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German Pages 260 Year 2021
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Band 17
Das Regulierungsermessen Eine kritische Rekonstruktion
Von Marie Garstecki
Duncker & Humblot · Berlin
MARIE GARSTECKI
Das Regulierungsermessen
Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht Herausgegeben von Ralf Brinktrine und Markus Ludwigs
Band 17
Das Regulierungsermessen Eine kritische Rekonstruktion
Von Marie Garstecki
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2198-0632 ISBN 978-3-428-18382-1 (Print) ISBN 978-3-428-58382-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Zoë
Vorwort Größter Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Marcus Schladebach (LL.M.) für seine stetige Begleitung, Förderung und Unterstützung während dieses Projekts. Ohne ihn wäre es nicht in dieser Form zur Verwirklichung gelangt. Besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Christoph Wagner für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und seine wertvollen Hinweise. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe „Schriften zum Deutschen und Europäischen Infrastrukturrecht“. Ich danke außerdem Herrn Prof. Dr. Michael Tolksdorf an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin für die fruchtbaren Gespräche und seine Anregungen, die ich stets zu schätzen wusste. Die Arbeit wurde durch die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Berlin, im August 2021
Marie Garstecki
Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Erster Teil Regulierung als Rechtsbegriff und Staatsaufgabe
36
Kapitel 1 Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
36
A. Grundgesetzlicher Rahmen für die Energieregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Historische Entwicklung der Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Kapitel 2 Regulierungsbegriffe, -instrumente und die Bedeutung des Wettbewerbs
47
A. Aufgabe von Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Regulierungsrecht als öffentliches Privatisierungsfolgerecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Die Abgrenzung von Regulierungsrecht und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Zweiter Teil Behördliche Entscheidungsfindung im Gefüge der Gewaltenteilung
79
Kapitel 3 Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
80
A. Grundlagen: § 40 VwVfG und § 114 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 B. Verortung der Ermessensausübung im verfassungsrechtlichen Gefüge . . . . . . . . . . . . 84
10
Inhaltsübersicht Kapitel 4 Die etablierten Sonderformen behördlicher Entscheidungsspielräume
100
A. Anerkannte Sonderformen des Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Dritter Teil Die Entwicklung des Regulierungsermessens
108
Kapitel 5 Die Entwicklung des Regulierungsermessens in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum TKG
108
A. Anerkennung des Regulierungsermessens: BVerwGE 130, 39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Adaption des Regulierungsermessens im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Kapitel 6 Die Übertragung des Regulierungsermessens auf das Energiewirtschaftsrecht 139 A. Ausschluss der Übertragung wegen Besonderheiten im TKG bzw. EnWG . . . . . . . . . 140 B. BGH „Stadtwerke Konstanz GmbH“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 C. BGH „Stromnetz Berlin GmbH“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Vierter Teil Regulierungsbehördliche Letztentscheidungsrechte im Unionsrecht
180
Kapitel 7 Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte im Energieregulierungsrecht
180
A. Unionsrechtliche Gestaltungsvorgaben nationaler administrativer Entscheidungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik . . . . . . 189 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Inhaltsübersicht
11
Fünfter Teil Rekonstruktion der energierechtlichen Ermessensdogmatik als Schlussfolgerung
195
Kapitel 8 Konturierung eines Subsumtionsermessens
195
A. BGH: „Eigenkapitalzinssatz II“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 B. Monistisches Konzept der Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 C. Die „Richtigkeit“ einer Antwort auf die gestellte Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 D. Das Subsumtionsermessen: Dogmatische Verortung der skizzierten Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Kapitel 9 Zusammenfassung und Thesen
236
A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 B. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Anhang Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen 2014 – 05/2021
253
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Die zugrundeliegende Idee der behördlichen Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . 28 II. Regulierungsermessen des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Regulierungsermessen des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Erster Teil Regulierung als Rechtsbegriff und Staatsaufgabe
36
Kapitel 1 Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
36
A. Grundgesetzlicher Rahmen für die Energieregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Historische Entwicklung der Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Regulierungstheorie nach Smith und Daseinsvorsorge nach Forsthoff . . . . . . . . . 41 II. Von der Daseins- zur Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Der Begriff der Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Wandel von der Daseins- zur Gewährleistungsverantwortung im Lichte europäischer Kompetenzzunahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Keine Durchsetzung des Begriffs der Gewährleistungsverantwortung . . . . . . . 45 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Kapitel 2 Regulierungsbegriffe, -instrumente und die Bedeutung des Wettbewerbs
47
A. Aufgabe von Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
14
Inhaltsverzeichnis II. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Regulierungsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Ökonomischer Regulierungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Sektorspezifischer Regulierungsbegriff Telekommunikation . . . . . . . . . . . . 51 c) Soziologisch-politikwissenschaftlicher Regulierungsbegriff . . . . . . . . . . . . 52 d) Eigenes Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Wettbewerbsmärkte und Energietransportmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Funktionen und Ziele von Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Eigenschaften von Wettbewerbsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Besonderheiten der Energiemärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Wettbewerb im Regulierungsgefüge des EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Die Zielvorgaben des § 1 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Die ratio legis des § 1 Abs. 2 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4. Wettbewerbsregulierung als Widerspruch zur Marktwirtschaft? . . . . . . . . . . . 57 5. Marktversagenstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Marktmacht durch Skaleneffekte (economies of scale) und Verbundvorteile (economies of scope) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Marktmacht im natürlichen Monopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Regulierungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Entwicklung bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Entwicklungen ab 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Die Erzeugung von Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Der Energietransport: der Netzbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Der Vertrieb von Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 V. Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Marktzugangsregulierung: der regulierte Netzzugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Entgeltregulierung: Die Anreizregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Unbundling oder Entflechtung von Energieversorgungsunternehmen . . . . . . . 70 4. Kartellrecht als Regulierungsinstrument? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
B. Regulierungsrecht als öffentliches Privatisierungsfolgerecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I. „Abwicklung“ ehemals staatlicher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Regulierung als Aufgabe von Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Die Abgrenzung von Regulierungsrecht und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Fünf Kriterien zur Abgrenzung des Regulierungs- vom Kartellrecht . . . . . . . . . . 73
Inhaltsverzeichnis
15
II. Der ordentliche Rechtsweg als mögliches Indiz für die Rechtsnatur des Regulierungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Monopolverbot unter dem GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 IV. Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden nach § 58 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 V. Zivilrechtliche Preisaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 VI. Die Missbrauchsaufsicht nach § 18 und die Fusionskontrolle nach § 35 GWB 77 VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Zweiter Teil Behördliche Entscheidungsfindung im Gefüge der Gewaltenteilung
79
Kapitel 3 Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
80
A. Grundlagen: § 40 VwVfG und § 114 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I. Die Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Abkehr von der Annahme der Zweigliedrigkeit von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . 82 III. Kompetenzfragen und Methodenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Relevanz von Methodenfragen für administrative Entscheidungsspielräume im Energieregulierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 B. Verortung der Ermessensausübung im verfassungsrechtlichen Gefüge . . . . . . . . . . . . 84 I. Verfassungsrechtliches Spannungsfeld behördlicher Letztentscheidungsrechte 86 1. Die Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Entscheidungsspielräume der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Das gebundene Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Beurteilungsspielraum – Begriffsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Die Lehre vom Beurteilungsspielraum nach Bachof . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Weiterentwicklung zum heutigen Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Anerkannte Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Das Verwaltungsermessen – Begriffsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Materielle Rechtmäßigkeitsüberprüfung: Die Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . 96 1. Ermessensausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Ermessensüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Ermessensfehlgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
16
Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 Die etablierten Sonderformen behördlicher Entscheidungsspielräume
100
A. Anerkannte Sonderformen des Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Das freie Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Das intendierte Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Das Planungsermessen oder die planerische Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 102 1. Die Einräumung des Planungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Die gerichtliche Überprüfung des Planungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IV. Koppelungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Das Versagungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Das Versagungsermessen im Baurecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Das Versagungsermessen im Umweltrecht und im Atomrecht . . . . . . . . . . . . . 105 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Dritter Teil Die Entwicklung des Regulierungsermessens
108
Kapitel 5 Die Entwicklung des Regulierungsermessens in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum TKG
108
A. Anerkennung des Regulierungsermessens: BVerwGE 130, 39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Die Entscheidungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Das Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Die Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Einheitlicher Beurteilungsspielraum im Rahmen der §§ 10 Abs. 1, Abs. 2 und § 11 Abs. 1 TKG 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Kein Entgegenstehen von Unionsrecht oder nationalem Verfassungsrecht . . . 116
Inhaltsverzeichnis
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3. Regulierungsermessen im Rahmen des § 21 TKG 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Die Überprüfung des Beurteilungsspielraums im Rahmen des Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Die Überprüfung der Ausübung des Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . 118 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 IV. Entscheidungsspielräume bei der Marktdefinition und -analyse . . . . . . . . . . . . . . 120 V. Entscheidungsspielräume bei der Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen 121 1. Erste Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Zweite Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 VI. Der Neuigkeitsgehalt des Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Beurteilungsspielraum in Bezug auf §§ 10, 11 TKG 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Koppelung von Beurteilungsspielraum und Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Bedeutungsgewinn des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Neue Rechtsfigur oder neuer Terminus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 C. Adaption des Regulierungsermessens im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Argumente der Gegner eines Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Der „unkontrollierte Regulierer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Kein pauschales Regulierungsermessen für ein ganzes Rechtsgebiet . . . . . 127 c) Normgeprägtes Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) „Planwirtschaft durch Regulierungseingriffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Analogie zu Entscheidungsbefugnissen des Bundeskartellamts . . . . . . . . . . . . 129 II. Argumente der Befürworter eines Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III. Eigene Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Formales Argument: Beschlusskammerverfahren nach §§ 132 ff. TKG . . . . . . 131 2. Normstrukturargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Prognoseelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4. Funktionsgrenzen der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 IV. Dogmatische Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Tatsachen- oder Rechtsfragen: Terminologische Unschärfe . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Rütteln an den Grundfesten verwaltungsrechtlicher Dogmen . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 6 Die Übertragung des Regulierungsermessens auf das Energiewirtschaftsrecht 139
A. Ausschluss der Übertragung wegen Besonderheiten im TKG bzw. EnWG . . . . . . . . . 140 I. Normierende und administrative Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Kein Ausschluss eines erweiterten behördlichen Entscheidungsspielraums wegen § 83 Abs. 5 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Hintergrund des § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Die Weisungsgebundenheit des Bundeskartellamts und der Bundesnetzagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Ministerialerlaubnis als Grund für die Schaffung von § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Ausschluss eines Beurteilungsspielraums wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 82 Abs. 1 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Ausschluss der Übertragung wegen der Verknüpfung von Marktabgrenzung und -definition mit den Regulierungsverpflichtungen zu einem einheitlichen Verwaltungsakt nach § 13 Abs. 3 TKG 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Untrennbare Verbindung zwischen Befund und Verpflichtungsauferlegung . . 148 2. Mehrstufige Regulierungsverfahren unter dem EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Mehrstufigkeit des Effizienzvergleichs nach §§ 12 ff. i. V. m. Anlage 3 ARegV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Vergleichbarkeit des Effizienzvergleichs mit der Marktdefinition, -abgrenzung und -analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 V. Besonderheiten des Verfahrens bei der Bundesnetzagentur als formelle Kompensation für eine geringere Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 B. BGH „Stadtwerke Konstanz GmbH“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Regulatorischer Hintergrund der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 II. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 III. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 IV. Eigene Würdigung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 C. BGH „Stromnetz Berlin GmbH“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Hintergrund und Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Die Herleitung eines Beurteilungsspielraums in Bezug auf die Bestimmung des Qualitätselements nach §§ 19, 20 ARegV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Gerichtlicher Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich des Regulierungsermessens . . . . . . . 160 1. Praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
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2. Plausibilisierung der Daten und rechtsbeschwerdeinstanzliche Kontrolldichte 161 a) Prüfungsumfang des Bundesgerichtshofs bzgl. der Plausibilisierung . . . . . 161 b) Belastbarkeit von Datengrundlagen als Tatsachenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Abgrenzung von Tatsachen- und Rechtsfragen als zentrales Problem in der Überprüfung von Energieregulierungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 IV. Neuigkeitsgehalt des Regulierungsermessens unter dem EnWG . . . . . . . . . . . . . 163 1. „Eingeschränkte Kontrolle“ auf Abwägungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Mehrwert des Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Die Rezeption der Übertragung des Regulierungsermessens vom TKG auf das EnWG in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Grundsatz: Zulässigkeit von Ermessensspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Keine schematische Übertragung des Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . . 166 3. Ablehnung wegen des Charakters der Energieregulierung als normierende Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Ablehnung wegen Parallelen zum Kartellrecht und dortiger Vollkontrolle . . . 167 5. Keine Beurteilungsermächtigung in den fraglichen Normen . . . . . . . . . . . . . . 168 6. Ablehnung wegen Kritik des Regulierungskonzepts in toto . . . . . . . . . . . . . . . 168 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Stimmen der Befürworter eines Regulierungsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen . . . . . . 169 1. Auswertung der BGH-Rechtsprechung zum Regulierungsermessen 2014 – 2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3. Spielräume in Bezug auf die Bestimmung des Qualitätselements nach § 21a Abs. 5 Satz 2 EnWG, §§ 19, 20 ARegV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4. Spielräume in Bezug auf die Durchführung des Effizienzvergleichs nach § 21a Abs. 5 Satz 1 EnWG, § 12 ARegV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 5. Spielräume bzgl. der Festlegung volatiler Kosten bei der Ermittlung der Verlustenergiekosten nach § 11 Abs. 5 ARegV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 6. Spielräume in Bezug auf die Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes nach § 7 Abs. 5 StromNEV/GasNEV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 7. Spielräume in Bezug auf § 19 Abs. 2 StromNEV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 8. Spielräume bezüglich der Vorgaben zum Bilanzierungssystem Gas . . . . . . . . . 177 9. Spielräume in Bezug auf die Festlegung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors (Xgen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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Inhaltsverzeichnis Vierter Teil Regulierungsbehördliche Letztentscheidungsrechte im Unionsrecht
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Kapitel 7 Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte im Energieregulierungsrecht
180
A. Unionsrechtliche Gestaltungsvorgaben nationaler administrativer Entscheidungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Vorgaben aus dem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Das Handlungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Die Verfahrensautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Anforderungen durch das Clean-Energy-Paket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Vorgaben für nationale Entscheidungsspielräume oder Kompetenzverlagerung auf europäische Regulierungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Befugnisse europäischer Regulierungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Befugnisse der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Unionsrechtliche Vorstrukturierung einer Beurteilungsermächtigung . . . . . . . 187 III. Rechtsprechung zu administrativen Entscheidungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Arcor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Neue Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Kommission ./. Königreich Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 B. Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik . . . . . . 189 I. Die Auffassung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Verletzung von Art. 37 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2009/72/EG bzw. 2009/73/ EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Verletzung von Art. 37 Abs. 6 lit. a und b der Richtlinie 2009/72/EG bzw. 2009/73/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Erfolgsaussichten dieser Beanstandungen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Inhaltsverzeichnis
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Fünfter Teil Rekonstruktion der energierechtlichen Ermessensdogmatik als Schlussfolgerung
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Kapitel 8 Konturierung eines Subsumtionsermessens
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A. BGH: „Eigenkapitalzinssatz II“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. Maßstab der beschwerdeinstanzlichen Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Die Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Spielraum der Regulierungsbehörde bei der Methodenwahl . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Die Anwendung der Methode durch die Bundesnetzagentur . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Spielraum bei der Methodenausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Sichtweise des OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Sichtweise des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Implikation der Sichtweise des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 d) Bewertung dieser Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Keine zweite Tatsacheninstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Bestehen einer Beurteilungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Dogmatische Einordnung des Plausibilisierungserfordernisses . . . . . . . . . . . . 204 3. Kontrollmaßstab bezüglich der Methodenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 4. Widersprüche in der Argumentation des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Keine passende Kategorie für die vorliegenden Entscheidungsspielräume . . . 208 2. Kein „Ermessen“ bezüglich der Parameter- und Datenwahl . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Ungeeignetheit des „Regulierungsermessens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 B. Monistisches Konzept der Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. § 19 ARegV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Entscheidungsspielraum bezüglich der Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Entscheidungsspielraum bezüglich der Vergleichsparameter innerhalb der Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Tatsachen- oder Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Kategorisierungsfeindlichkeit der Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Normative Ermächtigung, hinreichend gewichtiger Sachgrund oder Funktionsgrenzen der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Normative Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung, Prognoseentscheidung . . . . . . . . . . 215 c) Hinreichend gewichtiger Sachgrund: Neuartigkeit der Spielräume . . . . . . . 215 2. Grenzen behördlicher Entscheidungsfreiheit: Das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 216
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Inhaltsverzeichnis 3. Keine Aufhebung der Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge . . . . . . . . . . 217 a) Folgen der Nichtbeachtung des Rationalitätsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Kein einheitlicher Kontrollmaßstab komplexer Regulierungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
C. Die „Richtigkeit“ einer Antwort auf die gestellte Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 I. Die Frage nach dem richtigen Recht und der richtigen Antwort auf eine gestellte Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 II. Lösungsansatz: Methode und Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Justizsyllogismus und Subsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Modifikation des zweistufigen bzw. dreistufigen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Die Rechtfertigung einer diskretionär gefundenen Entscheidung . . . . . . . . . . . 224 D. Das Subsumtionsermessen: Dogmatische Verortung der skizzierten Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Neuartiger Entscheidungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Differenzierung statt Vereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Überwindung des funktionell-rechtlichen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Abschichtung der Subsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Die Dogmatik des Subsumtionsermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Das Subsumtionsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Bedeutung von Subsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Bisherige Verwendung des „Subsumtionsermessens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Neuer Begriffsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Dogmatische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Erster Schritt: Gesetzlicher Zielsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Zweiter Schritt: Subsumtion eines konkreten Vorgehens unter den gesetzlichen Zielsatz, Subsumtionsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Dritter Schritt: Methodenausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 d) Vierter Schritt: Ergebnis der gesetzlich verfolgten Zielvorgabe . . . . . . . . . 233 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Kapitel 9 Zusammenfassung und Thesen
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A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 B. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Inhaltsverzeichnis
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Anhang Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen 2014 – 05/2021
253
Einführung Bis zur Öffnung des Strom- und Gasmarktes für den Wettbewerb durch die erste Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarktrichtlinie1 Mitte der 1990er Jahre galt dort die kartellrechtliche Bereichsausnahme des § 103 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) a. F.2 Auch das bis zur ersten Novelle von 1998 seit 1935 unverändert fortgeltende Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)3 sah Wettbewerb als schädlich und deshalb zu vermeiden an.4 Durch die Aufhebung dieser Vorschrift mit Erlass des GWB 19985 und die damit einhergehende Unterwerfung unter das Regelungssystem der allgemeinen Wettbewerbsaufsicht stellte sich ein funktionierender Wettbewerb in der leitungsgebundenen Strom- und Gaswirtschaft nicht ein,6 was an den Besonderheiten der Wertschöpfungsstufe „Netzbetrieb“ als natürliches
1 Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. 12. 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl. Nr. L 27 vom 30. 1. 1997, S. 20 ff.; Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 6. 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, ABl. Nr. L 204 vom 21. 7. 1998, S. 1 ff. 2 BGBl. I 1957, S. 1081. 3 BGBl. I 1998, S. 730. 4 So heißt es in der Präambel des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft vom 13. 12. 1935, RGBl. I S. 1451: „Um die Energiewirtschaft als wichtige Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im Zusammenwirken aller beteiligten Kräfte der Wirtschaft und der öffentlichen Gebietskörperschaften einheitlich zu führen und im Interesse des Gemeinwohls die Energiearten wirtschaftlich einzusetzen, den notwendigen öffentlichen Einfluss in allen Angelegenheiten der Energieversorgung zu sichern, volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern, einen zweckmäßigen Ausgleich durch Verbundwirtschaft zu fördern und durch all dies die Energieversorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten, hat die Reichsregierung das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird. […]“. 5 BGBl. I 1998, S. 2521, 2546. 6 „[…] Nach wie vor bestehen jedoch schwerwiegende Mängel und weit reichende Möglichkeiten zur Verbesserung der Funktionsweise der Märkte, insbesondere sind konkrete Maßnahmen erforderlich, um gleiche Ausgangsbedingungen bei der Elektrizitätserzeugung sicherzustellen und die Gefahr einer Marktbeherrschung und von Verdrängungspraktiken zu verringern […]“: Abs. 2 S. 2 der Beschleunigungsrichtlinie zum EU-Binnenmarkt für Energie, Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/ 92/EG, ABl. Nr. L 176 vom 15. 7. 2003, S. 37 ff. Sie führte zum Zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts am 13. 7. 2005 und formte maßgeblich das Energiewirtschaftsrecht in seiner heutigen Gestalt; vgl. Kern, Anreizregulierung der Bundesnetzagentur, 2008, S. 6; Auch auf dem Postmarkt führten Marktöffnungsschritte allein nicht zu Wettbewerb: Berger/Knauth, Liberalisierung und Regulierung der Postmärkte, 1996, S. 16.
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Einführung
Monopol7 liegt. Allein die Öffnung dieser spezifischen Wirtschaftsbereiche für den Kontrollrahmen des GWB war nicht ausreichend, um dort Voraussetzungen für Wettbewerb schaffen zu können.8 Der Netzbetrieb (und bis zur verpflichtenden Entflechtung mit ihm zunächst auch die Wertschöpfungsstufe „Versorgung“) bedurfte also eines besonderen wettbewerbspolitischen Korrektivs, um den europäischen Vorgaben9 und gleichzeitig dem staatlichen und gesellschaftlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit der Energieversorgung gerecht zu werden. Dieses wettbewerbspolitische Korrektiv besteht im Bereich netzgebundener Infrastrukturen in Regulierung, die der Beseitigung der Marktstörung „Größenvorteil“10 durch Implementierung von Mechanismen zur Simulation11 effizienten Wettbewerbs dient.12 Es handelt sich hierbei um instrumentellen Wettbewerb: Er ist nicht selbst Schutzgegenstand, sondern Handlungsinstrument der Politik und der Verwaltung.13 Der Begriff der Regulierung ist schillernd, ubiquitär und kann dabei jede Form staatlicher Steuerung14 oder eine gezielte Systembeeinflussung15 meinen, wobei eine engere Definition nicht nur vor dem Hintergrund der regulierten Netzwirtschaften sinnvoll erscheint.16 Der Markteingriff „Regulierung“ ist schon wegen der gesellschaftlichen Bedeutung der Energieversorgung gerechtfertigt;17 sie steht in ihrer 7 Natürliche Monopole sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass ein Markt durch nur ein Unternehmen auf dem Markt preiswerter versorgt werden kann als durch mehrere Unternehmen: Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 21; Säcker möchte den Begriff des Monopols mit der Einschränkung auf die Merkmale des § 18 Abs. 1 GWB verstanden wissen, also eine Monopolstellung annehmen, wenn das Unternehmen ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat, EnWZ 2015, 531 (531). 8 Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 1. 9 Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste vom 22. 7. 2002 (2002/C 165/03) Nr. 22. 10 Größenvorteile führen immer zu Marktstörungen, haben jedoch im Bereich der Netzwirtschaften eine natürliche Ursache, die als „Bündelungsvorteil“ bezeichnet wird, Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 21 f. 11 Echter Wettbewerb entsteht entgegen vereinzelter Darstellungen nicht; so spricht hiervon z. B. Gonsior, Die Verfassungsmäßigkeit administrativer Letztentscheidungsbefugnisse, 2018, S. 2; auch bei Säcker ist die Rede davon, dass der „Wettbewerb funktioniert“ (in: N&R 2009, 78 (78)), wobei vermutlich gemeint ist, dass die Regulierung zur Erzielung wettbewerbsähnlicher Marktergebnisse funktioniert. 12 Dabei ist Regulierung wegen der Strukturmerkmale der Netzinfrastrukturen nicht nur eine temporäre Aufgabe; anderer Ansicht sind: Kurth/Groebel, in: FS Säcker, 2011, S. 803. 13 Kersten, Herstellung von Wettbewerb als Verwaltungsaufgabe, in: VVDStRL 69 (2010), S. 288 (308). 14 Schmidt-Preuß, in: FS Kühne, 2009, S. 329 (329). 15 Voßkuhle, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, § 1 Rn. 20. 16 Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 1 Rn. 111 m. w. N. 17 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1.
A. Problemstellung
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Bedeutung laut Bundesverfassungsgericht auf einer Stufe mit dem täglichen Brot.18 Deshalb handelt es sich nicht nur um ein Eingriffsrecht des Staates in diese Märkte, sondern um eine Pflicht zur Sicherstellung ihres Funktionierens, welche als Daseinsoder Gewährleistungsverantwortung bezeichnet wird.19
A. Problemstellung Seit der Liberalisierung des Energiesektors steht das Verwaltungsrecht vor der Herausforderung, mithilfe des Steuerungsmittels „Wettbewerb“ durch Regulierung bestimmte Marktergebnisse herbeizuführen.20 Regulierungstätigkeit umfasst dabei den Gesetzgeber als richtungsvorgebende und die Verwaltung als ausführende Instanz.21 Auch die Rechtsprechung ist als rechtsproduzierende Gewalt Teil des Systems. Der Schwerpunkt der Regulierung in der Telekommunikation dürfte auf der Verwaltung22 liegen (sog. administrative Regulierung), im Energiesektor wird in Abgrenzung hierzu von einer normierenden Regulierung gesprochen.23 Grundsätzlich ist der der Behörde eingeräumte, ihr im System der Gewalten zuzugestehende Entscheidungsspielraum umso größer, je offener die anzuwendende Rechtsnorm formuliert ist; eine geringere normative Vorsteuerung bedingt also einen größeren behördlichen Handlungsspielraum, womit zunächst noch keine Aussage über die gerichtliche Kontrolle dieses Handelns getroffen ist. Da die Norm aber grundsätzlich Maßstab der gerichtlichen Kontrolle ist, kann eine geringe gesetzliche Vorsteuerung jedenfalls eine zurückgenommene gerichtliche Kontrolldichte mit sich bringen oder eine umfassende Kontrolle erschweren. An dieser Stelle offenbart sich die Spannung zwischen dem Anspruch auf eine „richtige Entscheidung“ und dem Prinzip der Rechtssicherheit.24 Die Dogmen für die Kontrolle behördlicher Letztentscheidungsrechte (Beurteilungsspielraum und Ermessen) sind so über Jahrzehnte für Rechtsnormen entwickelt worden, die eine konditional-dichotome Form auf18
BVerfGE 91, 186 (206); BVerfGE 66, 248 (258); BVerfGE 30, 292 (323). Ausführlich zur Abgrenzung des Begriffs der Gewährleistungsverantwortung und der Daseinsvorsorge: Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 59 ff.; Möstl, GewA 2011, 265 (265). 20 Das umfasst erstens den Gesetzgeber, der diesen vom Verfassungsrecht wenig vorgeprägten Bereich ausgestalten muss und zweitens die Verwaltungspraxis, die mit neuen Handlungsinstrumenten und komplexen Strukturen umgehen lernen musste und muss, vgl. Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1; Kersten, Herstellung von Wettbewerb als Verwaltungsaufgabe, in: VVDStRL 69 (2010), S. 288 (308). 21 Kersten, Herstellung von Wettbewerb als Verwaltungsaufgabe, in: VVDStRL 69 (2010), S. 288 (308). 22 Soweit im Folgenden auch von der „Exekutive“ die Rede ist, ist damit der Teil der aus Gubernative und Administrative zusammengesetzte Teil der Exekutive gemeint, der nicht Regierung ist. 23 BGH N&R 2020, 103 Rn. 7; ähnlich Gärditz, DVBl. 2016, 399 (404). 24 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 241 f. 19
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Einführung
weisen25: Wenn die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, soll eine der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen angeordnet werden.26
I. Die zugrundeliegende Idee der behördlichen Rechtsanwendung Behördliche Rechtsanwendung erfolgt nach dieser (veralteten) Vorstellung stets in zwei Schritten. Zunächst müssen die relevanten Tatsachen, also der rechtlich relevante Sachverhalt, ermittelt werden um in einem zweiten Schritt durch Subsumtion des zu beurteilenden Sachverhalts unter den gesetzlichen Tatbestand zu prüfen, ob dessen Tatbestandsvoraussetzungen und damit die Voraussetzungen zur Anordnung der gesetzlichen Rechtsfolge vorliegen.27 Im ersten Schritt kann der Verwaltung durch das Gesetz ein Beurteilungsspielraum eingeräumt sein, wobei im Einzelnen umstritten ist, ob hieraus eine nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfung der Auslegung offener Tatbestandsmerkmale oder unbestimmter Rechtsbegriffe (besser: Gesetzesbegriffe) folgt.28 Im Rahmen des (im zweigliedrigen Modell recht umfassenden) zweiten Schrittes ordnet die Behörde die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge an,29 wobei anerkannt ist, dass es auf der „Rechtsfolgenebene“ verschiedene Stärken der Gesetzesbindung gibt.30 Die lockerste Form der Gesetzesbindung wird als Ermessen bezeichnet. Das Ermessen wird allein durch den Gesetzgeber angeordnet31 und ist teilweise bereits
25
Grundlegend: Reuß, DVBl. 1953, 585 (649); Bachof, JZ 1955, 97 (97 ff.). Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (195). 27 Genauer ist die Subsumtion bereits der dritte Schritt, da auch die Auslegung des gesetzlichen Tatbestandes zur Gesetzesanwendung zählen und der Subsumtion grundsätzlich vorangestellt sind, Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 3. Die Subsumtion geht der Anordnung der Rechtsfolge jedenfalls grundsätzlich voraus; Wegen des gängigen, am dichotomen Normenmodell ausgerichteten zweigliedrigen Schemas der Rechtsanwendung soll dies zur Orientierung vorläufig hier so beibehalten werden. 28 Str. laut: Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 6; Kment/ Vorwalter, JuS 2015, 193 (193); herrschende Auffassung nach: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 (Stand Juli 2014); Gärditz, NVwZ 2009, 1005; für die Anerkennung eines solchen Beurteilungsspielraums: Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118); jedenfalls anerkannt für bestimtme Fallgruppen, die ihrerseits vom Bundesverfassungsrecht anerkannt wurden, vgl. Übersicht bei Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 37 – 46. 29 Kment/Vorwalter setzen den „Vollzug“ von Gesetzen in Anführungszeichen, wobei sich die Idee des Vollzugs im überkommenen Grundmodell der Gesetzesanwendung widerspiegelt, JuS 2015, 193 (193). 30 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 7. 31 Nicht nur der Wortlaut der zugrundeliegenden Handlungsnorm, auch der gesamte Regelungsgehalt kann hierbei herangezogen werden, wobei für die verschiedenen Begründungsmuster für behördliche Letztentscheidungsrechte, wie die normative Ermächtigungslehre, auf die Ausführungen in Kap. 3 und 4 dieser Arbeit verwiesen wird. 26
A. Problemstellung
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durch gewisse Signalwörter erkennbar,32 im Zweifel aber durch Auslegung des Gesetzeswortlauts zu ermitteln.33 Ist der Behörde das Tätigwerden freigestellt, spricht man vom Entschließungsermessen;34 kann sie aus verschiedenen vorgegebenen Rechtsfolgen die geeignetste wählen, spricht man von einem Auswahlermessen;35 ist kein Rechtsfolgenkatalog vorgegeben, kann die Behörde eine im Rahmen des § 40 Verwaltungsverfahrensgesetz36 (VwVfG) liegende Rechtsfolge anordnen.37 Die hiermit angeordnete Lockerung der Gesetzesbindung der Verwaltung bringt zwangsläufig eine gelockerte gerichtliche Kontrolle mit sich.38 Die Behördenentscheidung darf dann nur noch auf das Vorliegen bestimmter Ermessensfehler überprüft werden.39 Hiermit verbunden ist die Anerkennung faktischer Letztentscheidungsrechte der Verwaltung.40 Diese müssen sich innerhalb der Grenzen der rechtsstaatlich garantierten Gewaltenteilung und der Rechtsschutzgarantie bzw. des Justizgewähranspruchs des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz41 (GG) bewegen.42 Es geht sowohl um die Abgrenzung von Kompetenzbereichen zwischen Gesetzgeber, Administrative und Judikative, als auch um die Methodik, die innerhalb der abgegrenzten Kompetenzen zur Anwendung kommt, um diese Kompetenzen rechtskonform und effizient auszuüben.
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Beaucamp, JA 2006, 74 (75); Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (199). Wobei diese Auslegung allein dem Gericht obliegt: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187a (Stand Juli 2014). 34 Klassisches Beispiel ist § 15 Versammlungsgesetz (VersammlG, BGBl. I 2020, S. 1328, 1346): die Polizei kann die Versammlung auflösen, vgl. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, § 15 VersG Rn. 12 (Stand Juli 2018); auch die Europäische Kommission hat ein weitgehendes Entschließungsermessen, Knauff, in: Loewenheim/Maessen/Riesenkampff et al., Kartellrecht, 2016, Art. 106 AEUV Rn. 103; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 7. 35 Das Auswahlermessen ist wiederum in ein persönliches und ein inhaltliches teilbar, Wiebauer, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 22 ArbSchG Rn. 129 f. (Stand April 2018); Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 7. 36 BGBl. I 1976, S. 1253. 37 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (195 f.); Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 38 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 6; eine etwas drastischere Formulierung findet sich bei Sachs/Jasper: „[…] effektive[r] Rechtsschutz durch die Gerichte [bleibt] jedenfalls teilweise auf der Strecke.“, NVwZ 2012, 649 (649). 39 Neben der Ermessensfehlerlehre seien die Selbstbindung der Verwaltung, die Ermessensreduktion oder Ermessensschrumpfung genannt, siehe hierzu Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, 2018, VwVfG, § 40 Rn. 53 ff. 40 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 162. 41 BGBl. I 1949, S. 1. 42 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 f. (Stand Juli 2014). 33
30
Einführung
II. Regulierungsermessen des Bundesverwaltungsgerichts Wegen stetig steigender Komplexität behördlicher Entscheidungsfindung wurden für spezielle Rechtsgebiete in der Vergangenheit immer wieder besondere Ermessensformen formuliert, für welche abweichend von den eben dargestellten Grundsätzen Ausnahmen gelten.43 Mit der Liberalisierung der Netzsektoren Strom und Gas wurde die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) im Jahr 2005 in Bundesnetzagentur umbenannt und war nun zusätzlich zuständig für die Regulierung des Bereichs Elektrizität und Gas.44 Mit Entscheidungen aus den Jahren 200745 und 200846 sprach das Bundesverwaltungsgericht der Regulierungsbehörde dann ein „Regulierungsermessen“ im Bereich der Netzzugangsregulierung Telekommunikation zu47 und lehnte es ausdrücklich an das Planungsermessen an.48 Dieses zunächst für einige Normen des Telekommunikationsgesetzes49 (TKG a. F.) bejahte Ermessen sieht einen erweiterten Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Regulierungsbehörde vor,50 welcher sich durch das Fehlen einer klaren Trennung von Beurteilungsspielraum (auf Tatbestandsebene) und Ermessensspielraum (auf der Rechtsfolgenebene) auszeichnet und wegen der damit einhergehenden Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte eine neue Kategorie behördlichen Letztentscheidungsrechts bedeutete.51 Die auf Basis der Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge entwickelte Dogmatik schien für die komplexen Normstrukturen mit finalen gesetzlichen Zielvorgaben des Telekommunikationsregulierungsrechts nicht geeignet.52
III. Regulierungsermessen des Bundesgerichtshofs Im Jahr 2014 wurde das inzwischen vom Bundesverfassungsgericht jedenfalls nicht beanstandete53 Regulierungsermessen vom Bundesgerichtshof auf unterge-
43
Siehe hierzu Kap. 4 dieser Arbeit. Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1; Lismann, NVwZ 2014, 691 (692). 45 BVerwGE 130, 39. 46 BVerwGE 131, 41. 47 BVerwGE 130, 39 Rn. 29; BVerwGE 131, 41 Rn. 19 ff.; Ludwigs, RdE 2013, 297. 48 BVerwGE 131, 41 Rn. 47. 49 BGBl. I 1996, S. 1120. 50 BVerwGE 130, 39 Rn. 29. 51 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187 (Stand Juli 2014); Proelß, AöR 136 (2011), 402 (402); Waldhoff, JuS 2015, 286 (287). 52 Ludwigs, JZ 2009, 290; BVerwGE 130, 39 Rn. 29. 53 BVerfG DVBl. 2012, 230. 44
A. Problemstellung
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setzliche Normen des Energiewirtschaftsrechts übertragen.54 Hier wird es heute vor allem im Bereich der Entgeltregulierung angewandt,55 ohne einer ausführlichen dogmatischen Würdigung56 unterworfen worden zu sein.57 Kennzeichnend ist im Anwendungsbereich des Regulierungsermessens das Fehlen der klassischen Wenn-Dann-Struktur der anzuwendenden Normen und trotz der „normierenden“ Regulierung unter dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG58) und seinen Begleitverordnungen ein weiter Entscheidungsspielraum der Regulierungsbehörde: Sie setzt die Maßstäbe der gerichtlichen Kontrolle durch die Festlegung auf ein bestimmtes Vorgehen bei der Methodenwahl ein Stück weit selbst und hat hierbei einen mit herkömmlichen dogmatischen Instrumenten nicht einzuordnenden Entscheidungsspielraum. Das Regulierungsrecht wird hiermit zum Steuerungsrecht und muss politisch gesetzten Zielen zur Geltung verhelfen.59 Diese Steuerungsfunktion ist dem klassischen Ordnungsrecht,60 für welches die Lehre des Beurteilungs- und Ermessensspielraums entworfen wurde, nicht bekannt. Die Behörden sind in der Energieregulierung aufgerufen, in einer wettbewerblich geprägten Situation nicht nur eine allgemeine Regulierungsentscheidung zu treffen, die den relevanten Markt nach Maßgabe der gesetzlichen Regulierungsziele61 wieder ordnet. Sie müssen in diese Entscheidung wegen der bestehenden Wettbewerbsrelevanz vielfältige multipolare Wettbewerbserwägungen eingehen lassen, die den spezifischen Wettbewerbsbezug reflektieren. Zugleich greifen die Regulierungsentscheidungen in nicht unerheblichem Maße in die Grundrechte der Betroffenen ein; eine rationale und transparente gerichtliche Überprüfung der Behördenentscheidungen ist mit den wenigen zum Regulierungsermessen entwickelten Maßstäben oft nicht möglich. Dies zeigt sich insbesondere an der Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen allein zu den verschiedenen innerhalb der Regulierungsformel anzuwendenden Methoden und Maßstäben. Es ist zu erwarten, dass in der nächsten Zeit größere Umwälzungen des Regulierungsregimes bevorstehen, da der EuGH entscheidet, ob die „normierende Regulierung“ unter dem EnWG mit Unionsrecht vereinbar ist, wogegen gute Gründe sprechen. Dies macht eine Befassung mit der eigenen Methode dieses Rechtsgebiets besonders erforderlich. 54 Erstmals ausdrücklich BGH „Stadtwerke Konstanz GmbH“, EnWZ 2014, 378 und bestätigend BGH „Stromnetz Berlin GmbH“, RdE 2014, 495; Gärditz, DVBl. 2016, 399. 55 Mittlerweile ist es als etablierter Bestandteil der behördlichen energierechtlichen Entscheidungspraxis anzusehen: vgl. die Rechtsprechungsauswertung in Kap. 6 D. III. 56 Es ist jedoch auf breite Ablehnung gestoßen: Attendorn, NVwZ 2012, 135 (140); Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1009); Gärditz, DVBl. 2016, 399 (403). 57 Schütze/Salevic, CR 2010, 80 (80). 58 BGBl. I 2005, S. 1970. 59 Proelß, AöR 136 (2011), 402 (409). 60 Als „liberales Ordnungsrecht“ bezeichnet Masing, Das Regulierungsrecht, in: Die Verwaltung 36 (2003), 1 (2). 61 Dies ist Verfassungspflicht des Staates, vgl. Proelß, AöR 136 (2011), 402 (408).
32
Einführung
B. Ziel der Untersuchung Die vorliegende Arbeit möchte zunächst durch eine Systematisierung sowie eine kontextuelle und dogmatische Einordnung des Regulierungsermessens im Energieregulierungsrecht einen Beitrag zur Rechtsklarheit leisten. Darauf aufbauend soll untersucht werden, ob der – zu konturierende – Begriff des Subsumtionsermessens die Tätigkeit der Regulierungsbehörden in diesem Sektor besser zu beschreiben vermag, als es das Regulierungsermessen kann und ob dies der Rechtssicherheit dienen kann. In der Arbeit wird auf der Grundlage einer dogmatischen Untersuchung des Regulierungsermessens in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs untersucht, ob der Rechtsbegriff des Subsumtionsermessens einen Mehrwert für die Regulierungstätigkeit in der deutschen Verwaltungspraxis im Energierecht hat und welchen konkreten Inhalt dieser Begriff gegebenenfalls hat. Es soll gezeigt werden, dass das Regulierungsermessen nicht wegen der Einräumung eines erweiterten behördlichen Letztentscheidungsrechts ein rechtlich verfehlter Weg ist, sondern wegen seiner dogmatischen Ungenauigkeit, die den effektiven Rechtsschutz von Marktakteuren erheblich beeinträchtigt. Der allgemeingültige Anspruch rationaler Akzeptabilität juristischer Entscheidungen,62 seien sie auf behördlicher oder auf gerichtlicher Ebene getroffen, wird durch das der Regulierungsbehörde eingeräumte Regulierungsermessen verfehlt. Dieser verfehlte Weg bedarf einer Korrektur und die vorliegende Arbeit möchte hierzu einen Beitrag leisten.
C. Gang der Untersuchung In Teil eins der Arbeit wird das Regulierungskonzept entwickelt. Im ersten Kapitel soll die historische Entwicklung der Liberalisierung der Energiewirtschaft den Grundstein legen für die Darstellung der Herausbildung von Regulierungsstrukturen in Deutschland. Hierbei wird der Rahmen des Grundgesetzes ebenso berücksichtigt wie die Ideen Forsthoffs und Smiths, welche für das Verständnis von Regulierung in der heutigen Form prägend sind. Die für dieses Verständnis wichtigen Begriffe der Daseinsvorsorge und der Gewährleistungsverantwortung werden beleuchtet. Der Unterschied zwischen diesen Begrifflichkeiten ist bedeutend, allerdings hat sich, wie gezeigt werden soll, der modernere Begriff der Gewährleistungsverantwortung und das dahinter stehende Verständnis nicht vollständig durchsetzen können. Im zweiten Kapitel wird der Wettbewerbsbezug des Regulierungsrechts herausgestellt. Dies geschieht unter Darstellung der verschiedenen Regulierungsbegriffe, der Regulierungsinstrumente und -ziele. Es wird untersucht, warum Wett62
Zum Begriff: Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 243.
C. Gang der Untersuchung
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bewerb auf den Energietransportmärkten nicht entstehen kann und wie Regulierung steuernd eingreift, um doch Wettbewerbsbedingungen zu simulieren, sodass die positiven Wirkungen von Wettbewerb eingreifen können. Hier werden die Martkversagenstatbestände und Kostenkonzepte kurz thematisiert, um die Funktionsweise des natürlichen Monopols verstehen zu können. Im Anschluss wird die Entwicklung der Regulierung der Energiemärkte nachgezeichnet, wobei die verschiedenen Wertschöpfungsstufen der Branche aufgezeigt werden, da Regulierung dort nicht überall gleich stark eingreift. Sodann wird die Netzzugangsregulierung und die heute als Kern der Regulierung geltende Entgeltregulierung über die sog. Anreizregulierung näher untersucht. Die Funktionsweise der Anreizregulierung wird wegen ihrer Bedeutung für den weiteren Gang der Arbeit dargestellt. Zum Abschluss des zweiten Kapitels wird eine kurze Abgrenzung zum Kartellrecht vorgenommen, indem die einzelnen Instrumente des GWB bzw. des Bundeskartellamts mit denen der Bundesnetzagentur bzw. dem EnWG und den hierzu erlassenen Rechtsverordnungen verglichen werden. Der zweite Teil der Arbeit ist der Ermessensdogmatik gewidmet. Das dritte Kapitel behandelt die klassische Dogmatik der Ermessenslehre und die daraus entwickelte Lehre vom Beurteilungsspielraum. Die Grundlage für das Verwaltungshandeln – § 40 VwVfG – und diejenige der gerichtlichen Überprüfung von ermessensgeleitetem Verwaltungshandeln – § 114 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO63) – werden jeweils in den Kontext behördlichen Gesetzesvollzugs gestellt. Die diesem Konzept zugrundeliegende Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge wird ausführlich untersucht, da sie von hoher Wichtigkeit für den weiteren Verlauf der Arbeit ist. Ebenso wird untersucht, ob es sich bei den Diskussionen um die behördliche Letztentscheidungsermächtigung um reine Kompetenzfragen handelt oder gleichermaßen um Methodenfragen. Ohne diese Frage vertieft behandeln zu können, wird auch kurz die verfassungsrechtliche Legitimation behördlicher Letztentscheidungsrechte dargestellt. Das vierte Kapitel untersucht das Verwaltungsermessen in seinen etablierten Sonderformen. Es dient der Beantwortung der Frage, ob es bisher dogmatische Ausnahmen von der Grundannahme dichotomer Rechtsnormen und der darauf abgestimmten Ermessensüberprüfung gibt. Von Bedeutung ist hier vor allem das Planungsermessen. Besonders wegen der oft behaupteten Nähe des Regulierungsermessens zum Planungsermessen wird Letzteres hier etwas detaillierter dargestellt. Zudem werden das Versagungsermessen, welches sich in verschiedenen Rechtsgebieten ausgeprägt hat, sowie die Kopplungsvorschriften und das sog. intendierte Ermessen beleuchtet. Aufbauend auf dieser Darstellung wird im dritten Teil die Weiterentwicklung vom Verwaltungsermessen zum Regulierungsermessen nachgezeichnet. Zunächst werden in Kapitel fünf die beiden grundlegenden Entscheidungen zum Regulierungs63
BGBl. I 1960, S. 17.
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Einführung
ermessen des Bundesverwaltungsgerichts64 ausgewertet und analysiert. Hierbei wird der jeweilige Regulierungshintergrund berücksichtigt und eine Bewertung der Entscheidungsgründe vorgenommen. Die Besonderheiten der Telekommunikationsmärkte werden dabei im erforderlichen Umfang berücksichtigt und der Kontrollmaßstab, den das Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung der Ausübung des Regulierungsermessens entwickelt hat, wird herausgearbeitet. Sodann wird das Regulierungsermessen auf seinen Neuigkeitsgehalt hin untersucht, also darauf, inwieweit sich der entwickelte Anwendungs- und Kontrollmaßstab von dem zu § 40 VwVfG und § 114 VwGO entwickelten unterscheidet. Das Kapitel schließt mit einer Darstellung der Adaption des Regulierungsermessens in der Literatur, bevor eine eigene Bewertung erfolgt. Hierauf aufbauend wird im sechsten Kapitel untersucht, wie das Regulierungsermessen vom Telekommunikationsrecht auf das Energiewirtschaftsrecht übertragen wurde. Da einige Stimmen in der Literatur ein solches Letztentscheidungsrecht der Behörden unter dem EnWG als gänzlich ausgeschlossen betrachten, werden zunächst die hier häufig vorgebrachten Bedenken ausgeräumt. Analog zur Darstellung in Kapitel fünf werden sodann die beiden Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen nachvollzogen. Bereits in den ersten Entscheidungen ging es um die Frage nach der Belastbarkeit von Datengrundlagen und dem Erfordernis einer durchzuführenden Plausibilisierung von der der Regulierungsbehörde im Rahmen des ihr eingeräumten Entscheidungsspielraums herangezogenen Datengrundlage. Da die Frage nach einem Plausibilisierungserfordernis von Ergebnissen, die nicht aufgrund einer gesetzlich vorgegebenen Methode gewonnen wurden, auch im letzten Kapitel relevant wird, wird dieser Aspekt hier schon näher betrachtet. Anschließend wird im sechsten Kapitel die Rezeption des Regulierungsermessens in der Literatur dargestellt, wenngleich diese nicht so umfangreich ist, wie zu den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. Hieran schließt sich eine Untersuchung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen seit 2014 an. Es wurden alle energiewirtschaftlichen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs seit den ersten Entscheidungen ausgewertet und in einer umfassenden Übersicht zusammengestellt (Anhang). Die bisher durch den Bundesgerichtshof anerkannten Entscheidungsspielräume der Regulierungsbehörden werden dann abschließend kategorisiert. Anschließend werden im vierten Teil, Kapitel sieben, die europarechtlichen Vorgaben für nationale Letztentscheidungsrechte der Regulierungsbehörden untersucht. Zunächst werden die primärrechtlichen Vorgaben auf Aussagen zu behördlichen Letztentscheidungsrechten in der Regulierung von Infrastrukturen geprüft. Es wird untersucht, ob sich aus den neuen Vorgaben des sekundären Unionsrechts, etwa dem Clean Energy Package, (veränderte) Anforderungen an behördliche Letztentscheidungsrechte auf nationaler Ebene ergeben. Auch die möglichen Konsequenzen des zu erwartenden EuGH-Urteils im Vertragsverletzungsverfahren der Kommission 64
BVerwGE 130, 39 und BVerwGE 131, 41.
C. Gang der Untersuchung
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gegen Deutschland wegen mangelhafter Umsetzung der Vorgaben aus der Elektrizitäts- und Gasbinnenmarktrichtlinie zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur, sollen aufgezeigt werden. Im fünften Teil wird sodann als Konsequenz aus den gewonnenen Erkenntnissen das Subsumtionsermessen konturiert. Zunächst werden in Kapitel acht die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum „Eigenkapitalzinssatz II“ dargestellt, da sich daran veranschaulichen lässt, was das zentrale Problem der Anerkennung eines unkonturierten Regulierungsermessens ist. Es wird in den Blick genommen, ob eine Abkehr vom Begriff des Regulierungsermessens und eine Hinwendung zum Subsumtionsermessen mit den in diesem Teil zu entwickelnden Anwendungs- und Kontrollmaßstäben einen Mehrwert hat. Dieser könnte vor allem in einer Stärkung des Rechtsschutzes ohne Einbuße an primärer behördlicher Entscheidungsfreiheit liegen. Hierzu ist eine Neuausrichtung der wenig gelungenen Ausformung des Regulierungsermessens im Energierecht nötig. Die bestehende dogmatische Unschärfe ließe sich zudem durch einen neuen Terminus beseitigen. Es wird untersucht, was die anerkannten Entscheidungsspielräume zum Regulierungsermessen im Energierecht auszeichnet und warum die Aufhebung der Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge in der Kontrolle der Behördenentscheidung Probleme verursacht. Die in diesem Kapitel entwickelte Methode zieht rechtsphilosophische und justizsyllogistische Überlegungen heran um dann einen neuen Begriff in die Diskussion einzuführen. Das neunte Kapitel stellt die wesentlichen Ergebnisse in zusammenfassenden Thesen dar. Innerhalb des Energiesektors wird der Fokus bei allen Betrachtungen in dieser Arbeit auf dem Bereich Elektrizität liegen. Erstens kann Strom, bis auf wenige Ausnahmen, nicht gespeichert werden,65 weshalb ein ständiger Ausgleich im Netz erforderlich ist, um Ein- und Ausspeisung zu steuern und dadurch die Netzstabilität zu gewährleisten.66 Hierdurch steigen die Regulierungsanforderungen im Vergleich zum Sektor Gas. Zweitens unterscheiden sich die wettbewerblichen Zusammenhänge im Gas- und Strommarkt, denn Gas ist anders als Strom ein Primärenergieträger. Dies führt dazu, dass in Deutschland eine Abhängigkeit von ausländischen Exporteuren besteht, welche meist selbst zu einem Oligopol konzentriert sind.67
65 Theobald, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2011, § 1 Rn. 1; Jung/ Theobald, a. a. O., § 6 Rn. 10. 66 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 21. 67 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 22.
Erster Teil
Regulierung als Rechtsbegriff und Staatsaufgabe Kapitel 1
Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts Mit der Liberalisierung und der damit einhergehenden Überführung der netzgebundenen Infrastrukturen in den Wettbewerb kam die Frage nach dem Gehalt, dem Gegenstand und der konkreten Ausgestaltung des Regulierungsrechts1 auf.2 Deutschland kann, anders als die USA, nicht auf eine fast 150-jährige Tradition der regulated industries zurückblicken,3 sondern steht in dieser Entwicklung noch am Anfang. Das deutsche Regulierungsrecht hat frühestens seit 2005 eine abgrenzbare Struktur4 und selbst hier sind Verflechtungen und Überschneidungen mit dem allgemeinen Wettbewerbsrecht unter dem Regime des GWB weiterhin vorhanden.5 Das junge Regulierungsrecht ist in seiner vorwiegend öffentlich-rechtlichen Ausrichtung
1
Das Regulierungsverwaltungsrecht wird häufig synonym mit dem Regulierungsrecht, dem Gewährleistungsverwaltungsrecht (Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 18; Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1) oder auch dem Privatisierungsfolgerecht (Möstl, GewA 2011, 265 [266]) verwendet. 2 Das Regulierungsrecht ist ein Rechtsgebiet an der „Schnittstelle von Wirtschafts-, Verwaltungs- und Kartellrecht“: Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 67a; Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 1 Rn. 110 ff. 3 Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (2); der Beginn der Regulierung in den USAwar eine politische Entscheidung. Am Anfang stand ein Eingriff in die Preisbildung durch die Illinois Railroad and Warehouse Commission wegen des auf Missbrauch von Marktmacht folgenden Marktversagens im Bereich der privaten Eisenbahnen, Da sich keine Verbesserung zeigte, wurde 1887 der Interstate Commerce Commission Act erlassen und eine eigene Behörde zur Regulierung des Eisenbahnwesens geschaffen – hierin wird die Geburtsstunde des Regulierungsrechts gesehen, Lepsius, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 1 Rn. 12, 14, 18. 4 Durch die Überführung der Regulierungsverantwortung im Bereich Energie auf die frühere Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post mit dem Zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 13. 7. 2005 kann das sie regelnde besondere Verwaltungsrecht als Regulierungsrecht gelten, vgl. Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1. 5 Eine Darstellung der Abgrenzungsproblematik findet sich bei: Sennekamp, Der Diskurs um die Abgrenzung von Kartell- und Regulierungsrecht, 2016; hierbei betont die Verfasserin gleich zu Beginn, dass dieser Streit nicht zu entscheiden bemüht wird, S. 2.
1. Teil Kap. 1: Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
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dem öffentlichen Wirtschaftsrecht zuzuordnen.6 Wegen der fehlenden Festlegung des Grundgesetzes auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung7 wird die Legitimation des staatlichen Eingreifens in den Markt und des Regulierungsrechts teilweise in der Literatur diskutiert.8 Wegen der mehrfach vom Bundesverfassungsgericht betonten wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes9 ist es die Aufgabe von Gesetzgeber und Regierung,10 Regulierungsziele in Gesetzen und Verordnungen vorzugeben. Es kann heute als Konsens gelten, dass der Sicherheit der Energieversorgung eine so überragende Bedeutung zukommt,11 dass die unsichtbare Hand des Marktes12 den Energiesektor und andere netzgebundene Infrastrukturen13 nicht allein regieren darf. Hinzu treten Belange des Umweltschutzes, die mit rasant steigender Dringlichkeit einen eigenen Platz im Rahmen der normativen Energieregulierung einfordern. Neben den Kernbereichen staatlicher Regulierung (wie der Telekommunikation und der Energie) zählen zu den regulierten Wirtschaftsbereichen auch die Entsorgung von Müll, das Gesundheitswesen, die Bildung, der Verkehr und die Finanzbranche14 und viele andere.15 Alle diese Rechtsmaterien könnten unter den Sammelbegriff des Regulierungsrechts zusammengefasst werden, wenn Regulierung im Sinne staatlichen Eingreifens in den Markt definiert würde. Aber nicht nur der Grad staatlicher Beteiligung, Aufsicht und Kontrolle ist in allen diesen Bereichen unterschiedlich, auch die Regulierungsinstrumente und der regulierte Gegenstand sind grundverschieden. Der Bezugspunkt der hier gemeinten Regulierung im engeren Sinne sind die Netzwirtschaften, also solche Wirtschaftszweige, die zum Transport der angebotenen Ware eines Netzes bedürfen, das sich nicht kosteneffizient beliebig vervielfältigen lässt.16 Zwar wurden seit der Liberalisierung der Strom- und Gaswirtschaft Überlegungen zur Schaffung eines einheitlichen Regelungswerks für die 6 Nicht unumstritten, wobei die Diskussion um die genaue Zuordnung des Regulierungsrechts als „müßig“ angesehen werden kann: Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 11. 7 BVerfGE 4, 7 ff.; BVerfGE 7, 377 (400). 8 Kämmerer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 2012, Bd. I, § 14 Rn. 44. 9 BVerfGE 4, 7 ff.; BVerfGE 7, 377 (400). 10 Vgl. auch Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 119, 127. 11 Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 189. 12 Nach Adam Smith, siehe hierzu Potacs, Herstellung von Wettbewerb als Verwaltungsaufgabe, in: VVDStRL 69 (2010), S. 254 (255). 13 Ohne den Umfang des Bereichs öffentlicher Versorgung hier definieren zu wollen: leitungsgebundene Monopole, seien sie rechtlich gesichert oder faktisch, privat oder öffentlich, fallen in aller Regel hierunter, vgl. schon Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 189 f. 14 Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2010, § 4 Rn. 18 ff. 15 Schmidt-Preuß, in: FS Kühne, 2009, S. 329 (329); siehe auch exemplarisch das Inhaltsverzeichnis von Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010. 16 Schmidt-Preuß, in: FS Kühne, 2009, S. 329 (330).
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1. Teil Kap. 1: Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
netzgebundenen Infrastrukturen angestellt.17 Jedoch bestehen hier große, auch tatsächliche Unterschiede: Im Bereich der Telekommunikation, der Eisenbahnen und des Postwesens wurden bis zur endgültigen Aufhebung staatlicher Monopolrechte durch Erlass der jeweiligen Sektorrichtlinien18 die Leistungen direkt durch ein staatliches Monopolunternehmen erbracht, während es im Energiesektor bereits vor der Marktöffnung eine Vielzahl von Akteuren, von kleinen Stadtwerken auf kommunaler Ebene bis hin zu großen Verbundversorgern, gab.19 Sie waren jeweils mit exklusiven staatlichen Konzessionen und Demarkationen für ihr Versorgungsgebiet ausgestattet,20 heute könnte man wohl von einer exklusiven Public Private Partnership sprechen.21 Sie waren also Gebietsmonopolisten, Unternehmen mit einer sektoralen Kartellerlaubnis22 für ein räumlich begrenztes Gebiet, nicht aber zwingend Staatsmonopolisten; hierin liegt der historisch entscheidende Unterschied der Energiewirtschaft zu den anderen netzgebundenen Infrastrukturen wie Post und Telekommunikation.
A. Grundgesetzlicher Rahmen für die Energieregulierung Die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts steht vor allem dem Bund zu. Als ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nach Art. 73 Nr. 4, Art. 9 GG und als konkurrierende nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Nr. 15 – 24 GG. Mit Erlass des EnWG hat der Bundesgesetzgeber hiervon Gebrauch gemacht. Das Bundesverfassungsgericht definiert das Gebiet23 des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG 17 Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 – 32; ders., Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, Bd. I, 2006, Gutachten D 1; Säcker, AöR 130 (2005), 180; ders., EnWZ 2015, 531 (532 f.); Burgi, NJW 2006, 2439; Storr, DVBl. 2006, 1017; Möstl, GewA 2011, 265; siehe auch Korte, in: Kirchhof/Korte/Magen, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 2014, § 4 Rn. 3 ff. 18 Telekommunikation: Richtlinie 90/388/EWG der Kommission vom 28. 6. 1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste, ABl. Nr. L 192 vom 24. 7. 1990, S. 10 ff., wobei erst die nachfolgende Richtlinie wirklich durchzugreifen vermochte: Richtlinie 96/19/EG der Kommission vom 13. 3. 1996 zur Änderung der Richtlinie 90/388/EWG hinsichtlich der Einführung des vollständigen Wettbewerbs auf den Telekommunikationsmärkten, ABl. Nr. L 074 vom 22. 3. 1996, S. 13 ff.; Eisenbahn: Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. 7. 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft, ABl. Nr. L 237 vom 24. 8. 1991, S. 25 ff.; Postwesen: Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität, ABl. Nr. L 15 vom 21. 1. 1998, S. 14 ff. 19 Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (13). 20 Steger/Büdenbender/Feess/Nelles, Die Regulierung elektrischer Netze, 2008, S. 43. 21 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 10. 22 Eickhof, Zur Legitimation ordnungspolitischer Ausnahmeregelungen, 1993, S. 205. 23 BVerfGE 29, 402 (409).
A. Grundgesetzlicher Rahmen für die Energieregulierung
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außerdem großzügig, sodass den Ländern hier nur wenig Spielraum für eigene Regelungen verbleibt.24 Kennzeichnend für das Regulierungsrecht ist im Bereich Energie die überproportionale Rolle von untergesetzlichen Rechtsverordnungen.25 Solche Rechtsverordnungen werden auf Grundlage einer Ermächtigungsnorm durch Exekutivorgane, also Bundes- oder Landesregierungen erlassen und nicht wie formelle Gesetze vom Parlament.26 Im Energiesektor ist wegen der im Vergleich zum Telekommunikationssektor stärkeren Ausrichtung auf eine Regulierung, die im Detail in Verordnungen ausgestaltet ist, auch von einer normierenden Regulierung die Rede.27 Die Dichte der verordnungsrechtlichen Vorgaben im Bereich der Entgeltregulierung führt im EnWG aber nicht dazu, dass der Behörde weniger „Regulierungsarbeit“ zufällt und sie nur noch diese Vorgaben umzusetzen und anzuordnen hätte;28 insofern ist der Begriff der normierenden Regulierung etwas irreführend.29 Die Hauptaufgabe der Entgeltregulierung über §§ 21, 21a, 24 EnWG liegt bei der Regulierungsbehörde.30 Hier hat der parlamentarische Gesetzgeber im EnWG dieser Aufgabe unter anderem durch die Schaffung eines neuen verwaltungsrechtlichen Instruments Rechnung getragen:31 Die Bundesnetzagentur darf mit der Festlegung nach § 29 Abs. 1 EnWG eigene allgemeingültige und rechtsverbindliche ex-ante-Regelungen zum Netzzugang und den Netzentgelten erlassen, was den Effekt administrativer Kompetenz, wenn auch nicht im Sinne einer Letztentscheidungskompetenz, verstärkt.32 Mit dem Fehlen eines Staatsmonopols im Energiesektor ist auch zu erklären, dass die Energieregulierung nicht grundgesetzlich ausgestaltet ist33 und es an einer den Art. 87e34 und f35 GG entsprechenden Regelung fehlt. Diese legen eine Gewähr24
Huber, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Drittes Kapitel Rn. 29. Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 124. 26 Grundsätzlich bilden diese Formen der Rechtssetzung wegen Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG eine Ausnahme, finden jedoch im Bereich der Energieregulierung unter anderem wegen § 29 EnWG verstärkt statt. 27 Attendorn, RdE 2009, 87 (87 f.); Schneider, in: Fehling/Ruffert, Energierecht, 2010, § 22 Rn. 20; Schmidt-Preuß, IR 2004, 146 (146 f.). 28 Franzius, DÖV 2013, 714 (714); siehe hierzu auch Kap. 6 dieser Arbeit. 29 So wird die Festlegungskompetenz der Bundesnetzagentur nach § 29 EnWG auch als eine Ausprägung der normierenden Regulierung bezeichnet, Attendorn, RdE 2009, 87 (87). Wobei hiermit richtigerweise in Abgrenzung zur administrativ geprägten Normierung eine stärkere gesetzliche Vorsteuerung gemeint ist. 30 Wird auch als „Herzstück der sektorspezifischen Regulierung“ bezeichnet: Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (4). 31 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 124. 32 So kann sie auch etwa ein gesamtes Vertragswerk zur verpflichtenden Verwendung vorgeben, BGH NVwZ-RR 2019, 319; Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 126. 33 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1. 34 Gewährleistungsgarantie des Bundes für Eisenbahnen, Art. 87e Abs. 4 GG. 25
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1. Teil Kap. 1: Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
leistung des Bundes für die nun von Privaten durchgeführten Dienstleistungen fest. Die Regulierungsverantwortung des Staates leitet sich in der Energiewirtschaft somit aus der Bedeutung der Energieversorgung und der sich hieraus ergebenden Verantwortung des Staates für die Gesellschaft und aus den Grundrechten allgemein ab.36 Ob der Einfluss der Bundesregierung auf die Regulierungstätigkeit der Bundesnetzagentur mit Vorgaben aus dem Europarecht vereinbar ist, erscheint fraglich und wird sich in naher Zukunft entscheiden.37 Allerdings ist richtigerweise im Grundsatz davon auszugehen, dass politische Aspekte aus der Betrachtung der – insbesondere öffentlichen, regulierten – Wirtschaft und ihrer rechtlichen Einrahmung keinesfalls herauszudenken sind.38
B. Historische Entwicklung der Gewährleistungsverantwortung Wegen der hohen Kosten des Netzausbaus wurde 1935 das EnWG erlassen, um Investitionen der Netzbetreiber nicht zurückzuhalten. Es sollte zu diesem Zweck die Monopolisierung der Elektrizitätswirtschaft etablieren. So heißt es in der Präambel: „Im Interesse des Gemeinwohls, […] volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern, einen zweckmäßigen Ausgleich durch Verbundwirtschaft zu fördern und durch all dies die Energieversorgung so sicher und billig wie möglich zu gestalten.“39 In den Netzinfrastrukturen war der Staat stets präsent;40 sei es über ein Leistungsmonopol, wie seit der Liberalisierung der Energiemärkte, oder durch die Aufsicht über den Markt zur Sicherung des Wettbewerbs und einer sozialverträglichen Leistungserbringung durch Dritte. Es soll an dieser Stelle keine ausführliche Theorie der Staatsaufgaben erfolgen.41 Es wird aber kurz beleuchtet 35
GG. 36
Gewährleistungsgarantie des Bundes für Telekommunikation und Post, Art. 87f Abs. 1
Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1. Insbesondere: Kritik an der zu umfassenden Richtlinienkompetenz der Bundesregierung zum Beispiel im Bereich der Festlegung von Netzentgelten: das hiergegen im Juli 2019 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (Klage v. 16. 11. 2018, anhängig beim EuGH als Rs. C-718/18, ABl. C 54 vom 11. 2. 2019, S. 6 f.) wird in Kap. 7 besprochen; siehe auch die Pressemitteilung der Kommission vom 19. 7. 2018, IP/18/4487. 38 So auch die amtliche Begründung zu § 29 EnWG, Verordnungsermächtigung für die Regelungen des Netzzugangs für Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze, BT-Drucks. 15/3917 vom 14. 10. 2004, S. 62, wo ein enges Wechselspiel zwischen der Bundesregierung und der Bundesnetzagentur beschrieben wird; Züll, Regulierung im politischen Gemeinwesen, 2014, S. 55 f.; dies impliziert dennoch keine Abhängigkeit von direkter politischer Einflussnahme, vgl. Franzius, DÖV 2013, 714 (714 f.). 39 RGBl. I, S. 1451. 40 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 11. 41 Sehr ausführlich Ashford, Die Theorie des Wohlfahrtsstaates und politische Entscheidungsfreiheit; Willke, Die Steuerungsfunktion des Staates aus systemtheoretischer Sicht. 37
B. Historische Entwicklung der Gewährleistungsverantwortung
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werden, woraus sich die Verantwortung des Staates im Bereich der Energieversorgung ergibt.
I. Regulierungstheorie nach Smith und Daseinsvorsorge nach Forsthoff Adam Smith kann als Begründer der Infrastrukturtheorie angesehen werden.42 Zwar bezieht er sich nicht auf Leitungen für Elektrizität und Gas, wohl aber auf Kanäle, Straßen, Brücken und das Postwesen, die als Infrastrukturen ähnlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. In seinem Werk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ (dt.: „Der Wohlstand der Nationen“) schreibt Smith, dass der Staat im Bereich der Infrastrukturen eine zentrale Rolle einnimmt.43 Anders als gemeinhin interpretiert, sah Smith den Staat somit nicht als bloßen Zuschauer eines sich selbst regulierenden Marktes an, sondern erkannte und formulierte Gebiete, in denen nicht gewinnorientiert gewirtschaftet werden kann, welchen aber eine derart zentrale Bedeutung zukommt, dass der Staat diese Aufgaben und mithin deren wirtschaftliches Risiko übernehmen muss.44 In der jüngeren Geschichte ist vor allem ein Staatswissenschaftler von besonderer Bedeutung für die Begriffsbildung: Ernst Forsthoff prägte 1938 in seinem Werk „Die Verwaltung als Leistungsträger“ den Begriff der „Daseinsvorsorge“.45 Für ihn beinhaltete der Begriff zunächst die Aufgabe des Staates, den Einzelnen in seiner sozialen Bedürftigkeit zu unterstützen.46 Das Verständnis der forsthoffschen Daseinsvorsorge war aber nicht individualistisch ausgerichtet, sondern ging von der Unterordnung wirtschaftlicher Individualinteressen unter das Gemeinwohl aus; dass sie sich gegenseitig bedingen, war dem Begriffsverständnis nicht immanent.47 Der Staat war Leistungsträger, oft Inhaber eines Leistungsmonopols,48 und erfüllte mit der direkten Erbringung der Leistung seine Fürsorgepflicht gegenüber der GesellSchritte zur Legitimierung einer wissensbasierten Infrastruktur, beide in: Grimm, Staatsaufgaben, 2007, S. 287; S. 685. 42 Frey, Infrastruktur: Grundlagen der Planung öffentlicher Investitionen, 1972, S. 3. 43 Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 2012, S. 721, 723. 44 „The third and last duty of the sovereign or commonwealth, is that of erecting and maintaining those public institutions and those public works, which though the may be in the highest degree advantageous to a great society, are, however, of such a nature, that the profit could never repay the expence to any individual, or small number of individuals; and which it therefore cannot be expected that any individual, or small number of individuals, should erect or maintain. The performance of this duty requires, too, very different degrees of expence in the different periods of society.“, Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 2012, S. 721. 45 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 5, 19. 46 Keller/Hellstern, NZBau 2018, 323 (323 f.). 47 Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 187. 48 Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 1.
