersatzanspruch entfällt mit der Aufhebung der rechtswidrigen Gefahrenabwehrverfügung. Kostenersatz erhalten die Gefahrenabwehrbehörden nur, wenn die Gefahrenabwehrmaßnahme rechtmäßig war. Für Maßnahmen in Anscheins- und Verdachtskonstellationen, in denen keine Gefahr oder Verantwortlichkeit vorlag, können die Gefahrenabwehrbehörden keinen Kostenersatz erlangen. Kostenersatz gewährt das Gesetz nur dort, wo eine Gefahr abgewehrt, nicht wo bloß der Anschein oder Verdacht einer Gefahr bekämpft wurde. 72 Dies gilt auch für die Kosten von Gefahrerforschungseingriffen. Handelt es sich um doppelfunktionale Gefahrerforschungsmaßnahmen, so besteht ein Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen nur, wenn die Gefahrerforschung den Gefahrverdacht bestätigt. Liegt eine Gefahr vor und ist lediglich die polizeiliche Verantwortlichkeit ungeklärt, so kann die Polizei je nach Landesrecht im Wege der unmittelbaren Ausführung oder der Selbst- oder Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug vorgehen und die Kosten ihrer Gefahrenabwehr 73 oder doppelfunktionalen Maßnahmen von dem Verantwortlichen verlangen, soweit sie ihn ermittelt. 74 Dies gilt auch für doppelfunktionale Maßnahmen der Störerermittlung. Die Ermittlung der Gefahrenquelle wird je nach Landesrecht 75 im Wege der unmittelbaren Ausführung oder im Wege des sofortigen Vollzuges vorgenommen. Wird nach Bodenuntersuchungen auf verschiedenen Grundstücken auf einem die gesuchte Gefahrenquelle ermittelt, können die gesamten Kosten der Bodenuntersuchungen dem polizeilich verantwortlichen Eigentümer als Kosten der unmittelbaren Ausführung oder des sofortigen Vollzuges auferlegt werden. Fehlt es an der polizeilichen Gefahr oder Verantwortlichkeit, scheidet der Kostenersatzanspruch zunächst unabhängig davon aus, was der Betroffene zur Entstehung eines Anscheins oder Verdachts beigetragen hat. Etwas anderes gilt nur dort, wo der Gesetzgeber besondere Tatbestände geschaffen hat, nach denen die Kosten eines Polizeieinsatzes durch den Veranlasser zu tragen sind. Entsprechende Kostenvorschriften sind in den Ländern besonders für Fehlalarme

71

Vgl. aber di Fabio, DÖV 1991, 629/634-636 So auch Scholler/Broß, DÖV 1976, S. 472/474: keine Haftung für den „bösen Schein". 73 Diese Einschränkung betont zu Recht Nierhaus, UTR 1994, 369/385 f. Bloße Störerermittlungsmaßnahmen lassen sich ebenso wie reine Gefahrermittlungsmaßnahmen auf der Grundlage von Gefahrenabwehrermächtigungen nicht rechtfertigen. 74 VGH Mannheim, N V w Z 1990, 784/785; Dietlein, NWVB1. 1991, 81/84 f ; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 431; Schenke, in: FS Friauf, S. 455/499-501. 75 Dazu i.e. Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 195 f. 72

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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getroffen worden. 76 Zumeist gilt die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verursachung eines Fehlalarms als Kostentatbestand. Dabei wäre nach den Gebührentatbeständen im einzelnen zu beurteilen, ob auch die vorsätzliche oder grob fahrlässige Erregung des Anscheins oder Verdachts einer Gefahr unter den Kostentatbestand fällt. So sieht etwa § 2 Abs. 2 HbgGebO für Maßnahmen auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 7.12.199377 Gebühren für Polizeieinsätze generell dann vor, wenn kein Anlaß bestand und sie vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt worden sind. Soweit keine Sondervorschriften greifen, sind die von der Rechtsprechung in Fällen der Anscheinsgefahr oder des widerlegten Gefahrverdachts gewährten Ersatzansprüche zwar - wie das OVG Koblenz hervorhob - „im Interesse eines sparsamen Umgangs mit Steuermitteln zu begrüßen, aber nicht ohne weiteres mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Vorbehalt des Gesetzes zu vereinbaren" 78. Das Gefahrenabwehrrecht handelt von Gefahren und nicht vom Anschein oder Verdacht einer Gefahr. Soweit der unzweckmäßige Einsatz des Gefahrenabwehrpotentiales aufgrund leichtfertiger Inanspruchnahme - wie z.B. bei den massenhaft auftretenden Fehlalarmen durch mangelhaft konzipierte oder installierte Alarmanlagen - zu einer rechtstatsächlich erheblichen Belastung wird, ist der Gesetzgeber berufen, diesem Problem zu steuern.

V. Entschädigung Das Gefahrenab wehrrecht kennt wesentlich zwei Entschädigungsansprüche79: Den Entschädigungsanspruch für die Inanspruchnahme im polizeilichen Notstand80 und die Entschädigung für rechtswidrige Eingriffe 81 . Während der eine eine rechtmäßige Inanspruchnahme voraussetzt, verlangt der andere eine rechtswidrige. Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit beurteilen sich nach dem Vorliegen einer objektiven Gefahr und der objektiven Verantwortlichkeit des

76

Eine Zusammenstellung der entsprechenden Landesgesetze bei Sailer, Handbuch des Polizeirechts, Kap. M, Rn. 81 Fn. 121b. 77 HbgGVBl. S. 365; vgl. etwa auch Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 BayKG. 78 OVG Koblenz, NVwZ 1987, 240/241. 79 § 45 Abs. 2 MEPolG kennt als dritten noch den Entschädigungsanspruch des freiwilligen Helfers, der aber für die Überlegungen zum dogmatischen System des Gefahrenabwehrrechts keine Bedeutung hat. 80 § 45 Abs. 1 S. 1 MEPolG. 81 § 45 Abs. 1 S. 2 MEPolG mit der Besonderheit, daß der Anspruch wegen rechtswidriger Inanspruchnahme in einigen Bundesländern nur einem Nichtstörer zuerkannt wird, s. oben Teil 1.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Betroffenen. Was bedeutet dies fur die Entschädigungsansprüche in Anscheinsund Verdachtssituationen? In Fällen der Anscheinsgefahr und der Anscheinsverantwortlichkeit ist der durch die Gefahrenabwehrmaßnahme Betroffene als Störer in Anspruch genommen worden, weil die Gefahrenabwehrbehörden subjektiv von seiner Verantwortlichkeit überzeugt waren. Objektiv lagen aber entweder Gefahr oder Verantwortlichkeit nicht vor. Die Gefahrenabwehrmaßnahme war folglich rechtswidrig. In allen Fällen der Anscheinsgefahr oder Anscheinsverantwortlichkeit besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer rechtswidrigen Maßnahme der Gefahrenabwehrbehörden. Gleiches gilt für Verdachtskonstellationen, in denen dem Verdacht keine Gefahr oder Verantwortlichkeit zugrunde lag und der Betroffene als Störer in Anspruch genommen worden ist. Für die Entstehung des Anspruchs dem Grunde nach ist der Beitrag, den der Betroffene zur Entstehung des Anscheins geleistet hat, zunächst unerheblich. Beachtlich wird er jedoch bei der Bemessung der Entschädigung. Die Bemessung der Entschädigung öffnet sich allen Umständen des konkreten Falles. Dabei sieht das Gesetz ausdrücklich vor, daß von dem Betroffenen zu vertretende Umstände, die auf die Entstehung oder das Ausmaß des Schadens eingewirkt haben, zur Minderung oder sogar zum Ausschluß der Entschädigung führen können. Hat der durch den rechtswidrigen Eingriff Geschädigte den Anschein oder den Verdacht einer Gefahr oder seiner Verantwortlichkeit in zurechenbarer Weise provoziert, so kann dem im Rahmen des Entschädigungsanspruchs Rechnung getragen werden. Dabei bietet die Entschädigungsregelung ausreichend Raum, die in der Diskussion vorgetragenen unterschiedlichen Zurechnungsüberlegungen einzubringen. Hier können Gesichtspunkte des Verschuldens in eigenen Angelegenheiten, der Risikoerhöhung 82 oder der Risikosphären 83 Berücksichtigung finden und wegen der stufenlosen Einschränkbarkeit der Entschädigung zu differenziertesten Lösungen beitragen.84 Im Rahmen der Entschädigung 82

Schenke/Ruthig, VerwArch. 1996, S. 329/340 f. Kokott, DVB1. 1992, S. 749/751-755. 84 Bei der Kürzung der Entschädigung wird allerdings in den Fällen, in denen dem vermeintlichen Störer Kosten durch die Befolgung einer rechtswidrigen Gefahrenabwehrverfügung entstanden sind, zu berücksichtigen sein, ob ein Kostenersatzanspruch bestünde, wenn die Maßnahme im Wege der Ersatzvornahme vollstreckt würde. Soweit ein solcher Kostenersatzanspruch nicht in Betracht kommt, wäre es vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen, den Rechtsbrecher hinsichtlich der Kosten der vermeintlichen Gefahrenabwehrmaßnahme zu privilegieren. Dieser Zusammenhang zwischen Entschädigungs- und Kostenersatzanspruch besteht jedoch nur für die Aufwendungen, die dem Betroffenen bei der Vornahme der Gefahrenabwehrmaßnahme entstehen, nicht für andere Nachteile. Entsprechendes muß allgemein für die Kürzung des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB gelten. Zu diesem 83

Α. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme

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finden die zur Begrenzung der unerwünschten Konsequenzen der Subjektivierung auf die Ebene des Tatbestands vorverlagerten Überlegungen zum Anscheins· oder Verdachtsbeitrag des Geschädigten ihren gesetzlichen Ort. Die Entschädigungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Anscheinsund Verdachtsfällen 85 bedürfte auf der Grundlage eines objektiven Gefahrbegriffs und einer objektiven Verantwortlichkeit keiner bemühten Auslegung oder fragwürdigen Analogie zu den Grundsätzen der Nichtstörerentschädigung. Nur wenn der Eingriff aufgrund der bloßen Anscheinsgefahr oder des widerlegten Gefahrenverdachts als rechtmäßig erachtet wird, ergeben sich Schwierigkeiten bei der Begründung eines Entschädigungsanspruchs, der nach dem Gesetz ausgeschlossen ist, wenn der Geschädigte rechtmäßig als Störer in Anspruch genommen worden ist. Wird die Anscheins- oder Verdachtsmaßnahme aber für das genommen, was sie objektiv ist, und nicht subjektiv scheint, so folgt der vom Bundesgerichtshof methodisch fragwürdig begründete Entschädigungsanspruch und dessen Begrenzung unmittelbar aus den Regeln über die Entschädigung für rechtswidrige Gefahrenabwehrmaßnahmen, ohne daß es größerer Anstrengungen bedürfte. Darin liegt kein Beleg dafür, daß auch eine objektivrechtliche Dogmatik zu zutreffenden Ergebnissen führt, vielmehr zeigt sich umgekehrt, daß die subjekti vierte Dogmatik letztlich bemüht ist, die Ergebnisse zu rekonstruieren, die sich auf der Grundlage objektiver dogmatischer Begriffe allein aus den systematischen Verknüpfungen des positiven Rechts ergeben. In Fällen des bloßen Verantwortlichkeitsverdachts hatte sich gezeigt, daß es unter dem Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit der Verfügung die sicherste Strategie bedeutet, den Verdächtigen zunächst als Nichtstörer in Anspruch zu nehmen. Wird der Verdacht widerlegt, so ist die Inanspruchnahme als Nichtstörer rechtmäßig; wird der Verdacht bestätigt, kann die Maßnahme auf die entsprechenden Verantwortlichkeitsvorschriften gestützt werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der Entschädigung stehen dieser Strategie keine Bedenken entgegen. Erweist sich der als Nichtstörer in Anspruch genommene Verdächtige als Störer, steht ihm nicht etwa eine Nichtstörerentschädigung zu. 86 Dies folgt schon daraus, daß die Nichtstörerentschädigung eine rechtmäßige Inanspruchnahme als Nichtstörer verlangt. 87 Die Inanspruchnahme des Störers nach den

Zusammenhang bei der Einschränkung des Kostenerstattungsanspruchs in Altlastenfällen Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 174; Schieferdecker, Die Entfernung von Kraftfahrzeugen, S. 241; Seibert, DVB1. 1985, S. 328; Selmer, in: GS Martens, S. 482/492. 85 BGHZ 117, 303; 126, 279; BGH, NJW 1996, 2355. 86 So auch Hoffmann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/336 f. 87 Sonst ließe sich jedenfalls bei der Bestimmung der Entschädigung, die die Berücksichtigung aller Umstände erlaubt, der Umstand, daß der als Nichtstörer in An10 Poscher

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Vorschriften über den polizeilichen Notstand ist indes als solche nicht rechtmäßig, da sie gerade die Nichtstörereigenschafl des Betroffenen voraussetzt. Dies heißt aber auch nicht, daß der als Nichtstörer in Anspruch Genommene eine Entschädigung für eine rechtswidrige Inanspruchnahme erlangt. Die Inanspruchnahme des Störers kann auch dann, wenn sie zunächst auf den polizeilichen Notstand gestützt wurde, auf der Grundlage der Vorschriften über die polizeiliche Verantwortlichkeit gerechtfertigt werden, so daß die Gefahrenabwehrmaßnahme nicht rechtswidrig ist. Ist der als Nichtstörer in Anspruch genommene Verdächtige aber auch objektiv Nichtstörer, so steht ihm eine Entschädigung nach den Regelungen über die Nichtstörerentschädigung zu.

VI. Resümee Für die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts im engeren Sinne, die die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme durch die Rechtsbehelfsinstanzen zum Gegenstand hat, hat sich der objektive Ansatz bewährt. Auf der Grundlage eines objektiven Verständnisses der polizeilichen Gefahr und Verantwortlichkeit ließ sich ein begrifflich konsistentes dogmatisches System entwickeln, in dem die unterschiedlichen positiv-rechtlichen Regelungen primärer und sekundärer Rechtsfolgen so ineinander greifen, daß die Verknüpfungen gewahrt bleiben, die die Normtexte vorgeben. Dabei decken sich die Ergebnisse des objektiven Konzepts besonders für die sekundären Rechtsfolgen weitgehend mit den Ergebnissen, die auch auf der Grundlage eines subjektiven Verständnisses von Gefahr und Verantwortlichkeit erzielt werden. Dies hat seinen Grund darin, daß sich auch die subjektivierte Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts letztlich immer noch am objektiven Gefahrbegriff und einem objektiven Verständnis der polizeilichen Verantwortlichkeit orientiert. Eine objektive Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts führt nicht nur zu sachlich vertretbaren Ergebnissen, sondern wird darüber hinaus und im Gegensatz zu den Subjektivierungsstrategien auch den Konsequenzanforderungen gerecht, die das positive Recht der Dogmatik vorgibt. Auf der Grundlage eines objektiven Gefahrbegriffs und eines objektives Verständnisses der polizeilichen Verantwortlichkeit gelingt es, die einzelnen Elemente des Gefahrenabwehrrechts so auszuformen, daß begriffliche und systematische Brüche vermieden werden, die sich im Rahmen der Subjektivierung in der Unterscheidung von Primär- und Sekundärebene manifestieren. Werden polizeiliche Gefahr und Verantwortlichkeit im Einklang mit unserem Verständnis von sonstigen Tatbestandsmerkmalen und im Einklang mit unserem Alltagssprachgebrauch objektiv interpretiert, können die zentralen spruch Genommene in Wahrheit Störer ist, als Ausschlußgrund einführen. In diese Richtung weist OLG Köln, DÖV 1996, 86/87.

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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Begriffe des Gefahrenabwehrrechts für die primären und die sekundären Rechtsfolgen einheitlich besetzt werden. Das Ergebnis bestätigt den Eindruck, der sich bereits bei dem Blick auf die Entwicklung des Gefahrenabwehrrechts aufgedrängt hat: Das dogmatische System des Gefahrenabwehrrechts ist nicht auf eine Subjektivierung seiner Elemente, sondern wie das öffentliche Recht generell auf ein objektives Verständnis angelegt. Der Blick auf die dogmatische Entwicklung des Gefahrenabwehrrechts hatte indes auch gezeigt, daß die treibende Kraft hinter seiner Subjektivierung nicht auf der Ebene der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahmen zu finden war. Die Entwicklung wurde nicht durch eine Unzufriedenheit mit den Ergebnissen eines objektiven Gefahrbegriffs bei der rechtlichen Bewertung von Gefahrenabwehrmaßnahmen motiviert. Getrieben wurde die Entwicklung von der Sorge um die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane, die durch die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahmen in Anscheins- und Verdachtslagen bedroht schien. Mit einem stimmigen dogmatischen System für die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahmen ist noch wenig über die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane gesagt. Die vorstehenden Überlegungen haben zwar begriffliche Klärungen ermöglicht und den Beleg erbracht, daß die tatbestandlichen Verknüpfungen des positiven Rechts einen objektiven Gefahrbegriff voraussetzen. Doch damit ist erst die Grundlage für eine Auseinandersetzung mit dem zentralen Problem der Effektivität der Gefahrenabwehr angesichts von Anscheins- und Verdachtslagen geschaffen. Die Frage danach läßt sich nicht auf der Ebene der rechtlichen Beurteilung der Gefahrenabwehrmaßnahmen beantworten. Sie wird erst beantwortet sein, wenn die Auswirkungen des objektiven Gefahrbegriffs auf die dienstlichen Verhaltenspflichten des Beamten und die korrespondierenden Verhaltenspflichten des Betroffenen untersucht sind.

B. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit der Gefahrenabwehrorgane Die Auseinandersetzung mit dem Verhaltenssteuerungseinwand gegen den objektiven Gefahrbegriff im zweiten Teil der Arbeit hatte gezeigt, daß das Verhalten der einzelnen Amtswalter nicht von denselben verfahrensrechtlichen Normen gesteuert wird, wie die Entscheidungen der Rechtsbehelfsinstanzen bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme. Gelangt der objektive dogmatische Ansatz zur Rechtswidrigkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme, so folgt daraus nicht zwangsläufig, daß das Gefahrenabwehrorgan sich pflichtwidrig verhalten hat. Für die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane ist letztlich nicht entscheidend, wie sich der objektive Ansatz auf das Rechtswid-

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

rigkeitsurteil der Rechtsbehelfsinstanzen auswirkt, sondern wie die dienstlichen Verhaltenspflichten der Beamten besonders in Anscheins- und Verdachtssituationen beeinflußt werden. Die Handlungsfähigkeit der Beamten wäre nur in Frage gestellt, wenn sich auf der Grundlage eines objektiven Verständnisses der polizeilichen Gefahr und Verantwortlichkeit ergeben sollte, daß sie in Fällen der Anscheinsgefahr oder des Gefahrverdachts an einem Einschreiten gehindert wären. Würden die Beamten in Anscheins- und Verdachtsfällen durch ein Einschreiten gegen ihre dienstlichen Verhaltenspflichten verstoßen, und müßten sie entsprechende disziplinarische oder gar strafrechtliche Konsequenzen befürchten, wären die Gefahrenabwehrbehörden weitgehend handlungsunfähig. Denn welche vermeintliche Gefahr kann sich nicht aus der Perspektive des objektiven Beobachters als bloße Anscheinsgefahr erweisen? Es wäre weder faktisch zu erwarten, noch ließe sich normativ fordern, daß die handelnden Organe ständig unter dem Damoklesschwert disziplinarischer oder strafrechtlicher Sanktionen agierten.

I. Anscheinsgefahr und Anscheinsverantwortlichkeit Der entscheidende Unterschied zwischen den Normen, die die Entscheidung der Rechtsbehelfsinstanzen über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme steuern, und denjenigen, die das Verhalten des handelnden Beamten regeln, liegt in der verfahrensrechtlich erforderlichen Überzeugung. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften, die die Überzeugung regeln, auf deren Grundlage die Rechtslage beurteilt werden soll, sind relativ zu dem jeweiligen Rechtsanwender. Das Verwaltungsverfahrensrecht, das in Verbindung mit dem materiellen Gefahrenabwehrrecht die Verhaltenspflichten des Beamten steuert, stellt nicht auf die Überzeugungen der Rechtsbehelfsinstanzen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, sondern auf die Überzeugungen des Beamten.88 In Anscheinsfällen sind die Gefahrenabwehrorgane grundsätzlich von der Gefahr und der polizeilichen Verantwortlichkeit des Betroffenen überzeugt. Eine Anscheinsgefahr liegt etwa vor, wenn der Polizist aufgrund der Schreie, die er aus der Wohnung hört, davon überzeugt ist, daß ein Verbrechen geschieht oder fortgesetzt wird, falls er nicht einschreitet. Zwar mag er auch wissen, daß die Welt immer anders sein kann, als sie den Eindruck vermittelt, und Schreie auch aus Fernsehlautsprechern ertönen können, doch in Fällen der Anscheinsgefahr ist er aufgrund der Art der Schreie, ihrem Klang oder ähnli88

BVerwG, NJW 1982, 1893; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, §24 Rn. 20; Clausen, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn. 5; Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 24 Rn. 20; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 27 Rn. 15; Martens, Verwaltungsverfahren, Rn. 156 ff.; Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 272-277.

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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eher Umstände davon überzeugt, daß sie von einem Verbrechen rühren und daß alle anderen Möglichkeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sind. In Anscheinsgefahrfällen handeln die Gefahrenabwehrorgane in der Überzeugung, eine objektive Gefahr abzuwehren. Sie irren über die tatsächlichen Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals der Gefahr. Aber in ihrem Irrtum dokumentiert sich die verwaltungsverfahrensrechtlich maßgebliche Überzeugung von den tatsächlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage. Nach den Normen, nach denen sie ihr dienstliches Verhalten auszurichten haben, dürfen sie eine Gefahrenabwehrmaßnahme ergreifen, wenn sie sich - pflichtgemäß von einer Gefahr und der polizeilichen Verantwortlichkeit überzeugt haben. Schon wenn sie zu der Überzeugung gelangt sind, daß die tatsächlichen Voraussetzungen einer Gefahr und der polizeilichen Verantwortlichkeit vorlagen, dürfen sie nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht Gefahrenabwehrmaßnahmen ergreifen. Eine Dienstpflichtverletzung kommt nur in Betracht, wenn ein Beamter sich vorwerfen lassen muß, einen Sachverhalt nicht pflichtgemäß aufgeklärt zu haben. Indes ist die Anscheinsgefahr gerade dadurch definiert, daß sie nur die Fälle des Irrtums trotz pflichtgemäßer Sachverhaltsaufklärung erfaßt, während der nicht pflichtgemäß handelnde Beamte sich ohnehin schon einer Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht hat. Entsprechend wird der Beamte in Putativfällen auch von den Befürwortern der Subjektivierung nicht für schutzwürdig erachtet. Fahrlässigkeit bei der Ermittlung der Tatsachen folgt nicht schon daraus, daß in Fällen der Anscheinsgefahr nicht alle Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts ausgenutzt werden. Der für Wahrscheinlichkeitsurteile notwendig anzusetzende Beurteilungszeitpunkt schlägt auf die Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung durch. Der für die Beurteilung von Gefahrenabwehrmaßnahmen maßgebliche Zeitpunkt ist der Zeitpunkt, in dem mit der Maßnahme nicht mehr abgewartet werden kann, ohne daß sich die Gefahrenabwehrchancen verschlechtern. 89 Kommt das Gefahrenabwehrorgan zu der Überzeugung, daß dieser Zeitpunkt vorliegt, so ist es zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen nicht verpflichtet. Ist es nach den bis zu diesem Zeitpunkt zugänglichen Informationen davon überzeugt, daß eine Gefahr vorliegt, handelt es nicht fahrlässig, auch wenn sich durch weiteres Abwarten noch weitere Informationen gewinnen ließen. Die Pflicht zur Amtsermittlung endet dort, wo sie die Gefahrenabwehr konterkariert. Der Beamte, der nach pflichtgemäßen Ermittlungen vom Vorliegen einer Gefahr und davon überzeugt ist, daß nicht mehr länger zugewartet werden kann, muß auch keinen Fahrlässigkeitsvorwurf fürchten. In Anscheinsfällen, die durch den nicht vorwerfbaren Irrtum des Beamten über die tatsächlichen Umstände seines Handelns gekennzeichnet sind, ist der Beamte aber nicht nur vor disziplinarischen Konsequenzen gefeit, weil er sich 89

S.o. A. 1.1.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

entsprechend der für ihn maßgeblichen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes verhalten hat, auch im Strafrecht wird seinem Irrtum Rechnung getragen. Strafrechtlich liegt in den Anscheinsfällen ein Erlaubnistatbestandsirrtum des handelnden Gefahrenabwehrorgans vor. Soweit dem Organ keine Fahrlässigkeit bei der Ermittlung der Tatsachen zur Last gelegt werden kann, scheidet jedenfalls eine Strafbarkeit des Beamten aus. Anders stellt sich die Situation lediglich für sogenannte Putativfälle, dem Irrtum über Gefahr oder Verantwortlichkeit mit schlechten Gründen, dar. Gelangt das Gefahrenabwehrorgan aufgrund einer nicht pflichtgemäßen Aufklärung des Sachverhalts zu der irrigen Überzeugung, daß Gefahr und Verantwortlichkeit vorliegen, so kommt nach der heute herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie eine Strafbarkeit wegen der fahrlässigen Begehungsform des jeweiligen Delikts in Betracht. 90 Doch vor einer entsprechenden Strafbarkeit kann und will auch der normativsubjektivierte Gefahr- und Verantwortlichkeitsbegriff nicht schützen. Aufgrund des normativen Elements ist auch dort eine Rechtfertigung fahrlässiger Gefahrenabwehrmaßnahmen ausgeschlossen. Im Unterschied zu diesen Putativfällen ergeben sich in Anscheinsfällen aus der Rechtswidrigkeit der Gefahrenabwehrmaßnahme aber kerne strafrechtlichen Folgen, die die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden beeinträchtigen könnten. Die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden könnte allenfalls dadurch beeinträchtigt werden, daß die jeweiligen Amtsträger auch dann nicht eingreifen, wenn sie subjektiv vom Vorliegen einer Gefahr und der polizeilichen Verantwortlichkeit überzeugt sind, um das Risiko zu vermeiden, eine rechtswidrige Gefahrenabwehrmaßnahme vorzunehmen. Doch ist eine solche Motivation gerade unter disziplinarrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu erwarten. Zu den Dienstpflichten des Beamten gehört die Erledigung der dienstlichen Aufgaben, die ihm nach seinen Dienstposten und einschlägigen Regelungen übertragen sind. 91 Die Verweigerung der Amtsausübung aus sachfremden Motiven bedeutet als Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht ein Dienstvergehen. Damit, daß die Welt sich doch noch als anders herausstellt, als sie dem Rechtsanwender zum Zeitpunkt seiner pflichtgemäß vorbereiteten Entscheidung erscheint, muß grundsätzlich jeder Rechtsanwender leben. Würden Amtswalter allein wegen der Möglichkeit, daß sich ihre Amtshandlungen als rechtswidrig erweisen könnten, die Amtsgeschäfte einstellen, würde es zum Stillstand der Verwaltung kommen. Gelangt ein Amtsträger zu der Überzeugung, daß die Voraussetzungen einer Entscheidung vorliegen, kann er sie nicht deshalb verweigern, weil nie ganz auszuschließen ist, daß sich seine Überzeugung als Irr-

90

Einen Überblick über den Meinungsstand zum Erlaubnistatbestandsirrtum gibt Roxin, Allgemeiner Teil, § 14 Rn. 51-103. 91 Köhler, in: Bundesdisziplinarordnung, Β. II. 3. Rn. 2.