42
1. Teil Kap. 1: Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
schaft.49 Von dieser Pflicht umfasst waren von Beginn an die lebensnotwendigen Infrastrukturen, die zur Leistungsbereitstellung ein Netz benötigen, welches sich nicht beliebig vervielfältigen lässt.50 Aber auch dort, wo die Leistungsbereitstellung zu Wohlfahrtszwecken bedeutender ist als das fiskalische oder wirtschaftliche Interesse, wurde ein staatliches Monopol lange akzeptiert.51 Daseinsvorsorge52 bezeichnete nach dem von Forsthoff entwickelten und dem damaligen Zeitgeist entsprechenden Begriff die Verantwortung des Staates, die ihm im Gefüge der sozialstaatlich geprägten Verwaltung zur Sicherstellung der Versorgung mit gewissen Gütern und Dienstleistungen zukommt.53 Diese Auffassung sieht den Staat als einen „Kümmerer“ und kann wegen des heute vorherrschenden Verständnisses eines synergetischen Staat-Bürger-Verhältnisses54 als überholt bezeichnet werden.55 Dennoch ist noch heute häufig von der „Daseinsvorsorge“ die Rede, wenn es um vom Staat verantwortete, dem Gemeinwohl zugeordnete Bereiche der öffentlichen Versorgung geht.56 Die typischen Versorgungsbereiche, welche dem Gemeinwohl dienen, sind auch heute als Verfassungspflichten des Staates, etwa in Art. 20, 28 Abs. 1 GG, verankert.57
II. Von der Daseins- zur Gewährleistungsverantwortung In den letzten Jahrzehnten hat auch wegen der Privatisierungen der klassischen Daseinsvorsorgebereiche ein Wahrnehmungswandel der staatlichen Aufgaben stattgefunden, der mit einer veränderten Rolle des Staates zusammenhängt58 und den 49
Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 188. Theobald/Templin, Strom- und Gasverteilnetze im Wettbewerb, 2011, S. V, S. 8; Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 3. 51 Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 190. 52 Schmidt-Aßmann sieht den Begriff der Daseinsvorsorge als exemplarisch für den Versuch an, soziologische Aspekte und juristische Dogmatik miteinander zu verknüpfen: Allgemeines Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, 4. Kapitel Rn. 99. 53 Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 187. 54 Moderner Staat – Moderne Verwaltung, Der Mandelkern-Bericht – Auf dem Weg zu besseren Gesetzen, Abschlussbericht vom 13. 11. 2001, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, S. 3. 55 Proelß, AöR 136 (2011), 402 (408); Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, S. 59 ff. 56 Etwa Franzen/Thüsing/Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, 2012, S. 24 ff. 57 Proelß, AöR 2011, 402 (407); Franzen/Thüsing/Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, 2012, S. 28. 58 Obwohl bezweifelt werden darf, dass sich der Begriff der Gewährleistungsverantwortung gegenüber der Daseinsvorsorge vollständig durchgesetzt hat; noch heute ist vor allem von der Daseinsvorsorge die Rede: Van Miert, in: Henkel, Erfahrungen mit der Privatisierung von Monopolunternehmen, 1999, S. 7 ff.; Cremer, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 5 Rn. 117 (betreffend Regulierung allgemein); für den Bereich Abfallentsorgung, Wasser, und 50
B. Historische Entwicklung der Gewährleistungsverantwortung
43
Begriff des Gewährleistungsstaates hervorgebracht hat.59 Dennoch findet sich der Begriff der Daseinsvorsorge weiterhin sogar in Form einer Zweckbestimmung in einzelnen Gesetzen.60 Die Begrifflichkeit der Gewährleistungsverantwortung basiert aber nicht auf einem gänzlich neuen theoretischen Fundament, sondern baut auf den von Forsthoff entwickelten Thesen auf.61 1. Der Begriff der Gewährleistungsverantwortung Die Sicherstellung der Energieversorgung hat in Deutschland spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Inanspruchnahme Privater für öffentliche Aufgaben im Bereich der Energieversorgung aus dem Jahr 1971 zur Erdölbevorratung den Rang eines „absoluten Gemeinschaftsguts“.62 Sofern der Staat nicht mehr selbst als Erbringer dieser „essential facilities“ auftritt, ergibt sich ein erkennbarer Konflikt, denn Private wirtschaften gewinnorientiert und müssen zur oft teuren Aufrechterhaltung von Infrastruktur und gleichzeitiger Verwirklichung von sozialen Standards und Berücksichtigung von Umweltbelangen häufig durch staatlich-regulatorisch gesetzte Anreize überzeugt werden. Die Überwachung und gegebenenfalls Durchsetzung von gesetzlichen Zielvorgaben, Standards und politischen Prioritäten umfasst der Begriff der Gewährleistungsverwaltung.63 Die Gewährleistungsverantwortung schreibt keine besondere Art der Ausführung vor.64 Eine Eigenausführung, wie sie bis zur Jahrtausendwende üblich war, ist also im Grundsatz denkbar, jedoch lässt sie sich mit der Entscheidung für den Wettbewerb nicht mehr vereinbaren. Die Entwicklung hin zur Gewährleistungsverantwortung ist verknüpft mit einer Entscheidung für Wettbewerb in Bereichen der ehemaligen Daseinsvorsorge65 und kann als etabliert gelten.66 Die oben dargestellte Idee der staatlichen Daseinsvorsorge geht von einer staatlichen Verantwortung im Sinne einer Durchführungs- und Bereitstellungsverantwortung aus. In der Folge der Liberalisierung wandelte sich diese Vorstellung und kann nun als eine regulierungsaufsichtsrechtliche Gewährleistungsverantwortung Gesundheit wird jedoch von „Gewährleistungsverantwortung“ gesprochen, § 13 Rn. 33; § 14 Rn. 25; § 16 Rn. 63. 59 Franzen/Thüsing/Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, 2012, S. 42; Eifert, Grundversorgung mit Telekommunikationsleistungen im Gewährleistungsstaat, 1998, S. 18 f. 60 So zum Beispiel in § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des Personennahverkehrs (RegG): „Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.“ 61 Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 59. 62 BVerfGE 30, 292 (323 f.). 63 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 18. 64 Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 66 f. 65 Möstl, GewA 2011, 265 (265). 66 Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 608.
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1. Teil Kap. 1: Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
beschrieben werden,67 deren zentrales Merkmal das Fehlen der direkten Leistungserbringung durch den Staat ist.68 Wegen der Bedeutung der Sicherstellung der Energieversorgung ist die staatliche Reaktion auf das dortige Marktversagen nicht rein ökonomisch begründbar.69 Sie dient immer auch der Schaffung eines sozialpflichtigen Wettbewerbs.70 Die Schaffung von Wettbewerb auf Märkten, wo er bisher fehlte, soll unter Wahrung der Voraussetzungen für eine stabile Infrastruktur selbst erfolgen.71 2. Wandel von der Daseins- zur Gewährleistungsverantwortung im Lichte europäischer Kompetenzzunahme Von der Liberalisierung ab den 1990er Jahren waren Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Art. 14, 106 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV,72 Art. 36 EU-Grundrechtecharta73) betroffen, für die sich in der Regel wegen ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung74 eine staatliche Verantwortung ergibt. Diese Verantwortung nimmt der Staat durch Gewährleistung einer sozialverträglichen Bereitstellung dieser Dienste wahr.75 Bereits ab den 1980er Jahren begann in vielen OECD-Staaten eine Abkehr vom klassischen Wohlfahrtsstaat mit seinen hohen Ausgaben hin zu einem Staat, der mehr und mehr Dienste von allgemeinem Interesse an Private auslagerte.76 Die nationale Kodifizierung dieses Wandels ist auf die europäische Gesetzgebung77 zurückzuführen.78 Die Energieversorgung ist mit Schaffung des Art. 4 Abs. 2 lit. i und Art. 194 Abs. 2 AEUV zu einer gemeinsamen Zuständigkeit der Europäischen Union und der
67 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1; Lackner, Gewährleistungsverwaltung und Verkehrsverwaltung, 2004, S. 11. 68 Lackner, Gewährleistungsverwaltung und Verkehrsverwaltung, 2004, S. 34; Waldhoff, JuS 2015, 286 (287). 69 Schulz, Kartellrecht als „Regulierungsinstrument“, 2018, S. 75. 70 Franzius, DÖV 2013, 714 (714). 71 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 7; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 24. 72 ABl. Nr. C 326 vom 26. 10. 2012, S. 49 ff. 73 ABl. Nr. C 83 vom 30. 3. 2010, S. 389 ff. 74 Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 59. 75 Lismann, NVwZ 2014, 691 (692). 76 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 28. 77 Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 19. 12. 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl. Nr. L 27 vom 30. 1. 1997, S. 20 ff.; Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 22. 6. 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, ABl. Nr. L 204 vom 21. 7. 1998, S. 1 ff. 78 Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (13).
B. Historische Entwicklung der Gewährleistungsverantwortung
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nationalen Behörden geworden.79 Gemäß Art. 194 Abs. 1 AEUV verfolgt die Union die Ziele eines europaweit funktionierenden Energiemarkts, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, die Förderung von Effizienzmaßnahmen sowie die Entwicklung neuartiger erneuerbarer Energiequellen und die Förderung der Interkonnektion der Energienetze. 3. Keine Durchsetzung des Begriffs der Gewährleistungsverantwortung Differenziertere Aufgabenzuweisungen finden sich in der klassischen juristischen Ausbildungsliteratur, welche unter anderem zwischen „Leistungsverwaltung“, „Eingriffsverwaltung“, „Lenkungsverwaltung“ und „Ordnungsverwaltung“ unterscheidet, kaum.80 Die Gewährleistungsverantwortung des Staates lässt sich in keine dieser Kategorien zwängen, da sich in der Ausprägung als Regulierungsverantwortung81 eine neuartige Form des Verwaltungshandelns zeigt, welche verschiedene Elemente der gängigen Formen von Verwaltungshandeln vereint.82 Die staatliche Verantwortungszuweisung im Bereich der Gewährleistungsverantwortung ist wandelbar, politische Praxis und Wertvorstellungen ändern sich.83 Obwohl der Übergang von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung im Bereich der Netzsektoren faktisch abgeschlossen sein dürfte, unterliegt der konkrete Bedeutungsrahmen von Regulierung einer stetigen und oft sektorspezifischen Neujustierung.84 Jedoch ist etwa in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Daseinsvorsorge noch derjenige Begriff, mit dem die Aufgabe (u. a.) der Energieversorgung beschrieben wird.85 4. Zwischenergebnis Die begriffliche und gegenständliche Verschiebung von der Daseinsvorsorge zur Gewährleistungsverantwortung wird also am besten verdeutlicht, wenn man die Leistungserbringung betrachtet. Sie erfolgt nicht durch den Staat, der Staat schafft jedoch verbindliche Rahmenbedingungen und überwacht deren Einhaltung.86 Er gewährleistet also die den politisch gewünschten Anforderungen genügende Erbringung der Leistungen, die so zentral sind für eine funktionierende Gesellschaft, dass er sie nicht dem freien Spiel des Marktes mit seiner natürlichen Konzentrati79
Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 30. So etwa bei Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 15 ff., wo „Daseinsvorsorge“ als Teilbereich der Leistungsverwaltung beschrieben wird, Rn. 17. 81 Vgl. Waldhoff, JuS 2015, 286 (287). 82 Vgl. Möstl, GewA 2011, 265 (269). 83 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 25. 84 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 25. 85 Wohl zuletzt BGH EnWZ 2019, 351. 86 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 363 f. 80
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1. Teil Kap. 1: Grundlagen des Regulierungsverwaltungsrechts
onswirkung überlassen kann. Regulierung füllt dabei die Lücke fehlender Marktmechanismen,87 sodass von einer Regulierungsverantwortung des Staates die Rede sein kann.88 Die gewünschten Gemeinwohleffekte sind unter anderem ein gewährleisteter Marktzutritt (§ 20 EnWG), die Bildung angemessener Netzentgelte (§§ 21, 21a EnWG), die Netzsicherheit (§ 49 EnWG) und die Grundversorgung (§§ 36 ff. EnWG).89
87
Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (24). Franz, Einführung in die Verwaltungswissenschaft, 2013, S. 195; Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 116 ff. 89 Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 608. 88
Kapitel 2
Regulierungsbegriffe, -instrumente und die Bedeutung des Wettbewerbs A. Aufgabe von Regulierung Im „Gewährleistungsstaat“ wird die Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung auf Private übertragen, nicht aber die Verantwortung für diese Aufgabe.90 Im Bereich der Energieversorgung kommt der Staat dieser Verantwortung durch Regulierung nach.91 Regulierung bedeutet hier Herstellung von Wettbewerbsbedingungen in Sektoren, welche dem Wettbewerb entzogen sind.92
I. Eingrenzung Im Energiesektor müssen die Regulierungsbehörden oft prognostische Entscheidungen treffen, die die Marktteilnehmer nicht unerheblich beeinträchtigen und denen eine fundierte ökonomische Analyse zugrunde zu legen ist.93 Regulierungsrecht im Sinne eines Eingriffsrechts zu charakterisieren, würde also zu kurz greifen. Regulierungsverwaltungsrecht ist auch in Abgrenzung zur Leistungsverwaltung und zum nur punktuell eingreifenden klassischen Ordnungsrecht zu verstehen.94 Auch kann es nicht isoliert von politischem Einfluss verstanden werden,95 wobei die Politik nur Leitbilder vorgeben, nicht aber in die laufende Regulierung eingreifen darf.96 Es zeigt sich in der Regulierung ein „neuartiges Verhältnis von administrativer Steuerung und freiem Markt“.97 Anders als teilweise dargestellt,98 ist auch das Verständnis 90
Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 66. Wobei hierzu keine Pflicht besteht, vgl. Proelß, AöR 136 (2011), 402 (408). 92 Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftrecht, 2016, § 1 Rn. 113, 125. 93 BVerwGE 131, 41. 94 Burgi, DVBl. 2006, 269 (271); Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (31); Storr, DVBl. 2006, 1017 (1020). 95 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 6; Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (32). 96 Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftrecht, 2016, § 1 Rn. 116. 97 Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (3). 91
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
von Regulierungsrecht als Privatisierungsfolgerecht keine begriffliche Annäherung, sondern eine Typisierung,99 die zudem zu kurz greift. Regulierung wird teilweise sogar als Modebegriff ohne Erkenntnisgehalt bezeichnet.100 Versuche, für alle Bereiche von Regulierung eine einheitliche Begriffsdefinition zu etablieren, gehen aus obigen Gründen fehl. Regulierung entzieht sich einer sektorenübergreifenden, einheitlichen Definition, wobei die Besonderheiten der netzgebundenen Infrastrukturen die Beanspruchung eines eigenen Regulierungsbegriffs durchaus rechtfertigen.101 Denn versteht man Regulieren im Sinne einer staatlichen Aufsicht über einen abgrenzbaren Wirtschaftsbereich, dürfte kaum ein Bereich bestehen, der nicht reguliert wird.102 Auch eine engere Definition, die Regulierung als staatliches Handeln auf Grundlage von Rechtsnormen, die die Behörden zu einem steuernden Eingreifen in die Netzwirtschaft legitimieren, begreift,103 ist nicht aussagekräftig genug. Zwingender Bestandteil einer Definition von Regulierung in den ehemals monopolistischen Infrastrukturen ist der Wettbewerbsbezug der dortigen staatlichen Wirtschaftsverwaltung und seine Verantwortung über diese der Gewährleistungsverantwortung unterliegenden Bereiche.104 Wegen dieses Wettbewerbsbezugs ist besonders die ökonomische Regulierungsperspektive von Bedeutung. Auch Regulierungsinstrumente und Regulierungszwecke sind abhängig vom Regulierungsgegenstand und sollen nach einer begrifflichen Annäherung und Konturierung auf diesen bezogen dargestellt werden. Dabei wird konkret nur auf den Bereich der Energie105 Bezug genommen.
98 Schmitt, Die Bedarfsplanung von Infrastrukturen als Regulierungsinstrument, 2015, S. 12 f. 99 Storr, DVBl. 2006, 1017 (1018). 100 Attendorn, NVwZ 2012, 135 (140). 101 So etwa Frenzel, JA 2008, 868 (869 f.). 102 Veranschaulichend kann auf den Inhalt des 2010 von Fehling/Ruffert herausgegebenen Werks „Regulierungsrecht“ hingewiesen werden. In diesem gibt es neben dem Telekommunikations-, Eisenbahn- und Energierecht Abschnitte zum Finanzmarktrecht, dem Gesundheitswesen (und hier besonders dem Krankenhauswesen), den Medien und der Abfallwirtschaft und den Hochschulen als regulierte Wirtschaftsbereiche. 103 Siehe auch Kämmerer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 2012, Bd. I, § 14 Rn. 94; vgl. Kluth, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 2012, Bd. I, § 12 Rn. 1. 104 Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 1 Rn. 112. 105 Hierunter sollen nachfolgend alle Bereiche verstanden werden, die vom Regelungsregime des EnWG und der aufgrund des EnWG ergangenen Verordnungen erfasst werden.
A. Aufgabe von Regulierung
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II. Begriffsbestimmungen Die Begriffe „Energiewirtschaftsrecht“, „Energieregulierungsrecht“ und „Energierecht“ werden häufig synonym verwendet,106 sodass es hier nicht um mögliche Inhaltsunterschiede gehen soll. Das Energieregulierungsrecht hebt das besondere Subordinationsverhältnis zwischen dem Regulierer und dem Regulierten hervor, weshalb es je nach Kontext gegenüber dem Begriff des Energiewirtschaftsrechts vorzugswürdig erscheint. Gleichwertig, wenn auch offener, ist die Verwendung des Begriffs „Energierecht“. Allen obigen Begriffen sind politische Ziele von Regulierung zugrunde zu legen, also neben rein betriebswirtschaftlichen auch Belange des Gemeinwohls,107 da diese sich in regulierten, also von Wettbewerb geprägten Märkten besser entfalten als in unregulierten.108 Diese Erkenntnis ist als rechtliche Zielsetzung noch relativ jung109 und etablierte Definitionen eines Regulierungsrechts sind daher rar.110 Noch im Jahr 2001 übersetzte die Bundesregierung in ihrem Mandelkern-Bericht die europäische Zielsetzung einer „Better Regulation“ mit „nachhaltiger Rechtsbereinigung“.111 1. Regulierungsbegriffe Schon über das Bestehen eines Konsens’ bezüglich des Regulierungsbegriffs besteht kein Konsens.112 Einen Regulierungsbegriff für die Gesamtheit des Regulierungsrechts zu entwerfen, gelingt also nur, wenn er sehr offen ist:113 Regulierung bspw. als staatliche Einwirkung auf private Wirtschaftssektoren zur Erreichung vorgegebener Ziele.114 Nicht nur in Bezug auf das Energieregulierungsrecht domi-
106 Nur exemplarisch: Grüneberg, NVwZ 2015, 394; Säcker, EnWZ 2015, 531 (531); Schmidt-Preuß, in: FS Kühne, 2009, S. 329 (329). 107 Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftrecht, 2016, § 1 Rn. 113. 108 Franzius, ZUR 2018, 11. 109 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 10. 110 So auch Storr, DVBl. 2006, 1017 ff.; Franzius, ZUR 2018, 11 ff. 111 Moderner Staat – Moderne Verwaltung, Der Mandelkern-Bericht – Auf dem Weg zu besseren Gesetzen, Abschlussbericht vom 13. 11. 2001, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, S. 3. 112 Ein vermeintlicher Konsens bezüglich des Begriffsinhalts sei „brüchig“: Schmitt, Die Bedarfsplanung von Infrastrukturen als Regulierungsinstrument, 2015, S. 11; Kaufmann, Der Wettbewerb um die Elektrizitätsversorgungsnetze der allgemeinen Versorgung, 2014, S. 32; befürwortend beispielsweise: Burgi, DVBl. 2006, 269 (270 f.); ablehnend: Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 1 Rn. 111. 113 Etwa Regulierung als „staatliche Lenkung privaten Verhaltens durch Gebote, Verbote und Standards“: Proelß, AöR 136 (2011), 402 (404). 114 Schmidt-Preuß, in: FS Kühne, 2009, S. 329 (330).
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
nieren daher weite Begriffe die juristische Literatur,115 wobei der Wert solch weiter Begriffsdefinitionen fraglich ist. Es ist daher zunächst hilfreich, den Begriff der Regulierung in Abgrenzung zu dem der Planung zu verstehen. Unter anderem wegen der Anlehnung des Regulierungsermessens an das Planungsermessen scheinen die Unterschiede zwischen Planung und Regulierung mitunter marginalisiert zu werden.116 Zentrales Charakteristikum von Regulierung ist ihr Wettbewerbsbezug, in den liberalisierten Netzwirtschaften lässt sich von einem Marktgestaltungsauftrag der Regulierung sprechen.117 Regulierung ist Instrument zur Erreichung der gesetzlich vorgegebenen Ziele.118 Planung ist „vorausschauende(s) Setzen von Zielen und gedankliche(m) Vorwegnehmen der zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Verhaltensweisen“.119 Möglicherweise können in anderen Disziplinen, nicht zuletzt wegen der Interdisziplinarität des Energierechts,120 Begriffsanleihen gemacht werden. Denn deutlich länger als die Rechtswissenschaft beschäftigt Regulierung die Wirtschafts- und Politikwissenschaften.121 Das dort entwickelte Begriffsverständnis lässt sich zwar nicht ohne weiteres auf das Recht der Regulierung übertragen, seine Darstellung ist deshalb aber gerade wegen der vielfältigen außerrechtlichen Bezüge des Energierechts sinnvoll. a) Ökonomischer Regulierungsbegriff Regulierung bedeutet hier staatliches Handeln, welches in marktliche Prozesse eingreift122 oder durch welches Marktversagen verhindert oder beseitigt werden soll.123 Zwar werden hiermit keine rechtlichen „Ordnungsziele“ verfolgt;124 jedoch sind die rechtlichen Ordnungsziele mit den ökonomischen eng verwoben. Netzökonomisch und rechtlich lässt sich zwischen der anreizorientierten und der kostenorientierten Regulierung unterscheiden.125 In Deutschland wurde zum 1. 1. 2009
115 So etwa bei Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, § 19 Rn. 5; hierzu Ruffert, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. I, 2012, § 21 Rn. 13. 116 So auch Franzius, ZUR 2018, 11 (12). 117 Vgl. Eifert, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, § 19 Rn. 9. 118 Cornils, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 1 Rn. 22. 119 Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. II, 2010, § 56 Rn. 6. 120 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 1. 121 Proelß, AöR 136 (2011), 402 (404 f.). 122 Kühling, Sektorspezifische Regulierung der Netzwirtschaften, 2004, S. 13. 123 Ruffert, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. I, 2012, § 21 Rn. 11. 124 Bullinger, DVBl. 2003, 1355 (1357). 125 Ludwigs, NVwZ 2008, 954.
A. Aufgabe von Regulierung
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mit Erlass der Anreizregulierungsverordnung126 (ARegV) ein auch wirtschaftlich betrachtet begrüßenswerter127 Wandel von der kosten- zur anreizorientierten Regulierung vollzogen.128 Ökonomisch gesehen liegt die Hauptfunktion der Wettbewerbsregulierung damit in der Verhinderung bzw. der Beseitigung eines Marktversagens, also der Herstellung von unter Wettbewerb zu erwartenden Marktergebnissen.129 Als ihr zentrales „Mittel zum Zweck“130 ist Regulierung über § 1 Abs. 2 EnWG dem Wettbewerbsziel auch verpflichtet. Auch wegen des „more economic approach“ der Europäischen Kommission131 lassen sich ökonomische und rechtliche Aspekte von Kartellrecht und Regulierung nur schwer trennen. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass mehr Wettbewerb zu mehr Allgemeinwohl führt.132 Ein Gedanke, auf dem auch das Regulierungsrecht beruht.133 b) Sektorspezifischer Regulierungsbegriff Telekommunikation Zu Beginn der Privatisierungsphase stellte der nationale Gesetzgeber im Jahr 1996 in § 3 Nr. 13 TKG,134 der heute nicht mehr in Kraft ist, folgende Definition für Regulierung zur Verfügung: „Die Maßnahmen, die zur Erreichung der in § 2 Abs. 2 genannten Ziele ergriffen werden und durch die das Verhalten von Telekommunikationsunternehmen beim Angebot von Telekommunikationsdienstleistungen, von Endeinrichtungen oder von Funkanlagen geregelt werden, sowie die Maßnahmen, die zur Sicherstellung einer effizienten und störungsfreien Nutzung von Frequenzen ergriffen werden.“
126
BGBl. I 2007, S. 2529. Ludwigs, NVwZ 2008, 954. 128 Siehe hierzu in diesem Abschnitt V. 129 Die „Herstellung von Wettbewerb“ würde zu kurz greifen und gleichzeitig zu weit gehen, denn ein freier Wettbewerb ließe die Gewährleistungsfunktionen im Bereich der Netzwirtschaften außer Acht. Betriebswirtschaftlich nicht sinnvolle Strukturen müssen im Bereich der staatlich zu verantwortenden Netzinfrastrukturen bereitgestellt werden, wozu deren private Betreiber nur durch Regulierung veranlasst werden können. 130 Anders als mitunter angenommen (etwa Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, 2018, 1. Kapitel Rn. 1), stellt der Zielkatalog des § 1 EnWG nicht etwa eine gleichwertige Auflistung von Regelungszielen dar, sondern beschreibt vielmehr dienende Ziele (Verbraucher- und Umweltschutz, Preisgünstigkeit, Effizienz etc.), welche durch die Sicherstellung von Wettbewerb erst erreicht werden können, siehe hierzu sogleich unter 2. a). 131 Sosnitza, in: MüKo Lauterkeitsrecht, 2020, Teil I Grundlagen des Lauterkeitsrechts Rn. 10 ff. 132 Sosnitza, in: MüKo Lauterkeitsrecht, 2020, Teil I Grundlagen des Lauterkeitsrechts Rn. 2. 133 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 8 ff.; Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 4 f. 134 BGBl. I 1996, S. 1120. 127
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
Regulieren bedeutet nach diesem sehr weiten Verständnis schlicht regeln.135 Dieses Verständnis wird der Materie nicht gerecht. Die Novelle des TKG 2004 enthielt in § 3 dann auch keine Definition des Begriffs mehr. Die anderen Sektorengesetze stellen bis heute keine Definition von Regulierung zur Verfügung. c) Soziologisch-politikwissenschaftlicher Regulierungsbegriff Die politische oder gesellschaftswissenschaftliche Perspektive versteht unter Regulierung jede Art staatlicher Einflussnahme auf gesellschaftliche Prozesse.136 Hierunter fällt auch die social regulation, welche Arbeitsschutzmaßnahmen, Verbraucher- und Umweltschutz umfasst.137 Dies sind etwa Sicherheitsstandards in der Produktion gewisser Güter und Vorgaben zum Emissionsschutz.138 Ob positive wirtschaftliche Auswirkungen erreicht werden, ist im Rahmen der social regulation sekundär.139 Zwar stehen hinter regulierungsrechtlichen Erwägungen oft auch solche des Verbraucher- und Umweltschutzes. Vor allem der Umweltschutz gewinnt in der europäischen Gesetzgebung in den letzten Jahren stetig an Bedeutung,140 allerdings wird auch hier vor allem versucht, durch wettbewerbliche Instrumente eine Internalisierung von Umweltkosten zu erzielen.141 Sie werden also oft nicht isoliert durchgesetzt, sondern im Rahmen der Herstellung von Wettbewerb. d) Eigenes Begriffsverständnis Regulierung ist nicht ohne Bezug zum Regulierungsobjekt zu verstehen. Daher helfen Begriffsanleihen nur bedingt weiter. Regulierung ist die Konsequenz sich wandelnder, zunehmender Staatsaufgaben;142 sie sichert wenn möglich bestehenden Wettbewerb,143 meist aber strebt sie mit ihren Instrumenten Marktergebnisse an, die unter Wettbewerb erwartet werden könnten, um die gesetzlich vorgegebenen Gemeinwohlziele zu verwirklichen. Regulierungsverwaltung im Energiesektor bedeutet eine Unterwerfung dieses Wirtschaftszweigs unter Wettbewerbsregeln, die wegen der besonderen Ausgangslage ihre primären (funktionierender Wettbewerb, also Konkurrenz von Anbietern auf einem Markt) sowie sekundären Ziele (Ge135
Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 ff. Kühling, Sektorspezifische Regulierung der Netzwirtschaften, 2004, S. 12. 137 Regulatory Reform: A Synthesis, OECD, Paris, 1997, S. 11 (abgerufen über www.stats.oecd.org). 138 Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 14. 139 Regulatory Reform: A Synthesis, OECD, Paris, 1997, S. 11 (abgerufen über www.stats.oecd.org). 140 Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, 2018, Kapitel 1 Rn. 3. 141 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 11. 142 Ähnlich Möstl, GewA 2011, 265. 143 Wobei durch Regulierung ausdrücklich kein Wettbewerb hergestellt wird, sondern lediglich Marktergebnisse simuliert werden, vgl. mehr dazu weiter unten unter C. III. 1. e). 136
A. Aufgabe von Regulierung
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meinwohlförderung, Versorgungssicherheit, Innovationsförderung und Umweltschutz etc.) nicht von innen heraus entfalten können.144 Sie ist der Spiegel einer liberalen und zugleich sozialen Staatstätigkeit in einer globalisierten Welt.145 Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit soll Regulierung verstanden werden als hoheitliche, überwiegend administrative Tätigkeit, die im Bereich der Netzwirtschaften auf die Herstellung von Wettbewerb zur Durchsetzung auch außerökonomischer Ziele gerichtet ist. Diese Ziele sind Gegenstand normativer Vorgaben und im Rahmen der durch das Grundgesetz vorgegebenen Grenzen wandelbar. 2. Wettbewerbsmärkte und Energietransportmarkt Wettbewerb146 ist das zentrale Stabilisierungsmoment moderner Volkswirtschaften und durch Regulierung zu simulierendes Ergebnis auf Märkten, auf denen sich von allein kein wirksamer Wettbewerb entfalten kann. Wettbewerb beschreibt die Konkurrenz der Teilnehmer auf einem Markt, geht dabei aber heute nicht mehr von der „vollkommenen Konkurrenz“ aus, sondern hat eher die Funktionen von Wettbewerb im Blick.147 In einem Modell perfekt funktionierender Märkte koordiniert der Markt Angebot und Nachfrage über die Preise.148 Unter bestimmten Bedingungen stellt sich ein Zustand ein, der optimale Effizienz mit vollkommener Konkurrenz verbindet: das sog. Pareto-Optimum.149 Verschiedene Faktoren können das Pareto-Optimum stören, wobei weiter unten derjenige Faktor genauer betrachtet werden soll, der Größenvorteil genannt werden kann.150 a) Funktionen und Ziele von Wettbewerb Wettbewerb ist ein Instrument zur Erreichung außerökonomischer Werte,151 er dient der Wohlstandsmaximierung und der Versorgungssicherheit und kann deshalb nicht von seinem politischen Leitbild isoliert betrachtet werden.152 Regulierung ist 144 Schulz, Kartellrecht als „Regulierungsinstrument“, 2018, S. 68 f.; Britz, in: Fehling/ Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 6 ff. 145 Ähnlich: Bullinger, DVBl. 2003, 1355; Proelß, AöR 136 (2011), 402 (408 f.). 146 Siehe zum folgenden Absatz: Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 4 ff. 147 Sosnitza, in: MüKo Lauterkeitsrecht, 2020, Teil I, Grundlagen des Lauterkeitsrechts, Rn. 6 f. 148 Ménard, Journal of Economic Behavior & Organziation, 1995, 161 (170). 149 Ausführlich hierzu Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 257 ff.; Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 10 f.; Cremer, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 5 Rn. 93. 150 So Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 13; Cremer spricht von „Unteilbarkeiten“, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 5 Rn. 105 f. 151 Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2014, S. 179. 152 Der politische Einfluss auf die Regulierung ist zwar teilweise beanstandet, ist jedoch vorhanden, vgl. Ruffert, in: Fehling/ders., Regulierungsrecht, 2010, § 2 Rn. 2. Die noch junge
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aktive Wettbewerbsgestaltung,153 bei der die verschiedenen Ziele und Interessen in eine Konkordanz gebracht werden. Wettbewerb hat also eine Freiheitsfunktion, Teilnehmer am Wettbewerb sollen im Abschluss von Transaktionen so frei wie möglich sein, wobei die Grenze die Freiheit der anderen Marktteilnehmer bildet.154 Das zweite Ziel ist Verteilungsgerechtigkeit: Sie ist Voraussetzung der sozialen Marktwirtschaft und verlangt, dass Einkommensunterschiede auf Leistungsunterschiede zurückgehen; Monopolerlöse sind hiermit unvereinbar.155 Es müssen also im Rahmen der Regulierung wettbewerbsanaloge Entgelte gebildet und ihre Einhaltung und Durchsetzung kontrolliert werden.156 Optimale Allokation knapper Ressourcen ist drittes Ziel und dient allgemeiner Wohlstandsmaximierung durch Effizienz und durch Nachfrage gesteuerter Produktionsstrukturen; auch diese Vorgabe wäre mit Monopolrenten nicht vereinbar.157 Viertes Ziel ist Produkt- und Prozessinnovation und wird Hayeks Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zugeschrieben.158 Lassen sich diese Ziele in einem Markt verwirklichen, so spricht man von einem funktionsfähigen Wettbewerb.159 b) Eigenschaften von Wettbewerbsmärkten Märkte müssen zur Verwirklichung dieser Ziele bestimmte Eigenschaften aufweisen, zum Beispiel Verfügungs- und Eigentumsgarantien für alle Marktteilnehmer, also für Verbraucher und Anbieter. Als nötige Merkmale eines Wettbewerbsmarktes können gelten: eine unbegrenzte Anzahl von Anbietern und Nachfragern, der Handel mit einem homogenen Produkt, fehlende Beschränkungen für Markteintritt und Marktaustritt, vollständige Information und fehlende Transaktionskosten. Auf einem Markt, dessen Ordnungsrahmen diese Garantien bereitstellt, kann in der Regel Wettbewerb entstehen.
Wirtschaftstheorie „Politische Ökonomie“ hat festgestellt, dass politische Aspekte sich nicht aus der Betrachtung des Wirtschaftslebens herausfiltern lassen: Züll, Regulierung im politischen Gemeinwesen, 2014, S. 55 f. 153 Storr, DVBl. 2006, 1017, (1018). 154 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 4. 155 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 5. 156 Schmidt-Preuß, in: FS Kühne, 2009, S. 329 (335). 157 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 5. 158 Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968; obwohl in letzter Zeit gegenläufige Theorien an Zulauf gewinnen und die These unterstützen, mehr Marktmacht würde mehr Innovationen hervorbringen: Bento, American Economic Journal, vol. 6 (2014), 124 (132). 159 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 5, 6; andere analysieren unter Bezug auf sein frühes Werk, dass Hayek mit Innovation etwas anderes meinte als bspw. technischen Fortschritt: Phelps, Review of Austrian Economics, 28 (2015) 253.
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c) Besonderheiten der Energiemärkte Zentrales Merkmal des Energietransportmarktes ist seine Netzgebundenheit. Wenn eine Netzinfrastruktur ein stabiles natürliches Monopol darstellt und deshalb nicht kosteneffizient dupliziert werden kann, ist staatliche Regulierung das Mittel zur Ermöglichung von Wettbewerb.160 Diesem Markt fehlen die oben beschriebenen Eigenschaften und er hat hohe Marktzutrittsbarrieren; es handelt sich um ein natürliches Monopol,161 wo Wettbewerb sich nicht von allein einstellt.162 Diese Hürden zu überwinden ist in der Netzregulierung das Ziel der Netzzugangsregulierung im engeren Sinne (siehe oben, zum Beispiel § 20 EnWG), der Entgeltregulierung und der Regulierung durch Entflechtungsvorgaben.163 Im Bereich der Energieversorgung ist Wettbewerb auf den vor- und nachgelagerten Märkten möglich: Der Erzeugermarkt und der Vertriebsmarkt sind wettbewerblich organisierbare Teilmärkte,164 die mit einer Regulierung des Netzbetriebs nicht mehr selbst spezifisch reguliert werden müssen. Wettbewerb kann in oder auf der Infrastruktur (Netzzugang) stattfinden, zwischen den Infrastrukturen (nur durch Direktleitungen,165 da das Duplizieren von Leitungen nicht kosteneffizient ist) sowie um die Infrastruktur (durch Vergabeverfahren und Konzessionsverträge).166
III. Wettbewerb im Regulierungsgefüge des EnWG Für Wirtschaftssektoren, die dem Bereich der „Daseinsvorsorge“ zugerechnet werden, galt bis Mitte der 1990er Jahre eine kartellrechtliche Bereichsausnahme, da angenommen wurde, Wettbewerb sei nicht mit einer sozialverträglichen Versorgung
160 Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 611. 161 Auf die Schwierigkeit, diese empirisch nachzuweisen, kann nicht weiter eingegangen werden, siehe für einen Überblick: Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 317. 162 Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 1 Rn. 111; Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 21; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 27; Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 1 f.; Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 15; Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 21 Rn. 3. 163 Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 611 f. 164 Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, 2018, 1. Kapitel Rn. 10. 165 Zu deren Vermeidung im Sinne aller Netznutzer gibt es rechtliche Anreize wie etwa die Netzentgeltreduktion bei laststarken Verbrauchern nach § 19 Abs. 2 Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV), BGBl. I 2005, S. 2225. 166 Theobald, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2013, § 1 Rn. 33; Theobald/Templin, Strom- und Gasverteilnetze im Wettbewerb, 2011, S. 7.
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zu vereinbaren.167 Diese Annahme ist richtig, soweit sie den Bereich natürlicher Monopole meint168 und dabei einen unregulierten Wettbewerb vor Augen hat. Das Reichsgericht musste schon im Jahr 1897 die Frage nach der Zulässigkeit von Kartellen beantworten und bejahte sie ausdrücklich.169 Die kartellfreundliche Entscheidungspraxis des höchsten Gerichts führte zur Bildung einer Vielzahl von Kartellen bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs.170 Bei der kommunal organisierten Daseinsvorsorge und den staatlichen bzw. rechtlich-faktischen Monopolen auf nationaler Ebene wurde Marktmacht bis zur Liberalisierung, und teilweise sogar deutlich darüber hinaus,171 gesetzlich und höchstrichterlich geschützt. 1. Die Zielvorgaben des § 1 EnWG Die oben entwickelte Gewährleistungsverantwortung des Staates besagt, dass öffentliche Güter nutzenstiftend für die Bürger bereitzustellen sind.172 Seit der Novelle des EnWG 2005 sieht der Gesetzgeber als Mittel zum Erreichen dieser Vorgaben den Wettbewerb an.173 Laut der Gesetzesbegründung ist die Herstellung von Wettbewerb eine wesentliche Grundlage der Regulierung,174 was sich auch an den in § 1 EnWG niedergelegten Gesetzeszwecken zeigt. Die allgemeinen Gesetzeszwecke in § 1 Abs. 1 EnWG sehen eine sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas vor, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht. Diese Ziele sind nicht Regulierungsziele im engeren Sinne, sondern klassische Gemeinwohlziele von Regulierung.175 167 In Debatten um die Reform des EnWG wurde noch in den 1970er Jahren die monopolistische Versorgungsstruktur als wirtschaftlichste angesehen, erst 1991 befürwortete die Deregulierungskommission in ihrem zweiten Bericht die Abschaffung der kartellrechtlichen Bereichsausnahme in §§ 103, 103a GWB: Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 83. 168 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 79. 169 RGZ 38, 155, „Sächsisches Holzstoffkartell“. 170 Richter, Die Wirkungsgeschichte des deutschen Kartellrechts vor 1914, 2007, S. 176. 171 So zum Beispiel durch die bis 2007 eingeräumte Exklusivlizenz in § 2 Abs. 1 PostG: „Das Errichten und Betreiben von Einrichtungen zur entgeltlichen Beförderung von schriftlichen Mitteilungen oder sonstigen Nachrichten von Person zu Person ist dem Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost POSTDIENST bis zum Auslaufen des Beförderungsvorbehalts ausschließlich vorbehalten.“ 172 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 26. 173 Mit dem EnWG 1998 wurde zunächst der Netzzugang in den §§ 5 ff. (heute §§ 20 ff.) und dem § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB geregelt, Demarkationsverträge verboten und Konzessionsverträge für eine Dauer von 20 Jahren befristet, vgl. Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 12 f. 174 BT-Drucks. 15/3917 vom 14. 10. 2004, S. 1, 47 f. 175 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 26.
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2. Die ratio legis des § 1 Abs. 2 EnWG Mit der Wettbewerbs- und Infrastruktursicherung des § 1 Abs. 2 EnWG sind einerseits die dienenden, sekundären Ziele genannt, andererseits sind sie als Voraussetzung für die Verwirklichung der in Abs. 1 genannten Ziele grundlegend und für die Regulierungstätigkeit zentraler als die Zweckbestimmungen des Abs. 1.176 Die Gemeinwohlzwecke des Abs. 2, entgegen der Systematik mehr noch als die des Abs. 1, sind ratio legis.177 Sie sind Orientierung für die Auslegung des Gesetzes und haben eine wegweisende Funktion für die Exekutive beim Erlass von Verwaltungsakten, anderen Verfügungen und Rechtsverordnungen.178 3. Die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung Zwar ist das deutsche Grundgesetz geprägt von einer wirtschaftspolitischen Neutralität, die auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach betonte.179 Die europäische Wirtschaftsverfassung legt sich jedoch eindeutig auf eine offene marktwirtschaftliche Ordnung des Binnenmarktes fest,180 auch die Einräumung und Ausgestaltung der Grundrechte181 sowie das gesamte Privatrecht legen eine marktwirtschaftliche Ordnung nahe.182 Damit sind „offene Märkte“ neben dem Wettbewerb ein fundamentales Prinzip der deutschen wie auch der europäischen Wirtschaftsordnung.183 Ein freier Markt, wenn er die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, hat eine Steuerungsfunktion: die Bildung von Preisen.184 Durch die Entgeltregulierung wird in dieses zentrale Merkmal in den regulierten Netzinfrastrukturen steuernd eingegriffen. 4. Wettbewerbsregulierung als Widerspruch zur Marktwirtschaft? Wettbewerb ist nach der Zielvorgabe des EnWG zugleich Ziel und Mittel der Regulierung.185 Dies ist der Dualismus des Regulierungsgegenstandes:186 Wettbe176
Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 7 f., 24. Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 9 ff. 178 Höger, Die Bedeutung von Zweckbestimmungen in der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 116. 179 BVerfGE 4, 7 ff.; BVerfGE 7, 377 (400). 180 Art. 2, 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 EGV, Art. 119 Abs. 1, 120 S. 2 AEUV. 181 Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 14 Rn. 34 (Stand Januar 2019). 182 Wobei Art. 20 Abs. 1 GG ein soziales Element für die Marktwirtschaft vorgibt. 183 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 13. 184 Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776 (2012), S. 37; Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 12. 185 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 8. 177
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werb selbst ist ein regulatorisches Prinzip.187 Er soll nicht um seiner selbst willen geschaffen werden, sondern weil mit ihm die gesetzlich statuierten wohlfahrtsökonomischen Ziele erreicht werden sollen.188 Regulierung bewegt sich zwar auf den ersten Blick in einem Spannungsfeld zu einem freien Markt, denn regulatorische Steuerung und Freiheit scheinen sich auszuschließen.189 Regulierungsrecht und Wettbewerbsfreiheit bilden aber keinen Widerspruch, sondern eine Einheit. Hoheitliches Eingreifen durch Marktregulierung dient in hohem Maße der individuellen Freiheit der Wirtschaftssubjekte: Denn aktive Teilhabe am Markt als Konsument sowie Zugang zum Markt als Anbieter sind nur möglich, wenn dieser Markt zugänglich ist.190 Gewünschte Effekte lassen sich aus Sicht des Regulierers in einem (freien wie hergestellten) Wettbewerb schwieriger durchsetzen als gegenüber einem Monopolisten oder Oligopolisten.191 Beispielsweise wird der Konzessionsinhaber eines Netzes Investitionen in das Netz scheuen, denn diese mindern zunächst seinen Ertrag.192 Hier greift das Regulierungsrecht mit verschiedenen Mechanismen, Instrumenten und Vorgaben ein. Als Kern der Entgeltregulierung kann die seit 2009 geltende Anreizregulierung angesehen werden, die diese negativen Effekte freien Wettbewerbs abmildert und als den anderen Regulierungsregimen, also etwa kostenoder preisorientierter Entgeltregulierung, überlegen gilt.193 Auch die Anreizregulierung dient in hohem Maße der Freiheit der Marktteilnehmer. Über die Gewährleistungsverantwortung des Staates ist dieser Markteingriff auch im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gerechtfertigt.194
186
Proelß, AöR 136 (2011), 402 (408). Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 1989, S. 52. 188 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 9 f. 189 Vgl. Cremer, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 5 Rn. 3. 190 Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 10. 191 Kaufer weist darauf hin, dass sich politisch gewünschte Effekte dem Lizenzinhaber (oder dem Monopolinhaber) leicht durchsetzen lassen, denn wenn er die Kooperation mit den Behörden verweigert, riskiert er seine Lizenz: Theorie der Öffentlichen Regulierung, 1981, S. 88. 192 Möstl, GewA 2011, 265 (267). 193 Ludwigs, NVwZ 2008, 954 (954); Säcker, N&R 2009, 78 (78, 82). 194 Zumindest im Bereich der Daseinsvorsorge, also Energie, Telekommunikation, Bahn und Post. Frotscher/Kramer (Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2019, § 19 Rn. 502) leiten diese Pflicht aus den Grundrechten her (Art. 87e Abs. 4, 87f Abs. 1 sowie aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG); Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 3 f. 187
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5. Marktversagenstatbestände Regulierung soll über die staatlich veranlasste Herstellung von Wettbewerb eine funktionsfähige Infrastruktur auf unvollkommenen Märkten sichern,195 den Wettbewerb durch steuerndes Eingreifen ersetzen, seine Bedingungen dort künstlich reproduzieren, wo sie sich von allein nicht einstellen können.196 Es gibt verschiedene Gründe für das Nichtentstehen von Wettbewerb, man spricht von Marktversagenstatbeständen.197 Die nachfolgenden Marktversagenstatbestände spielen bei der Betrachtung der leitungsgebundenen Infrastrukturen eine besondere Rolle. Größter und zugleich an dieser Stelle bedeutsamster Grund ist Marktmacht, wobei Marktmacht als die Fähigkeit eines Unternehmens umrissen werden soll, die Preise in profitabler Weise über das Marktniveau anzuheben.198 Marktmacht bezeichnet die Fähigkeit eines Unternehmens, die Preise dauerhaft über dem Marktniveau zu halten und trotzdem Gewinne zu erzielen.199 a) Marktmacht durch Skaleneffekte (economies of scale) und Verbundvorteile (economies of scope) Größenvorteile durch Skaleneffekte entstehen in der Theorie, wenn die Kosten in einer Branche mit ihrer zunehmenden Größe sinken.200 Skaleneffekte sind dann anzunehmen, wenn die proportionale Erhöhung eines Inputfaktors201 eine überproportionale Erhöhung des Outputs202 zur Folge hat;203 dies kann verschiedene Ursachen haben und führt zu einer Senkung der Durchschnittskosten in der Produktion.204 Solche Größenvorteile sind ausreichend, aber nicht notwendig, um das Bestehen eines natürlichen Monopols zu bejahen.205 Bei Bejahung eines Größenvorteils eines 195 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 24; vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 4 f.; Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2015, § 6 Rn. 506 ff. 196 Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2015, § 21 Rn. 4. 197 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 7. 198 Twomey/Green/Neuhoff/Newbery, Journal of Energy Literature 2 (2005), 3 (7). 199 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 6. 200 Krugman/Obstfeld, Internationale Wirtschaft: Theorie und Politik der Außenwirtschaft, 2009, S. 199. 201 Input ist wörtlich zu verstehen und umfasst alles, was in die Produktion investiert wird, zum Beispiel Arbeitszeit oder finanzielle Investitionen, auch: Einbringungsmenge. 202 Der Output umfasst das, was bei der Produktion „herauskommt“, zum Beispiel das Endprodukt oder Gewinne, auch: Ausbringungsmenge. 203 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 13. 204 Anschauliches Beispiel ist die Versorgung mit Wasser: Die Versorgung eines weiteren Kunden über das bereits bestehende Netz bedeutet keine weiteren Investitionskosten, was zu einer überproportionalen Erhöhung des Gewinns führt. 205 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 25.
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Anbieters liegt noch keine Subadditivität vor,206 dazu gleich mehr bei den natürlichen Monopolen. Von Größenvorteilen wird häufig im „Einproduktfall“ gesprochen, wenn also ein Unternehmen nur ein einzelnes Produkt herstellt. Economies of scope bezeichnen den Fall, dass der Output eines einzelnen Unternehmens größer ist, als der gemeinsame Output von zwei Unternehmen, welche das gleiche Produkt herstellen.207 b) Marktmacht im natürlichen Monopol Marktmacht kann nicht nur durch natürliche Größenvorteile, Verbundvorteile oder Zugangsbeschränkungen zu diesem Markt, sondern auch durch das Verhalten einzelner Marktteilnehmer entstehen.208 Ohne die verfassungsrechtlichen Implikationen von Zugangsbeschränkungen an dieser Stelle vertiefen zu können, sei auf die Möglichkeit einer tatsächlichen und einer künstlichen Zugangsbeschränkung hingewiesen. Künstliche Zugangsbeschränkungen, darunter fallen auch rechtliche,209 sind zum Beispiel ein beschränkter Zugang zu bestimmten Berufen.210 Tatsächliche sind zum Beispiel Marktzutrittsbarrieren in Form hoher Investitionen in für den Vertrieb notwendige Infrastruktur.211 Ein „Monopol“ bezeichnete ursprünglich die Möglichkeit oder das Recht, ein bestimmtes Gut auf einem Markt als Einziger anzubieten.212 Für das gesamte Regulierungsrecht als „Recht der natürlichen Monopole“ wird oft exemplarisch der Energiesektor betrachtet.213 Aus der Identifizierung der Leitungsgebundenheit als zentrale Voraussetzung für das Vorliegen eines natürlichen Monopols leitet sich noch nicht ohne weiteres ab, warum sich hier kein Wettbewerb einzustellen vermag. Dies wird erst durch die Betrachtung des nachgelagerten Marktes „Versorgung“ deutlich: Das Produkt „Energie“ hat ohne den Zugriff auf ein Netz keinen eigenständigen Wert.214 Ein Anbieter kann es zwar herstellen, aber nicht zum Abnehmer transpor206
Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 25. Pindyck/Rubinfeld, Mikroökonomie, 2009, S. 334. 208 Vgl. Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 1 Rn. 111. 209 Zwar spricht Badura hier von einem rechtlichen Monopol, dieser Gedanke lässt sich jedoch auf die in gewisser Weise „vorgelagerte“ Stufe der Zugangsbeschränkung zu einem Markt übertragen: Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 3. 210 Berühmtes Beispiel für das Vorliegen zulässiger Zugangsbeschränkungen zu einem gesamten Markt und einer Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG ist BVerfGE 7, 377 ff. („Apothekenurteil“). 211 Vgl. Schulte/Kloos/Apel, in: Schulte/Kloos, Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 1 Rn. 111. 212 Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 1 f. 213 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 18; Proelß, AöR 136 (2011), 402 (405). 214 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 37. 207
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tieren. Das Netz lässt sich selbst nicht kosteneffizient beliebig duplizieren,215 sodass auch die Errichtung eines eigenen Netzes zur Teilnahme am Wettbewerb nicht wirtschaftlich ist, da das Produkt „Strom“ dann nur zu nicht wettbewerbsfähigen Preisen angeboten werden könnte. Um das Produkt „Strom“ am Markt anbieten zu können, braucht ein Unternehmen also Zugang zum bereits bestehenden Netz. Das dem natürlichen Monopol zugrundeliegende „Kostenkonzept“, seine wettbewerbsökonomische Formel, lässt sich wie folgt verbalisieren: Die Kostenfunktion ist für diese Unternehmen für den gesamten Bereich des Outputs subadditiv.216 Das bedeutet stark vereinfacht ausgedrückt: Die gesamte nachgefragte Menge eines Produkts ist günstiger durch einen Anbieter (den Monopolinhaber) herzustellen als die Produktion von Teilmengen durch mehrere Anbieter.217 Dies liegt vor allem an den sog. sunk costs, also hohen Investitionskosten, die bei Marktaustritt wertlos sind,218 sowie Fixkosten in die Bereitstellung der Infrastruktur. Dabei sind die variablen Kosten, und als deren Bestandteil die Grenzkosten,219 gering.220 Je höher die sunk costs, umso höher die Marktzutrittsschranke und umso etablierter ist das natürliche Monopol.221 Die hohen Investitionskosten sind wichtigstes Unterscheidungsmerkmal der Energiebranche zu anderen, nicht leitungsgebundenen Wirtschaftszweigen.222 Dieser Zustand führt im Ergebnis zu einem Marktversagen und erfordert zu seiner Vermeidung wirtschaftspolitisches und regulatorisches Eingreifen.223
6. Zwischenergebnis In den vorangegangenen zwei Abschnitten wurde aufgezeigt, warum die Netzgebundenheit im Stromsektor die Ursache für die fehlende Entwicklung von Marktmechanismen ist, die Wettbewerb ermöglichen und warum Regulierung steuernd in den Markt eingreifen muss, um seine Bedingungen künstlich herzustellen. Diesen Mechanismen liegen keine kurzfristigen Gegebenheiten zugrunde. Deshalb wird Regulierung eine dauerhafte Staatsaufgabe bleiben, welche wohl215
Theobald/Templin, Strom- und Gasverteilnetze im Wettbewerb, 2011, S. V. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 21, 23. 217 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 21. 218 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 27. 219 Siehe zu Grenzkosten: Kaufer, Theorie der Öffentlichen Regulierung, 1981, S. VII f., 52 f.; Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 70, 99, 175 ff.; Lismann, NVwZ 2014, 691 (692). 220 Lismann, NVwZ 2014, 691 (692). 221 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 27. 222 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 5. 223 Es kann beispielsweise durch die Internalisierung von Externalitäten erfolgen: unerwünschte Effekte oder Handlungsweisen werden in betriebswirtschaftliche Faktoren umgewandelt und die Unternehmen auf diese Art zu effizienterem Handeln oder zur Reduktion umweltschädlicher Handlungsweisen veranlasst: Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 11. 216
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fahrtsökonomische Belange marktkonform implementiert. Nachdem herausgearbeitet wurde, warum reguliert wird, soll nachfolgend dargestellt werden, was reguliert wird und wie es reguliert wird.
IV. Regulierungsgegenstand Die Elektrizitätswirtschaft lässt sich grob in drei Bereiche einteilen: die Erzeugung, den Transport und den Vertrieb von Strom. Nicht alle dieser Teilbereiche der Wertschöpfungskette sind allen Regulierungsanforderungen des EnWG unterworfen. 1. Entwicklung bis 2004 Schon vor der Liberalisierung wurde in Deutschland die Stromerzeugung nicht durch einen Staatsmonopolisten erbracht, sondern durch neun privatwirtschaftliche Verbundunternehmen, an denen die Kommunen teilweise hohe Beteiligungen hatten.224 Mit der Ersten Novelle des EnWG 1998 und des GWB war erstmals ein netzgebietsübergreifender Wettbewerb der Energieversorger möglich.225 Bereits mit der Wiedervereinigung Deutschlands begann im Gebiet der ehemaligen DDR ein erster Privatisierungsprozess, der zur Gründung vieler kleiner und mittlerer Stadtwerke führte, die in Konkurrenz zu den großen westdeutschen Verbundunternehmen traten. Dennoch fand nach der Liberalisierung auf dem Erzeugungsmarkt von Strom und Gas insgesamt zunächst eine Konzentration statt: Aus den großen neun wurden vier große Energieerzeuger (E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall).226 Im Jahr 2003 entfielen 70 % der Stromerzeugung aus Großkraftwerken auf zwei Erzeuger: E.ON und RWE.227 Dies lag vor allem an der Art der Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zur Regulierung des Netzzugangs: In Deutschland wurde, anders als in anderen Ländern Europas, zunächst keine eigene Regulierungsbehörde geschaffen, sondern der Versuch unternommen, die Branche einer „Selbstregulierung“ zu unterwerfen. Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) und die Großverbraucher schlossen mit den sog. „Verbändevereinbarungen“ unverbindliche Verhaltenskodizes, wodurch der Zugang zum Netz für kleinere Versorger aber nur er-
224
Rn. 2. 225
Haucap/Heimeshoff, in: Hoch/Haucap, Praxishandbuch Energiekartellrecht, 2018, S. 1
Zenke/Neveling/Lokau, Konzentration in der Energiewirtschaft, 2005, S. 34. Feudel, Die deutsche Energiewirtschaft im Wandel, in: Lau/Dechange/Flegel, Projektmanagement im Energiebereich, 2013, S. 18. 227 Zenke/Neveling/Lokau, Konzentration in der Energiewirtschaft, 2005, S. 5. 226
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schwert wurde228 und die dargestellte Konzentration im Markt verstärkte. Der in der Vereinbarung festgeschriebene Anspruch auf Netzzugang zur Durchleitung von Energie war kein regulierter, sondern ein vertraglich verhandelter Netzzugang, der allein der Aufsicht des Bundeskartellamtes unterstellt war. 2. Entwicklungen ab 2005 Mit der Novelle des EnWG 2005 verloren die Verbändevereinbarungen ihre Geltung, der Netzzugangsanspruch wurde gesetzlich normiert. Mit der politischen Entscheidung zum Atomausstieg, der darauf folgenden Schaffung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes (EEG)229 und des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWK)230 erhielt der Markt neue Impulse und kleinere Versorger wie Stadtwerke wurden gestärkt.231 In ihrem aufgrund von § 63 Abs. 3 i. V. m. § 35 EnWG zu erstellenden Monitoringbericht aus dem Jahr 2014 stellte die Bundesnetzagentur fest, dass in fast 80 % der untersuchten Verteilnetzgebiete mehr als 50 Stromanbieter tätig sind.232 Einen umfassenden Marktmachtbericht zum Stromerstabsatzmarkt233 erstellte das Bundeskartellamt erstmals 2019 auf der Grundlage von § 53 Abs. 3 S. 2 GWB. Hier kam es zu dem Ergebnis, dass zwar RWE als größter Stromerzeuger noch immer 30 % Marktanteil hat, aber zum Zeitpunkt der Untersuchung weder RWE, noch ein anderes Unternehmen auf dem definierten Markt über Marktmacht verfügt, was sich im Zuge des Atomausstiegs und des Kohleausstiegs in den nächsten Jahren aber verändern könne.234 Der Monitoringbericht 2020 vom 1. März 2021 sieht RWE insbesondere durch die Fusion mit E.ON und den Kohleausstieg nun als „an der Schwelle zur Marktbeherrschung“ auf dem Erzeugermarkt Strom an, trotz einer erfreulich hohen Quote an erneuerbaren Energien an der Gesamterzeugung von 42 %.235 Mit dem Gesetz zum Strommarkt 2.0236 wollte der Gesetzgeber den Herausforderungen der Energiewende für die Versorgungssicherheit begegnen.237 Bestandteil des Gesetzes ist unter anderem der neu eingefügte § 1a EnWG, wo es in Abs. 1 Satz 1 heißt: „Der Preis für Elektrizität bildet sich nach wettbewerblichen Grundsätzen frei 228
Feudel, Die deutsche Energiewirtschaft im Wandel, in: Lau/Dechange/Flegel, Projektmanagement im Energiebereich, 2013, S. 18. 229 BGBl. I 2014, S. 1066. 230 BGBl. I 2015, S. 2498. 231 Feudel, Die deutsche Energiewirtschaft im Wandel, in: Lau/Dechange/Flegel, Projektmanagement im Energiebereich, 2013, S. 19. 232 Bundesnetzagentur, Monitoringbericht 2014, S. 140. 233 Die Erzeugung von elektrischer Energie für die allgemeine Versorgung und deren erstmaliger Absatz, Marktmachtbericht des BKartA 2019, S. 2 Rn. 4. 234 Marktmachtbericht des BKartA 2019, S. 4 Rn. 9 f. 235 Monitoringbericht 2020 des Bundeskartellamtes und der Bundesnetzagentur, S. 5, 8. 236 BGBl. I 2016, 1786. 237 BT-Drucks. 18/7317, S. 58.
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
am Markt.“ Diese Regelung ist etwas unglücklich, da nicht klar ist, welche rechtlichen Wirkungen sie haben soll,238 sind doch 74 % des Strompreises vom Lieferanten nicht beeinflussbare Kostenfaktoren wie Netzentgelte und Umlagen.239 Der Gesetzgeber stellt in der Gesetzesbegrüdung klar, dass er die Grundsätze einer wettbewerblichen und regulatorisch freien Preisbildung am Markt durch Angebot und Nachfrage für das Funktionieren eines weiterentwickelten Strommarktes für erforderlich hält.240 Wegen der nur geringen Bedeutung des frei am Markt gebildeten Preises für den Strompreis insgesamt bedeutet diese Regelung keine Abschwächung der Entgeltregulierung, sondern die Klarstellung, dass der Endkundenpreis keiner Regulierung unterliegt. Da dieser maßgeblich durch die regulierten Netzentgelte und andere gesetzlich vorgesteuerte Bestandteile gebildet wird, ist der Regelung keine zu große Bedeutung beizumessen. a) Die Erzeugung von Energie Die Erzeugung ist bei Strom die Herstellung und bei Erdgas die Förderung. Die Erzeugung ist heute ein wettbewerblich organisierter Teilmarkt und bedarf keiner spezifischen Regulierung.241 Es zeichnet sich aber auf dem Erzeugermarkt eine zunehmende Konzentration ab, welche sich im Zuge des Atom- und Kohleausstiegs noch verstärken dürfte.242 Eine Besonderheit bilden außerdem die erneuerbaren Energien: Für sie besteht für die Netzbetreiber eine vorrangige Abnahmepflicht aus § 8 Abs. 1 EEG, wobei diese Märkte in Abgrenzung zum sachlich relevanten Markt der konventionellen Erzeugung und des Stromerstabsatzes einer gesonderten Betrachtung unterliegen.243 b) Der Energietransport: der Netzbetrieb Die Wertschöpfungsstufe der Übertragung und der Verteilung von Energie, also des Transports, ist aus oben dargestellten Gründen nicht wettbewerblich organisiert und wird deshalb staatlich reguliert. Die Verpflichtung zur Gewährung von diskriminierungsfreiem Netzzugang nach § 20 EnWG umfasst solche Netze, die als Elektrizitätsversorgungsnetze der allgemeinen Versorgung gem. § 3 Nr. 17 EnWG betrieben werden. Ausgenommen von den Pflichten der Netzbetreiber sind nur sog.
238
Lange, WuW 2017, 434 (436). Monitoringbericht des Bundeskartellamts und der Bundesnetzagentur 2020, S. 28. 240 BT-Drucks. 18/7317, S. 76. 241 Knieps/Brunekreeft, Zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2002, S. 129. 242 Monitoringbericht der Bundesnetzagentur 2019, S. 43; Monitoringbericht des Bundeskartellamts und der Bundesnetzagentur 2020, S. 5. 243 Monitoringbericht der Bundesnetzagentur 2019, S. 46. 239
A. Aufgabe von Regulierung
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„Kundenanlagen“, für geschlossene Verteilnetze gelten Regulierungserleichterungen.244 Der Transport und die Verteilung von Energie verlaufen über Netze verschiedener Spannungsebenen,245 wobei die Unterscheidung zwischen dem Übertragungsnetz und dem Verteilnetz in der Praxis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat, da hieran verschieden stark ausgeformte Regulierungsvorschriften geknüpft werden.246 Das Übertragungsnetz besteht aus Hoch- und Höchstspannungsleitungen,247 welche in Deutschland in vier Regelzonen aufgeteilt sind, die jeweils von einem Regelzonenverantwortlichen betrieben werden. An die Eigenschaft als Übertragungsnetzbetreiber sind zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und der Stabilität der Netze viele regulatorische Pflichten geknüpft.248 Vor der Liberalisierung waren die vier großen Stromerzeuger auch zugleich die Betreiber der Übertragungsnetze, was sich mit der zweiten Novelle des EnWG 2005 und der Einführung der Vorschriften zum Unbundling in den §§ 6 ff. EnWG ändern musste. Seitdem haben alle großen Erzeuger die Netzsparte von der Erzeugersparte entflochten. Die ENBW Transportnetze AG hat mit Gründung der TransnetBW GmbH, einer der vier Regelzonenverantwortlichen in Deutschland, ihr Übertragungsnetz gemäß den gesetzlichen Vorgaben zum Unbundling gesellschaftsrechtlich entflochten.249 Auch die RWE AG hat ihr Übertragungsnetz zum überwiegenden Teil aus dem Rest des Konzerns ausgegliedert und ist nun als Amprion GmbH zu 74,90 % in der Hand der M31 Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Energie KG.250 Die damalige Vattenfall Europa AG hat ihr Übertragungsnetz gleich ganz verkauft, also vollständig eigentumsrechtlich entflochten: Die 50Hertz Transmission GmbH ist zu 100 % Tochter der eurogrid GmbH, welche ihrerseits zu 80 % von der Eurogrid International NV/SA und zu 20 % über die KfW gehalten wird. Erstere wird zu 100 % von der Elia Transmission Belgium gehalten.251 Auch die E.ON SE hat ihr Netz verkauft. Netzbetreiber des ehemaligen E.ON-Versorgungsgebietes ist nun die TenneT TSO
244 Siehe zur umfassenden begrifflichen Differenzierung: Hartmann, in: FS Danner, 2019, S. 207 (209 ff.). 245 Beim Transport und der Verteilung von Gas gilt das gleiche Prinzip, wobei dort nach Druckebenen unterschieden wird. 246 Siehe zu Zuordnungsfragen der Spannungsebenen BGH NVwZ-RR 2018, 430; dazu Garstecki/Hartmann, IR 2018, 180 ff. 247 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 215 ff. 248 Haucap/Heimeshoff, in: Hoch/Haucap, Praxishandbuch Energiekartellrecht, 2018, S. 5 Rn. 11 f. 249 Haucap/Heimeshoff, in: Hoch/Haucap, Praxishandbuch Energiekartellrecht, 2018, S. 10 Rn. 20. 250 Abgerufen über https://www.amprion.net/Amprion/Finanzen/Anteilseigner/, zuletzt am 25. 9. 2020. 251 Abgerufen über https://www.50hertz.com/de/Unternehmen/Struktur, zuletzt am 25. 9. 2020.
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
GmbH, welche der nationalen niederländischen Netzbetreibergesellschaft TenneT Holding BV gehört.252 Bei Strom wird der überregionale Transport, auch zum EU-Verbundnetz, vor allem in der Spannungsebene Höchstspannung mit 220 oder 380 Kilovolt (kV) durchgeführt. Fossile Großkraftwerke und Offshore-Windanlagen speisen in dieses Netz ein. Große Industrieparks oder energieintensive Produzenten sind häufig direkt an das Höchstspannungsnetz angeschlossen, sowohl für die Einspeisung als auch für die Entnahme. Dieses Übertragungsnetz war lange in der Hand der großen Erzeuger.253 An das Hochspannungsnetz (110 kV) sind Großindustrie und mittlere Windkraftanlagen angeschlossen. In das Mittelspannungsnetz (10/20 kV) speisen mittlere und kleinere Kraftwerke ein, sowohl konventionelle Blockheizkraftwerke (BHKW) als auch Solar-, Biomasse- und andere Anlagen. Das Niederspannungsnetz (230/400 V) dient der Versorgung von Haushalten und Gewerbebetrieben, die keine großen Mengen von Energie abnehmen, auch kleine Solar- oder Biomasseanlagen speisen hier ein. Die Netzebenen Mittel- und Niederspannung bilden das aus knapp 900 Netzbetreibern bestehende Verteilnetz (oder Verteilernetz), wobei diese Zahl seit über zehn Jahren fast konstant ist.254 Die meisten von ihnen sind als Stadtwerke mehrheitlich in der Hand von Kommunen. Zentraler Bestandteil der Regulierung der Wertschöpfungsstufe „Stromtransport“ ist die Netzentgeltregulierung.255 Hier bilden die §§ 21 ff. EnWG die Grundlagen. Die Aufsicht über die Umsetzung und Einhaltung der Anforderungen erfolgt seit 2005 gem. § 54 Abs. 1 EnWG durch die Bundesnetzagentur. Die Landesregulierungsbehörden sind in den in § 54 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 10 EnWG genannten Fällen zuständig, sofern das entsprechende Energieversorgungsunternehmen weniger als 100.000 Kunden hat, die Leitungen nicht die Grenzen des Bundeslandes überschreiten (Satz 2) und es nicht um den Anschluss von Biogasanlagen (Satz 3) geht. Hierbei nutzen die Regulierungsbehörden die Instrumente des klassischen Verwaltungsrechts. Dennoch unterscheidet sich das Regulierungsverwaltungsrecht in vielen Aspekten vom Polizei- und Ordnungsrecht,256 was sich auch an neuartigen Handlungsinstrumenten unter dem EnWG zeigt.257
252 Abgerufen über https://www.tennet.eu/de/unternehmen/profil/organisation/, zuletzt am 25. 9. 2020. 253 Haucap/Heimeshoff, in: Hoch/Haucap, Praxishandbuch Energiekartellrecht, 2018, S. 1. 254 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/152937/umfrage/anzahl-der-stromnetzbetrei ber-in-deutschland-seit-2006/. 255 Siehe dazu gleich mehr unter C. V. 256 Masing, Die Verwaltung (36) 2003, 1 ff. 257 Vor allem die Festlegung nach § 29 EnWG passt in keine herkömmliche Kategorie des klassischen Verwaltungshandelns.
A. Aufgabe von Regulierung
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c) Der Vertrieb von Energie Auch der Vertrieb, also die Lieferung von Energie ist ein wettbewerblich organisierter Teilmarkt, der keiner spezifischen Regulierung untersteht.258 Direkt nach der Liberalisierung Ende der 1990er Jahre war neben der Regulierung des Netzzugangs auch eine Regulierung der Preise nötig. Denn wer Netzbetreiber und folglich zur Leitungsbereitstellung für Wettbewerber nach der Verbändevereinbarung verpflichtet war, war meist auch selbst Energielieferant und hatte ein entsprechend geringes Interesse an der Duldung von Konkurrenz. Deshalb erfolgte eine ex-ante Genehmigung der Entgelte für Energie.259 Dies war jedoch wegen des Inkrafttretens der Entflechtungsregeln für vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen (EVU) absehbar260 nur ein vorübergehendes Phänomen. § 1a Abs. 1 Satz 1 EnWG stellt heute klar, dass eine Preisregulierung nicht stattfindet. d) Zwischenergebnis Gegenstand von Regulierung ist in der Energiewirtschaft heute ausschließlich der Netzbetrieb. Netzbetreiber müssen gem. § 20 Abs. 1 EnWG jedermann nach den dort aufgeführten Kriterien Zugang zu ihrem Netz gewähren. Die hierfür verlangten Entgelte sind ebenfalls Gegenstand von Regulierung, §§ 21, 21a Abs. 1, Abs. 6 i. V. m. den Vorschriften der Anreizregulierungsverordnung261 (ARegV). Die Entgeltregulierung bildet den Kern der Regulierungspraxis.
V. Regulierungsinstrumente Primäres Instrument der Regulierung ist zunächst die Implementierung von Wettbewerbsbedingungen. Wettbewerb ist gleichsam Ziel und Mittel der Regulierung.262 Hauptinstrument ist dabei heute die Kosten- und war früher die Preiskontrolle.263
258
Knieps/Brunekreeft, Zwischen Regulierung und Wettbewerb, 2002, S. 130. Tarifgenehmigung in § 12 der Verordnung über allgemeine Tarife für die Versorgung mit Elektrizität (BTO Elt), BGBl. I 1971, S. 1865. 260 Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts, Die Verwaltung (36) 2003, 1 (23). 261 BGBl. I 2007, S. 2529. 262 Möstl, GewA 2011, 266; Ehlers, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 2012, Bd. I, § 1 Rn. 17. 263 Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2015, § 21 Rn. 4. 259
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
1. Marktzugangsregulierung: der regulierte Netzzugang Im Jahr 1990 machte die erste europäische Richtlinie für große Transitleitungen264 den Anfang in einer ganzen Reihe von Richtlinien, die eine langsame Marktöffnung des Energiesektors zur Folge hatte. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und die Erdgasbinnenmarktrichtlinie aus dem Jahr 1996 führten im Rahmen der ersten EnWG-Novelle dazu, dass die monopolistisch strukturierten und staatlich konzessionierten oder sogar staatlich geführten Unternehmen Wettbewerbern erstmals Zugang zu ihren Netzen gewähren mussten.265 Das zweite Energiebinnenmarktpaket aus dem Jahr 2003 schrieb verpflichtend einen regulierten, diskriminierungsfreien Netzzugang vor, welcher mit der zweiten EnWG-Novelle266 aus dem Jahr 2005 in § 6 Abs. 1 EnWG a. F. umgesetzt wurde. Mit dem dritten Energiebinnenmarktpaket von 2009 verschärfte die EU die Entflechtungsvorschriften, der Netzzugangsanspruch ist seit der dritten EnWG-Novelle 2011 nunmehr in § 20 Abs. 1 EnWG geregelt. Der Zugangsanspruch kann einen nicht unerheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Eigentums- oder Berufsfreiheit des Netzeigentümers bedeuten267 und ist wohl als Kontrahierungszwang268 ausgestaltet, der sich auf den Abschluss eines Netzzugangsvertrages richtet.269 Die Frage nach der Rechtsnatur dieses Anspruchs ist praktisch wenig relevant, da eine Klage auf Netzzugang möglich ist, und nicht etwa nur auf Verhandlungen über den Netzzugang.270 Konkretisiert werden die Bedingungen für die Zugangsgewährung in den Zugangsverordnungen Strom und Gas271 (StromNZV und GasNZV). 2. Entgeltregulierung: Die Anreizregulierung Allein den Zugang zum Netz zu regulieren, führt dann noch nicht zu einer echten Öffnung des Netzes, wenn die Entgelte, die für diesen Zugang verlangt werden, Monopolpreisen entsprechen. Die Regulierung von Entgelten der am Markt tätigen Unternehmen ist daher das zentrale Instrument zur Herstellung von Wettbewerb und wurde erst mit der Einführung der ex-ante-Entgeltregulierung in § 23a EnWG, dann abgelöst von der Anreizregulierung (§ 21a EnWG i. V. m. der ARegV) zum Be264
Richtlinie 90/547/EWG des Rates vom 29. 10. 1990 über den Transit von Elektrizitätslieferungen über große Netze, ABl. Nr. L 313, S. 30 ff. 265 Kämmerer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 2012, Bd. I, § 14 Rn. 93. 266 BGBl. I 2005, S. 1970. 267 Kühling, Sektorspezifische Regulierung der Netzwirtschaften, 2004, S. 182. 268 Bews, Bewirtschaftungsrecht, 2017, S. 319. 269 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 37. 270 BGH vom 11. 6. 2003, VIII ZR 161/02, S. 21 (hier war Grundlage für den Zugangsanspruch § 4 EEG a. F., welcher ein gesetzliches Schuldverhältnis begründete). 271 BGBl. I 2005, S. 2243; BGBl. I 2005, S. 2210.
A. Aufgabe von Regulierung
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standteil deutscher Regulierungspraxis.272 Gewährt der Inhaber eines Netzes beispielsweise einem Wettbewerber Zugang zu seinem Netz, muss das Entgelt, welches er hierfür verlangen kann, reguliert werden.273 Die Regulierung der Entgelte kann sowohl kostenorientiert, als auch anreizorientiert ausgestaltet werden.274 Bei der Anreizregulierung wird zwischen der Price-Cap und der Revenue-Cap-Regulierung unterschieden, wobei die Revenue-Cap-Ansätze überlegen sind: Die Unternehmen werden hierdurch zu Effizienzsteigerungen angeregt, da sie die sich dadurch erhöhenden Erlöse als Gewinn einbehalten können.275 Die politische Zielrichtung in der Anreizregulierung war in den ersten beiden Regulierungsperioden276 eine Entkopplung von genehmigten Erlösen (über die Erlösobergrenzen) und Gewinnen, da alle Kosten (und „Ersatzinvestitionen“) aus dem genehmigten Budget zu decken waren und Gewinnsteigerungen durch eine Absenkung der Kosten unter das genehmigte Ausgangsniveau möglich waren.277 Die Anreizregulierung basiert auf den individuellen Erlösobergrenzen eines jeden Netzbetreibers, die zunächst für jede Regulierungsperiode anhand der Ist-Kosten dieses Netzbetreibers ermittelt („Kostenrechnung“) und von der Regulierungsbehörde festgelegt werden, § 6 ARegV.278 Die Kostenprüfung durch die Regulierungsbehörde erfolgt im vorletzten Jahr vor Beginn einer jeden Regulierungsperiode auf Basis des letzten Geschäftsjahres, § 6 Abs. 1 Satz 3 ARegV, welches als Basisjahr bezeichnet wird, § 6 Abs. 1 Satz 4 ARegV. Der behördlich festgestellte „Kostenblock“ ist mit dem genehmigten nicht identisch, die Regulierungsbehörde kann hier Anpassungen vornehmen, wenn der Netzbetreiber dies im Entgeltgenehmigungsverfahren geltend gemacht hat.279 In einem sich möglicherweise anschließenden Beschwerdeverfahren erfolgt keine umfangreiche neue Kostenprüfung, wie der Bundesgerichtshof entschieden280 und hiermit in der Literatur für Kritik gesorgt hat.281 Anschließend werden diese Kosten in dauerhaft nicht-beeinflussbare und in grundsätzlich beeinflussbare Kosten aufgeteilt, wobei letztere in den Effizienzvergleich mit anderen Netzbetreibern eingehen. Ineffizienzen sind anhand eines Verteilungsfaktors über einen gewissen Zeitraum abzubauen.282 272
Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2015, § 21 Rn. 5 ff. Theobald/Zenke/Lange, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2011, § 17 Rn. 1. 274 Ludwigs, NVwZ 2008, 954. 275 Haucap/Heimeshoff, Praxishandbuch Energiekartellrecht, 2018, S. 12 Rn. 33. 276 Strom: 2009 bis 2013 und 2014 bis 2018; Gas: 2009 bis 2012 und 2013 bis 2017. 277 Sondergutachten Monopolkommission Strom, 2017, S. 136. 278 Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, ARegV, § 6 Rn. 1 (Stand Januar 2015). 279 BGH ZNER 2012, 601. 280 BGH ZNER 2011, 423. 281 Thau/Schüffner, N&R 2011, 241 (243). 282 Sondergutachten Monopolkommission Strom, 2017, S. 135 f. 273
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Im Zuge der Energiewende kam es zu einem erhöhten Investitionsbedarf beim Netzausbau;283 während einer Regulierungsperiode genehmigungspflichtige Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen führten zu Investitionshemmnissen, da die Netzbetreiber diese nur über einen Erweiterungsfaktor geltend machen konnten.284 Netzbetreiber konzentrierten ihre Investitionen daher auf das Basisjahr.285 Dies gab Anlass zu einer Novelle der ARegV, wobei laut Bundesnetzagentur kein Grund bestand, vom „Budgetprinzip“ zu einem stärker kostenorientierten Prinzip zu wechseln.286 Der dann verabschiedete Referentenentwurf sah dennoch eine Abkehr vom Budgetprinzip vor und führte mit dem sog. Kapitalkostenabgleich umfangreiche Änderungen ein.287 Am 17. 9. 2016 trat die Novelle in Kraft.288 Nun wird nicht mehr nach Art der Investition unterschieden, sondern alle Investitionen über einen Kapitalkostenaufschlag oder -abzug erfasst, der jährlich durch die Regulierungsbehörde zu ermitteln ist.289 Um den Anreiz zu kapitalintensiven Investitionen abzumildern, wurde in § 12a ARegV zusätzlich ein Effizienzbonus für Verteilnetzbetreiber mit einem Effizienzwert von 100 % eingeführt. Außerdem erhält die Bundesnetzagentur weitere Kompetenzen bei der Ermittlung der Vergleichsparameter im Rahmen des Effizienzvergleichs, da vorgegebene Parameter in § 13 Abs. 4 ARegV entfallen. 3. Unbundling oder Entflechtung von Energieversorgungsunternehmen Um den Netzzugang zu ermöglichen, müssen die Unternehmen, die vor der EnWG-Novelle 2005 die Erzeugung, den Netzbetrieb und den Handel mit Energie in einem Unternehmen vereinten (sog. vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen, § 3 Nr. 38 EnWG), den Betrieb des Netzes an ein eigenständiges Unternehmen ausgliedern. Das Unbundling dient also der Durchsetzung der Vorgaben zum Netzzugang und ist in den §§ 7 bis 10e EnWG geregelt. Es wird differenziert zwischen der rechtlichen, der operationellen, der informationellen und der buchhalterischen Entflechtung. Es gibt verschiedene Entflechtungsmodelle: Die eigentumsrechtliche Entflechtung erfolgt durch die Trennung von Erzeugung bzw. Vertrieb und Netz, beim Modell Independant System Operator verbleibt das Netz im Eigentum des Konzerns, der Netzbetreiber wird „ausgelagert“. Beim Independant Transmission Operator werden sowohl die Erzeugung als auch der Vertrieb ausgelagert.
283
Missling, IR 2017, 2 (2). Sondergutachten Monopolkommission Strom, 2017, S. 137. 285 Sondergutachten Monopolkommission Strom, 2017, S. 137. 286 Missling, IR 2017, 2 (2). 287 Sondergutachten Monopolkommission Strom, 2017, S. 139. 288 Zweite Verordnung zur Änderung der Anreizregulierungsverordnung, BGBl. I 2016, S. 2147. 289 Sondergutachten Monopolkommission Strom, 2017, S. 140. 284
A. Aufgabe von Regulierung
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Im nun entflochtenen Unternehmen schließen die Eigentümer des Netzes mit dem erfolgreichen Bewerber um die Rolle des Netzbetreibers einen Wegenutzungsvertrag über eine Laufzeit von maximal 20 Jahren (§ 46 Abs. 2 EnWG). 4. Kartellrecht als Regulierungsinstrument290 ? Während der alleinigen Aufsicht des Bundeskartellamts über die Energiemärkte, also vor Beginn der Liberalisierung 1998, beschäftigte sich das Bundeskartellamt vor allem mit Zusammenschlussvorhaben. Zu Beginn festigte sich die Monopolstellung einzelner Unternehmen in ihrem Netzgebiet, da Verträge zwischen Energieversorgungsunternehmen gem. § 103 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F.291 dem Anwendungsbereich des § 1 GWB entzogen waren: Demarkationsverträge waren von der energiekartellrechtlichen Prüfung ausgenommen.292 Mit Neufassung des EnWG 1998293 wurde die Bereichsausnahme des § 103 GWB a. F. für die Energiewirtschaft abgeschafft, sodass sich langsam eine Abkehr vom Duopol (RWE und E.ON) abzeichnete.294 In dieser frühen Phase vor Gründung der Bundesnetzagentur war das Kartellrecht also höchstens ein wenig taugliches Instrument in der Regulierung des Energiemarktes, da etwa der verhandelte Netzzugang, den der deutsche Gesetzgeber zur Umsetzung der ersten Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie einführte, kaum zu Wettbewerb führte und überdies wegen der fragwürdigen Rechtmäßigkeit der Bindungsfristen von Strombezugsverträgen die Kartellgerichte beschäftigte.295 In den letzten Jahren findet vor allem wegen der europäischen Kompetenzzunahme im Bereich des Kartellrechts die Frage Eingang in die Literatur,296 ob und wie das Kartellrecht selbst ein Instrument der Regulierung sein kann. Die Europäische Kommission drängt im Kartellrecht immer weiter in Gebiete vor, die qualitativ einer Regulierung ähneln, da sie marktsteuernd wirken. Es wird von einer „Quasi-Regulierung“ gesprochen.297 Da alle hierzu verlautbarten Stimmen sich vor allem auf das Verfahren rund um die Verpflichtungszusagen der Kommission zu Art. 9 der VO 1/2003298 beziehen, scheint es zumindest aktuell an einer Relevanz des Kartellrechts als eigenständiges „Regulierungsinstrument“ für die umfassende nationale Regulierungspraxis zu fehlen. 290
Gleichnamige Dissertation von Schulz, 2018. BGBl. I 1957, S. 1081. 292 Becker/Engelsing, in: FS Säcker, 2011, S. 561 (562). 293 BGBl. I 1998, S. 730. 294 Becker/Engelsing, in: FS Säcker, 2011, S. 561 (564). 295 Theobald, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 3. Auflage 2011, § 1 Rn. 69. 296 Schulz, Kartellrecht als „Regulierungsinstrument“, 2018; Brenner, EuR 2014, 671. 297 Brenner, EuR 2014, 671 (672). 298 Verordnung EG Nr. 1/2003 des Rates vom 16. 12. 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. Nr. L 1 vom 4. 1. 2003, S. 1 ff. 291
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
VI. Zwischenergebnis Das Regulierungsverwaltungsrecht ist mehr als ein Sonderkartellrecht. Ihm stehen spezifische Instrumente zur Verfügung, welche im Bereich der Netzregulierung vor allem über die Anreizregulierung wettbewerbsanaloge Entgelte statt Monopolpreise ermöglichen sollen.
B. Regulierungsrecht als öffentliches Privatisierungsfolgerecht? Gelegentlich wird das Regulierungsrecht auch als Privatisierungsfolgerecht bezeichnet.299 Dieser Begriff wird hier für den Bereich der Energie als ungeeignet betrachtet, da er wichtige Eigenschaften des Energierechts unberücksichtigt lässt.
I. „Abwicklung“ ehemals staatlicher Unternehmen Seit der Liberalisierung der Strom- und Gaswirtschaft wurden Überlegungen zur Schaffung eines einheitlichen Regelungswerks für die netzgebundenen Infrastrukturen angestellt.300 Allerdings ist nicht zuletzt wegen des unterschiedlichen Grades staatlicher Beteiligung an diesen Infrastrukturen eine einheitliche Charakterisierung, wenn überhaupt, nur abstrakt möglich. Oben (S. 39) wurde dargestellt, dass es im Energiesektor nie einen Staatsmonopolisten gab. Schon weil es also an flächendeckenden Privatisierungen ehemals staatlicher Unternehmen fehlt, scheint der Begriff des Privatisierungsrechts den Energiesektor nur unzureichend zu beschreiben.
II. Regulierung als Aufgabe von Dauer Zudem impliziert die Bezeichnung als Privatisierungsfolgerecht, dass es sich lediglich um eine Übergangsnotwendigkeit handelt. Die Überführung der monopolistisch geschlossenen Versorgungsgebiete in den Wettbewerb brachte das sich anschließend entwickelnde Regulierungsrecht hervor.301 Das Regulierungsrecht geht daher über ein reines Abwicklungsrecht für die ehemals staatlichen oder mit staatlicher Lizenz monopolisierten Unternehmen oder Infrastrukturbereiche mittlerweile 299
Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2017, § 1 Rn. 11. Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 ff.; ders., in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, Bd. I, 2006, Gutachten D 1; Säcker, AöR 130 (2005), 180; ders., EnWZ 2015, 531 (532 f.); Burgi, NJW 2006, 2439; Storr, DVBl. 2006, 1017; Möstl, GewA 2011, 265; siehe auch Korte, in: Kirchhof/Korte/Magen, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 2014, § 4 Rn. 3 ff.; Mengering, Die Entgeltregulierung im Telekommunikations- und Energierecht, 2017. 301 Lackner, Gewährleistungsverwaltung und Verkehrsverwaltung, 2004, S. 11. 300
C. Die Abgrenzung von Regulierungsrecht und Kartellrecht
73
hinaus.302 Zunehmend wird es als eigenständiges Untergebiet des öffentlichen Wirtschaftsrechts, als eine Verselbstständigung des Wirtschaftsverwaltungsrechts, auch anerkannt.303
C. Die Abgrenzung von Regulierungsrecht und Kartellrecht Die Überprüfung wettbewerblichen Verhaltens gibt es auch im Kartellrecht. Das Kartellrecht war aber für die vorliegende Konstellation der netzgebundenen Infrastrukturen ungeeignet.304 Zwar gab es beispielsweise mit § 19 Abs. 4 Satz 4 GWB bereits vor der EnWG-Novelle von 2005 einen allgemeinen Netzzugangsanspruch, welcher als „Herzstück“ der Regulierung der Netzwirtschaften bezeichnet wurde.305 Allerdings kannte das Kartellrecht keine ausreichenden Kontrollmechanismen, um den Besonderheiten dieser Infrastrukturen gerecht werden zu können.306 Geht es um Bereiche des Regulierungsrechts, die nicht dem Wirkbereich des EnWG unterstellt sind, gibt es weitgehende Kompetenzüberschneidungen zwischen Kartellaufsicht und Regulierung, sowohl institutionell als auch gesetzlich.307 Zur Abgrenzung von Regulierungs- und Kartellrecht lassen sich nach Brenner fünf Kriterien zusammengetragen,308 die die wesentlichen Unterschiede gut zusammenfassen und daher hier wiedergegeben werden sollen.
I. Fünf Kriterien zur Abgrenzung des Regulierungs- vom Kartellrecht Anhand der folgenden Kriterien, die als Indizien gewertet werden können, kann eine Abgrenzung des Regulierungsrechts in seiner spezifischen Ausprägung vom Kartellrecht gelingen. a) Das spezialgesetzliche Kriterium: Handelt die Behörde auf einer spezialgesetzlichen Grundlage zur Durchsetzung von Wettbewerb in einem spezifischen Sektor, kann dies regelmäßig als Regulierungstätigkeit angesehen werden. 302
Die geführte Diskussion um das Regulierungsrecht wäre auch nicht zu erklären, wenn es sich lediglich um ein vorübergehendes Phänomen handeln würde: Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (2). 303 Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 67a. 304 Kämmerer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, 2012, Bd. I, § 14 Rn. 1. 305 Kühling, Sektorspezifische Regulierung der Netzwirtschaften, 2004, S. 182. 306 Nicht umsonst wird das Kartellrecht mitunter als „stumpfes Schwert“ bezeichnet: Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (15). 307 Vor allem in Vergabeverfahren, siehe hierzu Keller/Hellstern, NZBau 2018, 323 (323 f.). 308 Zum folgenden Abschnitt Brenner, EuR 2014, 671 (674 – 675).
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
b) Das institutionelle Kriterium: Handelt eine Behörde, die aufgrund einer eigenen gesetzlichen Bestimmung dazu beauftragt ist, Wettbewerb herzustellen oder zu sichern, kann auch das als Regulierungstätigkeit gelten. c) Das historische Kriterium: Geht die Tätigkeit der Behörde auf eine Marktöffnung wegen einer staatlichen Intervention zurück („Privatisierungsfolgerecht“), ist auch hier eine Regulierungstätigkeit naheliegend. d) Das gegenstandsbezogene Kriterium: Handelt die Behörde zur Durchsetzung von Wettbewerb auf einem netzgebundenen Markt, kann dies typischerweise als Regulierung gelten. e) Das tätigkeitsbezogene Kriterium: Handelt die Behörde im Sinne einer ex-ante Perspektive, schafft sie marktgestaltende Vorgaben statt eingrenzende, ex-post Vorgaben, liegt wahrscheinlich auch hier Regulierung vor.
II. Der ordentliche Rechtsweg als mögliches Indiz für die Rechtsnatur des Regulierungsrechts Das hoheitliche Handeln der Regulierungsbehörden ist in Ausführung des EnWG und seiner Begleitverordnungen dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Hingegen ist gem. § 75 EnWG die Beschwerde gegen alle Entscheidungen der Regulierungsbehörde zum Oberlandesgericht (OLG) des Bundeslandes zulässig, in welchem die Regulierungsbehörde ihren Sitz hat. Für die Bundesnetzagentur ist so also das OLG Düsseldorf zuständig. Laut Geschäftsverteilungsplan 2020309 ist der 18. Zivilsenat für Streitigkeiten aus dem öffentlichen Recht zuständig, worunter die Streitigkeiten nach dem EnWG bis auf die Vergabe von Konzessionen nach § 46 EnWG fallen, welche dem 27. Zivilsenat zugeordnet ist. Auch mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts310 hat sich an der Rechtswegzuweisung zu den Zivilgerichten in diesem Bereich nichts geändert.311 Die Vergabe von Konzessionen erfolgt in der Regel nicht einseitig durch einen Hoheitsakt sondern durch Verträge zwischen Kommune und Netzbetreiber. Die Zuweisung zu den ordentlichen Gerichten hat aber keine Indizwirkung für die Rechtsnatur des Regulierungsrechts als Privatrecht.
III. Monopolverbot unter dem GWB Infrastrukturen sind nach einer Entwicklung im US-amerikanischen Recht wesentliche Einrichtungen, für die ein Monopolverbot und ein Verbot der Ausnutzung der Monopolstellung galt.312 Es wurde mit der sechsten GWB-Novelle313 in natio309 310 311 312
Abrufbar unter www.olg-duesseldorf.nrw.de. BGBl. I 2016, S. 203. Bönnighausen, IR 2018, 211. Theobald/Theobald, Grundstrukturen des Energiewirtschaftsrechts, 2013, S. 30.
C. Die Abgrenzung von Regulierungsrecht und Kartellrecht
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nales Recht umgesetzt, hier zunächst in § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB a. F. Für solche Infrastruktureinrichtungen, die wesentlich für das Tätigwerden auf einem konkreten Markt sind, sollte das Verbot einer Zugangsverweigerung des marktbeherrschenden Unternehmens gegenüber Wettbewerbern unzulässig sein und so zur Aufhebung von Marktzutrittsschranken führen.314 Es handelt sich hierbei als Netzzugangsanspruch um ein Regulierungsinstrument.315 Heute hat auch die Kommission als europäisches Exekutivorgan mit Art. 102 AEUV316 ein direktes Kontrollinstrument zur Hand, wenn es um die Kontrolle marktmissbräuchlichen Verhaltens geht.317 Bis zum Jahr 2005 enthielt das EnWG keine klare Regelung zur Abgrenzung von der kartellbehördlichen zur regulierungsrechtlichen Aufsicht.318 Die Aufsicht über die Betreiber der Energieversorgungsnetze lag beim Bundeskartellamt.319 Mit dem Zweiten Gesetz zur Neuregelung des EnWG vom 7. 7. 2005 stellte der Gesetzgeber in § 111 Abs. 1 Satz 1 EnWG klar, dass die §§ 19, 20 und 29 GWB nicht anzuwenden sind, soweit die Regelungen dieses Gesetzes sowie die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen abschließende Regelungen enthalten. Nach § 185 Abs. 3 GWB sind die Vorschriften des §§ 19, 20 und 29 GWB weiterhin grundsätzlich neben denen des EnWG anwendbar, wenn nicht in § 111 EnWG anders bestimmt. § 111 Abs. 2 EnWG erklärt die Bestimmungen des Teils 3 sowie die aufgrund von Teil 3 erlassenen Rechtsverordnungen für abschließend, also die in §§ 11 – 35 EnWG geregelte Regulierung des Netzbetriebs. Damit sind der Netzzugang und der Netzanschluss in der alleinigen Zuständigkeit der Regulierungsbehörden und dem Anwendungsbereich des GWB entzogen. Seitdem ist das Verhältnis von GWB und EnWG somit eindeutig und die Zuständigkeit im Regulierungsrecht liegt zu einem überwiegenden Teil bei der Bundesnetzagentur bzw. den Landeregulierungsbehörden.320 Die vor dem Jahr 2005 beklagten321 fehlenden Durchsetzungsmechanismen des Regulierungsrechts, die fragmentierte, ausschließlich bei den verschiedenen Landesregulierungsbehörden liegende Zuständigkeit für den Energiesektor und das 313
BGBl. I 1998, S. 251. Schröter/Bartl, in: Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 2015, Art. 102 AEUV Rn. 284 f. 315 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 103. 316 Konsolidierte Fassung ABl. Nr. C 326 v. 26. 10. 2012, S. 1. 317 So hielt beispielsweise die Kommission die Verweigerung eines marktbeherrschenden Gasimportunternehmens wegen langfristiger Buchung von Kapazitäten und einer damit begründeten Ablehnung des Netzzugangs für Wettbewerber: Beschluss der Kommission vom 3. 12. 2009, COMP/39.316 – Gaz de France. 318 Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, StromNEV, § 1 Rn. 23 (Stand Februar 2008). 319 BT-Drucks. 15/3917 vom 14. 10. 2004, S. 46. 320 Theobald, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2011, § 1 Rn. 106. 321 Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (15). 314
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
daraus resultierende Verwiesensein auf „das stumpfe Schwert des Kartellrechts“322 wurde mit Gründung der Bundesnetzagentur und Inkrafttreten des EnWG 2005 von einem spezifischen Regulierungsregime abgelöst, das den Besonderheiten des Energiesektors Rechnung trägt.
IV. Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden nach § 58 EnWG Der Gesetzgeber des neuen EnWG wollte eine Rechts- und Zuständigkeitsfragmentierung vermeiden und hat mit § 58 EnWG eine ausführliche Regelung zur Abgrenzung der Kompetenzbereiche geschaffen. Allerdings soll die Expertise des Bundeskartellamts weiterhin zur Verfügung stehen, weshalb einige Beteiligungsrechte der Kartellaufsicht an den Verfahren bei der Bundesnetzagentur gesetzlich gewährleistet werden.323 Gem. § 58 Abs. 2 EnWG hat die Regulierungsbehörde dem Bundeskartellamt in Missbrauchsverfahren im Bereich leitungsgebundener Energieversorgung außerdem Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.324 Nach Abs. 3 wirken Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur auf eine einheitliche Rechtsanwendung hin und haben sich nach den Vorgaben des Abs. 4 gegenseitig zu informieren.325 In diesem überschaubaren Teil der Regulierungstätigkeit der Bundesnetzagentur ist weiterhin eine direkte Beteiligung des Bundeskartellamts vorgesehen.
V. Zivilrechtliche Preisaufsicht Seit 2008 und zunächst befristet bis Ende 2012,326 verlängert bis Ende 2017 hatte das Bundeskartellamt in § 29 GWB ein Instrument zur Preisaufsicht bei Energieversorgungsunternehmen, welche eine marktbeherrschende Stellung gem. den Kriterien des § 19 Abs. 2 GWB innehatten. Daneben trat eine Energiepreiskontrolle nach § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB327), welche heute nur noch anwendbar ist, wenn eine einseitige Bestimmung des Preises durch den Energielieferanten erfolgt. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der Kunde im Rahmen der Grundversorgungsverordnungen (StromGVV328/GasGVV329) beliefert wird330 und der Lieferant Preisanpassungen vornimmt.331 322
Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (15). Franke, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2011, § 19 Rn. 14; BTDrucks. 15/3917 vom 14. 10. 2004, S. 69. 324 BT-Drucks. 15/3917 vom 14. 10. 2004, S. 69. 325 BT-Drucks. 15/3917 vom 14. 10. 2004, S. 69 – 70. 326 Becker/Blau, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2011, § 12 Rn. 27. 327 BGBl. I 2002, S. 42. 328 BGBl. I 2006, S. 2391. 323
D. Zusammenfassung
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VI. Die Missbrauchsaufsicht nach § 18 und die Fusionskontrolle nach § 35 GWB Das Bundeskartellamt hat auch für Energieversorgungsunternehmen die Zuständigkeit in der Missbrauchskontrolle über die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nach § 18 GWB und über die Fusionskontrolle nach § 35 GWB.
VII. Zwischenergebnis Kartellaufsicht und Regulierung verfolgen ähnliche Ziele in unterschiedlichen Kontexten. Regulierung hat, im Unterschied zur Kartellaufsicht, neben der oben dargestellten Gewährleistungsverantwortung auch eine Ergebnisverantwortung. In den Bereichen, die der allgemeinen Wettbewerbsaufsicht des Kartellrechts unterstellt sind, gibt es die oben beschriebenen Bündelungseffekte und Verbundvorteile der natürlichen Monopole nicht. Deshalb muss sich diese Aufsicht auf eine Überwachung der Einhaltung gewisser „Spielregeln“ beschränken, wie zum Beispiel Fairness in Werbung und anderem wettbewerblich relevanten Marktverhalten sowie die Verhinderung von Kartellbildung etwa durch Preisabsprachen. Vor allem findet Regulierung nicht ex-post statt, wie die Kartellaufsicht nach dem GWB, sondern hauptsächlich steuernd durch ex-ante-Maßnahmen zur Marktgestaltung. Das Energieregulierungsrecht beinhaltet wie kaum ein anderes Gebiet des besonderen Verwaltungsrechts eine Vielzahl normativer Finalprogramme, also Normen, die sich an die Regulierungsbehörden mit der Aufgabe richten, den Markt nach einer bestimmten Maßgabe zu ordnen und gleichzeitig ein gesellschaftspolitisch erwünschtes Ergebnis zu erzielen.332 Verstünde man das Regulieren allein im Sinne einer staatlichen Aufsicht über das privatwirtschaftliche Handeln, würde dies den Besonderheiten der Regulierungssituation nicht gerecht, weshalb die Charakterisierung des Regulierungsrechts als Sonderkartellrecht zu kurz greift.
D. Zusammenfassung Das Regulierungsrecht kann mittlerweile mit guten Gründen als Rechtsgebiet Eigenständigkeit beanspruchen. Die aufgezeigten Besonderheiten der netzgebundenen Infrastrukturen sind identifizierbar und rechtfertigen vor allem in Abgrenzung zum Kartellrecht eigene Begriffe und Strukturen, wie sie zum Teil bereits herausgebildet wurden. Die Handlungsinstrumente der Regulierungsbehörden sind an diese 329 330 331 332
BGBl. I 2006, S. 2391, 2396. Becker/Blau, in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2011, § 12 Rn. 86. Siehe zu Fragen der Preisanpassungen im Stromliefervertrag BGH NJW-RR 2017, 1206. Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 (25).
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1. Teil Kap. 2: Regulierungsbegriffe, -instrumente und Wettbewerb
besonderen Strukturen angepasst und stellen sich gegenüber denjenigen des allgemeinen Ordnungsrechts als neuartig dar. Die Herstellung effektiver, aber künstlicher und kontrollierbarer Wettbewerbsbedingungen ist auch ein ordnungspolitisches Ziel der Europäischen Union und spiegelt sich in Gesetzgebung und Rechtsprechung wider.
Zweiter Teil
Behördliche Entscheidungsfindung im Gefüge der Gewaltenteilung Rechtsschöpfung findet in der Gesamtheit der Gewaltenteilung durch formelle und untergesetzliche Rechtssetzung und durch Rechtsanwendung1 statt.2 Die Rechtsanwendung ist sowohl Aufgabe der Gerichte als auch der Behörden, wobei letztere den „ersten Kontakt“ mit der Subsumtion eines Lebenssachverhalts unter eine Gesetzesvorschrift – also dem Gesetzesvollzug – haben.3 Das im ersten Teil der Arbeit aufgezeigte Regulierungsrecht hat eine Ausrichtung auf die behördliche Rechtsanwendung, wobei das Gerichtsverfahren immer den „Fluchtpunkt für die Analyse des Rechtssystems“ bildet, soweit es um einklagbare Ansprüche geht.4 Das Grundgesetz ermöglicht die „arbeitsteilige“ Produktion und Anwendung von Recht im Rechtsstaat.5 Die Abgrenzung der Kompetenzbereiche der drei Gewalten kann mitunter schwierig sein, wobei der Gesetzgeber stets den Ausgangspunkt bildet: Er darf unter Beachtung der Vorbehaltslehre und des Bestimmtheitsgebots den Bindungsgrad der Verwaltung und hiermit den Umfang der gerichtlichen Kontrolle, der sie unterworfen sind, festlegen. Grundlage der Ermittlung behördlicher Letztentscheidungskompetenzen, also solcher, die das Gericht nur auf das Vorliegen bestimmter Fehler nachprüfen darf, ist der Wille des Gesetzgebers; diesen zu ermitteln, dürfte oftmals die größte Schwierigkeit im Auffinden behördlicher Letztentscheidungsermächtigungen sein.6 Der Verwaltung können je nach Tiefe der eingeräumten Spielräume durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und offener Rechtsfolgenanordnung erhebliche Gestaltungsspielräume zukommen, die der gerichtlichen Überprüfung in Teilen entzogen sind.7 Diese Freiräume stehen grundsätzlich im Einklang mit der verfassungsrechtlich in Art. 20 Abs. 2 GG ver1 Bereits auf Hans Kelsen zurückgehendes Verständnis der rechtsschöpferischen Tätigkeit im Gefüge der Gewaltenteilung: Kelsen, Die Lehre von den drei Gewalten oder Funktionen des Staates, in: Klecatsky/Marcic/Schambeck, 2010, S. 1331 (S. 1334 ff.); Hassemer, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, 2010, S. 252; Lepsius, JuS 2019, 14 (15); Franzius, JZ 2019, 161 (165), m. w. N. 2 Lepsius, JuS 2019, 14 (15 f.). 3 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (898). 4 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 241. 5 Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (40). 6 Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 33. 7 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (194 f.).
80
2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
ankerten Gewaltenteilung und zugleich im Spannungsverhältnis zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz als umfassende gerichtliche Kontrolle hoheitlichen Handelns aus Art. 19 Abs. 4 GG.8 Kapitel 3
Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen A. Grundlagen: § 40 VwVfG und § 114 VwGO Administrative Rechtsanwendung ist nur selten Gesetzesvollzug, sondern meist auch Rechtsfortbildung. Sie ist Vollzug nur dann, wenn in einem eindeutigen Sachverhalt an einen eindeutigen Gesetzeswortlaut eine eindeutige Rechtsfolge9 geknüpft10 ist. Meist aber spielt die Interessenabwägung zum Erreichen von Einzelfallgerechtigkeit eine zentrale Rolle im Prozess administrativen Gesetzesvollzugs.11 Da die hierfür zentralen Normen des allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts12 zwar Aussagen über die behördliche Anwendung (§ 40 VwVfG) und die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen (§ 114 VwGO) treffen, nicht aber über deren materiell-rechtliche Voraussetzungen,13 haben Rechtsprechung und Lehre für die Ausübung und die Kontrolle administrativer Entscheidungsspielräume eine Dogmatik entwickelt, die bis heute Anerkennung genießt oder zumindest mangels tragfähiger Alternativen14 weitgehend Anwendung findet.15
8
Redeker/von Oertzen, VwGO, 2014, § 114 Rn. 1. Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 1. 10 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 11: Die Autoren sehen gar eine Legitimation zur schöpferischen Gestaltung aus eigener Initiative und nach eigenen Vorstellungen; Redeker/von Oetzen, VwGO, 2014, § 114 Rn. 4: Eine sog. gebundene Entscheidung liegt vor, wenn alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und die Behörde die gesetzlich festgelegte Rechtsfolge anzuordnen hat; Hufen, ZJS 2010, 603 (603). 11 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 13; Schwarz, in: Fehling/Kästner/Störmer, Verwaltungsrecht, 2016, § 114 VwGO Rn. 4. 12 Inwieweit diese Normen den Gegebenheiten des Besonderen Teils des Verwaltungsrechts gerecht werden können, steht zu bezweifeln: Franzius, JZ 2019, 161 – 167, fordert eine „behutsame Modernisierung“ des Rechtgebiets (167). 13 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 2016, § 114 VwGO Rn. 2. 14 Zum Regulierungsermessen als bereichsspezifische Alternative im dritten Teil dieser Arbeit, Kap. 5 und 6. 15 So etwa Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 14 Rn. 36; etwas differenzierter: Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 8 Rn. 512; im Ergebnis ähnlich: Kluth, in Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2017, § 31 Rn. 5 f.; Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 7 Rn. 42; Ludwigs, JZ 2009, 290 (291). 9
A. Grundlagen: § 40 VwVfG und § 114 VwGO
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I. Die Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge Grundlage dieser Dogmatik ist die Annahme der Zweigliedrigkeit von Rechtsnormen.16 Diese sog. Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge17 führt zu differenzierten Anwendungs- und Kontrollmaßstäben für diese beiden Kategorien,18 die sich insgesamt an § 40 VwVfG und § 114 Satz 1 VwGO orientieren. Dabei werden unbestimmte Rechtsbegriffe mit einem Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite einer Norm verortet, ein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite.19 Der Beurteilungsspielraum bezieht sich also auf die Auslegung dieser unbestimmten Gesetzesbegriffe, die Ausübung eines Ermessens auf die Auswahl einer von mehreren gleichermaßen rechtmäßigen Rechtsfolgen.20 Das der Ermessensdogmatik zugrundeliegende Normverständnis und damit die Trennung des Ermessens vom Beurteilungsspielraum sind jedoch in den letzten Jahren wissenschaftlich ins Wanken geraten.21 Dies liegt nicht zuletzt an der zunehmenden Annahme der nur mangelnden Eignung dieses Dogmas für die Anwendung komplexer, nicht-konditionaler,22 sondern auf das Erreichen bestimmter Ziele gerichteter Rechtssätze,23 die zur Bildung verschiedener Sonderformen geführt hat.24 So sieht einer der renommiertesten Kommentare zum deutschen Grundgesetz die etablierten Begrifflichkeiten der gebundenen Entscheidung und der Ermessensentscheidung als überkommen an und bringt stattdessen – fast beiläufig – die Begriffe der rechtsgebundenen und der rechtsgestaltenden Abwägung ein.25 Andere begnügen sich mit der Feststellung, die Dogmatik sei überkommen oder überhaupt entbehrlich, ohne eine alternative Terminologie oder Vorgehensweise vorzuschlagen.26 Dies liegt auch an einem insgesamt stattfindenden Wandel in der gesetzge16
Redeker/von Oetzen, VwGO, 2014, § 114 Rn. 4. Vgl. zu den historischen Gründen für deren Herausbildung: Hoffmann-Riem, AöR 2005, 5 (12 f.). 18 Waldhoff, JuS 2015, 286 (287). 19 Redeker/von Oetzen, VwGO, 2014, § 114 Rn. 4 f. 20 Etwa BVerwGE 62, 230 (241); 72, 38 (53). 21 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208 (Stand Juli 2014); Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 2 f.; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 188 (Stand September 2018); Proelß, AöR 136 (2011), 402 (425); Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 14 f. (Stand Februar 2019); Voßkuhle sieht das aus dogmatischen Gründen kritisch, JuS 2008, 117 (119). 22 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 186 (Stand Juli 2014). 23 Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 20 f. 24 So etwa das Planungsermessen in den 1960er Jahren und das Regulierungsermessen ab 2007; vgl. zum Bedürfnis einer Anpassung gerade bei der Behörde eröffneten Prognoseräumen Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 2 f. 25 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208 (Stand Juli 2014). 26 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (195); Waldhoff, JuS 2015, 286 (287); Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 16. 17
82
2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
berischen Struktur.27 Besonders das aus der Zweigliedrigkeit von Rechtsnormen folgende Postulat eines einzig richtigen Ergebnisses am Ende des Erkenntnisvorgangs „Unterordnung des Sachverhalts unter den gesetzlichen Tatbestand“ sowie „Bewertung und Auslegung“,28 scheint überkommen. Alldem zugrunde liegt der Anspruch, „richtige“ Entscheidungen zu treffen.29
II. Abkehr von der Annahme der Zweigliedrigkeit von Rechtsnormen In noch jungen Rechtsgebieten wie dem Regulierungsverwaltungsrecht zeigt sich, dass die gängige Dogmatik zur behördlichen Entscheidungsfreiheit wegen der komplexen behördlichen Entscheidungsprogramme nur teilweise geeignet und eine Alternative an vielen Stellen – wenn überhaupt – nur fragmentarisch herausgebildet ist.30 Wegen des grundlegenden Charakters einer Methode für ihre Wissenschaft31 sind die Implikationen eines solchen dogmatischen Wandels, sei er auch erst in den Anfängen befindlich, groß. Denn Methode und Dogmatik sind eng miteinander verwoben,32 wobei die Methode die Dogmatik, so sie das gegenständliche Recht behandelt, bestimmen sollte.33 Ohne auf die Kritik an der Wissenschaftlichkeit der Dogmatik34 im engeren Sinne vertieft eingehen zu können,35 erfordert die Darstellung der Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen auch einen Blick auf die Natur der Rechtsdogmatik, wobei die im Wandel befindliche Verwaltungsrechtswissenschaft oder zumindest doch Forderungen36 nach einer „neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“37 ganz allgemein nicht vertieft behandelt werden sollen. 27
Vgl. hierzu umfassend Lepsius, JuS 2019, 14 und JuS 2019, 123. Laut Redeker/von Oetzen handelt es sich hierbei dennoch um die herrschende Meinung: VwGO, 2014, § 114 Rn. 5. 29 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 241 f. 30 Waldhoff, JuS 2015, 286 (288). 31 Vgl. Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, § 1 Rn. 1. 32 Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, § 1 Rn. 6. 33 „Die Methode bestimmt den Gegenstand, nicht der Gegenstand die Methode“, Franzius, JZ 2019, 161 (162). 34 Dazu Waldhoff, in: Kirchhof/Magen/Schneider, Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 ff. 35 Nach Kant ist die Dogmatik „Verfahren der reinen Vernunft, ohne vorangehende Kritik ihres Vermögens“, Kaufmann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, 2011, S. 1, m. w. N. 36 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 2 Rn. 18; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 453 ff. 37 Voßkuhle, Die Verwaltung 32 (1999), 545 (547 f.); Möllers, VerwArch 93 (2002), 22 ff.; Franzius, Die Verwaltung 39 (2006), 335 ff.; Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2012, § 1 Rn. 2 ff.; hierzu kritisch Battis, BRJ 2011, 41; Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2017, § 2 Rn. 1 m. w. N. 28
A. Grundlagen: § 40 VwVfG und § 114 VwGO
83
III. Kompetenzfragen und Methodenfragen Die Ausgestaltung behördlicher Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von verfassungsrechtlichen Garantien wie dem als „Krönung des Rechtsstaates gefeierten“38 Art. 19 Abs. 4 GG, sachgerechter Einzelfallgestaltung39 und prognostischer Wirtschaftssteuerung ist Gegenstand der juristischen Methodenlehre und der juristischen Dogmatik.40 Grundsätzlich vorgelagert und doch teilweise hiermit verwoben ist aber die Frage nach der Kompetenz: Erst wenn die Kompetenzfrage beantwortet ist, kann die Methodenfrage gestellt werden. Die Zuweisung von Entscheidungskompetenzen an die Behörde sagt noch nichts über ihre Befugnis zur Letztentscheidung aus. Diese ist grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn das „Erkenntnispotential“ der Behörde ein höheres wäre als dasjenige der Gerichte41 oder andere zwingende Gründe dafür sprechen, den Behörden die Letztentscheidung zu übertragen. Darauf wird zurückzukommen sein. Hierbei leidet das Verwaltungsrecht an einem mangelnden Interesse für seine eigene Methode.42 Die Methodenlehre gibt die Dokumentation und den Nachvollzug einer konkreten Entscheidung – die nach heute herrschendem Verständnis43 nur mithilfe dessen getroffen werden kann, was das Gesetz zur Verfügung stellt – als Überprüfungsmechanismus vor und misst die Richtigkeit einer Entscheidung an ihrer methodischen Korrektheit.44 Dies bedeutet aber nicht, „den Inhalt der kodifizierten Norm ohne Weglassung und Hinzufügung exakt auf den zu entscheidenden Fall“45 zu projizieren. Vielmehr geht es um die Herausbildung von „Anwendungshilfen für das Recht“, die Systematisierung und Kategorisierung von Recht, um dieses berechenbar zu machen und dadurch an rechtsstaatliche Anforderungen anzupassen; das ist das Ziel der juristischen Dogmatik.46 Dogmatik dient also der Rechtssicherheit. Gegenstand juristischer Dogmatik ist das geltende Recht, ohne dieses selbst zu hinterfragen.47
38
Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 11. Vgl. Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 40 Vgl. dazu umfassend Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 ff. 41 Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 28. 42 Franzius, JZ 2019, 161 (163). 43 Auch wenn natürlich trotz Abkehr vom Naturrecht etwa moralische Inhalte über die Gesetzgebung Bestandteil des Rechts werden, vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 250. 44 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (899). 45 Hassemer, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, 2010, S. 252. 46 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (897). 47 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (897). 39
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2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
IV. Relevanz von Methodenfragen für administrative Entscheidungsspielräume im Energieregulierungsrecht Unproblematisch ist es für den hier relevanten Bezugspunkt der Energieregulierung zunächst, dass die auch um § 114 VwGO herum gewachsenen Grundsätze wegen der Rechtswegzuweisung des § 75 ff. EnWG zu den Zivilgerichten im Energierecht nicht anwendbar sind.48 Denn trotz der Nichtanwendbarkeit der VwGO für die gerichtliche Überprüfung energieregulierungsbehördlichen Ermessens gilt das VwVfG für die sich zumeist nach öffentlichem Recht richtende Regulierungstätigkeit der Behörden. Zudem weisen die dort entwickelten Grundsätze ohnehin keinen untrennbaren Bezug zu § 114 VwGO auf, welcher mit der Rechtswegzuweisung überhaupt in Konflikt stehen würde. Die Behörde ist in der Regel zuerst mit der Ermittlung einer Lösung für ein Rechtsproblem bzw. mit dem Auffinden einer „richtigen“ Entscheidung befasst, noch vor den Gerichten.49 Häufig50 liegt der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Debatte auf der Perspektive der Überprüfung von administrativen Entscheidungsspielräumen, also der Kontrollperspektive51 und den Maßstäben gerichtlicher Kontrolldichte nach Art. 19 Abs. 4 GG.52 Dies mag daran liegen, dass sich die behördlichen Letztentscheidungsrechte erst durch eine reduzierte gerichtliche Kontrolltiefe offenbaren. Je komplexer und offener das gesetzlich vorgegebene Entscheidungsprogramm, umso wichtiger ist präzise Arbeit am Gesetzestext unter Berücksichtigung entwickelter Methoden und Dogmatik. Auch wenn zuzugeben ist, dass die multifaktorale Entscheidungspraxis eines jeden Spruchkörpers stets auch von externen Faktoren geleitet sein wird.53
B. Verortung der Ermessensausübung im verfassungsrechtlichen Gefüge Die Verwaltung darf in Deutschland nur tätig werden, wenn sie dazu gesetzlich legitimiert ist.54 Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bedeutet Schutz 48
So etwa Proelß, AöR 136 (2011), 402 (415). Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (896). 50 So z. B. Attendorn, MMR 2009, 238; Schütte, ER 2012, 108; auch in der Literatur zur juristischen Ausbildung spielt fast ausschließlich die gerichtliche Kontrollperspektive eine Rolle, Voßkuhle, JuS 2008, 117 (117). 51 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (117). 52 Vgl. hierzu umfassend Enders, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 19 Rn. 74 ff. (Stand 15. 11. 2018). 53 „Richter wählen Prinzipien und Zielsetzungen und konstruieren daraus eigene Rechtstheorien, um mit ihrer Hilfe Entscheidungen zu ,rationalisieren‘, d. h. die Vorurteile zu kaschieren, mit denen sie die objektive Unbestimmtheit des Rechts kompensieren.“, Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 262. 54 Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 52. 49
B. Verortung der Ermessensausübung im verfassungsrechtlichen Gefüge
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des Bürgers vor gesetzeswidrigem und ungesetzlichem Verwaltungshandeln und gibt der demokratisch legitimierten Legislative die Steuerungshoheit über die Exekutive.55 Die Verwaltung hat aufgrund ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Stellung im Gefüge der Gewaltenteilung56 bei der Anwendung von Rechtsnormen spezifische Entscheidungsspielräume.57 Bei der Ausübung dieser Entscheidungsspielräume hat sich die Verwaltung nach Art. 1 Abs. 3 GG primär durch die Grundrechte leiten zu lassen, ist dabei gemäß Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden58 und hat den Anforderungen an die demokratische Legitimation der Verwaltung zu genügen. Weder die Eingriffs- noch die Leistungsverwaltung dürfen ohne gesetzliche Grundlage handeln (Vorbehalt des Gesetzes) oder eine Entscheidung gegen den ausdrücklichen Wortlaut oder den Zweck des Gesetzes treffen (Vorrang des Gesetzes).59 Behörden dürfen weder willkürlich noch zweckwidrig handeln. Diese Zweckmäßigkeitsbindung beruht auf dem Rechtsstaatsprinzip und meint neben der formellen auch eine materielle Rechtsstaatlichkeit im Sinne einer „Richtigkeit“.60 Auch die sich aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG ergebende sog. Rechtsanwendungsgleichheit ist als leitendes Prinzip der behördlichen Ausübung von Entscheidungsspielräumen sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite zu beachten.61 Art. 19 Abs. 4 GG garantiert effektiven Rechtsschutz gegen jede Rechtsverletzung durch die öffentlichen Gewalt; diese Rechtsschutzgarantie ist nicht disponibel.62 Verwaltungsentscheidungen sind in diesem Rahmen durch die Gerichte sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht überprüfbar.63 Dieses Recht auf effektiven Rechtsschutz setzt ein subjektives Recht voraus und begründet es nicht.64 55
Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 14. Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193; Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, 4. Kapitel Rn. 37. 57 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (117). 58 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (117). 59 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 6 Rn. 2 ff.; Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes galten zunächst nur für die Eingriffsverwaltung, welche nur tätig werden durfte, wenn ein von der Volksvertretung verabschiedetes Gesetz sie hierzu ermächtigte: Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2017, § 28 Rn. 1. 60 So normiert etwa § 124 VwGO den Berufungszulassungsgrund eines „ernstlichen Zweifels an der Richtigkeit des Urteils“ und meint hiermit ausdrücklich nur materielle Rechtsanwendungsfehler und nicht auch Verfahrensfehler, BVerfGE 110, 77. 61 Vgl. hierzu umfassend Schladebach, NVwZ 2018, 1241 (1243); ähnlich auch Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (901 f.); Zweifel am Gebot der Gleichbehandlung nominell gleichgeordneter aber unterschiedlicher Rechtssubjekte äußert Lepsius, JuS 2019, 14 (17). 62 Es handelt sich bei der Rechtsschutzgarantie nicht um ein zur grundsätzlichen Disposition stehendes Dogma, welches nach bestimmten Grundsätzen neu gestaltet werden könnte, vgl. Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (650). 63 BVerfGE 15, 275 (282); BVerfGE 35, 263 (274); BVerfGE 61, 82 (111); BVerfGE 101, 106 (123); BVerfGE 113, 273 (310); BVerfGE 129, 1 (20). 64 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (193). 56
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2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
I. Verfassungsrechtliches Spannungsfeld behördlicher Letztentscheidungsrechte Die Einräumung von Ermessen auf der Rechtsfolgenseite von Normen ist kaum umstritten, auch § 40 VwVfG setzt die verfassungsmäßige Zulässigkeit von Ermessensermächtigungen bereits voraus.65 Die Einräumung des auf tatbestandlicher Ebene verorteten Beurteilungsspielraums wird verfassungsrechtlich teilweise kritisch beurteilt.66 Jedoch ist selbst unter Kritikern anerkannt, dass der Gesetzgeber Ausnahmen von der gerichtlichen Vollkontrolle definieren und der Exekutive hierdurch ein Letztentscheidungsrecht einräumen kann.67 Insgesamt determiniert das Verfassungsrecht das Verwaltungsrecht zwar, überlagert es jedoch nicht.68 Denn das Verwaltungsrecht ist nicht bloßes Aufgabenerfüllungsrecht, sondern beinhaltet oft einen Gestaltungsauftrag, durch welchen der Verwaltung mehr als nur eine rechtliche Verantwortung zugewiesen wird.69 Zur Systematisierung der Grenzen einer Delegation von Entscheidungsbefugnissen an die Verwaltung durch den Gesetzgeber wurden vom Bundesverfassungsgericht vor allem zwei wichtige Lehren herausgebildet. 1. Die Wesentlichkeitstheorie Das Bundesverfassungsgericht hat mit der mittlerweile als Wesentlichkeitstheorie fester Bestandteil der Grundrechtsdogmatik gewordenen ständigen Rechtsprechung70 die Ausgestaltung von Gesetzesvorbehalten und Grundrechtsschranken näher definiert.71 Die Legislative hat hiernach die Aufgabe, alles Wesentliche durch ein parlamentarisches, formelles Gesetz selbst zu regeln.72 Die Wesentlichkeitstheorie wirft zudem in den neuen Ausprägungen des Verwaltungsrechts, wie des Regulierungsrechts, immer mehr die Frage nach der Reichweite der Delegationsmöglichkeiten des Gesetzgebers an den Verordnungsgeber73 bzw. nach der Bedeu65
Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 16. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 9; Lenz, DVBl. 2018, 605; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 31 ff. 67 Etwa Attendorn, NVwZ 2012, 135 (139). 68 Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 76. 69 Von einer „meta-juristischen Verantwortung“ im Rahmen einer Integrationsmethode spricht Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2017, § 2 Rn. 8. 70 BVerfGE 40, 233; BVerfGE 58, 257; BVerfGE 47, 46; BVerfGE 49, 89; BVerfGE 83, 130. 71 Und somit „mitgeholfen, rechtsstaatliche Standards durchzusetzen“: Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (50). 72 Besonders im Verhältnis zu Art. 80 Abs. 1 GG und somit zum Verwaltungsrecht ist dies nicht unproblematisch. Das Kriterium der „Wesentlichkeit“ ist zum einen sehr unbestimmt und ließe sich zum anderen häufig durchaus durch politische Geschehnisse beeinflussen: SchmidtAßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, 4. Kapitel Rn. 22. 73 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 6 Rn. 12. 66
B. Verortung der Ermessensausübung im verfassungsrechtlichen Gefüge
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tung des Parlamentsvorbehalts74 auf. Auch das Zusammenspiel von europäischem und nationalem Verwaltungsrecht stellt die Wesentlichkeitstheorie vor Herausforderungen. So hat die Europäische Kommission jüngst bemängelt, der Bundesgesetzgeber räume dem Verordnungsgeber im Regulierungsrecht durch zu starke normative Vorstrukturierung nicht die nach europäischem Recht erforderliche Freiheit ein.75 2. Die normative Ermächtigungslehre Das Bundesverfassungsgericht hat 1982 mit der sog. normativen Ermächtigungslehre76 ein dogmatisches77 Institut für die Kontrolldichte des Verwaltungsermessens geschaffen, das durch Rechtsprechung und Lehre eine immer feinere Konturierung erfahren hat.78 Das Bundesverfassungsgericht bekräftigte dort eine umfassende gerichtliche Überprüfbarkeit von Entscheidungen anderer Gewalten und betonte gleichzeitig den Bestand von Gestaltungs-, Ermessens-, und Beurteilungsspielräumen.79 Ausgehend von der rechtsstaatlichen Prämisse, dass der Gesetzgeber alles Wesentliche selbst geregelt hat, muss der ausführenden Gewalt ein Handlungsspielraum beim Vollzug von Gesetzen verbleiben. Denn Gesetze weisen eine gewisse Abstraktion auf,80 sie sind stets selektiv. Die nötige administrative Freiheit wird durch die vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Gestaltungs-, Beurteilungs-, und Ermessensspielräume gewährleistet.81 Die Verwaltung selbst kann solche Gestaltungsspielräume nicht einräumen oder „anerkennen“ – sie ergeben sich allein aus dem anzuwendenden Gesetz selbst.82
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Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (8). Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen mangelhafter Umsetzung der Stromrichtlinie und der Gasrichtlinie aus dem Dritten Energiebinnenmarktpaket, Aufsichtsklage vom 16. 11. 2018, Rs. C-718/18 (ABl. 2019, C 54/ 6). 76 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 f. (Stand Juli 2014). 77 Vgl. Voßkuhle, JuS 2008, 117. 78 Kritisiert wird diese in allen Bereichen des Verwaltungsrechts anzutreffende, immer detailliertere dogmatische Ausgestaltung u. a. von Ossenbühl, der von einer „Hypertrophie dogmatischer Ziselierarbeit“ spricht: Besprechung von Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, die Verwaltung 32 (1999), 97 (98). 79 „Unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens-, und Beurteilungsspielräume sowie der Tatbestandswirkung von Hoheitsakten schließt dies grundsätzlich eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche und rechtliche Feststellungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall Rechtens ist, aus.“: BVerfGE 15, 275 (282). 80 Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241. 81 Enders, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 19 Rn. 74 (Stand 15. 11. 2018). 82 So auch Külpmann, zu BVerwG 4 C 2/16 vom 22. 9. 2016, jurisPR-BVerwG 7/2017, 5. 75
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2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
Der parlamentarische Gesetzgeber muss den Grad der Gesetzesbindung für die ausführende Gewalt – die Administrative – festlegen. Die gesetzgeberische Freiheit bei der Einräumung eines Beurteilungsspielraums ist dabei gleichsam an die Grundrechte und das Rechtsstaats- sowie das Demokratieprinzip gebunden.83 Der Gesetzgeber darf hierbei weder die Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG aushebeln noch außer Acht lassen, dass eine Letztentscheidungsermächtigung an die Behörden in besonderen Rechtsbereichen oftmals geboten ist.84 Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass der Gesetzgeber keinesfalls frei in der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsrechte sei85 und eine Abschwächung gegenüber der vollen gerichtlichen Überprüfung von Behördenentscheidungen verbindlich nur durch die Gerichte bestätigt werden könne.86
II. Entscheidungsspielräume der Verwaltung Die Verwaltung muss sich in Ausübung ihrer Befugnisse im Rahmen der oben aufgezeigten verfassungsmäßigen Grenzen und der Gesetze bewegen.87 Beim Verwaltungsvollzug, also der behördlichen Rechtsanwendung, steht oftmals ein Gestaltungsauftrag, also eine inhaltliche Zielvorgabe, einer rechtsstaatlich-formalen Einschränkung gegenüber.88 Die Rechtsanwendung kann deshalb ohne eine gewisse Flexibilität keine im Einzelfall angemessene, „richtige“ Rechtfolge anordnen, die sowohl den konkret zu subsumierenden Lebenssachverhalt in seiner Einzigartigkeit89 als auch widerstreitende Interessen berücksichtigt und sich gleichzeitig im verfassungsrechtlich und gesetzlich vorgegebenen Rahmen bewegt, ein „sozial-rechtsstaatliches Verwalten“ ermöglicht.90 1. Das gebundene Verwaltungshandeln Im Gefüge der staatlichen Aufgabenwahrnehmung kann die verwaltungsrechtliche Bindung an das Gesetz sehr eng sein; dann ist das behördliche Entschei83
BVerfGE 129, 1. Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 186 (Stand September 2018); diese Frage wollte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht beantworten: BVerfGE 129, 1; Enders, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 19 Rn. 74 (Stand 15. 11. 2018). 85 BVerfGE 129, 1 (22). 86 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 186 (Stand September 2018). 87 Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 7 Rn. 33. 88 Ähnlich Stober, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2017, § 3 Rn. 13. 89 Beaucamp, JA 2006, 74 (75). 90 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208 (Stand Juli 2014). 84
B. Verortung der Ermessensausübung im verfassungsrechtlichen Gefüge
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dungsprogramm durch den parlamentarischen Gesetzgeber vorgegeben:91 So hat die Behörde lediglich die relevanten Tatsachen aufgrund der einschlägigen Normen zu ermitteln und dann gegebenenfalls die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge anzuordnen. Man spricht dann von der sog. gebundenen Verwaltung.92 Häufig liegt es aber so, dass der Behörde primäre Beurteilungs- und Ermessensspielräume verbleiben, welche ihr auch ein Letztentscheidungsrecht einräumen.93 Zwar gilt der Grundsatz der tatrichterlichen uneingeschränkten Überprüfbarkeit einer behördlichen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.94 Dieser Grundsatz kann aber durch einen eingeräumten Beurteilungs- oder Ermessensspielraum so stark modifiziert und eingeschränkt werden, dass die gerichtliche Kontrolle auf die Überprüfung der Einhaltung der Grenzen dieser Spielräume zurückgenommen ist.95 Die gerichtliche Kontrolle endet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Entscheidungsfindung nicht vollständig determiniert und der Verwaltung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ein Einschätzungs- und Auswahlspielraum verbleibt.96 Wie diese Spielräume traditionell kategorisiert werden, soll im Folgenden gezeigt werden. 2. Beurteilungsspielraum97 – Begriffsinhalt Das Normverständnis ist in Deutschland durch die oben dargestellte Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge gekennzeichnet.98 Aus der binären Normstruktur, welche den meisten Annäherungen an den Begriff des Ermessens bis heute zugrunde gelegt wird,99 ergibt sich für die Normanwendung und ihre Kontrolle die Notwen91 Schmidt-Aßmann prägte den Begriff der „gesetzesdirigierten Verwaltung“ als sich aus den parlamentarischen Vorbehalten und den administrativen Eigenbereichen gewissermaßen „ergebenden“ Realität, welche zwischen gänzlicher Gesetzesbindung und Gesetzesfreiheit stehe: Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, 4. Kapitel Rn. 40. 92 Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 8 Rn. 515. 93 Külpmann, zu BVerwG 4 C 2/16 vom 22. 9. 2016, jurisPR-BVerwG 7/2017, 5; Lepsius, JuS 2019, 123 (125 f.). 94 BVerfGE 15, 275 (282); BVerfGE 84, 34; BVerfG NVwZ 2011, 1062. 95 BVerwGE 72, 195; BVerwGE 81, 12; BVerwGE 100, 221. 96 BVerfGE 88, 40; BVerfGE 103, 142; BVerfGE 116, 1. 97 Teilweise ist auch von tatbestandlicher Abwägung (Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 453) die Rede, allerdings soll hier die gängige Terminologie beibehalten werden. 98 Lau, NVwZ 2015, 241 (241 f.). 99 So zum Beispiel Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 14 Rn. 36; etwas differenzierter Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 8 Rn. 512; im Ergebnis ähnlich Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 2017, § 31 Rn. 5 f.; Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 7 Rn. 42; mit weiteren Nachweisen: Ludwigs, JZ 2009, 290 (291).
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2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
digkeit zweier Kategorien, dem Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite und dem Ermessen auf der Rechtsfolgenseite.100 Diese Unterscheidung ist historisch bedingt und wird seit Entwicklung der Ermessenslehre kritisiert.101 Erhofft wird sich von dieser Trennung, dass sie eine Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung ermöglicht.102 Danach muss die Behörde die Tatsachen ermitteln, den gesetzlichen Tatbestand auslegen, und diese beiden zusammenbringen, also den konkreten Fall unter den gesetzlichen Tatbestand subsumieren103 sowie gegebenenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe erkennen und auslegen. Der Beurteilungsspielraum bezieht sich hierbei auf die Beurteilung und Wertung eines gegebenen Sachverhalts.104 Kennzeichnend ist, dass es in den anerkannten Fällen des sachverhaltsbezogenen Beurteilungsspielraums heute meist an der Reproduzierbarkeit dieses Sachverhalts fehlt. a) Die Lehre vom Beurteilungsspielraum nach Bachof Mitte der 1950er Jahre löste eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts105 eine Diskussion um den Begriffsinhalt des Ermessens aus. Dort ging es um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Personenbeförderungsgesetz (PersBefG)106 und der konkreten Beurteilung der Frage der „Interessen des öffentlichen Verkehrs“. Das Bundesverwaltungsgericht sah die Beurteilung dieser Frage als eine „Ermessensentscheidung“ der Verwaltung an, die schon wegen ihrer Struktur keine Rechtsfrage sei und sich deshalb nach dem Willensentschluss der Verwaltung sowie nach verkehrswirtschaftlichen und verkehrspolitischen Gesichtspunkten richte.107 Diese Entscheidung war Anlass für einen Aufsatz von Bachhof,108 der als Begründer der Lehre vom Beurteilungsspielraum gilt.109 Dort plädiert er für eine neben dem Ermessen bestehende Kategorie: Den Beurteilungsspielraum. Das Ermessen wurde damit auf die Rechtsfolgenebene der Norm verdrängt und als „volitives Element“ bzw. als Willensentscheidung dem „Erkenntnisakt“ der Feststellung des Gesetzestatbestandes gegenübergestellt.110 Mit dieser Überführung der Subsumtion in einen nicht mehr dem Ermessen zuzuordnenden Bereich wurde zunächst eine Vertiefung 100
Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 6. Ludwigs, JZ 2009, 290 (291); Held-Daab, Das freie Ermessen, 1996, S. 14. 102 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (904); Gärditz nennt es einen „Verlust an Entscheidungsrationalität“, DVBl. 2016, 399 (400). 103 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 25 (Stand 1. 4. 2020). 104 Vgl. Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 2018, § 114 Rn. 32. 105 BVerwG DVBl. 1954, 501. 106 Gesetz über die Beförderung von Personen zu Lande, RGBl. I 1934, 1217. 107 BVerwG DVBl. 1954, 501 (502). 108 JZ 1955, 97. 109 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 31. 110 Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 32. 101
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der gerichtlichen Kontrolle erreicht, indem die unbestimmten Gesetzesbegriffe nun nicht mehr dem „Ermessen“ der Behörde unterlagen.111 Bereits Bachof kritisierte dabei die mangelnde terminologische Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen in der gesamten Debatte. Er schlug folgende Differenzierung vor: Das Ermessen sei die Freiheit der Verwaltung, über ihr Handeln zu entscheiden, der Beurteilungsspielraum sei die Freiheit, über das Vorliegen der Voraussetzungen für dieses Handeln zu entscheiden.112 b) Weiterentwicklung zum heutigen Verständnis Die Trennung von Beurteilungsspielraum und Ermessen ist etabliert. Für die Annahme eines Beurteilungsspielraums muss im Rahmen des Tatbestandes ein unbestimmter Rechtsbegriff ermittelt werden,113 also ein Begriff, der mehrere Konkretisierungs- oder Interpretationsmöglichkeiten zulässt.114 Wenn ein Begriff verschiedenen Interpretationen zugänglich ist, bedarf er der Auslegung und Präzisierung.115 Dieser Vorgang ist als behördliche Tätigkeit auf der Ebene des Tatbestandes grundsätzlich der vollen gerichtlichen Kontrolle zugänglich116 und wird zu Recht als ureigene Aufgabe des Richters bezeichnet.117 Die Kontrolle ist lediglich dort zurückgenommen, wo das Gesetz dem Rechtsanwender zugleich die Befugnis einräumt, über das Vorliegen der Voraussetzungen für diesen unbestimmten Rechtsbegriff im konkreten Sachverhalt zu entscheiden; dann handelt es sich um einen Beurteilungsspielraum.118 Dieser liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann vor, wenn die Verwaltung durch die jeweilige Rechtsvorschrift durch den Gesetzgeber ermächtigt wird, abschließend über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zu befinden119 und deshalb ausnahmsweise vom Grundsatz der fehlenden Bindung der Gerichte an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen120 abgewichen wird. Dies betrifft nicht die Auslegung, also die abstrakt-generelle Sinnerschließung unbestimmter Rechtsbegriffe als solche,121 sondern vor allem Entscheidungen, die wegen ihrer mangelnden rationalen Nachprüfbarkeit keiner gerichtlichen Vollkontrolle zugänglich sein können. 111
Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 32. Bachof, JZ 1955, 97 (98). 113 Decker, in: Posser/Wolf, BeckOK VwGO, § 114 Rn. 35 (Stand 1. 4. 2019); Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 3 StromNEV Rn. 51 f. (Stand September 2018). 114 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 115 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (195). 116 BVerfG NVwZ 2012, 694; Lepsius, JuS 2019, 123, (125). 117 Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 28. 118 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (195). 119 BVerwGE 26, 65 (74 f.); BVerwGE 31, 149; BVerwG NVwZ 1991, 568 (569). 120 BVerfGE 15, 275, 282; BVerfGE 61, 82 (110); BVerfGE 84, 34 (49); BVerfGE 84, 59 (77); BVerfGE 101, 106; BVerfGE 103, 142 (156); BVerfG NVwZ 2011, 1062. 121 Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 28. 112
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Zur Feststellung einer zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolldichte müssen sich eindeutige Hinweise im Gesetz finden und so Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Intention erlauben, der Verwaltung ausnahmsweise eine Letztentscheidung zu übertragen.122 Allein die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs in der jeweiligen gesetzlichen Regelung ist dabei kein ausreichendes Indiz für das Vorliegen eines nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums,123 da die Gerichte die Anwendung und Auslegung von Begriffen durch die Behörde grundsätzlich voll nachzuprüfen haben.124 Die behördliche Letztentscheidungsbefugnis in Form eines Beurteilungsspielraums muss daher zunächst im Gesetz selbst angelegt sein und durch methoden- und unionsrechtskonforme Auslegung ermittelt werden.125 c) Anerkannte Fallgruppen Die Ausnahme einzelner Bereiche von der gerichtlichen Vollkontrolle ist naheliegend und dient einer klugen Gewaltenteilung.126 Das Bundesverwaltungsgericht hat – vom Bundesverfassungsgericht bestätigte und teilweise als abschließend127 betrachtete – Fallgruppen entwickelt, in denen von einem nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum der Behörden auszugehen ist: So ist die gerichtliche Kontrolle auf das Vorliegen von Beurteilungsfehlern reduziert, wenn etwa die Behörde in einem speziell legitimierten, pluralistischen und qualifizierten Gremium entscheidet,128 ihrer Entscheidung ein planerisches oder prognostisches Element oder eine Einschätzungsprärogative innewohnt,129 bei Wertungen in Prüfungsentscheidungen130 oder prüfungsähnlichen Entscheidungen131 und bei beamtenrechtlichen (bzw. solche des öffentlichen Dienstes) Eignungs-, Leistungs- oder Personalbeurteilungen.132 Die Gründe für die Begrenzung der richterlichen Kontrolle sind in all diesen Fällen unterschiedlich: Gremien etwa müssten oft wertend-subjektive 122
Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (196). Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (242 f.). 124 BVerfG NVwZ 2012, 694 (695). 125 BVerfG NVwZ 2012, 694 (696). 126 Beaucamp, JA 2012, 193 (194 f.). 127 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 37. 128 So kann die Übertragung der Entscheidung auf ein pluralistisch und staatsfern besetztes Kollegialorgan ein Indiz für das Vorliegen einer Beurteilungsermächtigung sein: BVerwGE 91, 211 = NJW 1993, 1491; BVerwGE 39, 197 (204) = NJW 1972, 596; BVerwG NVwZ 1995, 707 (708). 129 BVerwG NVwZ 1991, 568 (569); BVerwG NVwZ 1995, 707 (708). 130 BVerfGE 84, 34 (55); BVerwG NVwZ 1995, 788 (789); vgl. hierzu umfassend: Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 128 ff. Zu beachten ist, dass in diesen Fällen nicht von einer gesetzgeberisch eingeräumten Beurteilungsermächtigung ausgegangen wird, sondern die gerichtliche Kontrolle schlicht an ihre Funktionsgrenzen stoße: BVerfGE 84, 34 (55). 131 BVerfGE 84, 34 (52). 132 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 123
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Elemente in Entscheidungen berücksichtigen, wenn es zum Beispiel um die Subventionierung von Filmen geht.133 Allerdings führt dies nicht dazu, dass eine verfahrensrechtliche Stärkung durch ein sachkundiges Gremium materiell-rechtliche Defizite im Rechtsschutz auszugleichen vermag.134 Die Besonderheit bei Prognoseentscheidungen besteht darin, dass sie keine empirisch ermittelbaren Tatsachen in der Vergangenheit oder Gegenwart zum Gegenstand haben, sondern ein Wahrscheinlichkeitsurteil für die Zukunft bilden müssen und somit keine klassische Subsumtion zum Gegenstand haben.135 Es ist richtig, dass das im Gesetz angelegte Erfordernis für die Behörde, Prognoseentscheidungen zu treffen, eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung wahrscheinlich macht, da das prognostizierte Ergebnis mit dem gesetzlich vorgegebenen Prognoserahmen nur umrissen werden kann und sich niemals vollständig aus dem materiellen Recht ableiten lassen wird. Prognoseentscheidungen sollen gerichtlich daraufhin überprüft werden, ob der Wahrscheinlichkeitsgrad zutreffend eingeschätzt wurde, die Prognosebasis richtig und vollständig war und ob das prognostische Ergebnis auf einwandfreie Methodik, Plausibilität und Stimmigkeit überprüft wird.136 Hierauf wird im letzten Kapitel dieser Arbeit noch zurückzukommen sein. Prüfungsentscheidungen und beamtenrechtliche Beurteilungen können gerichtlich daraufhin überprüft werden, ob der Prüfungsmaßstab richtig verstanden und angewendet wurde, die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, der richtige Sachverhalt zugrunde gelegt wurde, keine allgemeingültigen Wertungsmaßstäbe verletzt wurden und die Prüfer oder Entscheidungsträger sich nicht von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen.137 Kommt das Fachgericht zu dem Ergebnis, dass der Behörde ein solcher Beurteilungsspielraum im konkreten Fall tatsächlich gesetzlich eingeräumt ist, überprüft es die Entscheidung lediglich auf Beurteilungsfehler analog § 114 Satz 1 VwGO.138 Gesetzlich verankert waren diese in § 4a Abs. 2 UmwRG139, wo das gerichtliche Kontrollprogramm erstmals normiert wurde: Hat die Behörde den Sachverhalt vollständig und korrekt erfasst? Hat sie die Verfahrensregeln und rechtliche Bewertungsgrundsätze eingehalten? Hat sie keine sachfremden Erwägungen angestellt und das anzuwendende Recht erkannt?140 Die Vorschrift ist nicht mehr in Kraft141 und wurde überdies als „rechtswidrige gesetzgeberische Fehlleistung“ bezeichnet: Nicht 133 134 135 136 137 138 139 140 141
BVerfGE 23, 193. Ähnlich Franzius, DVBl. 2009, 409 (414). Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 38. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 40. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 35 f. Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193, 200. BGBl. I 2017, S. 1298. Siehe auch Aufstellung bei Beaucamp, JA 2012, 193 (195 f.). BGBl. I 2017, S. 3290.