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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tum erweist. Daß die in Frage stehende Diensthandlung durch die Rechtsbehelfsinstanzen als rechtswidrig aufgehoben worden wäre, schließt eine Dienstpflichtverletzung nicht aus. Dienstrechtlich ist der Beamte verpflichtet, eine von sachfremden Erwägungen freie Ermessensentscheidung zu treffen, wenn er in verfahrensrechtlich ausreichendem Maße davon überzeugt ist, daß der Tatbestand einer Gefahrenabwehrbefugnis erfüllt ist. 92

II. Gefahrverdacht und Verdachtsverantwortlichkeit Die Frage der disziplinar- und strafrechtlichen Sanktionen stellt sich auch für Situationen des Gefahrverdachts und der Verdachtsverantwortlichkeit. Auch bei Gefahrverdacht und Verdachtsverantwortlichkeit erwies sich die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahmen als schlicht: Lagen eine Gefahr und Verantwortlichkeit oder polizeilicher Notstand vor, waren sie rechtmäßig; lagen keine Gefahr und Verantwortlichkeit oder polizeilicher Notstand vor, waren sie rechtswidrig. Doch wie schon für die Anscheinsgefahr stellt sich das eigentliche Problem des Gefahrverdachts und der Verdachtsverantwortlichkeit nicht auf der Ebene der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme, sondern auf der Ebene der Verhaltenspflichten des Beamten, die über dessen Handlungsfähigkeit und damit über die Effektivität der Gefahrenabwehr entscheiden. Die Gefahrenabwehrorgane wären nicht handlungsfähig, wenn sie befürchten müßten, daß ihnen ihr Einsatz in Verdachtssituationen mit disziplinar- oder strafrechtlichen Sanktionen gedankt würde.

7. Gefahrverdacht und die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts Für den Gefahrverdacht und die Verdachtsverantwortlichkeit ergäben sich aus dem Disziplinar- und Strafrecht keine Bedenken gegen den hier vorgeschla92

Selbst wenn die Dienstpflicht als Pflicht zu rechtmäßigen Diensthandlungen formuliert würde, läge in der Weigerung ein Dienstvergehen. Die Weigerung ließe sich als untauglicher Versuch einer Dienstpflichtverletzung beschreiben. Zwar kennt das Disziplinarrecht nicht die besondere Begehungsform des Versuchs, doch Versuchs- und Vorbereitungshandlungen werden vom Disziplinarrecht als vollendete Dienstvergehen erfaßt. Das Disziplinarrecht stellt grundsätzlich auf den Handlungswillen, nicht auf den Handlungserfolg ab, BVerwG, ZBR 1983, 372; Köhler, in: Bundesdisziplinarordnung, Α. I. Rn. 6; Weiss, in: GKÖD, Bd. 2 , J 226; für das Amtshaftungrecht wird hingegen zum Teil ein auf den Erfolg abstellendes Verständnis der Amtspflichtverletzung vertreten, Papier, in: Münchener Kommentar, Bd. 5, § 839 Rn. 220-223; ders., in: Maunz/ Dürig, Art. 34 Rn. 162.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

genen dogmatischen Ansatz, wenn sich die entsprechenden Überlegungen zur Anscheinsgefahr und Anscheinsverantwortlichkeit auf den Gefahrverdacht und die Verdachtsverantwortlichkeit übertragen ließen, das heißt, wenn auch in den Verdachtsfällen von einer ausreichenden Überzeugung des Beamten von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ausgegangen werden könnte.

a) Gefahrverdacht als Überzeugung von einer Gefahr minderen Grades? Beim Gefahrverdacht scheint einerseits eine andere Situation vorzuliegen als in Situationen der Anscheinsgefahr, weil sich die Gefahrenabwehrorgane über das Vorliegen einer Gefahr nicht sicher sind; andererseits scheint das Gefahrenabwehrorgan aber auch in Gefahrverdachtssituationen von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts überzeugt zu sein. Je nach dem, wie wir uns die Frage vorlegen, scheint der Beamte auch im Falle des Gefahrverdachts von einer Gefahr auszugehen und wiederum aber auch nicht. Zwar scheint der Polizist, der die Möglichkeit des Fernsehfilms in Betracht zieht, nicht mehr von einer Gefahr überzeugt - die Schreie, die er hört, könnten ja auch nur aus dem Lautsprecher eines Fernsehers stammen; doch, wenn er die Möglichkeit, daß die Schreie von einem Verbrechen rühren, für hinreichend wahrscheinlich hält, hält er auch einen Schaden und dessen Vertiefung für hinreichend wahrscheinlich. Wird der Gefahrbegriff in seine Definition - die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts - aufgelöst, scheint das Gefahrenabwehrorgan auch in Fällen des Gefahrverdachts von einer Gefahr auszugehen. Gerade diese Vorstellung von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts motiviert auch unsere Überzeugung, daß bei Gefahrverdacht gehandelt werden muß. Auf dieser Überlegung bauen die Argumentationen auf, die den Gefahrverdacht als die Gefahr der Gefahr, als die Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit eines Schadens in den Gefahrbegriff integrieren wollen. Der subjektive Unterschied zwischen Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht scheint lediglich darin zu bestehen, daß der Amtsträger im Falle des Gefahrverdachts von einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ausgeht;93 genügt die ge-

93

So verstehen den Gefahrverdacht etwa Darnstädt, Gefahrenabwehr, S. 95; Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. 40; di Fabio, Jura 1996, 566/569; Drews/ Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S 226; Müllensiefen, Gefahrenabwehrrecht und Gefahrerforschung, S. 82; Mußmann, Polizeirecht, Rn. 166; Petri, DÖV 1996, 443/445; Richter, Gentechnologie als Regelungsgegenstand, S. 52 f.; Roller, DVB1. 1993, S. 20/21; Schink, DVB1. 1989, S. 1182/1187; Wagner, Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen, § 1 Rn. 131; Weiß, NVwZ 1997, S. 737/743.

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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ringere Schadenswahrscheinlichkeit aber noch den Anforderungen des Gefahrenabwehrrechts, so ist das Gefahrenabwehrorgan scheinbar wie in Fällen der Anscheinsgefahr von einer Gefahr überzeugt. Sieht ein Polizist Kinder vor einer Jagdhütte mit einem Gegenstand spielen, der den Eindruck eines Jagdgewehrs erweckt, so scheint der Polizist im Falle einer Anscheinsgefahr und eines Gefahrverdachts lediglich von einer jeweils unterschiedlichen Schadenswahrscheinlichkeit auszugehen. Wird etwa die Wahrscheinlichkeit, daß sich die Kinder bei dem Spiel mit Jagdgewehren schwer verletzen, mit 0,8 angesetzt, so wäre der Polizist, der davon ausgeht, daß es sich bei dem Gegenstand um ein Jagdgewehr handelt, überzeugt, daß die Schadenswahrscheinlichkeit 0,8 beträgt. Derjenige Polizist aber, der es zwar für höchst wahrscheinlich hält, daß es sich bei dem Gegenstand um ein Gewehr handelt, aber auch in Betracht zieht, daß es sich um ein Spielzeug handeln könnte, scheint lediglich von einer entsprechend geringeren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auszugehen. Aber auch für ihn kann der Schadenseintritt noch überwiegend wahrscheinlich seni. Wird der Zweifel, der ihn von seinem Kollegen unterscheidet, mit 0,1 angesetzt, so schätzt er die Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei dem Gegenstand um ein Gewehr handelt, mit 0,9 ein und die Wahrscheinlichkeit wiederum, daß das Kinderspiel mit Gewehren zu erheblichen Schäden führt - wie gehabt - mit 0,8. Fragt man nach der Überzeugung des Polizisten, so scheint er die Wahrscheinlichkeit eines Schadens mit 0,9 χ 0,8 = 0,72 einzuschätzen. Danach unterschiede sich der Gefahrverdacht gegenüber der Anscheinsgefahr nur durch einen geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad, der aber wie in dem Beispiel wegen der Erheblichkeit der zu erwartenden Schäden immer noch den Anforderungen des Gefahrenabwehrrechts genügen kann. Zwischen Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht bestünde in der Überzeugung des Beamten nur ein gradueller Unterschied. Die These, daß das Gefahrenabwehrorgan auch in Fällen des Gefahrverdachts von einer Gefahr überzeugt sein kann, wird von Überlegungen gestützt, die allgemein zum Einfluß der Wahrscheinlichkeit im Tatbestand einer Norm auf die Anforderungen an die Überzeugungsbildung angestellt worden sind. Danach beeinflußt die Wahrscheinlichkeit als Tatbestandsmerkmal einer Norm nur das für die verfahrensrechtliche Überzeugung erforderliche Beweismaß, d.i. der Grad, den die Überzeugung erreicht haben muß, um eine Rechtsanwendung zu rechtfertigen. Die Wahrscheinlichkeit als Tatbestandsmerkmal führt zu einer Beweismaßreduktion. Während das Prozeß- und Verfahrensrecht als Beweismaß allgemein eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit fordere, reiche hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals, dessen Wahrscheinlichkeit verlangt wird, eine entsprechend reduzierte Überzeugung aus. In Tatbeständen, die das Merkmal der Wahrscheinlichkeit enthielten, sei die Wahrscheinlichkeit nicht der Gegenstand, sondern das Maß der Überzeugung. 94 „Die Alternativen können nicht

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

, Überzeugung von der Wahrheit 4 bzw. , Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit 4 lauten, weil das Objekt der Überzeugungsbildung in jedem Fall die Wahrheit ist." 95 Wahrscheinlichkeit als Tatbestandsmerkmal und Wahrscheinlichkeit als Beweismaß seien identisch, weil „das Überzeugt-Sein, daß das Vorliegen einer Tatsache A wahrscheinlich ist, dasselbe ist wie das Für-WahrscheinlichHalten, daß die Tatsache A vorliegt. 4496 Die Gefahr als Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bedeutete danach lediglich eine Beweismaßreduktion hinsichtlich des Merkmals des Schadenseintritts. Die Gefahrenabwehrorgane müßten nicht mit an Sicherheit grenzender Überzeugung von einem Schadenseintritt ausgehen, sondern es würde ausreichen, daß sie einen Schaden mit einem geringeren Überzeugungsgrad erwarteten. Diese Voraussetzung sei aber auch beim Gefahrverdacht erfüllt. Auch im Falle des Gefahrverdachts gehe das Gefahrenabwehrorgan aufgrund der ihm vorliegenden Informationen mit einem gewissen Überzeugungsgrad von dem Eintritt eines Schadens aus. Genüge dieser Überzeugungsgrad den Anforderungen, die an die gefahrenabwehrrechtlich beachtliche Wahrscheinlichkeit gestellt werden, so läge wie bei der Anscheinsgefahr die für die Rechtsanwendung erforderliche Überzeugung vor. Daß im Falle des Gefahrverdachts durch den Rechtsanwender auch andere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden und er weiß, daß eine noch verläßlichere Überzeugungsbildung möglich wäre, beeinträchtigt die aufgrund der vorliegenden Informationen vorhandene Überzeugung nicht. Wie der Strafrichter weiß, daß er sich seines Urteils noch sicherer wäre, wenn er auch die verschollene Videoaufzeichnung des Banküberfalls neben den 5 Zeugen gesehen hätte, wäre der Polizist im obigen Beispiel noch überzeugter von dem Schadenseintritt, wenn er sehen könnte, ob es sich tatsächlich um ein Jagdgewehr handelte. Doch wie es im Strafrecht ausreicht, daß der Richter aufgrund der fünf Zeugen zu einer mit an Sicherheit grenzenden Überzeugung gelangt, reicht es im Falle der Beweismaßreduktion aus, daß der Polizist aufgrund des ihm mögli-

94

Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 105; ihm folgend Dürig, Beweismaß, S. 17-19. Dürig, ebd. S. 18. 96 Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 218. Anhand der Rekonstruktion von Weber, Kausalitätsbeweis, S. 197-207, wird deutlich, daß dieser Gedanke auch der für § 287 ZPO vertretenen Beweismaßreduktion zugrunde liegt, etwa BGH, L M , ZPO § 287 Nr. 104; Bruns, Zivilprozeßrecht, S. 246; weitere Nachweise bei Weber, ebd. S. 197 Fn. 275. Im Strafrecht findet sich der Gedanke etwa in der Diskussion um den Inhalt des subjektiven Rechtfertigungselements; ausdrücklich Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 460: „Wo ... zur Rechtfertigung ... die mehr oder große Wahrscheinlichkeit des Vorliegens oder des Eintritts bestimmter Sachverhalte ausreicht, genügt in subjektiver Hinsicht das Wissen um diese Wahrscheinlichkeiten: das Für-Wahrscheinlich-Halten bestimmter Umstände." Ihm folgend etwa Herzberg, JA 1989, 243/247; Freund, GA 1991, 387/407. 95

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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chen Augenscheins zu einem entsprechend reduzierten Überzeugungsgrad gelangt - auch wenn er wie der Strafrichter weiß, daß er zu einem anderen Urteil kommen könnte, wenn sich seine Informationsbasis noch verbreitern ließe. Entscheidend ist allein, ob aufgrund der vorliegenden Informationen das jeweils erforderliche Beweismaß erreicht wird. Wirkte das Wahrscheinlichkeitselement des Gefahrbegriffs wie eine Beweismaßreduktion, so läge in Fällen des Gefahrverdachts wie in Fällen der Anscheinsgefahr bei den handelnden Organen die verfahrensrechtlich geforderte Überzeugung vor. Wie in Fällen der Anscheinsgefahr würden die dienstlichen Verhaltenspflichten dem Beamten ein Einschreiten nicht verwehren. Der Gefahrverdacht wäre lediglich die reflektierte Anscheinsgefahr; er unterschiede sich von letzterer allein dadurch, daß sich das Gefahrenabwehrorgan noch einmal bewußt gemacht hat, daß die Welt auch anders sein könnte, als sie ihm wahrscheinlich erscheint. Weil sich mit dem Gefahrbegriff eine Beweismaßreduktion verbände, bliebe die Polizei nicht nur in Anscheinsgefahr-, sondern auch in Gefahrverdachtssituationen handlungsfähig. All dies gilt indes nur, wenn sich aus dem Wahrscheinlichkeitselement des Gefahrbegriffs tatsächlich eine Beweismaßreduktion ergäbe, wenn das Überzeugt-Sein, daß der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich ist, tatsächlich dasselbe wäre wie das FürWahrscheinlich-Halten des Schadenseintritts.

b) Reflexive Wahrscheinlichkeit und Gefahrverdacht Der Gefahrverdacht schillert zwischen der Intuition, daß der Verdacht einer Gefahr eben keine Gefahr ist, und der Überlegung, daß auch im Falle des Gefahrverdachts der Eintritt des Schadens wenn auch weniger, so aber doch noch ausreichend wahrscheinlich sein kann. Aus dieser intuitv-gedanklichen Ambivalenz läßt sich der Gefahrverdacht nur durch einen genaueren Blick auf die „Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts" befreien, der dem wahrscheinlichkeitstheoretischen Hintergrund dieses Tatbestandsmerkmals der dienstlichen Verhaltenspflicht Rechnung trägt. Dabei kann gezeigt werden, daß es sich bei der Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts um ein reflexives Wahrscheinlichkeitsurteil handelt, mit dem nur zutreffend umgegangen werden kann, wenn die Relativität von Wahrscheinlichkeitsurteilen zu einem bestimmten Wissenshorizont berücksichtigt wird. Werden die der Überzeugung von einer Gefahr zugrundeliegenden Wissenshorizonte in die Betrachtung einbezogen, so wird deutlich, daß und warum das Überzeugt-Sein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht dasselbe ist wie das FürWahrscheinlich-Halten des Schadenseintritts.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Die Überzeugung von einer Tatsache läßt sich auch mit der subjektiven Wahrscheinlichkeit einer Tatsache beschreiben, d.h. als Wahrscheinlichkeit der Tatsache auf der Grundlage des persönlichen Wissenshorizonts. 97 Jemand ist von einer Tatsache mehr oder weniger überzeugt, wenn er sie auf der Grundlage des ihm zur Verfügung stehenden Wissens für mehr oder weniger wahrscheinlich hält. Die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, die das Verwaltungsverfahrens- 98 und Prozeßrecht 99 im allgemeinen verlangt, entspricht einer an den Wert l 1 0 0 angenäherten subjektiven Wahrscheinlichkeit. Soll sich die Überzeugung des Rechtsanwenders auf die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses beziehen, so ist demnach von der Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses die Rede. Enthält eine Vorschrift ein Tatbestandsmerkmal, das die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses verlangt, so wird Wahrscheinlichkeit durch das Recht reflexiv eingesetzt.101 Der Überzeugung von einer Gefahr entspricht die Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Wird die Überzeugung von einer Gefahr in die für sie konstitutiven Wahrscheinlichkeitsurteile übersetzt, wird deutlich, daß das Überzeugt-Sein von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und das Für-Wahrscheinlich-Halten des Schadenseintritts schon hinsichtlich ihres Gegenstands nicht identisch sind. 97

Dürig, Beweismaß, S. 17; Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 93-99; Weber, Kausalitätsbeweis, S. 152. Daß damit wenig zum Wesen der Überzeugung gesagt ist, ist Weber, ebd. S. 153 f , einzuräumen. Das Verständnis subjektiver Überzeugung als subjektiver Wahrscheinlichkeit hat indes den Vorteil, daß sich Überzeugungen im Rahmen der Wahrscheinlichkeitstheorie diskutieren und mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung behandeln lassen, Bourmistov-Jüttner, Wahrscheinlichkeitstheorie, S. 6, 20-36. 98 BVerwG, NJW 1982, 1893; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, §24 Rn. 20; Clausen, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn. 5; Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 24 Rn. 20; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 27 Rn. 15. A.A. Martens, Verwaltungsverfahren, Rn. 156 f f , der sich besonders zur Vermeidung materieller Beweislastentscheidungen für ein dem jeweiligen materiellen Recht, den verfügbaren Beweismitteln und den Mitwirkungspflichten des Betroffenen angepaßtes Beweismaß ausspricht. Vgl. auch Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 272-277, der aus dem weitgehenden Fehlen einer gesetzlichen Regelung des Beweismaßes für das Verwaltungsverfahren nach der Art des Verfahrens differenzieren will. Besonders wenn die Behörde unter Zeitdruck handeln muß, will er geringere Beweisanforderungen ausreichen lassen. 99 BVerwG, N V w Z 1985, 660; Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, § 108 Rn. 3; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, § 108 Rn. 5; Redeker/v. Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, § 108 Rn. 1; Schenke Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 25. 100 Daß der Wert in der Rechtspraxis nur bei Werten zwischen 0,75 und 1 liegt, scheinen empirische Untersuchungen in den USA zu belegen, s. Bourmistov-Jüttner, Wahrscheinlichkeitstheorie, S. 150-170 m.w.N. 101 Skeptisch zur reflexiven Wahrscheinlichkeit im Beweisrecht Weber, Kausalitätsbeweis, S. 140.

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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Während im einen Fall ein Wahrscheinlichkeitsurteil verlangt wird, das seinerseits ein Wahrscheinlichkeitsurteil zum Gegenstand hat, wird im anderen Fall ein Wahrscheinlichkeitsurteil verlangt, das sich unmittelbar auf die Tatsache des Schadenseintritts bezieht. Diese Verschiedenheit des Gegenstands wäre indes nur von theoretischem Interesse, wenn die Urteile in dem Sinne ergebnisäquivalent wären, daß die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts immer dann vorliegt, wenn der Schaden für wahrscheinlich gehalten wird. Dann träfen die obigen Überlegungen zu, nach denen die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts lediglich einen Hinweis auf die Überzeugung von einem geringeren Gefahrengrad zum Ausdruck brächte. Die Reflexivität der Wahrscheinlichkeit führte nur zu Redundanz. Die Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wäre im Ergebnis schlicht die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Daß die Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts aber dessen Wahrscheinlichkeit auch im Ergebnis nicht notwendig entspricht, 102 ergibt sich daraus, daß das mit der Überzeugung von einer Gefahr verbundene reflexive Wahrscheinlichkeitsurteil unterschiedliche Wissenshorizonte in Bezug nimmt Auf der Grundlage des objektiven Gefahrbegriffs ist die für den Tatbestand der dienstlichen Verhaltenspflicht maßgebliche Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ein reflexives Wahrscheinlichkeitsurteil, dem zwei unterschiedliche Wissenshorizonte zugrunde liegen. Das Wahrscheinlichkeitsurteil, als das sich die Überzeugung verstehen läßt, bezieht sich auf den subjektiven Wissenshorizont des Beamten. Nach dem allgemeinen Verfahrensrecht ist ein Rechtsanwender zur Rechtsanwendung befugt, wenn er auf der Grundlage der ihm subjektiv vorliegenden Informationen von den tatsächlichen Voraussetzungen eines Tatbestands mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeht. Der Wissenshorizont, nach dem sich im Rahmen des objektiven Gefahrbegriffs die Schadenswahrscheinlichkeit bestimmt, ist hingegen ein objektiver. Für das objektive Gefahrurteil wird nicht der subjektive Wissenshorizont des Beamten, sondern der eines objektiven Beobachters vorausgesetzt. Daß der Beamte von dem Vorliegen einer Gefahr überzeugt sein muß, bedeutet, daß er auf der Grundlage seines subjektiven Wissenshorizonts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen muß, daß ein Schadenseintritt für einen objektiven Beobachter wahrscheinlich ist. 103 102

Vgl. allgemein Greger, Beweis, S. 104, 136, 148; i.E. ablehnend zu der für § 287 ZPO vertretenen Beweismaßreduktion auch Weber, Kausalitätsbeweis, S. 207. 103 Die objektive Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wird wiederum aufgrund des Wissenshorizonts beurteilt wird, der der subjektiven Wahrscheinlichkeit zugrunde liegt. Sie muß daher nicht der objektiven Wahrscheinlichkeit entsprechen, wie sie sich unabhängig von dem Wissenshorizont des Beamten darstellt. Daraus ergibt sich die Möglicheit eines „Anscheins-" oder „Putativgefahrverdachts", wenn sich der Beamte

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Bezieht sich ein reflexives Wahrscheinlichkeitsurteil auf unterschiedliche Wissenshorizonte,

ist die Wahrscheinlichkeit

der Wahrscheinlichkeit

eines

Ereignisses nicht notwendig ergebnisäquivalent m i t der Wahrscheinlichkeit des Ereignisses. 1 0 4 Der Beamte muß nicht i n allen den Fällen, i n denen er auf der Grundlage der i h m vorliegenden Informationen einen Schadenseintritt subjektiv fur wahrscheinlich hält, m i t an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt sein, daß auch ein objektiver Beobachter, der über ein i h m überlegenes Wissen verfügt, einen Schadensemtritt für wahrscheinlich hält. I m m e r dann, wenn der Beamte weiß, daß ein objektiver Beobachter über ein i h m nicht bekanntes Wissen verfügt, das die Schadenswahrscheinlichkeit entweder bestätigt oder ausschließt, besitzt er nicht mehr die erforderliche subjektive Überzeugung einer objektiven Schadenswahrscheinlichkeit, o b w o h l eine subjektive Schadenswahrscheinlichkeit besteht. I m Beispiel der vor der Jagdhütte spielenden K i n d e r ergibt die subjektive Wahrscheinlichkeit eines Schadens auf der Grundlage des Wissenshorizonts des Beamten 0 , 7 2 . 1 0 5 Nach den dem Beamten zu-

über eine objektive Schadenswahrscheinlichkeit irrt. Diesem „Anscheins-" oder „Putativgefahrverdacht" liegt je nach dem, ob der Beamte irrtümlich eine objektive Schadenswahrscheinlichkeit annimmt oder ausschließt, keine oder eine Gefahr zugrunde. Bsp.: Der Beamte hält den Belag auf dem Wasser für Gicht oder Algenschaum, wobei er irrtümlich Algenschaum für gesundheitsschädlich erachtet. Der Beamte ist sich nicht sicher, ob der Belag aus der Chemikalie A oder Β besteht, und hält die Chemikalie A irrtümlich nicht für gesundheitsschädlich. 104 Die mangelnde Ergebnisäquivalenz wird besonders deutlich wenn ein reflexives Wahrscheinlichkeitsurteil auf unterschiedliche persönliche Wissenshorizonte bezogen wird. Teilt ein Anlagebetrüger einem Anleger falsche Daten über die wirtschaftlichen Gewinnchancen eines Unternehmens mit, so ist die Wahrscheinlichkeit, mit der der Anlagebetrüger erwartet, daß der Betrogene zukünftige Gewinne des Unternehmens für wahrscheinlich hält, von der Wahrscheinlichkeit, mit der der Betrüger selbst die Gewinne des Unternehmens erwartet, zu unterscheiden. Diese Wahrscheinlichkeit ist auch noch von der Wahrscheinlichkeit verschieden, mit der der Betrogene die Gewinne erwartet. Die These, daß die Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache entspricht, bedeutete im Beispiel, daß die Wahrscheinlichkeit, mit der der Betrüger ein bestimmtes Wahrscheinlichkeitsurteil des Betrogenen erwartet, mit der Wahrscheinlichkeit identisch ist, mit der er selbst zukünftige Gewinne voraussieht. 105 Der Unterschied zwischen der subjektiven Wahrscheinlichkeit der objektiven Wahrscheinlichkeit des Schadens und der subjektiven Wahrscheinlichkeit des Schadens läßt sich mathematisch beschreiben. Die Bedingung der subjektiven Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts kann formelhaft ausgedrückt werden mit: Ps(SE) > X Wobei Ps(SE) für die subjektive Wahrscheinlichkeit („probability) des Schadenseintritts auf der Grundlage des Wissenshorizonts des handelnden Beamten steht, und X den

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gänglichen Informationen beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß die K i n d e r m i t einem Gewehr spielen, 0,9 und die Verletzungswahrscheinlichkeit m i t Waffen spielender K i n d e r 0,8 (0,9 χ 0,8 = 0,72). Der Beamte weiß aber, daß ein objektiver Beobachter wüßte, ob die K i n d e r m i t einem Gewehr oder einer Attrappe spielen. Er weiß, daß für einen objektiven Beobachter die Schadenswahrscheinlichkeit entweder 0,8 oder 0 beträgt. D a er die Wahrscheinlichkeit, daß die K i n d e r m i t einem Gewehr spielen, aber nur m i t 0,9 einschätzt, erreicht die subj e k t i v e Wahrscheinlichkeit, m i t der er eine objektive Schadenswahrscheinlichkeit annimmt nur den W e r t 0,9 und nicht die erforderlichen 0,99, m i t denen hier die an 1 angenäherte, an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit symbolisiert s e i . 1 0 6 O b w o h l die subjektive Schadenswahrscheinlichkeit auf der Grundlage

am Schadensausmaß orientierten Wahrscheinlichkeitswert des Gefahrenabwehrrechts bezeichnet. Die Formel, nach der der Wert für p s (SE) berechnet werden kann, lautet: Ps(SE) = p s ( Ε,) χ p s (SE/E,) + ... + p s (E n ) χ p s (SE/E n ) Wobei E], .., E n die Menge der Ereignisse bezeichnet, deren subjektive Wahrscheinlichkeit größer 0 ist, und p s (SE/ E^ als subjektive Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei Vorliegen des Ereignisses Ej gelesen werden muß. Als Beispiel für die mathematische Beschreibung soll eine Abwandlung des Jagdgewehrbeispiels dienen. Nach der Abwandlung hält der handelnde Beamte den Gegenstand, mit dem die Kinder spielen, mit einer subjektiven Wahrscheinlichkeit von 0,5 für ein Gewehr (Ej), mit einer subjektiven Wahrscheinlichkeit von 0,4 für eine Pistole (E 2 )und mit einer subjektiven Wahrscheinlichkeit von 0,1 für ein Spielzeug (E 3 ). Die subjektive Wahrscheinlichkeit eines schweren Schadens schätzt er für den Fall, daß es sich um ein Gewehr handelt mit 0,8 [p s (SE/Ei)], daß es sich um eine Pistole handelt mit 0,7 [p s (SE/E 2 )] und daß es sich um ein Spielzeug handelt mit 0,0001 [p s (SE/E 3 )] ein. Wegen der Schwere der zu erwartenden Schäden sei X mit 0,2 veranschlagt. p s (SE) müßte danach zumindest den Wert 0,2 erreichen, damit von einem polizeirechtlich erheblichen Wahrscheinlichkeitsgrad ausgegangen werden kann. p s (SE) wird errechnet, indem die Wahrscheinlichkeitswerte des Beispiels an die Stellen der Variablen gesetzt werden: p s (SE) = 0,5 χ 0,8 + 0,4 χ 0,7 + 0,1 χ 0,0001 = 0,4 + 0,28 + 0,0001 = 0,68001 In dem Beispiel liegt mithin eine subjektive Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vor, deren Wert den Wert der im Beispiel erforderlichen objektiven Schadenswahrscheinlichkeit (0,2) übersteigt. 106 Die subjektive Wahrscheinlichkeit der objektiven Wahrscheinlichkeit des Schadens muß auch mathematisch abweichend von der subjektiven Wahrscheinlichkeit des Schadens dargestellt werden. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß der Wert der subjektiven Wahrscheinlichkeit, d.i. die Oberzeugung des Beamten vom Vorliegen einer objektiven Wahrscheinlichkeit, sich nach dem allgemeinen Beweismaß richtet. Die subjektive Wahrscheinlichkeit der objektiven Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muß folglich größer/gleich 0,99 sein. p 0 steht für die objektive Wahrscheinlichkeit nach Ansicht des Beamten: Ps[Po(SE) > X ] > 0,99

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des Wissenshorizonts des Beamten 0,72 beträgt, geht er nicht m i t an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer objektiven Schadenswahrscheinlichkeit aus. 1 0 7 Die Überzeugung von der objektiven Schadenswahrscheinlichkeit setzt nicht notwendig voraus, daß der Beamte seinen subjektiven Wissenshorizont m i t dem Wissenshorizont des objektiven Beobachters für identisch erachtet. D o c h die subjektive Wahrscheinlichkeit der Summe der objektiv gefährlichen Sachverhaltsalternativen muß die m i t dem Wert 0,99 symbolisierte an Sicherheit gren-

Für die objektive Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gilt weiterhin, daß sie den Wert X als den relativ zum Schadensausmaß bestimmten Wahrscheinlichkeitswert des Gefahrenabwehrrechts erreichen muß. Diese Bedingung läßt sich durch eine charakteristische Funktion ausdrücken: g(Ei) = 1 falls p 0 (SE/Ei) > X g(Ei) = 0 falls p 0 (SE/Ei) < X Die charakteristische Funktion hat den Wert 1, falls die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei Vorliegen des Ereignisses Ej größer X ist, d.h., wenn das Ereignis gefährlich (g) ist, und den Wert 0, falls die Wahrscheinlichkeit kleiner/gleich X ist. Die Formel für die Berechnung von p s [p 0 (SE) > X ] läßt sich dann angeben mit: p s [p(SE) > X ] = p,(E,) χ g(E,) + ... + p s (E n ) χ g(E n ) Die Verwendung der charakteristischen Funktion führt dazu, daß nur diejenigen subjektiven Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden, die sich auf ein Ereignis beziehen, bei dessen Vorliegen eine polizeirechtlich beachtliche objektive Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts angenommen wird. A u f die Abwandlung des JagdhüttenBeispiels angewandt ergeben sich folgende Werte: für das Gewehr PoCSE/Ej) = 0,8, so daß g(E0 = 1 für die Pistole p 0 (SE/E 2 ) = 0,7, so daß g( E 2 ) = 1 für das Spielzeug p 0 (SE/E 3 ) = 0,0001, so daß g(E 3 ) = 0 Damit errechnet sich für p s [p 0 (SE) > X ] der Wert: p s [p 0 (SE) > X ] = 0,5 χ 1 + 0,4 χ 1 + 0,1 χ 0 = 0,9 In dem Beispiel verfehlt die Überzeugung des Polizisten das allgemeine Beweismaß um 0,09. Die Formel zeigt noch einmal, daß die Bedingung der subjektiven Wahrscheinlichkeit der objektiven Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts von der Bedingung der subjektiven Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auch im Ergebnis abweicht. Während eine subjektive Schadenswahrscheinlichkeit vorliegt, die den polizeilich erforderlichen Wahrscheinlichkeitswert erreicht, fehlt es an einer dem allgemeinen Beweismaß genügenden Überzeugung von einer objektiven Gefahr. 107

Der Beamte kann seine subjektive Einschätzung der Schadenswahrscheinlichkeit auch nicht objektivieren, indem er einen objektiven Erfahrungssatz bildet, auf den die von ihm festgestellten Tatsachen zutreffen. Die Begründung einer objektiven Gefahr mit dem Erfahrungssatz, daß in Fällen, in denen ein geschulter Beamter einen Gegenstand, mit dem Kinder spielen, mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,9 als Gewehr einstuft, mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,72 zu einem Schaden führt, verstieße gegen den Hempelschen Grundsatz der maximalen Spezifikation, s.o. I. 1. b) a.E.

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zende Überzeugung erreichen. Im obigen Beispiel läge die erforderliche Überzeugung einer objektiven Gefahr auch dann vor, wenn der Beamte die Wahrscheinlichkeit, daß die Kinder mit einem Gewehr oder einer Pistole spielen, jeweils mit 0,495 einschätzt.108 Er weiß zwar, daß der objektive Beobachter sehen könnte, welche Waffe im Spiel ist. Doch davon, daß es sich um eine gefährliche Waffe handelt, wäre der Beamte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt. Sobald die Möglichkeit, daß es sich um ein Spielzeug handelt, aber den die Überzeugung nicht beeinträchtigenden theoretischen Restzweifel übersteigt, fehlt es trotz fortbestehender subjektiver Schadenswahrscheinlichkeit wieder an der verfahrensrechtlich erforderlichen Überzeugung einer objektiven Gefahr. Die wahrscheinlichkeitstheoretisch geleiteten Überlegungen haben die Intuition bestätigt, daß der Verdacht einer Gefahr eben noch keine Überzeugung von einer Gefahr, auch keine Überzeugung von einer geringeren Gefahr ist. Wie konnte es aber überhaupt zu einem so weit verbreiteten kontraintuitiven Mißverständnis der Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache kommen? Das Mißverständnis rührt daher, daß sowohl bei den allgemeinen Überlegungen zur Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit als auch in der Diskussion des Gefahrverdachts die Möglichkeit unterschiedlicher Wissenshorizonte nicht berücksichtigt wurde. Es wurde vielmehr vorausgesetzt, daß dem Wahrscheinlichkeitsurteil über das Wahrscheinlichkeitsurteil und dem Wahrscheinlichkeitsurteil über die Tatsache ein einheitlicher Wissenshorizont zugrunde liegt. Wird dem reflexiven Wahrscheinlichkeitsurteil aber ein einheitlicher Wissenshorizont zugrunde gelegt, so läßt sich die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache zwar noch in die oben genannten Wahrscheinlichkeitsurteile aufschlüsseln, doch diese Aufschlüsselung ist dann nicht mehr interessant. Die Wahrscheinlichkeit des Wahrscheinlichkeitsurteils hat dann immer den Wert 1, und die Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache liegt immer vor, wenn die Tatsache wahrscheinlich ist. Auf der Grundlage eines einheitlichen Wissenshorizonts sind beide Bedingungen ergebnisäquivalent. Es entsteht der Eindruck, bei der Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit handele es sich um eine bloße Iteration. Bei der Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache geht es um die Wahrscheinlichkeit, mit der auf der Grundlage eines bestimmten Wissenshorizonts ein Wahrscheinlichkeitsurteil bestimmt werden kann. Entspricht dieser Wissenshorizont dem Wissenshorizont, der auch dem Wahrscheinlichkeitsurteil über die Tatsache zugrunde liegt, so kann dieses Wahrscheinlichkeitsurteil sicher bestimmt werden. Entsprechend hat die Wahrscheinlichkeit, 108

Dann ergäbe sich für p s [p 0 (SE) > X]: Ps[Po(SE) > X ] = 0,495 χ 1 + 0,495 χ 1 + 0,01 χ 0 = 0,99

11 Poscher

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

mit der das Wahrscheinlichkeitsurteil über die Tatsache bestimmt werden kann, immer den Wert 1. Wird nun wie bei der prozeß- und verfahrensrechtlich allgemein erforderlichen Überzeugung die an den Wert 1 angenäherte subjektive Wahrscheinlichkeit eines Wahrscheinlichkeitsurteils über eine Tatsache verlangt, so ist diese Bedingung bei Identität der Wissenshorizonte notwendig erfüllt, wenn die subjektive Wahrscheinlichkeit der Tatsache den erforderlichen Wert erreicht. Der Wert 1 für die subjektive Wahrscheinlichkeit des subjektiven Wahrscheinlichkeitsurteils ist dann logisch zwingend, und das Wahrscheinlichkeitsurteil, auf das sich die Überzeugung bezieht, entspricht per defmitionem der subjektiven Wahrscheinlichkeit der Tatsache, da beide Wahrscheinlichkeiten denselben Gegenstand und Wissenshorizont teilen. Diese nur etwas mühsam zu rekonstruierenden Implikationen reflexiver Wahrscheinlichkeitsurteile lassen sich anhand des subjektiven Wissenshorizonts, der der erforderlichen Überzeugung des Rechtsanwenders zugrunde liegt, auch intuitiv verdeutlichen. Wird als gemeinsamer Wissenshorizont für beide Wahrscheinlichkeiten des reflexiven Wahrscheinlichkeitsurteils ein subjektiver angenommen, so entspricht diese subjektive Wahrscheinlichkeit dem, was wir unter Überzeugung verstehen. In diesem Fall bedeutet die Bedingung der Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses dann lediglich, von der Überzeugung von einer Tatsache überzeugt zu sein. Meine eigenen Überzeugungen kann ich aber durch Introspektion mit Sicherheit beurteilen. Die subjektive Wahrscheinlichkeit, mit der ich meine Überzeugung beurteile, hat immer den Wert 1. Entsprechend leuchtet auch intuitiv ein, daß ich immer dann, wenn ich eine Tatsache für wahrscheinlich halte, auch davon überzeugt bin, daß ich eine Tatsache für wahrscheinlich halte. Bei Identität des dem reflexiven Wahrscheinlichkeitsurteil zugrundeliegenden Wissenshorizonts sind das ÜberzeugtSein von der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses und das Für-WahrscheinlichHalten des Ereignisses ergebnisäquivalent. Die Ergebnisäquivalenz gilt indes nur bei exakter Identität der maßgeblichen Wissenshorizonte. Jede Abweichung der Wissenshorizonte muß zu Diskrepanzen führen. Für die Überzeugung von einer Gefahr bedeutet dies, daß Fälle des Gefahrverdachts nur dann nicht auftauchen können, wenn der Wissenshorizont für das Wahrscheinlichkeitsurteil über den Schadenseintritt mit dem Wissenshorizont für die Überzeugungsbildung identisch ist. Das Problem des Gefahrverdachts taucht danach nur dann nicht auf, wenn die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sich nach dem subjektiven Wissenshorizont des Beamten beurteilt. Nur dann kann sich der Beamte durch bloße Introspektion davon überzeugen, daß er einen Schadenseintritt auf der Grundlage des maßgeblichen Wissenshorizonts für wahrscheinlich hält.

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Daraus folgt, daß auch ein normativ-subjektiver Gefahrbegriff nicht ausreicht, um das Problem des Gefahrverdachts zu beseitigen. Auch für den subjektiven Gefahrbegriff ist nicht der subjektive Wissenshorizont des Beamten, sondern ein normativ-subjektiver Wissenshorizont maßgeblich. Damit unterscheidet sich aber der Wissenshorizont des Gefahrurteils von demjenigen, der der verfahrensrechtlich erforderlichen subjektiven Überzeugung zugrunde liegt. Während die verfahrensrechtlich geforderte Überzeugung auf den subjektiven Wissenshorizont des Beamten abstellt,109 liegt dem Gefahrbegriff ein normativ-subjektiver Wissenshorizont zugrunde, der sich an einem idealen, pflichtgemäßen oder durchschnittlichen Beamten orientiert. Nur soweit der handelnde Beamte seinen eigenen Wissenshorizont mit dem des normativ-subjektiven Beobachters für kongruent erachtet oder die Summe der für einen normativ-subjektiven Beobachter erkennbaren gefährlichen Ereignisalternativen den erforderlichen Überzeugungsgrad erreichen, macht sich diese Differenz - wie im entsprechenden Normalfall für den objektiven Gefahrbegriff - nicht bemerkbar. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, sind die Bedingung der Überzeugung von einer Gefahr und die der subjektiven Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts auch auf der Grundlage des normativsubjektiven Gefahrbegriffs nicht ergebnisäquivalent. So mag der handelnde Beamte subjektiv den Schaden für wahrscheinlich halten, aber etwa aufgrund einer persönlichen Erkenntnisbehinderung nicht wissen, wie ein idealer, pflichtgemäßer oder auch nur durchschnittlicher Beamter die Situation einschätzen würde. Der Beamte weiß um seine Sehbehinderung und weiß, daß ein idealer, pflichtgemäßer oder durchschnittlicher Beamter erkennen könnte, ob es sich bei dem Gegenstand, mit dem die Kinder spielen - wie er es für höchst wahrscheinlich hält - , um ein Gewehr handelt. Soll der Beamte die Kinder nun ihrem Schicksal überlassen, weil er auf dem Rückweg von einem Einsatz, bei dem sein Augenlicht beeinträchtigt wurde, an der Jagdhütte vorbeikam? Der normativ-subjektive Gefahrbegriff kann dem Problem des Gefahrverdachts letztlich nicht entgehen. Er könnte es nur um den Preis einer radikalen Subjektivierung, die für den Gefahrbegriff allein auf den subjektiven Wissenshorizont des Beamten abstellt. Damit würde der Gefahrbegriff jedoch auch die Putativgefahr einschließen, was zumindest bislang allgemein abgelehnt wird. 110

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Die Überzeugung des Rechtsanwenders wird rein subjektiv gedacht. Eine Überzeugung liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwender nach normativen Maßstab überzeugt sein müßte, sondern nur, wenn er subjektiv überzeugt ist, vgl. entsprechend zum Grundsatz in dubio pro reo BVerfG, NJW 1988, 477: „Der Satz ,im Zweifel für den Angeklagten' ist daher nicht schon verletzt, wenn der Richter hätte zweifeln müssen, sondern nur, wenn er verurteilte, obwohl er zweifelte". Vgl. BVerfG, MDR 1975, 468/469; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 261 Rn. 26. 110 Denninger, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. E Rn. 37; Friauf, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 54; Götz, Polizeirecht, Rn. 160; Gusy, Polizeirecht, Rn. 122;

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Das Problem des Gefahrverdachts reicht tiefer als bislang angenommen. Aufgrund der unterschiedlichen Wissenshorizonte, die dem Gefahrbegriff und der verfahrensrechtlichen Überzeugungsbildung zugrunde gelegt werden, können sowohl bei dem objektiven als auch bei einem subjektiv-normativen Gefahrbegriff Situationen auftreten, in denen der Beamte zwar subjektiv mit einem polizeirechtlich relevanten Wahrscheinlichkeitsgrad von einem Schadenseintritt ausgeht, aber trotzdem nicht die nach dem allgemeinen Verfahrensrecht erforderliche Überzeugung von einer Gefahr besitzt. Wird der Überzeugungsmaßstab des allgemeinen Verfahrensrechts zugrunde gelegt, so dürften Gefahrenabwehrorgane in Fällen des Gefahrverdachts mangels an Sicherheit grenzender Überzeugung von einer Gefahr keine Maßnahmen ergreifen. Unter keinem in der Diskussion vertretenen Gefahrbegriff könnte in den jeweiligen Gefahrverdachtsfällen eine Handlungserlaubnis der Gefahrenabwehrorgane wie in Fällen der Anscheinsgefahr begründet werden. Zwischen dem objektiven und einem normativ-subjektiven Gefahrbegriff besteht insoweit nur ein gradueller Unterschied. Durch die Subjektivierung des Gefahrbegriffs wurde das Problem des Gefahrverdachts lediglich praktisch abgemildert, nicht aber behoben. Der Gefahrverdacht bleibt aber der Stachel im Fleisch des Gefahrenabwehrrechts, der die suchende Bewegung der Dogmatik seit dem Preußischen Oberverwaltungsgericht motiviert.

2. Beweismaßreduktion Zum einen ist die Analyse der Struktur des Gefahrverdachts ernüchternd: Auch wenn sich aus dem Gefahrverdacht keine Verwerfungen bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme ergeben, könnten die Gefahrenabwehrorgane auf der Grundlage der allgemeinen Verfahrensvorschriften in Situationen des Gefahrverdachts nicht einschreiten. Zum anderen zeigt die Struktur des Problems aber auch auf, wo eine Lösung ansetzen müßte, die das Problem des Gefahrverdachts nicht nur verschiebt, sondern behebt. Das Problem des Gefahrenabwehrrechts besteht nicht darin, daß das materielle Recht Phänomene nicht berücksichtigt, deren Bekämpfung mit dem Gefahrenabwehrrecht erstrebt wird. Das Gefahrenabwehrrecht dient dem Schutz von Rechtsgütern, die dieses Schutzes nur bedürfen, wenn objektiv eine Gefahr vorliegt. Mit der Gefahr erfaßt das materielle Recht alle für den Rechtsgüterschutz bedeutsamen Phänomene. Das Problem des Gefahrverdachts ist kein Problem eines zu engen oder zu weiten Gefahrbegriffs, sondern ein Problem der Gefahrermitt-

Schenke, in: Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. I I Rn. 28; Schoch, JuS 1994, 667/669; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 285.

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lung. Der Gefahrverdacht bezeichnet eine Schwierigkeit der Sachverhaltsaufklärung und ist nicht dem materiellen, sondern dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Dieser Schwierigkeit kann normativ nur dadurch abgeholfen werden, daß den in Gefahrverdachtsfällen besonders zeitlich stark eingeschränkten Sachverhaltsermittlungsmöglichkeiten durch eine verfahrensrechtlich erleichterte Sachverhaltsfeststellung Rechnung getragen wird. Die Probleme werden notwendig nur verschoben, wenn die Anforderungen des materiellen Rechts erleichtert, aber die Anforderungen des Verfahrensrechts an die Sachverhaltsfeststellung beibehalten werden. Die Schwierigkeiten wiederholen sich dann bei der Ermittlung der zurückgenommenen materiell-rechtlichen Anforderungen. Daran leiden letztlich alle bisherigen Versuche, den Gefahrverdacht über Anpassungen des materiellen Rechts einzufangen. Sie setzen nicht bei der Struktur des Problems an, so daß es sich in ihnen erneut abbilden kann. Gefahrenabwehrorgane können in Situationen des Gefahrverdachts nach dem allgemeinen Verfahrensrecht nicht einschreiten, weil sie nicht über die an Sicherheit grenzende Überzeugung von einer Gefahr verfügen, die das allgemeine Verfahrensrecht fordert. Soll die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane in Gefahrverdachtssituationen gewährleistet sein, so müssen die Anforderungen an das Überzeugungsmaß herabgesetzt werden. Erforderlich ist das, was in der beweisrechtlichen Literatur irrtümlicherweise schon mit der Wahrscheinlichkeit als Tatbestandmerkmal des materiellen Rechts in Verbindung gebracht wird. 111 Erforderlich ist eine Beweismaßreduktion. Gefahrenabwehrorgane müssen bei Gefahrverdacht auch schon dann handeln können, wenn sie nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer objektiven Gefahr überzeugt sind. Indem die Beweismaßreduktion die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsfeststellung absenkt, setzt sie an der Wurzel des Problems an. Mit ihr reagiert das Gefahrenabwehrrecht auf die Situation des Gefahrverdachts, wie unsere Rechtsordnung auch sonst auf Situationen reagiert, in denen um des Rechtsgüterschutzes willen unter Zeitdruck und mit entsprechend reduzierten Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung entschieden werden muß. Neben dem weniger geläufigen Beispiel der strafrechtlichen Eventualputativrechtfertigung 112 gilt dies besonders für alle Formen des einstweiligen Rechtsschutzes, die wesentlich durch reduzierte Beweiserfordernisse und ein

111 Dürig, Beweismaß, S. 17-19; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 460; Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 105, 218; i.e. zu dieser These s.o. 1. 112 Die Eventualputativrechtfertigung bezeichnet das dem Gefahrverdacht entsprechende Problem für die allgemeinen Rechtfertigungsgründe. Auch in Fällen des allgemeinen Notstandes kann sich der Retter nicht nur über eine Gefahr irren, sondern auch unsicher sein. I.e. dazu s.u. c) (III).