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2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
der Gesetzgeber dürfe bei einer Beurteilungsermächtigung Vorgaben zur gerichtlichen Kontrolldichte machen, sondern die Gerichte selbst hätten hierüber die Kompetenz-Kompetenz, abschließend das Bundesverfassungsgericht.142 Es bleibt auch beim Beurteilungsspielraum beim etablierten verfassungsrechtlichen Grundsatz: Die gerichtliche Kontrolle geht nur so weit, wie das materielle Recht das behördliche Entscheidungsverhalten vollständig determiniert.143 Bei unbestimmten Gesetzesbegriffen ist die normative Ermächtigungslehre sowohl zur Begründung der begrenzten gerichtlichen Kontrolldichte als auch zum Auffinden solcher Kontrollbegrenzungen heranzuziehen.144 Die anerkannten Fallgruppen zeigen, dass eine sachverhaltsbezogene Letztentscheidungsermächtigung die absolute Ausnahme sein muss und auf solche Fälle beschränkt bleibt, in denen der Sachverhalt nicht mehr reproduzierbar ist. Zugleich offenbart die Entwicklung der als abschließend betrachteten Fallgruppen, dass der Anspruch, die Rechtsanwendung gänzlich vorhersehbar zu machen, in einem Rechtssystem, das nicht lediglich aus rechtlichen Konditionalsätzen besteht, zum Scheitern verurteilt sein muss.145 3. Das Verwaltungsermessen – Begriffsinhalt Ein Ermessen ist der Verwaltung nach dem gängigem Verständnis146 dann eingeräumt, wenn ihr auf der Rechtsfolgenseite, oft bereits durch die Wortwahl erkennbar, das Recht zu eigenen Zweckmäßigkeitsüberlegungen,147 eine Freiheit in der Rechtsfolgenanordnung eingeräumt ist.148 Es handelt sich hiernach immer um ein Ermessen bezüglich der Rechtsfolge,149 um einen „Rechtsfolgeauswahlspielraum“. Allerdings sind die genauen normativen Grenzen der behördlichen Entscheidungsfreiheit dem Gesetzestext nicht immer ausdrücklich zu entnehmen.150 Dann müssen 142
2017). 143
Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorbemerkung § 113 Rn. 24 (Stand Juni
So zuletzt BVerfGE 129, 1. Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einleitung Rn. 186 (Stand September 2018). 145 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 269 f. 146 Wobei dieses Trennungsdogma zunehmend in nur noch abgeschwächter Form aufzufinden ist, etwa heißt es bei Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 2016, § 114 VwVfG Rn. 4: Nach § 114 VwVfG „[…] kann unter bestimmten Voraussetzungen auch eine gerichtliche Kontrolle anderer administrativer Freiräume erfolgen, da administrative Entscheidungen – bei allen Unterschieden im Einzelfall – auch erhebliche Gemeinsamkeiten aufweisen können […]“. 147 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 15 (Stand Februar 2019). 148 Beaucamp, JA 2012, 193 (194). 149 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 161, m. w. N.; Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2009, § 7 Rn. 42. 150 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, 2018, § 40 Rn. 21; Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch BeckOK VwVfG, 2020, § 40 Rn. 6 f. 144
B. Verortung der Ermessensausübung im verfassungsrechtlichen Gefüge
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sie durch Auslegung der Norm hinreichend deutlich zu ermitteln sein,151 was originäre Aufgabe der Gerichte ist. Die dadurch entstehende Kompetenz-Kompetenz der Gerichte kann kritisch gesehen werden.152 Die oben dargestellte normative Ermächtigungslehre hat für das Ermessen zwei Funktionen: Erstens leistet sie die Auslegung, ob ein gesetzlicher Tatbestand eine Ermessensermächtigung enthält. Zweitens kann hiermit die Entwicklung einer Typologie der behördlichen Letztentscheidungsermächtigungen angestrebt werden, ohne einem hiermit unvereinbaren Schematismus zu verfallen.153 § 114 VwGO und § 40 VwVfG und die in Ergänzung hierzu entwickelten Kontrollmaßstäbe der Ermessenfehlerlehre,154 des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes155 und des Gebots gerechter Abwägung sind die Grundlagen des Ermessens.156 Eine Begriffsdefinition des Ermessens findet sich im Gesetz nicht.157 Der gesetzlich eingeräumte Entscheidungsspielraum wird nur selten im Gesetz ausdrücklich als ein Ermessensspielraum bezeichnet.158 Meist muss dieser Spielraum anhand des Gesetzes durch Auslegung ermittelt werden.159 Formulierungen wie „kann“, „darf“, „ist dazu berechtigt“ oder „soll“160 in einer Norm sind klassische Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ermessens und können sowohl die Ebene des
151
BVerfG NVwZ 2011, 1062; BVerfG NVwZ 2012, 694 = DVBl 2012, 230 Rn. 24. Redeker/von Oetzen, VwGO, 2014, § 114 Rn. 2 m. w. N.; Wimmer sieht diese Kompetenz-Kompetenz als so umfassend, dass die Gerichte darüber entscheiden, „wann, wem gegenüber und in welchem Umfang sie eine rechtliche Kontrolle vornehmen“, JZ 2010, 433 (433). 153 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187 (Stand Juli 2014). 154 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 155 Auch bei der Ausübung des Ermessens ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein zentraler Bestandteil, Berger, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. I, 2017, § 133 Rn. 12. 156 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 162. 157 Das schleswig-holsteinische Landesverwaltungsgesetz (Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein vom 18. 4. 1967, GS Schl.-H. II, Gl. Nr. 20 – 1, in der Fassung vom 2. 6. 1992 (GVOBl. 1992, 243, 534)), stellt zwar in § 73 Abs. 1 eine Definition des pflichtgemäßen Ermessens zur Verfügung: „Die Behörde entscheidet, soweit Rechtsvorschriften nicht bestimmen, dass oder in welcher Weise sie tätig zu werden hat, im Rahmen der ihr erteilten Ermächtigung nach sachlichen Gesichtspunkten unter Abwägung der öffentlichen Belange und der Interessen der einzelnen Personen über die von der Behörde zu treffenden Maßnahmen (pflichtgemäßes Ermessen).“ Allerdings gibt diese Definition keine Erkenntnisse, die über die bereits gewonnnenen hinausgeht. 158 Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (197). 159 BVerwGE 62, 86 (98); 94, 307 (309); 100, 221 (225); Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (196). 160 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 162; die gegenteiligen Ansicht sieht bei der Formulierung „soll“ in der Regel kein Ermessensspielraum sondern lediglich den Hinweis, dass in atypischen Fällen von der genannten Rechtsfolge abgesehen werden kann: Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (198 f.). 152
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2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
„ob“ (Entschließungsermessen) als auch des „wie“ (Auswahlermessen) betreffen.161 Der Wortlaut liefert aber nur ein erstes Indiz für das Vorliegen eines Ermessensspielraums, da auch bei einer dem Wortlaut nach gebundenen, also bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zwingend anzuordnenden Rechtsfolge, aus systematischen oder teleologischen Erwägungen eine Ermessensnorm vorliegen kann und anders herum.162 Ist das Ermessen dem Gesetzestext entnommen, hat die Behörde bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die Möglichkeit, eine ausdrücklich im Gesetz genannte Rechtsfolge oder eine „zweckmäßige“, „angemessene“ oder „erforderliche“ anzuordnen.163 Die Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale führt also nicht zwingend zu einer bestimmten Rechtsfolge.164 Die sich hier zwangsläufig stellende Problematik der „einen richtigen“ Entscheidung kann an dieser Stelle nicht vertieft werden, wird aber richtigerweise gestellt165 und soll im letzten Kapitel dieser Arbeit noch betrachtet werden.
III. Materielle Rechtmäßigkeitsüberprüfung: Die Ermessensfehlerlehre Der Regelfall gerichtlicher Kontrolle von Behördenentscheidungen sieht sowohl eine Überprüfung der Tatsachenfeststellungen (Sachverhaltsebene), als auch der Gesetzesauslegung und Gesetzesanwendung (Rechtsebene) vor.166 Wie bereits oben ausgeführt, sind die Gerichte grundsätzlich weder an die Tatsachenfeststellungen, noch an die rechtlichen Wertungen der Behörden gebunden.167 Die Ausübung eines Ermessens ist aber nicht vollständig gerichtlich überprüfbar, sondern nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern, wobei sich die hierfür entwickelte Methode an § 114 Satz 1 VwGO orientiert.168 Hierbei ist das Ergebnis der Behördenentscheidung ebenso Gegenstand der Überprüfung wie der Vorgang der Entscheidungsfindung.169 Identifiziert das Gericht einen der nachfolgenden Ermessensfehler, ist die Behördenentscheidung zunächst rechtswidrig. Die Ermessensfehlerlehre beinhaltet, an161
Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 16 (Stand September 2018). BVerfG NJW 1990, 787 (788). 163 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 13 f.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 1 Rn. 26; Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 16 (Stand September 2018). 164 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 162. 165 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (900); Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 166 BVerfGE 15, 275 (282); BVerfGE 35, 263 (274); BVerfGE 61, 82 (111); BVerfGE 101, 106 (123); BVerfGE 113, 273 (310); BVerfGE 129, 1 (20); Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2004, 4. Kapitel Rn. 62. 167 BVerfGE 15, 275 (282); BVerfGE 84, 34; BVerfG NVwZ 2011, 1062. 168 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 56 (Stand Februar 2019). 169 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 57 (Stand Februar 2019). 162
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ders als der Wortlaut des § 114 Satz 1 VwGO vermuten lässt, nicht zwei sondern drei Kategorien von Ermessensfehlern.170 Auch aus § 40 VwVfG lassen sich mit der Verfehlung des Ermessenszwecks und der Nichteinhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens nur zwei Kategorien ablesen.171 1. Ermessensausfall172 Ein Ermessensausfall liegt dann vor, wenn die Behörde verkannt hat, dass ihr überhaupt ein Ermessen zusteht oder die relevante Vorschrift nicht angewandt hat,173 also das ihr zustehende Ermessen überhaupt nicht ausgeübt hat.174 Im gerichtlichen Verfahren kann zwar ausdrücklich175 keine Heilung des Ermessensfehlers stattfinden, allerdings soll etwa der Ermessensausfall unbeachtlich sein, wenn das Ermessen auf Null reduziert ist, es sich um eine Soll-Vorschrift handelte oder intendiertes Ermessen vorlag.176 Das intendierte Ermessen wird ebenso wie die Soll-Vorschrift nicht als echte Ermessensvorschrift eingestuft,177 weshalb hier lediglich ein Blick auf die Ermessensreduktion auf Null erfolgen soll. Steht der Verwaltung zwar ein originärer Handlungsspielraum (Entschließungs- und Auswahlermessen) zu, der sich aber wegen der Besonderheiten der anzuwendenden Norm und des Einzelfalls – etwa wenn Grundrechte betroffen sind178 – so sehr verengt, dass nur noch eine einzige Entscheidung nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen ist, spricht man von einer Ermessensreduktion auf Null179 oder einer Ermessensschrumpfung.180 An das Vorliegen einer solchen Konstellation sind richtigerweise sehr strenge Maßstäbe anzulegen, um nicht eine gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen zu erreichen, die nach dem Willen des Gesetzgebers der Behörde vorbehalten waren.181 Die ge170 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 56 (Stand Februar 2019); Beaucamp, JA 2012, 193 (195); Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 171 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 56. 172 Auch als „Ermessensnichtgebrauch“ oder „Ermessensunterschreitung“ (so etwa Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 59 (Stand Februar 2019)) bezeichnet, bleibt in der Sache aber ohne Unterschied. 173 Beaucamp, JA 2012, 193 (195). 174 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 60 (Stand Februar 2019). 175 BVerwGE 106, 351 (365 f.) = NVwZ 1999, 425. 176 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 61 (Stand Februar 2019). 177 Borowski, DVBl. 2000, 149; Volkmann, DÖV 1996, 281; Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 28; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 12. 178 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 25. 179 BVerwGE 62, 206; BVerwG DVBl. 2009, 1176. 180 Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 2018, § 114 Rn. 21 ff. 181 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 72 (Stand 1. 4. 2019). Ein klassisches Fallbeispiel für das regelmäßig auf Null reduzierte Ermessen ist die Rücknahme eines Verwaltungsakts, mit welchem eine unionsrechtswidrige Beihilfe gewährt wurde, BVerwG NJW 1993, 2764 (2765 f.).
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2. Teil Kap. 3: Die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen
richtliche Überprüfung eines Behördenhandelns im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null erfolgt wie bei gebundenen Entscheidungen umfänglich.182 Wenn die Behörde nur von einem beschränkten Umfang an Handlungsmöglichkeiten ausgeht, liegt ebenfalls ein Ermessensausfall vor. Es bedarf hierzu keiner eigenen Kategorie der „Ermessensunterschreitung“.183 2. Ermessensüberschreitung Wenn die von der Behörde angeordnete Rechtsfolge sich nicht mehr innerhalb der äußeren Grenzen des eingeräumten Ermessens bewegt, spricht man von einer Ermessensüberschreitung.184 Diese Grenzen können sich einer Ansicht nach aus höherrangigem nationalen Recht, aus Verfassungsrecht und aus Europarecht ergeben, und nicht nur aus der Ermächtigungsnorm selbst.185 Eine andere Ansicht sieht die Grenzen der Ermessensbetätigung lediglich in der Ermächtigungsnorm selbst angelegt und ordnet Fälle, in denen höherrangiges Recht verletzt wird, dem Ermessensfehlgebrauch zu.186 Obwohl beide Fehler zur Rechtswidrigkeit des Behördenhandelns führen und eine Positionierung insofern nicht zwingend geboten ist, ist die zweite Ansicht aus Gründen der Abgrenzung zur nachfolgenden Kategorie des Ermessensfehlgebrauchs vorzugswürdig.187 3. Ermessensfehlgebrauch Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde den mit der Ermächtigung verfolgten Zweck verfehlt,188 also etwa von nicht zutreffenden Tatsachengrundlagen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht oder sachfremde Erwägungen anstellt, die entscheidungserheblich sind.189 So ist eine Entscheidung ermessensfehlgebräuchlich, wenn relevanten Gesichtspunkten zu hohe oder zu geringe Bedeutung beigemessen wurde.190 Auch dann, wenn das Ergebnis selbst von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist, aber die Erwägungen, die hierfür von der Behörde angestellt wurden, fehlerhaft sind, handelt es sich um Ermessensfehlge182 183
2019).
BVerwGE 16, 214 (218); BVerfG NVwZ 2015, 1223. Befürwortend Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 62 (Stand Februar
184 BVerwG NVwZ 2014, 1034; Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 2018, § 114 Rn. 7 f. 185 Beaucamp, JA 2012, 193 (195), m. w. N. 186 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 63 (Stand Februar 2019). 187 Anderer Ansicht ist Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 94 (Stand 1. 4. 2019). 188 BVerwGE 156, 94 = NVwZ-RR 2017, 187. 189 Decker, in: Posser/Wolff, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 24 f. (Stand 1. 4. 2020). 190 BVerfGE 91, 135 (140).
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brauch,191 unabhängig davon, ob die Behörde hierbei Tatsachen oder Rechtsfragen auf fehlerhafte Weise in die Erwägungen einbezogen hat.192 Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, höherrangiges Recht, Grundrechte und sonstiges Verfassungsrecht sowie gegen Unionsrecht ist richtigerweise in diese Kategorie einzuordnen.193 Gelegentlich werden weitere Unterkategorien gebildet, wie etwa der Ermessensmissbrauch (Verfolgen persönlicher Motive) und das Ermessensdefizit (fehlerhafte Ermittlung der Tatsachen).194 4. Zwischenergebnis Die zwei Grundkategorien behördlicher Letztentscheidungsrechte sind das Ermessen und der Beurteilungsspielraum (mit unbestimmten Rechts- oder Gesetzesbegriffen). Auch wenn diese Einteilung zunehmend erodiert, ist sie noch immer als herrschend anzusehen. Wegen der nur mangelnden Eignung dieser beiden Kategorien für Normstrukturen, die nicht dem klassischen Konditionalprogramm entsprechen oder denen besonders komplexe tatsächliche Strukturen zugrunde liegen, haben sich in Rechtsprechung und Lehre weitere Kategorien und viele einzelne Sonderfälle behördlichen Entscheidens herausgebildet, welche im nächsten Kapitel dargestellt werden sollen.
191 192 193 194
BVerwGE 104, 154 = NVwZ 1998, 1300. BVerwGE 91, 700; 156, 59. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 68 f. (Stand Februar 2019). Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 87, 91 (Stand 1. 4. 2019).
Kapitel 4
Die etablierten Sonderformen behördlicher Entscheidungsspielräume Zur Dogmatik behördlicher Entscheidungsspielräume gehört auch die Herausbildung von Ausnahmekategorien. Hierbei sind sowohl verschiedene Unterfälle des Ermessens entstanden als auch Ausnahmen von der oben dargestellten Lehre vom Beurteilungsspielraum bei Verbindung von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen. Im folgenden Kapitel sollen diese Sonderformen auf ihre dogmatische Eigenständigkeit hin überprüft werden.
A. Anerkannte Sonderformen des Ermessens Das allgemeine Verwaltungsermessen sowie der Beurteilungsspielraum der Verwaltung können als etablierte Kategorien verwaltungswissenschaftlicher Entscheidungsdogmen gelten.194 Daneben ist in den 1960er Jahren das Planungsermessen bzw. die planerische Gestaltungsfreiheit getreten.195 Dieses kennzeichnet eine sog. Finalprogrammierung,196 also eine Abweichung vom klassischen wenndann-Schema der Ermächtigungsnorm, für welche das Verwaltungsermessen erdacht wurde. In den letzten 20 Jahren sind neben diese drei Kategorien weitere Ausprägungen behördlicher Letztentscheidungsrechte hinzugetreten.197 Hierzu zählt auch das im nächsten Teil der Arbeit näher zu untersuchende Regulierungsermessen.
I. Das freie Ermessen Teilweise findet sich in der Literatur die Formulierung des „freien“ Ermessens.198 Ohne auf die Diskussion eingehen zu wollen, sei mit der herrschenden Meinung 194
Voßkuhle, JuS 2008, 117 (119). Ständige Rechtsprechung seit BVerwGE 18, 247 = NJW 1964, 1973. 196 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (119). 197 Auch Kopplungsvorschriften werden teilweise als eigenständige Kategorie angesehen, Voßkuhle, JuS 2008, 117 (119). 198 Eingehend Held-Daab, Das freie Ermessen, 1996; größtenteils wird darauf hingewiesen, dass das Ermessen selbstverständlich niemals „frei“, sondern im Rahmen der Verfassung immer 195
A. Anerkannte Sonderformen des Ermessens
101
gesagt, dass das Ermessen der Exekutive in einem Rechtsstaat niemals völlig frei sein kann, sondern immer nur gesetzesgebunden und pflichtgemäß.199
II. Das intendierte Ermessen Das intendierte Ermessen soll den Fall bezeichnen, in dem eine Norm der Behörde auf der Rechtsfolgenseite zwar ein Ermessen einräumt, es aber in eine bestimmte Richtung gelenkt, also im Regelfall auf ein bestimmtes Ergebnis ausgerichtet ist.200 Diese Schöpfung des Bundesverwaltungsgerichts201 lässt kaum einen Unterschied zu Soll-Vorschriften erkennen, wo eine Abweichung des vorhergesehenen Programms nur unter atypischen Umständen rechtmäßig sein soll.202 Es gibt jedoch Vorschriften, die diese Struktur aufweisen, wie etwa § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG. Hier wird ein „Normalfall“ (Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit) vorgegeben, für eine abweichende Entscheidung müssen dann besondere Gründe vorliegen.203 Das Bundesverwaltungsgericht wendet die Figur des intendierten Ermessens hier auch weiterhin an,204 indem es eine Ausnahme von der Begründungspflicht nach § 39 VwVfG für den Fall annimmt, dass keine besonderen Umstände vorliegen.205 Die Figur des intendierten Ermessen scheint wie eine Konkretisierung von § 40 VwVfG, der eine Ermessensausübung nach dem Zweck der Ermächtigung anordnet,206 sodass auch wegen der fließenden Grenze zu den Soll-Vorschriften207 kein Grund ersichtlich ist, hier eine eigene Ermessenskategorie zu schaffen. Das intendierte Ermessen wird aus diesem Grund in der Literatur auch weitgehend abgelehnt208 und stellt nach hier vertretener Auffassung jedenfalls keine eigenständige dogmatische Kategorie, sondern eine einschränkende Auslegungslenkung dar.
nur „pflichtgemäß“ sein könne, vgl.: Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 68. 199 BVerfGE 9, 137 (147); BVerfGE 18, 353 (363); BVerfGE 14, 105 (114); Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 200 Beuermann, Intendiertes Ermessen, 2002, S. 33. 201 In diesem Sinne zuerst wohl BVerwGE 19, 332; BVerwGE 105, 55 (57). 202 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 28. 203 Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 40 (Stand 1. 1. 2019). 204 Siehe Übersicht bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 29. 205 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 40 (Stand 1. 4. 2019); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 39 Rn. 70. 206 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 40 (Stand 1. 4. 2019). 207 Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 20 (Stand September 2018). 208 Borowski, DVBl. 2000, 149; Volkmann, DÖV 1996, 281; Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 28; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 12; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 65.
102 2. Teil Kap. 4: Die etablierten Sonderformen behördlicher Entscheidungsspielräume
III. Das Planungsermessen oder die planerische Gestaltungsfreiheit Die wohl bekannteste Sonderform des Ermessens ist das mit Beschluss des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs im Jahr 1964209 entwickelte und vom Bundesverwaltungsrecht bestätigte210 Planungsermessen.211 Anwendungsbereiche sind neben den in Verwaltungsaktform ergehenden Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren212 etwa die Bauleitplanung von Gemeinden nach dem BauGB213 oder die Planung von Eisenbahntrassen nach dem allgemeinen Eisenbahngesetz.214 Das Planungsermessen wird auch als planerische Gestaltungsfreiheit bezeichnet.215 Es ist bis heute in seiner speziellen Ausprägung216 anerkannt und ist ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.217 1. Die Einräumung des Planungsermessens Die Ermächtigung an die Exekutive zur Ausübung des Planungsermessens findet sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts218 in den Abwägungsklauseln bzw., wo es an solchen fehlt, als ungeschriebenes, notwendiges Element eines Planungsmandats.219 Diese Ansicht ist zwar nicht unumstritten, aber mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht anerkannt.220 Grund für eine eigene Kategorie des Planungsermessens ist die Finalität der anzuwendenden Normen und der Auftrag an die Verwaltung, verschiedene, teils divergierende Belange miteinander in Einklang zu bringen.221 Die Planungsermächtigung weist außerdem eine 209
BayVerfGH, DVBl. 1966, 798. BVerwGE 34, 301 = DVBl. 1970, 414; BVerwGE 45, 309 = JZ 1974, 757. 211 BVerwGE 130, 39 Rn. 48; siehe zum Planungsermessen auch Badura, in: Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, FS Bayerischer VGH, 1972, S. 161. 212 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 25. 213 BGBl. I 2017, S. 3634. 214 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 28 (Stand 1.1. 2019). 215 BVerwGE 56, 110 (116) = NJW 1979, 64. 216 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208 ff. (Stand Juli 2014); Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 182 ff. (Stand Februar 2019); Rennert, in: Eyermann, VwGO, 2019, § 114 Rn. 35; Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 28 ff. (Stand 1. 10. 2019); Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 39 Rn. 72 ff.; Hornmann, in: Spannkowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, § 14 Rn. 55 ff. (Stand 1. 5. 2019). 217 BVerwGE 100, 370 = NVwZ 1996, 1016 m. w. N.; wobei es auch auf die Planung von Eisenbahntrassen nach dem Eisenbahngesetz Anwendung findet: Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 28 (Stand 1.1. 2019). 218 BVerwG NVwZ 1996, 1016 m. w. N. 219 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208 (Stand Juli 2014) m. w. N. 220 BVerfG NVwZ 2011, 1062 Rn. 70; BVerfG NVwZ 2012, 694 (695). 221 Voßkuhle, JuS 2008, 117 (119). 210
A. Anerkannte Sonderformen des Ermessens
103
besondere Struktur auf, welche vom klassischen Konditionalprogramm von Ermächtigungsnormen abweicht.222 2. Die gerichtliche Überprüfung des Planungsermessens Zur gerichtlichen Überprüfung des Planungsermessens wurde eine Dogmatik entwickelt,223 die – ähnlich der Ermessensfehlerlehre – verschiedene Fehlerkategorien bereitstellt. Hierbei wird der Begriff des Abwägens verwendet, der im Rahmen seiner Vielschichtigkeit224 den Ausgleich, die Berücksichtigung und die Bewertung widerstreitender Interessen zum Gegenstand hat.225 Die Ausübung des Planungsermessens erfolgt in zwei Schritten; zunächst muss das Abwägungsmaterial zusammengestellt werden, bevor sich daran der Abwägungsprozess selbst anschließt.226 Bei der Zusammenstellung hat die Behörde alle planungserheblichen Belange zu ermitteln, wobei umstritten ist, ob diese Materialselektion bereits ein vom Ermessen umfasster Abwägungsvorgang ist, oder der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt.227 Dieser Punkt ist sicherlich derjenige, der sowohl dogmatisch als auch rechtspraktisch die größte Relevanz hat, hier aber jedenfalls auf das Planungsermessen bezogen unbeantwortet bleiben muss. Die Frage kann jedoch auch für die weitere Untersuchung des als Regulierungsermessen bezeichneten Entscheidungsspielraums der Behörden im Regulierungsrecht als Essenz gelten; ihre Beantwortung wird im letzten Kapitel dieser Arbeit angestrengt werden. Das Planungsermessen wird fehlerhaft ausgeübt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), nicht alle Belange in die Abwägung eingestellt wurden, die nach Lage der Dinge in sie hätten eingestellt werden müssen (Abwägungsdefizit), die Bedeutung einzelner Belange offensichtlich verkannt wurde (Abwägungsfehleinschätzung) oder der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, welche zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität).228 Offensichtlicher Unterschied zur Ermessensfehlerlehre ist hier die Einbeziehung von Elementen, die 222 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 29 (Stand 1. 1. 2019); unter anderem wird hiermit die Ähnlichkeit zum Regulierungsermessen begründet: Proelß, AöR 136 (2011), 402 (425). 223 BVerwGE 131, 41 (62). 224 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 208 (Stand Juli 2014). 225 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 179 (Stand Februar 2019). 226 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 212 (Stand Juli 2014). 227 Für eine volle gerichtliche Kontrolle: BVerwGE 34, 301 (308); BVerwGE 45, 309 (322); BGHZ 66, 322 (325); für eine eingeschränkte Kontrolle: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 2010, § 7 Rn. 40; Redeker, DÖV 1971, 757; Papier, NJW 1977, 1714. 228 Siehe auch Gonsior, Die Verfassungsmäßigkeit administrativer Letztentscheidungsbefugnisse, 2018, S. 115 f.; Voßkuhle, JuS 2008, 117 (119).
104 2. Teil Kap. 4: Die etablierten Sonderformen behördlicher Entscheidungsspielräume
nicht als klare Rechtsfragen einzustufen sind, sondern eher auf Tatsachenebene zu verorten sind. Teilweise wird eine Annäherung der Ermessensfehlerlehre an diese zum Planungsermessen entwickelte Abwägungsfehlerlehre vorgeschlagen.229 Die eigenständige Struktur des Planungsermessens wird zunehmend mit dem Einwand angezweifelt, dass sie zu sehr auf der strengen Sichtweise der dualistischen Normtheorie beruhe.230 Es wird vorgeschlagen, im Planungsvorgang nicht die Verknüpfung eines Tatbestandes mit einer Rechtsfolge zu sehen, sondern eine Vorgabe von Aufgaben und Zielen mit dem Abwägungsgebot.231 Ob das Planungsermessen eine dogmatische Neuerung ist, ist fraglich. Denn die Anforderungen an die hierzu entwickelte Abwägungskontrolle entsprechen weitgehend denjenigen der Ermessenskontrolle.232 Die Frage, ob es eine Einbeziehung tatbestandlicher Abwägung gibt, ist unbeantwortet; das Planungsermessen kann somit richtigerweise als planungsrechtliche Ausprägung des Verwaltungsermessens angesehen werden.233 Dennoch ist auch in der begrifflichen Neuschöpfung eine Neuerung zu sehen, die als Idee einen Geltungsanspruch hat.
IV. Koppelungsvorschriften Als Koppelungsvorschriften werden solche Normen bezeichnet, die auf der Tatbestandsseite einen unbestimmten Rechtsbegriff mit einem Ermessen auf der Rechtsfolgenseite kombinieren.234 Strittig ist hierbei, ob es sich dann um einen eigenständigen Überprüfungsmechanismus handelt, oder ob man die jeweils für das Ermessen und den Beurteilungsspielraum entwickelten Kontrollmaßstäbe anwendet.235 Auch wenn für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs die gleichen Kriterien herangezogen werden, wie für die Ermessensentscheidung, sollen beide Kategorien voneinander getrennt geprüft werden, sodass es sich hierbei nicht um eine eigenständige dogmatische Kategorie handeln kann.236 Möglicherweise kann jedoch eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle analog zu der des konkret eingeräumten Ermessens auch für den unbestimmten Rechtsbegriff gelten.237
229 230 231 232 233 234 235 236 237
Proelß, AöR 136 (2011), 402 (425). Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 29 (Stand September 2018). Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 29 (Stand 1. 1. 2019). Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 156. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 8c. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 48. Voßkuhle, JuS 2008, 117 (119). Vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 24. Schenke/Ruthing, in: Kopp/Schenke, VwGO, 2018, § 114 Rn. 32.
A. Anerkannte Sonderformen des Ermessens
105
V. Das Versagungsermessen Der Begriff des Versagungsermessens taucht in verschiedenen Zusammenhängen auf und hat je nach Kontext und Norm, bei deren Anwendung der Behörde ein solches Ermessen zusteht, eine andere Bedeutung. Eine Auswahl soll im Folgenden dargestellt werden. Das Versagungsermessen ist dem Planungsermessen in der Ausprägung des Fachplanungsermessens verwandt.238 1. Das Versagungsermessen im Baurecht Der Begriff des Versagungsermessens wird etwa im Baurecht in Bezug auf die Erhaltungssatzungen im Rahmen des § 172 BauGB239 verwendet und beschreibt hier nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das im Ausnahmefall anzunehmende (Dispens-) Ermessen der Behörde, über die Genehmigung oder die Versagung einer Genehmigung zu entscheiden.240 Es handelt sich somit lediglich um eine verbale Konkretisierung des allgemeinen Ermessens. 2. Das Versagungsermessen im Umweltrecht und im Atomrecht Der Begriff des Versagungsermessens fand Anwendung241 im Rahmen der nach § 7 Abs. 1 Atomgesetz242 (AtomG) möglichen Versagung der Genehmigung von Anlagen zur friedlichen Verwendung der Kernenergie. Zwar können seit der ab dem 27. 4. 2002 gültigen Novelle des AtomG243 nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AtomG Genehmigungen für den Betrieb von Anlagen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität nicht mehr erteilt werden. Allerdings ist das Versagungsermessen in einem anderen Zusammenhang wichtig geworden. Denn in diesem Bereich ist eine Überschneidung244 mit dem Planungsermessen zu beobachten: Nach § 9b AtomG bedarf die Errichtung, der Betrieb und die Stilllegung einer Anlage, in welcher mit Kernbrennstoffen245 umgegangen wird, der Planfeststellung. Besonders § 9b Abs. 4 AtomG gibt der Literatur Anlass, die Übertragung der zum allgemeinen Fachplanungsrecht entwickelten Grundsätze auf das atomrechtliche Planfeststellungsver238
Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 29 (Stand September 2018). Baugesetzbuch, BGBl. I 1986, S. 2191. 240 BVerwGE 121, 169 (181); BVerwGE 105, 67 (72); BVerwGE 78, 23. 241 Kühne, DVBl. 2003, 1361; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, § 7 Rn. 188. 242 BGBl. I 1959, S. 814. 243 BGBl. I 2002, S. 1351. 244 Eine „enge Verzahnung von atom- und verwaltungsverfahrensgesetzlichem Planfeststellungsrecht“ beobachten Gierke/Paul, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 9b AtomG Rn. 26 (Stand September 2018). 245 Zur genauen Auflistung der planfeststellungspflichtigen Anlagen siehe § 9a AtomG. 239
106 2. Teil Kap. 4: Die etablierten Sonderformen behördlicher Entscheidungsspielräume
fahren zu diskutieren.246 Die Übertragbarkeit oder gar das Bedürfnis zur Übertragung (jedenfalls des Kriteriums der Planrechtfertigung) wird mit dem Argument abgelehnt, dass der Bund gesetzlich zur Errichtung von Endlagern für radioaktive Abfälle gem. § 9a Abs. 3 Satz 1 AtomG verpflichtet ist, eine Erforderlichkeitsprüfung also entbehrlich sei.247 Hiermit ist die Frage verknüpft, ob die Behörde im Rahmen des § 9b Abs. 4 AtomG eine echte Planfeststellung und damit eine Abwägungsentscheidung trifft.248 Die Übertragung der Grundsätze zum Planfeststellungsverfahren auf § 9b AtomG wird ohnehin im Ergebnis abzulehnen sein, da es an einer Abwägungsklausel fehlt. Da Versagungsgründe aufgezählt sind, handelt es sich hier eher um eine gebundene Entscheidung.249 Der Administrative verbleibt in diesem Rahmen lediglich eine Art Dispensermessen.250
VI. Zwischenergebnis Die vorstehenden Beispiele für Sonderformen behördlicher Letztentscheidungsrechte haben gezeigt, dass die Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen nicht alle speziellen Sachverhalte zu erfassen mögen. Dennoch ist zu beobachten, dass eine Abkehr von den strengen gerichtlichen Kontrollmaßstäben wegen der historisch bedingten und weiterhin großen Bedeutung von Methoden und Auslegungsinstrumenten für die Rechtswissenschaft251 schwer fällt.
B. Ausblick Die Deutschen befinden sich als „Musterschüler des Rechtsstaats“252 im europäischen Vergleich mit der feinen Dogmatik zur Überprüfung behördlicher Ent246
2018). 247 248
2018). 249
2018). 250
Gierke/Paul, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 9b AtomG Rn. 47 (Stand September OVG Lüneburg BeckRS 2006, 24014. Gierke/Paul, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 9b AtomG Rn. 49 (Stand September Gierke/Paul, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 9b AtomG Rn. 56 (Stand September
BVerfG NJW 1978, 359 (364): „Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anhand praktischer Vernunft bewenden. Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen.“ (359, Leitsatz 6). 251 Limperg/Mayen/Rüthers/Safferling/Schröder, NJW 2016, 3698 (3698 f.). 252 Sendler, NJW 1994, 1518 (1519).
B. Ausblick
107
scheidungsspielräume schon lange auf einem Sonderweg.253 Unter dem Eindruck einer zunehmenden Europäisierung von Bereichen, die dem nationalen Verwaltungsrecht zugeordnet werden,254 gerät diese Dogmatik aber offenbar nicht unter Druck.255 Jedoch werden die zu regelnden Materien immer komplexer; das Verwaltungsrecht hat Steuerungsfunktion und ist nicht mehr bloßes Ordnungsrecht. Dies führt trotz der Kritik, die es am „Verschwimmen“256 der Grenzen zwischen Tatbestand und Rechtsfolge gibt, vereinzelt zu einem notwendigen Abweichen vom klassischen Dogma. Mit diesen Notwendigkeiten zielorientiert umzugehen, statt sie lediglich zu negieren und auf der Beibehaltung hergebrachter Dogmen zu beharren, kann als fortdauernde Aufgabe für die Verwaltungsrechtswissenschaft gelten.
253
Kment/Vorwalter, JuS 2015, 193 (196). Ludwigs, NVwZ 2018, 1417. 255 Siehe dazu Kap. 7 der Arbeit. 256 Gärditz, NJW-Beil 2016, 41 (42); ähnlich Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 6. 254
Dritter Teil
Die Entwicklung des Regulierungsermessens Kapitel 5
Die Entwicklung des Regulierungsermessens in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum TKG Erstmals wird der Begriff des Regulierungsermessens wohl im Jahr 20021 verwendet und 2004 vom Bundesverwaltungsgericht aufgegriffen,2 wobei sein Vorliegen dort zunächst verneint wurde. In der Grundsatzentscheidung vom 28. 11. 20073 bejahte das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen eines Regulierungsermessens der damaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post – der heutigen Bundesnetzagentur – erstmals. Zur „Berücksichtigung der allgemeinverwaltungsrechtlichen Kategorien und der besonderen Perspektive der Regulierungssituation“ hat das Gericht in dieser Entscheidung und in der Folgeentscheidung vom 2. 4. 20084 den Begriff des „Regulierungsermessens“ verwendet, um hiermit das Ermessen der Bundesnetzagentur in Fragen der Netzzugangsregulierung im Telekommunikationsrecht zu beschreiben. Es hat hierbei einen der Bundesnetzagentur im Rahmen der Regulierung nach den §§ 10, 11 und §§ 21, 30 Telekommunikationsgesetz (TKG)5 eingeräumten umfassenden Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite, dessen (behördliche) Ausübung und (gerichtliche) Überprüfung entgegen der gängigen Dogmatik nicht vom Ermessen auf der Rechtsfolgenseite zu trennen sei, angenommen. Das Gericht hat ausgeführt, dass die Normstruktur es ausschließe, einen solchen von der nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensausübung zu trennenden Beurteilungsspielraum in den vorliegenden Konstellationen anzunehmen.6 Das Regulierungsermessen leite sich aus den europarechtlichen Vorgaben, namentlich der Richtlinie für einen gemeinsamen Rechtsrahmen für
1
Röhl, Die Regulierung der Zusammenschaltung, 2002, S. 191 ff. Hier allerdings noch in Anführungszeichen als „Regulierungsermessen“ bezeichnet, BVerwGE 120, 263. 3 BVerwGE 130, 39. 4 BVerwGE 131, 41. 5 BGBl. I 2004, S. 1190; im Folgenden „TKG 2004“. 6 BVerwGE 130, 39, Rz. 29; BVerwGE 131, 41, Rz. 41. 2
A. Anerkennung des Regulierungsermessens: BVerwGE 130, 39
109
elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie)7 ab.8 Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsfigur ausdrücklich an das Planungsermessen angelehnt.9 Das Regulierungsermessen ist mittlerweile in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt. In der Literatur wurde diese Rechtsprechung vor allem aufgegriffen, weil ihr entnommen werden kann, dass (tatbestandliche) Letztentscheidungsrechte der Verwaltung auch außerhalb der bisher anerkannten Fallgruppen bestehen10 und weil das Regulierungsermessen die gängige Trennung behördlicher Entscheidungskategorien herausfordert. Da das Regulierungsermessen in den beiden erwähnten Grundsatzentscheidungen für Normen des TKG 2004 angenommen wurde, sollen im ersten Kapitel dieses Teils zunächst diese beiden Entscheidungen untersucht werden. Im zweiten Kapitel dieses Teils soll die Übertragung der zum TKG 2004 entwickelten – und für spätere Fassungen des TKG bestätigte11 – Dogmatik auf Rechtssätze des EnWG und die aufgrund des EnWG ergangenen Verordnungen nachvollzogen werden. Dies soll anschließend die Kritik erlauben, ob sich die Annahme der Eigenständigkeit eines Regulierungsermessens und seine Übertragung auf den Energiesektor rechtfertigen lassen.
A. Anerkennung des Regulierungsermessens: BVerwGE 130, 39 I. Ausgangslage Nach den Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes 199612 galten für Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht noch gesetzesunmittelbare Pflichten über den Zugang zu ihrem Netz.13 Mit der Novellierung des TKG 200414 wandelte sich das Regulierungskonzept von der gesetzesunmittelbaren hin zu einer administrativ auferlegten Regulierung.15 Diese erfolgte nun in zwei Schritten: Zunächst stellt die 7
Richtlinie 2002/21/EG vom 7. 3. 2002, ABl. EG Nr. L 108 vom 24. 4. 2002, S. 33 ff. Das Bundesverwaltungsgericht hat hiermit wohl bewusst auch das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der fehlenden Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur (vorübergehend erfolgreich) abzuwenden versucht: Pressemitteilung der Kommission vom 26. 6. 2008, IP/08/1018. 9 So auch Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 28 (Stand 1. 4. 2019). 10 Siehe hierzu weiter unten; auch: Siegel, ZUR 2017, 451 (452); Ludwigs, JZ 2009, 290. 11 Mayen, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2018, § 21 Rn. 12 ff. 12 BGBl. I 1996, S. 1120. 13 So war in § 35 Abs. 1 TKG 1996 ein unmittelbarer Anspruch auf Netzzugang normiert, vgl. BVerwGE 126, 74 Rn. 37. 14 BGBl. I 2004, S. 1190. 15 So auch Ludwigs, RdE 2013, 297 (304). 8
110
3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
Bundesnetzagentur nach einem in den §§ 10 und 11 TKG 2004 ausgestalteten Verfahren den relevanten Markt fest (§ 10 Abs. 1 TKG 2004). Hierbei muss sie diesen Markt räumlich und sachlich abgrenzen. § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG 2004 gibt Kriterien für die Prüfung der Regulierungsbedürftigkeit des abgegrenzten Marktes vor. Regulierungsbedürftig ist dieser Markt vor allem (und verkürzt gesagt) dann, wenn dort kein wirksamer Wettbewerb besteht und ein auf ihm tätiges Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügt (§ 11 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 TKG 2004). In einem zweiten Schritt muss die Behörde, wenn die Voraussetzungen des § 9 TKG 2004 erfüllt sind, also der räumlich und sachlich relevante Markt mit dem Ergebnis abgegrenzt wurde, dass eines oder mehrere Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügen, über die Auferlegung von Regulierungspflichten nach dem zweiten Teil des Gesetzes entscheiden. Diese zwei Feststellungen ergehen gem. § 13 Abs. 3 TKG 2004 in einem einheitlichen Verwaltungsakt, der Regulierungsverfügung.16 Dieses verwaltungsrechtliche Instrument war bei seiner Einführung einzigartig im deutschen Verwaltungsrecht und kann als Miturheber für die Herausbildung des Regulierungsrechts als eigenständiges Rechtsgebiet gelten.17
II. Herausforderungen Um alle relevanten Belange in einer Regulierungsentscheidung zu berücksichtigen, muss die Regulierungsbehörde also zunächst Feststellungen tatsächlicher Art treffen: die beschriebene Marktabgrenzung nach § 10 Abs. 1 TKG 2004 und darauf aufbauend die Analyse dieses Marktes nach § 11 Abs. 1 TKG 2004. Anschließend muss sie in Verbindung mit den nach §§ 10, 11 TKG 2004 getroffenen Feststellungen nach § 21 TKG 2004 eine prognostische Entscheidung in Bezug auf die wirtschaftlichen und wettbewerblichen Folgen ihrer Entscheidung in Form der konkreten Regulierungsverpflichtungen vornehmen.18 Sowohl die §§ 10, 11 TKG 2004, als auch § 21 TKG 2004 enthalten eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und nicht abschließend zu berücksichtigender Marktprüfungsvorgaben, die von der Regulierungsbehörde konkretisiert und ausgewählt werden müssen. Die am Ende dieses Vorgangs stehende Verwaltungsentscheidung ist insgesamt eine Prognose, bei der komplizierte wirtschaftliche und technische Gegebenheiten als Tatsachen zu berücksichtigen sind, sowie direkt Grundlage der Prognoseentscheidung werden und somit die maßgebliche Rechtsfolge bestimmen. Eine „Prognoseentscheidung“ kann nach der im zweiten Teil dieser Arbeit gezeigten Typologie des Beurteilungsspielraums grundsätzlich einen erweiterten behördlichen Entscheidungsspielraum rechtfertigen. 16
Die Norm lautete: „Die Entscheidungen nach den §§ 18, 19, 20, 21, 24, 30, 39, 40 oder 41 Abs. 1 ergehen mit den Ergebnissen der Verfahren nach den §§ 10 und 11 als einheitlicher Verwaltungsakt.“ 17 Mayen, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2018, § 13 Rn. 4. 18 BVerwGE 131, 41 Rn. 22.
A. Anerkennung des Regulierungsermessens: BVerwGE 130, 39
111
III. Sachverhalt Verschiedene alternative Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen (sog. City Carrier) hatten sich an das Verwaltungsgericht Köln mit einem Verpflichtungsbegehren gewandt, wodurch die Deutsche Telekom AG weitergehenden Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Teilnehmeranschlussleitung19 unterworfen werden sollte.20 Sie griffen einen Beschluss der Bundesnetzagentur – zu diesem Zeitpunkt noch als RegTP – vom 20. 4. 2005 an, worin die Telekom AG als marktbeherrschendes Unternehmen verpflichtet wurde, anderen Unternehmen vollständig entbündelten Zugang zu ihrem Kupferdoppelader-Teilnehmeranschluss und in erforderlichem Umfang auch Zugang zu diesem Anschluss einschließlich hybrider Varianten sowie „Kollokation21 und näher bezeichnete Kooperationsmöglichkeiten“ zu gewähren. Die RegTP hatte mit diesem Beschluss gem. § 13 Abs. 3 TKG 2004 Regelungen zum „Markt Nr. 11“22 erlassen, die der Umsetzung der Empfehlungen der Europäischen Kommission23 dienten. Dieser Beschluss hob einen vorherigen Beschluss der Regulierungsbehörde24 auf, in welchem noch festgelegt war, dass die Deutsche Telekom AG auch Zugang zum Teilnehmeranschluss auf Basis von Glasfaser gewähren muss,25 schwächte die Regulierungsverpflichtungen im Ergebnis also ab. Insbesondere begehrten die Kläger Zugang zur Glasfaserleitung der Telekom AG, also die Erweiterung des von der Bundesnetzagentur als regulierungsbedürftig definierten Marktes über die Kupferdoppelader hinaus. Zudem beantragten sie weitere Regulierungsverpflichtungen, wie etwa einen Kapazitätsausbau, die Zulassung von Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Unternehmen und Transparenzverpflichtungen.26 Hiermit scheiterten sie sowohl vor dem Verwaltungsgericht Köln,27 als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Letzteres ging bereits von der Unzulässigkeit der Klage aus, unter anderem weil die Klägerin zwar bis auf den Antrag auf entbündelten Zugang auch zum Glasfaserkabelnetz der Beigeladenen klagebefugt 19 Der Teilnehmeranschluss gem. § 3 Nr. 21 TKG 2004 ist „die physische Verbindung, mit dem der Netzabschlusspunkt in den Räumlichkeiten des Teilnehmers mit den Hauptverteilerknoten oder mit einer gleichwertigen Einrichtung in festen öffentlichen Telefonnetzen verbunden wird“ und wird auch als „letzte Meile“ oder Teilnehmeranschlussleitung bezeichnet, Beschluss der Bundesnetzagentur vom 20. 4. 2005, BK4 – 04 – 075/R, S. 3. 20 Nachfolgende Sachverhaltsdarstellung nach BVerfGE 130, 39 Rn. 1 – 8. 21 Kollokation bezeichnet hier die Nutzung von Ressourcen des marktbeherrschenden Unternehmens an dessen Hauptverteiler. 22 Dieser Markt ist bezeichnet als „Entbündelter Großkundenzugang (einschließlich des gemeinsamen Zugangs) zu Drahtleitungen und Teilleitungen für die Erbringung von Breitbandund Sprachdiensten“, Beschluss der RegTP vom 20. 4. 2005, BK4 – 04 – 075/R. 23 Empfehlung der Kommission vom 11. 2. 2003, ABl Nr. L 114, S. 45. 24 BK4a-04 – 027/E. 25 Beschluss der RegTP vom 20. 4. 2005, BK4 – 04 – 075/R, S. 3. 26 BVerwGE 130, 39 Rn. 3. 27 BeckRS 2008, 34237.
112
3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
sei, aber nötige Sachanträge nicht vorab im Verwaltungsverfahren gestellt habe.28 Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision als in allen Punkten unbegründet zurückgewiesen. Wegen der fehlenden Zulässigkeit ist die Entscheidungsbegründung mit knapp vier Seiten recht kurz.29
IV. Die Entscheidung Unter dem oben dargestellten neuen Regulierungskonzept des TKG 2004 ergaben sich verschiedene Herausforderungen an die Entscheidungsspielräume der Regulierungsbehörde, welche nach richtigem Verständnis nach dem Willen des (europäischen) Gesetzgebers in Umsetzung zweier Richtlinien,30 der Zugangs- und der Rahmenrichtlinie, die Ausweitung des behördlichen Entscheidungsspielraums gegenüber der Rechtslage unter dem TKG 1996 bedeuteten.31 1. Die Entscheidungsbegründung Die Entscheidung über die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts das „Ergebnis einer umfassenden und komplexen Abwägung, bei der gegenläufige öffentliche und private Belange einzustellen, zu gewichten und auszugleichen sind“.32 Sofern die Voraussetzungen der §§ 10 und 11 TKG 2004 erfüllt sind, der Markt also als regulierungsbedürftig festgestellt wurde, stehe der Bundesnetzagentur zwar kein Entschließungsermessen mehr hinsichtlich ihres Tätigwerdens zu; wohl aber ein Ermessen hinsichtlich der Auswahl und Kombination der in § 13 Abs. 1 und 3 TKG 2004 genannten Maßnahmen, welches sich an den Regulierungszielen auszurichten hat.33
28
BVerwGE 130, 39 Rn. 22 f. NVwZ 2008, 575 – 578. 30 Richtlinie über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie, ZRL) 2002/19/EG, ABl. Nr. L 108 v. 24. 4. 2002, S. 7 ff. und Richtlinie über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie, RRL) 2002/21/EG, ABl. Nr. L 108 v. 24. 4. 2002, S. 33 ff., beide vom 7. 3. 2002. 31 Impliziert durch die nunmehr behördliche Ausgestaltung von Rechtsfragen, welche sich nach alter Rechtslage direkt aus dem Gesetz ergaben, so ausdrücklich für Beurteilungsspielräume nach § 10 Abs. 1, Abs. II S. 1, § 11 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 TKG 2004: BVerwGE 131, 41 Rn. 16. 32 BVerwGE 130, 39 Rn. 28. 33 Dieses Auswahlermessen im Rahmen des § 13 TKG wurde in späteren Entscheidungen auch als Regulierungsermessen eingestuft: Mayen, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2018, § 13 Rn. 31. 29
A. Anerkennung des Regulierungsermessens: BVerwGE 130, 39
113
2. Das Regulierungsermessen Im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 2 TKG 2004 muss die Behörde prüfen, ob die Zugangsverpflichtung gerechtfertigt ist und in einem „angemessenen Verhältnis zu den Regulierungszielen steht“. Ein Katalog mit sieben Punkten gibt weitere (nicht abschließende) Abwägungskriterien vor.34 Es sei aus diesen Gründen nicht möglich, die „durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerte Abwägung von einer sich daran erst anschließenden Ermessensbetätigung zu trennen und erstere der vollen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen“.35 Die Abwägung bezeichnet der 6. Senat als „untrennbaren Bestandteil des Regulierungsermessens“ selbst, welches der Bundesnetzagentur hier eingeräumt sei.36 Das Ermessen wird vom Bundesverwaltungsgericht wegen der Normstruktur des § 21 TKG 2004 hiermit ausgeweitet auf Bereiche tatbestandlicher Abwägung. Das Gericht hebt zwar hervor, dass die Überprüfung tatbestandlicher Abwägung und die Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe uneingeschränkt und in Gänze Sache der Verwaltungsgerichte ist.37 Wegen der hohen Komplexität bzw. der besonderen Dynamik des in Frage stehenden gesetzlichen „Entscheidungsprogramms“ sei eben jenes aber so vage, dass eine Konkretisierung und ein Nachvollziehen der Behördenentscheidung die Gerichte an ihre „Funktionsgrenze“ stoßen lasse.38 Die gerichtliche Überprüfung von Behördenentscheidungen gehe nur so weit, wie das materielle Recht der Verwaltungsbehörde Entscheidungsspielräume ohne festes Entscheidungsprogramm zugestehe.39 Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass es dem Gesetz dann einen größeren Entscheidungsspielraum für die Exekutive entnimmt, wenn die zu treffende Entscheidung wertende Elemente beinhaltet und das Gesetz aus diesem Grund ein spezielles Organ der Exekutive für die Entscheidung vorsieht, welches mit „besonderer fachlicher Legitimation in einem besonderen Verfahren entscheidet“.40 Bei diesem Verwaltungsorgan handele es sich um ein Kollegialorgan, in dem mögliche Auffassungsunterschiede bereits zum Ausgleich gebracht werden und die zu treffende Entscheidung versachlicht wird.41 3. Zwischenergebnis Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt den Willen, den final programmierten Normen im Bereich der Telekommunikationsmarktregulierung ein 34 35 36 37 38 39 40 41
BVerwGE 130, 39 Rn. 28. BVerwGE 130, 39 Rn. 29. BVerwGE 130, 39 Rn. 29. BVerwGE 130, 39 Rn. 29. BVerwGE 130, 39 Rn. 29 mit Verweis auf BVerfGE 84, 34. BVerwGE 130, 39 Rn. 29. BVerwGE 130, 39 Rn. 29. BVerwGE 130, 39 Rn. 29, mit Verweis auf BVerwG NJW 2007, 2790.
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
anderes gerichtliches Kontrollprogramm zuteil werden zu lassen als den klassischordnungsrechtlichen, konditionalen Vorschriften, denen das Verwaltungsermessen „auf den Leib geschneidert“ wurde. Die Besonderheiten der in zwei Schritten erfolgenden Marktregulierung durch die Regulierungsbehörde gaben jedenfalls Anlass, die als überkommen bezeichnete Letztentscheidungsdogmatik für diesen besonderen Bereich zu überdenken. Weil die beiden Grundsatzurteile als eine einheitliche Rechtsprechung betrachtet werden können und die zweite eine detailliertere Entscheidungsbegründung aufweist als die erste, soll zunächst die Folgeentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betrachtet werden, bevor eine Bewertung erfolgt.
B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41 In dieser Entscheidung wurde der Begriff des Regulierungsermessens aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. 11. 2007 aufgegriffen und seine rechtliche Begründung vertieft. Auch hier ging es um eine von der Bundesnetzagentur durchgeführte Marktdefinition und -analyse, auf deren Basis der Deutschen Telekom AG als marktbeherrschendem Unternehmen Regulierungsverpflichtungen auferlegt wurden. Hiergegen wandte sie sich.
I. Sachverhalt42 Die Deutsche Telekom AG verfügte über beträchtliche Marktmacht auf dem Vorleistungsmarkt für Anrufzustellung im Mobilfunknetz. Sie wurde durch Beschluss der Bundesnetzagentur vom 30. 8. 200643 verpflichtet, anderen Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen die Zusammenschaltung mit ihrem öffentlichen Mobilfunk-Telefonnetz an ihrem Vermittlungsstellenstandort zu ermöglichen, über die Zusammenschaltung Verbindungen in ihr Netz zu terminieren und jederzeit Zugang zu den nötigen Einrichtungen zu gewähren. Weiterhin wurde sie verpflichtet, die Zugangsbedingungen auf objektiven Maßstäben zu erstellen und ihre Nachvollziehbarkeit, Diskriminierungsfreiheit und Billigkeit sicherzustellen. Sie sollte außerdem ein Standardangebot für die Zugangsleistungen erstellen und die Entgelte für die Gewährung des Netzzugangs und der Kollokation sollten einer Genehmigungspflicht nach Maßgabe des § 31 TKG 2004 unterworfen werden. Der relevante Markt (Markt 16) wurde wie im Vorgängerverfahren von der Regulierungsbehörde als regulierungsbedürftig gem. § 10 Abs. 2 TKG 2004 eingestuft und das bereits freiwillige Angebot der Telekom AG im Bereich der Anrufzustellung als nicht ausreichend erachtet. Denn dieses könne nach Auffassung der Bundesnetzagentur 42 43
Zum folgenden Abschnitt: BVerwGE 131, 41 Rn. 1 – 10. ABl. BNetzA 2006, S. 2271.
B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41
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jederzeit zurückgenommen oder eingeschränkt werden, sodass die Auferlegung einer entsprechenden Verpflichtung und der Zugangsentgelte nach pflichtgemäßem Ermessen geboten sei. Hiergegen wandte sich die Telekom AG mit dem Argument, dass schon die Marktabgrenzung fehlerhaft sei. Sie begehrte die Betrachtung des Marktes für Zusammenschaltung in Mobilfunknetze insgesamt, was bei der Marktanalyse zur Ablehnung der beträchtlichen Marktmacht geführt hätte. Auch die enthaltene Entgeltregulierung sei weder rechtmäßig, noch geboten, da in der Vergangenheit stetige Preissenkungen stattgefunden hätten, welche nach Ansicht der Telekom AG belegen, dass es bereits einen Preisdruck gebe. Die Bundesnetzagentur verteidigte ihre Entscheidung, die Entgelte zu regulieren, da so sichergestellt sei, dass sie denjenigen Entgelten entsprechen, die sich auf einem wettbewerblich organisierten Markt einstellen würden. Eine ex-post Missbrauchskontrolle der Entgelte sei hierfür nicht ausreichend. Das Verwaltungsgericht Köln hat der Klage der Telekom AG nur im Hinblick auf die Entgeltgenehmigungspflicht stattgegeben, da die ex-post Missbrauchsaufsicht über die Entgelte gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 TKG 2004 ein ebenso geeignetes Mittel sei wie eine Genehmigungspflicht.44
II. Die Entscheidungsgründe45 Das Bundesverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil bestätigt und die Revision der Telekom zurückgewiesen.46 1. Einheitlicher Beurteilungsspielraum im Rahmen der §§ 10 Abs. 1, Abs. 2 und § 11 Abs. 1 TKG 2004 Der Bundesnetzagentur stehe auch nach höherrangigem Gemeinschaftsrecht47 bei der Ausübung ihrer Befugnisse aufgrund der komplexen und ineinandergreifenden Faktoren wirtschaftlicher, sachlicher und rechtlicher Art bei der Anwendung der infrage stehenden Normen (wie im Vorgängerfall: §§ 10, 11, 21 TKG 2004) ein weitreichender Ermessens- und Beurteilungsspielraum zu.48 Das Zusammenspiel zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht wird auch in dieser Entscheidung hervorgehoben, die Abgrenzung des Marktes richte sich nun 44
BeckRS 2007, 22187. BVerwGE 131, 41 Rn. 11 ff. 46 BVerwGE 131, 41 Rn. 12. 47 Hierzu umfassend: Wendel, Verwaltungsermessen als Mehrebenenproblem, 2019, § 4 S. 148 ff., 161 f. 48 BVerwGE 131, 41 Rn. 18. 45
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
„unmittelbar“ nach europäischem Recht.49 Zwar seien weiterhin nationale Behörden und Gerichte zuständig, jedoch folgten das anzuwendende Recht und die „Auslegungsrichtung“ unmittelbar aus der Rahmenrichtlinie sowie der Märkte-Empfehlung der Kommission.50 Die Marktabgrenzung nach § 10 Abs. 1 TKG 2004, die Prüfung seiner Regulierungsbedürftigkeit nach § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG 2004 und die Marktanalyse nach § 11 Abs. 1 TKG seien derart eng miteinander verwoben, dass sich der eingeräumte Beurteilungsspielraum auf diesen Prozess als Ganzes beziehen müsse.51 Zudem weise die zu treffende Entscheidung prognostischen Charakter auf, weshalb sich der Beurteilungsspielraum auch nicht auf den Drei-Kriterien-Test des § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG 2004 beschränke.52 Weitere wettbewerbsökonomische Aspekte seien in die Entscheidung einzubeziehen, sodass auch bei deren Berücksichtigung ein Beurteilungsspielraum anzunehmen sei.53 2. Kein Entgegenstehen von Unionsrecht oder nationalem Verfassungsrecht Unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs betont das Bundesverwaltungsgericht, dass die Überprüfung von behördlichen Entscheidungen durch die nationalen Gerichte nicht weiter gehen muss, als diejenige des Europäischen Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen.54 Höherrangiges Gemeinschaftsrecht gebiete sogar die Einräumung eines weiten Beurteilungsspielraums, da es sich um Märkte mit transnationaler Ausstrahlung handele. Auch mit nationalem Verfassungsrecht sei der weite Beurteilungsspielraum vereinbar.55 Die materiellrechtliche Bindung der Exekutive sei die Grenze der gerichtlichen Überprüfbarkeit. 3. Regulierungsermessen im Rahmen des § 21 TKG 2004 Die Marktdefinition und -analyse nach den §§ 10, 11 TKG 2004 beinhalte wertende Elemente. Auch sei das Beschlusskammerverfahren bei der Bundesnetzagentur nach den §§ 132 ff. TKG 2004 ein förmliches Verfahren, sodass die Voraussetzungen für die Einräumung eines Beurteilungsspielraums nach der klassischen
49
Wobei diese Formulierung freilich etwas missverständlich ist. Die direkte Wirkung entfaltet das Unionsrecht in diesem Fall möglicherweise im übertragenen Sinne. Zwar beruht die Marktdefinition und -analyse auf einer EU-Richtlinie. Sie wurde jedoch mit § 10 TKG in nationales Recht umgesetzt, sodass gerade kein unmittelbarer Vollzug von Unionsrecht vorliegt, sondern ein Vollzug nationalen Umsetzungsrechts. 50 Markt 16 der Märkte-Empfehlung der Europäischen Kommission vom 11. 2. 2003. 51 BVerwGE 131, 41 Rn. 16. 52 So auch schon BVerwGE 130, 39. 53 Kühling/Schall/Biendl, Telekommunikationsrecht, 2014, S. 146; Schütz, in: Geppert/ Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 10 Rn. 31. 54 BVerwGE 131, 41 Rn. 19 f. 55 BVerwGE 131, 41 Rn. 20.
B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41
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Dogmatik vorliegend erfüllt seien.56 Das Verwaltungsgericht sei dann beschränkt auf die „Überprüfung, ob die Bundesnetzagentur die Interessen der Beteiligten ermittelt, alle erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse gewonnen, die für die Abwägung wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und keine sachfremden Erwägungen angestellt“ hat.57 a) Die Überprüfung des Beurteilungsspielraums im Rahmen des Regulierungsermessens Das Regulierungsermessen stehe der Bundesnetzagentur etwa dann zu, wenn sie gem. § 21 Abs. 1, Abs. 358 Nr. 2 TKG 2004 über die Verpflichtung des marktbeherrschenden Unternehmens zur Zugangsgewährung entscheidet.59 Bei der Prüfung, ob diese Zugangsverpflichtung gerechtfertigt ist und in angemessenem Umfang zu den Regulierungszielen des § 2 Abs. 2 TKG 2004 steht, hat sie einen sieben Punkte umfassenden Katalog von Abwägungskriterien zu berücksichtigen. Diese Abwägung sei von einer Ermessensbetätigung nicht zu trennen, sondern vielmehr Bestandteil des Regulierungsermessens, also der sich anschließenden Auswahl der konkreten Regulierungsverpflichtungen selbst.60 Die Ausübung des dem Regulierungsermessen immanenten Beurteilungsspielraums kann nach dem Bundesverwaltungsgericht daraufhin überprüft werden, ob die Behörde61 - die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, - von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, - den erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt hat und - sich bei der Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten hat, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat. Auch in der Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen nach § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG 2004 erkennt das Bundesverwaltungsgericht keine Ermessensfehler,62 56
BVerwGE 131, 41 Rn. 20. BVerwGE 130, 39 Rn. 31. 58 Das Bundesverwaltungsgericht äußert zwar Zweifel, nimmt hier aber dennoch eine echte Soll-Vorschrift an, nach der das Ermessen grundsätzlich in eine bestimmte, vom Gesetzgeber intendierte Richtung ausgeübt werden muss und nur in atypischen Fällen Abweichungen zulässig sind, BVerwGE 131, 41 Rn. 48. Diese Auslegung ist mittlerweile vom EuGH als gemeinschaftsrechtswidrig eingestuft worden, da der Regulierungsbehörde in jedem Fall ein Ermessen über die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen eingeräumt sein muss, EuGH NVwZ 2010, 370. 59 BVerwGE 131, 41 Rn. 47. 60 BVerwGE 131, 41 Rn. 47. 61 BVerwGE 131, 41 Rn. 21. 62 BVerwGE 131, 41 Rn. 66. 57
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
denn auch hier stehe der Bundesnetzagentur gemäß dem erklärten Willen des Gesetzgebers ein weiter Ermessensspielraum zu.63 Normzweck und Gesetzessystematik seien dahingehend zu verstehen, dass eine Zuwendung zum „System des Erlasses regulierungsbezogener Verwaltungsakte“ in Abgrenzung zu gesetzesunmittelbaren Verpflichtungen gewollt sei.64 Das Gericht identifiziert hier eine Abwendung von der legislativen und eine Hinwendung zur administrativen Regulierung.65 Dieses Ergebnis entspricht auch dem Gemeinschaftsrecht, da die Kommission einer zu weitgehenden legislativen Vorsteuerung des Ermessensspielraums in Bezug auf die Entgeltregulierung nach § 30 TKG 2004 eine Absage erteilt hat.66 Der Senat zieht hier eine Parallele zu der Vorgängerentscheidung, in der festgestellt wurde, dass die Prüfung der Rechtfertigung von Zugangsverpflichtungen einen Bestandteil des Regulierungsermessens bildet und hiervon nicht isoliert zu betrachten ist.67 In diesem Rahmen hat das Gericht die Festlegung der Bundesnetzagentur auf eine ex-ante Regulierung der Entgelte nicht beanstandet, wobei es auch hier das Gemeinschaftsrecht heranzieht (Erwägungsgrund 20 zu Art. 13 der Zugangsrichtlinie).68 b) Die Überprüfung der Ausübung des Regulierungsermessens Die Orientierung der auf der einheitlichen Marktanalyse basierenden Regulierungsverfügungen69 an den Regulierungszielen des § 2 TKG 2004 und an Verbraucherinteressen sowie einem chancengleichen Wettbewerb ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls Ausprägung des Regulierungsermessens und nicht zu beanstanden.70 Das Gericht entwickelt folgenden Fehlerkatalog, nach welchem das Regulierungsermessen fehlerhaft ausgeübt ist, wenn:71 - Eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), - in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge hätte eingestellt werden müssen (Abwägungsdefizit), - die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden ist (Abwägungsfehleinschätzung),
63 64 65 66 67 68 69 70 71
BT-Drucks. 15/2674 vom 10. 3. 2004, S. 31; BT-Drucks. 15/2679 vom 10. 3. 2004, S. 14. BVerwGE 131, 41 Rn. 52. Wie bereits in BVerwGE 126, 74. Stellungnahme der Kommission vom 12. 4. 2005 – C 2005, 1196. BVerwGE 131, 41 Rn. 66. BVerwGE 131, 41 Rn. 69. ABl. BNetzA 2006, S. 2271. BVerwGE 131, 41 Rn. 70. BVerwGE 131, 41 Rn. 47.
B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41
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- oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden ist, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität).72 Dieser Fehlerkatalog entspricht demjenigen des Planungsermessens.73 Versteht man unter „Belange“ nicht lediglich rechtsfolgenbezogene Aspekte, sondern jegliche, auch in der Lebenswelt zu findende Tatsachenaspekte (wie der Wortlaut durchaus nahelegt), stellt das Regulierungsermessen in dieser Form tatsächlich einen dem Beurteilungsspielraum entsprechenden Letztentscheidungsspielraum dar.
III. Zwischenergebnis Auch dieses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zeigt, dass die behördliche Anwendung und gerichtliche Nachvollziehung der zu dieser Zeit neuartigen, komplexen Normstrukturen in einem veränderten Regulierungssystem die entwickelten Maßstäbe zur Überprüfung von administrativen Entscheidungen herausforderten. Regulierung ist „moderne Handlungsform“ der Verwaltung.74 Sie erfordert aufgrund der im ersten Teil dargestellten Verknüpfung von staatlicher Gewährleistungsfunktion mit komplizierten technischen mit wirtschaftlich-prognostischen Einschätzungen funktionsfähige rechtliche Handlungsinstrumente. Der Neuigkeitsgehalt des Regulierungsermessens ist augenscheinlich nicht bloß seine Bezeichnung, sondern die vom Bundesverwaltungsgericht herausgehobene Verbindung tatbestandlicher und rechtsfolgenseitiger Abwägungsbelange. In den beiden dargestellten Urteilen werden so auch nicht die gängigen Abgrenzungen oder Terminologien von Beurteilungsspielraum und Ermessen eingehalten. Das Regulierungsermessen ist die Schaffung einer neuen Kategorie behördlichen Letztentscheidens unter Heranziehung der anerkannten Maßstäbe zu seiner Rechtfertigung und Herleitung. Es ist aber kein Bruch mit der Dichotomie von Tatsachen- und Rechtsfragen, sondern eine Annäherung dieser beiden Kontrollmechanismen. Die enge Verbindung der zu berücksichtigenden Tatsachen- und Rechtsfragen führt zu einer Anpassung der Überprüfung von Ermessenserwägungen, die nicht mehr rein rechtsfolgenbezogen sind.
72 So auch Geppert/Attendorn, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 21 Rn. 270. 73 Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 2018, § 114 Rn. 35. 74 Proelß, AöR 136 (2011), 402 (403).
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
IV. Entscheidungsspielräume bei der Marktdefinition und -analyse Gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG 2004 steht der Regulierungsbehörde bei dieser ihr „vom Gesetzgeber übertragenen quasi-gesetzlichen Aufgabe“75 der Marktabgrenzung ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Dieser ist weitgehend anerkannt.76 Da in der Marktdefinition und -analyse Feststellungen tatsächlicher Art getroffen werden müssen und keine Rechtsfolgen angeordnet werden, entspricht die Einordnung als Beurteilungsspielraum der gängigen Dogmatik. Die Zulässigkeit und Gebotenheit dieses Beurteilungsspielraums ergibt sich schon aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Art. 7, 15 und 16 der Rahmenrichtlinie und betrifft sowohl den in § 10 TKG 2004 angelegten Drei-Kriterien-Test77 als auch die vorangehende Marktabgrenzung.78 Die Marktabgrenzung unterlag nach der zum GWB ergangenen Rechtsprechung noch einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle, was möglicherweise die vielen kritischen Stimmen bezüglich des nun eingeräumten Beurteilungsspielraums zu erklären vermag. Außerdem dient die Marktabgrenzung der Beantwortung der Frage, welche Bereiche möglicherweise nicht der sektorspezifischen Regulierung, sondern dem allgemeinen Wettbewerbsrecht zu unterstellen sind, was nach Art. 15 und 16 der Rahmenrichtlinie erstmals offen war.79 Besteht beträchtliche Marktmacht eines Unternehmens auf einem von der Regulierungsbehörde definierten Markt, auf dem dennoch gem. § 3 Nr. 10 TKG 2004 wirksamer Wettbewerb besteht, ist dieser Markt schon tatbestandlich nicht der Regulierung des TKG unterworfen. Auch angesichts der klaren Formulierung in der Gesetzesbegründung ist die Einräumung eines Beurteilungsspielraums bei der Marktdefinition und -analyse richtig: „Welche Märkte die Reg TP aufgrund des Fehlens funktionsfähigen Wettbewerbs als regulierungsbedürftig erachtet, unterliegt ihrem Beurteilungsspielraum und ist daher gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar.“80
Insgesamt ist die Einräumung des umfassenden Beurteilungsspielraums bei der Marktanalyse und -definition wegen der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinienvorgaben und der nationalen Gesetzesbegründung also nicht zu beanstanden und zudem
75
BVerwGE 131, 39 Rn. 19. BVerwG DÖV 2009, 377. 77 Dieser Test dient der Konkretisierung der Vorgaben, unter denen ein Markt für Telekommunikationsdienstleistungen als regulierungsbedürftig eingestuft wird und fragt nach Marktzutrittsschranken, fehlender Tendenz zu wirksamem Wettbewerb und der Insuffizienz des allgemeinen Wettbewerbsrechts, diesem Marktversagen entgegenzuwirken, wobei alle Merkmale kumulativ vorliegen müssen. Siehe vertiefend Gersdorf, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2019, § 10 Rn. 30 ff. 78 Gersdorf, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2015, § 10 TKG Rn. 66. 79 BT-Drucks. 15/2316 vom 12. 1. 2004, S. 60. 80 BT-Drucks. 15/2316 vom 12. 1. 2004, S. 61. 76
B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41
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zweckmäßig, um die Regulierung im Sinne der Regulierungsziele des § 2 TKG sicherzustellen.
V. Entscheidungsspielräume bei der Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen Die Zugangsverpflichtung in § 21 Abs. 1 und 2 TKG 2004 ist, wenn man nicht von einem die Kompetenz regelnden „kann“ ausgeht, eine klassische Ermessensnorm: „Die Bundesnetzagentur kann… verpflichten…“ (Abs. 1 S. 1). Auch der Gesetzgeber führt aus, dass der Regulierungsbehörde in vollem Umfang Ermessensspielräume zustehen sollen.81 Hat die Regulierungsbehörde also in einem ersten Schritt die Regulierungsbedürftigkeit eines Marktes festgestellt, stehen ihr gegenüber dem Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze mit beträchtlicher Marktmacht nach § 11 Abs. 1 Satz 3 TKG 2004 verschiedene Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der Auferlegung von Zugangsverpflichtungen zur Verfügung. Das Ob der Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen liegt dabei nicht in ihrem Ermessen, denn hiermit ist, wie durch § 9 Abs. 2 TKG 200482 nahegelegt, kein Entschließungssondern lediglich ein Auswahlermessen gemeint.83 Auch steht der Behörde im Rahmen der Zugangsregulierung nur ein beschränktes Auswahlermessen zu, da die abstrakte Zugangsverpflichtung nach § 21 TKG 2004 gegenüber den isolierten Verpflichtungen nach §§ 19, 20 TKG 2004 Vorrang hat, was sich nach allgemeinem Verständnis aus dem Regelungskonzept des zweiten Abschnitts des TKG ergab.84 In der Auferlegung konkreter Regulierungsverpflichtungen verortet das Bundesverwaltungsgericht das Regulierungsermessen. Dies entspräche in der Gesamtschau „Regulierungsverfügung“ der Konstruktion einer Koppelungsvorschrift: der in den §§ 10, 11 TKG 2004 enthaltene Beurteilungsspielraum und der in § 21 enthaltene Ermessensspielraum fusionieren zum einheitlichen Entscheidungsspielraum „Regulierungsermessen“ in der Regulierungsverfügung. Und doch wendet das Bundesverwaltungsgericht nicht einen einheitlichen, sondern zwei getrennte Maßstäbe an: denjenigen des Beurteilungsspielraums und denjenigen des Regulierungsermessens.
81
S. 14.
BT-Drucks. 15/2674 vom 10. 3. 2004, S. 31 f.; BT-Drucks. 15/2679 vom 10. 3. 2004,
82 „Unternehmen, die auf Märkten im Sinne des § 11 über beträchtliche Marktmacht verfügen, werden durch die Bundesnetzagentur Maßnahmen nach diesem Teil auferlegt.“ Diese Formulierung verdeutlicht, dass die Marktmacht auf Märkten nach § 11 zwangsläufig eine Auferlegung von Maßnahmen durch die Regulierungsbehörde zur Folge hat. 83 Vgl. Jochum, MMR 2005, 161 (161). 84 Jochum, MMR 2005, 161 (162); Proelß, AöR 136 (2011), 402 (419).
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
1. Erste Entscheidung Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schließt bereits die Normstruktur des § 21 Abs. 1 TKG 2004 es aus, „die durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerte Abwägung von einer sich etwa erst daran anschließenden Ermessensbetätigung zu trennen und erstere der vollen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen.“85 § 21 Abs. 1 Satz 2 TKG 2004 enthält ebenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe („technische und wirtschaftliche Tragfähigkeit“, „Marktentwicklung“, „Notwendigkeit der langfristigen Sicherung des Wettbewerbs“). Jedoch meint das Bundesverwaltungsgericht vor allem die unbestimmten Rechtsbegriffe in den §§ 10 und 11 TKG 2004 sowie den Ausgestaltungsspielraum bei der Auswahl und Kombination der in § 13 Abs. 1 und 3 TKG 2004 vorgesehenen Maßnahmen.86 2. Zweite Entscheidung Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in der zweiten Entscheidung zum Regulierungsermessen beziehen sich vor allem auf den Beurteilungsspielraum der Bundesnetzagentur bei der Marktanalyse und -definition.87 Hier schließt sich das Gericht den Feststellungen der Vorgängerentscheidung an und sieht die Elemente tatbestandlicher Abwägungsprozesse mit denen der Ermessensausübung verknüpft. Diese Verbindung ist bereits bekannt bei Koppelungsvorschriften. Sollten bei der Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe dieselben wertenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein wie bei der Ermessensausübung, kann dies Auswirkungen auf den Umfang der gerichtlichen Überprüfung bei der Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe haben.88 Andererseits kann auch bei Koppelungsvorschriften eine strikt getrennte Überprüfung von Beurteilungsspielraum und Ermessen angezeigt sein.89 Grundsätzlich bedürfen Koppelungsvorschriften also keiner besonderen Behandlung, da ihnen also auch mit einer isolierten Betrachtung begegnet werden kann,90 die unbestimmten Rechtsbegriffe also im Regelfall einer vollen gerichtlichen Überprüfung unterworfen werden, die Ermessensausübung nur auf Ermessensfehler hin überprüft wird. Die Verbindung zu einem einheitlichen behördlichen Entscheidungsspielraum hat also nur dann Auswirkungen auf das Letztentscheidungsrecht, wenn bei isolierter Betrachtung die unbestimmten Rechtsbegriffe in der konkreten Ermächtigungsgrundlage gerade keinen Beurteilungsspielraum beinhalten. Wenn der Behörde aber bereits ein Beurteilungsspiel85
BVerwGE 130, 39 Rn. 29. BVerwGE 130, 39 Rn. 28. 87 Leitsatz 1 Rn. 14, Rn. 16, Rn. 17, Rn. 18, Rn. 19, Rn. 20, Rn. 30, Rn. 34, Rn. 37. 88 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 40 Rn. 42 (Stand 1. 10. 2019); Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 34 f. (Stand Februar 2019). 89 So etwa BVerwGE 95, 341 (347 f.). 90 Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 34 (Stand Februar 2019). 86
B. Festigung des Regulierungsermessens: BVerwGE 131, 41
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raum eingeräumt ist, wie hier für §§ 10, 11 TKG 2004 festgestellt wurde, zieht die Zuordnung zu den Koppelungsvorschriften keine andere gerichtliche Überprüfung nach sich, als wenn man eine isolierte Überprüfung annimmt.
VI. Der Neuigkeitsgehalt des Regulierungsermessens Die bedeutendsten Neuerungen der Rechtsfigur des Regulierungsermessens lassen sich wie folgt kategorisieren: 1. Beurteilungsspielraum in Bezug auf §§ 10, 11 TKG 2004 Wie oben bereits erwähnt, unterlag die Marktabgrenzung nach alter Rechtslage vor Erlass des TKG 2004 den Regelungen des GWB und hier einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle.91 Dieser gegenüber der alten Rechtslage erweiterte Spielraum ist durch Gemeinschaftsrecht direkt vorgegeben und hat in die Gesetzesbegründung des nationalen Umsetzungsrechts Eingang gefunden.92 Trotz ablehnender Stimmen ist der Verweis auf die alte Rechtslage als solcher kein geeignetes Argument, den erweiterten Entscheidungsspielraum abzulehnen.93 Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in den dargestellten Urteilen klargestellt. 2. Koppelung von Beurteilungsspielraum und Ermessen Das Bundesverwaltungsgericht sieht einen untrennbaren Zusammenhang zwischen dem tatbestandlichen Abwägungsvorgang und der sich anschließenden Ermessenserwägung.94 Sofern dies einen eingeräumten Beurteilungsspielraum meint, der mit einem Ermessensspielraum auf der Tatbestandsseite kombiniert ist, entspricht dies nach gängigem Verständnis einer Koppelungsvorschrift, durch deren Verwendung der Gesetzgeber der Verwaltung einen umfassenden Entscheidungsspielraum übertragen kann.95 Dies hätte jedoch, wie oben bereits erwähnt, nur dann Konsequenzen für die gerichtliche Kontrolldichte, wenn man den isoliert auf der Tatbestandsseite eingeräumten Beurteilungsspielraum ohne die „Koppelung“ verneinte. Zudem ist Folgendes zu beachten: Das eingeräumte Ermessen ist im Rahmen des § 21 TKG 2004 auszuüben, ausdrücklich soll der Behörde hier aber im Rahmen der unbestimmten Gesetzesbegriffe kein Beurteilungsspielraum zustehen.96 Der 91 Gersdorf, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2019, § 10 TKG Rn. 66. 92 BT-Drucks. 15/2316 vom 12. 1. 2004, S. 61. 93 So auch Proelß, AöR 136 (2011), 402 (416). 94 BVerwGE 130, 39 Rn. 28 f.; BVerwGE 131, 41 Rn. 41. 95 Redeker/von Oertzen, VwGO, 2014, § 114 Rn. 8. 96 Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1006).
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
Beurteilungsspielraum in Bezug auf § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG 2004 ist hingegen anerkannt. Die Entscheidung über die Marktanalyse mit der Auferlegung konkreter Regulierungsverpflichtungen nach § 13 Abs. 3 TKG 2004 ergeht jedoch in einem Gesamtverwaltungsakt: Ob allein diese formale Verbindung aber die Annahme einer Koppelungsvorschrift rechtfertigt, erscheint fraglich.97 Das Bundesverwaltungsgericht hat dies so auch nicht ausdrücklich hergeleitet. 3. Bedeutungsgewinn des Verfahrens Indem das Bundesverwaltungsgericht die strikte Trennung von Beurteilungsspielraum und Ermessen aufgibt, geht es auch auf Distanz zum Dogma der „einen richtigen Entscheidung“.98 Die Abwägungskontrolle, die das Bundesverwaltungsgericht für das Regulierungsermessen in Anlehnung an das Planungsermessen entwickelt hat, ist in Abgrenzung zur Ermessensfehlerlehre eine verfahrenszentriertere Kontrolle. Nach dieser Annahme ist auch das Verfahren „Richtigkeitsgarant“ der Behördenentscheidung.99 So weit gehen die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht. Dennoch kann von einer Verlagerung des Fokus gesprochen werden, indem verstärkt auch Fragen nach dem Abwägungsmaterial gestellt werden, also der tatsächlichen Daten- oder Tatsachengrundlage für die Entscheidung. 4. Neue Rechtsfigur oder neuer Terminus Neu am Regulierungsermessen war in den Entscheidungen jedenfalls seine Bezeichnung. Sie verdeutlicht, dass eine Modernisierung der Kategorien der behördlichen Letztentscheidungsbefugnisse im Regulierungsrecht geboten ist. Indem die Kontrolle der Abwägung als ein klassischerweise auf der Tatbestandsseite einer Norm verorteter Vorgang zur Überprüfung der Ausübung eines weitaus umfassenderen Spielraums dient, der das Suffix -ermessen trägt, wird mit der traditionellen Zweiteilung von administrativen Entscheidungsspielräumen terminologisch gebrochen. Das Regulierungsermessen wurde auch dadurch zum Anlass der verstärkten Forderung nach einer einheitlichen Systemkategorie des Verwaltungsermessens.100 Das Regulierungsermessen wird vielfach als „neue Rechtsfigur“ bezeichnet.101 Auch wegen der expliziten Anlehnung des Regulierungsermessens an das Planungsermessen drängt sich die Frage nach der dogmatischen Eigenständigkeit dieser Rechtsfigur auf. Geht man mit guten Gründen davon aus, dass mit dem Verwaltungsermessen, dem Beurteilungsspielraum und dem Planungsermessen, so man es 97
So aber Ludwigs, RdE 2013, 297 (297). Siehe dazu den zweiten Teil dieser Arbeit, Kapitel 4. 99 Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 1 Rn. 4. 100 Ludwigs, JZ 2009, 290 (293). 101 So etwa Ludwigs, JZ 2009, 290 (290). 98
C. Adaption des Regulierungsermessens im Schrifttum
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überhaupt als dogmatisch eigenständig betrachtet, höchstens drei abgrenzbare Kategorien behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse bestehen, ist unklar, ob das Regulierungsermessen eigenständig daneben tritt oder sich in eine der bereits bestehenden Kategorien einfügt102 bzw. eine Kombination von verschiedenen, bereits bestehenden Kategorien darstellt. Diese Frage soll am Ende des Kapitels beantwortet werden.
C. Adaption des Regulierungsermessens im Schrifttum Die Resonanz auf die beiden ersten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts103 zum Regulierungsermessen war groß. So haben sich seit den dargestellten Entscheidungen viele Autoren mit dem Begriff des Regulierungsermessens und der sich anschließenden Frage nach seinen Implikationen für die gängige Verwaltungsrechtsdogmatik beschäftigt. Eine ausführliche dogmatische Einordnung oder Ausgestaltung, die das Bundesverwaltungsgericht nicht vornahm, wurde zwar vielfach gefordert, ist aber auch in der Literatur nicht erfolgt. Im Folgenden sollen in kurzer Form die wichtigsten Erkenntnisse und Meinungen zum „Regulierungsermessen“ zusammengefasst werden.
I. Argumente der Gegner eines Regulierungsermessens Eine nur eingeschränkte gerichtliche Kontrolle war vereinzelt bereits unter dem TKG 1996 möglich, indem der Regulierungsbehörde neben dem Ermessensspielraum auch lediglich gerichtlich eingeschränkt überprüfbare Beurteilungsspielräume eingeräumt wurden.104 Diese beschränkte gerichtliche Kontrolle wurde mit den Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes begründet, dem das „Projekt chancengleicher und funktionsfähiger Wettbewerb“ hier schnell begegne.105 Das Regulierungsermessen in Bezug auf die Auferlegung der in § 13 TKG vorgesehenen Verpflichtungen ist heute zwar ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,106 aber auf breite Ablehnung gestoßen.107 Die Kritik soll nachfolgend kategorisiert, dargestellt und anschließend bewertet werden. 102
Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 28. BVerwGE 130, 39; 131, 41. 104 VG Köln, Urteil vom 13. 2. 2003, MMR 2003, 814 (818). 105 Schütze/Salevic, CR 2010, 80 (80 f.). 106 BVerwG CR 2013, 573 = BeckRS 2013, 53794 Rn. 34. 107 Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1007); ders., DVBl. 2016, 399 (400 f.); Attendorn, MMR 2009, 238 (241); in Bezug auf die Frequenzregulierung: ders., NVwZ 2012, 135 (138 ff.); Schütze/Salevic, CR 2010, 80 (86 f.); wohl eher eher kritisch: Wimmer, JZ 2010, 433 (439 f.); Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (653); Schoch, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III, 2013, § 50 Rn. 291 f.; gegen die pauschale An103
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
1. Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG Die wohl am häufigsten geäußerte Kritik am Regulierungsermessen betrifft die vermeintliche Kompetenzverschiebung zugunsten der Exekutive und einen hierin vielfach gesehenen Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG. a) Der „unkontrollierte Regulierer“ Ohne auf die genaue Begründung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu blicken, wird mitunter reflexartig ein Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG beklagt, gar der Anbruch US-amerikanischer Verhältnisse wegen einer scheinbar überhand nehmenden Kompetenz der Exekutive vorausgesagt108 oder dem Bundesverwaltungsgericht ein etatistisches Staatsbild unterstellt.109 Indem die gerichtliche Kontrolldichte zurückgenommen wird, sei die Steuerung der Bundesnetzagentur lediglich durch ein paar „generalklauselartige“ Bestimmungen vorprogrammiert.110 Es müsse beachtet werden, dass eine Kompetenzverschiebung durch den Gesetzgeber in Richtung Verwaltung nicht einseitig oder durch vage Generalklauseln erfolgen dürfe.111 Vielmehr müssten die Grenzen der Freiheit vom Gesetzgeber festgelegt werden; tut er dies nicht, wird teilweise sogar ein gänzlicher Verzicht auf Regulierungseingriffe gefordert.112 Dass die Grundsätze rechtsstaatlichen Behördenhandelns113 weiterhin gelten und eine gerichtlich nicht überprüfbare Willkürentscheidung deshalb nicht wahrscheinlicher ist als in anderen, nicht-regulierungsbezogenen Entscheidungen, gerät aus dem Blick.114
nahme des Regulierungsermessens: Ludwigs, JZ 2009, 290 (294); eher kritisch auch Maurer/ Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 64. 108 Attendorn, MMR 2009, 238 (241); ders. beklagt den vermeintlich „unkontrollierten Regulierer“ in: NVwZ 2012, 135 (140). 109 Schütze/Salevic, CR 2010, 80 (80). 110 Gärditz, DVBl. 2016, 399 (401). 111 Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (651). 112 Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1009). 113 Es findet weiterhin eine Abwägungs-/Ermessenskontrolle statt, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt sowohl als Handlungs- als auch als Kontrollmaßstab, Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 23; so führt auch ein Verstoß hiergegen im Anwendungsbereich des Regulierungsermessens mitunter zu Korrekturen der Behördenentscheidung in erster Tatsacheninstanz, siehe: VG Köln, Beschluss vom 28. 6. 2016, 1 L 952/16. 114 Ausdrücklich behaupten Schütze/Salevic (CR 2010, 80 (82)), dass folglich Entscheidungen der Bundesnetzagentur über die Wahl des Entgeltmaßstabes bei Kalkulationsmethoden keiner Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen würden; diese Aussage ist zumindest verkürzt, denn die an der Abwägungsfehlerlehre des Planungsermessens angelehnte Abwägungsfehlerlehre des Regulierungsermessens basiert im Kern auf dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: BVerfGE 79, 174; BVerfG NVwZ 2003, 727.
C. Adaption des Regulierungsermessens im Schrifttum
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b) Kein pauschales Regulierungsermessen für ein ganzes Rechtsgebiet Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG wird die „pauschale“ Annahme eines Regulierungsermessens nicht für geboten gehalten.115 Allerdings wird eine pauschale Annahme von Regulierungsermessen auch kaum116 gefordert, insofern läuft dieses Argument ins Leere. Die vielfach geäußerte Mahnung an die Rechtsanwender, der Gesetzgeber allein entscheide über die Einräumung behördlicher Letztentscheidungsrechte,117 ist als Argument so richtig wie trivial. Die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG müsse gewahrt werden, „kein Akt der Exekutive, der in Rechte des Bürgers eingreift, kann richterlicher Nachprüfung entzogen werden.“118 c) Normgeprägtes Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz Aus der letzten folgt die nächste Kritik, dass der Judikative – bereits angelegt in Art. 20 Abs. 2 GG – ein vergrößertes „Machtkartell“ zugesprochen würde.119 Ob diese Schlussfolgerung richtig ist, darf allerdings bezweifelt werden. Wenn wegen Art. 19 Abs. 4 GG sogar die Kompetenz des Gesetzgebers bestritten wird, über die Reichweite der subjektiven Rechte durch eine Einschränkung ihrer gerichtlichen Kontrolle zu bestimmen,120 liegt dies an einem Missverständnis. Denn Art. 19 Abs. 4 GG begründet keine materiellen subjektiven Rechte, sondern setzt sie voraus.121 Nur wenn darin zugleich eine materielle Rechtsschutzgarantie läge, wäre eine Einschränkung mangels Gesetzesvorbehalts nicht möglich.122 Wegen einer Delegation von Entscheidungsbefugnissen des Gesetzgebers an die Verwaltung kann also nicht unmittelbar gefordert werden, dann eben auf der anderen Seite die gerichtliche Kontrolle zu intensivieren. Das verletzte, rechtswegeröffnende subjektive Recht muss außerhalb der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gefunden werden.123 Das Grundrecht auf
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Ludwigs, JZ 2009, 290 (297); Attendorn, MMR 2009, 238 (241). Bullinger, DVBl. 2003, 1355 (1358). 117 Attendorn, MMR 2009, 238 (241); ders., DVBl. 2008, 1408 (1409 f.); Gärditz, DVBl. 2016, 399 (403). 118 Berkemann, DÖV 2019, 761 (762) mit Bezug auf BVerfGE 10, 264 Rn. 13; 51, 268 Rn. 53. 119 Berkemann, DÖV 2019, 761 (762). 120 Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (652). 121 BVerfGE 88, 118 (123) = NJW 1993, 1635; BVerfGE 107, 299 (311) = NJW 2003, 1787; BVerfGE 107, 395 (401) = NJW 2003, 1924; BVerfGE 113, 273 (310) = NJW 2005, 2289. 122 Enders, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 19 Rn. 53 (Stand 15. 5. 2019). 123 BVerfGE 129, 1 (20) = NVwZ 2011, 1062; BVerfG NVwZ 2012, 694 (695); BVerfGE 143, 216 = NVwZ 2017, 305. 116
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effektiven Rechtsschutz ist ein Grundrecht mit „normgeprägtem Schutzbereich“.124 Dass der Gesetzgeber bei dieser Auslegung gänzlich frei würde in der Festlegung subjektiver Rechte,125 ist der nächste „regulierungsermessensbedingte“ Trugschluss. Der Gesetzgeber hat zwar einen Gestaltungsspielraum, aber die Zielrichtung und die Grundzüge bei der Ausfüllung dieses Spielraums sind ihm vorgegeben.126 Er muss sich durch die Grundrechte sowie das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip leiten lassen, den sich hieraus ergebenden Bestimmtheitsgrundsatz einhalten.127 Die gerichtliche Vollkontrolle ist somit ein Grundsatz, von dem es Ausnahmen geben kann, wobei das Bundesverfassungsgericht betont, dass dies nicht zu „zahlreich“, „weitgehend“ oder gar für ganze Sachbereiche oder Rechtsgebiete passieren dürfe.128 Dieser Einschränkung ist ohne Weiteres zuzustimmen.129 Der Gesetzgeber darf die Reichweite gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen unter folgender Prämisse einschränken: „Die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrundes.“130 d) „Planwirtschaft durch Regulierungseingriffe“ Mitunter wird eine planwirtschaftliche, rechtsstaatswidrige Regulierungsverwaltung beklagt.131 Die grundsätzliche Freiheit privaten Marktverhaltens müsse gegenüber der „planerischen Gestaltungsfreiheit“ des Staates Vorrang haben.132 Diese Auffassung übersieht offenbar den Kern des Problems: Regulierung dient der Freiheit privaten Marktverhaltens. Ohne Regulierung gäbe es auf den – hier in Rede stehenden, aber auch anderen ehemals monopolistisch strukturierten – Märkten für Telekommunikationsdienstleistungen keine oder nur eine sehr eingeschränkte Freiheit privater Marktteilnehmer jenseits des Monopolisten. Die Einschränkung von Grundrechtspositionen der marktbeherrschenden Unternehmen ist, wie richtig angemerkt wird, rechtfertigungsbedürftig.133 Rechtfertigung erfahren die Eingriffe durch die gesetzgeberische Entscheidung für Wettbewerbsherstellung bzw. auf den 124 Enders, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 19 Rn. 52, m. w. N. (Stand 15. 5. 2019). 125 Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 (653). 126 BVerfGE 60, 253 (269) = NJW 1982, 2425; BVerfGE 101, 106 = NJW 2000, 1175; BVerfGE 118, 168 (207) = NJW 2007, 2464; BVerfGE 133, 1 = NJW 2013, 1418; BVerfGE 143, 216 = NVwZ 2017, 305. 127 BVerfG NVwZ 2011, 1062 Rn. 73. 128 BVerfG NVwZ 2011, 1062 Rn. 73. 129 Zustimmung findet diese Einschränkung entsprechend auch bei Befürwortern eines Regulierungsermessens, so etwa bei Proelß, AöR 136 (2011), 402 (425). 130 BVerfG NVwZ 2011, 1062 Rn. 73. 131 Als möglicherweise „rechtsstaatsfrei“ wird sie von Wimmer bezeichnet, JZ 2010, 433 (440); Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1008). 132 Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1008). 133 Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1008).
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Märkten netzgebundener Infrastrukturen, in Gestalt sektorspezifischer formal-gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen, in denen im soeben dargelegten Rahmen Beurteilungsermächtigungen an die Verwaltung enthalten sein können. e) Zwischenergebnis Das Regulierungsermessen hat das Bundesverwaltungsgericht zwar ohne eine tiefere dogmatische Würdigung entwickelt, hierbei hat es die geltenden Grundsätze zur Anerkennung behördlicher Spielräume jedoch beachtet. Eine Verletzung verfassungsrechtlicher Rechtsschutzgarantien ist mit den anerkannten Entscheidungsprärogativen der Bundesnetzagentur nicht verbunden, wenn hierin auch eine Verschiebung der Kompetenzen gesehen werden kann.134 Die Grundsätze der normativen Ermächtigungslehre sind in den Fällen des § 10 Abs. 1 und Abs. 2 und § 11 TKG 2004, also richtigerweise bei der Marktanalyse und der Marktdefinition, eingehalten worden.135 Auch der gewichtige Sachgrund, der zur Übertragung einer Letztentscheidungskompetenz an die Behörde durch den Gesetzgeber verfassungsrechtlich gefordert wird,136 liegt vor: Die Verwaltung muss in Anwendung komplexer, mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe versehehen Normen (§§ 10, 11 TKG 2004) eine multipolare, prognostische Entscheidung treffen, die eine Vielzahl teils divergierender Interessen berücksichtigt. Von der Annahme, dass die bisher in Rechtsprechung und Literatur identifizierten Typen administrativer Letztentscheidungsermächtigungen unter dem Grundgesetz ein ewig unveränderlicher Kanon sein könnten, hat sich das Bundesverfassungsgericht so auch erfreulicherweise distanziert.137 2. Analogie zu Entscheidungsbefugnissen des Bundeskartellamts Der häufig angestrengte Versuch einer Analogie zu den (fehlenden) Entscheidungsspielräumen des Bundeskartellamts in vergleichbarer Ausgangslage138 überzeugt zur Ablehnung von Entscheidungsspielräumen nicht.139 Ohne in eine Wiederholung von bereits Gesagtem einsteigen zu wollen: Regulierung erfordert – in Abgrenzung zur oft ex-post stattfindenden Kartellaufsicht auf einem grundsätzlich wettbewerblich strukturierten Markt – ein ex-ante-Handeln, durch welches ein zu
134 Dass eine Verschiebung der Kompetenzen, die hier zugunsten der Verwaltung stattfinden mag, noch lange keinen Überhang der Kompetenzen bedeutet, wird an der feinen Dogmatik zur gerichtlichen Überprüfbarkeit, dem „Richterstaat“ (Wimmer, JZ 2010, 433 (434)), deutlich. 135 Ludwigs, RdE 2013, 297 (302). 136 BVerfGE 129, 1 (23). 137 BVerfG NVwZ 2010, 435. 138 Wimmer, JZ 2010, 433 (435, 438). 139 So im Ergebnis auch Proelß, AöR 136 (2011), 402 (416 – 418).
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Monopolbildung tendierender Markt nach dem politischen gewollten und gesetzgeberisch vorgegebenen Leitbild geordnet werden soll.140
II. Argumente der Befürworter eines Regulierungsermessens Das Regulierungsermessen hat in seiner – so man davon sprechen kann – konkreten Ausgestaltung insgesamt wenig Anerkennung in der Literatur gefunden. Bei denjenigen, die sich mit der genauen Begründung in den ersten zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts auseinandersetzen, wird mit Hinweis auf den Ausnahmecharakter des Regulierungsermessens141 auch Zustimmung jedenfalls zu einer grundsätzlichen Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte geäußert.142 Zum Teil wurde es auch zum willkommenen Anlass genommen, ein Überdenken der Trennung von Beurteilungsspielraum und Ermessen zu diskutieren.143 Für die Einräumung eines Letztentscheidungsrechts der Bundesnetzagentur in Bezug auf § 21 Abs. 1 TKG 2004 wird überzeugend die Gesetzesbegründung herangezogen144 und mit dem spezifischen Gewährleistungsauftrag des Staates im Bereich der Regulierung in Abgrenzung zum Kartellrecht argumentiert.145 Ebenfalls wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass mit der Durchführung einer Abwägungskontrolle eben keine komplette Freistellung der Behördenentscheidung von gerichtlicher Kontrolle erfolgt.146 Das Regulierungsermessen wird oft richtigerweise nicht als ein Bruch mit gängigen Kategorien angesehen, sondern es wird erkannt, dass es sich in diese weitgehend einordnet.147
140 Für das Energieregulierungsrecht verbleibt neben der Gewährleistungsverpflichtung und der Grundentscheidung für Wettbewerb im weiteren Sinne ein Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber, diese politischen Ziele festzulegen: Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 1. 141 Auch für andere Normen des TKG wurde in der Folge das Regulierungsermessen adaptiert, etwa für die Vergleichsmarktbetrachtung im Rahmen des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG, vgl. umfassend: Scherer/Heinickel, NVwZ 2018, 1014 ff. 142 Differenzierend: Mayen, NVwZ 2008, 835 (838); im Ergebnis wohl zustimmend Franzius, DVBl. 2009, 409 (413 ff.); Ludwigs, JZ 2009, 290 (297); ders., RdE 2013, 297 (306); Proelß, AöR 136 (2011), 402 (425); Wieland, DÖV 2011, 705 (706 f.); Würtenberger, GewA 2016, 6 (9). 143 Proelß, AöR 136 (2011), 402 ff. 144 Proelß, AöR 136 (2011), 402 (421) mit Verweis auf BT-Drucks. 15/2679 vom 10. 4. 2004, S. 14. 145 Proelß, AöR 136 (2011), 416 ff. 146 Franzius, DVBl. 2009, 409 (412). 147 Etwa Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 33.
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III. Eigene Bewertung Eine eindeutige dogmatische Zuordnung des Regulierungsermessens ist weder in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, noch in der rechtswissenschaftlichen Rezeption erfolgt. Daher soll zunächst die Lösung des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf ihre verwertbaren neuen dogmatischen Inhalte und ihre Rechtfertigungsansätze für die Einräumung eines behördlichen Letztentscheidungsrechts untersucht werden. 1. Formales Argument: Beschlusskammerverfahren nach §§ 132 ff. TKG Das Gericht führte aus, dass die Normstruktur des § 21 TKG 2004 es ausschließe, „die durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerte Abwägung von einer sich etwa daran erst anschließenden Ermessensbetätigung zu trennen und erstere der vollen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen“. Die Abwägung sei vielmehr „ein untrennbarer Bestandteil des Regulierungsermessens selbst, das der Bundesnetzagentur bei zweckentsprechender Auslegung des Gesetzes insoweit eingeräumt ist.“148 Die Beurteilungsermächtigung der Bundesnetzagentur sieht das Bundesverwaltungsgericht richtigerweise in der Tradition anderer Entscheidungen, in denen der Verwaltung ein eigener Beurteilungsspielraum für die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe zugestanden wurde: Wenn „der zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das mit besonderer fachlicher Legitimation in einem besonderen Verfahren entscheidet.“149 Hierbei handelt es sich um ein formales Argument.150 An dieser Stelle wird auch die Parallele zum Planungsrecht konstruiert. Es ist ein häufig verwendetes Argument in der Rechtfertigung besonderer behördlicher Befugnisse, aber als solches nicht unumstritten.151 Die Legitimierung des Regulierungsermessens wird hierneben auf zwei materielle Kernargumente gestützt: Dies sind die komplexe Struktur der Vorschriften, welche die Regulierungsbehörde anzuwenden hatte sowie die prognostische Entscheidungskomponente mit Ermessensspielräumen auf der Rechtsfolgenseite bei gleichzeitiger Einräumung von Beurteilungsspielräumen. Die beiden materiellen Ansätze zur Rechtfertigung des Regulierungsermessens sollen hier erstens als Normstrukturargument und zweitens als Prognoseelement bezeichnet und nachfolgend auf ihre dogmatische Geeignetheit zur Begründung behördlicher Letztentscheidungsermächtigungen hin untersucht werden. 148 149 150
2019).
BVerwGE 130, 39 Rn. 29. BVerwGE 131, 41 Rn. 20. Vgl. hierzu Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 80 ff. (Stand Februar
151 Ablehnend Würtenberger, GewA 2016, 6 (8); befürwortend Ludwigs, RdE 2013, 297 (302 f.); differenzierend Proelß, AöR 136 (2011), 402 (423 f.).
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2. Normstrukturargument Die vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfende Festlegung der Bundesnetzagentur basierte auf der Anwendung der §§ 10, 11 und 21, 30 TKG 2004. § 10 TKG räumt der Bundesnetzagentur einen klassischen Beurteilungsspielraum ein und benennt diesen auch so.152 § 11 TKG definiert sodann die Begriffe des wirksamen Wettbewerbs, des Unternehmens mit beträchtlicher Marktmacht und räumt soweit weder ein Ermessen noch einen Beurteilungsspielraum ein. Die Norm, um die sich die Einräumung des Regulierungsermessens in den Grundsatzentscheidungen rankt, ist § 21 TKG 2004. Sie weist zunächst die klassische „wenn…, dann…“-Struktur auf, welche den meisten Rechtsnormen zugrunde liegt, sofern sie auf die Anordnung einer Rechtsfolge gerichtet sind (verkürzt: „die Behörde kann regulieren, wenn Marktmacht vorliegt“). Neben dieser Ermessensermächtigung weist § 21 Abs. 1 TKG 2004 auch unbestimmte Rechtsbegriffe mit Prognoseelementen auf: „(1) Die Regulierungsbehörde kann auf Antrag oder von Amts wegen Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, die über beträchtliche Marktmacht verfügen, verpflichten, anderen Unternehmen Zugang zu gewähren einschließlich einer nachfragegerechten Entbündelung, insbesondere wenn anderenfalls die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten nachgelagerten Endnutzermarktes behindert oder diese Entwicklung den Interessen der Endnutzer zuwiderlaufen würde. Bei der Prüfung, ob eine Zugangsverpflichtung gerechtfertigt ist und ob diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Regulierungszielen nach § 2 Abs. 2 steht, hat die Regulierungsbehörde insbesondere zu berücksichtigen: …“ (Hervorhebungen hinzugefügt).
In Bezug auf die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 21 TKG, wie oben aufgezeigt, wird eine vollumfängliche gerichtliche Überprüfung mangels normativer Ermächtigung zur Letztentscheidung gefordert. Dies ist nicht unproblematisch, denn durch die Anerkennung des Regulierungsermessens findet die dort entwickelte Abwägungskontrolle der Regulierungsverfügung statt. Allerdings umfasst der Maßstab des Regulierungsermessens eher diejenigen unbestimmten Gesetzesbegriffe in §§ 10 und 11 TKG 2004. Die Auswahl der Rechtsfolge richtet sich sodann nach § 21 TKG 2004, wobei die dort enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung zugänglich sein sollen. Die hiermit verbundene Einschätzung der behördlichen Letztentscheidungsermächtigung ist unter Heranziehung der gängigen Kriterien nicht zu beanstanden, da § 21 TKG 2004 in diesem Sinne Ermessensnorm ist. Ein Übergreifen der verringerten gerichtlichen Kontrolle auf die unbestimmten Gesetzesbegriffe des § 21 TKG 2004, wie bei Annahme einer „Koppelungsverfügung“, liegt gerade nicht vor.
152 Etwa Abs. 2 Satz 2: „Diese Märkte werden von der Regulierungsbehörde im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums bestimmt.“
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3. Prognoseelement In § 21 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 findet sich eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe. Einige davon enthalten zusätzlich Prognoseelemente, also solche, die eine in die Zukunft gerichtete Aussage über nicht abschließend feststellbare Gegebenheiten in der Gegenwart oder Vergangenheit erfordern, also im Zeitpunkt der Entscheidung diese auf Elemente gestützt werden muss, die nicht mit abschließender Sicherheit ermittelbar sind. Die folgende Aufzählung betrifft die Beurteilung der Regulierungsbehörde, ob die Regulierungsverfügung in einem angemessenen Verhältnis zu den Regulierungszielen des Gesetzes steht. Diese wiederum weisen eine ebenso hohe Dichte an unbestimmten Rechtsbegriffen mit Prognoseelementen auf, wie der erste Teil von Abs. 1. „1. die technische und wirtschaftliche Tragfähigkeit der Nutzung oder Installation konkurrierender Einrichtungen angesichts des Tempos der Marktentwicklung, wobei die Art und der Typ der Zusammenschaltung und des Zugangs berücksichtigt werden, 2. die Möglichkeit der Gewährung des vorgeschlagenen Zugangs angesichts der verfügbaren Kapazität, 3. die Anfangsinvestitionen des Eigentümers der Einrichtung unter Berücksichtigung der Investitionsrisiken, 4. die Notwendigkeit der langfristigen Sicherung des Wettbewerbs bei öffentlichen Telekommunikationsnetzen und Telekommunikationsdiensten für die Öffentlichkeit, insbesondere durch Anreize zu effizienten Investitionen in Infrastruktureinrichtungen, die langfristig einen stärkeren Wettbewerb sichern, 5. gewerbliche Schutzrechte oder Rechte an geistigem Eigentum, 6. die Bereitstellung europaweiter Dienste und 7. ob bereits auferlegte Verpflichtungen nach diesem Teil oder freiwillige Angebote am Markt, die von einem großen Teil des Marktes angenommen werden, zur Sicherstellung der in § 2 Abs. 2 genannten Regulierungsziele ausreichen.“ (Hervorhebungen hinzugefügt)
Die Norm beinhaltet viele technische Parameter, welche die Komplexität der Rechtsanwendung insgesamt erhöhen. Dies allein rechtfertigt in anderen Bereichen noch nicht die Erweiterung des behördlichen Entscheidungsspielraums, sodass die Geeignetheit dieses ersten Teils der materiellen Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts allein nicht überzeugen würde. Die Verknüpfung von einem Ermessens- und einem Beurteilungsspielraum, der zusätzlich eine Prognose erfordert, ist als zweiter Teil des Rechtfertigungsansatzes allein auch noch nicht geeignet, eine Erweiterung des gerichtlich nicht überprüfbaren Behördenspielraums dogmatisch zu rechtfertigen. Allerdings war für die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts zentral, dass § 21 TKG 2004 nicht isoliert angewandt wird; der gesamten Regulierungsverfügung liegt vielmehr tatsächlich ein Prognoseelement zugrunde. Als unterstützendes Argument für ein behördliches Letztentscheidungsrecht kann das Prognoseerfordernis also durchaus Beachtung finden. Die Verbindung zu einer einheitlichen Regulierungsverfügung ist also nicht als ein formales, sondern als ein
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
materielles Argument zu verstehen, da die Entscheidung nur einheitlich ergehen kann. Dies überzeugt. 4. Funktionsgrenzen der Rechtsprechung Nur am Rande nimmt das Bundesverwaltungsgericht auf die Funktion und den Hintergrund der Regulierungstätigkeit Bezug. Immer wieder wird dann jedoch die Gestaltungsaufgabe der Regulierung genannt, um einen erweiterten behördlichen Entscheidungsspielraum zu begründen.153 Das Normstruktur- und das Prognoseelement sind diesem gewissermaßen inhärent. Ein erweiterter behördlicher Entscheidungsspielraum wird dogmatisch besonders durch unbestimmte Gesetzesbegriffe erreicht, durch welche die Behörden ihr Wissen verarbeiten können.154 Hierfür spricht auch, dass der Exekutive ein Letztentscheidungsrecht insbesondere dann eingeräumt sein soll, wenn es sinnvoll erscheint, dass ihr die Entscheidung im Einzelfall überlassen bleiben soll.155 Dass die Wiederholung komplexer behördlicher Verwaltungsverfahren durch die Gerichte nicht gewährleistet werden kann, rundet die Argumentation ab. 5. Zwischenergebnis Eine Kategorisierung der einzelnen Rechtfertigungsansätze bringt keinen systematischen Vorteil. Sie zeigt lediglich, dass die Begründungsansätze des Bundesverwaltungsgerichts miteinander verwoben sind und kumulativ einen Rechtfertigungsansatz ergeben. Darüber hinaus ist die Kategorisierung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Entscheidungsspielräumen der Bundesnetzagentur im Anwendungsbereich des TKG in dogmatischer Hinsicht teilweise uneinheitlich und unergiebig.156 Etwa das Erfordernis einer „plausiblen und erschöpfenden“ Begründung für die rechtmäßige Ausübung des Regulierungsermessens ist redundant: Auch „normale“ Ermessensentscheidungen müssen alle für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte würdigen und in ihre Begründung aufnehmen.157
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BVerwGE 130, 39; 131, 41. Gelegentlich kritisiert als „Schleusenbegriffe für metajuristische Standards“, Hwang, KritV 2011, 313 (314) m. w. N. 155 Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 2016, § 114 VwGO Rn. 2 Fn. 6. 156 So wird hieraus geschlussfolgert, in Bezug auf §§ 10, 11 TKG bestehe ein Beurteilungsspielraum, in Bezug auf §§ 21, 30 TKG ein Regulierungsermessen, Franzius, DVBl. 2009, 409 (410); dass das Regulierungsermessen gerade die Verbindung von Ermessen in § 21 TKG und Beurteilungsspielraum in §§ 10, 11 TKG ist, wird dabei leicht verkannt. 157 So auch Werkmeister, K&R 2014, 545 (546). 154
C. Adaption des Regulierungsermessens im Schrifttum
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IV. Dogmatische Schlussfolgerung Die Rechtsprechung zum Regulierungsermessen könnte eine Aufhebung der strengen Trennung von tatsachenbezogenem und rechtsfolgenseitigem Entscheidungsspielraum der Behörde darstellen. Die Herleitung des Beurteilungsspielraums durch das Bundesverwaltungsgericht ist konsistent zu der entwickelten Typologie der Beurteilungsspielräume bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe. In die anerkannten Kategorien der eingeräumten Beurteilungsspielräume (vor allem Prüfungsentscheidungen, beamtenrechtliche Beurteilungen, Entscheidungen eines weisungsunabhängigen Gremiums, Planungsermessen, Prognoseentscheidungen)158 fügt sich das Regulierungsermessen an verschiedenen Stellen ein. Folgt man den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in den beiden dargestellten Urteilen, handelt es sich bei den fraglichen Festlegungen der Regulierungsbehörde sowohl um Prognoseentscheidungen, als auch um Entscheidungen eines weisungsunabhängigen, sachkundigen Gremiums. Das Regulierungsermessen hat einen eigenen Bezugsrahmen: regulierungsbedürftige Märkte. So sind Parallelen zum Planungsermessen nachvollziehbar, sollen durch sie doch bestehende Lücken ausgeglichen und vermeintliche Begründungssicherheit gewonnen werden. Sie führen aber ins Leere, zumal die direkte Anwendung unionsrechtlicher Vorgaben im Bereich der (TKG-) Regulierung zur Förderung des europäischen Binnenmarktes zunehmen und weitere Rechtsfragen aufwerfen wird, die mit schon bekannten Lösungsmustern allein nicht zu bewältigen sind.159 Dies hat das Bundesverwaltungsgericht erkannt und einen tragfähigen Vorschlag zum Umgang mit der Ungeeignetheit bestehender Kontrollmechanismen von Letztentscheidungsbefugnisses der Administrative gemacht. 1. Tatsachen- oder Rechtsfragen: Terminologische Unschärfe Die Bezeichnung als Regulierungsermessen lässt zwar zunächst vermuten, dass es sich um einen Entscheidungsspielraum handelt, der auf der Rechtsfolgenseite zu verorten ist. Und doch ist die eigentliche Neuerung am Regulierungsermessen nicht ein vergrößerter Spielraum auf der Rechtsfolgenseite, sondern die Einräumung weitergehender, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielräume auf der Tatsachenebene; es entspricht also nach der gängigen Einordnung einem erweiterten Beurteilungsspielraum.160 Wieso das Bundesverwaltungsgericht dies in keiner der beiden Entscheidungen explizit so benannt hat, ist unklar. Es ist formuliert worden, das Regulierungsermessen sei ein erweiterter Ermessensspiel-
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Nach Decker, in: Posser/Wolf, BeckOK VwGO, § 114 Rn. 35 – 36k (Stand 1. 4. 2019). Vgl. Proelß, AöR 136 (2011), 402 (406 f.). 160 So auch Geppert/Attendorn, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 21 Rn. 52. 159
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
raum161 aber auch die Einstufung als erweiterter Beurteilungsspielraum findet sich.162 Teilweise lassen die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts dies auch selbst offen.163 Für die Einordnung als erweiterten Beurteilungsspielraum spricht aber die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts selbst: Die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte beim Regulierungsermessen wird anhand der Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum hergeleitet.164 Die uneinheitliche Zuordnung und Terminologie steht der Rechtsklarheit sowie der Akzeptanz der Rechtsfigur im Wege und befördert den beklagten Verlust an Entscheidungsrationalität.165 2. Rütteln an den Grundfesten verwaltungsrechtlicher Dogmen Mit einem echten Bruch, also einer Verabschiedung von der Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge, tut sich das Bundesverwaltungsgericht, wenig überraschend, schwer. So vermeidet das Gericht auch klare Aussagen, die einen solchen Bruch tragen könnten. Die der Dichotomie von Tatsachenfragen und Rechtsfragen zugrundeliegende methodische Hoffnung kann folgendermaßen beschrieben werden: „dass durch Systematisierung und Verallgemeinerung getroffener gesetzgeberischer und gerichtlicher Entscheidungen zukünftige juristische Entscheidungen ,berechenbar‘ gemacht werden können – letztlich in dem [sic] ein Referenzrahmen konstruiert wird, an dem die ,Richtigkeit‘ einer konkreten rechtlichen Entscheidung zu messen ist.“166 Trotz bis heute verbleibender dogmatischer Unschärfe war die Einführung eines neuen Begriffs und eines neuen Kontrollkonzepts durch das Bundesverwaltungs161 In BVerwG NVwZ 2015, 967 wird die Methodenwahl nach § 35 Abs. 1 S. 1 TKG als eine Tatsachenfrage qualifiziert (anders wohl Berger-Kögler/Cornils, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 35 Rn. 19). Das Beispiel der Methodenwahl nach § 35 Abs. 1 Satz 1 TKG zeigt, dass diese Zuordnung mitunter Schwierigkeiten bereiten kann: Zwar handelt es sich nicht eindeutig um eine Rechtsfrage, aber auch nicht um eine unter den gesetzlichen Tatbestand zu subsumierende Tatsachenfrage. Um dieser unklaren Stellung der Methodenwahl gerecht zu werden, hat das Bundesverwaltungsgericht wahrscheinlich die erhöhten Begründungserfordernisse aufgestellt und die Bezeichnung Beurteilungsspielraum gewählt; siehe zum Kontrollmaßstab ausführlich: Mengering, Die Entgeltregulierung im Telekommunikations- und Energierecht, 2017, S. 494 – 502; siehe zur dogmatischen Einordnung der Methodenwahl im Energierecht Kap. 8 dieser Arbeit. 162 Ludwigs, JZ 2009, 290 (292). 163 So für den ebenfalls die Methodenwahl bei Zugangsleistungen („retail minus“) betreffenden § 31 Abs. 2 TKG, der Anwendung findet bei einer vorherigen Feststellung der beträchtlichen Marktmacht nach §§ 10 ff. TKG: BVerwG MMR 2010, 207. 164 BVerwGE 130, 39 Rn. 29 mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von Beurteilungsspielräumen (BVerfGE 88, 40 [56, 61]; 103, 142 [156 f.]); so auch Ludwigs, JZ 2009, 290 (292). 165 Gärditz, DVBl. 2016, 399 (400). 166 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (897).
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gericht konsequent. Es geht beim Regulierungsermessen nicht allein um eine Kompetenzfrage zwischen zweiter und dritter Gewalt oder um ein mögliches „neues“ Letztentscheidungsrecht der Bundesnetzagentur. Es geht zunächst darum, ob die gesetzlichen Strukturen im Bereich des TKG (und des EnWG, siehe dazu im nächsten Kapitel) es überhaupt zulassen, die eine richtige Entscheidung allein aus dem gesetzlichen Normprogramm herauszufiltern und ihr zur Geltung zu verhelfen, ob nun in erster, behördlicher Instanz oder in zweiter, gerichtlicher Instanz. Wenn das normative Programm aber eine Vielzahl an möglichen Detailentscheidungen, etwa über das zugrunde gelegte Kostenmodell, der Regulierungsbehörde überlässt und der gerichtliche Überprüfungsmaßstab deshalb der richtige Abwägungsvorgang statt des richtigen Ergebnisses ist, liegt das möglicherweise auch daran, dass es nicht möglich ist, dem Gesetz eine Vorgabe für „die eine richtige Entscheidung“ zu entnehmen und so auch die scharfe Trennung dieser beiden Bereiche an Bedeutung verliert. Die klassische Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge ist etabliert, weil sie Rechtsanwendung so weit wie möglich vorhersehbar und transparent macht und einen Maßstab für die Richtigkeit der Entscheidung bereitstellt. Das Regulierungsermessen kann als Begleiterscheinung neuer Gesetzesstrukturen also eine Notwendigkeit sein, die auch einen neuen Terminus rechtfertigt. 3. Zwischenergebnis Aus dieser Erkenntnis lässt sich folgender Schluss ziehen: Die Entwicklung des Regulierungsermessens durch das Bundesverwaltungsgericht kann als erster Schritt zur Anerkennung der Unmöglichkeit der einen richtigen, aus dem Gesetz zu gewinnenden Beantwortung einer Rechtsfrage im Bereich der Netzregulierung angesehen werden. Es gilt, vor der Prüfung der Übertragung dieses dogmatisch noch brüchigen Modells auf das Energieregulierungsrecht im nächsten Kapitel festzuhalten, dass ein Verbesserungsansatz für die dogmatische Lückenhaftigkeit der behördlichen Letztentscheidungsrechte im Regulierungsrecht weder die normative „Nachsteuerung“, noch die judikative Kontrollintensivierung von Behördenentscheidungen sein kann. Erstere ist schon unionsrechtlich problematisch; Letztere stieße auf die gleichen Grenzen wie die administrative Entscheidungsfindung und könnte höchstens „ihre“ Entscheidung an die Stelle der Behördenentscheidung setzen.167 Wenn dies aber unter Heranziehung der gleichen (nur beschränkten) gesetzlichen Maßstäbe erfolgt, ist dies kein Gewinn an Entscheidungsrationalität, sondern lediglich ein Entscheidungssubstitut.
167 Zur Frage, inwieweit außerrechtliche Maßstäbe als Kontrollmaßstäbe für das Verwaltungshandeln herangezogen werden können siehe: Schoch, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 543 ff.
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3. Teil Kap. 5: Die Entwicklung des Regulierungsermessens
D. Ergebnis Das Regulierungsermessen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weist keine abgrenzbare oder neue dogmatische Struktur auf. Es lag hierin zunächst unter Beachtung der gängigen Rechtfertigungsansätze die Anerkennung behördlicher Letztentscheidungsrechte in der Telekommunikationsregulierung unter Verwendung eines neuartigen Begriffs, welches Elemente des Planungsermessens ebenso beinhaltet wie solche von „klassischem“ Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Die Berücksichtigung einer Vielzahl außerrechtlicher Maßstäbe in Ergänzung zu den sich direkt aus dem Gesetz ergebenden Vorgaben ist im Regulierungsrecht unvermeidlich; diese Fusion rechtlicher und außerrechtlicher Maßstäbe, die erst mit ihrer Anwendung zu rechtlichen Maßstäben werden können, muss dogmatisch aber einer eindeutigen Zuordnung zugänglich gemacht werden, um den Eindruck des Nebulösen168 zu vermeiden. Rechtsstaatlichen Bedenken begegnet das Regulierungsermessen in der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Form nicht. Die identifizierten Letztentscheidungsrechte sind hinreichend konkret anhand des gesetzgeberischen Willens ermittelt worden und lassen sich überdies in die herkömmlichen Kategorien jeweils einordnen. Allerdings handelt es sich beim Regulierungsermessen in der aufgezeigten Rechtsprechung nicht um ein selbständiges Konzept, zumal ein oft falsch verstandenes, welches einer Übertragung auf andere Bereiche ohne weiteres zugänglich wäre.
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So Wendel, Verwaltungsermessen als Mehrebenenproblem, 2019, § 4 S. 179 f.
Kapitel 6
Die Übertragung des Regulierungsermessens auf das Energiewirtschaftsrecht Das Regulierungsermessen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt,169 wie komplexe Verwaltungsentscheidungen in einem Referenzgebiet des Regulierungsrechts, dem Telekommunikationsrecht, gerichtlich nachvollzogen werden. Nach den Entscheidungen der Jahre 2007 und 2008 wurde diskutiert, ob sich das kaum konturierte Regulierungsermessen auf andere regulierte Wirtschaftsbereiche übertragen lässt.170 Das Regulierungsrecht ist aber so wenig eine einheitliche Rechtsmaterie,171 wie die regulierten Sektoren einen einheitlichen Wirtschaftszweig bilden.172 Der Bundesgerichtshof hat bereits ab 2008 in einigen Entscheidungen die Frage nach einem behördlichen Letztentscheidungsspielraum unter dem EnWG aufgeworfen.173 Anerkannt wurde er auf Ebene der Oberlandesgerichte bereits ab 2010.174 Höchstrichterlich wurde das „Regulierungsermessen“ im Energiewirtschaftsrecht erstmals im Jahr 2014 im Beschluss „Stadtwerke Konstanz GmbH“175 für den Bereich Gas und nachfolgend im Beschluss „Stromnetz Berlin GmbH“176 bestätigt. Diese beiden Entscheidungen bilden die Grundlage für die nun ständige Recht169
BVerwGE 130, 39; 131, 41. Würtenberger, GewA 2016, 6; Ludwigs, RdE 2013, 297 (301); Wimmer, JZ 2010, 433 (436 f.); Säcker/Mengering fordern sektorübergreifende Gleichbehandlung identischer Problemlagen in Bezug auf Beurteilungsspielräume, N&R 2014, 74 (83). 171 Zur vor allem zwischen dem Telekommunikationsrecht und dem EnWG bestehenden unterschiedlichen Ausgangslage: Burgi, DVBl. 2006, 269 (270), m. w. N.; es wurde jedoch unter Betonung der Gemeinsamkeiten der regulierten Netzinfrastrukturen immer wieder die Frage nach einem sektorübergreifenden Regulierungsrecht aufgeworfen, welches jedenfalls allgemeine Vorgaben beinhalten könnte. Hierzu vor allem Masing, Die Verwaltung 36 (2003), 1 – 32; ders., Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, Bd. I, 2006, Gutachten D 1; Säcker, AöR 130 (2005), 180; ders., EnWZ 2015, 531 (532 f.); Burgi, NJW 2006, 2439; Storr, DVBl. 2006, 1017; Möstl, GewA 2011, 265; siehe auch Korte, in: Kirchhof/Korte/Magen, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 2014, § 4 Rn. 3 ff. 172 Fehling/Ruffert, in: dies., Regulierungsrecht, 2010, § 23 Rn. 5 ff.; vgl. Christiansen, Optimierung des Rechtsschutzes im Telekommunikations- und Energierecht, 2013, S. 1 f. 173 BGH RdE 2008, 323; RdE 2008, 337; RdE 2008, 334. 174 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. 07. 2010, RdE 2011, 100. 175 BGH, Beschluss v. 21. 1. 2014, EnVR 12/12, EnWZ 2014, 378. 176 BGH, Beschluss v. 22. 7. 2014, EnVR 59/12, RdE 2014, 495. 170
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
sprechung des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen im Bereich der Energienetz(entgelt)regulierung.177 Während die im fünften Kapitel dargestellten Grundsatzentscheidungen und die nunmehr gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts große Resonanz in der Literatur gefunden haben, ist die Übertragung des Regulierungsermessens auf das Energierecht etwas „leiser“ vonstatten gegangen. Und so zeichnet sich im Energierecht noch weniger als im Telekommunikationsrecht eine feste Dogmatik ab, die dieser Rechtsfigur zu einheitlicher Anwendung verhelfen könnte.178 Gleichzeitig weist die Regulierung im Energiesektor Besonderheiten auf, die an die behördlichen Entscheidungsspielräume besondere Anforderungen stellen. Es wird deshalb vorgeschlagen, den eingeschlagenen Weg des Regulierungsermessens im Sinne einer Angleichung von Tatsachen- und Rechtsfragen in der Anwendungs- und Kontrollperspektive zugunsten einer stärkeren Differenzierung dieser Ebenen ohne Verlust an nötiger Entscheidungsflexibilität zu verlassen. Die Grundlage für diesen Vorschlag bildet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen, deren Problematik mit den beiden nachfolgend darzustellenden Entscheidungen ihren Ausgang nimmt und sich zuletzt und besonders deutlich zuletzt an den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs zum Eigenkapitalzinssatz179 und zum generellen sektoralen Produktivitätsfaktor180 offenbart. Wegen gelegentlicher Darstellung der behördlichen Energieregulierung als grundsätzlich „letztentscheidungsfeindlich“, soll nachfolgend untersucht werden, ob einer Anwendung des Regulierungsermessens im Bereich der Energieregulierung bereits grundsätzlich etwas entgegensteht.
A. Ausschluss der Übertragung wegen Besonderheiten im TKG bzw. EnWG Es bestehen große Unterschiede zwischen den sektorspezifischen Regulierungsansätzen unter dem TKG und dem EnWG, die sich nicht zuletzt durch eine Zuweisung zu unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten offenbaren.181 So hat der Bun177
Etwa bei der Festlegung von Verlustenergiekosten im Rahmen der ARegV, vgl. Missling, IR 2016, 251 ff.; siehe weiter unten die Rechtsprechungauswertung des BGH zum Regulierungsermessen. 178 Schneider, in: Fehling/Ruffert, Energierecht, 2010, § 22 Rn. 20. 179 MDR 2020, 1265. 180 BGH NVwZ-RR 2021, 440. 181 Auch wenn umstritten ist, welchen Einfluss die Rechtswegspaltung auf die Fragmentierung dieser Rechtsgebiete hat; für eine nur unwesentliche Bedeutung Riese, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 78 (Stand Februar 2019). Einen größeren hemmenden Effekt der unterschiedlichen Herangehensweisen von Verwaltungs- und Zivilgerichten auf die Entwicklung einer kohärenten regulierungsrechtlichen Dogmatik vermutet Schneider, in: Fehling/ Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 22 Rn. 6.
A. Ausschluss der Übertragung wegen Besonderheiten im TKG bzw. EnWG
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desgerichtshof richtigerweise eine Selbstbindung der Verwaltung durch die Regulierungspraxis unter dem TKG für die Regulierung unter dem EnWG abgelehnt.182 Um die Übertragung des für Normen des TKG 2004 entwickelten Regulierungsermessens auf Normen des EnWG bzw. der aufgrund des EnWG erlassenen Rechtsverordnungen bewerten zu können, sollen zunächst einzelne Besonderheiten des Telekommunikationsmarktes und seiner Regulierung dargestellt werden, die dieser Übertragung möglicherweise entgegenstehen.
I. Normierende und administrative Regulierung Rechtlich wird die Regulierung der Telekommunikationsmärkte häufig als regulatorisch-administrativ,183 diejenige der Energienetze als normierend oder normengeleitet bezeichnet.184 Das Telekommunikations- und das Energierecht zeichnet zwar gleichermaßen aus, dass ihre Infrastrukturen zunächst rechtliche und seit ihrer Liberalisierung jedenfalls noch zum Teil natürliche Monopole sind, die – um Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten – staatlich reguliert werden müssen.185 Dennoch sind sie nur teilweise vergleichbar, sowohl auf rechtlich-regulatorischer, als auch auf technischer Ebene.186 Der technisch größte Unterschied dürfte sein, dass die Telekommunikationsnetze im Unterschied zu den Netzen für den Transport von Strom, Gas oder Fernwärme jedenfalls bis zur Teilnehmeranschlussleitung187 duplizierbar sind und Wettbewerb somit auch zwischen den Netzen möglich wäre.188 182
BGH WM 2019, 1126 Rn. 21 f. So beschrieb auch das Bundesverwaltungsgericht das neue Regulierungskonzept nach dem TKG 2004, BVerwG NVwZ 2007, 93 (98): „Dass die Regulierungsbehörde bei dieser Konzeption funktional über den Zeitpunkt der Anwendung des neuen Rechts befindet, beruht darauf, dass sich die Konzeption der Regulierung nach neuem Recht dadurch auszeichnet, dass die Regulierungsbehörde im Wege der Durchführung des Marktdefinitions- und Marktanalyseverfahrens die Notwendigkeit einer Regulierung festzustellen hat.“ 184 Attendorn, RdE 2009, 87; Schneider, in: Fehling/Ruffert, Energierecht, 2010, § 22 Rn. 20; Schmidt-Preuß, IR 2004, 146. 185 Zum Begriff der natürlichen Monopole siehe Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2008, S. 21 f.; für den Bereich der Energienetze Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 3; für den Bereich der Telekommunikation wenigstens die Festnetzleitungen betreffend, siehe Säcker, EnWZ 2015, 531 (531), der vorschlägt, von einem natürlichen Monopol nur dann zu sprechen, wenn die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 – 3 GWB vorliegen. 186 Es soll an dieser Stelle mangels der Bedeutung für die vorstehende Untersuchungsfrage kein ausführlicher Vergleich dieser beiden Rechtsgebiete stattfinden, vergleiche hierfür etwa Mengering, die Entgeltregulierung im Telekommunikations- und Energierecht, 2017, S. 38 – 147. 187 Also bis zum letzten Netzknoten, Fetzer, in: Kirchhof/Korte/Magen, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 2014, § 9 Rn. 21. 188 Theobald/Hummel, N&R 2004, 2; zu Streit hat in den letzten Jahren immer wieder die Frage geführt, wer ab der Teilnehmeranschlussleitung oder dem FTTB („fibre to the building“) und somit auf der „letzten Meile“ technisch festlegen darf, wie die Datenübertragung auf den meist vorhandenen Kupferkabeln erfolgt und damit dann ggf. andere Technologien anderer 183
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
Übertragungs- und Verteilnetze für Strom (und Gas) sind hingegen nicht wirtschaftlich zu vervielfältigen.189 Sowohl im Energiesektor, als auch unter dem TKG werden deshalb der Netzzugang190 und die Netzentgeltbildung191 reguliert. Der Anspruch auf Netzzugang unter dem TKG wird erst behördlich für bestimmte Märkte festgestellt, besteht unter dem EnWG aber bereits als gesetzlicher Anspruch.192 Von Bedeutung für das Regulierungsermessen bei der Strom- und Gasregulierung sind daher weniger Fragen der Zugangs- als solche der Entgeltregulierung;193 aus dieser unterschiedlichen Ausgangslage im Energierecht ergibt sich aber noch kein Ausschluss behördlicher Letztentscheidungsrechte für das gesamte Rechtsgebiet, auch nicht wenn ein solches für die Regulierung des Telekommunikationsmarktes entwickelt wurde.
II. Kein Ausschluss eines erweiterten behördlichen Entscheidungsspielraums wegen § 83 Abs. 5 EnWG § 83 Abs. 5 EnWG enthält inhaltliche Vorgaben für die Beschwerdeentscheidung und entspricht laut Gesetzesbegründung194 derjenigen des § 71 Abs. 5 Satz 1 GWB.195 Aus dieser Regelung wird teilweise geschlussfolgert, dass die Behördenentscheidung umfassend und auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen ist, womit von gerichtlicher Kontrolle freigestellte Spielräume ausgeschlossen seien.196 Anbieter stört; die BNetzA schützt die Telekom und ihr bevorzugtes Verfahren des Vectoring (Verfahren zur Kompensation von Störungen auf Kupferdoppeladern und dadurch Erhöhung der Datenrate) und stellt sich auch jüngst wieder der Gebäudeverkabelung mit Glasfaser von Konkurrenten hiermit in den Weg: BNetzA 1. Teilbeschluss vom 10. 1. 2019, BK3e-15 – 011; vgl. zur damit einhergehenden Verstärkung der Marktmacht: Säcker, EnWZ 2015, 531 (531). 189 Weil diese Netze Eigenschaften natürlicher Monopole haben, Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 3. 190 Seit der Liberalisierung des Energiemarktes mit dem Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. 4. 1998 (BGBl. I 1998, S. 730) ist man vom verhandelten Netzzugang (§ 6 EnWG a. F.) zu einem gesetzlich normierten Netzzugangsanspruch übergegangen (§§ 17 – 20 EnWG). Die Regulierung des Zugangs erfolgte unter dem TKG 1996 (BGBl. I 1996, S. 1120) als Verpflichtung des Nachfolgeunternehmens der deutschen Bundespost, Wettbewerbern Zugang zu ihrem Netz zu gewährleisten. Seit 2004 (TKG v. 22. 6. 2004, BGBl. I, S. 1190) erfolgt die Regulierung märktespezifisch in einem mehrstufigen Verfahren nach den §§ 9 ff. TKG; das Regulierungsermessen wurde zu ebendiesem Verfahren entwickelt. 191 Im Energierecht wird die Bildung der Entgelte seit 2009 über eine Anreizregulierung kontrolliert, die Entgelte als solche aber keiner ex-ante-Genehmigungspflicht unterstellt; im Telekommunikationsrecht werden die Entgelte in einem Verfahren bei der BNetzA nach den §§ 27 – 39 TKG vorab genehmigt. 192 Säcker, in: ders., Energierecht, 2019, Bd. I (Halbband 1), § 20 EnWG Rn. 12 m. w. N. 193 Gärditz, DVBl. 2016, 399 (401); Grüneberg, RdE 2016, 49 (49). 194 BT-Drucks. 15/3917, 72. 195 BGBl. I 2020, S. 674/urspr. Fassung BGBl. I 1957, S. 1081. 196 Ludwigs, RdE 2013, 297 (306); Huber, in: Kment, EnWG, 2019, § 83 Rn. 19.
A. Ausschluss der Übertragung wegen Besonderheiten im TKG bzw. EnWG
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Als Rechtfertigung für diesen pauschalen gerichtlichen Prüfumfang wird angeführt, dass wegen der Unbestimmtheit vieler Ermächtigungsgrundlagen sonst ein „unkontrollierbarer Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum“ entstünde.197 Diese Ansicht ist bereits deshalb problematisch, weil die offene Ausgestaltung von Ermächtigungsgrundlagen auch nach der gängigen Dogmatik eher für die Einräumung von behördlichen Einschätzungsspielräumen streitet als dagegen.198 § 71 Abs. 5 Satz 1 GWB wurde wortgleich in das EnWG übernommen. § 71 Abs. 5 Satz 2, worin die „Nachprüfung der gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung“ der Nachprüfung durch das Gericht entzogen wird, wurde nicht in § 83 Abs. 5 EnWG übernommen. Warum, geht aus der Gesetzesbegründung, die außer dem Hinweis auf die Übernahme von § 71 Abs. 5 Satz 1 GWB keine Ausführungen enthält, nicht hervor. Vereinzelt werden aus dieser fehlenden Übernahme Beurteilungsspielräume der Bundesnetzagentur als vom Gesetzgeber ausgeschlossen angesehen; er habe für Tatbestände des EnWG keine Notwendigkeit für eine Ausnahme vom Prinzip der gerichtlichen Vollkontrolle gesehen.199 1. Hintergrund des § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB Zum richtigen Verständnis von § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB – und somit zum Grund für die unterbliebene Ausnahmeregelung im EnWG – ist die Berücksichtigung des Hintergrunds der kartellrechtlichen Wettbewerbsaufsicht von Bedeutung. Es geht in diesem Satz 2 weniger um die genaue Festlegung des Umfangs der Rechtskontrolle als vielmehr um die Sicherung eines Aspekts der Gewaltenteilung:200 Das Wirtschaftsministerium soll seiner wirtschaftspolitischen Verantwortung durch sein Weisungsrecht an das Bundeskartellamt nachkommen können, weshalb dieser Bereich der gerichtlichen Vollkontrolle entzogen ist (sog. „political-question-Klausel“).201 Dass Satz 2 nicht in das EnWG übernommen wurde, ließe sich also dann bereits auf die Zuständigkeit der Bundesnetzagentur statt der des Bundeskartellamts zurückführen, wenn sie sich in ihrer Weisungsabhängigkeit unterscheiden.
197 Huber, in Kment, EnWG, 2019, § 83 Rn. 19 mit Verweis auf Gussone, in: Danner/ Theobald, Energierecht, § 83 Rn. 18 und Burmeister/Brill/Becker, in: PraxKomm EnWG, § 83 Rn. 50. Ersterer wird mittlerweile von Boos bearbeitet (Stand März 2017), wo Beurteilungsspielräume weiterhin abgelehnt werden (a. a. O., Rn. 16). 198 So im Ergebnis auch Grüneberg, RdE 2016, 49 (54). 199 Hanebeck, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 83 Rn. 219 f. 200 So auch Kühnen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al., Kartellrecht, 2016, § 71 GWB Rn. 58. 201 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2020, § 71 GWB Rn. 38.
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
a) Die Weisungsgebundenheit des Bundeskartellamts und der Bundesnetzagentur Grundsätzlich unterliegt die Exekutive der demokratischen Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG.202 Das Bundeskartellamt war vor der Novelle des GWB 1973203 eine abhängige Bundesbehörde und der Weisung des Wirtschaftsministeriums unterstellt.204 Seit dieser zweiten GWB-Novelle ist die Frage nach der Unabhängigkeit des Bundeskartellamtes gegenüber Weisungen durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) umstritten.205 Nach Art. 65 Satz 2 GG, wonach der Ministerin oder dem Minister die Leitung der nachgeordneten Behörden sowie die Sachentscheidungskompetenz über alle dem Ressort zugehörigen Verwaltungsangelegenheiten zukommt,206 wären sowohl die Bundesnetzagentur als auch das Bundeskartellamt weisungsabhängig.207 Die Bundesnetzagentur sollte seit ihrer Gründung im Jahr 2005 eine möglichst unabhängige Regulierung der Netzwirtschaften vornehmen.208 Organisation und Zuständigkeiten der Bundesnetzagentur sind im Gesetz über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BEGTPG)209 geregelt. Für das Bundeskartellamt gibt es kein entsprechendes Gesetz, seine Zuständigkeit und Organisation sind in § 51 GWB geregelt. Sowohl die Bundesnetzagentur als auch das Bundeskartellamt sind selbständige Bundesoberbehörden.210 Die Bezeichnung „selbständig“ impliziert aber keine Weisungsfreiheit, sondern bezieht sich auf ihre organisatorische Selbständigkeit.211 Für beide Behörden gilt allerdings eine Weisungsfreiheit der einzelnen Beschlussabteilungen bzw. -kammern.212 Für das Bundeskartellamt war die herrschende Auffassung lange der Ansicht, dass auch Einzelweisungen zulässig seien, wobei die das Einzelweisungsrecht ablehnenden
202 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 20 Rn. 169 (Stand 1. 12. 2019); zur Frage, ob die demokratische Legitimation an ein Weisungsrecht gebunden ist, siehe Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 144 (Stand Januar 2010). 203 BGBl. I 1973, S. 917. 204 Jäckering, Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 1977, S. 95 f. 205 Stockmann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2020, § 51 GWB Rn. 8 ff. 206 Ibler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 2019, Art. 87 Rn. 251. 207 Obwohl dies eher in Abgrenzung zur Bundesregierung zu sehen ist, Epping, in: Epping/ Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 65 Rn. 6 f. (Stand 2019); Löhr, Bundesbehörden zwischen Privatisierungsgebot und Infrastrukturauftrag, 2007, S. 179 m. w. N. 208 Pielow, DÖV 2005, 1017 (1018) m. w. N. 209 Verkündet als Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BGBl. I 2005, S. 1970. 210 § 66 Abs. 1 TKG 1996 bzw. § 1 S. 2 BEGTPG bzw. § 51 Abs. 1 S. 1; auch dem BKartA darf durch Weisungen nicht die Ermessensausübung abgeschnitten werden, vgl. Stockmann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2020, § 51 GWB Rn. 14. 211 Ibler, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 254 (Stand Januar 2009). 212 Stockmann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2020, § 51 GWB Rn. 15.
A. Ausschluss der Übertragung wegen Besonderheiten im TKG bzw. EnWG
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Stimmen zunehmen.213 Trotz der möglichen Europarechtswidrigkeit eines Einzelweisungsrechts des BMWi gegenüber der Bundesnetzagentur wird dieses mehrheitlich angenommen.214 Zwar fordert Art. 35 Abs. 4 Satz 2 lit. b EltRL215 die politische Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde, wodurch ministerielle Weisungen explizit ausgeschlossen werden; allerdings hat der nationale Gesetzgeber die Regelung des § 61 EnWG, worin allgemeine Weisungsrechte vorausgesetzt werden,216 bis heute nicht angepasst.217 Obwohl es formal gesehen nur kleine Unterschiede in der Weisungsfreiheit des Bundeskartellamts und der Bundesnetzagentur zu geben scheint, unterscheiden sich die Märkte, für welche sie jeweils zuständig sind, grundlegend. Erstere sind regulierte Märkte, auf denen Wettbewerbsbedingungen für die Marktteilnehmer erst hergestellt werden müssen;218 Letztere sind grundsätzlich freie Märkte, in welche bei Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln im Sinne einer klassischen Missbrauchsaufsicht eingegriffen werden kann.219 Trotz allem und vielleicht wegen dieses letzten Unterschieds wird eine Ministerialfreiheit der Bundesnetzagentur angenommen.220 Eine Weisungsfreiheit besteht richtigerweise für Einzelweisungen im Bereich der direkten materiellrechtlichen Aufgabenwahrnehmung der Bundesnetzagentur von ihr unionsrechtlich zugewiesenen Regulierungsaufgaben; dieser Bereich dürfte sehr weit zu verstehen sein.221 b) Ministerialerlaubnis als Grund für die Schaffung von § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB Entscheidend dürfte jedoch folgende Überlegung sein: Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB darf das BMWi auf Antrag eine Erlaubnis zu einem vom Bundeskartellamt 213 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2007, § 51 GWB Rn. 11 m. w. N.; in der Neuauflage 2020 heißt es: „Von einer an Boden gewinnenden Meinung wird die Frage [nach der Zulässigkeit von Einzelweisungen, die Verf.] generell verneint“, Stockmann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2020, § 51 GWB Rn. 8, m. w. N. 214 Attendorn/Geppert, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 117 Rn. 9; Lippert, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Einführung Rn. 29 (Stand Januar 2015); Pielow, DÖV 2006, 1017 (1019). 215 Richtlinie 2009/72/EG, ABl. L 211/55. 216 Die Norm begründet solche Weisungsrechte aber nicht selbst und lässt auch die Frage nach der Zulässigkeit von Einzelweisungen offen, vgl. Wahlhäuser, in: Kment, EnWG, 2019, § 61 Rn. 11 f. 217 Was auch Grund für das Vertragsverletzungsverfahren ist, siehe Pressemitteilung vom 18. 7. 2018: IP/18/4487. 218 Regulierungsrecht sei insofern „ein auf Dauer angelegtes, makroökonomisches, rahmensetzendes Wettbewerbsförderungsrecht“, Säcker, EnWZ 2015, 531 (532); Franzius, DÖV 2013, 714 (714). 219 Säcker, EnWZ 2015, 531 (532). 220 Franzius, DÖV 2013, 714 (714 f.); Wimmer, JZ 2010, 433 (435) m. w. N.; Mayen, DÖV 2004, 45 (45 f.). 221 Wahlhäuser, in: Kment, EnWG, 2019, § 61 Rn. 14; nicht differenzierend dagegen Theobald/Werk, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 59 EnWG Rn. 31 f. (Stand Juli 2014).
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
untersagten Zusammenschluss erteilen, wenn die „gesamtwirtschaftlichen Vorteile“ überwiegen. § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB spricht ebenfalls von der „gesamtwirtschaftlichen“ Lage, welche der gerichtlichen Überprüfung entzogen ist. Hauptanwendungsfall von Satz 2 ist also das Ministererlaubnisverfahren.222 Dass dieser Satz also nicht in das EnWG übernommen wurde, ist bereits damit zu erklären, dass er auf ein spezielles Verfahren des GWB zugeschnitten ist, das im EnWG keine Entsprechung hat. Der Verzicht des Gesetzgebers auf eine entsprechende Regelung von Ausnahmen der gerichtlichen Vollkontrolle für das EnWG schließt solche gleichfalls nicht aus.223 2. Zwischenergebnis Die Einräumung eines behördlichen „Regulierungsermessens“ ist nicht bereits wegen der fehlenden Übernahme von § 71 Abs. 5 Satz 2 GWB in die Regelung des § 83 Abs. 5 EnWG ausgeschlossen.
III. Ausschluss eines Beurteilungsspielraums wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 82 Abs. 1 EnWG Das Beschwerdegericht hat den Sachverhalt gem. § 82 Abs. 1 EnWG von Amts wegen, also ohne Antrag des Beschwerdeführers oder eines Beteiligten, zu erforschen. Diesen Grundsatz, auch Untersuchungsgrundsatz genannt, gibt es im Verwaltungsverfahren (§ 24 VwVfG), im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 86 VwGO) und im Strafverfahren („Legalitätsprinzip“224), nicht jedoch im Zivilprozess, wo der Beibringungsgrundsatz oder die Dispositionsmaxime besagt, dass das Gericht nur dasjenige Vorbringen berücksichtigen darf, das von den Parteien angeboten wird.225 Unter dem EnWG gelten Streitigkeiten zwar als öffentlich-rechtlich im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, werden allerdings durch die abdrängende Sonderzuweisung in § 75 Abs. 4 Satz 1 EnWG ausdrücklich den Oberlandesgerichten zugewiesen.226 Für das Beschwerdeverfahren nach §§ 75 bis 88 EnWG gelten im Übrigen die Vorschriften der ZPO,227 § 85 Nr. 2 EnWG.228 Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt gem. § 68 EnWG auch für die zuständige Regulierungsbehörde, 222
Kühnen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff et al., Kartellrecht, 2016, § 71 GWB Rn. 58. 223 Anderer Ansicht ist Hanebeck, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 83 Rn. 20. 224 Kölbel, in: MüKo StPO, 2016, § 160 Rn. 29 ff. 225 Greger, in: Zöller ZPO, 2016, Vor § 128 Rn. 10; Bacher, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, § 284 Rn. 34 (Stand 1. 1. 2020). 226 Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 75 EnWG Rn. 6 (Stand März 2017); Huber, in: Kment, EnWG, 2019, § 75 Rn. 1. 227 Zivilprozessordnung, BGBl. I 2005, S. 3202. 228 Huber, in: Kment, EnWG, 2019, § 75 Rn. 1.