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

reduziertes Beweismaß gekennzeichnet sind. 113 Es verwundert daher nicht, daß Gefahrverdachtsmaßnahmen vom Preußischen Oberverwaltungsgericht ursprünglich als „einstweilige Anordnungen" 114 bezeichnet worden sind. Als Ermächtigung der Polizei zu „einstweiligen Anordnungen" wurden entsprechende Entscheidungen auch wahrgenommen. 115 Daß die Beweismaßreduktion letztlich vielleicht auch das ist, nach dem die Vertreter der Subjektivierung gesucht haben, deutet sich zumindest in einigen Stellen in der Literatur an. Schon Hoffmann-Riem, der als erster die Subjektivierung des Gefahrbegriffs theoretisch und systematisch zu begründen versuchte, setzt bei seiner Erörterung des Gefahrbegriffs nicht materiell-rechtlich an, sondern verfahrensrechtlich mit Überlegungen zu Besonderheiten des Beweismaßes im Gefahrenabwehrrecht. „Tatsachen werden in unserer Rechtsordnung nicht schon wegen ihres Vorhandenseins, sondern erst aufgrund ihres Bewiesenseins als rechtserheblich anerkannt. Das Bewiesensein knüpft an die ,Überzeugung4 der zur Beweiswürdigung kompetenten Person an. Die als Maßstab angerufene ,Überzeugung' kann nur auf einem Wahrscheinlichkeitsurteil fußen. Ein bestimmter Grad an Wahrscheinlichkeit wird als Wahrheit fingiert. ... Insoweit unterscheidet sich die polizeiliche Tatsachenfeststellung nicht von der im übrigen Verwaltungsverfahren oder im Gerichtsprozeß. Gleichwohl besteht eine erhebliche Besonderheit. Schon die materiellen-polizeirechtlichen Ermächtigungsnormen verweisen nämlich durch die Wahl der Tatbestandsmerkmale, Gefahr, Störung' u.ä. auf notwendige Wahrscheinlichkeitsurteile. ... Aus der besonderen polizeilichen Aufgabenstellung kann folgen, daß die Polizei sich schon mit einem geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad begnügen darf als z.B. die Gerichte beim sog. Vollbeweis." 116 Was Hoffmann-Riem zu Beginn seiner Ausführungen zum Gefahrbegriff fordert, ist keine subjekti vierende Interpretation des materiellen Rechts, sondern eine verfahrensrechtliche Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs bei der Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen polizeilicher Befugnisnormen. Er fordert zunächst lediglich 113

Z.B. § 920 Abs. 2 ZPO; § 123 Abs. 3 VwGO, die für den einstweiligen Rechtsschutz nur eine Glaubhaftmachung i.S.d. § 294 ZPO verlangen. 114 PrOVGE 77, 333/LS, 339. 115 Gerland, JW 1930, 1214, rügt eine entsprechende Entscheidung des Reichsgerichts, JW 1930, 1213, weil die Polizei dadurch in Konkurrenz zu den verfahrensrechtlichen Befugnissen der Zivilgerichte beim Erlaß einstweiliger Verfügungen trete. In der zivilprozessualen Regelungsanordnung wurde und wird wiederum ein genuin polizeirechtliches Institut gesehen, Rohmeyer, Einstweilige Anordnung, S. 27 f. m.w.N. 116 Hoffinann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/329 f.; vgl. auch Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn. 21, die für den Gefahrbegriff ebenfalls eine Beweismaßreduktion annehmen und Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 273, der die Anscheinsgefahr in Verbindung mit Überlegungen zum Beweismaß im Verwaltungsverfahren bringt.

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eine Beweismaßreduktion für das Gefahrenabwehrrecht. Nur weil er dann im Fortgang Beweismaßreduktion und Subjektivierung des Gefahrbegriffs gleichsetzt, gelangt er zu einem subjektiven Gefahrbegriff. Auch bei Neil wird der subjektive Gefahrbegriff mit einer Beweismaßreduktion in Verbindung gebracht nur daß Neil nicht von der Beweismaßreduktion auf einen subjektiven Gefahrbegriff, sondern von der Subjektivität der Wahrscheinlichkeit und des Gefahrbegriffs auf die Beweismaßreduktion schließt.117

a) Beweismaßreduktion und Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes Bedenken gegen die Annahme einer Beweismaßreduktion in Fällen des Gefahrverdachts lassen sich unter zwei Gesichtspunkten formulieren. Zum einen weicht die Beweismaßreduktion vom allgemeinen Verfahrensrecht ab. Insoweit stellt sich die Frage, ob das allgemeine Verfahrensrecht als abschließende Regelung verstanden werden muß. Zum anderen müßte sich eine Beweismaßreduktion vor dem Vorbehalt des Gesetzes rechtfertigen lassen. Einer gefahrenabwehrrechtlichen Beweismaßreduktion steht das allgemeine Verwaltungsverfahrens- und Prozeßrecht nicht entgegen. Zwar sieht das allgemeine Verwaltungsverfahrens- und Prozeßrecht grundsätzlich die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit als Überzeugungsgrad vor, doch ist anerkannt, daß der verfahrensrechtlich Überzeugungsgrad durch das materielle Recht modifiziert werden kann. 118 Das materielle Recht ist insoweit lex specialis zu den Regelungen des Verfahrens- und Prozeßrechts. 119 Beweismaßreduktionen be117

Neil, Wahrscheinlichkeitsurteile, S. 105-107. BVerfGE 69, 44; BVerwGE 41, 54/58; 55, 82/86; 67, 195/199; BSGE 32, 203/208-210; Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 124-131; Geiger, in: Eyermann, § 108 Rn. 3; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, § 108 Rn. 5; ders, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn. 22, mehr auf die Beweiswürdigung abstellend, aber einräumend, daß auch dies letztlich zu einer Reduktion des Beweismaßes führt; Clausen, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rn. 5; Martens, Verwaltungsverfahren, Rn. 156-173; Nierhaus, Beweismaß, S. 64-71, 79-116; Redeker/v.Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, § 108 Rn. 1; Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, §24 Rn. 20; Walter, Beweiswürdigung, S. 117-120 (zur Verwaltungsgerichtsbarkeit), S. 205-258 (Fallgruppen der Beweismaßreduzierung).Walter gewinnt für die Sozialgerichtsbarkeit sogar den Eindruck, als seien die „Ausnahmen in Form der Beweismaßreduzierung die Regel", ebd. S. 130. 119 Daher stehen einer materiell-rechtlichen Beweismaßreduktion auch keine kompetenzrechtlichen Bedenken entgegen. Das Bundesprozeßrecht normiert nur das prozeßuale Regelbeweismaß, das dann gilt, wenn sich aus den Regelungen des materiellen Rechts kein anderes Beweismaß ergibt. Zumindest soweit die Festlegung eines besonderen Beweismaßes Bestandteil einer Sachregelung ist, folgt die Regelungskompetenz der Sachmaterie. 118

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

dürfen keiner ausdrücklichen verfahrensrechtlichen Regelung. Für das Verwaltungsverfahren ist selbst das Regelbeweismaß nicht ausdrücklich normiert. Es ist allgemein anerkannt, daß sich nicht nur aus der Interpretation des Verfahrensrechts, sondern auch aus der Auslegung des materiellen Rechts Beweismaßregeln ermitteln lassen. Soweit das materielle Gefahrenabwehrrecht einer entsprechenden Interpretation offen steht, ergeben sich aus dem allgemeinen Verfahrensrecht keine Bedenken gegen die Annahme einer Beweismaßreduktion. Die Beweismaßreduktion muß sich als Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse auch vor dem Gesetzesvorbehalt rechtfertigen. Zwar führt die Beweismaßreduktion nicht zur Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrmaßnahme, doch folgt aus ihr eine erweiterte Handlungserlaubnis der Gefahrenabwehrorgane. Auf der Grundlage des allgemeinen Verfahrensrechts dürfen Amtsträger erst Maßnahmen ergreifen, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Überzeugung von den tatsächlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage ausgehen. Die grundrechtliche Unterlassungspflicht der Amtsträger wird durch das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht erst an der Schwelle der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit aufgehoben. Durch eine Beweismaßreduktion wird die grundrechtliche Unterlassungspflicht gegenüber dem allgemeinen Verfahrensrecht weiter eingeschränkt. 120 Während die Gefahrenabwehrorgane auf der Grundlage des allgemeinen Verfahrensrechts bei Gefahrverdacht nicht in die Grundrechte des durch eine Gefahrenabwehrmaßnahme Betroffenen eingreifen dürften, erhalten sie durch die Beweismaßreduktion eine entsprechende Handlungserlaubnis. Vor dem Vorbehalt des Gesetzes läßt sich eine Beweismaßreduktion mithin nur rechtfertigen, wenn nachgewiesen werden kann, daß die Gefahrenabwehrgesetze die Gefahrenabwehrorgane in den Stand setzen sollen, auch bei Gefahrverdacht Gefahrenabwehrmaßnahmen zu ergreifen. Für eine entsprechende Auslegung der gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen sprechen neben teleologischen auch historische und genetische Gründe.

(1) Gefahrverdacht und Teleologie des Gefahrenabwehrrechts Das Gefahrenabwehrrecht dient der Abwehr von objektiven Gefahren. Der Gefahrverdacht verhält sich zu dem Zweck des Gefahrenabwehrrechts ambivalent. Der Gefahrverdacht, die subjektive Ungewißheit eines Gefahrenabwehrorgans über das Vorliegen einer objektiven Gefahr, kann unbegründet sein; er kann aber auch auf einer objektiven Gefahr beruhen. Sind die Gefahrenabwehr120

Daß der betroffene Bürger die Gefahrenabwehrmaßnahme wegen ihrer Rechtswidrigkeit unter Umständen nicht dulden muß - dazu unten C - , ihre Aufhebung, Folgenbeseitigung und Entschädigung verlangen kann, bedeutet nicht, daß die grundrechtliche Unterlassungspflicht des Staates zurückgenommen wird.

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organe bei Gefahrverdacht nicht handlungsfähig, wird in all den Fällen der Zweck des Gefahrenabwehrrechts verfehlt, in denen dem subjektiven Gefahrverdacht eine objektive Gefahr zugrunde lag. Eine ähnliche Überlegung spräche zwar auch für die Besteuerung auf der Grundlage eines Verdachts, doch anders als in anderen Verwaltungsbereichen ist der Gefahrverdacht weder systematisch noch quantitativ eine hinzunehmende Randerscheinung, sondern ein der Struktur des Gefahrabwehrzwecks geschuldeter Bestandteil des polizeilichen Alltags. Gefahrenabwehr will - anders etwa als Schadensersatz - der Zukunft zuvorkommen. Schon durch seine Aufgabenstellung wird das Gefahrenabwehrrecht unter Zeitdruck gesetzt. Damit unterscheidet sich die Gefahrenabwehr strukturell von anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung wie etwa der Steuererhebung. Während in anderen Bereichen der Verwaltung vor der Verwaltungsentscheidung regelmäßig alle zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft werden können, erledigte sich die Aufgabe der Gefahrenabwehr in Fällen des Gefahrverdachts, würde die Verwaltung sich zunächst Sicherheit über das Vorliegen einer objektiven Gefahr verschaffen. Während in anderen Bereichen der Verwaltung die Sachaufklärung nicht mit dem Verwaltungszweck kollidiert, kann die Sachaufklärung in Fällen des Gefahrverdachts den Zweck des Gefahrenabwehrrechts konterkarieren. Bis die Polizei ihre Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft hat, ist der Schaden, dem sie zuvorkommen soll, bereits eingetreten, wenn der Verdacht begründet war. Wären die Gefahrenabwehrorgane bei Gefahrverdacht nicht handlungsfähig, müßten aufgrund der erforderlichen Adhoc-Entscheidungen strukturell all diejenigen Gefahren unabgewendet bleiben, die sich nicht ad hoc mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufklären ließen. Daß dies nicht mit dem Zweck des Gefahrenabwehrrechts vereinbar sein kann, wird deutlich, wenn die quantitative Bedeutung des Gefahrverdachts ins Auge gefaßt wird. Auch wenn der Gefahrverdacht in der polizeilichen Praxis nicht die Regel sein dürfte, ist er doch keine Ausnahmeerscheinung, sondern polizeilicher Alltag. Bei genauerem Hinsehen dürften sich viele Gefahren und Anscheinsgefahren als Gefahrverdachtsfälle erweisen, hängt doch die Qualifizierung letztlich wesentlich davon ab, wieweit Alternativen in Betracht gezogen werden. So mag die Bombendrohung, soweit eine Bombe existiert, subjektiv als Gefahr oder, soweit sie nicht existiert, als Anscheinsgefahr wahrgenommen werden; wird hingegen in Betracht gezogen, daß die Anzahl der „leeren" Bombendrohungen in der Praxis weit über 90% ausmacht, so wird der Beamte, der diese Praxis reflektiert, kaum noch zu der an Sicherheit grenzenden Überzeugung von einer objektiven Gefahr gelangen können. Will das Gefahrenabwehrrecht den polizeilichen Alltag nicht verfehlen, muß es die Gefahrenabwehrorgane grundsätzlich schon bei Gefahrverdacht handlungsfähig machen.

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(2) Gefahrverdacht in der Geschichte des Gefahrenabwehrrechts Angesichts dieses starken teleologischen Befundes verwundert es nicht, daß die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden in Gefahrverdachtssituationen nie in Frage gestellt worden ist. Umstritten war allenfalls die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme, die nicht tatsächlich auf einer Gefahr beruhte. Daß die Gefahrenabwehrbehörden bei Gefahrverdacht aber zunächst handeln können sollten, wurde weder in der Rechtsprechung noch in der polizeirechtlichen Literatur je angezweifelt. Schon in den Konfliktentscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts wird deutlich, daß dem Beamten bei einem Einschreiten bei Gefahrverdacht eine Überschreitung der Amtsbefugnisse nicht zum Vorwurf gemacht wurde. „Denn wenn auch von einem Beamten gefordert werden muß, daß er den Tatbestand genau prüft und danach seine Entschließung trifft, so findet doch diese Forderung dort ihre Grenze, wo die Notwendigkeit eines sofortigen Einschreitens eine sichere Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse nicht gestattet. In Fällen dieser Art kann von dem Beamten nicht mehr verlangt werden, als daß er sorgfältig abwägt, ob die tatsächliche Lage, wie sie sich ihm nach verständigem Ermessen im Augenblicke des Eingreifens, darstellt, die von ihm zu ergreifende Maßnahme auch wirklich rechtfertigt." 121 Den Konfliktentscheidungen liegt noch ganz das auch hier vertretene Modell zugrunde, nach dem zwischen der „wirklichen Rechtfertigung" und der subjektiven Vorwerfbarkeit der Maßnahme unterschieden werden muß. Bei der Prüfung der vorwerfbaren Überschreitung der Dienstbefugnisse im Rahmen des Konfliktverfahrens erspart das Preußische Oberverwaltungsgericht dem Beamten, der den Schadenseintritt nur subjektiv für wahrscheinlich hielt, ohne von einer objektiven Gefahr überzeugt zu sein, den Vorwurf einer Amtsüberschreitung unbeschadet der Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Dieses Ergebnis setzt eine Beweismaßreduktion voraus. Anders lassen sich objektive Rechtswidrigkeit einer Maßnahme und die Ablehnung einer vorwerfbaren Amtsüberschreitung nicht zusammen bringen. Entsprach der dogmatische Ansatz des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zunächst der hier vorgeschlagenen Beweismaßreduktion, hat das Gericht später nach dem Wegfall des Konfliktverfahrens - seine dogmatische Strategie geändert. Während es in der Brandmauer-Entscheidung 122 einen Gefahrverdacht in den Gefahrbegriff einbezieht, kommt es in der Möbelwagen- 123 und der Unterbringungs- 124Entscheidung zu der Annahme einer mit der Generalklausel gegebe121 122 123 124

PrOVGE 75, 435/439. PrOVG, PrVBl. 32, 119 PrOVGE 77, 333. PrOVGE 103, 142.

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nen Ermächtigung zum Erlaß einstweiliger polizeilicher Verfugungen. Jedenfalls hat das Gericht nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Gefahrenabwehrorgane sich nicht disziplinarisch verantwortlich machen, wie immer auch die Rechtmäßigkeit der Maßnahme beurteilt worden ist. Die Rechtsprechung besonders des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts haben dann den Gefahrbegriff subjekti viert, um die Gefahrenabwehrbehörden bei Gefahrverdacht handlungsfähig zu halten. Dem ist die Literatur weitgehend gefolgt. Doch auch Autoren, die an einem objektiven Gefahrbegriff festgehalten haben, gehen entweder von einer mit der Gefahrenabwehrbefugnis geregelten 125 oder neben ihr gewohnheitsrechtlich anerkannten 126 Befugnis zum Erlaß vorläufiger Gefahrverdachtsmaßnahmen aus. Selbst Schwabe, der auch einer solchen Befugnis skeptisch gegenüber steht, 127 läßt keinen Zweifel daran, daß die Polizei in Fällen des Gefahrverdachts handeln können soll, wenn er auch die genaue Konstruktion, mit der er die nachteiligen Konsequenzen eines objektiven Gefahrbegriffs für die Handlungsfähigkeit der Polizei ausschließen will, nicht im einzelnen ausgeführt hat. 128 Aus historischer Perspektive läßt sich sagen, daß eine ganze Reihe unterschiedlicher dogmatischer Vorschläge gemacht worden sind, um die Handlungsfähigkeit der Behörden schon bei Gefahrverdacht zu sichern. Doch in diesem Ziel waren sich alle Vorschläge einig - beruhten sie nun auf einer Beweismaßreduktion, der Anerkennung einstweiliger Regelungsbefugnisse der Polizei, der Subjektivierung des Gefahrbegriffs oder gewohnheitsrechtlichen Überlegungen.

(3) Gefahrverdacht und Kodifikation des Gefahrenabwehrrechts Auf der Geschichte des Gefahrenabwehrrechts ruht dessen Kodifikation. Dies gilt zunächst für das preußische Polizeiverwaltungsgesetz von 1931, das sich zumindest, was die grundsätzlichen Begriffe und Eingriffsermächtigungen betraf, als Kodifikation der Praxis des Preußischen Oberverwaltungsgerichts verstand. 129 Die Anerkennung der Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbe125

Götz, Polizeirecht, Rn. 155. Kickartz, Ermittlungsmaßnahmen, S. 253-268. 127 Schwabe, in: GS Martens, S. 419/427 Fn. 39. 128 Schwabe, in: GS Martens, S. 419/439-444. 129 Götz, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 417, 419; ders, Polizeirecht, Rn. 58, 61, der die hier untersuchten dogmatischen Zusammenhänge als die „klassische rechtsstaatliche Schicht" der heutigen Polizeigesetze bezeichnet, die daneben noch die jüngeren Schichten der Standardbefugnisse und der Befugnisnormen zur Datenerhebung und -Verarbeitung aufweisen. Vgl. auch Harnischmacher/Semerak, Deutsche Polizeigeschichte, S. 82; Jellinek, RVB1. 1931, S. 121; Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. 3, S. 6. 126

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

hörden bei Gefahrverdacht entsprach der wenn auch dogmatisch schwankenden, so aber doch im Ergebnis eindeutigen Rechtsprechungspraxis des Gerichts. Diese im Ergebnis eindeutige Praxis des Preußischen Oberverwaltungsgerichts hat das Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 kodifiziert. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß das preußische Polizeiverwaltungsgesetz im Gegensatz zur Praxis des Preußischen Oberverwaltungsgerichts ein Einschreiten der Gefahrenabwehrbehörden bei Gefahrverdacht nicht gewährleisten wollte. Die dogmatischen Unsicherheiten, die sich mit der rechtstechnischen Absicherung der Handlungsfähigkeit bei Gefahrverdacht verbanden, hat die Kodifikation hingegen nicht beseitigt. Doch wie schon in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts sollte der Polizei - nunmehr gesetzlich - mit den Befugnissen zur Gefahrenabwehr die Möglichkeit eröffnet sein, auch bei Gefahrverdacht einzuschreiten. 130 Daran haben die Gefahrenabwehrgesetze der Bundesrepublik, sei es der ersten 131, zweiten 132 oder dritten 133 Generation 134, nichts geändert, die für das materielle Polizeirecht - in der ersten Generation mit der Ausnahme Bayerns - das dogmatische Grundmuster des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes übernahmen. 135 So heißt es etwa in der Begründung 130 Ein entsprechendes Argument läßt sich nicht für die Subjektivierung des Gefahrbegriffs formulieren, soweit er auch zur Rechtmäßigkeit von Maßnahmen aufgrund einer Anscheinsgefahr führen soll. In keiner Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts wird eine Maßnahme aufgrund eines Irrtums für rechtmäßig erachtet. Die Grudekoks-Entscheidung weist vielmehr in die entgegengesetzte Richtung. Und auch in der Bundesrepublik betreffen die Entscheidungen zur Subjektivierung des Gefahrbegriffs zunächst nur vorläufige Maßnahmen im Rahmen eines Gefahrverdachts. I.e. s.o. Teil 1 : C. I. 1. b), 2 a) und b). 131 Mit der ersten Generation seien die Gesetze der 50er und 60er Jahre bezeichnet, die das Vorkriegs- und alliierte Recht ablösten: Baden-Württemberg 1955, Bayern 1954, Bremen 1960, Hamburg 1966, Hessen 1954, Niedersachsen 1951, Nordrhein-Westfalen 1953, Rheinland-Pfalz 1954, Schleswig-Holstein 1967. 132 Mit der zweiten Generation seien die Gesetze bezeichnet, die aus dem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder von 1976/77 hervorgegangen sind: Berlin - auf der Grundlage einer Entwurfsfassung - 1975, Bayern 1978, Niedersachen 1981, Nordrhein-Westfalen 1980, Rheinland-Pfalz 1981, Bremen 1983. 133 Mit der dritten Generation seien die Neukodifikationen bezeichnet, die durch die von dem Volkszählungs-Urteil (BVerfGE 65, 1) ausgelöste Diskussion um die informationellen und vorbeugenden Befugnisse angeregt worden sind: Baden-Württemberg 1991, Bayern 1990, Berlin 1992, Bremen 1990, Hamburg 1991, Hessen 1989, Niedersachsen 1994, Nordrhein-Westfalen 1990, Rheinland-Pfalz 1986, Saarland 1989; Schleswig-Holstein 1992. In den neuen Ländern galt zunächst das in Anlehnung an das nordrhein-westfälische Polizeigesetz von 1990 erlassene Polizeigesetz der DDR von 1990, das in Mecklenburg-Vorpommern 1992, Sachsen 1991, 1994, Sachsen-Anhalt 1991, Thüringen 1992 durch Landesgesetze abgelöst worden ist. 134 Eine entsprechende Periodisierung bei Götz, Polizeirecht, Rn. 58-60. 135 Götz, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, S. 447.

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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zur polizeilichen Generalklausel des einheitlichen Musterentwurfs von 1975: „Der Entwurf enthält in § 8 Abs. 1 eine Generalklausel für die Befugnisse der Polizei, die inhaltlich mit § 24 pr PVG und den entsprechenden Vorschriften der geltenden Polizeigesetze übereinstimmt." 136 Die dogmatische Lösung des Gefahrverdachtsproblems wurde weiterhin der Rechtsprechung und Literatur überlassen. Nichts deutet daraufhin, daß die Neukodifikationen die Handlungsfähigkeit der Polizei bei Gefahrverdacht gegenüber der bisherigen Praxis und Rechtslage beschränken wollten. Auch die aktuellen Gefahrenabwehrgesetze wollen die Handlungsfähigkeit der Behörden bei Gefahrverdacht sichern - ohne jedoch eine dogmatische Vorgabe zu machen. Damit entspannt sich die Frage des Gesetzesvorbehalts. Daß Gefahrenabwehrbehörden bei Gefahrverdacht die betroffenen Rechtsgüter nicht ihrem Schicksal überlassen müssen, liegt allen Gefahrenabwehrgesetzen beginnend beim preußischen Polizeiverwaltungsgesetz zugrunde. Zumindest soweit dogmatische Konstruktionen zur Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden bei Gefahrverdacht führen, können sie sich auf die Gefahrenabwehrgesetze berufen. Die dogmatische Konstruktion haben die Gefahrenabwehrrechtsgesetzgeber traditionell Rechtsprechung und Lehre überlassen. Aber eine Interpretation, die die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden bei Gefahrverdacht gewährleistet, geht jedenfalls dadurch nicht über das hinaus, zu dem die Gefahrenabwehrrechtsgesetzgeber ermächtigt haben. Dies gilt auch für die hier vorgeschlagene Beweismaßreduktion. Sie hat in den gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungen eine ausreichende gesetzliche Grundlage und genügt damit dem Vorbehalt des Gesetzes.

b) Art der Beweismaßreduktion Die Art der Beweismaßreduktion muß sich an der Art des mit ihr zu lösenden Problems orientieren. Die Beweismaßreduktion bei Gefahrverdacht dient dem effektiven Rechtsgüterschutz. Ausgehend von diesem Zweck muß sie sowohl hinsichtlich ihres Grades, d.i. der Wert um den das Beweismaß herabgesetzt werden soll, als auch hinsichtlich ihrer Voraussetzungen näher bestimmt werden.

(1) Grad der Beweismaßreduktion An das Maß der subjektiven Überzeugung hinsichtlich einer objektiven Gefahr sind um so geringere Anforderungen zu stellen, desto größer die objektive 136

Heise/Riegel, Musterentwurf, S. 18.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Schadenswahrscheinlichkeit und der befürchtete Schaden eingeschätzt werden. Insoweit folgt die Beweismaßreduktion dem dynamischen Modell der umkehrten Proportionalität, das auch der Bestimmung der polizeirechtlich relevanten Schadenswahrscheinlichkeit zugrunde gelegt wird. Eine rechtsgüterschutzorientierte dynamische Beweismaßreduktion ist auch in den ähnlich gelagerten Fallkonstellationen des einstweiligen Rechtsschutzes zu beobachten137 und entspricht den strafrechtlichen Überlegungen zur Ungewißheit über den Rechtfertigungsgrund 138. Die genaue Festlegung und praktische Bestimmung des Grades der Beweismaßreduktion kann sich dabei an folgenden Überlegungen orientieren. Beweisrechtlich ist die an Sicherheit grenzende Überzeugung von einer objektiven Wahrscheinlichkeit anders zu beurteilen als eine geringere Überzeugung von einer entsprechend höheren objektiven Wahrscheinlichkeit. Beweisrechtlich besteht ein Unterschied zwischen der Situation, in der die Polizei sicher ist, daß unter dem Haus ein Blindgänger liegt, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,1 explodiert, und der Situation, in der die Polizei mit einer subjektiven Wahrscheinlichkeit von 0,1 davon ausgeht, daß hinter der Bombendrohung tatsächlich eine Bombe steht, für diesen Fall aber sicher ist, daß die Bombe zündet. Im letzteren Fall fehlt die im allgemeinen Verfahrensrecht verlangte an Sicherheit grenzende Überzeugung von einer objektiven Gefahr. Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes sind beide Situationen hingegen gleichwertig. Der Rechtsgüterschutz vor Ort ist immer auf die subjektive Einschätzung des Beamten angewiesen. Bezüglich des Schadenseintritts ist das subjektive Urteil des Beamten aber in beiden Fällen identisch. In beiden Fällen geht er mit einer subjektiven Wahrscheinlichkeit von 0,1 vom Eintritt eines Schadens aus. Ist das Wahrscheinlichkeitsurteil, auf das sich das subjektive Wahrscheinlichkeitsurteil bezieht, ein objektives, so entspricht der Wert der subjektiven Wahrscheinlichkeit des Ereignisses dem Produkt aus dem Wert der subjektiven Wahrscheinlichkeit über das objektive Wahrscheinlichkeitsurteil und dem Wert des objektiven Wahrscheinlichkeitsurteils. 139 Der Wert der subjektiven Wahrscheinlichkeit des

137

Grigoleit, Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, S. 180; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 1002-1004 jeweils m.w.N. 138 Dazu i.e. unten c) (III). 139 Ein solcher Zusammenhang besteht nicht, wenn das subjektive Wahrscheilichkeitsurteil kein objektives Wahrscheinlichkeitsurteil, sondern etwa ein anderes subjektives zum Gegenstand hat. In dem Beispiel des Anlagebetrügers entspricht der Wert der subjektiven Wahrscheinlichkeit, mit der der Betrüger Unternehmensgewinne erwartet, nicht dem Produkt aus dem Wert der Wahrscheinlichkeit, mit der er erwartet, daß der Betrogene Unternehmensgewinne für wahrscheinlich hält, und dem Wert der Wahrscheinlichkeit mit der der Betrogene nach Ansicht des Betrügers die Unternehmensgewinne erwartet. Wenn der Anlagebetrüger annimmt, daß der Betrogene mit einer Wahr-

Β. Disziplinar- und strafrechtliche Verantwortlichkeit

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Schadenseintritts entspricht dem Produkt des Überzeugungsgrades von einer Gefahr und dem Grad dieser Gefahr. Das subjektive Wahrscheinlichkeitsurteil über den Schadenseintritt stützt sich gerade auch auf das, was es für ein objektives Wahrscheinlichkeitsurteil hält. Das materielle Gefahrenabwehrrecht verlangt eine objektive Schadenswahrscheinlichkeit, die sich nach dem Ausmaß des zu erwartenden Schadens richtet. Droht ein Blindgänger unter einem Wohnhaus zu explodieren, so würde etwa auch der im Beispiel genannte Wahrscheinlichkeitswert von 0,1 ausreichen, eine polizeirechtlich relevante Gefahr zu begründen. Die nach dem allgemeinen Verfahrensrecht erforderliche Überzeugung, mit der eine entsprechende Schadenswahrscheinlichkeit angenommen werden muß, ist dem Wert 1 angenähert. Da der Wert der subjektiven Schadenswahrscheinlichkeit dem Produkt des Überzeugungsgrades von der Gefahr und dem Grad der Gefahr entspricht, läßt sich auch sagen, daß in Fällen der nach allgemeinem Verfahrensrecht erforderlichen Überzeugung von einer Gefahr, der Wert der subjektiven Schadenswahrscheinlichkeit cum grano salis dem Wert der objektiven Schadens Wahrscheinlichkeit entspricht. Wenn aber unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes letztlich unterschiedlich gebildete subjektive Schadenswahrscheinlichkeiten gleichwertig sind, so läßt sich der Grad der Beweismaßreduktion als Funktion der subjektiven Schadenseintrittswahrscheinlichkeit bestimmen. Der Grad der Beweismaßreduktion ergibt sich danach aus dem Wert der konkreten objektiven Schadenswahrscheinlichkeit abzüglich des Mindestwerts, den die objektive Schadenswahrscheinlichkeit angesichts des befürchteten Schadens erreichen muß. Das Beweismaß wird um die Differenz zwischen dem konkreten Wert und dem polizeirechtlichen Mindestwert der objektiven Schadenswahrscheinlichkeit reduziert. Dies gewährleistet, daß die subjektive Schadenswahrscheinlichkeit trotz der Beweismaßreduktion, den Mindestwert nicht unterschreitet, den die subjektive Schadenswahrscheinlichkeit auch im Falle der sicheren Überzeugung von einer Gefahr nicht unterschreiten darf. Eine der Beweismaßreduktion entsprechende Überzeugung von einer objektiven Gefahr liegt mithin immer dann vor, wenn die subjektive Schadenswahrscheinlichkeit den Wert erreicht oder übersteigt, den das materielle Recht von der objektiven Schadenswahrscheinlichkeit verlangt. Aufgrund der Beweismaßreduktion darf der Beamte immer dann einschreiten, wenn er subjektiv mit einem polizeirechtlich beachtlichen Grad vom Eintritt eines Schadens überzeugt ist. Erst aufgrund der Beweismaßreduktion und nur soweit die Beweismaßreduktion greift, werden die Bedingung der Überzeugung von der objektiven Wahrscheinlichkeit eines Schadens und die Bedingung der Überzeugung von scheinlichkeit von 0,9 die Gewinnwahrscheinlichkeit mit 0,8 einstuft, bedeutet dies nicht, daß er selbst die Gewinnwahrscheinlichkeit mit 0,72 ansetzen muß.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

einem Schadenseintritt ergebnisäquivalent. Die zunächst recht komplex wirkende doppelte Relativität der Beweismaßreduktion einerseits zur objektiven Schadenswahrscheinlichkeit und anderseits zum Schadensausmaß kann für die Arbeit der Gefahrenabwehrorgane auf die einfache heuristische Formel reduziert werden, daß sie in Fällen des Gefahrverdachts einschreiten dürfen, wenn sie mit einem polizeirechtlich beachtlichen Wahrscheinlichkeitsgrad von dem Eintritt eines Schadens überzeugt sind. Trotz ihres wahrscheinlichkeitstheoretisch komplexen Hintergrunds, erweist sich die Beweismaßreduktion als ein für die polizeiliche Praxis denkbar einfach zu handhabendes rechtstechnisches Instrument zur Gewährleistung ihrer Handlungsfähigkeit bei Gefahrverdacht.

(2) Voraussetzungen der Beweismaßreduktion Sachlich legitimiert wird die Beweismaßreduktion durch die mit der Aufgabe der Gefahrenabwehr strukturell verbundenen Schwierigkeiten der Sachverhaltsaufklärung. Die Schwierigkeiten werden durch den tatsächlich oder vermeintlich drohenden Schaden erzeugt, dem die Gefahrenabwehr zuvor kommen muß. Nur soweit und solange diese spezifischen Erschwernisse der Sachverhaltsermittlung einer dem allgemeinen Beweismaß entsprechenden Überzeugungsbildung im Wege stehen, ist dessen Absenkung sachlich gerechtfertigt und erforderlich. Die Gefahrenabwehrorgane können sich auf die Beweismaßreduktion nur dort berufen, wo die befürchtete Gefahr nur abgewendet werden kann, wenn sie vor einer weiteren Sachverhaltsaufklärung handeln. Dies bedeutet zunächst, daß die Gefahrenabwehrorgane auch bei Gefahrverdacht die Sachverhaltsaufklärung soweit treiben müssen, wie es die befürchtete Gefahr irgend erlaubt. Sie dürfen die Sachverhaltsermittlung auch bei Gefahrverdacht nicht schon einstellen, wenn sie zu einer nach den Maßstäben des reduzierten Beweismaßes ausreichenden Überzeugung gelangt sind, aber die befürchtete Gefahr ihnen noch die Möglichkeit zu weiteren Ermittlungen läßt. Die Beweismaßreduktion setzt erst ein, wenn alle trotz der Aufklärungsschwierigkeiten erreichbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind. Erlaubt im Jagdhüttenbeispiel die Zeit noch die Befragung des vorbeikommenden Eigentümers, darf der Beamte nicht schon eingreifen, weil er aufgrund seines Augenscheins mit einer hohen subjektiven Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, daß die Kinder mit echten Jagdgewehren spielen. Die Besonderheiten des Gefahrverdachts entfallen nach dem Eintritt oder dem Ausbleiben des befürchteten Schadens. Die Beweismaßreduktion ist auf die spezifischen Schwierigkeiten der Sachverhaltsermittlung unter dem Druck des befürchteten Schadenseintritts zugeschnitten. Ist der Schaden schon eingetreten oder ist er ausgeblieben, besteht keine Notwendigkeit mehr, für die gefah-

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renabwehrrechtliche Beurteilung des Sachverhalts eine Beweismaßreduktion vorzunehmen. Dies bedeutet, daß für die Beurteilung einer Gefahrenabwehrmaßnahme nach Eintritt oder Ausbleiben des Schadens das allgemeine Beweismaß gilt. Widerspruchsbehörden und Gerichte, die Gefahrenabwehrmaßnahmen überprüfen, befinden sich regelmäßig nicht in einem der Ausgangsbehörde vergleichbaren Ermittlungsnotstand. Mit dem Ermittlungsnotstand entfällt die Legitimation für eine Beweismaßreduktion. Die Rechtsbehelfsinstanzen dürfen die Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrmaßnahme regelmäßig nur annehmen, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt sind, daß eine objektive Gefahr vorgelegen hat. Nach dem Abriß eines Gebäudes aufgrund eines Gefahrverdachts kann etwa das Verwaltungsgericht die Abrißmaßnahme nur dann für rechtmäßig erachten, wenn es zu der an Sicherheit grenzenden Überzeugung gelangt, daß das Gebäude tatsächlich einsturzgefährdet war.

c) Bedeutung der Beweismaßreduktion Abschließend sei noch einmal zusammenfassend erläutert, wie sich die Beweismaßreduktion auf das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr auswirkt. Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, daß sich die Bedeutung der Beweismaßreduktion auf die disziplinar- und strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des handelnden Beamten beschränkt und grundsätzlich keinen Einfluß auf die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme durch die Rechtsbehelfsinstanzen hat.

(1) Rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme Auf die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme durch die Rechtsbehelfsinstanzen wirkt sich die Beweismaßreduktion grundsätzlich nicht aus. Durch die Beweismaßreduktion wird das Problem des Gefahrverdachts für die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme unsichtbar gehalten. Das Rechtswidrigkeitsurteil über die Gefahrenabwehrmaßnahme und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen des Gefahrenabwehrrechts bestimmen sich allein danach, ob eine objektive Gefahr vorgelegen hat oder nicht. Die gefahrenabwehrrechtliche Bewertung des Gefahrverdachts, dem keine Gefahr zugrunde lag, entspricht derjenigen der Anscheinsgefahr. Letztlich wird durch die Absenkung des Beweismaßes bei Gefahrverdacht nur die „Irrtumsschwelle" für den unter Zeitdruck handelnden Beamten herabgesetzt. Er darf eher als sonst und damit auch eher irrtümlich als sonst von einer Gefahr ausgehen. Greift der Beamte aufgrund eines Gefahrverdachts ein, dem keine Gefahr zugrunde lag, so ist 12 Poscher

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

der Eingriff ebenso rechtswidrig wie im Falle der Anscheinsgefahr. Entsprechend kann Kostenersatz für Gefahrverdachtsmaßnahmen auch nur gefordert werden, wenn eine Gefahr vorlag; und dem Betroffenen steht zumindest dem Grunde nach ein Entschädigungsanspruch zu, wenn es an einer Gefahr fehlte. Läßt sich nicht mehr klären, ob eine Gefahr vorlag, trifft die materielle Beweislast für das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen den Staat.140 Ihr wird erst genügt, wenn die Rechtsbehelfsinstanz, die bei ihrer Sachverhaltsermittlung nicht unter den für den Gefahrverdacht spezifischen Pressionen steht, zu der an Sicherheit grenzenden Überzeugung von einer Gefahr gelangt.

(2) Dienstliche Verhaltenspflichten des Gefahrenabwehrorgans Die Beweismaßreduktion beeinflußt nur die Verhaltenspflichten des Beamten. Aufgrund der Beweismaßreduktion sind die Gefahrenabwehrorgane berechtigt und im Falle der Ermessensreduzierung auch verpflichtet, bei Gefahrverdacht einzuschreiten. Die dienstlichen Verhaltenspflichten des Beamten stehen dem Ergreifen von Gefahrenabwehrmaßnahmen bei Gefahrverdacht nicht entgegen. Aufgrund der Beweismaßreduktion verfügen die Beamten nicht nur dann über die erforderliche Überzeugung von einer Gefahr, wenn sie sich sicher sind, daß auch für einen objektiven Beobachter eine Gefahr vorliegt, sondern bereits dann, wenn sie mit einer in Anbetracht des zu schützenden Rechtsguts ausreichenden subjektiven Wahrscheinlichkeit von einer objektiven Gefahr ausgehen. Gerade die fehlende subjektive Sicherheit über eine objektive Gefahr kennzeichnet den Gefahrverdacht. Anders als auf der Grundlage eines normativ-subjektiven Gefahrbegriffs sind die Beamten aufgrund der Beweismaßreduktion auch dann handlungsfähig, wenn sie sich einer persönlichen Erkenntnisschwäche bewußt sind. Auch dann können sie die nach der Beweismaßreduktion ausreichende Überzeugung von einer Gefahr erlangen. Allerdings muß die Überzeugung des Beamten auch unter Berücksichtigung des Erkenntnisdefizits noch den nach der Beweismaßreduktion erforderlichen Grad erreichen. Die persönlichen Defizite des Beamten müssen bei seinem subjektiven Wahrscheinlichkeitsurteil über das Vorliegen einer Gefahr in Rechnung gestellt werden. Der Beamte, der auf einem Kinderspielplatz einen Zehnjährigen mit einer Maschinenpistole auf seine Spielkameraden zielen sieht, darf nicht selbst zur Waffe greifen, wenn er weiß, daß er seine Insulinspritze vergessen hat und deshalb zu Halluzinationen neigt. Der Beamte aber, der in dem Jagdhüttenbeispiel auch unter Berücksichtigung der

140

S. 283.

So für das Gefahrenabwehrrecht i.E. auch Hoeft, Die Entschädigung des Störers,

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Schwierigkeiten, die ihm seine Sehschwäche bei der Erfassung der Situation bereitet, zu der Überzeugung gelangt, daß die Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Jagdgewehr spielen, verfugt über die nach der Beweismaßreduktion erforderliche Überzeugung. Er ist nicht gezwungen, die Kinder ihrem Schicksal zu überlassen; mag er auch davon ausgehen, daß ein normalsichtiger Kollege die Situation besser oder gar sicher erkennen könnte. Ob das persönliche Erkenntnisdefizit auf einem Verschulden des Beamten beruht oder sich unverschuldet einstellt, berührt die Handlungserlaubnis des Beamten nicht. Beruht die Erkenntnisschwierigkeit auf einem vorherigen Verstoß gegen Dienstpflichten, so kann dieser Dienstpflichtverstoß Anlaß zu disziplinarischen Maßnahmen gegen den Beamten geben. Eine der Gefahrenabwehrmaßnahme vorgelagerte Dienstpflichtverletzung führt indes nicht dazu, daß der Beamte nun auch noch Gefahrenabwehrmaßnahmen unterlassen muß, die ihm erforderlich erscheinen, weil er trotz der Pflichtverletzung hinreichend von einer objektiven Gefahr überzeugt ist. Unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsgüterschutzes macht es keinen Unterschied, ob der Beamte in seiner Sehfähigkeit eingeschränkt ist, weil er seine Brille vergessen hat oder sie ihm im Laufe des Einsatzes zerschlagen wurde. Hat er sie vergessen, kann er unabhängig davon, ob eine Gefahr tatsächlich vorgelegen hat, für dieses Versehen disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen werden. Ein Fehler bei der Ermittlung des Sachverhalts verurteilt die Behörde indes nicht zur Untätigkeit, wenn sie trotz des Fehlers zu der verfahrensrechtlich erforderlichen Überzeugung gelangt, das die tatsächlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage gegeben sind. Nach § 46 VwVfG führt ein entsprechender Verfahrensfehler auch nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung.141 Gelangt der Beamte trotz und angesichts des Versäumnisses zu der erforderlichen Überzeugung, so hat der Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflußt.

(3) Strafrechtliche Bewertung des Verhaltens des Gefahrenabwehrorgans Strafrechtsdogmatisch werden öffentlich-rechtliche Ermächtigungsgrundlagen als Rechtfertigungsgründe klassifiziert. Der Gefahrverdacht kann daher strafrechtsdogmatisch als eine Situation beschrieben werden, in der Ungewißheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes 141

Selbst im Strafrecht gilt nichts anderes. Auch ein Strafrichter, der einen zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen zunächst übersehen hatte, muß den Angeklagten nicht freisprechen, wenn er aufgrund anderer Zeugenaussagen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dessen Schuld überzeugt ist. Der Verfahrensfehler wäre auch nicht reversibel (§ 337Abs. 1 StPO).

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

herrscht. Damit ist ein strafrechtliches Problem angesprochen, zu dem aus naheliegenden prozeßtaktischen Gründen kaum obergerichtliche Rechtsprechung bekannt geworden ist und das erst relativ spät die wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. 142 Anders als der irrende Täter handelt der Täter, der die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes lediglich für wahrscheinlich oder auch bloß für möglich hält, mit dolus eventualis hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Tat. 143 Zum Teil werden die Ungewißheitsfälle als Beleg für die These herangezogen, daß hinsichtlich des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen von Rechtfertigungsgründen grundsätzlich erne subjektive Perspektive eingenommen werden müsse.144 Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes liegen danach nicht erst dann vor, wenn sie tatsächlich vorliegen, sondern bereits dann, wenn unter Zugrundelegung der objektiven Erkenntnismöglichkeiten des Täters von ihnen ausgegangen werden durfte. 145 Das aus dem Gefahrenabwehrrecht bekannte Subjektivierungsmodell wird von Teilen der Literatur im Strafrecht allgemein für die tatbestandlichen Voraussetzungen von Rechtfertigungsgründen fruchtbar gemacht - nicht nur für den etwa in den Notstandsbestimmungen anzutreffenden Gefahrbegriff. Ob eine entsprechende generelle Subjektivierung von Rechtfertigungsgründen strafrechtsdogmatisch sinnvoll ist, muß hier offenbleiben. Doch auch für das Strafrecht gelten die Überlegungen, die gegen eine materiell-rechtliche Subjektivierungsstrategie im Gefahrenabwehrrecht sprechen: Zum einen wird das Problem der Ungewißheit durch eine normativ oder objektiv eingeschränkte Subjektivierung nur verschoben, aber nicht gelöst. Wie sich der Täter verhalten soll, der aufgrund persönlicher Unzulänglichkeiten über die objektivierte subjektive Perspektive im Ungewissen ist, bleibt ungeklärt. 146 Zum anderen kann die Subjektivierung nicht 142

Warda, in: FS Welzel, S. 499, setzte sich 1974 als Erster eingehender mit dem Problem auseinander. 143 Daß dies weitgehend unabhängig von der jeweils zum Eventualvorsatz vertretenen Auffassung gilt, zeigt Warda, in: FS Lange, S. 119/123 f. 144 Herzberg, JA 1989, 243/248. 145 Herzberg, ebd.; Freund, GA 1991, 387/406-410; Frisch, Vorsatz, S. 260 f.; die zu einer normativ unterschiedlich weit eingeschränkten Subjektivierung einzelner Tatbestandsmerkmale von Rechtfertigungsgründen - darunter auch dem Gefahrbegriff neigen. Vgl. auch Roxin, Allgemeiner Teil, § 14 Rn. 89; Jakobs, Allgemeiner Teil, § 13 Rn. 13, ebd. zur Ungewißheit über den Rechtfertigungsgrund § 11 Rn. 28 f. 146 Der Problemrest wird noch deutlicher bei Ansichten, die die perspektivische Subjektivierung mit einem am Weltwissen orientierten sachlichen Wissenshorizont kombinieren. So will etwa Jakobs, Allgemeiner Teil, § 13 Rn. 13, bei der Beurteilung der Notstandsgefahr auf die Beurteilung von Experten auf dem Gebiet des jeweiligen Gefahrenherdes abstellen. Unklar bleibt aber auch bei seinem Ansatz, ob der Unfallhelfer, der nicht über das Wissen eines Unfallarztes verfügt, Notstandsmaßnahmen unter-

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damit begründet werden, daß das von einigen Rechtfertigungsgründen geforderte Wissen um Wahrscheinlichkeiten mit dem Für-Wahrscheinlich-Halten bestimmter Umstände gleichgesetzt werden muß. 147 Schärfer stellt sich das Problem der Eventualputativrechtfertigung 148, wenn einem objektiven Verständnis der Rechtfertigungsgründe gefolgt wird, wie es besonders für den Gefahrbegriff im Strafrecht häufiger vertreten wird 1 4 9 als im öffentlichen Recht. Um die Strafbarkeit desjenigen auszuschließen, der über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes im Ungewissen ist, soll nach einigen Stimmen in der Literatur für einen Erlaubnistatbestandsirrtum bereits ausreichen, daß der Täter die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes qualifiziert für möglich gehalten hat. 150 Bei der Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeits- oder Möglichkeitsvorstellungen als Erlaubnistatbestandsirrtum sollen die betroffenen Interessen Berücksichtigung finden. „Hervorgehobene Vorsatzverantwortlichkeit sollte damit dann ausgeschlossen sein, soweit der Täter es für möglich hält, daß eine Rechtfertigungslage gegeben ist, wenn die Eingriffshandlungen, aus der Perspektive des Täters betrachtet, notwendig waren und die Proportionalität der Interessen gewahrt wurde." 151 Auch der Bundesgerichtshof hat in einer der wenigen zu dem Ungewißheitsproblem veröffentlichten Entscheidungen einen Erlaubnistatbestandsirrtum durch bedingtes Unrechtsbewußtsein nicht ausgeschlossen gesehen.152 Im Ergebnis werden nach dieser in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht für die dem Gefahrverdacht entsprechende Ungewißheit über Rechtfertigungsgründe die Anforderungen an den Erlaubnistatbestandsirrtum reduziert. Dies entspricht der hier für das Gefahrenabwehrrecht vorgeschlagenen Beweismaßreduktion.

lassen muß, wenn er nicht weiß, ob ein Unfallarzt eine Verletzung für dringend behandlungsbedürftig erachten würde - so das Fallbeispiel von Seier, JuS 1986, 217. 147 So aber Frisch, ebd.; vgl. für §34 StGB auch Schroth, in: FS Kaufinann, S. 595/604 f. 148 So die Problembezeichnung bei Seier, JuS 1986, 217/220. 149 Etwa Demuth, Gefahrbegriff, S. 108-110; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 211; Lenckner, in: Schönke/Schröder, §34 Rn. 13, Warda, in: FS Lange, S. 126/130-132; vgl. auch Blei, Allgemeiner Teil, S. 87. Die Entwicklung der strafrechtlichen Diskussion des Gefahrbegriffs im Rahmen der Notstandsbestimmungen schildert Dimitratos, Begriffsmerkmal der Gefahr, S. 31-50. 150 Lenkner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 32 Rn. 14; Schroth, in: FS Kaufinann, S. 595/607-610. 151 Schroth, ebd. S. 609. 152 BGH, VRS 40, 104/107 f.; in einer späteren Entscheidung will er hingegen einem Täter, der Umstände für möglich hielt, die zur Rechtmäßigkeit eines Angriffs geführt hätten, einen Erlaubnistatbestandsirrtum nicht zu Gute halten, BGH, JZ 1978, 762.

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Auf der Ebene der Schuld wird das Problem von Warda angesiedelt. Er hebt hervor, daß sich das Ungewißheitsproblem nicht nur bei den Rechtfertigungsgründen, sondern allgemein für alle strafbarkeitsausschließenden Merkmale stellt - auch für solche, die wie die Zumutbarkeit in § 323c StGB dem objektiven Tatbestand zugerechnet werden. 153 Entsprechend könne die Lösung nicht allein in einer Lockerung der Anforderungen an den Erlaubnistatbestandsirrtum gefunden werden. Er vergleicht die Ungewißheitsfälle mit schuldausschließenden Pflichtenkollisionen. Daß die Ungewißheitssituation der schuldausschließenden Pflichtenkollision ähnelt, wird deutlich, wenn sich die Unsicherheit des Täters auf einen Umstand bezieht, der nicht nur einen Strafausschluß zur Folge hätte, sondern auch eine Garantenpflicht aktualisiert. So mag der Vater seine Tochter auf der gefrorenen Wasserfläche eines fremden Seegrundstücks spielen sehen und sich nicht sicher sein, ob das Eis noch trägt. Trüge es noch, so wäre er nicht zum Betreten des Grundstücks berechtigt; trüge es nicht mehr, wäre er aufgrund seiner Garantenstellung zur Rettung seiner Tochter und damit zum Betreten des Grundstücks sogar verpflichtet. Ist er sich unsicher und zieht beide Möglichkeiten ernsthaft in Betracht, hat er keine Verhaltensalternative, bei der ihm nicht drohte, sich einer mit Eventualvorsatz begangenen Straftat schuldig zu machen: beim Betreten des Grundstücks eines Hausfriedensbruchs, im Falle des Nichtbetretens der versuchten Tötung seiner Tochter durch Unterlassen. 154 Warda schlägt vor, die Vorwerfbarkeit der Tathandlung entfallen zu lassen, wenn die vom Täter als möglich angenommenen Umstände so beschaffen sind, „daß im Falle ihres wirklichen Vorliegens bei einem Unterlassen der Handlung inakzeptable Schäden für schützenswerte Güter oder Interessen drohen würden." 155 Auch bei Warda reichen letztlich Wahrscheinlichkeits- und Möglichkeitsvorstellungen des Täters hinsichtlich strafauschließender Umstände aus, um die Strafbarkeit einer Handlung abzulehnen. Auch wenn Warda das Problem verbrechenssystematisch anders verortet, gelangt er letztlich zu einer Reduktion der allgemeinen Vorsatzanforderungen entsprechend der Schutzwürdigkeit der vermeintlich oder tatsächlich bedrohten Rechtsgüter. Auch dieser Vorschlag entspricht der für das Gefahrenabwehrrecht vorgeschlagenen Beweismaßreduktion. Im Ergebnis besteht im Strafrecht für die Fälle der Ungewißheit über die Rechtfertigungslage weitgehend Einigkeit: Jedenfalls, wenn die durch die Tathandlung zu schützenden Rechtsgüter die durch die Tathandlung verletzten Rechtsgüter überwiegen, bleibt der Täter auch dann straffrei, wenn er sich des 153 Warda, in: FS Lange, S. 119/122. Arzt, in: FS Jescheck, S. 391/400, sieht in dem Problem der Eventualputativrechtfertigung einen Hinweis auf ein grundsätzliches Problem in der Konzeption des dolus eventualis. 154 Zu einem solchen Fall Seier, JuS 1986, 217-223. 155 Warda, in: FS Lange, S. 119/141.