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allerdings nur für die Ermittlung des Sachverhalts.229 Für den Streitgegenstand hingegen gilt die Dispositionsmaxime.230 Wegen dieses Grundsatzes wird vereinzelt eine vollumfassende gerichtliche Kontrolle der Behördenentscheidung als alternativlos angesehen.231 Die Verneinung der Übertragung des Regulierungsermessens vom Geltungsbereich des TKG auf denjenigen des EnWG wegen der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes wäre aber schon deshalb nicht überzeugend, weil Streitigkeiten des TKG nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterstellt sind, sondern der Verwaltungsgerichtsbarkeit.232 Auch hier gilt also gem. § 86 VwGO der Amtsermittlungsbzw. Untersuchungsgrundsatz.233 Wenn trotz dieser Regel ein erweitertes behördliches Letztentscheidungsrecht in Form eines Regulierungsermessens eingeräumt wird, taugt der Amtsermittlungsgrundsatz jedenfalls nicht als Argument gegen die Übertragung dieser Rechtsfigur auf ein Rechtsgebiet, in dem dieser Grundsatz ebenfalls Geltung hat. Ein gerichtlich eingeschränkt überprüfbarer behördlicher Beurteilungsspielraum ist somit nicht wegen § 82 Abs. 1 EnWG ausgeschlossen. Denn ein Ausschluss von Beurteilungsspielräumen wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes würde bedeuten, dass solche auch in anderen Bereichen der VwGO ausgeschlossen sind; mithin dürfte die gesamte Verwaltungsgerichtsbarkeit keine behördlichen Beurteilungsspielräume auf der Sachebene in den jeweiligen Fachgesetzen annehmen.
IV. Ausschluss der Übertragung wegen der Verknüpfung von Marktabgrenzung und -definition mit den Regulierungsverpflichtungen zu einem einheitlichen Verwaltungsakt nach § 13 Abs. 3 TKG 2004 Die Feststellungen zur Marktabgrenzung und zur Regulierungsbedürftigkeit ergehen (auch nach aktueller Rechtslage, § 13 Abs. 5 TKG234) mit den einzelnen Regulierungsverpflichtungen gem. § 13 Abs. 3 TKG 2004 in einem einheitlichen Verwaltungsakt. In diesem Rahmen sind der Behörde verschiedene Entscheidungsspielräume eingeräumt, die wegen ihres inneren und äußeren Zusammenhangs 229
Hanebeck, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 82 Rn. 2. Huber, in: Kment, EnWG, 2019, § 82 Rn. 1. 231 So Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 83 EnWG Rn. 16 (Stand März 2017). 232 Da es sich bei den Rechtsfragen unter dem TKG um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art handelt, die keinem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind, gilt § 40 Abs. 1 VwGO. 233 Dies wird auch für das vorgerichtliche Verwaltungsverfahren vor den Beschlusskammern bereits von § 128 TKG vorausgesetzt: Meyer-Sebastian, in: Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 128 Rn. 2 f.; hierzu auch BVerwG BeckRS 2006, 20912. 234 BGBl. I 2012, S. 958. 230
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
die „Erfindung“ des Regulierungsermessens begründeten.235 Dies ist eine Besonderheit der telekommunikationsrechtlichen Regulierung, welche im Energiewirtschaftsrecht nicht in dieser Form vorzufinden ist.236 1. Untrennbare Verbindung zwischen Befund und Verpflichtungsauferlegung Würde unter dem TKG die Zugangsregulierung auch über einen gesetzlich normierten Anspruch und nicht erst durch die behördliche Feststellung der Regulierungsbedürftigkeit erfolgen, würde der Zugangsregulierungsansatz wie unter dem EnWG in der behördlichen Anordnung bzw. Konkretisierung eines unmittelbar geltenden gesetzlichen Anspruchs liegen.237 Zu überlegen ist also, ob gerade diese Verbindung von Marktdefinition und -analyse, also der Feststellung der anspruchsbegründenden Situation, und der Anspruchsanordnung zu einem „gestalterischen Gesamtakt“, die vom Bundesverwaltungsgericht ausgeführte Untrennbarkeit einer durch „zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerten Abwägung von einer sich daran anschließenden Ermessensbetätigung“ begründet.238 Im ersten Schritt eines telekommunikationsrechtlichen Regulierungsverfahrens muss die Regulierungsbedürftigkeit festgestellt werden, wobei der Gesetzgeber dem Regulierer hier bereits ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum eingeräumt hat (§ 10 Abs. 2 Satz 2 TKG). Wie in Kapitel 5 dargelegt, muss hierzu der sachlich und räumlich relevante Markt abgegrenzt werden (§ 10 Abs. 1 TKG). Ob die abgegrenzten Märkte regulierungsbedürftig sind, entscheidet zunächst der Drei-Kriterien-Test in § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG (Marktzutrittsschranken, längerfristig keine Tendenz zu wirksamem Wettbewerb und die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts wäre daher ungenügend). Für dieses Verfahren steht der Bundesnetzagentur nach einhelliger Auffassung insgesamt ein Beurteilungsspielraum zu, auch wenn er sich ausdrücklich nur in Abs. 2 Satz 2 findet; er bezieht sich somit auf die Bestimmung des regulierungsbedürftigen Marktes als Ganzem.239 Dass dieses Verfahren ein eigenständiger, unselbständiger Teil der Regulierungsverfügung nach § 13 Abs. 5 TKG ist, bedeutet auch, dass dieser Teil nicht eigenständig angefochten werden kann; eine Überprüfung kann also nur im Rahmen einer Klage gegen die sich 235 Es handelt sich hierbei gerade nicht um Kopplungsvorschriften, also Normen, die sowohl einen Beurteilungsspielraum als auch ein Ermessen beinhalten; anders Ludwigs, RdE 2013, 297 (297). 236 Vor der Liberalisierung musste auch der Strommarkt (der Verteilnetze) nach relevanten Teilmärkten abgegrenzt werden, wenn es um die Durchsetzung allgemein-wettbewerbsaufsichtsrechtlicher Verfügungen gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen ging. Hierfür war das BKartA zuständig und bediente sich verschiedener Ansätze, die einem Wandel im Laufe der Zeit unterlagen, vgl. den Überblick bei Becker/Engelsing, in: FS Säcker, 2011, S. 561 (561). 237 Schütz, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 10 Rn. 2. 238 BVerwGE 130, 39 Rn. 29 = BVerwG NVwZ 2008, 575 (577). 239 Kühling/Schall/Biendl, Telekommunikationsrecht, 2014, S. 145; Schütz, in: Geppert/ Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 10 Rn. 31.
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anschließende Regulierungsverfügung stattfinden.240 In diesem Rahmen ist dann sowohl die Ausübung des Beurteilungsspielraums auf der ersten Stufe, als auch die Regulierungsverfügung als solche und ein hierin möglicherweise ausgeübtes Ermessen zu überprüfen; dies führte zur Schaffung des Regulierungsermessens.241 2. Mehrstufige Regulierungsverfahren unter dem EnWG In der Auferlegung konkreter Rechtspflichten unter Berücksichtigung der Ergebnisse der durch viele unbestimmte Rechtbegriffe beeinflussten Marktdefinition, -abgrenzung und -analyse nach §§ 10, 11 TKG, liegt zwar eine starke Einbindung der Ermessensausübung in die Abwägungsentscheidung. Die tatsächlichen Feststellungen, die die Bundesnetzagentur zur Marktabgrenzung und Marktdefinition nach den §§ 10 und 11 TKG treffen muss, sind der Entscheidung über die Zugangsverpflichtungen zwingend vorgelagert.242 Die Übertragung des Regulierungsermessens wäre möglicherweise ausgeschlossen, wenn es in der Energieregulierung keine ähnlichen Entscheidungsprogramme gäbe, welche komplexe Einheiten aus Beurteilungs- und Ermessensbestandteilen bilden, ohne Koppelungsvorschriften zu sein. Wie oben dargestellt ist der Netzzugang im Energierecht als gesetzlicher Anspruch normiert, § 20 Abs. 1 EnWG.243 Die Schaffung von Quasi-Wettbewerbsbedingungen ist damit aber noch nicht erreicht, sondern läuft vor allem über die Regulierung der Netzentgelte.244 Ziel ist die Bildung wettbewerbsanaloger Preise.245 a) Mehrstufigkeit des Effizienzvergleichs nach §§ 12 ff. i. V. m. Anlage 3 ARegV In den beiden grundlegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen im Energierecht246 ging es so auch um Fragen der Entgeltregulierung, welche sich seit dem 1. 1. 2009 nach der Anreizregulierungsverordnung
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Schütz, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 10 Rn. 30. Korehnke/Ufer, in: Geppert/Schütz, Beck’scher TKG-Kommentar, 2013, § 11 Rn. 79. 242 Nicht verpflichtend, aber weitestgehend zu berücksichtigen hat die BNetzA dabei die Empfehlung der Kommission in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte und die Leitlinien zur Marktanalyse und zur Bewertung beträchtlicher Marktmacht, § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG. 243 Säcker, in: ders., Energierecht, 2019, Bd. I (Halbband 1), § 20 EnWG Rn. 12, auch wenn hiernach eine vertragliche Umsetzung zwingend ist. 244 Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 2013, S. 113. 245 Säcker, N&R 2009, 78 (79). 246 „Stadtwerke Konstanz“, BGH RdE 2014, 276 = NVwZ-RR 2014, 473, wo es um die Festsetzung der Erlösobergrenzen nach § 12 ARegV ging und „Stromnetz Berlin“, BGH RdE 2014, 495, wo es um die Bestimmung des Qualitätselements nach §§ 19, 20 ARegV im Rahmen der Berechnung der Erlösobergrenzen ging. 241
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(ARegV)247 richtet, die aufgrund von § 21a Abs. 6 EnWG erlassen wurde. Hierdurch wurde die bis dahin nur kostenorientierte Entgeltbildung durch eine ex-ante-Regulierung ersetzt, bei welcher die Obergrenzen für die Gesamterlöse aus den Netzzugangsentgelten von den tatsächlichen Kosten und Erlösen der Netzbetreiber entkoppelt werden und unter Berücksichtigung von Effizienzvorgaben gebildet werden.248 Die Kalkulation des Effizienzwertes, der nach § 12 ARegV einen vorangehenden bundesweiten Effizienzvergleich durch die Bundesnetzagentur erfordert, beruht auf dem Gedanken der Herstellung von Wettbewerbspreisen unter Auslassung von Kosten, die bei effizienter Betriebsführung nicht anfallen würden.249 Die Bundesnetzagentur hat im Rahmen des Effizienzvergleichs eine Vielzahl von Parametern nach bestimmten Kriterien selbst auszuwählen und zu berücksichtigen.250 Die Sektoren Strom und Gas werden hierbei teilweise getrennt voneinander betrachtet.251 Die Erlösobergrenzen werden mithilfe besonderer Verfahren in § 4 Abs. 1 ARegV für jeden Netzbetreiber individuell festgelegt („Revenue-Cap-Regulierung“252).253 Hierbei werden durch die Bundesnetzagentur, stark vereinfachend, die Grenzkosten einer effizienten Unternehmens- und Betriebsführung für alle vergleichbaren Netzbetreiber „einer Gruppe“ ermittelt und um einen jede Regulierungsperiode254 neu zu bestimmenden Eigenkapitalzinssatz erhöht.255 Bestandteil dieses Vergleichs ist seit 2012 das sog. Qualitätselement, welches anhand der Vorgaben in §§ 19, 20 ARegVermittelt wird. Diese Regulierung erfolgt in drei Schritten und ergeht jeweils als regulierungsbehördliche Festlegung (§ 29 EnWG i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 6 ARegV). Zu Beginn erfolgt eine Festlegung zur Datenerhebung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ARegV). Im zweiten Schritt erfolgt die Festlegung der Methode nach § 32 Abs. 1 Nr. 6 ARegV, für welche die §§ 19, 20 ARegV den Rahmen vorgeben. Bei dieser Methodenwahl hat der Verordnungsgeber der Regulierungsbehörde einen 247 248
(693). 249
BGBl. I 2007, S. 2529. Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 2013, S. 119 f.; Lismann, NVwZ 2014, 691
Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 21 EnWG Rn. 7 (Stand Juni 2008). Zwar ist die Regulierungsformel zur Errechnung der Erlösobergrenzen in Anlage 1 zu § 7 ARegV für jede Regulierungsperiode vorgegeben, jedoch sind die einzelnen Variablen dieser Formel ihrerseits höchst komplex und können somit nicht als sich der Behörde zwingend aus dem Verordnungstext ergebende Rechtsfolge angesehen werden, vgl. etwa den Streit über den zu berücksichtigenden „volatilen Kostenanteil“ nach § 11: hierüber entscheidet die BNetzA selbst mithilfe von Festlegungen nach § 32 ARegV (siehe BGH Beschluss vom 7. 6. 2016, RdE 2016, 462). 251 Etwa bei der Bestimmung des Qualitätselements nach § 19 Abs. 1 S. 3 ARegV, siehe zu den Gründen hierfür Hilpert, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 19 ARegV Rn. 5. 252 Säcker, N&R 2009, 78 (81). 253 Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 4 ARegV Rn. 12 (Stand April 2014). 254 Eine Regulierungsperiode dauert fünf Jahre, beginnend am 1. Januar 2009, wobei bei Gas die Dauer der ersten Regulierungsperiode auf vier Jahre verkürzt wurde (§ 34 Abs. 1b ARegV), um den Prozess insgesamt zu verzerren. 255 Säcker, N&R 2009, 78 (81). 250
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Beurteilungsspielraum zugebilligt.256 In einem letzten Schritt erfolgt die Festlegung des Zuschlags oder Abschlags nach § 4 ARegV gegenüber jedem betroffenen Netzbetreiber. Für diesen letzten Schritt bildet die Methodikfestlegung aus Schritt zwei die Grundlage. Die Regulierungsbehörde ist hieran gebunden.257 Der Regulierungsbehörde werden hier Spielräume eingeräumt, die nicht eindeutig auf der Tatsachen- oder auf der Rechtsebene verortet werden können.258 Dass deshalb vom Bundesgerichtshof auf das Regulierungsermessen rekurriert wird, weil die „Auswahl der ,richtigen‘ Parameter […] ein komplexer Vorgang“ ist,259 ist freilich eine Begründung, die die verringerte Kontrolldichte allein nur schwer zu tragen vermag. Dazu weiter unten mehr. b) Vergleichbarkeit des Effizienzvergleichs mit der Marktdefinition, -abgrenzung und -analyse Das soeben dargestellte Verfahren ist jedenfalls in Grundzügen vergleichbar mit der Marktbestimmung nach § 10 TKG. Zwar räumen die §§ 19, 20 ARegV der Behörde nicht ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum ein, wie in § 10 Abs. 3 Satz 2 TKG. Das Verfahren des Effizienzvergleichs ist durch Gesetz oder Verordnung aber nicht in allen Details vorgegeben.260 Zudem ist ein Beurteilungsspielraum jedenfalls in den zugrundeliegenden EU-Richtlinien eindeutig vorgegeben. Der nationale Gesetz- und Verordnungsgeber hat sich bereits in der Umsetzung von Art. 23 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 2 EltRl 2003261 gegen die dort vorgesehene Kompetenzverteilung über die Bestimmung von „Konzepten zur Erhaltung der notwendigen Investitionen in die Netze“ an die Regulierungsbehörde entschieden und sie stattdessen in § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EnWG dem Verordnungsgeber zugeschrieben.262 Dies wurde auch nach Inkrafttreten der EltRL 2009,263 hier findet sich 256 Dies war auch Bestandteil der zweiten hier gleich zu untersuchenden Entscheidung „Stromnetz Berlin GmbH“: Der BGH sah hier einen Spielraum, der in einigen Aspekten einem Beurteilungsspielraum, in anderen einem Regulierungsermessen gleichkommt, EnVR 59/12, Ls.; Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 19 ARegV Rn. 5b (Stand September 2018). 257 Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 19 ARegV Rn. 5c (Stand September 2018). 258 OLG München v. 25. 11. 2010 BeckRS 2011, 19; OLG Düsseldorf RdE 2011, 100 Rn. 117; OLG Stuttgart v. 24. 5. 2012, BeckRS 2014, 20795, wo es dann aber „Regelungsermessen“ heißt; andere Ansicht OLG Bremen 2 W 6/09 Kart v. 2. 9. 2011: verlangt Beweis durch schriftliches Sachverständigengutachten; das bedeutet, dass es sich nicht um eine Wertung oder eine Einschätzung, sondern um eine dem Beweis zugängliche Tatsache handelt; so auch Brandenburgisches OLG ZNER 2011, 621. 259 OLG Stuttgart v. 24. 5. 2012, BeckRS 2014, 20795. 260 Grüneberg, RdE 2016, 49 (50). 261 Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003, ABl. Nr. L 176/37. 262 Vgl. Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 21 Rn. 36.
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die Vorgabe in Art. 37 Abs. 6 lit. a, nicht korrigiert. Bei der Methodenwahl hat der Verordnungsgeber in der Begründung die Entscheidungsgewalt ausdrücklich der Regulierungsbehörde übertragen. So verbleiben der Behörde gewisse Gestaltungsspielräume,264 nicht zuletzt wegen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Umsetzungsrechts.265 Einen sachgebietsspezifischen „Spielraum“ hat die Behörde deshalb bereits, weil dieser in der ARegV als solcher angelegt ist.266 c) Zwischenergebnis Nach diesem Exkurs wird erkennbar, dass die Verbindung von „Feststellungen tatsächlicher Art“ und komplexen Beurteilungen durch die Behörde mit „Ermessenserwägungen“ keine Besonderheit nur des Verfahrens der Zugangsregulierung nach dem TKG ist, sondern sich in vergleichbarer Komplexität im Energiewirtschaftsrecht findet. Ein pauschaler Ausschluss von ähnlichen Letztentscheidungsrechten unter dem EnWG ist mit der Komplexität der TKG-Regulierung jedenfalls nicht zu begründen.
V. Besonderheiten des Verfahrens bei der Bundesnetzagentur als formelle Kompensation für eine geringere Kontrolldichte Das Bundesverwaltungsgericht rechtfertigte das Regulierungsermessen unter anderem mit der besonderen Versachlichung der Entscheidung durch das Beschlusskammerverfahren bei der Bundesnetzagentur.267 Problematisch an dieser Begründung ist jedenfalls, dass die Bundesnetzagentur in der Vergangenheit regelmäßig268 Vorschriften über die Konsultation und Konsolidierung nach § 12 Abs. 2 TKG 2004 sowie konkrete Aufforderungen der EU-Kommission zur Mitteilung der Methoden in der Preiskontrolle nicht beachtet hat.269 Zwar waren in den beiden Grundsatzentscheidungen dahingehende Verfahrensfehler weder erkennbar noch vorgetragen.270 Jedoch ist hierauf bei einer entsprechenden Berücksichtigung in der Gesamtkonzeption der administrativen Entscheidungsfindung besonders zu achten. Denn die Annahme der Ausdehnung administrativer Kompetenzen wegen Verfahrensbesonderheiten setzt doch voraus, dass auf die Einhaltung dieser Verfahrensbesonderheiten in besonderem Maße geachtet wird. 263 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 7. 2009, ABl. Nr. L 211/55. 264 Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 21 Rn. 24. 265 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, 2019, Art. 288 Rn. 133 f. 266 OLG Schleswig BeckRS 2012, 5697. 267 BVerwGE 130, 39 Rn. 29 ff.; BVerwGE 131, 41 Rn. 20 f. 268 Schütze/Salevic, CR 2010, 80 (86). 269 BNetzA, Beschl. v. 13. 9. 2006, BK4a-06 – 039/R, S. 23. 270 BVerwGE 131, 41 Rn. 26.
B. BGH „Stadtwerke Konstanz GmbH“
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Im Ergebnis ist die Heranziehung der Verfahrensbesonderheit des förmlichen Beschlusskammerverfahrens nach §§ 132 ff. TKG 2004 als Grund für den weiten Entscheidungsspielraum der Bundesnetzagentur als Phänomen für die kompensatorische Funktion des Verfahrens im Verwaltungsprozessrecht unter dem Einfluss des Unionsrechts zu sehen.271 Regulierungsentscheidungen im Energiewirtschaftsrecht ergehen ebenfalls im Beschlusskammerverfahren, sodass dies kein telekommunikationsrechtsspezifisches Kriterium darstellt, das der Anwendung auf Verfahren in der Energieregulierung entgegenstehen würde.
VI. Zwischenergebnis Die Besonderheiten der telekommunikationsrechtlichen Regulierung schließen die Übertragung des „Regulierungsermessens“ auf das Energiewirtschaftsrecht nicht von vornherein aus.
B. BGH „Stadtwerke Konstanz GmbH“272 Anfang 2014 sprach der Bundesgerichtshof der Bundesnetzagentur und der Landesregulierungsbehörde erstmals zu Grundfragen der Anreizregulierung (hier des Gasnetzes) ein „Regulierungsermessen“ zu und nahm dabei direkt Bezug auf die zwei im letzten Kapitel dargestellten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zum telekommunikationsrechtlichen Regulierungsermessen.273 Es ging in der Entscheidung um den Effizienzvergleich nach § 12 ARegV.274 Der betroffene Gasverteilnetzbetreiber machte bei der Festsetzung des Effizienzwertes durch die Landesregulierungsbehörde materielle und formelle Rechtsfehler geltend und scheiterte mit diesem Vortrag. In dieser Entscheidung wurde, wie auch durch das Bundesverwaltungsgericht, keine abschließende Entscheidung über die Zuordnung des Entscheidungsspielraums „Regulierungsermessen“ auf die Tatbestands- oder die Rechtsfolgenseite vorgenommen, aber die interessante Feststellung getroffen, dass deren gerichtliche Kontrollmaßstäbe sich ohnehin eher verbal und weniger in der Sache unterscheiden würden.275
271
2017). 272 273 274 275
Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorbemerkung zu § 113 Rn. 39 (Stand Juni Beschl. v. 21. 1. 2014, EnWZ 2014, 378. BVerwGE 131, 41 und BVerwG NVwZ 2008, 1359. Siehe auch Grüneberg, NVwZ 2015, 394 (394). BGH NVwZ 2014, 378 Rn. 26 unter Verweis auf BVerwG NVwZ 2012, 1047 Rn. 38.
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
I. Regulatorischer Hintergrund der Entscheidung An dieser Stelle erfolgt eine kurze Darstellung der Regulierungssituation, da diese für den weiteren Verlauf dieses Abschnitts immer wieder von Bedeutung sein wird. Mit Inkrafttreten der ARegV am 1. 1. 2009 wurde das System der ex-ante-Regulierung von Netznutzungsentgelten durch den Verordnungsgeber276 umgestellt, sodass nun keine Genehmigungspflicht für Netzentgelte mehr bestand, sondern die Netzbetreiber die festgelegten Erlösobergrenzen in zulässige Netzentgelte nach den Netzentgeltverordnungen (StromNEV277 und GasNEV278) umzuwandeln hatten.279 Das Verfahren richtet sich an Verteilnetzbetreiber; Übertragungsnetzbetreiber unterliegen gesonderten Regelungen nach § 22 ARegV. Zu Beginn einer Regulierungsperiode wird die Ist-Kostenlage280 vom Verteilnetzbetreiber ermittelt und von der Regulierungsbehörde gem. § 6 Abs. 1 ARegV geprüft.281 Auf dieser Grundlage ermittelt die Bundesnetzagentur eine relative Kosteneffizienz aller „Benchmarker“, also Vergleichsunternehmen, welche der Berechnung dann zugrunde gelegt wird. Hierdurch entstehen für Netzbetreiber positive Anreize zur Kosteneinsparung, da Einnahmen, soweit sie unter dem ermittelten Gesamtniveau liegen, als Gewinn bei ihm verbleiben können.282 Gleichzeitig setzt diese Price-Cap-Regulierung Anreize zur Investition in den Netzausbau, da der Netzbetreiber mit einer Erhöhung der Transportleistung und mit zunehmender Anschlusszahl seinen Gewinn maximieren kann.283 Bei der Ermittlung der Obergrenzen für die Netzentgelte sind gem. § 21a Abs. 2 Satz 1 EnWG zusätzlich Effizienzvorgaben zu beachten, welche in der Regulierungsformel berücksichtigt werden: auf Dauer unbeeinflussbare Kosten, vorübergehend nicht beeinflussbare Kosten, ein Inneffizienz-Abbau-Faktor, der generelle sektorale Produktivitätsfaktor, ein Faktor zur Inflationsbereinigung sowie Qualitäts-, Investitions- und Erweiterungsfaktoren,284 die andere Kosten bei der 276 Die Entscheidung über die Einführung einer Anreizregulierung (im Gegensatz zur rein kostenorientierten Netzentgeltbildung) lag gem. § 21a Abs. 6 S. 1 Nr. 1 EnWG beim Verordnungsgeber, vgl. Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, ARegV, Einführung Rn. 2 f. (Stand Dezember 2018). 277 Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen, BGBl. I 2005, S. 2225. 278 Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Gasversorgungsnetzen, BGBl. I 2005, S. 2197. 279 Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 21 StromNEV Rn. 11 (Stand Februar 2008). 280 Die Ist-Kosten allein als Grundlage für die Berechnung der zulässigen Preise heranzuziehen, ist nur „bedingt tauglich“, da die Unternehmen zur Erzielung einer höheren Gewinnmarge ihre Ist-Kosten schlicht erhöhen könnten: Säcker, N&R 2009, 78 (80). 281 Wobei bestimmte ineffiziente Kosten unberücksichtigt bleiben können, Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, ARegV, Einf. Rn. 14 (Stand September 2015). 282 Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, ARegV, Einf. Rn. 15 (Stand September 2015). 283 Säcker, N&R 2009, 78 (81). 284 Säcker, N&R 2009, 78 (82).
B. BGH „Stadtwerke Konstanz GmbH“
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Berechnung berücksichtigen oder ausschließen können.285 Weitere Vorgaben dürfen durch Rechtsverordnungen nach § 21a Abs. 6 EnWG implementiert werden und wurden durch die §§ 12 – 14 ARegV und durch Anlage 3 zu § 12 ARegV umgesetzt, wo die anzuwendenden Methoden für den Effizienzvergleich, wie die Dateneinhüllungsanalyse und die Effizienzgrenzanalyse konkretisiert werden.286 Die Effizienzvorgaben ergeben sich aus § 21a Abs. 5 EnWG und werden durch Bestimmung unternehmensindividueller oder gruppenspezifischer Effizienzziele auf Grundlage eines Effizienzvergleichs unter Berücksichtigung insbesondere der bestehenden Effizienz des jeweiligen Netzbetriebs, objektiver struktureller Unterschiede, der inflationsbereinigten gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung, der Versorgungsqualität und auf diese bezogener Qualitätsvorgaben bestimmt (§ 21a Abs. 5 Satz 1 EnWG).
II. Sachverhalt Die betroffene Verteilnetzbetreiberin wehrte sich in dem Verfahren gegen eine Festlegung der Erlösobergrenzen für die erste Regulierungsperiode von 2009 – 2012 der Landesregulierungsbehörde Baden-Württemberg.287 Der von der Behörde zugrunde gelegte Effizienzwert wurde anhand des Effizienzvergleichs der Bundesnetzagentur ermittelt. Die Betroffene begehrte mit ihrer Beschwerde die Festlegung eines höheren Effizienzwerts, was das OLG Stuttgart als zuständiges Beschwerdegericht zurückwies. Die Betroffene rügte verschiedene formelle sowie materielle Rechtsfehler, von denen hier nur auf diejenigen eingegangen werden soll, die in einem Zusammenhang mit dem Regulierungsermessen stehen; auch die vielen technischen Details der Entscheidung sollen im Sinne der Anschaulichkeit so weit wie möglich ausklammert bleiben.
III. Entscheidungsgründe Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs verbleiben der Regulierungsbehörde trotz der oben dargestellten Vorgaben in der ARegV bei der Ausgestaltung des Effizienzvergleichs erhebliche Spielräume, da nicht alle Details der Methode vorgegeben seien.288 Gemäß § 13 Abs. 4 ARegV sind die aufgezählten Parameter nicht abschließend, die Regulierungsbehörde kann also weitere Parameter heranziehen, was sich auch als die ausdrückliche Intention des Gesetzgebers darstellt: 285
BGH Beschluss v. 22. 7. 2014 – EnVR 59/12, RdE 2014, 495; zu den einzelnen Stufen des Verfahrens, in welchem die Netzentgelte gebildet werden: Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Einf. Rn. 24 – 33 (Stand September 2015). 286 Grüneberg, NVwZ 2015, 394 (395). 287 Für den folgenden Absatz: BGH RdE 2014, 276 Rn. 1 – 8. 288 BGH RdE 2014, 276 Rn. 21.
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
„Da die Regulierungsbehörde das Anreizregulierungsmodell entwickeln soll, sind sie [die Absätze 2 bis 5 des § 21a EnWG, Anm. der Verf.] methodenoffen.“289
Laut § 29 Abs. 1 EnWG soll die Regulierungsbehörde mit den in § 21a EnWG genannten Rechtsverordnungen die Bedingungen und Methoden für den Netzzugang durch Festlegung treffen.290 Der Regulierungsbehörde steht bei der Auswahl der Parameter und Methoden deshalb nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ein Spielraum zu, der „in einzelnen Aspekten einem Beurteilungsspielraum, in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt“.291 Der Effizienzvergleich erfordere eine komplexe Modellierung der maßgeblichen Verhältnisse bei den einzelnen Netzen und Netzbetreibern, die vom Gesetzgeber weder vorgegeben noch vorgebbar sei, woraus sich auch Konsequenzen für die gerichtliche Kontrolldichte ergeben müssten. Die Kontrolldichte sei unabhängig von der Bezeichnung als Beurteilungsspielraum oder Ermessen, da die Unterschiede für die Kontrollmaßstäbe ohnehin eher verbal und weniger in der Sache bestünden.292 Den Maßstab für die Kontrolle der Ausübung dieses Beurteilungsspielraums lehnt das Gericht ausdrücklich an den Kontrollmaßstab des Beurteilungsspielraums aus der Entscheidung BVerwGE 131, 41 an: Hat die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt, ist sie von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen und hat sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt? Sodann schließt das Gericht mit den Kontrollmaßstäben für die Ausübung des Regulierungsermessens an, welches eine Abwägung zwischen unterschiedlichen gesetzlichen Zielvorgaben sei. Diese Parallele zum Regulierungsermessen zieht der Bundesgerichtshof, weil „auch die Beurteilung der Effizienzwerte eine besondere Nähe zum Regulierungsermessen“ aufweise. Denn auch hier sei eine komplexe Bewertung erforderlich, die sowohl Elemente des Sachverhalts, als auch der Rechtsfolgen umfasse. Aus diesen Gründen habe sowohl die Bundesnetzagentur als auch die Landesregulierungsbehörde im ihr zustehenden Rahmen gehandelt und unter Heranziehung nicht zu beanstandender Kostenfunktionen, Werte und Auswahlentscheidungen den Effizienzvergleich modelliert.293 Es sei es nicht Aufgabe der gerichtlichen Überprüfung, durch die von der Betroffenen begehrte Heranziehung eines Sachverständigen eine möglicherweise alternative Modellierung zu erreichen, als sie die Behörde vorgenommen hat.294 Fehlerhaft sei die Auswahlentscheidung nur, wenn die Behörde die in Betracht 289
BT-Drucks. 15/5268, S. 120. Durch Festlegung oder Genehmigung, vgl. hierzu Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 32 ARegV Rn. 1 ff. (Stand September 2018). 291 Zum nachfolgenden Abschnitt BGH EnWZ 2014, 378 Rn. 10 – 28. 292 BGH NVwZ-RR 2014, 473 Rn. 26, mit Verweis auf BVerwG NVwZ 2012, 1047 Rn. 38. 293 BGH EnWZ 2014, 378 Rn. 30 – 41. 294 BGH EnWZ 2014, 378 Rn. 40 f. 290
C. BGH „Stromnetz Berlin GmbH“
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kommenden Parameter überhaupt nicht in die Erwägung mit einbezogen hat und ihre Auswahl an Kriterien orientiert hat, die mit den Vorgaben des Gesetzes und der Anreizregulierungsverordnung nicht in Einklang stehen.295 Auch ergebe sich keine Ermessensreduktion auf Null durch die Vorgaben in § 13 Abs. 3 Satz 7 bis 9 ARegV: Zwar wird hierin vorgegeben, dass die Auswahl der Parameter gewissen Anforderungen zu genügen hat, etwa wissenschaftlichen Standards gerecht werden muss. Hieraus folge jedoch nicht, dass es nur eine einzige Kombination von Parametern gibt, die in diesem Sinne rechtmäßig wäre.296
IV. Eigene Würdigung der Entscheidung Der Beurteilungsspielraum der Regulierungsbehörden wird vom Bundesgerichtshof sowohl systematisch, als auch anhand der Gesetzesbegründung hergeleitet. Fraglich scheint hier aber umso mehr, ob und wenn ja inwieweit die Bezeichnung als Regulierungsermessen in diesem Bereich einen Mehrwert bietet oder eine neue dogmatische Figur beschreibt. Zunächst soll jedoch die sich – sowohl zeitlich als auch inhaltlich – quasi unmittelbar anschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs betreffend einen Stromnetzbetreiber dargestellt werden.
C. BGH „Stromnetz Berlin GmbH“297 Der Beschluss des Bundesgerichtshofs in Sachen „Stromnetz Berlin GmbH“ hatte gegenüber der Entscheidung „Stadtwerke Konstanz“ affirmativen Charakter.
I. Hintergrund und Sachverhalt Die betroffene Verteilnetzbetreiberin wehrte sich gegen eine Festlegung der Bundesnetzagentur vom 7. 6. 2011,298 in welcher der Beginn, die nähere Ausgestaltung und das Verfahren der Bestimmung des Qualitätselements hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit für Elektrizitätsverteilernetze nach § 19 und § 20 ARegV geregelt und ab dem 1. 1. 2012 für die Netzebenen Nieder- und Mittelspannung im Bereich Strom eingeführt wurde.299 Auch hier ging es im Ergebnis um die Festsetzung von Erlösobergrenzen durch Bestimmung des Qualitätselements (und die 295 296 297 298 299
2018).
Grüneberg, NVwZ 2015, 394 (395). BGH EnWZ 2014, 378 Rn. 45. RdE 2014, 495. BK8 – 11/002. Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 19 ARegV Rn. 2a (Stand September
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
diesbezügliche Datenerhebung) für die Netzbetreiberin, die durch Festlegung der Bundesnetzagentur vom 21. 2. 2012300 erfolgte.
II. Entscheidungsgründe Der Senat bezieht sich ausdrücklich auf die Entscheidungsgründe im „Stadtwerke-Konstanz“-Beschluss und bestätigt den Beschluss der Vorinstanz, des OLG Düsseldorf,301 wo der Bundesnetzagentur ein weitreichender „Entscheidungsspielraum“ zugestanden wurde, der in einzelnen Aspekten einem Beurteilungsspielraum, in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt.302 Bei der Ermittlung des Qualitätselements als Bestandteil der Regulierungsformel in Anlage 1 zu § 7 ARegV kann die Regulierungsbehörde Abschläge vornehmen, wenn Netzbetreiber hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit oder der Netzleistungsfähigkeit von bundesweit ermittelten Kennzahlenvorgaben abweichen. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 ARegV sind zulässige Kennzahlen für die Bewertung der Netzzuverlässigkeit insbesondere die Dauer und Häufigkeit der Unterbrechung der Energieversorgung, die Menge der nicht gelieferten Energie und die Höhe der nicht gedeckten Last. Hierbei sind gebietsstrukturelle Besonderheiten etwa durch Gruppenbildung zu berücksichtigen. Außerdem ist eine Gewichtung und Kombination dieser Kennzahlen möglich, § 20 Abs. 1 Satz 2 ARegV. Zur Gewichtung dieser Kennzahlen sowie zur Ermittlung der Abschläge bei Abweichungen sind gem. § 20 Abs. 3 ARegV analytische Methoden oder Kostenmodelle, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen, zu verwenden. 1. Die Herleitung eines Beurteilungsspielraums in Bezug auf die Bestimmung des Qualitätselements nach §§ 19, 20 ARegV Die Spielräume, die der Bundesgerichtshof der Bundesnetzagentur in der Entscheidung zuerkennt, stützt er durch Auslegung auf den Willen des Gesetzgebers: Dieser habe der Regulierungsbehörde die Entwicklung des Anreizregulierungsmodells übertragen. Auch sei es überhaupt nicht möglich, die komplexe Modellierung der maßgeblichen Verhältnisse in allen Einzelheiten rechtlich vorzugeben. Die Zielrichtung der Qualitätsvorgaben entspreche dem in § 1 Abs. 2 EnWG festgelegten Ziel der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen. Der Verordnungsgeber habe sich bewusst gegen die Integration der Qualitätsregelung in den Effizienzvergleich nach den §§ 12 ff. ARegV entschieden. Bezüglich der zu berücksichtigenden Kennzahlen, der 300 301 302
24.
BK8 – 11/1834 – 81. OLG Düsseldorf RdE 2012, 437. Für den nachfolgenden Abschnitt bis einschließlich II. 1.: BGH RdE 2014, 495 Rn. 13 –
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Ermittlung der Kennzahlenwerte, der Kennzahlenvorgaben sowie der anzuwendenden Methoden gebe sowohl das EnWG als auch die ARegV lediglich eine Weichenstellung, welche verbleibende Spielräume der Behörde nicht ausschließe. Die Aufzählung der Kennzahlen für die Bewertung der Netzzuverlässigkeit in § 20 Abs. 1 Satz 1 ARegV ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht abschließend, die Regulierungsbehörde kann demnach also weitere Parameter berücksichtigen. Auch die Gewichtung der einzelnen Kennzahlen sei nicht im Detail vorgegeben sondern vielmehr ausfüllungsbedürftig. Der von der Betroffenen beanstandete Beginn der Anwendung des Qualitätselements sei ebenfalls vom der Bundesnetzagentur eingeräumten Entscheidungsspielraum umfasst. Der Entscheidungsspielraum der Regulierungsbehörde komme in einzelnen Elementen einem Beurteilungsspielraum, in anderen einem Regulierungsermessen gleich. Der Bundesgerichtshof wiederholt auch in dieser Entscheidung, es sei entscheidungsunerheblich, ob die der Behörde eröffneten Spielräume auf Tatbestandsseite oder auf Rechtsfolgenseite zu verorten seien, da die Kontrollmaßstäbe dieser beiden Kategorien sich eher verbal und weniger in der Sache unterscheiden würden.303 2. Gerichtlicher Kontrollmaßstab Der Bundesgerichtshof stellt die in der vorangegangenen Entscheidung entwickelten Kontrollmaßstäbe dar und prüft anschließend vor allem, ob die Bundesnetzagentur bei Erlass der angefochtenen Festlegung die gesetzlichen Vorgaben des § 21a Abs. 5 EnWG und der §§ 19, 20 ARegV beachtet hat. Konkret wendet das Gericht einen doppelten Kontrollmaßstab an, indem es sowohl die korrekte Ausübung des Beurteilungsspielraums als auch des Regulierungsermessens prüft. Dieser Kontrollmaßstab wird auch in den folgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bei Einräumung eines behördlichen Letztentscheidungsrechts in der Form zugrunde gelegt. Die Auswahl der Daten zur Bestimmung des Qualitätselements sei hierbei vom Spielraum der Bundesnetzagentur umfasst, die Belastbarkeit dieser Daten selbst sei allerdings gegebenenfalls mithilfe von Sachverständigengutachten zu überprüfen.304 Letzteres entspricht hiernach der Tatsachenebene, die Datenauswahl befinde sich hingegen auf der einem Entscheidungsspielraum zugänglichen Rechtsfragenebene. Ob die Regulierungsbehörde in zutreffender Weise gewichtete Durchschnittswerte gebildet hat, sei dabei auch bei einem eingeräumten Entscheidungsspielraum gerichtlich zu überprüfen. Es sei vor allem zu untersuchen, ob die Regulierungsbehörde ihre Bewertung plausibel und erschöpfend begründet hat, wobei das Begrün303 BGH RdE 2014, 495 Rn. 24, mit Verweis auf BVerwG NVwZ 2014, 589, wo diese Aussage sich in gleicher Form findet. 304 Zum folgenden Abschnitt bis einschließlich III. BGH RdE 2014, 495 Rn. 26 – 76.
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dungserfordernis bei einem weitreichenden Entscheidungsspielraum der Behörde noch verstärkt sei: „Die gerichtliche Kontrolle eines der Behörde eingeräumten Gestaltungsspielraums ist grundsätzlich auf diejenigen Erwägungen zu erstrecken und zu beschränken, die die Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung dargelegt hat.“305
Die Entscheidung über die Einsicht in Informationen, die von der Bundesnetzagentur erhoben und verwahrt werden, sei nur mit ihrer Zustimmung möglich, welche hier nicht erteilt wurde. Die Entscheidung hierüber ist laut dem Bundesgerichtshof mit Verweis auf den „Stadtwerke-Konstanz“-Beschluss gerichtlich nicht zu beanstanden. Weitergehende Beanstandungen der Betroffenen bezüglich der erhobenen Daten prüft das Gericht nach, indem es beispielsweise auf die auch von der Bundesnetzagentur herangezogenen Gutachten Bezug nimmt. Bei der Bestimmung des Qualitätselements hat die Bundesnetzagentur die sog. Regressionsanalyse als Methode für die Berücksichtigung gebietsstruktureller Unterschiede unter Heranziehung der Lastdichte als Strukturparameter zugrunde gelegt. Der Bundesgerichtshof prüft daraufhin diese Methode am Maßstab des § 21a EnWG und der §§ 19, 20 ARegV und kommt zu dem Ergebnis, dass sie diesen gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Ausklammerung bestimmter Versorgungsunterbrechungen (wie etwa durch einen Zählerwechsel) zur Bestimmung des Qualitätselements sei ebenfalls vom Entscheidungsspielraum der Bundesnetzagentur erfasst.
III. Verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich des Regulierungsermessens Der Bundesgerichtshof äußert keine verfassungsrechtlichen Bedenken; allerdings sieht er das Erfordernis der Herstellung eines Ausgleichs zwischen den betroffenen Grundrechtspositionen.306 1. Praktische Konkordanz Die betroffenen Grundrechtspositionen sind einerseits im Hinblick auf die Offenlegung von Daten nach § 84 Abs. 2 EnWG die Garantie wirksamen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG und die Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Konkret ging es um Daten, die die einzelnen Netzbetreiber über Versorgungsstörungen nach § 52 EnWG an die Bundesnetzagentur melden und die Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen darstellen; an deren Offenlegung hatte die klagende Netzbetreiberin ein Interesse. Dem gegenüber stehen die Grundrechte der Unternehmen, die die Daten bereitgestellt haben, namentlich der Schutz von Ge305 306
BGH RdE 2014, 495 Rn. 29. BGH RdE 2014, 495 Rn. 43.
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schäfts- und Betriebsgeheimnissen nach Art. 12 und Art. 14 GG. Zwischen diesen Grundrechtspositionen ist ein Ausgleich zu erzielen, der beiden Grundrechten zu größtmöglicher Wirkung verhilft (praktische Konkordanz).307 Die Abwägung zur Herstellung dieses Ausgleichs durch den Bundesgerichtshof fällt sehr kurz aus. Im Ergebnis überzeugend legt das Gericht aber dar, dass die Daten, um deren Offenlegung es ging, lediglich zur Plausibilisierung herangezogen wurden und nicht Grundlage der Referenzkurve waren, das berechtigte Rechtsschutzinteresse im Ergebnis also hinter dem Geheimhaltungsinteresse zurückstehen muss.308 2. Plausibilisierung der Daten und rechtsbeschwerdeinstanzliche Kontrolldichte Interessant und für den weiteren Verlauf bedeutsam sind die Feststellungen des Bundesgerichtshofs zu der durch die Bundesnetzagentur erkennbar nicht angestellten Plausibilisierung309 der von den Netzbetreibern zur Verfügung gestellten Daten. Dies beanstandete die Rechtsbeschwerde: Das Beschwerdegericht habe unberücksichtigt gelassen, dass die Festlegung der Bundesnetzagentur auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage beruht, die sie wegen der offenbar fehlenden Plausibilisierung nicht habe erkennen und korrigieren können. a) Prüfungsumfang des Bundesgerichtshofs bzgl. der Plausibilisierung Das von der Bundesnetzagentur zugrunde gelegte Gutachten ergibt, dass eine Plausibilisierung der nach § 52 EnWG gemeldeten Daten nicht stattgefunden hat und die Bundesnetzagentur lediglich „davon ausgeht“, dass die Daten belastbar seien, weil Netzbetreiber erkennbar kein Interesse daran hätten, im Rahmen der gesetzlichen Meldepflichten fehlerhafte Meldungen an die Bundesnetzagentur vorzunehmen.310 Der Bundesgerichtshof befasst sich ausführlich mit dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde und legt dar, warum eine Plausibilisierung der Daten nach seiner Auffassung nicht geboten war.311 b) Belastbarkeit von Datengrundlagen als Tatsachenfrage Die Belastbarkeit der Datengrundlage sieht der Bundesgerichtshof richtigerweise als eine Tatsachenfrage an und unterstellt sie auch bei einem eingeräumten Letzt307 BVerfGE 115, 205 (234); ob die Regelung des § 84 Abs. 2 EnWG bereits praktische Konkordanz herzustellen vermag, wie der BGH meint (RdE 2014, 495 Rn. 43) erscheint fraglich. Jedenfalls ist in der Norm ein Abwägungsmaßstab zur Herstellung praktischer Konkordanz im Einzelfall angelegt. 308 BGH RdE 2014, 495 Rn. 44. 309 BGH RdE 2014, 495 Rn. 47. 310 BGH RdE 2014, 495 Rn. 47. 311 BGH RdE 2014, 495 Rn. 46 – 53.
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entscheidungsrecht der vollen gerichtlichen Überprüfung und einer möglichen Sachverständigenklärung.312 Daher ist die Tiefe, mit der der Bundesgerichtshof dieser Frage nachgeht, erstaunlich: ist er doch an die Tatsachenfeststellungen des Beschwerdegerichts gebunden, § 88 Abs. 4 EnWG i. V. m. §§ 577 Abs. 2 Satz 4, 559 ZPO. Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich entschieden, dass die Berufungsinstanz jedenfalls eine eingeschränkte „zweite Tatsacheninstanz“ ist, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen.313 Der Bundesgerichtshof ist aber keine Berufungsinstanz. Zudem geht er auch davon aus, dass die Gesetzesauslegung und die Subsumtion Rechtsfragen und somit revisibel sind, sachverhaltsbezogene Fragen aber Tatfragen sind; dennoch sieht der Bundesgerichtshof eine wechselseitige Beeinflussung und trennt diese beiden Bereiche im Sinne einer gerechten Einzelfallentscheidung nicht scharf voneinander ab,314 indem er den Grundsatz der vollständigen Würdigung aller maßgeblichen Umstände als von der Rechtsbeschwerde zu überprüfende Frage ansieht.315 c) Abgrenzung von Tatsachen- und Rechtsfragen als zentrales Problem in der Überprüfung von Energieregulierungsentscheidungen Fragen der Tatsachen- und der Rechtsebene sind in der Regulierung des Qualitätselements nur schwer voneinander abzugrenzen. Verdeutlicht wird dies nicht nur durch die den Behörden eingeräumten umfassenden Entscheidungsspielräume, sondern auch durch deren gerichtliche Kontrolle, die ihre eigens entwickelten Maßstäbe mitunter selbst nicht einzuhalten vermag.316 Grundsätzlich gilt für den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung von Behördenentscheidungen in der Rechtsbeschwerdeinstanz eine Beschränkung auf die Überprüfung von Rechtsverletzungen.317 Tatsächliche Feststellungen sind hierbei einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht weitgehend entzogen.318 Jedoch wird auch in der Literatur angemerkt, dass die Trennungsproblematik nicht überbewertet werden sollte.319 Selbst bei einem Ausschluss von Tatfragen aus der Kompetenz der Rechtsbeschwerdeinstanz besteht die Gefahr, dass revisionsrechtlich nicht überprüfbare Tatsachenfragen in der Revisionsinstanz als Rechtsfragen eingestuft und einem vermeintlichen behördlichen Letztentscheidungsrecht unterstellt werden. Diese Entwicklung ist im Bereich der Energieregulierung wegen der nur schwer zu tätigenden Abgrenzung der beiden 312 313 314 315 316 317 318 319
2013).
BGH RdE 2014, 495 Rn. 26, 27. BGH NJW-RR 2019, 1343 Rn. 11. Krüger, in: MüKo ZPO, 2016, § 546 Rn. 3. BGHZ 137, 69 (72). Siehe hierzu vor allem noch Kap. 8. Schex, in: Kment, EnWG, 2019, § 88 Rn. 4 f. Johanns/Roesen, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. I, § 88 Rn. 18. Eichberger/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 137 Rn. 117 (Stand April
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Ebenen zu beobachten und bedarf einer Korrektur. Das Regulierungsermessen trägt durch die Aufhebung der Trennung von Tatsachen- und Rechtsfragen zu dieser Fehlentwicklung bei, worauf im letzten Kapitel genauer eingegangen wird.
IV. Neuigkeitsgehalt des Regulierungsermessens unter dem EnWG Die zum Telekommunikationsrecht entwickelten Grundsätze für die Ausübung gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielräume der Bundesnetzagentur werden in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2014 im Ergebnis übernommen. Der Bundesgerichtshof übernimmt auch die entwickelten Maßstäbe für die Abwägungskontrolle und für die Kontrolle des Regulierungsermessens bei der Bestimmung der Parameter des Qualitätselements und der Durchführung des Effizienzvergleichs. 1. „Eingeschränkte Kontrolle“ auf Abwägungsfehler Die Kontrolle, die der Bundesgerichtshof im Beschluss „Stadtwerke Konstanz GmbH“ vornimmt, ist umfangreich. Das der Bundesnetzagentur eingeräumte Regulierungsermessen führt auf den ersten Blick nicht zu einer reduzierten Kontrolldichte.320 Zwar spricht der Bundesgerichtshof der Bundesnetzagentur in einzelnen Fragen der Methoden- und Parameterauswahl einen Entscheidungsspielraum zu, der nach den zuvor dargestellten Kontrollmaßstäben gerichtlich nur auf eine nachvollziehende Kontrolle beschränkt ist, prüft diese von der Rechtsbeschwerde gerügten Feststellungen der Regulierungsbehörde dann aber trotzdem umfassend. Eine Einbuße gegenüber der „vollen richterlichen Kontrolle“ ist kaum erkennbar. Das Minus gegenüber der Vollkontrolle könnte hier nur die fehlende Zweckmäßigkeitsüberprüfung sein.321 Der Bundesgerichtshof prüft in der Entscheidung „Stadtwerke Konstanz GmbH“ jedoch die Methodenwahl der Bundesnetzagentur nach § 12 und Anlage 3 ARegV sowohl auf Rechtsfehler als auch auf Vertretbarkeit der Methodenwahl im Einzelfall, also umfassend.322 Gerade die Methodenwahl ist derjenige Teil der behördlichen Rechtsanwendung, der nur daraufhin zu überprüfen sein soll, ob der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm im Rahmen des zugrunde gelegten Modells zukommt oder ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände dem von der Regulierungsbehörde gewählten Vorgehen so deutlich überlegen ist, dass die Auswahl einer anderen Methode als nicht mehr mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann. Zwar gibt der der Behörde eingeräumte 320
So auch Gärditz, DVBl. 2016, 399 (399). BGH RdE 2007, 349 (354); Hanebeck, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 83 Rn. 20. 322 BGH RdE 2014, 276 Rn. 36. 321
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
Spielraum den Maßstab der gerichtlichen Kontrolle vor, definiert und begrenzt ihn also gleichermaßen; es ist aber unklar, inwieweit die Kontrolle bei der Verneinung eines Regulierungsermessens vertieft oder erweitert gegenüber der tatsächlich erfolgten gerichtlichen Kontrolle gewesen sein könnte. Der Bundesgerichtshof lehnt zum Beispiel die zwingende Gebotenheit einer bestimmten (und von der Rechtsbeschwerde begehrten) Logarithmierung von Werten unter anderem deshalb ab, weil die Rechtsbeschwerde diese Gebotenheit nicht durch weitere konkrete Anhaltspunkte gestützt hat.323 Hieraus folgt, dass bei einer entsprechenden Darlegung durch die Rechtsbeschwerde eine Einschränkung des behördlichen Spielraums in Bezug auf ihre Methodenwahl jedenfalls denkbar gewesen wäre, sofern das Gericht durch die Beibringung weiterer Dokumente oder Nachweise davon überzeugt gewesen wäre, dass diese Methode gegenüber der verwendeten „geboten“ gewesen wäre. So entspricht der Prüfungsmaßstab des Bundesgerichtshofs inhaltlich kaum einer lediglich nachvollziehenden Abwägungskontrolle des Regulierungsermessens, wie das Bundesverwaltungsgericht sie zum TKG entwickelt hat, sondern eher einer klassischen, gerichtlichen „Vollkontrolle“ der behördlichen Entscheidung. 2. Mehrwert des Regulierungsermessens Insgesamt ist die Übertragung des Regulierungsermessens in den beiden dargestellten Entscheidungen auf die Normen der ARegV von nur zweifelhaftem Nutzen. Zwar ist die Ausgangslage auf dem Markt für Telekommunikation und dem für netzgebundene Energieinfrastruktur zumindest in Grundzügen vergleichbar, wie oben herausgearbeitet wurde. Insoweit ähneln sich auch die Aufgaben der Verwaltung, die auf diesen Märkten Wettbewerbspreise herstellen soll. Eine Adaption von Grundsätzen der einen auf die andere Materie kann im Einzelfall sowohl zulässig als auch gewinnbringend sein, wenn diese Grundsätze sich bewährt haben. Und hier liegt – vielmehr als in der mangelnden Übertragbarkeit als solcher – der Grund für eine eher kritische Bewertung dieser Übertragung. Das Regulierungsermessen ist, im Jahr 2014 wie heute, reichlich unkonturiert.324 Dadurch tritt an die Stelle der benötigten Erneuerung der Entscheidungs- und Kontrollnormen im Energiewirtschaftsrecht ein vermeintliches „Konzept“, welches bei genauerem Hinsehen keines ist. Es hat in den beiden initialen Beschlüssen des Bundesgerichtshofs deshalb auch nicht zu einer merklichen Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle geführt.
323 324
BGH RdE 2014, 276 Rn. 39. Ähnl. Gärditz, DVBl. 2016, 399 (399).
D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht
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D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht Der grundlegenden Kritik an der Ausweitung behördlicher Letztentscheidungsrechte zum Trotz hat sich das Regulierungsermessen im Energierecht etabliert.325 Ein Regulierungsermessen ist mittlerweile für viele untergesetzliche Normen anerkannt worden.326 So werden im Bereich der StromNZV/GasNZV und der StromNEV/ GasNEV verstärkt Beurteilungsspielräume der Regulierungsbehörde anerkannt, die zwischenzeitlich auch als Ausgestaltungsermessen oder Auswahlermessen327 bezeichnet wurden. Zunächst soll nachfolgend die Rezeption des energiewirtschaftlichen Regulierungsermessens in der Literatur dargestellt werden (I.), bevor die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Regulierungsermessen im Energierecht der Jahre 2014 – 2021328 insgesamt untersucht wird (II.) und mit einem eigenen Fazit abgeschlossen wird (III.).
I. Die Rezeption der Übertragung des Regulierungsermessens vom TKG auf das EnWG in der Literatur Die Rezeption der beiden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs war in der Literatur insgesamt eher zurückhaltend.329 Die Frage nach einem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren behördlichen Entscheidungsspielraum im Energieregulierungsrecht wird so auch heute noch ganz unterschiedlich beantwortet. 1. Grundsatz: Zulässigkeit von Ermessensspielräumen Die grundsätzliche Zulässigkeit der Einräumung von Ermessensspielräumen wird hier vorausgesetzt, da sie bereits durch § 65 Abs. 1 EnWG und andere Ermächtigungen an die Regulierungsbehörde zum Ausdruck kommt (etwa § 33 Abs. 1 EnWG).330 Teilweise decken sich die ablehnenden Stimmen auch mit den oben als Vorfrage geprüften Argumenten gegen eine Übertragung des Regulierungsermessens auf das Energierecht, sodass auch auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.331 Sähe man das „Regulierungsermessen“ gemäß seiner Bezeichnung als 325 Mengering, Die Entgeltregulierung im Telekommunikations- und Energierecht, 2017, S. 360. 326 Etwa im Bereich der ARegV, vgl. Missling, IR 2016, 251 ff. 327 OLG Düsseldorf RdE 2020, 131 Rn. 51, 63. 328 Es konnte bis Mai 2021 veröffentllichte Rechtsprechung berücksichtigt werden. 329 Ausdrücklich zum Regulierungsermessen im Energiewirtschaftsrecht nur: Gärditz, DVBl. 2016, 399; Grüneberg, RdE 2016, 49; Garbers, RdE 2015, 221 (226 f.); bereits vor den ersten Entscheidungen hierzu bezeichnete solche Spielräume als „undenkbar“ Ludwigs, RdE 2013, 297 (306). 330 Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 83 EnWG Rn. 15 (Stand März 2017). 331 Kap. 6 A.
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
rechtsfolgenseitigen Letztentscheidungsspielraum, dürfte es hieran keine berechtigte und grundsätzliche Kritik geben. Allerdings wurde bereits dargelegt, dass die genaue Ausgestaltung des Regulierungsermessens eher einen erweiterten Entscheidungsspielraum der Behörde auf der Tatsachenebene beschreibt, der sich nicht auf die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe beschränkt. Somit setzt die Kritik auch nicht an der Einräumung des Regulierungsermessens als Ermessensspielraum an. 2. Keine schematische Übertragung des Regulierungsermessens Es wird kontinuierlich vor einer „schematischen“ Übertragung dieser Rechtsfigur auf das Energierecht gewarnt.332 Dieser Hinweis ist so richtig wie redundant – freiheitseinschränkendes Verwaltungshandeln bedarf einer den rechtsstaatlichen Grundsätzen genügenden Legitimation, die sich aus dem Gesetz ergibt. Dies wurde ausführlich behandelt und soll hier nicht wiederholt werden.333 3. Ablehnung wegen des Charakters der Energieregulierung als normierende Regulierung Mit Verweis auf den normierenden Charakter der Regulierung werden im Energierecht gelegentlich Beurteilungsspielräume pauschal abgelehnt oder zumindest kritisch betrachtet.334 Größter – und valider – Kritikpunkt bleibt dabei die mangelnde dogmatische Ausformung des Regulierungsermessens in Kombination mit einer wenig überzeugenden tatsächlichen Einschränkung des Kontrollmaßstabs.335 Die Ablehnung behördlicher Letztentscheidungsrechte unter Verweis auf die „normierende Regulierung“ im Energiesektor ist schon wegen der möglichen Unionsrechtswidrigkeit dieser Regulierungsform nicht überzeugend. Die stärkere normative Vorstrukturierung im Vergleich zur Regulierung nach dem TKG führt nach richtiger Auffassung nicht zu einem Ausschluss behördlicher Entscheidungsspielräume. Wie aufgezeigt verbleiben der Bundesnetzagentur vielfältige Spielräume, nicht zuletzt weil ihr die Entwicklung des Anreizregulierungsmodells übertragen ist.
332
Proelß, AöR 2011, 402 (412). Siehe vor allem Mengering, Die Entgeltregulierung im Telekommunikations- und Energierecht, 2017, S. 148 ff. 334 Schneider, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 22 Rn. 20, m. w. N.; ohne direkt diese Schlussfolgerung zu ziehen Schmidt-Preuß, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. I, § 29 Rn. 8. 335 Hier vor allem Gärditz, DVBl. 2016, 399 (402): Er stellt zutreffend fest, das Regulierungsermessen sei eher als „Eingeständnis der Leistungsgrenzen gerichtlicher Kontrolle“ zu sehen statt als „selbständige Regulierungsphilosophie“; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 64. 333
D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht
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4. Ablehnung wegen Parallelen zum Kartellrecht und dortiger Vollkontrolle Zudem wird unter Verweis auf die Kartellrechtspraxis vorgebracht, dass allein ökonomische Komplexität nicht ausreicht, um verfassungsrechtlich ein Letztentscheidungsrecht zu rechtfertigen.336 Obwohl dieser Hinweis sicher richtig ist, überzeugt er als Argument aus zwei Gründen nicht: Erstens ist nicht ökonomische Komplexität selbst die verfassungsrechtliche Legitimation behördlicher Entscheidungsbefugnisse, sondern die entsprechende Einräumung solcher Befugnisse in Gesetz und Verordnung. Diese Einräumung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber mag ihrerseits unter anderem in der ökonomischen Komplexität oder anderen zwingenden Umständen begründet sein; dies wäre aber dann eine andere Frage, nämlich die nach der Zulässigkeit der Einräumung von administrativen Letztentscheidungsrechten durch den Gesetzgeber.337 Zweitens ist der Vergleich mit der Kartellrechtspraxis zwar ein oft bemühter,338 dennoch hinkender.339 Die Kartellaufsicht ist nur begrenzt vergleichbar mit der Regulierungstätigkeit der Behörden im Energiewirtschaftsrecht. Eine meist ex-post Wettbewerbsaufsicht über freie Märkte beinhaltet eine andere „ökonomische Komplexität“ als eine ex-ante Regulierung natürlicher Monopole zur Erzeugung von Wettbewerbspreisen und Wettbewerbsbedingungen.340 Der Unterschied lässt sich beschreiben als „Grenznormen“ im Kartellrecht versus „Richtnormen“ im Regulierungsrecht oder als Privatautonomie versus Gemeinwohlorientierung.341 Der spezifische Regulierungshintergrund und der Wettbewerbsbezug sind von zentraler Bedeutung für die Beurteilung der Notwendigkeit, Zulässigkeit und Ausgestaltung behördlicher Entscheidungsspielräume.342
336
Gärditz, DVBl. 2016, 399 (403). Zum untergesetzlichen Normsetzungsermessen Schmidt-Preuß, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 217 ff. (Stand Juli 2014). 338 Wie unter anderem die häufige Formulierung des „Sonderkartellrechts“ Energie/Telekommunikation zeigt Körber, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2016, VIII. Rn. 69 ff.; jedenfalls implizit Burgi, RdE 2020, 105 (105 f.). 339 Markteingriffe im Kartellrecht sind „reaktiv-einzelfallgebunden“, solche des Regulierungsrechts sind „proaktiv-gesamtmarktbezogen“ (Schulz, Kartellrecht als „Regulierungsinstrument“, 2018, S. 97, 100) und daher kaum vergleichbar. Schon der Regierungsentwurf zum EnWG zeigte aber, wie verbreitet die Fehlvorstellung ist, das Regulierungsrecht sei lediglich „Sonderkartellrecht“; dort heißt es: „Bewährte Grundsätze der kartellrechtlichen Aufsicht werden bei der Ausgestaltung des Ordnungsrahmens übernommen und im notwendigen Umfang durch zusätzliche Eingriffsrechte der neuen Bundesregulierungsbehörde ergänzt“, BTDrucks. 15/3917, 46; dazu Burgi, DVBl. 2006, 269 (271). 340 Burgi, DVBl. 2006, 269, (271). 341 Proelß, AöR 136 (2011), 402 (417); Säcker, EnWZ 2015, 531 (534). 342 Attendorn, DVBl. 2008, 1408 (1409) plädiert zwar (überzeugend im Bereich des TKG) dafür, die Parallelen auch zum Planungsrecht aufzugeben und stattdessen das Gebot der Zieladäquanz in den Vordergrund zu rücken, „das die BNetzA verpflichtet, ihr bestes Bemühen zur Herstellung von Wettbewerb ins Werk zu setzen“. 337
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
5. Keine Beurteilungsermächtigung in den fraglichen Normen Die mangelnde Begründung und Herleitung einer Beurteilungsermächtigung aus der Ermächtigungsgrundlage wird ebenfalls häufig als ein Grund zur Ablehnung einer solchen Ermächtigung bemüht;343 außerdem spreche schon die Ausgestaltung etwa des § 12 ARegV und die konkretisierende Anlage 3 für eine „Volldetermination“.344 Diese Ansicht übersieht vor allem, dass die Regulierungsbehörde nach dem Willen des Unionsgesetzgebers und des nationalen Gesetzgebers das Anreizregulierungsmodell entwickeln soll.345 Dies ergibt sich bereits aus § 112a Abs. 1 Satz 2 EnWG. Der Vorschlag, zur „rechtsstaatlichen Nachbesserung“ oder „normativen Nachverdichtung“ entweder den Gesetzgeber oder den Verordnungsgeber zu bemühen,346 ist dreierlei: nicht umsetzbar,347 europarechtswidrig348 und erzielte jedenfalls in Gestalt der normativen Nachverdichtung auf Rechtsverordnungsebene keine bessere demokratische Legitimation.349 6. Ablehnung wegen Kritik des Regulierungskonzepts in toto Nicht zuletzt wird das Konzept der Regulierung als solches abgelehnt, als „Expertokratie“ kritisiert und die Regulierung mit Planwirtschaft gleichgesetzt.350 Das sich in dieser Kritik äußernde Wettbewerbsbild wurde bereits als „paläoliberale Schlafmützenkonkurrenz“351 bezeichnet und zeigt ein mangelndes Verständnis von Märkten, die ohne effektive gesetzliche Regulierung eben nicht zu wirksamem Wettbewerb tendieren,352 wie die Erfahrung im Strom- und Gassektor offenbart hat.353 Vorgebracht wird auch, es gehe bei der ganzen Thematik nicht um Methodenoder Erkenntnisprobleme, sondern um die Abgrenzung der Kompetenzbereiche von 343
Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 64. Gärditz, DVBl. 2016, 399 (404). 345 BT-Drucks. 15/5263, S. 120; Broemel, Strategisches Verhalten in der Regulierung, 2010, S. 274 f. 346 Gärditz, NVwZ 2009, 1005 (1009); ders., DVBl. 2016, 399 (405). 347 Das Argument von Gärditz (DVBl. 2016, 399 (405)), die ARegV liefere schon jetzt „hinreichendes Interpretationsmaterial“, man diese also gewissermaßen nur verdichten müsse, überzeugt nicht: wäre die Nachverdichtung der Verordnung eine ebenso geeignete Option, ist fraglich, warum der Verordnungsgeber sie nicht gewählt hat. 348 Die Europäische Kommission bemängelt eine nicht ausreichende Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur und hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, siehe Pressemitteilung vom 18. 7. 2018, IP18/4487. 349 Verordnungen schaffen erst die Möglichkeit zur politischen Einflussnahme auf die Regulierungstätigkeit und konterkarieren damit noch stärker das Erfordernis einer unabhängigen Regulierungsbehörde. 350 Gärditz, DVBl. 2016, 399 (406). 351 Säcker, EnWZ 2015, 531 (532). 352 Anschaulich am Beispiel der ARegV, Lismann, NVwZ 2014, 691. 353 Britz, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, 2010, § 9 Rn. 14 f., 20. 344
D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht
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Verwaltung und Gerichten.354 Dies vermag nur teilweise zu überzeugen; es geht zunächst um die Abgrenzung von Kompetenzbereichen und sodann um die Methodik zu ihrer Ausgestaltung. 7. Zwischenergebnis Insgesamt vermögen die Argumente der Gegner eines erweiterten behördlichen Spielraums im Bereich regulierter Netzwirtschaften – nenne man es Regulierungsermessen oder nicht – nicht zu überzeugen. Allerdings ist dem Vorbringen zuzustimmen, welches das Regulierungsermessen als wenig konturiert betrachtet und hierdurch einen Verlust an Entscheidungsrationalität beklagt, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird.
II. Stimmen der Befürworter eines Regulierungsermessens Befürwortet wird das Regulierungsermessens in seiner wenig greifbaren Gestalt von wenigen und vor allem vorsichtigen Stimmen.355 Sie äußern eher eine grundsätzliche Zustimmung zur Notwendigkeit flexibler Entscheidungsspielräume als eine Würdigung des neuen „Konzepts“.356 Es gibt Stimmen, die „die Erfindung des Regulierungsermessens“ in Bezug auf den Energiesektor richtigerweise als das sehen, was sie ist: eine Erosion der Dichotomie von tatbestandsseitigen und rechtsfolgenseitigen Entscheidungsspielräumen.357
III. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen Die kaum erfolgte inhaltliche und dogmatische Rezeption358 des Regulierungsermessens im Energiewirtschaftsrecht steht seiner Etablierung in der Rechtsprechung gegenüber. Die nachfolgende Rechtsprechungsauswertung soll einen Über354
Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 64. Etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 197b (Stand Juli 2014); Missling, IR 2016, 251 (252); meist wird das Regulierungsermessen schlicht erwähnt und als neue Kategorie administrativer Entscheidungsfindung genannt, so bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 44a; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 79 (Stand Februar 2019); Breßlein, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 12 ARegV Rn. 9. 356 So schon fast avantgardistisch Pielow, DÖV 2006, 1017 (1024); Riese, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 79; Gramlich, IR 2020, 20 (20); Henn, in: Säcker, Energierecht, Bd. III, 2019, § 32 ARegV Rn. 34 ff. 357 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 89 (Stand Februar 2019). 358 So auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 44a. 355
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
blick über die Relevanz des Regulierungsermessens in der höchstrichterlichen Rechtsprechungspraxis verschaffen. Hierfür wurden alle dem Kartellsenat am Bundesgerichtshof nach § 107 EnWG zugewiesenen Streitigkeiten ab dem Jahr 2014 ausgewertet (siehe Anhang), insgesamt 214 Beschlüsse. Es konnte Rechtsprechung bis einschließlich Mai 2021 berücksichtigt werden; Streitwert(änderungs)beschlüsse, Anhörungsrügen nach Art. 103 Abs. 1 GG, reine Kostenbeschlüsse und eingestellte Verfahren wurden in der dann ins Verhältnis zu den einzelnen untersuchten Faktoren gesetzten Gesamtzahl nicht berücksichtigt, sodass 125 Beschlüsse blieben, in denen der Bundesgerichtshof eine Entscheidung in der Sache traf. In der Gesamtzahl der Entscheidungen, in denen der Bundesgerichtshof der Regulierungsbehörde ein tatsachenbezogenes Letztentscheidungsrecht einräumte (26), wurden nicht ausschließlich solche Beschlüsse berücksichtigt, in denen der Bundesgerichtshof den Begriff des „Regulierungsermessens“ ausdrücklich verwendet hat, sondern auch solche, in denen faktisch ein behördliches Letztentscheidungsrecht in Bezug auf Tatsachenfragen bejaht wurde.359 Insgesamt verwendet der Bundesgerichtshof in 19 der 26 Beschlüsse, die ein solches Letztentscheidungsrecht erkennen, ausdrücklich die Bezeichnung „Regulierungsermessen“. 1. Auswertung der BGH-Rechtsprechung zum Regulierungsermessen 2014 – 2021 Alle in der Sache entschiedenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs seit 2014 wurden auf eine Einräumung von tatsachenbezogenen Letztentscheidungsrechten hin überprüft. Von den zwischen 2014 und Mai 2021 veröffentlichten Beschlüssen hat der Bundesgerichtshof in knapp 21 % ein solches Letztentscheidungsrecht der Regulierungsbehörden angenommen.360 Da bei der Problematik um dieses Letztentscheidungsrecht vor allem das Rechtsschutzbedürfnis der Marktteilnehmer in den Blick zu nehmen ist, wurde zudem untersucht, wer die Rechtsbeschwerde eingelegt hat und zu wessen Gunsten der Bundesgerichtshof jeweils entschieden hat. Hierbei wurde nach Rechtsbeschwerdeführern differenziert; der Einfachheit halber wird hier lediglich die Bezeichnung „Bundesnetzagentur“ verwendet, auch wenn vereinzelt Landesregulierungsbehörden beteiligt waren. Die „Erfolgsquote“ beinhaltet diejenigen Beschlüsse, die zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung des OLG Düsseldorf (bei Beschwerden gegen Akte der Bundesnetzagentur, § 75 Abs. 4 Halbsatz 1 und 2 EnWG) oder anderer Oberlandesgerichte (bei Beschwerden gegen Akte der Landesregulierungsbehörden, § 75
359
Beispiele hierfür sind die Entscheidung „Thyssengas GmbH“, EnVR 39/13 und die im letzten Teil dieser Arbeit genauer untersuchte Entscheidung zu den EK-Zinssätzen der dritten Regulierungsperiode Strom und Gas, EnVR 41/18 und EnVR 52/18. 360 Siehe Anhang.
D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht
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Abs. 4 Halbsatz 1 EnWG) führten oder dem Begehr des Rechtsbeschwerdeführers in anderer Weise (jedenfalls teilweise) abgeholfen wurde.361 Die erste Abbildung zeigt die Anzahl der von Marktteilnehmern angestrengten und entschiedenen Rechtsbeschwerden und deren Erfolg im Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschlüsse.