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Vorliegens der rechtfertigenden Umstände nicht sicher war, sondern sie nur für wahrscheinlich oder sogar nur möglich gehalten hat. Wie sich die gefahrenabwehrrechtliche Beweismaßreduktion auf die strafrechtliche Beurteilung der Gefahrverdachtsmaßnahmen auswirkt, dürfte sich wohl je nach den unterschiedlichen dogmatischen Ansätzen zur Bewältigung der Ungewißheit über Rechtfertigungsgründe richten. Im Ergebnis wird jedenfalls derjenige Beamte, der sich im Einklang mit den Beweismaßregeln des Verwaltungsverfahrensrechts zu einer Gefahrenabwehrmaßnahme entschlossen hat, keinen strafrechtlichen Sanktionen unterliegen. Diejenigen, die im Falle der Ungewißheit einen Erlaubnistatbestandsirrtum annehmen, müssen dann auch im Falle des Gefahrverdachts einen Erlaubnistatbetandsirrtum annehmen. Diejenigen, die die Schuld in Fällen der Ungewißheit mangels Vorwerfbarkeit der Handlung entfallen lassen, müßten auch im Falle des Gefahrverdachts zu einem Schuldausschluß gelangen. Strafrechtliche Sanktionen haben die Gefahrenabwehrorgane nach keinem der Ansätze zu erwarten. Vor strafrechtlichen Sanktionen werden sie durch die Beweismaßreduktion ausreichend geschützt. Wie bei der Putativgefahr kommt lediglich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht, wenn der Beamte aufgrund einer Nachlässigkeit einen Gefahrverdacht dort hegt, wo ein pflichtgemäß handelnder Beamter das Fehlen der Gefahr hätte erkennen können.

3. Verdachtsverantwortlichkeit Im Falle des Gefahrverdachts wäre die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden ohne die Beweismaßreduktion gefährdet, weil die Gefahrenabwehrbehörden nur handeln können, wenn sie von einer Gefahr überzeugt sind. Fehlt es an einer ausreichenden Überzeugung von einer Gefahr, sind den Behörden die Hände gebunden, denn alle polizeilichen Eingriffsbefugnisse setzen eine Gefahr voraus. Anders verhält es sich bei einer Verdachtsverantwortlichkeit. Auch wenn die Gefahrenabwehrbehörden niemanden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als polizeilich Verantwortlichen für eine Gefahr ausmachen können, sind ihnen die Hände nicht gebunden. Die Gefahrenabwehrgesetze erlauben regelmäßig auch Maßnahmen gegen einen Nichtstörer. Sind die Gefahrenabwehrbehörden einer Gefahr sicher oder nehmen sie sie bei Gefahrverdacht mit der nach der Beweismaßreduktion erforderlichen Wahrscheinlichkeit an, so können sie denjenigen, den sie zwar als Störer verdächtigen, aber nicht überführen können, als Nichtstörer in Anspruch nehmen, wenn die Gefahr nur durch dessen Inanspruchnahme abgewehrt werden kann. Zwar sind die Gefahrenabwehrbehörden im Falle des Verdachtsstörers ebensowenig sicher, daß es sich bei dem Verdachtsstörer um einen Nichtstörer handelt, wie

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

sie sich nicht sicher sind, daß es sich um einen Störer handelt. Die Ungewißheit über die tatsächlichen Voraussetzungen zweier kontradiktorischer Tabestandsmerkmale hat indes nicht zur Konsequenz, daß der Staat wie Buridans Esel zwischen den beiden Alternativen erstarren muß. In entsprechenden Fällen muß und darf der Staat von der für den Betroffenen weniger belastenden Alternative ausgehen.156 Dies ist im Rahmen der Wahlfeststellung sogar für das Strafrecht mit seinem durch das Analogieverbot verschärften Gesetzesvorbehalt anerkannt 157 und muß auch für das übrige öffentliche Recht gelten. Für das Gefahrenabwehrrecht bedeutet dies, daß die Gefahrenabwehrbehörden solange von der Nichtstörereigenschaft des Verdachtsstörers ausgehen müssen, aber auch dürfen, wie sie nicht von dessen polizeilicher Verantwortlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt sind. Daß die Maßnahmen gegen den als Nichtstörer in Anspruch genommenen Verdachtsstörer auch rechtmäßig sind, wenn sich der Verdachtsstörer als Störer erweist, wurde bereits im Rahmen der Diskussion der polizeilichen Verantwortlichkeit gezeigt. 158 Die Verdachtsverantwortlichkeit stellt die Gefahrenabwehrbehörden nicht vor unüberwindliche Schwierigkeiten. Wenn einer Gefahr nur durch die Inanspruchnahme eines Verdachtsstörers gesteuert werden kann, so kann der Betroffene als Nichtstörer in Anspruch genommen werden. 159 Auch aus einem auf die objektive Situation abstellenden Verständnis der polizeilichen Verantwortlichkeit ergeben sich keine Bedenken gegen die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrbehörden in Verdachtskonstellationen.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen Gefahrenabwehrmaßnahmen greifen in die Rechte der durch sie Betroffenen ein. Liegt lediglich eine Anscheinsgefahr vor oder dem Gefahrverdacht keine Gefahr zugrunde, so sind die Gefahrenabwehrmaßnahmen rechtswidrig; in die Rechte der Betroffenen wird rechtswidrig eingegriffen. Auf den ersten Blick scheinen sich die Betroffenen gegenüber diesen rechtswidrigen Eingriffen mit 156 Auf der Ebene des materiellen Rechts läßt sich das Problem nicht lösen. Auch wenn der Nichtstörer als subsidiäre Kategorie verstanden würde, ließe sich dem Beweismaßproblem nicht entgehen. Auch ein subsidiärer Tatbestand setzte die Überzeugung voraus, daß ein Fall der Subsidiarität vorliegt. 157 Jescheck/Weigend, Allgemeiner Teil, S. 144 f., 147-150; Eser, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 58-115 jeweils m.w.N. 158 s.o. A.II 159 So i.E. auch Hoffinann-Riem, in: FS Wacke, S. 327/337; Kniesel, DÖV 1997, 905/907 f.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenab wehrmaßnahmen

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ihren allgemeinen Notrechten zur Wehr setzen zu dürfen. Nach den allgemeinen Notrechten muß niemand rechtswidrige Eingriffe in Rechtspositionen dulden. Könnten die Betroffenen bei Anscheinsgefahren und Gefahrverdacht ohne zugrundeliegende Gefahr Notwehr und Dritte Nothilfe üben, wäre es um die Handlungsfähigkeit der Polizei schlecht bestellt. Jeder Irrtum würde sie dem scharfen Schwert der Notwehr aussetzen, und selbst, wo sie nicht irrten, müßten sie mit dem Widerstand der Bürger rechnen, die die Sachlage anders einschätzten. Die Konsequenz wäre entweder, daß die Gefahrenabwehrorgane nur noch in den seltenen Fällen tätig würden, in denen sie sich ganz sicher wären, nicht irren zu können, und auch ein Irrtum des Betroffenen ausscheidet, oder daß sie dem Widerstand des Bürgers das überlegene Durchsetzungspotential des Staates entgegensetzten, was zu einer Eskalation der Gewalt führen dürfte. Keine der Alternativen wäre akzeptabel, geschweige denn attraktiv. Mit dem notrechtlich legitimierten Widerstand gegen rechtswidrige hoheitliche Maßnahmen ist ein allgemeines Problem bezeichnet, das sich grundsätzlich für den Vollzug hoheitlicher Maßnahmen stellt und das nicht durch die Subjektivierung einiger Tatbestandsmerkmale allein des Gefahrenabwehrrechts gelöst werden kann. Nicht nur im Gefahrenabwehrrecht, sondern auch im Steuer-, Ausländer-, Gaststättenrecht etc. werden rechtswidrige Maßnahmen vollzogen. Und immer stellt sich die Frage, wie die handelnden Organe vor den Notrechten der Betroffenen geschützt werden können. Diese allgemeine Frage bezeichnet kein spezifisches Problem des Gefahrenabwehrrechts. Entsprechend allgemein sind auch die Lösungen, die zu der Frage vertreten werden. Es gehört nicht mehr zu den Aufgaben einer Dogmatik des Rechts der Gefahrenabwehr, für das allgemeine Problem der Notrechte gegenüber rechtswidrigen Verwaltungsmaßnahmen eine Lösung zu finden. Es soll aber aufgezeigt werden, was einerseits die unterschiedlichen Lösungsvorschläge für ein objektiv verstandenes Gefahrenabwehrrecht bedeuten und wie sich andererseits ein objektiv verstandenes Gefahrenabwehrrecht auf die unterschiedlichen Lösungsvorschläge auswirkt.

I. Der strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff Nach der Rechtsprechung der Strafgerichte 160 und der immer noch als herrschend bezeichneten Meinung in der strafrechtlichen Literatur 161 wird dem 160 BGH, BGHSt 21, 334/363; BGHSt 24, 125/130; KG, NJW 1972, 781/782; NJW 1975, 887/888; OLG Köln, NJW 1975, 889/890. Distanz zum strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff läßt das Bundesverfassungsgericht erkennen, NJW 1995, 3110/3111; dazu Reinhart, StV 1995, 101 und NJW 1997, 911. 161 Tröndle, Strafgesetzbuch, § 113 Rn. 11; Lackner, Strafgesetzbuch, § 113 Rn. 12; Hirsch, in: Leipziger Kommentar, vor § 32 Rn. 146; Bubnoff, in: Leipziger Kommentar,

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Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Notrechtsproblem durch den strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff vorgebeugt, der bei unterschiedlichen Ausprägungen im einzelnen grundsätzlich nicht auf die materielle Richtigkeit, sondern auf die formelle Rechtmäßigkeit der Diensthandlung abstellt. Nach dieser Interpretation des Rechtmäßigkeitsbegriffs in § 113 StGB ist der Widerstand gegen die Vollstreckung von Gesetzen und Verfugungen schon dann unzulässig, wenn die wesentlichen Zuständigkeits-, Form- und Verfahrensvorschriften eingehalten werden. Für die „Rechtmäßigkeit" von Gefahrenabwehrmaßnahmen kommt es danach nicht darauf an, ob das materiell-rechtliche Erfordernis der Gefahr vorliegt. Maßnahmen aufgrund eines Anscheins oder eines Verdachts, dem keine Gefahr zugrunde liegt, sind im Sinne des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs rechtmäßig. Für das Notrechtsproblem trifft sich der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff weitgehend mit den Ergebnissen der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts. Gegen Maßnahmen, die bloß auf einer Anscheinsgefahr oder einem Gefahrverdacht beruhen, wäre nach dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff ohnehin kein Widerstand zulässig. Durch den strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff sind die Gefahrenabwehrorgane sowohl bei Anscheinsgefahr als auch bei Gefahrverdacht gegen Widerstand geschützt. Die Betroffenen haben die Gefahrenab wehrmaßnahmen auch dann zu dulden, wenn ihnen keine objektive Gefahr zugrunde liegt. Strafrechtler sprechen deshalb davon, daß mit der Subjektivierung öffentlich-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff ein zweites Mal erfunden wurde. 162 Schon aufgrund des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs können sich die Betroffenen in Anscheins- und Verdachtskonstellationen nicht auf ihre Notrechte berufen. Entsprechend können sich auf der Grundlage des besonders von den Strafgerichten vertreten Rechtmäßigkeitsbegriffs aus den Notrechten keine Bedenken gegen eine Reobjektivierung des Gefahrenabwehrrechts ergeben. Der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff scheint indes nicht auf der Linie einer objektiven Interpretation des Gefahrenabwehrrechts zu liegen. Der strafvor § 113 Rn. 33; Horn, in: Systematischer Kommentar, § 113 Rn. I I a ; monographisch wird der strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff von Lenz, Diensthandlung; Seebode, Rechtmäßigkeit, behandelt, die sich beide für einen restriktiv zu fassenden strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff aussprechen. Kritisch zum strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff: Amelung, JuS 1986, 329/335-337; Bakes/Ransiek, JuS 1989, 624/628; Jakobs, Allgemeiner Teil, Abschn. 16 Rn. 1 - 1 0 ; Herzog, in: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 32 Rn. 42; Ostendorf, JZ 1981, 165/168-170; Reinhart, NJW 1997, 911-915; Roxin, in: FS Pfeiffer, S. 45-52; Schünemann, JA 1972, 703-710; Spendel, in: Leipziger Kommentar, § 32 Rn. 60-73; Thiele, Rechtmäßigkeit; ders., JR 1975, 354-358; Zielinski, in: Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch, § 113 Rn. 22. 162 Vitt, ZStW 1994, 581/591; vgl. auch Hirsch, in: Leipziger Kommentar, vor § 32 Rn. 147.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen

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rechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff vermittelt den Eindruck, als müsse sich die objektive Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts, wenn es ernst wird, doch hinter einem besonderen RechtswidrigkeitsVerständnis verstecken. Die die Objektivität staatlicher Befugnisse hochhaltende Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts hätte zwar die Subjektivierung für das Verwaltungsrecht ausgeräumt, würde jedoch für das Notrechtsproblem gleich wieder einen besonderen Rechtmäßigkeitsbegriff einführen, nach dem Anscheins- und Verdachtsmaßnahmen im Strafrecht doch wieder als rechtmäßig gelten. Entgegen diesem Anschein ließe sich aber auch der objektive Gefahrbegriff mit dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff vereinbaren, wenn die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, von der § 113 Abs. 3 StGB spricht, nicht auf die rechtliche Beurteilung der Gefahrenabwehrmaßnahme, sondern auf das dienstliche Verhalten des Beamten bezogen würde. Widerstandshandlungen wären dann ausgeschlossen, wenn der Beamte nicht gegen seine dienstlichen Verhaltenspflichten verstoßen hat. Die Verhaltenspflichten des Betroffenen und die des Beamten würden vollständig koordiniert. Der dienstlichen Handlungserlaubnis des Beamten entspräche immer eine Duldungspflicht des Bürgers. Der strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff räumt nicht nur die notrechtlichen Bedenken gegen eine objektivierte Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts aus; er wäre auch mit dem vorgestellten dogmatischen System vereinbar, wenn die strafrechtliche Rechtmäßigkeit der Diensthandlung auf die dienstlichen Verhaltenspflichten des Beamten bezogen würde. Trotz des konstruktiven Charmes, den die mit einem solchen Verständnis des strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriffs verbundene nahtlose Koordination der Verhaltenspflichten des Beamten und der Betroffenen hätte, läßt sich in Auseinandersetzung mit der sogenannten vollstreckungsrechtlichen Lösung zeigen, daß der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff in Grenzfällen der Anscheinsgefahr und des Gefahrverdachts nicht mehr zu einleuchtenden Ergebnissen führt. Dabei muß das Potential des vollstreckungsrechtlichen Ansatzes für einen objektiven Gefahrbegriff allerdings noch entfaltet werden, da seine meist strafrechtlichen Vertreter bei der Behandlung polizeirechtlicher Konstellationen von der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts ausgehen und ihre Lösung zum Teil maßgeblich auf ein subjekti viertes Verständnis der polizeilichen Befugnisse stützen.163

163

Amelung, JuS 1986, 329; Ostendorf, JZ 1981, 165/173; Roxin, Allgemeiner Teil, § 17 Rn. 12; Schünemann, JA 1972, 703/709 f.; Thiele, JR 1975, 353/354; kritisch dazu schon Schwabe, in: GS Martens, S. 419/425 f.: „In der Illusion befangen, das Anscheins· und Verdachtsproblem sei eine Besonderheit des Gefahrbegriffs ..., merken die betreffenden Autoren nicht, daß sie dem Staat mit der einen Hand zurückgeben, was sie ihm mit der anderen gerade entreißen wollten."

188

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr II. Die vollstreckungsrechtliche Lösung

Gegner des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs sehen die Beamten bereits durch das Verwaltungsvollstreckungsrecht ausreichend geschützt.164 Eines besonderen strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs bedarf es danach nicht, weil das öffentliche Recht selbst schon über Fehlertoleranzen verfügt, die den Beamten vor Notrechten durch die Betroffenen ausreichend schützen. Die Fehlertoleranz wird durch das allgemeine Verwaltungsrecht bereitgehalten, das die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts und damit auch einer Gefahrenabwehrverfügung in den Grenzen der Nichtigkeit, die § 44 VwVfG beschreibt, nicht von dessen Rechtmäßigkeit abhängig macht. Entsprechend ist für die vollstrekkungsrechtliche Lösung grundsätzlich zwischen tatsächlichen Vollzugshandlungen auf der Grundlage eines Verwaltungsakts und ohne einen solchen zu unterscheiden.

1. Vollstreckung

von Gefahrenabwehrverfügungen

Notrechte der durch Gefahrenabwehrmaßnahmen Betroffenen kommen nicht in Betracht, wenn die Gefahrenabwehrbehörden im Wege der Verfügung regelnd einschreiten, sondern erst dann, wenn sie faktisch in die Rechtsgüter des Betroffenen beeinträchtigen. Wird diese Differenzierung zwischen Verfügung und deren Vollstreckung beachtet, so läßt sich zeigen, daß die Rechtswidrigkeit der Verfügung nicht notwendig zur Rechtswidrigkeit der faktischen Rechtsgutbeeinträchtigung führt. Damit aktualisieren sich aber grundsätzlich auch keine Notrechte gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen, die auf einer Anscheinsgefahr oder einem Gefahrverdacht beruhen. So mag die Platzverweisung aufgrund einer Anscheinsgefahr rechtswidrig sein; gegen die Platzverweisung als solche sind indes keine Notrechte gegeben. Notrechte werden erst aktuell, wenn der Platz unter Einsatz unmittelbaren Zwangs geräumt wird. Der unmittelbare Zwang ist aber nicht rechtswidrig, nur weil der Platzverweisung eine Anscheinsgefahr oder ein bloßer Gefahrverdacht zugrunde liegt. Aufgrund der Titelfunktion des Verwaltungsakts ist die Vollstreckung einer Verfügung solange rechtmäßig, wie sie auf einem vollstreckbaren, aber nicht notwendig rechtmäßigen Verwaltungsakt beruht. Solange der zugrundeliegende Verwaltungsakt

164 Amelung, JuS 1986, 329; Ostendorf, JZ 1981, 165; Roxin, Allgemeiner Teil, § 17 Rn. 12; Schünemann, JA 1972, 703; Thiele, Rechtmäßigkeit; ders., JR 1975, 353/354; ähnlich argumentieren die Vertreter der sogenannten Wirksamkeitstheorie, die zwar nicht auf das Vollstreckungsrecht abstellen, sondern auf die Wirksamkeit staatlicher Rechtsakte, was im Ergebnis zu ähnlichen Ergebnissen führt, Krey, Besonderer Teil, Bd. 1, Rn. 510-520; Meyer, NJW 1972, 1845-1847.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen

189

nicht an einem Fehler leidet, der zu seiner Nichtigkeit fuhrt, ist seine Vollstrekkung rechtmäßig, wenn die speziellen Vollstreckungsvoraussetzungen gewahrt bleiben. Gegen die rechtmäßige Vollstreckung kommen Notrechte nicht mehr in Betracht.

a) Gestrecktes Verfahren Dies gilt nach allgemeiner Meinung für die Vollstreckung von unanfechtbaren Verwaltungsakten und kommt auch im Gesetzeswortlaut der Verwaltungsvollstreckungsgesetze klar zum Ausdruck, die die Vollstreckung insoweit nur an einen unanfechtbaren Verwaltungsakt knüpfen, nicht aber einen unanfechtbaren und rechtmäßigen Verwaltungsakt verlangen. 165 Die Vollstreckung unanfechtbarer Verwaltungsakte ist auch dann rechtmäßig, wenn der zugrundeliegende Verwaltungsakt an einem nicht zur Nichtigkeit führenden Rechtsfehler leidet. Dies gilt auch für die Vollstreckung unanfechtbarer Gefahrenabwehrverfügungen, die auf einer Anscheinsgefahr oder einem bloßen Gefahrverdacht beruhen. Entsprechend sind gegen die Vollstreckung bestandskräftiger Gefahrenabwehrverfügungen keine Notrechtshandlungen zulässig. Der Betroffene muß sich vielmehr um die Aufhebung des zugrundeliegenden Verwaltungsakts bemühen.

b) Sofortige Vollziehung Häufig wird sich im Gefahrenabwehrrecht die Bestandskraft der Verfügung nicht abwarten lassen. Schon der Gesetzgeber hat in § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit der unaufschiebbaren Anordnungen von Polizeivollzugsbeamten angeordnet, und auch bei Verfügungen sonstiger Gefahrenabwehrbehörden werden aufgrund des strukturellen Zeitdrucks häufig die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO vorliegen. Doch auch für die Vollstreckung im Rahmen der sofortigen Vollziehung spricht das Gesetz eine eindeutige Sprache: Voraussetzung ist kein rechtmäßiger, sondern nur ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt.166 Soweit von einigen Stimmen in der Rechtsprechung und Literatur abweichend vom Gesetzeswortlaut auf die materielle Rechtslage abgestellt wird, 1 6 7 dient diese Ansicht wesentlich der Vermeidung von Kostenersatzan165

Etwa § 6 Abs. 1 V w V G des Bundes. Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 155-177; Pietzner, VerwArch. 1993, 261/268; Rachor, in : Handbuch des Polizeirechts, Abschn. F, Rn. 474. 167 VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163; vgl. auch BVerwG, NJW 1984, 2591/2592: „Darauf, ob der auf Vornahme der Handlung gerichtete Verwaltungsakt, die Androhung 166

190

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Sprüchen bei der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Verfügungen. 168 Doch diese Bedenken lassen sich ausräumen. Zwar kann der Verwaltung für rechtmäßige Vollstreckungshandlungen zunächst auch dann ein Kostenerstattungsanspruch entstehen, wenn der der Vollstreckung zugrundeliegende Verwaltungsakt rechtswidrig, aber wirksam ist. Doch steht diesem Anspruch nach der Aufhebung des rechtswidrigen Grundverwaltungsakts der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch des Vollstreckungsschuldners entgegen, mit dem auch schon gezahlte Beträge zurückverlangt werden können. 169 Für die sofortige Vollziehung bedarf es keines Rückgriffs auf die materielle Rechtslage. Wenn Gefahrenabwehrverfügungen sofort vollzogen werden, bleiben die tatsächlichen Eingriffe in die Rechtsgüter der Betroffenen auch dann rechtmäßig, wenn die sofort vollziehbaren Verfugungen auf einer Anscheinsgefahr oder einem Gefahrverdacht beruhen. Der sofortigen Vollziehung bloß rechtswidriger Gefahrenabwehrverfügungen kann nicht mit Notrechtsbefugnissen entgegengetreten werden. Auch insoweit müssen die Gefahrenabwehrbehörden keinen Widerstand fürchten, ohne daß es eines strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs bedürfte.

c) Abgekürztes Verfahren Neben dem gestreckten Verfahren kennt das Verwaltungsvollstreckungsrecht ein abgekürztes oder vereinfachtes Vollstreckungsverfahren, das in den einzelnen Bundesländern und zum Teil auch innerhalb der Bundesländer für einzelne Verwaltungsbereiche unterschiedlich geregelt ist. Im abgekürzten Vollstrekkungsverfahren kann auf einzelne Maßnahmen des Vollstreckungsverfahrens, besonders die Androhung des Zwangsmittels 170 und nach einigen Regelungen

der Ersatzvornahme und deren Festsetzung ... rechtmäßig waren, kommt es, wenn sie ... nicht mehr anfechtbar sind, nicht an." - Hervorhebung durch den Verfasser - ; Engelhardt/App, Verwaltungsvollstreckungsgesetz, § 18 Anm. II 2a; Heckmann, VB1BW 1993, 41/44; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 279; Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 Fn. 9; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht, Rn. 475. 168 Dieses Motiv vermutet auch Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. F Rn. 474. 169 Prozessual kann der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch dann als Annexantrag nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO im Rahmen der Anfechtungsklage gegen den Grundverwaltungsakt geltend gemacht werden, i.e. zu dieser Lösung Poscher, VerwArch. 1998, 111/123-129. 170 Art. 36 Abs. 1 S. 1 BayVwZVG, § 21 SächVwVG; nach dem Vorbild des § 34 Abs. 1 MEPolG: Art. 59 Abs. 1 S. 3 BayPAG, § 59 Abs. 1 S. 3 BbgPolG, § 53 Abs. 1 S. 3 HessSOG, § 70 Abs. 1 S. 3 NdsGefAG, § 56 Abs. 1 S. 3 NWPolG, § 56 Abs. 1 S. 3 RPPOG, § 50 Abs. 1 S. 3 SaarlPOLG, § 59 Abs. 1 S. 3 SASOG ; § 57 Abs. 1 S. 3 ThürPAG.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenab wehrmaßnahmen

191

auch auf die Unanfechtbarkeit oder die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts, verzichtet werden, wenn eine vorherige Durchführung der Vollstrekkung geboten erscheint. 171 Wie das gestreckte Verfahren und im Unterschied zum sofortigen Vollzug und der unmittelbaren Ausführung setzt auch das abgekürzte Vollstreckungsverfahren einen wirksamen Verwaltungsakt voraus. 172 Hier wie dort erfolgt die Vollstreckung auf der Grundlage eines Titels, so daß auch die Vollstreckungshandlungen, die im abgekürzten Verfahren bis zur Aufhebung des Titels erfolgen, rechtmäßig sind. 173 Auch im abgekürzten Verfahren ist nicht die materielle Rechtslage maßgeblich, sondern die im Titel konkretisierte. Entsprechend ist im abgekürzten Verfahren die Vollstreckung von Gefahrenabwehrverfügungen nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die Grundverfügung auf einer Anscheinsgefahr oder einem Gefahrverdacht beruht, dem keine Gefahr zugrunde liegt. Besonderes deutlich ist dies bei Gesetzen, die bis auf die Eilbedürftigkeit keine weiteren Anforderungen an die vereinfachte Vollstreckung von Gefahrenabwehrverfügungen stellen. So erlaubt § 72 Hess VwVG grundsätzlich die vereinfachte Vollstreckung von „Verwaltungsakten, die der Gefahrenabwehr dienen". Und einige Landesvollstreckungsgesetze und ein großer Teil der Polizeigesetze der Länder sehen das abgekürzte Verfahren vor, wenn „die Umstände" es fordern. 174 In der Sache gilt aber auch nichts anderes für Gesetze, die für das abgekürzte Verfahren erne einfache oder qualifizierte „Gefahr" verlangen. Aufgrund des Erfordernisses der Gefahr muß die Trennung von materiellem Recht und Vollstreckung 175 auch für das abgekürzte Verfahren nicht aufgegeben werden. 176 Vielmehr muß die Gefahr, die diese Regelungen verlangen, auf den Vollstreckungserfolg bezogen werden. Ist der Vollstreckungserfolg durch die Einhaltung der unterschiedlichen Verfahrensschritte des gestreckten Verfahrens gefährdet, so soll die Vollstreckung im vereinfachten Verfahren durchgeführt werden können. Die durch die Grundverfügung konkretisierte 171 Etwa § 21 BWVwVG; § 27 HbgVwVG. Zu den Regelungen der Länder i.e. Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 218 f.; Hormann, Verwaltungszwang, S. 179— 193. 172 Hormann, Verwaltungszwang, S. 179 f.; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 220. 173 Nur im Grundsatz so auch VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299/302 f.; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 222 f. 174 Nach dem Vorbild des § 34 Abs. 1 MEPolG: Art. 59 Abs. 1 S. 3 BayPAG, § 59 Abs. 1 S. 3 BbgPolG, § 53 Abs. 1 S. 3 HessSOG, § 70 Abs. 1 S. 3 NdsGefAG, § 56 Abs. 1 S. 3 NWPolG, § 56 Abs. 1 S. 3 RPPOG, § 50 Abs. 1 S. 3 SaarlPOLG, § 59 Abs. 1 S. 3 SASOG, § 57 Abs. 1 S. 3 ThürPAG. 175 I.e. zur Bedeutung dieser Trennung als allgemeine Verrechtlichungsstruktur Poscher, VerwArch. 1998, 111/111-118. 176 A.A. Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 223.

192

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Verhaltenspflicht des Vollstreckungsschuldners ist als öffentlich-rechtliche Rechtspflicht ein Element der öffentlichen Sicherheit. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn der Vollstreckungsschuldner seiner konkretisierten öffentlichrechtlichen Verpflichtung nicht nachzukommen droht und die Einhaltung des gestreckten Verfahrens die Vollstreckung der Pflicht wahrscheinlich vereitelt. Entsprechendes muß auch für die Befugnisklausel in den Ländern und im Bund gelten, die das abgekürzte Verfahren nicht ausdrücklich geregelt haben und insoweit auf eine Analogie zum sofortigen Vollzug 177 angewiesen sind. 178 Der sofortige Vollzug auf der Grundlage emes Verwaltungsakts, der die materielle Rechtslage wirksam konkretisiert hat, unterscheidet sich grundsätzlich von dem sofortigen Vollzug ohne vorausgehenden Verwaltungsakt. Aufgrund der wirksamen Konkretisierung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen des Vollstreckungsschuldners in der Grundverfügung handeln die Vollstreckungsorgane, die diese konkretisierte Verhaltenspflicht vollstrecken, auch dann „innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse", wenn die Grundverfügung rechtswidrig sein sollte. Das Gesetz gibt den Verwaltungsbehörden die Befugnis, Verhaltenspflichten wirksam zu konkretisieren, solange sie sich im Rahmen des § 44 VwVfG halten. Kraft dieser gesetzlichen Befugnis hat die Verwaltung die Pflichten des Vollstreckungsschuldners wirksam konkretisiert. Bei der Vollstreckung dieser wirksam konkretisierten Verhaltenspflicht hält sich die Verwaltung „innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse". Auch wenn das abgekürzte Verfahren auf der Grundlage der Bestimmungen über den sofortigen Vollzug erfolgt, muß die Trennung von materiellem Recht und Vollstreckung nicht aufgegeben werden. Die Vollstreckung von Gefahrenabwehrverfügungen bleibt auch auf der Grundlage dieser Bestimmungen rechtmäßig, wenn die Verfügung auf einer Anscheinsgefahr oder einem bloßen Gefahrverdacht beruht, so daß auch für das abgekürzte Verfahren ein Widerstandsrecht des Betroffenen schon aufgrund des Vollstreckungsrechts ausgeschlossen ist.

d) Polizeiliche Standardmaßnahmen Die Polizeigesetze enthalten unterschiedliche Standardmaßnahmen. Soweit die Standardmaßnahmen wie etwa die Vorladung 179 , die Platzverweisung 180 etc. 177

Zur Zulässigkeit dieser Analogie Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 749; Hormann, Verwaltungszwang, S. 192 f.; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 223; Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. F Rn. 520. 178 A.A. Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 223 f.; Wüstenbecker, JA-ÜB1. 1987,33/35. 179 § 11 Abs. 1 MEPolG. 180 § 12 MEPolG.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen

193

nur in einer Gebotsverfügung bestehen, gilt für sie das oben zur Vollstreckung von Gefahrenabwehrverfügungen im gestreckten oder abgekürzten Verfahren Gesagte. Ihre Durchsetzung richtet sich allein nach dem Verwaltungsvollstrekkungsrecht. 181 Daneben sehen die Polizeigesetze aber auch Standardmaßnahmen vor, die wie die unterschiedlichen Formen der Durchsuchung, 182 die erkennungsdienstliche Behandlung,183 die Ingewahrsamnahme 184 etc. ein Vollzugselement enthalten. Bei diesen Standardmaßnahmen wird Polizei zu den mit der Standardmaßnahme notwendig verbundenen tatsächlichen Handlungen ohne Rückgriff auf das Vollstreckungsrecht ermächtigt. 185 So ermächtigen die Regelungen über die Wohnungsdurchsuchung zum faktischen Betreten der Räume. Im Hinblick auf die Notrechtsbefugnisse gegen Standardmaßnahmen, die auf einer Anscheinsgefahr oder einen bloßen Gefahrverdacht beruhen, sind zunächst diejenigen Standardmaßnahmen unproblematisch, deren Tatbestand als Gefahrerforschungsermächtigung keine Gefahr, sondern nur tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche voraussetzt. 186 Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefahr liegen bei Anscheinsgefahr und Gefahrverdacht regelmäßig vor. Notrechte gegen Anscheinsgefahr- oder Gefahrverdachtsmaßnahmen kommen aber bei Standardmaßnahmen wie der Ingewahrsamnahme in Betracht, die das Vorliegen einer Gefahr verlangen. 187 Doch auch bei diesen Standardmaßnahmen sind die Beamten regelmäßig durch einen der Maßnahme zugrundeliegenden Verwaltungsakt ausreichend geschützt. Dies folgt entweder daraus, daß in der Standardmaßnahme selbst der konkludente Erlaß einer Verfügung erblickt wird, 1 8 8 oder daraus, daß bei Standardmaßnahmen gegenüber Anwesenden die Anordnung der Standardmaßnahme verlangt wird, 1 8 9 die neben einem feststellenden Teil eine entsprechende Duldungsverfügung enthält 190 . Aufgrund der wirksamen Duldungsverfügung hat der Betroffene die Standardmaßnahme auch 181

Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 75 f.; Rachor, Handbuch des Polizeirechts, Abschn. F Rn. 43; Wüstenbecker, JA-ÜB1. 1987, 33/35. 182 §§ 17-19 MEPolG. 183 § 10 Abs. 1 MEPolG. 184 § 13 MEPolG. 185 Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 76 f.; Schmidt-Kammler, NWVB1. 1995, 166/169 f.; Wüstenbecker, JA-ÜB1. 1987, 33/34. 186 Zu den Gefahrerforschungsermächtigungen des Gefahrenabwehrrechts i.e. s.o. A. III. 187 § 13 Abs. 1 Nr. 2 MEPolG. 188 VG Frankfurt, NJW 1981, 2372; VG Münster, DVB1. 1962, 794/795; Wüstenbecker, JA-ÜB1. 1987, 33/34. 189 Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 78 f.; Schwabe, NJW 1983, 369/370. 190 BVerwGE 66, 192/195; Gaul, VB1BW 1996, 1/2; Lemke, Verwaltungsvollstrekkungsrecht, S. 79; Rasch, DVB1. 1992, 207/212; Schwabe, NJW 1983, 369/370; Selmer/Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, 1996, S. 32. 13 Poscher

194

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

dann hinzunehmen, wenn sie auf einer Anscheinsgefahr oder einem bloßen Gefahrverdacht beruht. Die Duldungsverfügung liegt als wirksamer Grundverwaltungsakt etwa dem Einsatz unmittelbaren Zwangs i m Wege der Verwaltungsvollstreckung zugrunde, falls der Betroffene Widerstand gegen die Standardmaßnahme leistet. 1 9 1

2. Sofortvollzug

und unmittelbare

Ausführung

Sofortvollzug und unmittelbare Ausführung unterscheiden sich von den übrigen Formen des Vollzuges maßgeblich dadurch, daß sie nicht auf der Grundlage eines Verwaltungsakts 1 9 2 , d.h. nicht auf der Grundlage eines Titels erfolgen. 1 9 3 Sofort vollzogen und unmittelbar ausgeführt w i r d nicht ein Verwaltungsakt, sondern unmittelbar die Norm, auf der ein entsprechender Verwaltungsakt beruhen könnte. 1 9 4 Strukturell sind sie mit den zivil- oder strafrechtlichen Not191

Kirchhof, JuS 1975, 509/512; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 79; Rachor, in: Handbuch des Polizeirechts, Abschn. F Rn. 45; Schwabe, NJW 1983, 369/370; a.A. Schmidt-Kammler, NWVB1. 1995, 166/167 f. 192 In der Zwangs- oder Ausführungsmaßnahme selbst den Erlaß einer Grundverfügung zu sehen, leuchtet nicht ein, so aber etwa Achterberg, Verwaltungsrecht, Rn. 222; vgl. auch Bull, Verwaltungsrecht, Rn. 883, der die Annahme aber selbst teilweise für „irreal" erklärt. Gegenüber Abwesenden könnte eine entsprechende Verfügung mangels Bekanntgabe nach §§41, 43 VwVfG nicht wirksam werden. Von Anwesenden könnte sie nicht mehr befolgt werden, da sie erst in der Ausführung erlassen wird (Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 424-432, mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstands; historisch zur unmittelbaren Ausführung Pietzner, VerwArch. 1991, 291 — 307). Daß in der unmittelbaren Ausführung der konkludente Erlaß einer Duldungsverfügung gesehen wurde (etwa PrOVGE 16, 284/286), spricht nicht gegen das Fehlen einer Grundverfügung. Die unterstellte konkludente Duldungsverfügung war auch nach dieser Konstruktion keine Verfügung, die vollstreckt werden sollte, sondern begleitete lediglich die Durchsetzung einer anderen gesetzlichen Verhaltenspflicht. Der Knüppelschlag diente nicht der Durchsetzung der konkludenten Duldungsverfügung, die auf die Duldung des Knüppelschlags gerichtet war, sondern der Durchsetzung der Platzverweisung. 193 Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen dem sofortigen Vollzug und der Verwaltungsvollstreckung auf der Grundlage eines Verwaltungsakts würde eingeebnet, wenn die Befugnisklausel dahin verstanden würde, daß der sofortige Vollzug bereits zulässig sein soll, wenn die Verwaltung in der Lage gewesen wäre, einen bloß wirksamen Verwaltungsakt zu erlassen, tentativ in diesem Sinne Schwabe, in: GS Martens, S. 419/441 f. 194 Mit dieser Erläuterung läßt sich die Beibehaltung der gesetzlichen Terminologie rechtfertigen, obwohl mit dem von Pietzner, VerwArch. 1993, 261/264, vorgeschlagenen und auf Thoma zurückgeführten Begriff des sofortigen Zwangs besser zum Ausdruck gebracht werden könnte, daß es sich nicht um die Vollziehung oder Ausführung eines Titels handelt.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen

195

rechten vergleichbar, 195 die dem Rechtsinhaber ebenfalls die Durchsetzung untitulierter Ansprüche gestatten. Zu dem Verhältnis von Sofortvollzug und unmittelbarer Ausführung werden die unterschiedlichsten grundsätzlichen oder auch am jeweiligen Landesrecht orientierten Ansichten vertreten. 196 Unabhängig von diesen Divergenzen zum Verhältnis der beiden Institute läßt sich jedoch sagen, daß sie je nach zugrundegelegtem Zwangsbegriff entweder jedes für sich oder beide gemeinsam zwei Vollzugssituationen bei fehlender Grundverfügung regeln: zum einen den Vollzug ohne den Willen des Betroffen, zum anderen den Vollzug gegen den Willen des Betroffenen. Der Vollzug ohne Willen des Betroffenen meint wesentlich den Vollzug gegenüber Abwesenden und Bewußtlosen.197 Ein Widerstand des Betroffenen ist schon situativ ausgeschlossen. Taucht der Betroffene während des Vollzuges auf, sind in Fällen der Anscheinsgefahr oder des Gefahrverdachts zwei Handlungsverläufe möglich. Gelingt es dem Betroffenen, den Anschein zu beseitigen oder den Verdacht auszuräumen, so muß die Durchführung der Gefahrenabwehrmaßnahme eingestellt werden. Gelingt es dem Betroffenen nicht, so können die Gefahrenabwehrbehörden mit der unmittelbaren Ausführung nicht einfach fortfahren, sondern müssen die Rechtslage für den Betroffenen verbindlich konkretisieren und ihm die dem sofortigen Vollzug oder der unmittelbaren Ausführung zugrundeliegende Verhaltenspflicht auferlegen. So wird dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben, den zwangsweisen Zugriff auf seine Rechtspositionen zu vermeiden und seiner Verhaltenspflicht freiwillig Genüge zu tun. Er kann sein Verhalten auf die für ihn verbindlich konkretisierte Rechtslage einstellen. Kommt er der Verfügung nicht nach, ist ein rechtmäßiger Widerstand gegen deren zwangsweise Durchsetzung ausgeschlossen. Kann der vermeintliche Falschparker die Polizei nicht von seinem Sonderparkrecht überzeugen, so muß er zur Entfernung seines Fahrzeugs aufgefordert werden. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, kann sie im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden. 198 Ein Notrecht gegen die Vollstreckung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn das Sonderrecht besteht. Gegenüber Nothelfern können die Gefahrenabwehrbehörden entsprechende Duldungsverfügungen auf der Grundlage der Generalklausel erlassen, wenn der Nothelfer den Anschein oder Verdacht einer Gefahr nicht ausräumen kann. 195

Fleiner, Institutionen, S. 225 f.: „Notrecht der Verwaltung"; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 194. 196 Zum Meinungstand und mit dem Vorschlag einer nach einzelnen Bundesländern differenzierenden Betrachtung Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 200-215. 197 Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 195 f. 198 Vgl. Kästner, JuS 1994, 361/364, der jedoch davon ausgeht, daß lediglich eine Duldungsverfugung erlassen werden muß, die dann mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden kann.

196

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Auch vor Erlaß des Verwaltungsakts droht den Gefahrenabwehrorganen keine rechtmäßige Gewalt von den Betroffenen. Die Notrechte erlauben nicht den sofortigen Einsatz von Gewalt, wenn ein Eingriff durch bloße Kommunikation abgewendet werden kann. Sieht sich jemand einem Eingriff aufgrund eines Mißverständnisses ausgesetzt, muß er sich zunächst bemühen, das Mißverständnis aufzuklären. Der sofortige Einsatz von Gewalt ist kein notwendiges Mittel im Sinne der Notrechte. Im alltäglichen Umgang mit Mißverständnissen ist dies auch selbstverständlich. Selbstverständlich wird Kommunikation vor Gewalt geschaltet. Wenn der Inhaber eines Sonderparkrechts sieht, wie sein Fahrzeug von einem Behindertenparkplatz entfernt wird, würde er der Polizei nicht in den Arm fallen, sondern versuchen, sie davon zu überzeugen, daß er berechtigt ist, den Parkplatz in Anspruch zu nehmen. Notrechte gegenüber den Beamten kommen nicht in Betracht. Sofortiger Vollzug und unmittelbare Ausführung können nur dort auf Gegenwehr stoßen, wo sie gegen Anwesende ausgeübt werden und selbst ein mündlicher Verwaltungsakt nicht mehr erlassen werden kann. Denn könnte ein Verwaltungsakt erlassen werden, handelte es sich nicht um Situationen des sofortigen Vollzuges oder der unmittelbaren Ausführung, sondern allenfalls um ein abgekürztes Vollstreckungsverfahren. Schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, zunächst alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die Rechtslage für den Betroffenen durch den Erlaß einer Verfügung zu konkretisieren und ihm die Gelegenheit zu geben, entweder selbst oder durch Dritte seinen Verhaltenspflichten nachzukommen, um dem Verwaltungszwang auszuweichen.199 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aktualisiert insoweit den allgemeinen rechtsstaatlichen Regelungsvorbehalt 200, den schon Mayer formuliert hat: „Was das Gesetz gewollt hat, soll, bevor es durch die Tat vollzogen wird, im Einzelfall erklärt und bindend ausgesprochen werden durch Verwaltungsakt; das ist die weitere Forderung des Rechtsstaats."201 Bei den Fällen des sofortigen Vollzuges und der unmittelbaren Ausführung, in denen Notrechte des Betroffenen in Betracht kommen, muß es sich um Situationen handeln, in denen selbst eine bloß mündliche Verfügung ausscheidet, 199 Daher darf auch die Formulierung in einigen Regelungen des sofortigen Vollzuges oder der unmittelbaren Ausführung, wonach sie zulässig sein sollen, wenn „der Zweck der Maßnahme durch die Inanspruchnahme der ... Verantwortlichen nicht erreicht werden kann", nicht im Sinne bloßer subjektiver Unmöglichkeit ausgelegt werden. Selbst bei subjektiver Unmöglichkeit muß für den Betroffenen die Rechtslage konkretisiert werden, damit er die Gelegenheit erhält, seine Pflichten durch Dritte erfüllen zu lassen, Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 196. 200 Zum verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Regelung Pauly, DVB1. 1991, 521. 201 Mayer, Verwaltungsrecht, S. 318; dazu auch Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht, S. 194.

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen

197

weil der Bürger von der staatlichen Gewalt überrascht oder überwältigt werden soll: 202 der Schuß des Scharfschützen auf den Geiselnehmer, der nur dann zum Erfolg führen kann, wenn der Geiselnehmer nicht erst durch eine Aufforderung zur Freilassung der Geisel gewarnt wird; der auf eine Menschenmenge zurasende Amokfahrer, der gerammt werden muß, ohne daß zunächst noch eine Aufforderung zum Anhalten ausgesprochen werden kann. Dem Bürger wird in diesen extrem zugespitzten Fällen nicht mehr die Möglichkeit eingeräumt, die Anwendung des Zwangs durch die Befolgung einer konkretisierten Verpflichtung zu vermeiden. Der sofortige Vollzug und die unmittelbare Ausführung gegen den Willen des Betroffenen sind dadurch gekennzeichnet, daß der Einsatz von Gewalt unvermeidlich ist. Handeln die Beamten im Gefahrenabwehrrecht aufgrund einer Anscheinsgefahr oder eines Gefahrverdachts, dem kerne Gefahr zugrunde liegt, so wenden sie in Situationen des sofortigen Vollzuges oder der unmittelbaren Ausführung gegen den Willen des Betroffenen rechtswidrig Gewalt an. Gegenüber diesem rechtswidrigen Gewalteinsatz stehen dem Betroffenen grundsätzlich Notrechte zu. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß Notwehrrechte ausgeschlossen oder stark eingeschränkt werden, wenn die Rechtsgutsbeeinträchtigung von einer Person droht, die ihren Handlungen einen rechtfertigenden Sachverhalt zugrunde legt. Gegenüber Irrenden - und nichts anderes kann für den Beamten gelten, der aufgrund einer Beweismaßreduktion einen falschen Sachverhalt zugrunde legt - wird dem Betroffenen nicht das scharfe Schwert der Notwehr in die Hand gegeben. So halten Gegner eines strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs das Notwehrrecht gegenüber einem Amtsträger - wie allgemein gegenüber schuldlos Handelnden - für ausgeschlossen, wenn der Amtsträger einem Erlaubnistatbestandsirrtum oder einem unvermeidbaren Irrtum über die Reichweite eines Rechtfertigungsgrundes unterliegt. Dem Handeln des Irrenden fehle der Handlungsunwert. 203 Die Rechtsgutsbeeinträchtigung wird nicht als rechtswidriger Angriff, sondern als Unglück verstanden, für das die Regel des § 32 StGB eine zu einseitig die Rechtsgüter des Angegriffenen berücksichtigende Lösung biete. 204 Nach dieser Ansicht ist der Bürger auf § 34 StGB verwiesen, der einen Eingriff in die Rechtsgüter des Vollstreckungsorgans nur gestattet, wenn die durch die Vollstreckungsmaßnahme gefährdeten Rechtsgüter die durch die Notstandsmaßnahme betroffenen überwiegen. Für Vertreter der eingeschränkten 202

So auch die Charakterisierung der Fallgruppe bei Lemke, Verwaltungsvollstrekkungsrecht, S. 195. 203 Roxin, Allgemeiner Teil, § 15 Rn. 15. 204 Jakobs, Allgemeiner Teil, Abschn. 12 Rn. 16-21, Abschn. 16 Rn. 8; vgl. Samson, in: Systematischer Kommentar, § 32 Rn. 45, allgemein zum Angriff Schuldloser.