Abb. 1: Gesamtzahl der entschiedenen Rechtsbeschwerdeverfahren, differenziert nach Rechtsbeschwerdeführer und Ausgang des Verfahrens
Die Abbildung zeigt, dass solchen Rechtsbeschwerden, die von der Bundesnetzagentur oder einer Landesregulierungsbehörde geführt wurden, häufiger abgeholfen wird als solchen, die von Verteilnetzbetreibern, Kraftwerksbetreibern, Netznutzern, Übertragungsnetzbetreibern, Energieversorgungsunternehmen oder vergleichbaren Marktteilnehmern geführt wurden. Insgesamt wurden die untersuchten Rechtsbeschwerden in knapp 39 % der Fälle im Sinne des Rechtsbeschwerdeführers entschieden. Der Erfolg von Rechtsbeschwerden der Bundesnetzagentur liegt insgesamt bei knapp 59 %, derjenige der Privatwirtschaft bei knapp 32 %. Betrachtet man lediglich diejenigen Entscheidungen, in denen der Bundesnetzagentur laut Bundesgerichtshof ein Regulierungsermessen i. w. S. zustand, waren Marktteilnehmer in 35 % der eigens angestrengten Verfahren erfolgreich, die Bundesnetzagentur sogar in 100 %, wie die nachfolgende Grafik zeigt.
361
Der Erfolg der Rechtsbeschwerden ist ebenfalls dem Anhang zu entnehmen.
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
Abb. 2: Gesamtzahl der Beschlüsse, in denen Regulierungsermessen i. w. S. eingeräumt wurde, differenziert nach Rechtsbeschwerdeführern und Ausgang des Verfahrens
Betrachtet man die Entwicklung der Anwendung des Regulierungsermessens über den untersuchten Zeitraum hinweg, zeigt sich im Verlauf eine leicht steigende Anwendung des Regulierungsermessens im Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschlüsse, was allerdings wegen des insgesamt noch kurzen Betrachtungsintervalls nur ein Indiz für eine steigende Akzeptanz sein kann.
Abb. 3: Entwicklung der Einräumung des Regulierungsermessens im Vergleich zur Gesamtzahl der Beschlüsse von 2014 bis Mai 2021
2. Zwischenergebnis An dieser Auswertung zeigt sich, dass die Bedeutung des Regulierungsermessens mit etwa 21 % der entschiedenen energiewirtschaftsrechtlichen Fälle vor dem Bundesgerichtshof nicht unerheblich ist und an Bedeutung zunimmt. Die Rechtsprechungsauswertung offenbart zudem, dass die Erweiterung des regulierungsbehördlichen Entscheidungsspielraums zu einer überproportionalen gerichtlichen Abhilfe zugunsten der Regulierungsbehörden führt, also Beschwerden gegen Fest-
D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht
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legungen oder sonstige Behördenentscheidungen vom Beschwerdegericht zurückgewiesen werden, bzw. bei erstinstanzlicher Aufhebung der Entscheidung durch den Bundesgerichtshof wieder hergestellt wurden. Dem Begehr der Bundesnetzagentur wird somit insgesamt deutlich häufiger entsprochen als demjenigen der Marktteilnehmer, was aber auch an dem immensen wirtschaftlichen Interesse liegen kann, das hinter den meisten Verfahren der Netzbetreiber steht. Dieses Interesse hat die Bundesnetzagentur nicht. Auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Bezeichnung als „Regulierungsermessen“ zeigt der Bundesgerichtshof eine Offenheit für die Anerkennung von „Beurteilungsspielräumen“ zu Tatsachenfragen, die nicht nur mit „richtig“ oder „falsch“ beantwortet werden können; hieraus folgt, dass es mehrere richtige Entscheidungen geben kann.362 Dieser Bruch mit der klassischen Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen, deren Anspruch es lange war, „die eine richtige Entscheidung“363 aus dem Gesetz zu ermitteln und nötigenfalls gerichtlich an die Stelle der behördlichen Entscheidung zu setzen,364 ist zentrales Merkmal dieser Rechtsprechung zum Regulierungsermessen im Energierecht. Was diese Erkenntnis bedeutet und woran sich die Richtigkeit der Entscheidung hiernach messen lassen kann, wird weiter unten noch untersucht werden. Alle Beschlüsse, in denen der Behörde ein Regulierungsermessen zugesprochen wurde, beziehen sich im weitesten Sinne auf die Festlegung von Bestandteilen der Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde und die Umsetzung des in § 21 Abs. 2 EnWG vorgegebenen Maßstabs. Der Regulierungsbehörde soll bei der Auswahl der hierfür geeigneten Methoden im Rahmen der gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Vorgaben ein Beurteilungsspielraum zustehen.365 Nachfolgend sollen, basierend auf der durchgeführten Rechtsprechungsauswertung,366 die bisher höchstrichterlich anerkannten Entscheidungsspielräume kategorisiert werden. 3. Spielräume in Bezug auf die Bestimmung des Qualitätselements nach § 21a Abs. 5 Satz 2 EnWG, §§ 19, 20 ARegV Die Anerkennung von administrativen Beurteilungsspielräumen in diesem Bereich erfolgte in der ersten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen („Stromnetz Berlin GmbH“367), insofern kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. 362
Zum Beispiel BGH Beschl. v. 27. 1. 2015, EnWZ 2015, 273 („Thyssengas GmbH“). Auch wenn besser von der „einen richtigen Antwort auf eine konkrete Rechtsfrage“ gesprochen werden sollte, vgl. Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (898). 364 Wobei das Gericht gerade nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens setzen darf: Huber, in: Kment, EnWG, 2019, § 83 Rn. 19. 365 Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 21 Rn. 70. 366 Siehe Anhang. 367 BGH RdE 2014, 495. 363
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
4. Spielräume in Bezug auf die Durchführung des Effizienzvergleichs nach § 21a Abs. 5 Satz 1 EnWG, § 12 ARegV Behördliche Entscheidungsspielräume bezüglich der Durchführung des Effizienzvergleichs waren Bestandteil des Beschlusses „Stadtwerke Konstanz GmbH“, sodass auch hier auf die obige Darstellung verwiesen werden kann. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in den Folgejahren fortentwickelt. Das Regulierungsermessen der Regulierungsbehörde bestehe demnach auch hinsichtlich der nach § 21a Abs. 5 Satz 1 EnWG zu berücksichtigenden objektiv strukturellen Unterschiede368 und deren methodischer Implementierung.369 Diesen Unterschieden sei zwar bereits durch die gesonderten Regelungen in § 12 und § 22 ARegV für den Effizienzvergleich für Betreiber von Verteilnetzen und Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetzen Rechnung getragen.370 Eine weitergehende Differenzierung zwischen Netzen ist vom Gesetz aber weder vorgegeben noch ausgeschlossen, sodass die Entscheidung der Regulierungsbehörde nur dann rechtsfehlerhaft sei, wenn objektiv gegebene Besonderheiten gänzlich unberücksichtigt geblieben sind, wenn ihre Bedeutung verkannt wurde oder wenn die Art und Weise, in der sie berücksichtigt wurden, nicht geeignet ist, um angemessene Ergebnisse zu erzielen371 (Kontrollmaßstab des Regulierungsermessens). 5. Spielräume bzgl. der Festlegung volatiler Kosten bei der Ermittlung der Verlustenergiekosten nach § 11 Abs. 5 ARegV Der Bundesgerichtshof hat ab dem Jahr 2016 auch in Bezug auf die Festlegung volatiler Kosten ein Regulierungsermessen oder einen tatsachenbezogenen Entscheidungsspielraum der Bundesnetzagentur anerkannt.372 Hier ging es um eine Festlegung der Bundesnetzagentur, in der sie die Vorgaben zur Ermittlung ansatzfähiger Verlustenergiekosten für die zweite Regulierungsperiode Strom/Gas festgelegt hatte. Das Beschwerdegericht sprach der Bundesnetzagentur einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Gestaltungsspielraum zu, was der Bundesgerichtshof bestätigte.373 Dieser Spielraum ergebe sich aus der nur rudimentären Vorgabedichte von Gesetz und Verordnung und fülle die nach § 11 Abs. 5 ARegV durch den Verordnungsgeber eingeräumte Festlegungsermächtigung an die Bundesnetzagentur zur Festlegung beeinflussbarer oder nicht beeinflussbarer Kosten-
368
BGH Beschl. v. 12. 6. 2018, EnVR 43/16, BeckRS 2018, 15508. BGH NJOZ 2019, 475 Rn. 56. 370 BGH BeckRS 2018, 15508 Rn. 22. 371 BGH BeckRS 2018, 15508 Rn. 35; BGH NJOZ 2019, 475 Rn. 56, wortgleich: BGH BeckRS 2018, 15489. 372 BGH Beschl. v. 7. 6. 2016, EnVR 62/14 = RdE 2016, 462; Beschl. v. 12. 6. 2018, EnVR 29/16 = RdE 2018, 485. 373 BGH RdE 2016, 462 Rn. 7, 16. 369
D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht
175
anteile aus.374 Die in § 11 Abs. 5 Satz 2 ARegV vorgegebene Begrenzung dieser durch die Behörde zu tätigenden Konkretisierung von Kostenanteilen sei im vorliegenden Fall eingehalten worden. Hervorzuheben ist, dass der Senat hier erstmals zwischen den einzelnen Aspekten des eingeräumten Entscheidungsspielraums zu differenzieren versucht: So seien die Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle des § 11 Abs. 5 Satz 2 ARegV eher als Beurteilungsspielraum einzustufen, die Ermittlung des Referenzpreises und der Wechselwirkung mit der Festlegung der Verlustenergiemenge entspreche eher einem Regulierungsermessen.375 6. Spielräume in Bezug auf die Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes nach § 7 Abs. 5 StromNEV/GasNEV Die Ermittlung der Netzkosten erfolgt nach den in § 21 Abs. 2, § 21a und § 23a EnWG festgelegten Grundsätzen, die als Basis die Kosten einer effizienten Betriebsführung unter Berücksichtigung von Anreizen für eine effiziente Leistungserbringung und einer angemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoangepassten Verzinsung des eingesetzten Kapitals festlegen.376 Der Zinssatz hat netzbetriebsspezifische unternehmerische Wagnisse zu berücksichtigen.377 Die StromNEV unterscheidet zwischen verzinslichem Fremdkapital, unverzinslichem Fremdkapital und Eigenkapital.378 Die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung ist eine zentrale Stellschraube in der Systematik der Netzkosten und der Netzentgelte.379 Denn aus Sicht der Anteilseigner des Netzbetreibers stellt die Eigenkapitalverzinsung den unternehmerischen Gewinn dar.380 Basiszins und Wagniszuschlag ergeben den Eigenkapitalzinssatz vor Steuern.381 Dabei sind die Vorgaben in § 7 Abs. 5 Nr. 1 bis 3 StromNEV/GasNEV keine wörtlich zu nehmenden Vorgaben, sondern sollen lediglich „die Ermittlung eines wettbewerbsanalogen Preises gem. § 21 Abs. 2 EnWG erleichtern“.382 Hierbei soll die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen vom Tatrichter uneingeschränkt überprüfbar sein. Auch in Bezug auf die unbestimmten Rechtsbegriffe seien die tatsächlich zugrunde liegenden Gegebenheiten mit sachverständiger Hilfe 374
BGH RdE 2016, 462 Rn. 17. BGH RdE 2018, 485 Rn. 14. 376 Vgl. hierzu ausführlich Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 21 Rn. 63 ff. 377 Groebel, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2010, § 21 Rn. 121 f. 378 Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 1. 379 Egger/Tönnes, EWeRK 2016, 362 (364). 380 Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 5. 381 Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 57. 382 Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 58. 375
176
2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
ermittelbar und somit ebenfalls gerichtlicher Überprüfung zugänglich.383 Erstmals hat der Bundesgerichtshof eine diesbezügliche Letztentscheidungsermächtigung der Regulierungsbehörde in der Entscheidung „Thyssengas GmbH“ anerkannt384 und diese als Beurteilungsspielraum bezeichnet.385 Auch nachfolgend wurden diese diskretionären Spielräume der Behörden vom Bundesgerichtshof nicht als „Regulierungsermessen“, sondern als Beurteilungsspielraum bezeichnet, da die Regierungsbehörde im Rahmen des § 7 Abs. 5 StromNEV/GasNEV eine komplexe Prüfung und Bewertung vorzunehmen habe, für welche die tatsächlichen Marktverhältnisse lediglich einen Ausganspunkt bilden.386 Die im Rahmen dieser Prüfung aufgeworfenen Fragen erlaubten keine Antwort im Sinne von „richtig oder falsch“; mehr als ein Zinssatz entspreche also den Vorgaben des § 7 Abs. 5 StromNEV/ GasNEV.387 7. Spielräume in Bezug auf § 19 Abs. 2 StromNEV Letztverbraucher, die an das Netz der allgemeinen Versorgung angeschlossen sind und eine jährliche Stromabnahme für die eigene Verbrauchsstelle von mindestens 7000 Benutzungsstunden und einen Stromverbrauch von mehr als zehn Gigawattstunden haben, haben gem. § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV einen Anspruch auf die Vereinbarung eines individuellen Netzentgelts mit ihrem Netzbetreiber. Grund für diese Regelung ist, dass diese Letztverbraucher einen Beitrag für die Netzstabilität leisten388 und mit dem reduzierten Netzentgelt verhindert werden soll, dass sie sich zur Vermeidung von Netzkosten über eine Direktleitung an die nächsthöhere Spannungsebene anschließen.389 Der Bundesnetzagentur steht nach der Begründung des Bundesgerichtshofs auch bei der Methodenwahl zur Ermittlung des Beitrags des Letztverbrauchers zu einer Senkung oder zur Vermeidung einer Erhöhung der Kosten der Netz- oder Umspannebene, an die der Letztverbraucher angeschlossen ist, ein Entscheidungsspielraum zu.390 Auch bei dieser Frage der Ausgestaltung des individuellen Netzentgelts sei keine Antwort im Sinne von „richtig“ oder „falsch“ möglich.391 Dieser Beitrag sei nicht zu errechnen, sondern bedürfe einer Abwägung, die jedem Ein383
Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 58. BGH EnWZ 2015, 273 = ZNER 2015, 116. 385 Bei Franke, in: Kment, EnWG, 2019, § 23a Rn. 8 heißt es, der Regulierungsbehörde stehe im Genehmigungsverfahren kein Ermessen, aber „ein Entscheidungsspielraum nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Regulierungsermessen“ zu. 386 Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 58. 387 BGH NVwZ-RR 2015, 452 Rn. 24. 388 Schon zur alten Fassung von § 19 StromNEV: BT-Drucks. 17/6365, S. 41 f.; Beste/Kuck, EnWZ 2013, 195 (195). 389 BGH RdE 2018, 531 Rn. 29 f. 390 BGH RdE 2017, 187; BGH RdE 2018, 531. 391 BGH RdE 2018, 531 Rn. 24. 384
D. Die Etablierung des Regulierungsermessens im Energierecht
177
zelfall gerecht wird und gleichzeitig mit Kriterien arbeitet, die eine gleichmäßige Rechtsanwendung gestatten.392 Auch hier spricht der Bundesgerichtshof nicht ausdrücklich von einem Regulierungsermessen; allerdings fügt sich die Feststellung der Unmöglichkeit der nur einzigen richtigen Entscheidung aus Gesetz oder Verordnung in die Herleitung und Begründung zum Regulierungsermessen ein.393 Die Entscheidung der Regulierungsbehörde ist demnach rechtmäßig, wenn sie von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist und den ihr eröffneten Beurteilungsspielraum gem. § 19 Abs. 2 StromNEV fehlerfrei ausgefüllt hat. Die behördliche Feststellung der tatsächlichen Grundlagen unterliege der vollumfänglichen tatrichterlichen Kontrolle.394 In Bezug auf die Methodenwahl zur Berechnung des physikalischen Pfades hat der Bundesgerichtshof zuletzt einen „Beurteilungs- und Ermessensspielraum“ der Bundesnetzagentur besätigt.395 8. Spielräume bezüglich der Vorgaben zum Bilanzierungssystem Gas Im Rahmen der Festlegung der Bundesnetzagentur zur Bilanzierung in Gasnetzen (GaBi Gas 2.0)396 wird unter anderem geregelt, mit welcher Häufigkeit eine Netzkontenabrechnung durch die Verteilnetzbetreiber zu erstellen ist. Netzbetreiber sollen einen Anreizmechanismus für Entnahmestellen mit Standard-Lastprofil für eine genaue Prognose entwickeln, etwa durch Ausschüttungen bei Einhalten der Prognose und der Auferlegung von Zusatzzahlungen bei einem Abweichen.397 Die Neuregelung sah vor, dass taggenaue Abrechnungen erstellt werden, die am Ende eines Monats saldiert werden und auf deren Grundlage dann die Differenzmengen ermittelt und abgerechnet werden; zuvor reichte eine monatliche Saldierung der einzelnen Tageswerte aus.398 Bei der Ausgestaltung dieser Vorgaben steht der Bundesnetzagentur nach dem Bundesgerichtshof ein Regulierungsermessen zu, da sie in Umsetzung der Vorgaben aus dem Netzkodex VO (EU) Nr. 312/2014,399 hier Art. 11 Abs. 4 und 39 Abs. 4, dazu berechtigt ist, Anordnungen zu treffen, die dazu geeignet sind, die Prognosegenauigkeit zu verbessern.400 Hierbei sei kein bestimmter Weg vorgegeben, es sei vielmehr eine komplexe Kombination von Maßnahmen zu 392
BGH RdE 2018, 531 Rn. 24. Zum Beispiel bei BGH EnWZ 2015, 273 Rn. 18. 394 BGH RdE 2018, 531 Rn. 24. 395 BGH EnVR 6/20 v. 23. 2. 2021, mit am 25. 5. 2021 veröffentlichten Entscheidungsgründen. 396 Beschl. der BNetzA v. 19. 12. 2014, BK7 – 14 – 020. 397 BGH NJOZ 2018, 983. 398 BGH NJOZ 2018, 983 vor Rn. 7/Sachverhalt. 399 Verordnung der Kommission vom 26. 3. 2014 zur Festlegung eines Netzkodex für die Gasbilanzierung in Fernleitungsnetzen, ABl. Nr. L 91 v. 27. 3. 2014, S. 15 ff. 400 BGH NJOZ 2018, 983 Rn. 11. 393
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2. Teil Kap. 6: Die Übertragung des Regulierungsermessens
tätigen, die nicht im Sinne von „richtig oder falsch“ bewertet werden könne.401 Der Bundesgerichtshof legte folgenden Prüfungsmaßstab an: Sind die Anordnungen geeignet, die Prognosegenauigkeit zu verbessern? Hat die Behörde bei der Auswahl unter mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten, ist von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen, hat den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt und sich bei der Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt?402 Hier nennt der Bundesgerichtshof den Entscheidungsspielraum wie in den ursprünglichen Entscheidungen sehr offen einen Spielraum, „der in einzelnen Aspekten einem Beurteilungsspielraum, in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt“ und verweist auf die Entscheidung „Stadtwerke Konstanz GmbH“.403 Auch hinsichtlich der Frage einer Änderung oder eines Widerrufs von Festlegungsbestandteilen zum Bilanzierungssystem stehe der Regulierungsbehörde ein Spielraum zu, der in einigen Aspekten einem Beurteilungsspielraum, in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt.404 9. Spielräume in Bezug auf die Festlegung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors (Xgen) Mit zwei Beschlüssen vom 26. 1. 2021 hat der Bundesgerichtshof seine zum Eigenkapitalzinssatz entwickelte Rechtsprechung in Bezug auf die Methodenwahl und Plausibilisierungspflicht der Bundesnetzagentur bei der Ermittlung der ökonomischen Grundlagen einer bestimmten Methode zur Festlegung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors fortgesetzt.405 Diese Freiheit hat er ausdrücklich aus Regulierungsermessen bezeichnet und eine Plausibilisierungspflicht „von den Umständen des Einzelfalls“ abhängig gemacht. Der generelle sektorale Produktivitätsfaktor, in mathematischen Modellen als Xgen bezeichnet, hat eine nicht unerhebliche Bedeutung im Rahmen der Ermittlung der Erlösobergrenzen und drückt dort einen netzwirtschaftsspezifischen Korrekturfaktor der gesamtwirtschaftlichen Produktivitäts- und Einstandspreisentwicklung aus. Hier hat die Bundesnetzagentur ähnlich wie im Rahmen der Eigenkapitalzinsfestlegung ökonomische Modelle unter Heranziehung bestimmter Werte zu berechnen. Obwohl in § 9 Abs. 1 und 3 ARegV vier Werte zur Differenzermittlung vorgegeben sind, sei die Bundesnetzagentur hieran nicht gebunden, könne vielmehr mangels einer unmöglichen „Messung“ des zu ermittelnden Faktors, der eine Prognose darstelle, unter den gleich geeigneten Methoden im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens- und Beurteilungsspielraums 401 402 403 404 405
BGH NJOZ 2018, 983 Rn. 30. BGH NJOZ 2018, 983 (984). BGH RdE 2014, 276 Rn. 27. BGH NVwZ-RR 2019, 861 Rn. 36. BGH NVwZ-RR 2021, 440; BGH BeckRS 2021, 8275.
E. Fazit
179
eine Methode auswählen. Diese Methodenwahl sei dann von der Rechtsbeschwerdeinstanz auch hinsichtlich der zutreffenden Tatsachengrundlage nicht als eine Verpflichtung zur vollständigen Nachprüfung der Validität der Datengrundlage zu verstehen. Hierauf ist im letzten Teil noch zurückzukommen. Die von der Regulierungsbehörde gewählte Methode ist dann rechtlich zu beanstanden, wenn sich feststellen lässt, dass der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm nach dem durch die Entscheidung auszufüllenden gesetzlichen Rahmen zukommt, oder wenn ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände so deutlich überlegen ist, dass die getroffene Auswahlentscheidung nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann.406 Der Bundesgerichtshof orientiert sich ausdrücklich am eigenen, zum Eigenkapitalzinssatz entwickelten Maßstab. Die Differenzierung zwischen Tatsachen, aus Tatsachen abzuleitenden Schlussfolgerungen und darauf basierenden Rechtsfolgenentscheidungen stellten den Bundesgerichtshof auch hier vor eine Herausforderung des Kontrollmaßstabs, deren Lösung er in der Einräumung eines weitgehenden Spielraums für die Regulierungsbehörde sah.
E. Fazit Das Regulierungsermessen hat sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Energiewirtschaftsrecht etabliert. Eine dogmatische Ausformung hat es auch hier aber nicht erfahren. Insbesondere ist die Abgrenzung von Tatsachen- und Rechtsfragen in diesem Bereich oft mit enormen Schwierigkeiten für die Rechtsprechung und mit Rechtsschutzeinbußen für die Marktteilnehmer verbunden. Die vermeintliche Untrennbarkeit von Tatsachen- und Rechtsfragen, die auch der Bundesgerichtshof seiner Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidungen oft zugrunde legt, hat Auswirkungen auf die Entscheidungsrationalität und führt (unnötigerweise) dazu, dass die vom Bundesgerichtshof erkannten Letztentscheidungsspielräume der Bundesnetzagentur Kritik ausgesetzt sind. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen stellt so in Teilen eine Fehlentwicklung dar, da zurückgenommene Kontrolldichte auf Bereiche ausgedehnt wird, die einer solchen Ausdehnung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zugänglich sind.
406
BGH EnVR 7/20 Rn. 28.
Vierter Teil
Regulierungsbehördliche Letztentscheidungsrechte im Unionsrecht Kapitel 7
Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte im Energieregulierungsrecht Ein noch anhängiges Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik1 wegen der mangelhaften Umsetzung der Richtlinien 2009/72/EG (Strom) und 2009/73/EG (Gas) hat die Debatte um die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur befeuert. Auch die zunehmenden Kompetenzen der Agentur für die Zusammenarbeit der europäischen Energieregulierungsbehörden (ACER), die Zusammenschlüsse etwa der Übertragungsnetzbetreiber als ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity) und das Wirken der Kommission durch Empfehlungen und Leitlinien verkomplizieren die Gemengelage im europäischen Regulierungsverbund. Dabei gab es zur Energiepolitik im europäischen Vertragsrecht lange überhaupt keine Regelung.2 Die geteilte Zuständigkeit auf dem Gebiet der Energieregulierung nach Art. 4 Abs. 2 lit. i AEUV hat zu einer umfassenden Ausgestaltung des Energieregulierungsrechts durch die Europäische Union geführt. Der Binnenmarkt für Energie wird als einzig wirtschaftlich sinnvolle Option für die Zukunft des europäischen Strommarktes betrachtet3 und so ist die europäische „Energieunion“ nach der Verabschiedung des Winterpakets oder Clean Energy Package (vor allem der vierten Energiebinnenmarktrichtlinie4 und Elektrizitätsbinnenmarktverordnung5) durch den
1
Aufsichtsklage vom 16. 11. 2018, Rs. C-718/18, ABl. Nr. C 54 vom 11. 2. 2019, S. 6 f. Pielow, RdE 2019, 421 (424). 3 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, „Fortschritte auf dem Weg zur Vollendung des Energiebinnenmarktes“ vom 13. 10. 2014, COM (2014) 634 final, S. 3. 4 Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 6. 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU, ABl. Nr. L 158 vom 14. 6. 2019, S. 125 ff. 2
A. Unionsrechtliche Gestaltungsvorgaben
181
Ministerrat im Mai 2019, seit dem 1. 1. 2021 in Kraft. Tatsächlich allerdings dürfte die Europäische Union von einer energie- und klimapolitischen Union noch recht weit entfernt sein.6 In den ersten beiden Beschlüssen zum Regulierungsermessen unter dem TKG betonte das Bundesverwaltungsgericht die Gebotenheit der Ausweitung behördlicher Entscheidungsspielräume aufgrund des Unionsrechts,7 nicht jedoch der Bundesgerichtshof in den Entscheidungen zum Energieregulierungsrecht. Kernfrage und Rahmen für dieses Kapitel ist, ob die gerichtliche Kontrolle des Behördenhandelns auch im Energiesektor aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben begrenzt werden muss und ob nationale Befugnisse im Regulierungsprozess durch Kompetenzen von Unionsorganen verdrängt werden. Mit Blick auf das anhängige Vertragsverletzungsverfahren sollen zudem die Perspektiven der „normativen Regulierung“ im Energierecht diskutiert werden. In der gebotenen Kürze soll diese Frage unter Berücksichtigung der im vorangegangenen Kapitel aufgezeigten Probleme in Bezug auf das Regulierungsermessen im Energiesektor beantwortet werden.
A. Unionsrechtliche Gestaltungsvorgaben nationaler administrativer Entscheidungsbefugnisse Seit 2009 sind mit dem dritten Energiebinnenmarktpaket drei neue Verordnungen8 und zwei neue Richtlinien9 in Kraft, die ausführliche Vorgaben zum Beispiel für die Entflechtung, den Verbraucherschutz und die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden machen. Zwar stellte sich das Bedürfnis nach verstärkter Integration des Binnenmarktes für Energie nicht unmittelbar nach der Liberalisierung 5 Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung), ABl. Nr. L 158, S. 54 ff. 6 Mit Darstellung der Unterschiede vor allem in der Organisationsstruktur der Energiesysteme Pielow, RdE 2019, 421. 7 BVerwG NVwZ 2008, 575 (577 f.); mehr noch in NVwZ 2008, 1359 (1360) Rn. 17; EuGH Slg. 2008, I-2931 Rn. 159 (Arcor); Franzius, DVBl. 2009, 409 (410); Ludwigs, RdE 2013, 297 (297). 8 Verordnung (EG) Nr. 713/2009 vom 13. 7. 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ABl. Nr. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 1 ff.; Verordnung (EG) Nr. 714/2009 vom 13. 7. 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. Nr. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 14 ff.; Verordnung (EG) Nr. 715/2009 vom 13. 7. 2009 über die Bedingungen für den Zugang zu Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005, ABl. Nr. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 36 ff. 9 Richtlinie 2009/72/EG vom 13. 7. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. Nr. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 55 ff.; Richtlinie 2009/73/EG vom 13. 7. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. Nr. L 211 vom 14. 8. 2009, S. 94 ff.
182
4. Teil Kap. 7: Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte
ein, jedoch gibt es spätestens seit dem vierten Energiebinnenmarktpaket eine gemeinsame europäische Strategie für die Energiepolitik. Ob sich aus dem Unionsrecht insgesamt oder aus diesen neuen Legislativakten neuartige Vorgaben für die administrative Entscheidungsfreiheit ergeben, ist Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts.
I. Vorgaben aus dem Primärrecht Das Recht der Energieregulierung ist dem öffentlichen Recht, dem Verwaltungsrecht zuzuordnen. Zum Zusammenspiel europäischen und deutschen Verwaltungsrechts findet sich keine formale Bestimmung im Primärrecht der Europäischen Union, da im Vertrag von Lissabon bewusst hiervon abgesehen wurde,10 allerdings ergibt sich der Vorrang des Unionsrechts inhaltlich aus dem Prinzip der einheitlichen Tragweite und Wirksamkeit des Unionsrechts.11 Diesem Vorrang entzieht sich lediglich ein „Identitätskern des Grundgesetzes“ nach Art. 79 Abs. 3 GG.12 Das primäre Unionsrecht bildet in Form des Reformvertrags von Lissabon den Rahmen für das europäische Energierecht.13 In Art. 194 AEUV werden die Ziele der europäischen Energiepolitik festgelegt, wie etwa das Funktionieren des Energiemarktes, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und die Förderung der Energieeffizienz. Je nach Betrachtung des transportierten Guts oder der Bereitstellung des Transportnetzes sind die Warenverkehrsfreiheit oder die Dienstleistungsfreiheit betroffen.14 Die Durchsetzung dieser Ziele sowie die Verantwortung über die transeuropäischen Netze nach Art. 4 Abs. 2 lit. h und i AEUV fallen in die geteilte Zuständigkeit gem. Art. 2 Abs. 2 AEUV. Hierbei sind der Kommission im Laufe der Binnenmarktstärkung immer mehr Durchführungszuständigkeiten nach Art. 290 und 291 AEUV übertragen worden.15 1. Das Handlungsspektrum Nach Art. 288 AEUV kommt den Organen der Europäischen Union ein eigenes Handlungsspektrum in ihrem Aufgabenbereich zu. Im Bereich der Energie hat sie, 10
Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 4 EUV Rn. 35. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 1 AEUV Rn. 72 (Stand Februar 2019); Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2016, Art. 19 EUV Rn. 28. 12 Ludwigs, EnWZ 2019, 160 (160). 13 Gundel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, M. Energierecht Rn. 6 (Stand November 2019). 14 Schon EuGH Urteil v. 15. 7. 1964 6/64, Slg. 1964, 1251 (1274) „Costa/ENEL“ = NJW 1964, 2371. 15 Gundel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, M. Energierecht Rn. 11 (Stand November 2019). 11
A. Unionsrechtliche Gestaltungsvorgaben
183
wie oben dargestellt, die geteilte Zuständigkeit mit den Mitgliedsstaaten. Im Rahmen dieser Rechtssetzungsbefugnis ist im Energierecht besonders die Befugnis der Kommission zum Erlass von Leitlinien zu nennen, welche immer häufiger das Mittel der Wahl sind, wenn es um die verbindliche Konkretisierung des Sekundärrechts geht.16 Die Vorbehalte gegen eine gemeinsame europäische Energiepolitik bestehen dabei bis heute fort17 und äußern sich etwa in Subsidiaritätsvorbehalten in Art. 5 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV18). 2. Die Verfahrensautonomie Durch Art. 291 Abs. 1 AEUV ist den Mitgliedsstaaten die Verfahrensautonomie über die gerichtlichen Verfahren, also auch die Hoheit über die gerichtliche Kontrolldichte von Behördenentscheidungen eingeräumt.19 Nach diesem Grundsatz sind die Mitgliedsstaaten für den Vollzug des Verwaltungsrechts zuständig. Man spricht vom indirekten Vollzug, wenn Unionsrecht unmittelbar angewendet wird (in Abgrenzung zum direkten Vollzug durch die Organe der Union).20 Der direkte Vollzug durch die Union ist die Ausnahme und abschließend für das Wettbewerbsrecht (Art. 105, 106 Abs. 3 AEUV), die Aufsicht über Beihilfen (Art. 108 AEUV), Bereiche der Handelspolitik (Zollwesen), das Produktzulassungsrecht, das Markenrecht und die Verwaltung des Europäischen Sozialfonds nach Art. 163 AEUV vorgesehen.21 Die Bereiche des direkten Verwaltungsvollzugs nehmen zu – dem steht grundsätzlich auch nicht entgegen, dass die Union als eine Rechtssetzungsgemeinschaft entstanden ist.22 Die Verfahrensautonomie gewährt vorbehaltlich des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes die allein nationale Ausgestaltung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolldichte durch nationale Richter, und zwar auch dann, wenn der Verwaltung ein Letztentscheidungsrecht eingeräumt ist.23 Soweit das Unionsrecht Aussagen zu behördlichen Kompetenzen in der Energieregulierung macht, sind diese wegen der Verfahrensautonomie nicht im Hinblick auf ihr Verhältnis zur Judikative zu verstehen, sondern vielmehr in Abgrenzung zur Legislative. Das Primärrecht der Europäischen Union trifft folglich keine Aussagen zur gerichtlichen Kontrolldichte in der Energieregulierung. 16 Gundel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, M. Energierecht Rn. 24 (Stand November 2019). 17 Pielow, RdE 2019, 421 (424). 18 Konsolidierte Fassung vom, ABl. Nr. C 326 vom 26.10.2012, S. 13 ff. 19 EuGH Urteil v. 24. 4. 2008, Rs. C-55/06, Rn. 170. 20 Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 4 EUV Rn. 50; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 22 Rn. 11. 21 Vgl. Calliess/Kahl/Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2016, Art. 4 EUV Rn. 61 f. 22 Ludwigs, NVwZ 2018, 1417 (1419). 23 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 113 Rn. 30 (Stand Juli 2017).
184
4. Teil Kap. 7: Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte
II. Anforderungen durch das Clean-Energy-Paket Das nationale Regulierungsrecht wird vor allem durch das sekundäre Unionsrecht geprägt und weiterentwickelt. Es unterliegt einem stetigen Wandel.24 Das sog. Clean Energy Package stellt den Rahmen für die Energieunion und für die Klimaziele der Union auf. Wie der Name indiziert, handelt es sich bei dem Clean Energy Package vor allem um eine gemeinsame Zielsetzung in der Umwelt- und Klimapolitik,25 zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, zur allgemeinen Energieverbrauchssenkung und für eine bessere Energieeffizienz (um jeweils 20 %, daher auch „20 – 20 – 20-Ziele“ genannt).26 Bis 2020 sind diese Ziele verbindliche nationale Ziele, für diese neue Strategie (und höhere Reduktionsziele) bis 2030 wurde auf die Verbindlichkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien verzichtet.27 Die Kommission hat aufgrund einzelner Bestimmungen zusätzliche Kompetenzen, die sich jedoch auf das Aussprechen von Empfehlungen28 beschränken und somit keine echte neue administrative Kompetenz der Kommission begründen. 1. Vorgaben für nationale Entscheidungsspielräume oder Kompetenzverlagerung auf europäische Regulierungsbehörden Die Entwicklung des Unionsverwaltungsrechts geht zwar in Richtung Kompetenzzunahme der Union.29 Die Kompetenz zur Durchsetzung verbleibt aber zum ganz überwiegenden Teil bei den nationalen Behörden. In einigen Fällen haben die Regulierungsbehörden der Union neue Befugnisse erhalten.
24
Ludwigs, EnWZ 2019, 160 ff. Theobald, in: Danner/Kühling, Energierecht, Bd. I, Einführung EnWG Rn. 3 (Stand Januar 2018). 26 Wegen der jeweiligen Zielsetzung einer Senkung/Verbesserung um 20 % wird diese Zieltrias auch als die 20-20-20-Klima- und Energieziel bezeichnet: Wagenhäuser, Das Clean Energy Package der EU: Die europäische Energiepolitik bis 2030 und mögliche Implikationen in Deutschland und Frankreich, Hintergrundpapier des DFBEW, Stand Dezember 2018, S. 9. 27 Wagenhäuser, Das Clean Energy Package der EU: Die europäische Energiepolitik bis 2030 und mögliche Implikationen in Deutschland und Frankreich, Hintergrundpapier des DFBEW, Stand Dezember 2018, S. 11. 28 Im Rahmen der Governance-Verordnung bei der Nichteinhaltung von Zwischenzielen der Energie- und Klimapläne, vgl. Wagenhäuser, Das Clean Energy Package der EU: Die europäische Energiepolitik bis 2030 und mögliche Implikationen in Deutschland und Frankreich, Hintergrundpapier des DFBEW, Stand Dezember 2018, S. 15. 29 Schill/Krenn, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 4 EUV Rn. 88 (Stand Februar 2019). 25
A. Unionsrechtliche Gestaltungsvorgaben
185
a) Befugnisse europäischer Regulierungsbehörden Die Stellung der im Regulierungsverbund wichtigen Akteure ACER und ENTSOE wurde durch die vierte Binnenmarktverordnung gestärkt.30 Die Befugnisse der ENTSO-E konzentrieren sich vor allem auf die Schaffung von Netzentwicklungsplänen, sog. Netzkodizes. Die ACER wurde mit Inkrafttreten des Dritten Binnenmarktpakets31 geschaffen und ist vor allem zuständig für die Unterstützung der nationalen Regulierer, die in den Mitgliedsstaaten wahrgenommenen Regulierungsaufgaben auf Gemeinschaftsebene zu erfüllen und – soweit erforderlich – die Maßnahmen dieser Behörden zu koordinieren.32 Außerdem wurde die Entscheidungsbefugnis der ACER mit der vierten Elektrizitätsbinnenmarkt-VO gestärkt, um die grenzüberschreitende Versorgungssicherheit zu erhöhen.33 Hauptsächlich ist ACER damit betraut, Stellungnahmen abzugeben,34 wobei ihr eine gewisse Unabhängigkeit von Weisungen gegenüber den Regierungen der Mitgliedsstaaten und der Kommission eingeräumt wird.35 Sie hat außerdem gem. Art. 8 und 9 ACER-VO subsidiäre Einzelfallentscheidungsbefugnisse für grenzüberschreitende Infrastrukturen und sie kann Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden auf Antrag einer nationalen Regulierungsbehörde oder der Kommission nach Art. 7 Abs. 4 ACER-VO überprüfen.36 Im Bereich des Stromgroßhandels darf ACER Daten erheben, um Marktmanipulation aufzudecken und zu verhindern, Art. 7, 8, 10 und 16 der REMIT-VO.37 Ein weiterer Akteur sind die „regionalen Koordinierungszentren“, die den effektiven grenzüberschreitenden Netzbetrieb gewährleisten und die Übertragungsnetzbetreiber hierbei unterstützen sollen. Die Kommission hatte sich mit den Regional Operations Centers (ROC) noch mehr Befugnisse vorgestellt, welche sich dann aber nicht durchsetzen ließen. Sie haben nun aber gem. Art. 42 Elektrizitätsbinnenmarkt-VO beschränkte eigene Kompetenzen.38
30
Pompl, RdE 2020, 8 (11). Hier die Verordnung 713/2009/EG vom 13. 7. 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ABl. EU Nr. L 211, S. 1. 32 Art. 1 Abs. 2 der ACER-VO, siehe hierzu Holznagel/Schumacher, in: FS Säcker, 2011, S. 737 (745). 33 Erwägungsgrund 52, 66 zur Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung), ABl. EU Nr. L 158, S. 54 ff. 34 Etwa gem. Art. 16 Abs. 3 EltVO bei der koordinierten Kapazitätsberechnung. 35 Holznagel/Schumacher, in: FS Säcker, 2011, S. 737 (745). 36 Groebel, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. I, § 57 EnWG Rn. 18. 37 Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25. 10. 2011 über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts, ABl. Nr. L 326, S. 1 ff. 38 Meyer/Sène, RdE 2019, 278 (282). 31
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4. Teil Kap. 7: Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte
b) Befugnisse der Kommission Die Kommission drängte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf die Schaffung eines Verbundes der Regulierungsbehörden, was Bundestag und Bundesrat zur Erhebung von Subsidiaritätsrügen veranlasste.39 Denn der Subsidiaritätsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 3 EUV bindet alle Organe der Union und erlaubt ihr Tätigwerden nur sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedsstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Bei komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten gesteht der EuGH den Unionsorganen bei der Beurteilung dieser Notwendigkeit einen weiten Spielraum zu.40 Die Kommission selbst entscheidet in Form von Leitlinien nach Art. 13 Abs. 3, 18 Stromhandelsverordnung (StromHVO41) bei Verfahren über die Ausgleichskosten, welche den Netzbetreibern durch grenzüberschreitende Stromflüsse entstehen. Daneben kann die Kommission sowohl Entscheidungen der ACER, als auch Ausnahmeentscheidungen der nationalen Behörden überprüfen, wobei sie sehr weitgehende Befugnisse hat: Sie kann die Änderung oder den Widerruf der beanstandeten Entscheidungen verlangen.42 c) Zwischenergebnis Insgesamt ergeben sich aus der Schaffung europäischer Regulierungsbehörden noch keine unmittelbaren Konsequenzen für die Ausübung (oder die gerichtliche Kontrolle) administrativer Entscheidungsspielräume auf nationaler Ebene. Es bleibt zwar abzuwarten, ob den europäischen Regulierungsbehörden weitere Letztentscheidungsrechte gegenüber den Marktteilnehmern eingeräumt werden und wie sich deren gerichtliche Überprüfung gestalten würde.43 Denoch wären solche Rechtsakte nicht vor den nationalen Gerichten zu überprüfen, sodass insofern keine Konsequenzen für die nationale Überprüfbarkeit von Entscheidungen nationaler Regulierungsbehörden zu erwarten sind.
39
Gundel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, M. Energierecht Rn. 43 (Stand November 2019) mit Verweis auf BT-Drucks. 18/11777 v. 30. 3. 2017 und BTDrucks. 186/17 v. 31. 3. 2017. 40 Gundel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, M. Energierecht Rn. 42 (Stand November 2019). 41 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. 7. 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. L 211, S. 15 ff. 42 Groebel, in: Säcker, Energierecht, Bd. I, 2019, § 57 EnWG Rn. 22. 43 Hierzu ausführlich Wittinger, EuR 2008, 609 (614 ff.).
A. Unionsrechtliche Gestaltungsvorgaben
187
2. Unionsrechtliche Vorstrukturierung einer Beurteilungsermächtigung Zwar ist die gerichtliche Kontrolldichte durch Unionsrecht offenbar nicht vorgegeben, allerdings kann durch unionsrechtliche Regelungen eine Vorstrukturierung der Abwägungsbelange und damit eine gewisse Lenkung erreicht werden.44 Denn nach Art. 288 AEUV ist den Mitgliedsstaaten das Wie der Umsetzung der Ziele in den Richtlinien überlassen; über das notwendige Maß der Ermessensfreiheit der Regulierungsbehörde hinaus machen weder die Charta der Grundrechte der Union, noch die Binnenmartkrichtlinien Vorgaben.45 Eine Reduktion der gerichtlichen Kontrolldichte verlangt das Unionsrecht nicht.
III. Rechtsprechung zu administrativen Entscheidungsspielräumen Auf der Ebene der Rechtsprechung finden sich vor allem drei Urteile, die oft herangezogen werden, wenn es um behördliche Letztentscheidungsbefugnisse im Lichte von Unionsrecht geht. Es gilt im Folgenden, diese drei Urteile des EuGH zu Fragen administrativer Entscheidungsbefugnisse daraufhin zu untersuchen, ob sie Rückschlüsse auf die Kontrolldichte behördlicher Letztentscheidungsrechte im Regulierungsrecht erlauben. 1. Arcor Das Bundesverwaltungsgericht schlussfolgerte in einem Urteil aus dem Jahr 2011: „Die hier inmitten stehende Entscheidungsprärogative der Regulierungsbehörde bei der Entgeltregulierung ist durch das Unionsrecht in der Auslegung des EuGH unmittelbar vorgegeben.“46 Das Urteil des EuGH, auf welches das Bundesverwaltungsgericht hier Bezug nahm, sprach der nationalen Regulierungsbehörde bei der Ermittlung der Abschreibungskosten des Netzbetreibers ein weit reichendes Ermessen bei der Methodenwahl zu.47 Dieses Ermessen ist allein auf das Verhältnis zur Legislative, also das Maß der normativen Vorsteuerung bezogen und enthält keine Aussagen über die gerichtliche Kontrolldichte.48 Richtig ist, dass der EuGH dort sogar explizit die Kompetenz der Mitgliedsstaaten betont, im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie nach Art. 291 AEUV über die Art und Weise der richterlichen Kontrolle zu bestimmen.
44 45 46 47 48
Säcker/Mengering, N&R 2014, 74 (83). BGH Beschl. v. 3. 3. 2020, EnVR 26/18 Rn. 42 ff. BVerwG NVwZ 2012, 1047 Rn. 37. EuGH, Rs. C-55/06, Slg. 2008, I-2931 Rn. 44, 116. Ludwigs, RdE 2013, 297 (298).
188
4. Teil Kap. 7: Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte
2. Neue Märkte Der „Neue Märkte“-Entscheidung des EuGH lässt sich entnehmen, dass im Telekommunikationsrecht eine gesetzgeberische Vorstrukturierung des Ermessens der nationalen Regulierungsbehörde bei der Gewichtung der unterschiedlichen Regulierungsziele unzulässig ist.49 Der EuGH sah die gegenüber Art. 16 Rahmenrichtlinie engere nationale Regelung des § 9a TKG als Einschränkung des Ermessens der nationalen Regulierungsbehörde an, indem dort festgelegt wurde, dass „neue Märkte“ i. S. d. § 3 Nr. 12b TKG grundsätzlich keiner ex-ante Regulierung durch die Bundesnetzagentur unterliegen sollen, außer wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei fehlender Regulierung die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes im Bereich der Telekommunikationsdienste oder -netze langfristig behindert wird“. Diese Kriterien seien gegenüber der unionsrechtlichen Regelung, ob auf dem betreffenden Markt kein wirksamer Wettbewerb herrscht, zu restriktiv.50 Auch aus dieser Entscheidung ergeben sich also keine unionsrechtlichen Vorgaben für die gerichtliche Kontrolldichte von Entscheidungen der Regulierungsbehörden, sondern für deren legislative Vorsteuerung. 3. Kommission ./. Königreich Belgien Die Kommission klagte in diesem Verfahren unter anderem wegen der mangelhaften Umsetzung der Vorgaben aus der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie,51 Art. 23 Abs. 2 lit. a und Abs. 5. In Abs. 2 lit. a wird den Mitgliedsstaaten aufgegeben (Art. 51 der Richtlinie), sicherzustellen, dass die Regulierungsbehörden über die Bedingungen fu¨ r den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, ein¨ bertragung und die Verteilung durch Festlegung oder schließlich der Tarife fu¨ r die U Genehmigung entscheiden. In Abs. 5 wird für den Fall eines Verstoßes gegen diese Vorschrift (u. a.) die Einräumung eines Beschwerderechts der Betroffenen gegen die Verteil- oder Übertragungsnetzbetreiber bei der Regulierungsbehörde als Streitbeilegungsstelle vorgeschrieben. Der EuGH stellte einen Verstoß des Königreichs Belgien gegen diese beiden Vorschriften fest.52 Das Königreich Belgien hatte die Beschwerdemöglichkeit des Art. 23 Abs. 5 nicht vorgesehen. Zudem hatte es die in Abs. 2 lit. a formulierten Aufgaben an eine andere Stelle als die zuständige Regulierungsbehörde delegiert. Dem König selbst war im Gesetz zur Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie unter anderem die Festlegung der Gewinnspanne für die Elektrizitätsnetzbetreiber übertragen worden.53 Der Gerichtshof äußert sich in dem Urteil nicht zu Fragen der 49 50 51 52 53
EuGH MMR 2010, 119 Rn. 83, 94, 99. EuGH MMR 2010, 119 Rn. 98. Richtlinie 2003/54/EG v. 26. 6. 2003, ABl. Nr. L 176, S. 37 ff. EuGH BeckRS 2011, 87209. EuGH BeckRS 2011, 87209 Rn. 4, 24.
B. Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik
189
gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen der Behörde. Es ging allein um die Delegation von Befugnissen im Rahmen der Netzentgeltfestlegung, die nach der Richtlinie der Regulierungsbehörde vorbehalten sind. Auch hierin liegt also keine Aussage zum Verhältnis der nationalen Administrative im Verhältnis zur Judikative, sondern zu ihrem Verhältnis zur Legislative bzw. Gubernative. 4. Zwischenergebnis Die zwei ersten Urteile des EuGH, auf die besonders oft Bezug genommen wird, wenn es um Fragen administrativer Letztentscheidungsermächtigungen aus unionsrechtlicher Perspektive geht, machen keine Vorgaben zur gerichtlichen Überprüfung von Behördenentscheidungen im Regulierungsrecht. Vielmehr geht es dort um eine Beschränkung der normativen Vorsteuerung dieser Entscheidungsräume. Die zuletzt aufgezeigte Entscheidung könnte jedoch für die Frage des Ausgangs des anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission gegen Deutschland relevant sein.
B. Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik Die Kommission hat beim EuGH nach Art. 258 Abs. 2 AEUV ein Aufsichtsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, da die Bundesnetzagentur im Bereich der Energieregulierung nicht über ausreichende Unabhängigkeit bei der Ausführung der ihr zugewiesenen Aufgaben verfüge.54 Außerdem beanstandet die Kommission, dass die Bundesnetzagentur nicht die uneingeschränkte „Ermessensfreiheit“ bei der Festlegung der Netztarife und anderer Bedingungen über den Zugang zu Netzen und Regelenergiedienstleistungen habe.55 An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass sich der europäische Ermessensbegriff nicht mit dem nationalen deckt, sondern allgemein administrative Entscheidungsspielräume bezeichnet, unabhängig davon, ob sie nach nationaler Dogmatik auf der Tatsachen- oder der Rechtsfolgenebene zu verorten wären.56 54
Klage vom 16. 11. 2018, Rs. C-718/18, ABl. Nr. C 54 vom 11. 2. 2019, S. 6. IP/18/4487. 56 Zum Ermessen trifft das Unionsrecht zwar explizit Aussagen. Zum Beispiel findet sich in Art. 263 Abs. 2 AEUV auch das Recht auf Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei einem Ermessensmissbrauch; die Trennung der Begrifflichkeiten findet sich aber kaum; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 8; Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 352 AEUV Rn. 97 (Stand Februar 2019); wegen der fehlenden Trennung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen auf europäischer Ebene wird zum Teil gefordert, auch in der nationalen Praxis diese Trennung aufzugeben und zu einer einheitlichen Systemkategorie des Ermessens im „Mehrebenenverbund“ überzugehen: Ludwigs, RdE 2013, 297 (303). 55
190
4. Teil Kap. 7: Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte
Mit der durch das Regulierungsermessen erreichten Angleichung der Kontrolle von sonst getrennt überprüften Tatsachenfragen und Rechtsfragen findet scheinbar die Abkehr von einer deutschen Besonderheit statt, denn das europäische Recht und andere europäische Rechtsordnungen kennen eine Trennung der Entscheidungskategorien in dieser Form nicht.57 Die von der Kommission geforderte Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur ist im Hinblick auf die legislative Vorsteuerung zu verstehen; nicht bezüglich der gerichtlichen Überprüfung der Regulierungsentscheidungen. Dennoch hätte eine Entscheidung des EuGH im Sinne der Kommission und des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof Giovanni Pitruzzella weitreichende Konsequenzen für das gesamte deutsche Regulierungssystem, wovon auch die behördlichen Entscheidungsspielräume betroffen sein werden. Der Generalanwalt bestätigt in seinen Schlussanträgen vom 14. 1. 2021 die Auffassung der Kommission und empfiehlt, der Klage stattzugeben.58
I. Die Auffassung der Kommission Anders als im Bereich der Telekommunikation wird im Energiewirtschaftsrecht etwa mit den aufgrund von § 24 Abs. 1 Nr. 1 EnWG erlassenen Rechtsverordnungen der Bundesregierung zu den Netzzugangsbedingungen und den Netzentgelten, etwa der ARegV und der StromNEV/GasNEV, eine eher normativ geprägte Regulierung gesehen, bei der das Handeln der Regulierungsbehörde in nicht unerheblichem Ausmaß bereits vorgeprägt ist.59 Die Kommission rügt die mangelnde Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde bezüglich der Festlegung der Bedingungen für den Netzzugang und die Regelenergiedienstleistungen.60 Die normierende Regulierung der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik wird mit dieser Klage angegriffen;61 nicht die gerichtliche Nachprüfung der eingeräumten Letztentscheidungsermächtigungen also, sondern deren normative Vorstrukturierung sind möglicherweise unionsrechtswidrig. Diese Bereiche sind jedoch nicht getrennt voneinander zu betrachten. Denn der Umfang gerichtlicher Nachprüfung von Behördenentscheidungen kann sich nur aus der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage ergeben. Bei einer Zurücknahme der normativen Vorsteuerung kann also die Schwächung der gerichtlichen Überprüfbarkeit eine Folge sein. Möglich ist auch, die dann gänzlich in der Verantwortung der Behörde liegende Regulierungstätigkeit, welche sich nur an den Vorgaben des EnWG orientiert, wieder einer vollen gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen und die durch den Bundesgerichtshof eingeräumten Entscheidungsspielräume zu revidieren. 57 Vgl. Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 192 f.; Franzius, DVBl. 2009, 409 (412); Ludwigs, RdE 2013, 297 (303). 58 Schlussanträge zur Rs. C 718/18, ECLI:EU:C:2021:20. 59 Ludwigs, EnWZ 2019, 160 (160). 60 Pressemitteilung vom 18. 7. 2018, IP/18/4487. 61 Ludwigs, EnWZ 2019, 160 (160).
B. Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik
191
Konkret werden die folgenden Verstöße gegen die Umsetzung der Binnenmarktrichtlinien Strom und Gas gerügt. 1. Verletzung von Art. 37 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2009/72/EG bzw. 2009/73/EG Der Teil der Vorschrift lautet: „Die Regulierungsbehörde hat folgende Aufgaben: Sie ist dafür verantwortlich, anhand transparenter Kriterien die Fernleitungs- oder Verteilungstarife bzw. die entsprechenden Methoden festzulegen oder zu genehmigen.“
Die Umsetzung dieser Vorschrift ins nationale Recht erfolgte vor allem durch die Regelungen in der Anreizregulierungsverordnung, wonach es der Regulierungsbehörde obliegt, etwa nach § 4 Abs. 1 und 2 ARegV, die Erlösobergrenzen festzulegen. Dieser Vorgang entspricht in groben Zügen der nach belgischem Recht beanstandeten Lösung, die Festlegung der Gewinnspanne dem König zu übertragen. In Anlage 1 zu § 7 ARegV wird die Regulierungsformel zur Ermittlung der Erlösobergrenzen für jede Regulierungsperiode von jeweils fünf Jahren festgelegt. Die einzelnen Parameter dieser Formel hat die Bundesnetzagentur im gesetzten Rahmen zu ermitteln, wobei sie jedoch innerhalb der ARegVeinige Vorgaben zu beachten hat, wie etwa diejenigen zum Effizienzvergleich (§§ 12 ff. ARegV), welcher dann die Grundlage für die zu ermittelnden Erlösobergrenzen bildet. Gemäß § 6 Abs. 1 ARegV sind auch die Vorgaben des §§ 4 bis 11 StromNEV/GasNEV bei der Bestimmung des Ausgangsniveaus zur Ermittlung der Erlösobergrenzen zu beachten. Auch die Verzinsung des betriebsnotwendigen Eigenkapitals erfolgt anhand von Indexreihen, § 6 Abs. 3 Satz 2 ARegV. Diese sind in § 6a Abs. 1 StromNEV vorgegeben. Der zu ermittelnde Zinssatz darf die Umlaufrenditen festverzinslicher inländischer Wertpapiere zuzüglich eines angemessenen Zuschlags zur Abdeckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse nicht übersteigen. Die Ermittlung des sog. Wagniszuschlags erfolgt nach wissenschaftlichen Methoden, die nicht durch Gesetz oder Verordnung vorgegeben sind. Die im Rahmen dieser Festlegung eingeräumten Entscheidungsspielräume der Regulierungsbehörde entsprechen möglicherweise der Vorstellung des europäischen Gesetzgebers und müssten bei einer zu erwartenden Klagestattgabe eher noch erweitert werden. Über die Befugnis zur Letztentscheidung ist damit allerdings noch nichts gesagt. 2. Verletzung von Art. 37 Abs. 6 lit. a und b der Richtlinie 2009/72/EG bzw. 2009/73/EG Zu dieser Rüge gilt das soeben Gesagte zur nationalen Umsetzung. Der Wortlaut dieser Vorschrift soll ebenfalls wiedergegeben werden:
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4. Teil Kap. 7: Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte
„Den Regulierungsbehörden obliegt es, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung folgender Bedingungen mit ausreichendem Vorlauf vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen: a) die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der Tarife für die Übertragung und die Verteilung oder ihrer Methoden. Diese Tarife oder Methoden sind so zu gestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist. b) die Bedingungen für die Erbringung von Ausgleichsleistungen, die möglichst wirtschaftlich sind und den Netzbenutzern geeignete Anreize bieten, die Einspeisung und Abnahme von Gas auszugleichen. Die Ausgleichsleistungen werden auf faire und nichtdiskriminierende Weise erbracht und auf objektive Kriterien gestützt.“
Die Norm entspricht somit der Regelung des Art. 23 Abs. 2 lit. a der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie 2003/54/EG, deren Verletzung in dem oben skizzierten Verfahren der Kommission gegen Belgien gerügt wurde. Der EuGH hat in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt, dass es der Regulierungsbehörde obliegt, mindestens die Methoden für die Berechnung oder Festlegung der Entgelte für den Transport und die Verteilung von Energie selbst festzulegen oder zu genehmigen.62 Indem die Festlegung eines wesentlichen Bestandteils der Entgeltregulierung dem belgischen König übertragen war, verstieß das Land gegen seine Umsetzungspflicht aus der Richtlinie. Trotz Unterschieden zu den gerügten Verletzungen in diesem Verfahren gibt es entscheidende Gemeinsamkeiten, die den EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu einer ähnlichen Einschätzung kommen lassen könnte, dazu nachfolgend.
II. Erfolgsaussichten dieser Beanstandungen der Kommission Schon länger wird die Reduzierung der normierenden Regulierung wegen der materiellen Steuerung dieses Gebiets durch das Unionsrecht gefordert.63 Die Bestimmung der gerichtlichen Kontrolldichte aber ist Sache der Mitgliedsstaaten und wird dies wegen der Verfahrensautonomie der Mitgliedsstaaten auf absehbare Zeit auch bleiben. Bei der Beurteilung der möglichen Konsequenzen einer Entscheidung des Gerichtshofes im Sinne des Antrags der Kommission ist zentral, zwischen der normativen Vorstrukturierung (verordnungsrechtliche Vorgaben, hier bspw. zwingend zu berücksichtigende Parameter in der Regulierung des Qualitätselements nach § 20 Abs. 1 ARegV) und der gerichtlichen Kontrolldichte der behördlichen Entscheidung zu differenzieren. Die Abschwächung der legislativen Vorsteuerung bedeutet zwar nicht zwingend eine Abschwächung der gerichtlichen Kontrolldichte,
62 63
EuGH Urt. v. 29. 10. 2009, C-474/08 Rn. 27. Franzius, DVBl. 2009, 409 (414).
B. Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik
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sondern kann sogar ihre Intensivierung rechtfertigen.64 Dies aber wäre dann eine Frage der nationalen Implementierung der Entscheidung des EuGH. So wäre es etwa denkbar, die jetzt in der ARegV und der StromNEV/GasNEV geregelten Vorgaben (siehe oben) durch Festlegungen der Bundesnetzagentur zu ersetzen. Die Entscheidung des EuGH zur fehlerhaften Umsetzung in Belgien zeigt, dass eine vollständige Übertragung auf eine andere Behörde als die Regulierungsbehörde mit den Richtlinienvorgaben nicht vereinbar ist. Insoweit liegt der Fall in Deutschland mit der Verordnungsermächtigung in § 24 EnWG an die Bundesregierung ähnlich. Insgesamt ist die Dichte der Vorsteuerung durch Rechtsverordnungen hoch, wenn auch im Einzelfall erhebliche Freiheiten der Behörde bestehen. Jedenfalls ist der Kommission zuzustimmen, dass die Regulierungsbehörden in den Verordnungen und auch dem nationalen Umsetzungsrecht zumindest in der Gesetzesbegründung ausdrücklich angesprochen werden und ihnen die Verantwortung für einen großen Bereich der Entgeltregulierung und der Methodenentwicklung zugesprochen wird. Es erscheint wahrscheinlich, dass einzelne oben bereits angesprochene Regeln der ausgestaltenden Verordnungen, etwa § 6 Abs. 3 Satz 2 ARegV und § 6a StromNEV, durch den EUGH als unzulässige Delegation von der Regulierungsbehörde zugewiesenen Befugnissen angesehen werden. Es ist wahrscheinlich, dass der EuGH die deutsche Regulierungspraxis wenigstens in Teilen für mit dem Unionsrecht unvereinbar ansehen wird und der nationale Gesetzgeber nachbessern muss, da der EuGH hier keine Verwerfungskompetenz hat. Das mögliche Mittel zur Behebung einer etwaigen Rechtsverletzung ist nicht offensichtlich und es ist nicht absehbar, welche Auswirkungen eine Anpassung des Regulierungsregimes auf die entwickelten behördlichen Letztentscheidungsrechte und deren gerichtliche Kontrolle haben könnte. Es erscheint zumindest denkbar, dass die gerichtliche Kontrolldichte der bereits anerkannten Letztentscheidungsermächtigung der Regulierungsbehörden im Energiewirtschaftsrecht im Anschluss an ein Urteil des EuGH und eine entsprechende Anpassung verordnungsrechtlicher Detailvorgaben im Gegenzug intensiviert wird. Jedenfalls könnte dem Problem auch nicht dadurch begegnet werden, dass die momentan verordnungsrechtlich geregelten Inhalte als Parlamentsgesetz erlassen werden, da sich ein etwaiger Vertragsverstoß hierdurch wohl nicht beseitigen lassen würde.65 Eine richtlinienkonforme Auslegung der Verordnungen und der Grundlagen dazu im EnWG ist kaum möglich, sodass erhebliche Gesetzesänderungen bevorstehen, um die Vertragsverletzung abzustellen.
64 65
Ludwigs, RdE 2013, 297 (298). Ludwigs, EnWZ 2019, 160 (161).
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4. Teil Kap. 7: Europarechtliche Anforderungen an Letztentscheidungsrechte
C. Fazit Es verbleibt auch im Bereich des Wettbewerbsrechts, wo ein direkter Vollzug des Unionsrechts stattfindet,66 vorerst bei der national entwickelten Dogmatik des Ermessens. Weder das Primärrecht, noch das Sekundärrecht machen Vorgaben zu der gerichtlichen Kontrolldichte von Behördenentscheidungen in der Energieregulierung. Auch der Rechtsprechung des EuGH lassen sich keine Aussagen zum Umfang oder zur Intensität gerichtlicher Kontrolle auf nationaler Ebene entnehmen. Denn auch wenn mit Verweis auf die eher „normierende Regulierung“ im Bereich der Energiewirtschaft die Anwendung eines behördlichen Letztentscheidungsrechts bis heute teilweise abgelehnt wird,67 könnte es durch eine entsprechende Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu einer Veränderung der entwickelten Grundsätze zum Regulierungsermessen kommen. Wenn die Behörde selbst erst den Rahmen für die Entgeltermittlung schafft, scheint die Einräumung von Letztentscheidungsbefugnissen im Hinblick auf die demokratische Legitimation jedenfalls problematisch. Es ist zu erwarten, dass die „Regulierungslandschaft“ in Deutschland vor einem größeren Umbruch steht.
66 67
Kallfaß, EuR 2018, 175 (177). Siehe hierzu Kap. 6.
Fünfter Teil
Rekonstruktion der energierechtlichen Ermessensdogmatik als Schlussfolgerung Kapitel 8
Konturierung eines Subsumtionsermessens An dieser Stelle soll keine erneute verfassungsrechtliche Würdigung des Regulierungsermessens erfolgen, wie sie an anderer Stelle oft Fokus (und dann pauschal Grund für seine Ablehnung) ist.1 Vielmehr soll der Blick vor allem auf die Rechtsanwendung und ihre Struktur gerichtet werden, bei welcher der Bundesgerichtshof der Regulierungsbehörde einen weitreichenden, nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum zugesprochen und oft betont hat, es gebe nicht nur eine richtige Entscheidung.2 Auch wenn zu Recht eingewandt wird, Normkomplexität allein sei kein hinreichender Grund für ein Aufbrechen gerichtlicher Kontrollkategorien,3 soll in diesem Kapitel gezeigt werden, warum die gängigen Kategorien zur Kontrolle administrativer Letztentscheidungsbefugnisse im Energieregulierungsrecht versagen, deshalb das Regulierungsermessen hierhin übertragen wurde und wie man ein Letztentscheidungsrecht aus einer dogmatischen Perspektive heraus anders modellieren könnte. Es soll geprüft werden, ob sich wegen der spezifischen Herausforderungen in der Entgeltbildung unter der Anreizregulierung im Energiewirtschaftsrecht eine Lösung anbietet, die sich die zuvor gewonnenen Erkenntnisse zu Nutze macht und sowohl flexibles Verwaltungshandeln als auch effektive gerichtliche Kontrolle ermöglicht; eine Lösung, die der Verwaltung eingeräumte Freiräume respektiert, sie aber nicht in Anwendung unausgereifter Rechtsfiguren in möglicherweise verfassungswidriger Weise ausdehnt. Exemplarisch für die gesamte Problematik um administrative Entscheidungsspielräume im Bereich der Netzentgeltregulierung unter dem EnWG und den kon1 Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649; Gärditz, NVwZ 2009, 1005; Ludwigs, NVwZ 2008, 954 (958); Garbers, RdE 2015, 221 (227); zuletzt Burgi, RdE 2020, 105; siehe hierzu Christiansen, Optimierung des Rechtsschutzes im Telekommunikations- und Energierecht, 2013; Gonsior, Die Verfassungsmäßigkeit administrativer Letztentscheidungsbefugnisse, 2018. 2 Siehe hierzu Kap. 6. 3 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 164.
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
kretisierenden Verordnungen stehen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 9. 7. 2019 zum Eigenkapitalzinssatz der Netzbetreiber für die dritte Regulierungsperiode der Gas- und Stromnetze.4 Bestätigt hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung mit Beschlüssen zum generellen sektoralen Produktivitätsfaktor (Xgen) vom 26. 1. 2021.5 Sie zeigen auf, wie das missverstandene Regulierungsermessen den Rechtsschutz erheblich beeinträchtigen kann und können deshalb helfen, zum Abschluss dieses Teils einen alternativen Vorschlag zur Handhabung administrativer Freiräume im Energieregulierungsrecht zu entwickeln. Es wird gezeigt werden, dass sich durch Isolierung statt Vermengung der einzelnen Bestandteile des Rechtsanwendungsprozesses Entscheidungsrationalität zurückgewinnen lässt. Insbesondere vor dem erwarteten Urteil des EuGH zur Frage der normativen Vorstrukturierung im Bereich der Netzzugangs- und Entgeltregulierung ist eine Untersuchung der Praxis von Bedeutung, da die Herausforderung, administrative Kompetenzen anzuerkennen, eher steigen werden.
A. BGH: „Eigenkapitalzinssatz II“6 In mehreren Parallelentscheidungen bestätigte der Bundesgerichtshof den von der Bundesnetzagentur gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 EnWG und § 7 Abs. 5 StromNEV/ GasNEV festgelegten Eigenkapitalzinssatz der Netzbetreiber für die dritte Regulierungsperiode, welchen das OLG Düsseldorf zuvor wegen methodischer Fehlerhaftigkeit in mehreren Beschlüssen für rechtswidrig erklärt hatte.7 Die Eigenkapitalverzinsung, die gem. § 7 Abs. 6 StromNEV/GasNEV für jede Regulierungsperiode durch die Bundesnetzagentur neu ermittelt und festgelegt wird, setzt sich zusammen aus einem risikolosen Zinssatz und dem Wagniszuschlag und hat für die betroffenen Netzbetreiber große wirtschaftliche Bedeutung.8 Gemäß § 21 Abs. 2 EnWG muss die Eigenkapitalverzinsung angemessen, risikoangepasst und wettbewerbsfähig sein. Einer Verzinsung überhaupt zugrunde gelegt werden dabei nur diejenigen Kosten, welche sich bei effizienter Leistungsbereitstellung, also einem wettbewerblichem Druck ausgesetzten Unternehmen, ergeben würden.9 Ob und inwieweit bei der Ermittlung dieser Effizienzkostenprüfung behördliche Entscheidungsspielräume bestehen, war nicht Bestandteil des Verfahrens und soll an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden.
4 5 6 7 8 9
BGH RdE 2019, 456. NVwZ-RR 2021, 440. BGH ZNER 2019, 431; weitestgehend inhaltsgleich: BGH RdE 2019, 456. U. a. OLG Düsseldorf EnWZ 2018, 174; RdE 2018, 264; ZNER 2018, 237. Burgi, RdE 2020, 105 (106); Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (7). Säcker/Mengering, N&R 2014, 74 (74).
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I. Maßstab der beschwerdeinstanzlichen Rechtskontrolle Nachfolgend soll zunächst der Maßstab der Kontrolle durch den Bundesgerichtshof dargestellt werden und wie dort die Frage nach einer Rechtsverletzung durch die erste Instanz, das OLG Düsseldorf, beurteilt wurde. 1. Die Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes Der von der Bundesnetzagentur für die dritte Regulierungsperiode ermittelte Zinssatz lag mit 6,91 % vor Steuern für Neuanlagen und 5,12 % für Altanlagen deutlich unter den für die zweite Regulierungsperiode geltenden Zinssätzen (9,05 % und 7,14 %).10 Der neue Zinssatz setzt sich zusammen aus einem Basiszinssatz i. H. v. 2,49 %, den die Bundesnetzagentur anhand einer von der deutschen Bundesbank verwendeten Methodik ermittelte, welche die dort veröffentlichten Umlaufrenditen von festverzinslichen Inhaberschuldverschreibungen erfasst,11 sowie einem Zuschlag zur Deckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse. Dieser sog. Wagniszuschlag ergibt sich aus der Marktrisikoprämie multipliziert mit einem Risikofaktor des Unternehmens (sog. Betafaktor).12 Bei der Ermittlung des Wagniszuschlags hat die Regulierungsbehörde gem. § 7 Abs. 5 StromNEV/GasNEV insbesondere die Verhältnisse auf den nationalen und internationalen Kapitalmärkten sowie quantifizierbare und beobachtete unternehmerische Wagnisse zu berücksichtigen.13 2. Spielraum der Regulierungsbehörde bei der Methodenwahl Bei der Wahl der Methode zur Ermittlung von Marktrisikoprämie und Risikofaktor ist die Bundesnetzagentur in Ermangelung konkreter Vorgaben in Gesetz und Verordnung „weder an ein bestimmtes wissenschaftliches Modell, noch an bestimmte Vorgaben zur Ermittlung und Bemessung der im Rahmen des gewählten Modells heranzuziehenden Parameter gebunden.“14 Vielmehr muss die Behörde in eigener Würdigung entscheiden, welche Kriterien sie heranzieht und wie sie diese zu anderen Kriterien ins Verhältnis setzt und gewichtet.15 Es gibt laut Bundesgerichtshof hier nicht die eine richtige Antwort auf die gestellten Rechtsfragen.16 Der Regulierungsbehörde komme bei der Methodenwahl ein „Entscheidungsspielraum“ zu,17 10 11 12 13 14 15 16 17
Beschl. BNetzA v. 31. 10. 2011, BK4 – 11 – 304, S. 1 ff. Beschl. BNetzA v. 5. 10. 2016, BK4 – 16 – 160, S. 4. Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 6, 8. Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 58. BGH RdE 2019, 456 Rn. 37. BGH RdE 2019, 456 Rn. 37. BGH EnWZ 2020, 222 Rn. 8. BGH EnWZ 2020, 222 Rn. 8.