198

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Schuldtheorie, für die im Falle des Erlaubnistatbestandsirrtums der Vorsatz entfällt, folgt dies schon daraus, daß eine unvorsätzliche Handlung nicht rechtswidrig sein kann. 205 Für andere Vertreter der eingeschränkten Schuldtheorie liegt zwar ein rechtswidriger Angriff vor, doch sei das Notwehrrecht mit Rücksicht auf den Irrtum des Amtsträgers erheblich eingeschränkt. Gegenüber einem schuldlos Handelnden sei der Angegriffene allgemein auf bloße Schutzwehr verwiesen und müßte auch eigene Rechtspositionen preisgeben, wenn ihnen deutlich höherwertige Rechtsgüter des Vollstreckungsorgans gegenüberstehen. 206 Im Hinblick auf die verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten werden die Notrechte gegenüber irrenden Amtsträgern zum Teil auf die Abwehr irreparabler Schäden beschränkt. 207 Die vollstreckungsrechtliche Lösung führt für den sofortigen Vollzug oder die unmittelbare Ausführung gegen den Willen des Betroffenen in Fällen der Anscheinsgefahr oder des bloßen Gefahrverdachts zu einem anderen Ergebnis als der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff. Während der Betroffene nach dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff auch den unmittelbaren Einsatz rechtswidriger staatlicher Gewalt unabhängig von den betroffenen Rechtsgütern hinzunehmen hat, gelangt der vollstreckungsrechtliche Ansatz zu einer zumindest notstandsähnlichen Güterabwägung und erlaubt dem Betroffenen eine Gegenwehr jedenfalls dann, wenn die durch die rechtswidrige staatliche Gewalt betroffenen Rechtsgüter die durch die Gegenwehr bedrohten Rechtsgüter der Gefahrenabwehrorgane überwiegen. Die vollstreckungsrechtliche Lösung nimmt den Schutz der Rechtsgüter der Gefahrenabwehrorgane zugunsten des Schutzes der Rechtsgüter des durch den rechtswidrigen staatlichen Gewalteinsatz Betroffenen ein Stück weit zurück. Die Zurücknahme des Schutzes der Rechtsgüter der Gefahrenabwehrorgane zugunsten der Rechtsgüter des von rechtswidriger staatlicher Gewalt Betroffenen macht die vollstreckungsrechtliche Lösung indes noch nicht inakzeptabel. Die Situationen, in denen die Gefahrenabwehrorgane aufgrund einer unvermeidbar falschen Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse eine Situation annehmen, in der sie unmittelbar mit Gewalt gegen einen Bürger vorgehen müssen, ohne ihm auch nur mündlich erne Verhaltenspflicht auferlegen zu können, tragen das Profil eines Unglücksfalls. 208 Es sind extrem seltene Situationen,

205

Roxin, Allgemeiner Teil, § 14 Rn. 71-75. Roxin, Allgemeiner Teil, § 15 Rn. 57-60 m.w.N. 207 Amelung, JuS 1986, 329/336; ihm folgend Schröder, Das „Irrtumsprivileg" des Staates, S. 64. 208 Eine entsprechende Kategorisierung privater Notrechtsirrtümer als Unglücksfälle bei Freund, GA 1991, 387/410; Jakobs, Allgemeiner Teil, Abschn. 12 Rn. 16-21, Abschn. 16 Rn. 8. 206

C. Notrechte der Betroffenen gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen

199

die auf dem Mißverständnis einer Situation beruhen, das nur aus einer ungünstigen Verkettung außergewöhnlicher Umstände hervorgehen kann. Wie bei anderen Unglückssituationen muß es nicht sinnvoll sein, die Kosten des Unglücks kategorisch einem Beteiligten aufzuerlegen. Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes erscheint es vielmehr sinnvoll, eine Lösung zu wählen, die zur Minimierung des durch den Unglücksfall drohenden Schadens führt. Dies wird besonders deutlich, wenn die Kosten des Unglücksfalls bei den unterschiedlichen Regelungsalternativen weit auseinanderfallen. Hält etwa der Polizeibeamte die für ein Mafia-Epos im Hinterhof gespielte Hinrichtungsszene für real und sieht sich nur noch durch einen gezielten Schuß auf den Täter in der Lage, die Erschießung des Opfers zu verhindern, so ist fraglich, ob der Regieassistent rechtlich verpflichtet sein sollte, die vielleicht tödliche Verletzung seines Kollegen sehenden Auges hinzunehmen, wenn er die Möglichkeit hätte, dem Beamten rechtzeitig die Waffe aus der Hand zu schlagen.209 Dies wäre jedoch die Konsequenz des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs - und auch des subjektiven Gefahrbegriffs - , nach dem die irrtümliche Erschießung des Schauspielers aufgrund einer Anscheinsgefahr eine rechtmäßige Diensthandlung wäre, die nicht abgewehrt werden dürfte. Nach der vollstreckungsrechtlichen Lösung würde eine notstandsorientierte Güterabwägung hingegen zugunsten eines Notrechts des Regieassistenten ausgehen. Er dürfte dem Beamten die Dienstwaffe aus der Hand schlagen und das Leben seines Kollegen zulasten des Handgelenks des Beamten retten. Die nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Besonderheit entsprechender Unglückssituationen wird deutlich, wenn die Situationen so modifiziert werden, daß dem Beamten noch Gelegenheit zum Erlaß einer Verfügung bleibt und dem Betroffenen damit die Möglichkeit gegeben wird, sein Verhalten anzupassen. Jeglicher Gewalteinsatz ließe sich im obigen Beispiel vermeiden, wenn der Polizeibeamte den Schauspieler noch auffordern könnte, die Waffe fallen zu lassen. Der Erlaß eines Verwaltungsakts bedeutet nicht, daß dem von einem Irrtum der Gefahrenabwehrbehörden Betroffenen nicht auch die Aufgabe von Rechtspositionen zugemutet wird. Doch lassen sich durch die mit dem Verwaltungsakt verbundene Kommunikation meist gröbste Mißverständnisse aufklären und der Einsatz von staatlicher Gewalt regelmäßig vermeiden. Das Prä der Verwaltung, ihre Rechtsauffassung durch Verwaltungsakt zu titulieren, rechtfertigt sich dadurch, daß nur so ein gewaltsamer Kampf um das Recht vermieden werden kann. Hierin liegt die Befriedungsfunktion eines jeden Titels, die auch die Titelfunktion des Verwaltungsakts legitimiert. Kann aber wie im

209

Daß die Literatur für Beispiele des irrtümlichen sofortigen Vollzuges schon früh den Film entdeckt hat, vgl. Drews, Polizeirecht, S. 60, mag auf die praktische Relevanz der Fälle schließen lassen.

200

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

Falle des sofortigen Vollzugs oder der unmittelbaren Ausführung gegen den Willen des Betroffenen der Einsatz von Gewalt nicht mehr vermieden werden, wird auch das unbedingte Prä der Verwaltung fraglich. Festhalten läßt sich jedenfalls, daß die vollstreckungsrechtliche Lösung auf der Grundlage einer objektivierten Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts auch für den sofortigen Vollzug und die unmittelbare Ausführung zu vertretbaren und zumindest unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes auch überzeugenderen Ergebnissen führt. Insgesamt ergeben sich aus den Notrechten der Betroffenen auch dann keine Bedenken gegen eine objektivierte Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts, wenn der Annahme eines strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs nicht gefolgt wird. Durch die Titelfunktion des Verwaltungsakts werden die Gefahrenabwehrorgane ausreichend vor den Notrechten der Betroffenen geschützt. Das Verwaltungsrecht hat das Problem irrtümlich rechtswidrigen Verwaltungshandelns dort geregelt und gelöst, wo es aufgrund seiner Allgemeinheit geregelt und gelöst werden muß: in den Vorschriften der Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsvollstreckungsgesetze über das Verhältnis von Rechtswidrigkeit, Wirksamkeit, Nichtigkeit und Vollstreckbarkeit von Verwaltungsakten. Zum Schutze der Beamten bedarf es daneben weder eines besonderen Rechtmäßigkeitsbegriffs noch der Subjektivierung staatlicher Eingriffsbefugnisse.

D. Resümee Schon im zweiten Teil wurde deutlich, daß eine umfassende Untersuchung des dogmatischen Systems des Rechts der Gefahrenabwehr nicht nur die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme, sondern auch die Verhaltenspflichten der Gefahrenabwehrorgane und des Betroffenen in den Blick nehmen muß. Ihren Ausgang nahm die Betrachtung bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme, für die zunächst „die Gefahr" als der Zentralbegriff des Gefahrenabwehrrechts entwickelt werden mußte. Der Gefahrbegriff erwies sich aufgrund seines notwendigen Bezugs zu einem in unterschiedlichen Dimensionen zu definierenden Wissenshorizont als komplex. Es ließ sich zunächst eine Begriffsstruktur entwickeln, in der sich die unterschiedlichen Aspekte des Gefahrbegriffs einordnen ließen. Die Aspekte wurden so ausgebildet, daß ein Gefahrbegriff entstand, dem ein perspektivisch objektiver Wissenshorizont zugrunde liegt, der sich zeitlich an dem Wissensstand ex ante und sachlich grundsätzlich am Alltagswissen orientiert. Dieser Gefahrbegriff entspricht zum einen demjenigen, den auch Rechtsprechung und Literatur in Bezug nehmen, wenn sie von der „wirklichen" oder „tatsächlichen" Gefahr sprechen; zum anderen entspricht er aber auch im Unterschied zum subjektiven

D. Resümee

201

Gefahrbegriff dem Alltagssprachgebrauch. Der Alltagssprachgebrauch legt einen Gefahrbegriff zugrunde, nach dem ein Irrtum über eine Gefahr - auch ein Irrtum mit guten Gründen - möglich ist. 210 Dem entspricht nur ein objektiver Gefahrbegriff, dessen Wissenshorizont nicht subjektiv ausgerichtet ist. Auf der Grundlage des objektiven Gefahrbegriffs und einer objektiv verstandenen polizeilichen Verantwortlichkeit greifen die positiv-rechtlichen Verknüpfungen zwischen den einzelnen Elemente des Gefahrenabwehrrechts so in einander, daß es keiner begrifflichen Brüche bedarf, um zu den praktischen Ergebnissen zu gelangen, die auch auf der Grundlage der Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts erstrebt werden. Die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme und die sekundären Rechtsfolgen, auf die auch die Unterscheidung von Primärund Sekundärebene zielen, ergeben sich auf der Grundlage eines objektiven Gefahrbegriffs und eines objektiven Verständnisses der polizeilichen Verantwortlichkeit unmittelbar aus den begrifflichen Verknüpfungen des positiven Rechts. Für die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme und die Bestimmung der sekundären Rechtsfolgen bedarf ein objektiver Ansatz keiner Zusatzannahmen. Auf der Grundlage des objektiven Verständnisses ergeben auch die tatbestandlichen Differenzierungen bei den polizeilichen Ermittlungsbefugnissen einen Sinn. Die auf Tatsachen gestützte Annahme einer Gefahr eröffnet die Befugnis zu weiteren Ermittlungsmaßnahmen; die Gefahr legitimiert Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Auf der Grundlage des objektiven Ansatzes erweisen sich die positivrechtlichen Verknüpfungen der einzelnen Elemente des materiellen Gefahrenabwehrrechts als ein wohlgeordnetes System. Bei der rechtlichen Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme und der Bestimmung der Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche zeichnet sich eine objektive Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts gegenüber der Subjektivierungsstrategie durch begriffliche Konsistenz, größeren Erklärungswert, Einfachheit und Übereinstimmung mit dem Alltagssprachgebrauch aus. Bei der Betrachtung der Verhaltenspflichten der Gefahrenabwehrorgane wurde deutlich, daß der Gefahrverdacht die zentrale Herausforderung für das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr bedeutet. Die wahrscheinlichkeitstheoretische Rekonstruktion des Gefahrverdachts zeigte, daß das Problem bislang noch von keinem dogmatischen Ansatz behoben worden ist. Unter jedem der in der Diskussion vertretenen Gefahrbegriffe können Situationen eintreten, in denen die Gefahrenabwehrorgane bei Gefahrverdacht aufgrund ihrer dienstlichen Verhaltenspflichten an einem Einschreiten gehindert sind, obwohl ihr Einschreiten erforderlich erscheint. Gegenüber dem Gefahrverdacht läßt sich die Handlungsfähigkeit der Gefahrenabwehrorgane in vollem Umfang nur durch eine Beweismaßreduktion herstellen. Danach dürfen die Gefahrenab210

So auch Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 211.

202

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

wehrorgane bereits einschreiten, wenn sie mit einer geringeren als der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von einer Gefahr überzeugt sind. Mit einer entsprechenden Beweismaßreduktion stehen die dienstlichen Verhaltenspflichten auch auf der Grundlage eines objektiven Gefahrbegriffs einem Einschreiten der Gefahrenabwehrorgane bei Gefahrverdacht nicht im Wege. Die Subjektivierung des Gefahrbegriffs ist weder erforderlich noch tauglich, die Effektivität des Gefahrenabwehrrechts zu sichern. Eine historisch-genetische Betrachtung konnte zudem zeigen, daß eine Auslegung der gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen im Sinne einer verfahrensrechtlichen Beweismaßreduktion mit dem Vorbehalt des Gesetzes in Einklang steht. Einer Ergänzung durch eine übergesetzliche Rechtfertigung aus Art. 20 Abs. 3 GG 2 1 1 bedarf das dogmatische System des Gefahrenabwehrrechts nicht. Auf die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme hat die Beweismaßreduktion grundsätzlich keinen Einfluß. Sie schließt lediglich disziplinarische und strafrechtliche Sanktionen gegen Beamte aus, die bei Gefahrverdacht einschreiten. Für die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme bleiben sowohl das Problem des Gefahrverdachts wie auch der Gefahrverdacht als dogmatische Kategorie unsichtbar. Für die rechtliche Bewertung der Gefahrenabwehrmaßnahme interessiert auch bei Gefahrverdacht immer nur, ob eine Gefahr vorlag oder nicht. Weder für das Rechtswidrigkeitsurteil noch für die Kostenersatz- oder Entschädigungsansprüche kommt der Beweismaßreduktion oder dem Gefahrverdacht eine Bedeutung zu. Die Beweismaßreduktion erweist sich gegenüber Ansichten überlegen, die auf der Ebene des materiellen Rechts ansetzen, weil sie der Struktur des sachlichen Problems entspricht. Das Problem des Gefahrenabwehrrechts besteht nicht darin, daß das materielle Recht Phänomene nicht erfaßt, deren Abwehr mit dem Gefahrenabwehrrecht erstrebt wird. Das Gefahrenabwehrrecht dient dem Schutz von Rechtsgütern, die dieses Schutzes nur bedürfen, wenn sie in Gefahr gebracht worden sind. In Gefahrverdachtssituationen liegen die Schwierigkeiten auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung. Die Gefahrenabwehrorgane können den Sachverhalt bei Gefahrverdacht nicht vollständig ermitteln, bevor sie einschreiten müssen. Diesen Schwierigkeiten kann nur Rechnung getragen werden, indem die Sachverhaltsfeststellung erleichtert wird. Die Versuche, die Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung durch eine Modifikation des materiellen Rechts zu beheben, greifen deshalb einerseits zu kurz und haben andererseits eine überschießende Tendenz. So greift die Subjektivierung des Gefahrbegriffs zu kurz, weil sich das Ermittlungsproblem auch für einen normativ-subjektiven Gefahrbegriff stellen kann. Andererseits schießt sie über das Ziel hinaus, weil die Modifikation des Gefahrbegriffs sich auf das gesamte System auswirkt und 211

Lücke, Staatsakte, S. 229.

D. Resümee

203

auf der Ebene der Kostenersatz- und Entschädigungsansprüche neuen Korrekturbedarf erzeugt. Daß jede Manipulation des Gefahrbegriffs auf das Problem der nicht-intendierten Folgen intentionalen Verhaltens stößt, kann systemtheoretisch nicht überraschen. Als zentrales Element des Gefahrenabwehrrechts eignet sich der Gefahrbegriff schlecht für die Lösung von Rest- und Einzelproblemen. Dieselben Defizite weisen auch die materiell-rechtlichen Ansätze auf, die eine inzidente 212 oder gewohnheitsrechtliche 213 Befugnis zu Gefahrverdachtsmaßnahmen anerkennen. Zum einen räumt eine materiell-rechtliche Ermächtigung zu Gefahrverdachtsmaßnahmen die strukturellen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen der Ermächtigung nicht aus. Sobald für den Gefahrverdacht ein normativ-subjektiver Maßstab festgesetzt wird, bietet er keine Lösung mehr für Fälle, in denen der Beamte vor Ort eine persönliche Erkenntnisschwierigkeit wahrnimmt. Zum anderen stellen sich für diese Ansicht bei der Entscheidung über die sekundären Rechtsfolgen dieselben Schwierigkeiten wie für die Vertreter eines subjektiven Gefahrbegriffs. Auch nach der Ansicht, die eine materiell-rechtliche Ermächtigung annimmt, sind die Gefahrverdachtsmaßnahmen rechtmäßig, wenn keine Gefahr vorlag, so daß Entschädigungsansprüche nach der Systematik des Gefahrenabwehrrechts grundsätzlich ausscheiden und der Betroffene mit den Kosten der Gefahrverdachtsmaßnahme belastet werden kann. Um dieses Ergebnis auszuschließen, sind auch die Vertreter dieser Ansicht genötigt, unterschiedliche Ebenen einzuziehen, auf denen die Rechtmäßigkeit des Eingriffs unterschiedlich beurteilt werden muß. Die neueren Interpretationen, die in der Subjektivierung des Gefahrbegriffs nicht nur eine dogmatische Krücke, sondern eine Aussage über den Zweck des Gefahrenabwehrrechts sehen, lösen das Gefahrenabwehrrecht von seiner traditionellen Funktion. Die Vermeidung eines gefährlichen Anscheins oder Verdachts mag zwar rechtspolitisch erstrebenswert sein, doch geht ein solches Verständnis des Gefahrenabwehrrechts weit über den traditionellen Rechtsgüterschutz hinaus. Als materielle Polizeipflicht entspräche einem solchen Verständnis des Gefahrenabwehrrechts nicht mehr die Pflicht zur Vermeidung oder Beseitigung gefährlicher Zustände oder Verhalten, sondern eine Pflicht zur Unauffälligkeit, zur Vermeidung des bösen Scheins.214 Auf der Ebene der Verhaltenspflichten der von den Gefahrenabwehrmaßnahmen Betroffenen ergeben sich trotz der Rechtswidrigkeit von Anscheins212

Götz, Polizeirecht, Rn. 155. Kickartz, Ermittlungsmaßnahmen, S. 253-268. 214 Daran, daß der polizeilichen Verantwortlichkeit eine materielle Polizeipflicht entspricht, hält Schenke, in: FS Friauf, S. 455/486 f., ausdrücklich fest. 213

204

Dritter Teil: Das dogmatische System des Rechts der Gefahrenabwehr

und bloßen Verdachtsmaßnahmen keine Bedenken gegen den objektiven Gefahrbegriff und eine objektiv bestimmte polizeiliche Verantwortlichkeit. Vor einem notrechtlich legitimierten Widerstand gegen Gefahrenabwehrmaßnahmen werden die Gefahrenabwehrorgane ausreichend durch die Titelfunktion des Verwaltungsakts geschützt. Anders als die Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts erlaubt ein objektives Verständnis auch in Situationen des sofortigen Vollzugs und der unmittelbaren Ausführung eine am Rechtsgüterschutz orientierte Lösung von Anscheins- und Verdachtsfällen. Dort, wo der Einsatz von Gewalt in Anscheins- und Verdachtsfällen nicht mehr vermieden werden kann, führt eine objektive Dogmatik nicht zu einer kategorialen, von den auf dem Spiel stehenden Rechtsgütern unabhängigen Duldungspflicht des Betroffenen. In diesen Situationen mit Unglücksprofil muß der Betroffene den irrtümlichen Einsatz staatlicher Gewalt nicht dulden, wenn die ihm drohenden Schäden die Beeinträchtigung der Gefahrenabwehrorgane überwiegen. Eine objektive Dogmatik vermeidet damit kontraintuitive Ergebnisse, die sich auf der Grundlage einer Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts nicht vermeiden lassen, nach der der unmittelbare Einsatz staatlicher Gewalt auch aufgrund eines Anscheins oder bloßen Verdachts als rechtmäßiger geduldet werden muß. Mit einem objektiven dogmatischen Ansatz läßt sich das in der Rechtsordnung angelegte Differenzierungspotential nutzen, das in der frühen Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts noch verfahrensrechtlich ausgeprägt war und durch die Subjektivierung für das Gefahrenabwehrrecht verschüttet worden ist. Wie im übrigen Verwaltungsrecht besteht auch im Gefahrenabwehrrecht kein Anlaß, daß „man den schuldlos rechtswidrigen Eingriff den rechtmäßigen Eingriffen beizählt." 215 Die Unterscheidung zwischen der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme und der Pflichtwidrigkeit des dienstlichen Verhaltens ist Bestandteil eines komplexen Systems von Verhaltenspflichten, das auch für das Gefahrenabwehrrecht entfaltet werden muß. Dann läßt sich auch die Stelle freilegen, an der der Gefahrverdacht die Leistungsfähigkeit des Systems herausfordert. Entsprechend spezifisch kann die Beweismaßreduktion auf das Urproblem der Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts reagieren. Es ergibt sich ein von dogmatischem Ballast befreites Recht der Gefahrenabwehr, das sich als konsistenter, einfacher und effektiver als seine bisherigen Interpretationen erweist.

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Sachwortregister Abschleppen von Kraftfahrzeugen 9 Alltagssprachgebrauch 113,201 Alltagswissen 123 Altlasten 26, 27, 29, 70, 74, 104, 133 Amtsermittlung 25, 35, 68, 149 Anscheinsgefahr 20, 24, 25, 36, 38, 42, 46, 56, 119, 148, 186, 188, 193 Anscheinsverantwortlichkeit 57, 70, 72, 129, 150 Anspruch auf polizeiliches Einschreiten 26 f. Ausführung, unmittelbare 19, 141, 194

Effektivität der Gefahrenabwehr 13, 24, 60, 62, 82, 109, 151 Entschädigungsanspruch 19, 22, 42, 51, 75, 143, 178 Erfahrungssätze 116 Erlaubnistatbestandsirrtum 150, 181, 197 Ersatzvornahme 141 Eventualputativrechtfertigung 165, 181 Ex-ante-Perspektive 40, 72, 87, 115 Existenzaussage 84, 112 Ex-post-Perspektive 72, 75

Befugnisklausel, vollstreckungsrechtliche 192 Behandlung, erkennungsdienstliche 138, 193 Beobachter, idealer 118 Bestandskraft 189 Beurteilungsspielraum 63 Beweismaßreduktion 153, 165,173,176 Brandmauer-Entscheidung 40, 120, 170

Fehlalarme 142 Formel, Radbruchsche 80

Dämon, Laplacescher 123 Determinismus 48 Diagnose 56 Dienstpflichten 25, 35, 100, 149, 179, 187 Dogmatik 14,87 Doppelfunktionalität einer Gefahrerforschungsmaßnahme 135 Duldungspflicht 67 Duldungsverfugung 132, 136, 193, 195 Durchsuchung 138, 193 Dutschke-Entscheidung 57

Gefahr - erhebliche 20 - konkrete 10 Gefahrbegriff 12, 17, 19, 25, 28, 87 - objektiver 31, 39, 50, 86, 98, 112, 125 - subjektiver 38, 113, 163 Gefahrenabwehr, vorläufige 51, 59, 61, 133 Gefahrenabwehrgesetze 9, 172 Gefahrenabwehrrecht 9 Gefahren Vorbeugung und -Vorsorge 10 Gefahrerforschungseingriff 44, 55, 61, 66, 80, 133, 138 Gefahrverdacht 20, 24, 25, 43, 51, 56, 89, 119, 133, 152, 163, 165, 186, 188, 193,201 Generalklausel, polizeiliche 20, 195 Gesetzesvorbehalt 168 Gewaltmonopol 101 Grudekoks-Entscheidung 38, 40 f., 121

Eckensteher-Entscheidung 58

Handlungserlaubnis 101, 168

Chaos 89

222

Sachwortregister

Identitätsfeststellung 138 Ingewahrsamnahme 193 Konfliktverfahren 34, 36, 109, 170 Kostenersatzanspruch 19,21,140,190 Laktometer-Entscheidung 35 Landrecht, preußisches Allgemeines 11, 31 Lebenserfahrung, allgemeine 123 Maßnahmen, erkennungsdienstliche 138, 193 Mehrdeutigkeit statistischer Erklärungen 84, 114 Mitverschulden 77 Möbelwagen-Entscheidung 41, 170 Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes 173 Nachschieben von Gründen 129 Naturkatastrophen 20 Nichtstörer 18, 19, 20, 22, 72, 76, 129, 183 Nichtstörerentschädigung 145 Notwehr 185 Oberverwaltungsgericht, Preußisches 30, 166, 170 Oberverwaltungsgericht, Sächsisches 30 Objektivität 125 Opferposition 26, 74, 104 Pflichtenkollision 182 Platzverweisung 192 Polizei- und Ordnungsrecht, allgemeines

11 Polizeipflicht, materielle 82 Polizeiverwaltungsgesetz, preußisches 30, 171 Primär- und Sekundärebene 12, 18, 21, 73, 79, 87 f., 107 Probebohrungen 67 Prognose 56, 59 Putativgefahr 150, 163, 183 Rechtsfolge, primäre 18

Rechtsfolgen, sekundäre 28 Rechtsirrtümer 34 Rechtsschutz, vorläufiger 53, 165, 174 Rechtswidrigkeit 100 Rechtswidrigkeitsbegriff, strafrechtlicher 186, 199 Rechtswidrigkeitsurteil 37, 177 Regelbeweismaß 168 Regelungsvorbehalt 196 Relativität von Wahrscheinlichkeitsaussagen 85 Risiko 10,95 Risikoerhöhung 144 Risikogesellschaft 90 Risikosphären 144 Schahbesuch-Entscheidung 60 Schuldtheorie, eingeschränkte 198 Seuchenrecht 52 f., 117 Sicherheit und Ordnung, öffentliche 10 f., 16,51, 192 Sicherheitsrecht, technisches 91 Sofortvollzug 194 Sonderordnungsgesetze 10 Sorgfaltswidrigkeit, des Anscheins- oder Verdachtsverantwortlichen 73 Spezifikationsgrundsatz, Hempelscher 86, 114, 121 Standardmaßnahmen, polizeiliche 18, 138, 192 Subjektivierung des Gefahrenabwehrrechts 25, 29, 51, 186 - der polizeilichen Verantwortlichkeit 25, 64 - des Entschädigungsanspruchs 76 - des Gefahrbegriffs 25, 57, 60, 63, 75 Tatsachenirrtum 34, 36 Titelfunktion des Verwaltungsakts 188, 199 Trümmergrundstücke 54 Überschreitung der Amtsbefugnisse 37 Überzeugung, beweisrechtliche 86, 148, 154, 162 Umweltrecht 89

Sachwortregister Unglück 197 Unrecht, gesetzliches 80 Unterbringungs-Entscheidung 42, 50,170 Unterbringungsgesetz 52 Verantwortlichkeit, polizeiliche 17, 19, 23, 25, 32, 54, 57, 128 Verdachtsverantwortlichkeit 72, 131,183 Verfahrensrecht 101, 165 Verhaltenssteuerung 97 Verhältnismäßigkeitsgebot 13 5 Verschulden 26, 32, 44, 77, 105 Verwaltungsakt, vorläufiger 81 Verwaltungsgerichtshof, Württembergischer 30 Verwaltungsvollstreckungsrecht 19, 62,

101, 188

Volkszählungs-Urteil 10 Vollstreckungskosten 22 Vollstreckungsverfahren - abgekürztes 190, 196

- gestrecktes 189 Vollziehung, sofortige 189 Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch 141, 190 Vorladung 138, 192 Wahrscheinlichkeit 33, 47, 56, 59 Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit 156, 161 Wahrscheinlichkeitstheorie 83 Weltbild, Netownsche 89 Weltwissen 86, 123 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

186 Wissenschaftstheorie 83 Wissenshorizont 85, 113, 157 Zumutbarkeit der Kostenlast 27 Zwang, unmittelbarer 19, 194 Zweck des Gefahrenabwehrrechts 169 Zweckveranlasser 26, 27