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welcher als Beurteilungsspielraum zu bewerten sei.18 Auch das OLG Düsseldorf sah diesen Beurteilungsspielraum der Behörde.19 Die Ausübung dieses Entscheidungsspielraums sei rechtsfehlerhaft, wenn „der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm im Rahmen des zugrunde gelegten Modells zukommt“, oder wenn „ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände so deutlich überlegen ist, dass die Auswahl einer anderen Methode nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann“.20 Hierbei spielen die Eignung für die Zwecke der Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes, die Verfügbarkeit der benötigten Datengrundlage, der zu ihrer Feststellung erforderliche Aufwand und die Präzision und Belastbarkeit der mit diesem methodischen Vorgehen erzielbaren Ergebnisse eine Rolle.21 3. Die Anwendung der Methode durch die Bundesnetzagentur Die Verwendung des Capital Asset Pricing Models (CAPM)22 unter Heranziehung der historischen Datenreihen nach Dimson, Marsh und Staunten (DMS)23 durch die Bundesnetzagentur ist von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, da keine andere Methode ihr deutlich überlegen ist.24 Das CAPM wurde in dem Beschlussverfahren auch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sodass die Wirkweise des CAPM hier nicht in ihren Details dargestellt werden soll.25 Das CAPM ist ein in den 18
Burgi, RdE 2020, 105 (112). OLG Düsseldorf RdE 2018, 264 Rn. 65 ff. 20 BGH RdE 2019, 456 Rn. 37. 21 Mohr, in: Säcker, Energierecht, Bd. III, 2019, § 7 StromNEV Rn. 59. 22 Das Modell entspricht nach allgemeiner Auffassung der vom Gesetzgeber beabsichtigten Betrachtung von Opportunitätskosten, indem es die Aktienrendite internationaler Strom- und Gasnetzbetreiber heranzieht und so einen Preis bestimmt, der ein Kapitalgeber für die Übernahme der netzbetriebsspezifischen Risiken verlangt. Opportunitätskosten stellen entgangene Erlöse dar, die ein Kapitalgeber erhalten hätte, wenn er sein Kapital nicht in das Unternehmen des Netzbetreibers, sondern am internationalen Kapitalmarkt investiert hätte: Mohr, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 7 StromNEV Rn. 3. CAPM berechnet den Eigenkapitalzinssatz aus einem risikolosen Basiszins und einer unternehmensspezifischen Risikoprämie („Wagniszuschlag“), die das netzspezifische unternehmerische Wagnis abbildet, OLG Düsseldorf, BeckRS 2018, 45901 Rn. 73. Der risikolose Basiszinssatz orientiert sich am Durchschnitt der Umlaufrenditen deutscher festverzinslicher Wertpapiere der letzten zehn Jahre, vgl. hierzu Mohr, N&R-Beilage 1/2020, 1 (7). Der Wagniszuschlag berechnet sich aus den historischen Renditedaten des Unternehmens (Beta-Faktor) und der Marktrisikoprämie, OLG Düsseldorf, BeckRS 2018, 45901 Rn. 73. 23 Es handelt sich hierbei um eine international gebräuchliche und jährlich aktualisierte Studie mit dem Titel „Credit Suisse Global Investment Returns Sourcebook“ der Autoren Dimson, Marsh und Staunton. Sie enthält Informationen über Aktien- und Anleiherenditen aus 23 Ländern und beinhaltet Informationen seit 1900, also einen Zeitraum von 120 Jahren, vgl. hierzu: Mohr, N&R, Beilage 1/2020, 1 (8), m. w. N. 24 Mohr, N&R, Beilage 1/2020, 1 (8), m. w. N. 25 Siehe ausführlich etwa bei Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (8 ff.). 19
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Wirtschaftswissenschaften anerkanntes Modell, welches als Standardkonzept für die Abbildung der Renditeforderungen von Kapitalgebern gilt.26 Die Bundesnetzagentur pflegte in dieses Modell Daten aus der DMS-Studie ein, also Informationen zu Aktien- und Anleiherenditen aus (zum Zeitpunkt des Feststellungsverfahrens) 23 Ländern ab dem Jahr 1900.27 Für dieses „Welt-Portfolio“ errechnete die Bundesnetzagentur einen Wert für die Marktrisikoprämie i. H. v. 3,20 % (geometrisches Mittel) und i. H. v. 4,40 % (arithmetisches Mittel).28 Hieraus bildete sie den Durchschnitt und legte die Marktrisikoprämie auf 3,80 % zzgl. Steuern fest. Der Betafaktor wurde unter Heranziehung von 14 Vergleichsunternehmen, welche alle „reine“29 Netzbetreiber sind und ihren Sitz auf unterschiedlichen Kontinenten haben, auf 0,83 % festgelegt.30 Der Wert unter eins deutet darauf hin, dass die Investition in Netzinfrastruktur ein geringeres Risiko als das allgemeine Marktrisiko aufweist.31 Der Wagniszuschlag betrug insgesamt somit 3,15 %. Diese Methodenwahl unterliegt grundsätzlich der Überprüfung durch den Tatrichter und war in der Rechtsbeschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob sie unter Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze oder sonstige Rechtsfehler zustande gekommen ist.32 4. Spielraum bei der Methodenausfüllung Trotz der Abweichung zur Höhe der in der vorherigen Regulierungsperiode ermittelten Zinssätze hat die Bundesnetzagentur keinen Anlass zur Plausibilisierung der Ergebnisse gesehen. Zwar prüfte sie, ob eine Korrektur der Ergebnisse wegen der zu erwartenden Kapitalmarktentwicklungen nötig sei, lehnte dies aber nur knapp begründet ab.33 Im Beschluss zur Festlegung der Eigenkapitalzinssätze der zweiten Regulierungsperiode prüfte die Bundesnetzagentur seinerzeit eine Korrektur der mittels CAPM errechneten Zinssätze ausführlich und kam zu dem Ergebnis, dass eine solche wegen der Sondersituation auf den Kapitalmärkten geboten sei.34 Die Bundesnetzagentur hob daraufhin den anhand des CAPM i. H. v. 2,90 % ermittelten Wagniszuschlag auf 3,59 % an. Auch die Energiewende hat die Bundesnetzagentur als deutsche Sondersituation berücksichtigt und deshalb eine Anhebung des Wagniszuschlags für geboten gehalten. Der allein nach der Berechnungsmethode des
26
Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (22). Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 8 f. 28 Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 10, 12. 29 D. h. solche, deren Anteil des Netzgeschäfts gemessen an der gesamten unternehmerischen Aktivität bei über 75 % liegt, BK4 – 16 – 160, S. 16. 30 Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 16. 31 Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (8), m. w. N. 32 BGH RdE 2019, 172 Rn. 47. 33 Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 32. 34 Beschl. der BNetzA v. 31. 10. 2011, BK4 – 11 – 304, S. 7. 27
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CAPM ermittelte Wagniszuschlag würde diese Sondersituation nicht ausreichend berücksichtigen können, begründete sie ihre Entscheidung.35 a) Sichtweise des OLG Düsseldorf Das OLG Düsseldorf entschied in erster Instanz, dass die Beschlüsse der Bundesnetzagentur36 in Bezug auf die Marktrisikoprämie als Bestandteil des Wagniszuschlags methodisch fehlerhaft und deshalb rechtswidrig sind; wegen der Sondersituation schwacher Zinsmärkte hätte die Bundesnetzagentur die lediglich anhand der historischen Datenreihen ermittelten Ergebnisse mithilfe anderer Methoden plausibilisieren müssen.37 Das OLG stellte fest, dass in der Verkennung der tatsächlich gegebenen Situation auf den Zinsmärkten eine fehlerhafte Ermittlung des Sachverhalts liegt.38 Die Bundesnetzagentur hätte wegen der Sondersituation mindestens eine Plausibilisierung anhand anderer Datensätze vornehmen müssen, um anschließend ihren Beurteilungsspielraum bezüglich der „Angemessenheit“ der zu ermittelnden Zinssätze korrekt auszuüben. Denn die Zinssätze seien stets eine Schätzung, welche auf der Basis einer zuverlässigen Grundlage erfolgen müsse; wenn diese Grundlage für die Zukunft wegen fehlender Berücksichtigung der maßgeblichen Entwicklungen auf den Zinsmärkten nur begrenzte Aussagekraft hat, muss diese Schätzung anhand anderer Datensätze als den DMS-Daten wenigstens validiert werden, so das OLG.39 b) Sichtweise des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof sah diese Frage in der Rechtsbeschwerde jedoch als eine grundsätzlich dem Bereich der Methodenwahl und Methodenausfüllung zuzuordnende Frage an, bei welcher die Bundesnetzagentur eine Vielzahl von Fragen bewerten müsse, für die es keine Antwort im Sinne von richtig oder falsch gebe, sondern die nur durch eine wertende Auswahlentscheidung beantwortet werden könnten. Die Bundesnetzagentur könne im Rahmen dieses „Entscheidungsspielraums“ die zur Ausfüllung der vorgegebenen Methode heranzuziehenden Parameter selbst auswählen und in eigener Würdigung mit anderen Parametern ins Verhältnis setzen.40 Der Bundesgerichtshof ordnet die Belastbarkeit der Datengrundlage also als Wertungsfrage ein, bei deren Beantwortung der Regulierungsbehörde ein Entscheidungsspielraum zustehen kann, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. 35 36 37 38 39 40
Beschl. der BNetzA v. 31. 10. 2011, BK4 – 11 – 304, S. 8. BK4 – 16 – 160 und BK4 – 16 – 161 vom. 5. 10. 2016. OLG Düsseldorf RdE 2018, 264 Rn. 86. OLG Düsseldorf EnWZ 2018, 174 Rn. 89. OLG Düsseldorf RdE 2018, 264 Rn. 97. BGH RdE 2019, 172 Rn. 37.
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Seine Überprüfungskompetenz der tatrichterlichen Entscheidung stellte der Bundesgerichtshof sodann wie folgt dar: Die Rechtsbeschwerdeinstanz sei in der Überprüfung eines Beurteilungsspielraums darauf beschränkt, ob der Tatrichter ein erhebliches Vorbringen der Beteiligten unberücksichtigt gelassen, wesentliche Beurteilungsfaktoren außer acht gelassen oder offenkundig fehlgewichtet, Rechtsgrundsätze der Zinsbemessung verkannt oder der Nachprüfung der Regulierungsentscheidung sonst unrichtige rechtliche Maßstäbe zu Grunde gelegt hat.41 Der Bundesgerichtshof hat unter Anlegung dieses Maßstabs das Erfordernis einer Plausibilisierung der anhand des CAPM und der historischen DMS-Datenreihen ermittelten Zinssätze, anders als das OLG Düsseldorf, verneint. Die Regulierungsbehörde war nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht gehalten, die theoretische Bandbreite der verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten im Rahmen des CAPM zu ermitteln und dann anhand einer abstrakten Gesamterwägung einen Wert auszuwählen.42 c) Implikation der Sichtweise des Bundesgerichtshofs Ungeachtet der Frage, ob die Belastbarkeit der herangezogenen Datengrundlage überhaupt einem Beurteilungsspielraum zugänglich sein kann, sah der Bundesgerichtshof möglicherweise einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Ausgestaltung der Methode, worunter er auch die aktuelle Lage auf den Kapitalmärkten subsumierte und übersah hierbei, dass die Bundesnetzagentur diesen Beurteilungsspielraum selbst nicht gesehen hat und eine ihr hiernach grundsätzlich zustehende Entscheidung gegen die Plausibilisierung auch nicht in zulässiger Art und Weise getroffen haben kann. Wenn nämlich die Behörde einen ihr zustehenden Beurteilungsspielraum oder ein Ermessen nicht erkennt, handelt es sich um einen Ermessens- oder Abwägungsausfall und die Entscheidung ist (zumindest formal) rechtswidrig.43 Die Bundesnetzagentur hat in ihrem Beschluss zwar ausführlich begründet, warum sie im Rahmen des CAPM ein „Welt-Portfolio“ anstelle eines nationalen Werts für sachgerecht hält.44 Auch die Mittelwertbildung zwischen dem arithmetischen und dem geometrischen Mittel, also dem Abstellen auf verschiedene Laufzeiten der Investitionen, wird von der Bundesnetzagentur ausführlich begründet.45 Zwar diskutiert sie ebenfalls ausführlich ein mögliches Anpassungserfordernis des Risikofaktors46 und eine Korrektur des ermittelten Zinssatzes aufgrund des Vergleichs mit international zuerkannten Eigenkapitalzinssätzen wird jedenfalls 41 BGH RdE 2019, 172 Rn. 8; BGH RdE 2019, 456 Rn. 34 (Parallelentscheidung zu BGH EnVR 52/18). 42 BGH Beschl. v. 3. 3. 2020, EnVR 36/18 Rn. 11; dies hatte der BGH in der Entscheidung „Thyssengas GmbH“ noch ausdrücklich offengelassen, BGH NVwZ-RR 2015, 457 Rn. 80. 43 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 210 (Stand Februar 2019). 44 Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 10 ff. 45 Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 12 ff. 46 Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 20 ff.
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erwogen (und abgelehnt).47 Sie setzte sich aber nicht mit der Frage der Sondersituation auf den Kapitalmärkten auseinander, welche eine Plausibilisierung des errechneten Wagniszuschlags hätte erfordern können. d) Bewertung dieser Einordnung Die Sondersituation auf den Kapitalmärkten wird von der Bundesnetzagentur nicht näher untersucht, sondern ihr Vorliegen nur pauschal unter Verweis auf eine nicht anzunehmende kurz- oder mittelfristige Veränderung abgelehnt.48 Hierdurch hätte selbst bei Annahme eines nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums in Beschwerde- (und Rechtsbeschwerde-) Instanz bereits eine Verfehlung des Begründungserfordernisses nach § 73 Abs. 1 S. 1 EnWG gesehen werden müssen;49 die rechtmäßige Ausübung eines Beurteilungs-, Abwägungs- oder Ermessensspielraums setzt stets sein Erkennen voraus.50 Der Umfang der Begründung der Behördenentscheidung zur maßgeblichen Frage ist sowohl Anhaltspunkt für das Erkennen des Beurteilungsspielraums als auch Maßstab der Rechtskontrolle.51 Darüber hinaus kann bezweifelt werden, dass die Frage der Datenbelastbarkeit einem Beurteilungsspielraum überhaupt zugänglich sein kann, siehe hierzu sogleich.
II. Keine zweite Tatsacheninstanz Der Bundesgerichtshof ist als Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des Beschwerdegerichts gebunden, § 88 Abs. 4 EnWG (entpricht §§ 577 Abs. 2 S. 4, 559 ZPO).52 Die Rechtsbeschwerde kann also nur auf eine Verletzung des Rechts gestützt werden, § 88 Abs. 2 EnWG i. V. m. §§ 546, 547 ZPO. Die Beurteilung, ob es sich um eine Tatsachenfrage oder eine Rechtsfrage handelt, ist für die Bewertung eines möglicherweise bestehenden Letztentscheidungsrechts der Regulierungsbehörde relevant. Denn obwohl der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Regulierungsermessen festgestellt hat, dass sich die Maßstäbe zur Überprüfung eines tatsachenbezogenen Beurteilungsspielraums oder eines rechtsfolgenseitigen Ermessensspielraums ohnehin eher verbal und weniger in 47
Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 28 f. Beschl. BK4 – 16 – 160, S. 32; so auch Burgi, RdE 2020, 105 (114). 49 Burgi, RdE 2020, 105 (114). 50 Vgl. zum planerischen Abwägen: Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 74 Rn. 57 ff.; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 209 ff. (Stand Februar 2019); zum Ermessensausfall BVerwGE 84, 375 (389); BVerwGE 79, 274 (281); BVerwGE 64, 7 (12); BVerwGE 15, 196 (199); Decker, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 114 Rn. 17 f. (Stand 1. 4. 2020). 51 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 60 f. (Stand Februar 2019); Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (19). 52 Dazu Lipp, in: MüKo ZPO, 2016, § 576 Rn. 3, § 577 Rn. 10. 48
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der Sache unterscheiden,53 gilt dies nicht für die Beurteilung, ob der Behörde bei der in Frage stehenden Entscheidung überhaupt ein Letztentscheidungsrecht zukommen kann. 1. Bestehen einer Beurteilungsermächtigung § 7 Abs. 4, Abs. 5 StromNEV/GasNEV enthalten als übergeordneten Begriff die „Angemessenheit“ des Eigenkapitalzinssatzes, also einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der ergänzt wird durch die nicht abschließende Vorgabe zu berücksichtigender Umstände bei seiner Ermittlung (§ 7 Abs. 5 Nr. 1 bis 3 StromNEV/GasNEV). Von Bedeutung ist auch der Kontext, in welchem der Begriff verwendet wird; er bestimmt das Maß der Determiniertheit der Vorsteuerung (und somit seiner gerichtlichen Nachprüfbarkeit) mit.54 Zwar ist schon fraglich, ob der unbestimmte Rechtsbegriff hier zu einem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum der Behörde führt. Denn nicht zwangsläufig beinhalten generellabstrakte Gesetzesbegriffe die Ermächtigung zur behördlichen Letztentscheidung.55 Soweit Hoheitsakte durch das Gesetz vollständig determiniert sind, sind sie auch einer vollständigen richterlichen Kontrolle zu unterziehen.56 Die Auslegung des Gesetzes dahingehend, ob der Behörde eine Letztentscheidungsermächtigung übertragen ist, orientiert sich neben der Auslegung des Gesetzestexts auch systematisch-teleologisch an der mit der Entscheidung betrauten Behörde.57 Die Bundesnetzagentur muss im Rahmen der Zinsfestlegung eine Prognoseentscheidung treffen, indem sie die Eigenkapitalzinssätze so festlegt, dass sie für die Dauer der zukünftigen Regulierungsperiode möglichst realistisch und genau die Investorenerwartung abbilden, um die Verwirklichung der gesetzlichen Ziele zu fördern. Diese Ausgestaltung der Methode hat planerischen Charakter und ist der Bundesnetzagentur durch Gesetz und Verordnung übertragen.58 Der Bundesgerichtshof leitet die identifizierte Letztentscheidungsermächtigung nicht aus dem Gesetz her, sondern scheint sie derart vorauszusetzen, dass sie keiner Begründung bedarf.59 Vorliegend ist die „Angemessenheit“ aber mithilfe der Ver53
BGH EnWZ 2014, 378 Rn. 26. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 183 (Stand Juli 2014). 55 BVerfGE 84, 34 (49 f.); für eine volle gerichtliche Kontrolle auch der unbestimmten Rechtsbegriffe Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 2018, § 40 Rn. 147 ff. 56 BVerfGE 94, 307 (309); 103, 142 (156); 118, 352 (357); 129, 1 (20). 57 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187 (Stand Juli 2014). 58 Dies legt bereits die Annahme einer Einschätzungsprärogative nahe Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 197a (Stand Juli 2014). 59 BGH RdE 2019, 456 Rn. 43: „Erst recht ist es nicht Aufgabe einer gerichtlichen Überprüfung, eine von der Regulierungsbehörde in Ausübung eines ihr zustehenden Spielraums gewählte Methode durch eine alternative Modellierung zu ergänzen oder zu ersetzen“, ohne 54
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wendung anerkannter Berechnungsmodelle zumindest insoweit vorgezeichnet und somit gerichtlich nachzuprüfen, als die korrekte Verwendung dieser Modelle unter Heranziehung geeigneter Datensätze den Maßstab bildet, auch wenn dieser Maßstab sich nicht direkt aus dem Gesetz ergibt. Dort erst endet die gerichtliche Kontrolle mit der materiell-rechtlichen Bindung der Exekutive.60 Ein gesetzlich nicht in allen Details vorgegebenes methodisches Vorgehen führt daher nicht automatisch zu einem nicht oder nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum der Regulierungsbehörde, sondern kann sich auch im Bereich der Energieregulierung nur aus einer konkreten gesetzlichen Ermächtigung hierzu ergeben.61 Diese Ermächtigung ergibt sich aus dem Gesamtkonzept und der ausdrücklichen Ermächtigung an die Behörde, das Regulierungsmodell zu entwickeln. Auch im Sinne einer richtlinienkonformen Auslegung der Verordnungen steht der Bundesnetzagentur jedenfalls ein primärer Entscheidungsspielraum zu. Dieses Regulierungsmodell ist zwar in weiten Teilen verordnungsrechtlich vorgegeben, nicht aber die Ermittlung des Wagniszuschlags. Diesbezüglich ist ein Beurteilungsspielraum der Behörde somit grundsätzlich angezeigt.62 2. Dogmatische Einordnung des Plausibilisierungserfordernisses Auch wenn der Bundesnetzagentur richtigerweise mangels gesetzlicher Vorgaben bei der Wahl einer geeigneten Methode eine Letztentscheidungsermächtigung zukommen kann, umfasst dieser Spielraum nicht die Letztentscheidung darüber, welche Parameter und Daten in die Berechnung einbezogen werden und welche nicht.63 Dies wäre ein Letztentscheidungsrecht in Bezug auf die Ermittlung des richtigen Sachverhalts. Lediglich falls mehrere gleich geeignete und die Lage jeweils vollständig abbildende Datensätze verfügbar sind, kann der Behörde auch bei der Auswahl des heranzuziehenden Datensatzes ein Beurteilungsspielraum zustehen.64 Die Belastbarkeit der dann verwendeten Daten ist Tatsachenfrage. Die Feststellung der Tatsachen, also hier die Belastbarkeit der Daten, ist von einem Letztentscheidungsrecht aber nicht umfasst, sondern nur die rechtliche Bewertung dieser Tatsachen im Einzelfall, also die Subsumtion.65 Diese umfasst z. B. die Datenauswahl diesen „Spielraum“ vorher hergeleitet oder begründet zu haben. Zwar verweist der BGH auf die Entscheidung Stadtwerke Konstanz GmbH, wo es auch um den Spielraum bei der Methodenwahl ging, allerdings im Zusammenhang mit dem Effizienzvergleich und nicht der Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes. 60 BVerfG NVwZ 2010, 435 Ls. 1, (437, 439 Rn. 54, 64). 61 Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 3 StromNEV Rn. 51 ff. (Stand Februar 2008). 62 So auch Burgi, RdE 2020, 105 (116). 63 So offenbar auch der BGH selbst: RdE 2019, 456 Rn. 41. 64 Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (22). 65 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184a (Stand Juli 2014).
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zwischen mehreren, gleich geeigneten Datensätzen oder das Nichtberücksichtigen von bestimmten Daten, weil diese bestimmte Anomalien abbilden. Diese müssen von der Behörde aber gesehen und bewertet werden, eine Abwägung kann nicht durch das Gericht nachgeholt werden. Die Schwierigkeit besteht folglich zunächst nicht in der Beantwortung der Frage ob ein Letztentscheidungsrecht besteht und wie weitgehend dieses möglicherweise ist, sondern in der exakten Verortung der verschiedenen Bestandteile des Rechtsanwendungsprozesses. Im Verfahren zur Festlegung der Eigenkapitalzinssätze hat die Bundesnetzagentur ein Modell gewählt und im Rahmen dieses Modells einen Datensatz verwendet, der durch die Abbildung historischer Daten über einen Zeitraum von über 100 Jahren die Annahme verkörpert, dass diese Daten Rückschlüsse auf zukünftig zu erwartende Entwicklungen zulassen. Diese Prognose in Zeiten von Marktanomalien wie Wirtschaftskrisen allein anhand einer historischen Datenquelle zu tätigen, birgt das Risiko ungenauer und verallgemeinernder Ergebnisse.66 Diese ungenauen Ergebnisse, die den zwingend zu berücksichtigenden Verhältnissen auf den nationalen und internationalen Kapitalmärkten und die Bewertung von Betreibern von Elektrizitätsversorgungsnetzen/Gasversorgungsnetzen auf diesen Märkten nach Vorgabe des § 7 Abs. 5 Nr. 1 StromNEV/GasNEV möglicherweise nicht ausreichend Rechnung tragen, können durch eine Plausibilisierung erkannt und korrigiert werden.67 Der für die jeweils kommenden fünf Jahre festzulegende Zinssatz soll zwar kurzfristige Anomalien aus zurückliegenden Zeiträumen möglichst „abflachen“, also nicht zu stark berücksichtigen; gleichzeitig muss er eine möglichst exakte Prognose für die nähere Zukunft abbilden. Dass die Bundesnetzagentur die seit 2008 auf den Finanzmärkten und im Euroraum bestehenden Marktanomalien insgesamt selbst nicht gewürdigt hat, ist keine ihrem „Entscheidungsspielraum“ unterstehende Wertung, sondern eine durch empirische Beobachtung anzustellende Frage der vollständigen Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen ihrer Entscheidung. Die mithilfe von Sachverständigen im Beschwerdeverfahren ermittelten Marktanomalien zum Zeitpunkt der Festlegung sind auf der Ebene der Ermittlung der Tatsachen und somit des Sachverhalts zu verorten.68 Die Sichtweise des Bundesgerichtshofs lässt zudem außer Acht, dass die Validierung oder Plausibilisierung von ermittelten Rechenergebnissen ein Gebot ökonomisch korrekter Verfahrensweisen darstellt.69 Als solches kann es keinem nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum zugeordnet werden, sondern ist Bestandteil der korrekten Anwendung der gewählten Methode, also ein der Methodenwahl nachgelagerter Vorgang.
66 67 68 69
Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (26, 28 f.), m. w. N. Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (30 f.). Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (22 f.). Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (20).
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3. Kontrollmaßstab bezüglich der Methodenwahl Der Spielraum bei der Methodenwahl bezieht sich auf die Würdigung der zuvor zutreffend ermittelten Tatsachen. Ordnet man diesen Spielraum mit guten Gründen als Beurteilungsspielraum ein, ist er mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts daraufhin überprüfbar, ob die Behörde den „Gehalt der anzuwendenden Begriffe (1.) und den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich bewegen kann, erkannt hat (2.), von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (3.), die allgemein gültigen Beurteilungsmaßstäbe und die Regeln des inneren Entscheidungsverfahrens beachtet hat (4.) und sich nicht von sachfremden – gegen das Willkürverbot aus Art. 3 I GG verstoßenden – Erwägungen hat leiten lassen (5.)“.70 Dieser Prüfungsmaßstab ist grundsätzlich für Letztentscheidungsrechte der Verwaltung anwendbar, unabhängig davon, ob man sie als Beurteilungsspielräume, Regulierungsermessen, Prognoseermächtigungen oder Einschätzungsprärogativen bezeichnen möchte. Diesen Maßstab hat der Bundesgerichtshof nicht angelegt. Letztentscheidungsbefugnisse der Behörden erstrecken sich nie auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, sondern auf die rechtliche Bewertung dieses Sachverhalts.71 Dieser Vorgang ist die Subsumtion. Richtigerweise ist dann die Heranziehung bestimmter Daten im Rahmen eines geeigneten ökonomischen Modells stets Tatfrage und nicht Rechtsfrage. Dagegen sind einzelne Fragen der Berechnungstechnik dann eine Rechtsfrage und möglicherweise der Letztentscheidung der Regulierungsbehörde unterstellt, wenn es mehrere, gleich geeignete Datensätze gibt, von denen keiner eindeutig überlegen ist. Dies muss die mit der Letztentscheidung betraute Behörde aber erkennen, erschöpfend ermitteln und begründen. Sondersituationen an den Kapitalmärkten sind aber empirisch nachweisbare, durch Beobachtung festzustellende Gegebenheiten. Vollständig durch das Gericht zu überprüfen ist somit stets, ob die Behörde die Ermächtigungsgrundlagen und alle ihre Tatbestandsmerkmale exakt erfasst, ihre Gestaltungskompetenzen erkannt und vollständig und zutreffend die entscheidungserheblichen Tatsachen ermittelt hat.72 Hätte die Bundesnetzagentur sich in ihrer Festlegung ausführlich mit der Sondersituation auf den Kapitalmärkten auseinandergesetzt und sie als eine solche identifiziert, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass die erzielten Ergebnisse mit Unsicherheiten behaftet sind und einer Plausibilisierung bedürfen; allein in der mangelnden Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre somit bereits die Rechtswidrigkeit der Festlegung begründet gewesen, da die Bundesnetzagentur einen vom Bundesgerichtshof offenbar angenommenen, nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum nicht rechtmäßig ausgeübt haben kann, wenn sie ihn nicht er70
BVerfG DVBl. 2010, 250 Rn. 60; dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 f. (Stand Juli 2014). 71 BVerfG DVBl. 2010, 250 Rn. 58, 59. 72 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187a (Stand Juli 2014).
A. BGH: „Eigenkapitalzinssatz II“
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kannt hat. Richtigerweise hätte der Bundesgerichtshof die Entscheidung, ob bestimmte Tatsachen in die Subsumtion mit einbezogen wurden, nicht als eine dem nur begrenzt überprüfbaren Entscheidungsspielraum überlassene Frage ansehen dürfen, die die Behörde in eigener Würdigung beantworten darf.73 4. Widersprüche in der Argumentation des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof sieht auch selbst das Erfordernis einer tatrichterlichen Überprüfung von rechtlichen Schlussfolgerungen, die die Behörde aus den zunächst festgestellten, tatsächlichen Gegebenheiten zieht, da diese so eng mit der Feststellung der maßgeblichen Tatsachen verbunden sind, dass sie ebenfalls diesem Teil der richterlichen Würdigung unterworfen werden müssten.74 Dies mutet an wie ein Regulierungsermessen contrarium. Nicht eine Ausdehnung des behördlichen Freiraums wird durch eine enge Verbindung der anzustellenden rechtlichen mit der tatsächlichen Würdigung der Behörde geschlussfolgert, wie es beim Regulierungsermessen des Bundesverwaltungsgerichts noch der Fall war, sondern diese Verbindung erreicht eine Ausdehnung der tatrichterlichen Überprüfung. Diese Erkenntnis wäre erstaunlich, würde der Bundesgerichtshof nicht nachfolgend andere Maßstäbe an die Überprüfung anlegen, als er zuvor postuliert. Das Gericht erkennt den engen Zusammenhang zwischen den getätigten Tatsachenfeststellungen und den hieraus abzuleitenden rechtlichen Schlussfolgerungen,75 was die Subsumtion meint. Sodann erstreckt es aber den „Spielraum“ der Behörde auf die abschließende Feststellung der Geeignetheit der gewählten Methode, also darauf, den auf der Tatsachenebene zu verortenden Umständen Rechnung zu tragen.76 Die Anerkennung eines Regulierungsermessens in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat zu der Fehlvorstellung geführt, dass eine genaue Zuordnung von behördlichen Entscheidungsspielräumen zu einer dieser Kontrollebenen ohnehin entbehrlich sei, unterschieden diese sich doch eher verbal und weniger in der Sache.77 Die Folge dieser Annahme demonstriert der dargestellte Beschluss: Zwar behauptet der Bundesgerichtshof dort nicht, dass die streitentscheidende „Wertung“ der Bundesnetzagentur keiner Zuordnung bedürfe, da dies für den Fall unerheblich sei. So nennt der Senat die Entscheidungsspielräume der Bundesnetzagentur in Bezug auf den Wagniszuschlag schlicht „Spielräume“ und scheint die Zuordnung für entbehrlich zu halten.78 Er unterlässt bereits den Versuch einer Zuordnung. Das Ergebnis ist eine verfassungsrechtlich mindestens fragwürdige Ausweitung des behördlichen Spielraums auf Elemente des Tatbestands. 73 74 75 76 77 78
So auch Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (32). BGH RdE 2019, 456 Rn. 38. BGH RdE 2019, 456 Rn. 38. BGH RdE 2019, 456 Rn. 48 ff. BGH EnWZ 2014, 378 Rn. 26. BGH EnWZ 2020, 222 Rn. 34, 38.
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
III. Würdigung Die Bundesnetzagentur ist gemäß ihrem aktuellem Regulierungsauftrag damit beauftragt, dem §§ 21 und 21a EnWG entsprechende, dem generellen Marktmachtmissbrauchsverbot aus Art. 102 AEUV und § 19 GWB gerecht werdende Entgelte zu bilden, die zugleich eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals gewährleisten.79 Der der Behörde hierbei insgesamt eingeräumte „Entscheidungsspielraum“ des Bundesgerichtshofs ist weder als klassischer Ermessens-, noch als Beurteilungsspielraum einzustufen. 1. Keine passende Kategorie für die vorliegenden Entscheidungsspielräume Der im Rahmen der Eigenkapitalverzinsung zu ermittelnde Wagniszuschlag nach § 7 Abs. 4, Abs. 5 StromNEV/GasNEV soll gewährleisten, dass Kapitalgeber eine Rendite erzielen können, die sie im Vergleich zu den sonst auf den Kapitalmärkten zu erwirtschaftenden Renditen nicht dazu veranlasst, ihr Kapital abzuziehen und anders zu investieren.80 Dies ist unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit nötig, um eine ausreichende Versorgung der Netzbetreiber mit Kapital zu sichern. Es handelt sich also um eine unmittelbar der Verwirklichung der gesetzlichen Zielvorgaben des § 1 Abs. 1 und 2 EnWG dienende Vorschrift. Die fehlende Vorgabe einer Methode in Gesetz und Verordnung führt richtigerweise dazu, dass der Behörde bei der Modellund Methodenwahl zur Ausfüllung eines wissenschaftlichen Modells bei der Bestimmung der Marktrisikoprämie ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wird, der gerichtlich nur daraufhin überprüfbar ist, ob die Behörde einen methodischen Ansatz gewählt hat, der „von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm im Rahmen des zugrunde gelegten Modells zukommt, oder ob ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände so deutlich überlegen ist, dass die Auswahl einer anderen Methode nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann“.81 Die Komplexität und Offenheit dieser verordnungsrechtlichen Vorgaben hat richtigerweise zur Konsequenz, dass eine Zuordnung zu den klassischen Kategorien behördlicher Letztentscheidungsrechte schwer fällt. Das Regulierungsermessen, auch wenn es vorliegend nicht ausdrücklich so genannt wurde, ist als Lösung dieses Problems aber ungeeignet. 2. Kein „Ermessen“ bezüglich der Parameter- und Datenwahl Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die Möglichkeit zur Ergebnisplausibilisierung in den „Entscheidungsspielraum“ der Behörde zu stellen, kann entweder bedeuten, dass er der Bundesnetzagentur einen Beurteilungsspielraum bei der Er79 80 81
Zu den Maßstäben der Entgeltbildung siehe Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (4 f.). Burgi, RdE 2020, 105 (106); Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (5 f.). BGH RdE 2019, 456 Rn. 37.
A. BGH: „Eigenkapitalzinssatz II“
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mittlung des Sachverhalts zuspricht, was dogmatisch-verfassungsrechtlich nicht zu begründen wäre.82 Die Sachverhaltsermittlung ist immer und vollständig vom Tatrichter überprüfbar.83 Die Ermittlung und Verwendung von vollständigen und richtigen Daten zum Erreichen des gesetzlichen Zwecks steht nicht im Beurteilungsspielraum der Behörde, sondern gehört zu den Tatsachenfragen, die im Zweifel dem Beweis zugänglich und durch Sachverständige zu ermitteln sind. Auch wenn es sich bei den von der Regulierungsbehörde anzuwendenden Modellen nicht um „Gesetzesbegriffe“ im engeren Sinne handelt, so werden sie doch durch ihre Bezugnahme in einem Regulierungsverfahren zu gesetzlichen Begriffen und müssen entsprechend behandelt werden. Wenn die Behörde, wie vorliegend, ohne weitere Begründung und Prüfung innerhalb eines (anerkannten) Berechnungsmodells nur einen Datensatz heranzieht, ohne den gesetzlichen Vorgaben zur Berücksichtigung der aktuellen Lage auf den Finanzmärkten ausreichend Rechnung zu tragen, hat sie, wie dargelegt, nicht hinreichend die maßgeblichen Tatsachen ermittelt.84 Gerade wenn die Behördenentscheidung wie hier eine Kürzung von Grundrechtspositionen zur Folge hat,85 müssen die gefundenen Ergebnisse abgesichert werden, dies entspricht juristischer Rationalität. Ein solches Erfordernis, ökonomische Rechenmodelle in einer den dort geltenden Standards entsprechenden Weise anzuwenden, betrifft die Tatsachenebene und ist keine Rechtsfrage.86 Der Bundesgerichtshof hätte erkennen können, dass das „Ob“ der Durchführung einer Plausibilisierung kein möglicherweise unter ein Letztentscheidungsrecht fallender Aspekt der Rechtsanwendung ist, sondern dass dies ein Bestandteil des zu ermittelnden Sachverhalts ist. Denn die Plausibilisierung war erforderlich, weil eine Tatsache auf den Kapitalmärkten dazu führte, dass die anhand der zulässigen und anerkannten Methode ermittelten Ergebnisse möglicherweise ungenau waren und das gefundene Ergebnis deshalb hätte überprüft werden müssen. Im Verkennen dieser Tatsache liegt eine unvollständige Ermittlung des Sachverhalts. 3. Ungeeignetheit des „Regulierungsermessens“ Das Regulierungsermessen, das in einzelnen Aspekten einem Beurteilungsspielraum und in anderen einem Ermessen gleichkommen soll, hat im Energiewirtschaftsrecht dazu geführt, dass behördliche Entscheidungen deshalb als rechtmäßig befunden werden können, weil die ihnen zugesprochene Letztentscheidungsermächtigung auf Bereiche des Tatbestandes ausgedehnt werden, die richtigerweise einer „Beurteilung“ durch die Behörde in diesen Fällen nicht unterliegen können. Eine Auseinandersetzung mit grundrechtlichen Implikationen der Aner82
So auch Mohr, N&R, Beilage 1/2020, 1 (17). Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 187a (Stand Juli 2014). 84 Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (22). 85 Burgi, RdE 2020, 105 (113). 86 Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (33). 83
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
kennung dieses ausgedehnten und unreflektierten behördlichen Letztentscheidungsrechts unterbleibt in den Entscheidungen oft sowohl im Hinblick auf Art. 12 GG und 14 GG, als auch allgemein im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG.87 Wenn der Bundesgerichtshof die Heranziehung bestimmter Tatsachen als vom „Entscheidungsspielraum“ der Bundesnetzagentur umfasst und deshalb deren Entscheidung als rechtmäßig ansieht, offenbart sich hieran das wohl größte Problem des Regulierungsermessens: Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Tatsachenfragen und Rechtsfragen aus dem vermeintlichen Gebot der Entscheidungsrationalität heraus macht effektive und rationale gerichtliche Kontrolle komplexer Behördenentscheidungen unmöglich. Die freie „Würdigung“ von Tatsachen durch die Administrative ist kein neues dogmatisches Konzept und kein „Regulierungsermessen“, sondern eine rechtstaatswidrige Kompetenzausdehnung.
B. Monistisches Konzept der Entscheidungsspielräume Keine der Normen des Energiewirtschaftsrechts, für welche ein erweiterter behördlicher „Entscheidungsspielraum“ anerkannt wurde, enthält ersichtlich – wie es überhaupt selten der Fall ist – einen Beurteilungsspielraum, sodass er nur mithilfe methodengerechter Auslegung ermittelt werden kann.88 Ein möglicher Grund für die Aussage des Bundesgerichtshofs, es sei unerheblich, genau zwischen der Verortung von Entscheidungsspielräumen auf der Tatbestands- oder der Rechtsfolgenseite zu trennen, da diese beiden sich ohnehin nur verbal unterschieden,89 ist die Unmöglichkeit einer Zuordnung.90 Normen, die die Behörde zur Letztentscheidung ermächtigen und einen finalen statt einen konditionalen Charakter aufweisen, werden der Kategorie des Planungsermessens zumindest nahegerückt und als eigene Kategorie von Beurteilungsermächtigungen anerkannt. Auch wenn richtigerweise angemerkt wird, dass allen Ermessensnormen eine am Gesetzeszweck orientierte Verwirklichung eines nicht abschließenden Konditionalprogramms zu eigen ist,91 kann der Grad der überhaupt möglichen Gesetzesbindung stark variieren. Aus der Methodenoffenheit regulierungsrechtlicher Normgebung können zunächst Entscheidungsspielräume für die Behörde folgen.92 Nachfolgend soll veranschaulichend am Beispiel des Effizienzvergleichs gezeigt werden, wie die Entscheidungsspielräume der Behörden ermittelt werden und warum diese als monistische Entschei87 Zu diesem schon in den BGH-Beschlüssen „Stadtwerke Konstanz GmbH“ und „Stromnetz Berlin GmbH“ vorliegenden Mangel: Burgi, RdE 2020, 105 (110). 88 Grüneberg, RdE 2016, 49 (49). 89 BGH EnWZ 2014, 378 Rn. 26. 90 A. A. wohl Burgi, RdE 2020, 105 (107), wenn er das Fortbestehen der Zuordnung zu bereits anerkannten Kategorien fordert. 91 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 164. 92 Meinzenbach, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. I, § 21a EnWG Rn. 184.
B. Monistisches Konzept der Entscheidungsspielräume
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dungskonzepte angesehen werden können. Wie darauf im Sinne effektiven Rechtsschutzes reagiert werden kann, soll abschließend ebenfalls diskutiert werden.
I. § 19 ARegV In § 19 Abs. 1 Satz 1 ARegV heißt es „Auf die Erlösobergrenzen können Zu- oder Abschläge vorgenommen werden, wenn Netzbetreiber hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit oder der Netzleistungsfähigkeit von Kennzahlenvorgaben abweichen (Qualitätselement).“ Und Abs. 2 lautet: „Über den Beginn der Anwendung des Qualitätselements […] entscheidet die Regulierungsbehörde. Er soll bereits zur oder im Laufe der ersten Regulierungsperiode erfolgen, soweit der Regulierungsbehörde belastbare Datenreihen vorliegen. Abweichend von S. 1 kann der Beginn […] im Laufe der zweiten oder zu Beginn oder im Laufe einer späteren Regulierungsperiode erfolgen […]“.93 Der Wortlaut der Norm spricht eindeutig für einen Entscheidungsspielraum der Behörde, der allerdings vor allem in Abs. 1 Satz 1 wie ein Entschließungsermessen klingt, wenn die Behörde auch bei einem Abweichen der Kennzahlenvorgaben Zuoder Abschläge vornehmen kann und nicht muss. Diese Änderung wurde im Zuge der ARegV-Reform im Jahr 2016 eingeführt und räumt laut Gesetzesbegründung der Regulierungsbehörde nun einen Ermessensspielraum ein, ob für den Bereich „Gas“ ein Qualitätselement eingeführt wird.94 Für den Bereich „Strom“ besteht allerdings kein Ermessen über das „Ob“ der Einführung des Qualitätselements.95 Insgesamt wurde in der Literatur diskutiert, ob die Einführung des Qualitätselements durch die Bundesnetzagentur lediglich für den Bereich Strom und hier nur der Nieder- und Mittelspannung mit den gesetzlichen Vorgaben aus § 21a Abs. 5 Satz 1 EnWG vereinbar ist.96 Zu Beginn der Anreizregulierung war allerdings noch keine ausreichende Datengrundlage vorhanden, was auch nach dem OLG Düsseldorf gegen die Verpflichtung der Bundesnetzagentur spricht, das Qualitätselement festzusetzen.97 1. Entscheidungsspielraum bezüglich der Bewertungskriterien § 21a Abs. 5 Satz 2 EnWG gibt vor, dass die Grundlage einer Bewertung Netzzuverlässigkeit und Netzleistungsfähigkeit sein soll, bei der auch Strukturunter-
93
Hervorhebungen durch die Verfasserin hinzugefügt. Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 19 ARegV Rn. 4 (Stand September 2018). 95 Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 19 ARegV Rn. 25 ff. (Stand September 2018). 96 Meinzenbach, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. I, § 21a EnWG Rn. 150, m. w. N. 97 OLG Düsseldorf, RdE 2016, 315 Rn. 50. 94
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
schiede zu berücksichtigen sind. Details sind der ARegV überlassen.98 Die beiden Kriterien, § 19 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ARegV, sind abschließend, die Regulierungsbehörde darf keine weiteren Bewertungskriterien heranziehen.99 So liegt auch durch die gesetzliche Definition der Schlüsselbegriffe wie „Netzzuverlässigkeit“ und „Netzleistungsfähigkeit“ nach der gängigen Dogmatik die Annahme eines klassischen Beurteilungsspielraums eher fern. 2. Entscheidungsspielraum bezüglich der Vergleichsparameter innerhalb der Bewertungskriterien Hinsichtlich der Frage aber, welche Parameter und Methoden die Regulierungsbehörde für die Bestimmung des Qualitätselements nach § 19 Abs. 2 ARegV i. V. m. § 20 ARegV heranzieht, steht ihr ein Entscheidungsspielraum zu, welcher jedoch nicht die Frage umfasst, ob diese Datenbasis hinreichend belastbar im Sinne der Verordnung ist.100 Die Parameter- und Methodenwahl ist die erste Stufe des Verfahrens zur Bestimmung des Qualitätselements.101 Hier ist fraglich, ob dieser Entscheidungsspielraum eher einem Beurteilungsspielraum oder einem Ermessensspielraum entspricht. Die Entscheidung über die Erhebung von Daten steht gem. § 21a Abs. 6 Satz 2 Nr. 10 EnWG und § 27 ARegV der Regulierungsbehörde zu. Die Daten müssen erhoben und plausibilisiert werden.102 Diese Datenerhebung ist folglich der Tatsachenermittlung zuzuordnen: „Die Regulierungsbehörde ermittelt die zur Bestimmung der Erlösobergrenzen nach Teil 2 und 3 notwendigen Tatsachen“, § 27 Abs. 1 Satz 1 ARegV. Dies spiegelt auch den Untersuchungsgrundsatz der Behörde wider, § 24 VwVfG bzw. § 68 Abs. 1 EnWG.103 Die zu ermittelnden Daten bilden die Grundlage („Hierzu erhebt sie bei den Netzbetreibern die notwendigen Daten…“, § 27 Abs. 1 Satz 2) für die dann zu tätigende Festlegung des Qualitätselements, also die verbindliche Rechtsfolge. Dass hinsichtlich der „Notwendigkeit“ der zu erhebenden Tatsachen ein Letztentscheidungsrecht besteht, ist also anzunehmen.
98
Grüneberg, RdE 2016, 49 (51). Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 19 ARegV Rn. 17b (Stand September 2018). 100 Hilpert, in: Säcker, Energierecht, 2019, Bd. III, § 19 ARegV Rn. 20. 101 Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 19 ARegV Rn. 5 ff. (Stand September 2018). 102 Albrecht/Herrmann, in: Kment, EnWG, 2019, § 21a Rn. 135; zur Bedeutung der Plausibilisierung siehe auch unter D. III. 2. c). 103 Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 27 ARegV Rn. 7 (Stand Dezember 2018). 99
B. Monistisches Konzept der Entscheidungsspielräume
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3. Tatsachen- oder Rechtsfrage Hierdurch entsteht die typische Verbindung von Entscheidungsspielräumen auf tatbestandlicher und auf rechtsfolgenseitiger Ebene, wobei ein genaueres Hinsehen offenbart, dass es sich weder um klassischen Beurteilungsspielraum noch klassischen Ermessensspielraum handelt. Vielmehr wirken diese Entscheidungsebenen ineinander und sind anhand der gängigen Dogmatik nur schwer abzugrenzen. Denn welche Daten zu erheben sind, legt § 27 ARegV nicht fest, sondern nur, zu welchem Zweck sie zu erheben sind. Die Regulierungsbehörde kann hierbei auch Daten erheben, die dem nichtregulierten Bereich unterfallen, wie zum Beispiel Personalkosten bei der Ermittlung des Kapitalkostenabzugs nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ARegV.104 Eindeutig festgelegt sind die einzelnen Daten, welche im Ergebnis den Kapitalkostenabzug oder andere, in § 27 ARegV aufgezählte Faktoren oder Werte determinieren, nicht. Dass die Regulierungsbehörde hier aber über einen irgendwie gearteten Entscheidungsspielraum verfügen muss, zeigt auch die Ablehnung des OLG Düsseldorf von Ansprüchen der Netzbetreiber gegen die Regulierungsbehörde auf die Durchführung einer Datenerhebung.105 Die Regulierungsbehörde hat innerhalb der gewählten Methode alle Parameter zu berücksichtigen, die einer ordnungsgemäßen und vollständigen Ermittlung des Sachverhalts entsprechen. Die Methodenausfüllung ist also nicht von einem möglichen nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum umfasst. Dennoch gesteht der Bundesgerichtshof der Bundesnetzagentur hier eine „Einschätzungsprärogative“ zu.106 Da die Vergleichsparameter nicht mehr abschließend in § 13 Abs. 3 ARegV aufgeführt sind, soll die Bundesnetzagentur diese nun selbst ermitteln; auch hier geht es um die oben diskutierte Frage, wie die Einbeziehung bestimmter Parameter zu bewerten ist und wo der Regulierungsbehörde ein Letztentscheidungsrecht zustehen kann und wo nicht. Die Plausibilität von Daten, also die Belastbarkeit im Sinne einer Abbildung wahrer Tatsachen, kann nie der „Würdigung“ der Regulierungsbehörde und damit einer nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterstellt sein. Welche Datensätze von verschieden, gleich geeigneten die Behörde verwendet, ist ihr überlassen, wobei diese Geeignetheit durch das Tatgericht überprüfbar ist.
II. Kategorisierungsfeindlichkeit der Entscheidungsspielräume Es erscheint folgerichtig, der Regulierungsbehörde in den aufgezeigten Fällen primäre Entscheidungsspielräume zuzubilligen, da sich nicht alle in die Regulierungsentscheidung einzustellenden Belange unmittelbar aus dem Gesetz ergeben können. Dies ist bei den auf Methoden- und Datenwahl konzentrierten Entscheidungen aber selten eindeutig Tat- oder Rechtsfrage. Schon insgesamt ist etwa der 104 105 106
So jedenfalls OLG Stuttgart, Beschl. v. 26. 4. 2012, 202 EnWG 10/11. Beschl. v. 5. 11. 2014, VI-3 Kart 90/13, EnWZ 2015, 37. BGH ZNER 2012, 601 Rn. 38 ff.
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Effizienzvergleich durch EnWG und ARegV notwendigerweise mit „erheblichen Spielräumen“ für die Regulierungsbehörde ausgestaltet,107 welche nicht pauschal angenommen werden können, sondern in jedem zu beurteilenden Fall hergeleitet und begründet werden müssen.108 Die wenig differenzierte Annahme dieser Entscheidungsspielräume ist trotz deren Kategorisierungsfeindlichkeit für die Rechtssicherheit schädlich. 1. Normative Ermächtigung, hinreichend gewichtiger Sachgrund oder Funktionsgrenzen der Rechtsprechung Über die Voraussetzungen der Einräumung eines tatbestandsseitigen Beurteilungs- oder Prognosespielraums besteht im Energieregulierungsrecht schon grundsätzlich keine Einigkeit. Die normative Ermächtigungslehre, ein hinreichend gewichtiger Sachgrund109 oder die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung:110 Es gibt viele hier einschlägige Begründungsansätze für eine administrative Letztentscheidungsermächtigung. a) Normative Ermächtigung Nach der normativen Ermächtigungslehre111 käme ein erweiterter Entscheidungsspielraum der Behörde im aufgezeigten Fall allenfalls insoweit in Betracht, als eine ausdrückliche Regelung wichtiger Aspekte der Entgeltregulierung im Gesetz unterbleibt. Vorliegend gibt das Gesetz das Entscheidungsprogramm nicht in allen Details vor; die Bundesnetzagentur soll ausdrücklich die Methode etwa für das Anreizregulierungsmodell entwickeln. Diese Ermächtigung zur Modellentwicklung kann aber nicht als Letztentscheidungsermächtigung gesehen werden, vielmehr dient sie der Abgrenzung zum Gesetzgeber und beinhaltet nicht zwingend eine Ermächtigung zur Letztentscheidung, sondern erstmal nur eine Ermächtigung zur Entscheidung.
107
Grüneberg, RdE 2016, 49 (50). Zu weitgehend wäre es daher, das nur auf die Einhaltung der gültigen Verfahrensbestimmungen und die vollständige und zutreffende Ermittlung des Sachverhalts zu überprüfende Regulierungsermessen schon dann anzunehmen, wenn die Norm einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält und im Katalog von § 32 ARegVerfasst ist; so aber Missling, IR 2016, 251 (252); auch unter dem Festlegungsregime des § 29 EnWG selbst existiert richtigerweise keine Gestaltungsermächtigung und kein genereller Beurteilungsspielraum, vgl. dazu SchmidtPreuß, in: Säcker, EnWG, 2019, Bd. I, § 29 Rn. 68. 109 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 184 (Stand Juli 2014). 110 Boos, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. I, § 83 EnWG Rn. 16 (Stand März 2017). 111 Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorbemerkung § 113 Rn. 22 (Stand Juni 2017); siehe auch Kap. 3 B. 108
B. Monistisches Konzept der Entscheidungsspielräume
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Richtigerweise wären diskretionäre Entscheidungsspielräume im Bereich der Energieregulierung mit der normativen Ermächtigungslehre allein nur schwer zu rechtfertigen.112 b) Funktionsgrenzen der Rechtsprechung, Prognoseentscheidung Für eine Kontrollreduktion kann aber argumentiert werden, dass eine volle Überprüfung der Regulierungsentscheidung die Gerichte an ihre Funktionsgrenzen bringen würde.113 Je gewichtiger der Grundrechtseingriff, umso enger sind die Grenzen einer möglichen Letztentscheidungsermächtigung auch hiernach zu ziehen.114 Allein die fehlende Möglichkeit einer eindeutigen Einordnung der Entscheidung als „richtig“ oder „falsch“ ist kein Grund zur Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle, vielmehr muss vor allem dann die Behördenentscheidung so umfassend wie möglich nachvollzogen werden.115 Es fehlt jedenfalls nicht an einer Reproduzierbarkeit der tatsächlichen Grundlagen der Behördenentscheidungen. Rechtfertigend kann aber zudem die Einstufung der Entscheidung als eine Prognoseentscheidung wirken. c) Hinreichend gewichtiger Sachgrund: Neuartigkeit der Spielräume Anders als es die lange Ontogenese einer dichotomen Idee diskretionären Verwaltungshandelns suggeriert, hält die entwickelte Dogmatik nicht für jede neue Ausprägung des Rechtssystems das passende Werkzeug bereit.116 Die anzuwendenden Normen im Energieregulierungsrecht sind selten klassische Koppelungsvorschriften oder beinhalten nach herkömmlicher Dogmatik einen als Beurteilungsoder Ermessensspielraum zu bezeichnenden Entscheidungsspielraum. Sie sind finalprogrammierte Normen, die zur Zielverwirklichung teilweise Methoden oder Verfahren vorgeben, deren Konkretisierung aber der Regulierungsbehörde anvertraut ist. Teilweise sind die anzuwendenden Maßstäbe innerhalb der entwickelten Methode als außerrechtliche Vorgaben verrechtlicht, sodass sie automatisch zu einem Bestandteil der Rechtmäßigkeitsprüfung einer Behördenentscheidung werden.117 So liegt es hier aber nicht; die Behörden entwickeln die Methode und bestimmen in112
Ludwigs, RdE 2013, 297 (304). BVerfGE 129, 1 (23); hier hat das BVerfG offengelassen, ob die Funktionsgrenze der Rechtsprechung eine normative Ermächtigung im Gesetz zu ersetzen vermag: BVerfG NVwZ 2012, 694 (696). 114 BVerfGE 42, 143 (147), hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 180a (Stand Juli 2014). 115 Enders, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Art. 19 Rn. 74 (Stand 15. 5. 2020). 116 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rn. 186 (Stand Juli 2014). 117 Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 2020, § 71 GWB Rn. 37; ähnl. Ludwigs, RdE 2013, 297 (300). 113
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nerhalb ihrer Anwendung die einzubeziehenden Datensätze selbst; sie haben im Zweifel die Hilfe von Sachverständigen einzuholen, um die Einhaltung der sachgerechten Anwendung dieser außerrechtlichen Methoden zu gewährleisten.118 Allerdings sind der Aufklärung mithilfe von Sachverständigen selbstverständlich Grenzen gesetzt, wie auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.119 2. Grenzen behördlicher Entscheidungsfreiheit: Das Gesetz Die klassische Begrenzung behördlicher Entscheidungsspielräume ist der Gesetzestext,120 die anzuwendenden Normen im Energiewirtschaftsrecht geben aber eine solche Begrenzung selbst oft nicht her; sie wird erst durch die Ermittlung außerrechtlicher Maßstäbe und Bezüge hergestellt. Die Maßstabsbildung der gerichtlichen Kontrolle erfolgt somit durch die Methodenwahl und zu einem Stück weit durch die Behörde selbst. Hierin liegt ein Problem, denn keine Regel kann ihre eigene Anwendung regeln.121 Mit diesem Problem umzugehen, ist der Neuigkeitsgehalt des als Regulierungsermessen verstandenen erweiterten behördlichen Entscheidungsspielraums in der Netzregulierung122 und gibt Anlass für eine genauere Kontrolle durch das Gericht, nicht für eine abgeschwächte. Dass die äußere und innere Ausgestaltung der Normstrukturen etwa bei § 21 Abs. 2 EnWG i. V. m. §§ 7 Abs. 4, Abs. 5 StromNEV/GasNEV auf ein Letztentscheidungsrecht der Behörden hindeutet, ist im Ergebnis richtig. In der Konsequenz aber das gerichtliche Prüfprogramm gleichzuschalten, ist nicht der richtige Ansatz. Wenn der Behörde allein auf Ebene der Methodenwahl ein Entscheidungsspielraum eingeräumt ist, ist das Rechtsfertigungsbedürfnis kleiner und gleichzeitig das Prüfprogramm gegenstandsbezogen statt generalisierend. Dieser Entscheidungsspielraum betrifft aber nicht Tatsachen, sondern die Subsumtion, also die rechtliche Einordnung der Tatsachen unter die gesetzlichen Anforderungen. Bei ersterer verbleibt es bei einer umfassenden Kontrolle. 118 Dass die Regulierungsbehörde nicht zwingend die von Sachverständigen eingebrachten Einwände berücksichtigt, sei an dieser Stelle dahingestellt, vgl. etwa die Sachverständigeneinschätzung zur Höhe des Zinssatzes im EK-Zinsverfahren II vor dem OLG Düsseldorf: RdE 2018, 264 Rn. 141. 119 BVerfGE 85, 36 (58) = NVwZ 1992, 361 (362): „Eine erschöpfende Nachprüfung aller nur denkbaren Einwände und Kritikpunkte wäre im Prozeß nicht einmal mit der Hilfe mehrerer Sachverständigen erreichbar. Die Formulierung von Beweisfragen setzt bereits Zweifel oder Bedenken voraus, die ihrerseits Vorkenntnisse erfordern. Insofern ist dem BVerwG darin zuzustimmen, daß die Forderung einer lückenlosen Kontrolle unerfüllbar wäre. Verfassungsrechtlich geboten ist jedoch, daß die Verwaltungsgerichte von ihrem Erkenntnis- und Erfahrungsstand ausgehend die gegebenen Begründungen nachvollziehen, Streitpunkten entsprechend dem Stande der Rechtsprechung und öffentlichen Diskussion nachgehen sowie die Einwände der Prozessbeteiligten würdigen.“ 120 Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 165. 121 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 244. 122 Ähnlich Franzius, DVBl. 2009, 409 (414).
B. Monistisches Konzept der Entscheidungsspielräume
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3. Keine Aufhebung der Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge Auch wenn die Regel der scharfen Trennung von „Beurteilungs-“ und „echtem“ Ermessen123 als erodiert angesehen werden kann, dient diese Trennung richtigerweise als Schablone für eine dogmatische Rekonstruktion von Entscheidungsspielräumen.124 Der Bundesgerichtshof scheint aus dieser Bezugnahme auf eine Vielzahl ökonomisch-komplexer Sachverhaltsermittlungsmethoden zu schlussfolgern, dass sich die Unterscheidung des Kontrollmaßstabs zwischen Spielräumen auf Tatbestandseben und solchen auf Rechtsfolgenebene nicht anbietet und unterzieht konsequent die gesamte Behördenentscheidung einer einheitlichen und abgeschwächten Überprüfung.125 a) Folgen der Nichtbeachtung des Rationalitätsgebots Mitunter sind die der Behörde verordnungsrechtlich vorgegebenen Kriterien abschließend,126 teilweise sind sie „insbesondere“ zu berücksichtigen.127 Das „Regulierungsermessen“ steht der Regulierungsbehörde laut Bundesgerichtshof128 unter anderem bei der Bestimmung des Qualitätselements zu, siehe oben. Gerichtlich soll die Entscheidung dann nur auf die korrekte Ausübung des Beurteilungsspielraums und zusätzlich des Regulierungsermessens überprüft werden. In einer Festlegung der Bundesnetzagentur zum Qualitätselement ging es um die Berücksichtigung des Strukturparameters „Lastdichte“ im Rahmen gebietsstruktureller Unterschiede nach § 21 Abs. 5 Satz 2 EnWG und § 20 Abs. 2 Satz 2, 3 ARegV. Die Bundesnetzagentur ging entgegen der Empfehlung von Sachverständigen davon aus, dass auch in Niederspannung die Lastdichte als Strukturparameter heranzuziehen sei. Die Bundesnetzagentur „deutete“ die Ergebnisse rein statistisch, der Sachverständige – und mit ihm das OLG – „deutete“ sie richtigerweise anhand eines ingenieurswissenschaftlichen Ansatzes.129 Es ging dort also um die korrekte Methodenausfüllung, die „nachvollziehbare Deutung“ der empirisch darstellbaren Ergebnisse der Tatsachenermittlung.130 Hierbei sah der Sachverständige mit dem OLG, 123
Jesch, AöR 82 (1957), 163 (164 f.). Franzius, DVBl. 2009, 409 (414). 125 Was selbst als Rechtfertigungsgrund für die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle dient: BVerfGE 84, 34 (50) = NJW 1991, 2005 (2006); BVerfGE 83, 130 (148) = NJW 1991, 2010; BVerfGE 61, 82 (114) = NJW 1982, 2173; BVerfGE 54, 173 (197) = NJW 1980, 2693. 126 So in § 19 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 ARegV: „Netzzuverlässigkeit und Netzleistungsfähigkeit“ – die Behörde darf nicht etwa Kriterien der Servicequalität des Netzbetreibers berücksichtigen, Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 19 ARegV Rn. 17b (Stand September 2018). 127 Etwa in § 20 Abs. 1 S. 1 ARegV: Hummel, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Bd. II, § 20 ARegV Rn. 4 (Stand September 2018). 128 BGH ZNER 2014, 469 – Stromnetz Berlin GmbH. 129 OLG Düsseldorf RdE 2016, 315 Rn. 95. 130 OLG Düsseldorf RdE 2016, 315 Rn. 93 f. 124
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
dass eine Plausibilisierung gezeigt hatte, dass die ermittelten Werte insgesamt außerhalb des Erwartbaren liegen, was weder ein schlüssiges Bild ergebe, noch eine belastbare Begründung für die Anwendung dieses Merkmals sein könne.131 Es ging also um die Belastbarkeit von Daten, die im Rahmen der Methodenausfüllung entweder zu berücksichtigen waren oder – bei mangelnder Belastbarkeit – eben nicht. Die Belastbarkeit der Daten im Rahmen der Methodenanwendung ist als Tatsache stets voll gerichtlich zu überprüfen. Die Ausübung des „Regulierungsermessens“ kann im Rahmen der Methodenausfüllung, also der Berücksichtigung dem Beweis zugänglicher Tatsachen, nicht beschränkt überprüfbar sein. Wenn es allein um das Erkenntnispotential der Behörde geht, so kann bei primärer Entscheidungszuweisung an die Behörde nicht davon ausgegangen werden, dass allein ihre Erkenntnis zugrunde zu legen ist, wenn die erst zur Erkenntnis führenden Datensätze nicht unzweifelhaft die einzigen sind, die zu einer richtigen Entscheidung führen können. b) Kein einheitlicher Kontrollmaßstab komplexer Regulierungsentscheidungen Der Beschluss „EK-Zins II“ zeigt, dass die Angleichung der Kontrollmaßstäbe für tatbestandsseitige und rechtsfolgenseitige Entscheidungsspielräume der Verwaltung die gerichtliche Kontrolle strapaziert. Wenn das OLG Düsseldorf der Bundesnetzagentur bei der Ermittlung der richtigen Datenbasis für die Marktrisikoprämie einen Beurteilungsspielraum bei den „zahlreichen Abwägungsentscheidungen“ zuspricht, die in diesem Rahmen zu treffen sind, ist dies im Ergebnis sicher richtig. Denn es ist Aufgabe der Bundesnetzagentur, „angemessene“ Eigenkapitalzinssätze gem. § 21 Abs. 2 EnWG i. V. m. §§ 7 Abs. 4, 5 Strom/GasNEV zu ermitteln. Und wie aus der klassischen Dogmatik bekannt ist, kann die Einräumung administrativer Entscheidungsspielräume auch dann angezeigt sein, wenn die Entscheidung der Behörde miteinander widerstreitende Interessen berücksichtigen und zum Ausgleich bringen sowie ökonomische Wertungen und Prognosen mit einbeziehen muss.132 In den vorliegenden Konstellationen muss die Behörde neben den allgemeinen Regulierungszielen und einer Prognose zu zukünftigen Anforderungen an die Netze auch die gegenläufigen Interessen der involvierten Marktakteure „Netzbetreiber“ (ein möglichst hoher Eigenkapitalzinssatz) und „Netznutzer“ (möglichst niedrige Entgelte und somit auch ein möglichst niedriger Zinssatz) berücksichtigen.133 Die genaue Differenzierung zwischen den verschiedenen Bestandteilen dieser Prognoseentscheidung ist aber essentiell. Das Regulierungsermessen darf nicht dazu führen, dass der gesamte Rechtsanwendungsprozess einem solchen eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum zugänglich gemacht wird.
131 132 133
OLG Düsseldorf RdE 2016, 315 Rn. 97. BVerwG NVwZ 2013, 1418 (1421). Mohr, N&R, Beilage 1/2020, 1 (9).
C. Die „Richtigkeit“ einer Antwort auf die gestellte Rechtsfrage
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c) Zwischenergebnis Die von der Behörde anzustellenden Feststellungen auf der tatsächlichen Ebene, welche der vollen gerichtlichen Überprüfung unterstehen sollten, schließen sich bei Einräumung eines Beurteilungsspielraums erst an die Ausübung eines solchen Spielraums an. Dieser vorgelagerte Abwägungsvorgang der Regulierungsbehörde – die Methodenwahl – bedingt im dann nachgelagerten Schritt auch die Rechtsfolge. Dies erkennt der Bundesgerichtshof selbst, implementiert diese Erkenntnis aber weder in seine Überprüfung der Behördenentscheidung, noch nutzt er sie zur Etablierung dogmatisch „sauberer“ Kategorien der behördlichen Letztentscheidungsrechte im Energieregulierungsrecht.134 Diese Komplexität allein vermag aber eine Ausdehnung der behördlichen Beurteilungsfreiheit auf Elemente des Sachverhalts nicht zu rechtfertigen. Eine Präzisierung statt einer Angleichung der Rechtsanwendungsebenen durch die Behörde und ihrer gerichtlichen Überprüfung scheint daher angezeigt.
C. Die „Richtigkeit“ einer Antwort auf die gestellte Rechtsfrage Das Spannungsverhältnis zwischen dem verfassungsrechtlichen Anspruch einer rechtlich „richtigen“ Entscheidung der Behörde und den praktischen Grenzen der rechtlichen Vorsteuerung komplexer technisch-wirtschaftlicher Sachverhalte im Bereich der Energieregulierung bereitet der Rechtspraxis Probleme. Die Anwendung des Regulierungsermessens kann wohl insgesamt als Versuch gelten, diesen Konflikt aufzulösen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Rechtsprechungspraxis zu behördlichen Entscheidungsspielräumen der Regulierungsbehörden im Energiewirtschaftsrecht immer wieder betont, es gäbe auf die dort gestellten komplexen, ökonomisch-prognostischen Entscheidungen nicht nur eine Antwort im Sinne von „richtig oder falsch“, sondern mehrere. Diese These soll nachfolgend zur weiteren Nutzbarmachung einer kurzen rechtsphilosophischen Betrachtung unterzogen werden.
134
BGH ZNER 2019, 431 Rn. 38: Die Auswahl einer Methode beruhe zum Teil auf tatsächlichen Feststellungen, zum Teil auf rechtlichen Überlegungen, wobei diese beiden so eng miteinander verwoben seien, dass sich die richterliche Überprüfung auch auf die rechtliche Würdigung erstrecken müsse. Im Ergebnis verfährt der BGH dann aber anders herum und nimmt die gerichtliche Überprüfung auch auf der Tatsachenebene zurück.
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
I. Die Frage nach dem richtigen Recht und der richtigen Antwort auf eine gestellte Rechtsfrage Seit ihrem Bestehen beschäftigt die Frage nach dem „richtigen Recht“ die rechtswissenschaftliche Philosophie.135 Wie man ein „richtiges“ Ergebnis findet, hängt bis heute zu einem großen Teil davon ab, ob man einer metaphysischen Gerechtigkeitsidee oder einer positivrechtlichen Normativität des Rechts anhaftet.136 Einer Vielzahl von Kodifikationen mit abstrakt gefassten Normen stehen rechtserhebliche Tatsachen gegenüber, auf die es die Normen anzuwenden gilt. Dabei müssen beide miteinander in Entsprechung gebracht werden, obwohl die Norm einen Lebenssachverhalt immer nur selektiv erfassen kann.137 Ginge man von einer Vollständigkeit des Gesetzes aus, muss das richtige Ergebnis nur „gefunden“ werden.138 Zum Nachvollzug dieser Entscheidungsfindung und um die Inhaltserfassung des Gesetzes sowie die Subsumtion des Falles unter das Gesetz zu steuern, hat die rechtswissenschaftliche Methodenlehre Auslegungsmethoden, die sog. „canones“, entwickelt.139 Indem sie das richtige Verstehen der Gesetze fördern wollen, dienen sie der Rechtsfindung „secundum legem“, also der Ermittlung des Inhalts des positiven Rechts und einer darauf gründenden Entscheidung.140 Auch andere Ansätze beschäftigen sich mit dem Rationalitätsproblem von Rechtsprechung bzw. Rechtsfindung als solcher, die Hermeneutik141 mit der Auslegung ist aber wohl der aktuell Meistpraktizierte. Die Anerkennung des Fehlens der einen richtigen Entscheidung ist jedoch eine Hinwendung eher zu einer Argumentationstheorie, wonach sich die Richtigkeit der Entscheidung am Begründungsprozess orientiert: Dies ist vor allem deshalb zu begrüßen, weil sich an der energierechtlichen Entscheidungspraxis ganz besonders zeigt, dass Rechtsnormen selbst keine Tatsachen, sondern soziale Konstrukte sind, denen nicht mithilfe logischer Schlussfolgerungen, sondern rationaler Argumentation zur Geltung verholfen werden kann.142 Die Abstraktheit juristischer Normen dient ihrer Anwendbarkeit auf eine Vielzahl von Fällen und ist trotz der damit zwangsweise einhergehenden Schwächung der richterlichen Gesetzesbindung unvermeidlich.143 Das Ziel der auf der historischen Schule Savignys beruhenden Begriffsjurisprudenz war es, in der Rechtsfindung eine mathematische Präzision zu erreichen, indem das objektivierte rechtliche Material in eine feste Anordnung von Prinzipien und Rechtssätzen übertragen wird, damit der 135
Miranowicz, Gehirn und Recht, 2009, S. 28. Miranowicz, Gehirn und Recht, 2009, S. 28. 137 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 244. 138 Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (898). 139 Hassemer, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, 2011, S. 251 (260 f.). 140 Engisch, Einführung in das juristische Denken, 2005, S. 135. 141 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 244 f. 142 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 277 f. 143 Vgl. Kölbel, JuS 2013, 194; Ossenbühl, in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 6 Rn. 78. 136
C. Die „Richtigkeit“ einer Antwort auf die gestellte Rechtsfrage
221
Richter unter Ausklammerung wirtschaftlicher und sozialer Aspekte ein Urteil finden kann.144 Das setzt voraus, dass das Gesetz allein alle Fälle abschließend regeln kann.145 Dieses Lückenlosigkeitsdogma des Gesetzes darf vor allem in dem hier vorliegenden Kontext der Energieregulierung als überholt gelten. Wenn die Richtigkeit eine objektive und eine inhaltliche Richtigkeit meint, ist offensichtlich, dass die rechtsanwendenden Organe in der Regulierung hiermit schnell überfordert sind.146 Wird nun die Dichotomie von Tatbestand und Rechtsfolge abgeschwächt, hat dies ganz offen einen Bedeutungsverlust dieses Richtigkeitsdogmas als Grundlage der Rechtsfindung zur Folge. Das zentrale rechtsmethodische Problem des Regulierungsermessens lässt sich dann mit den Worten Herbsts beschreiben: Wenn „aus Sicht des Richters neben der getroffenen Entscheidung auch eine andere möglich gewesen wäre, für die Gründe von exakt gleichem Gewicht wie für die getroffene sprechen, so dass die Auswahl zwischen beiden möglichen Entscheidungen nicht begründbar ist und deswegen dem Zufall überlassen wird […] müsste (die unterlegene Streitpartei) zur Kenntnis nehmen, dass rechtlich gesehen auch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, sie also ebensogut hätte obsiegen können, und wird eine solche Begründung ihrer Niederlage nicht akzeptieren.“147 Die beklagte „Willkür“ von regulierungsermessensbasierten Entscheidungen148 ist zwar überspitzt, aber dieses Ergebnis mutet nach den etablierten Grundsätzen der Überprüfung von Verwaltungsakten jedenfalls unbefriedigend an.
II. Lösungsansatz: Methode und Argument Auch Methode und Auslegungsregeln garantieren keine gleichförmige Rechtsanwendung, da der ihr immanente Prozess des Verstehens der Norm immer auch von ihrem Interpreten abhängt.149 Die objektive Richtigkeit einer Entscheidung gibt es nach hermeneutischen Grundsätzen auch bei Vorliegen herrschender Wertauffassungen nicht, es kann also nur um eine subjektive Richtigkeit gehen.150 Der Verstehensprozess und seine Determinanten müssen vom Interpreten in der Entscheidungsbegründung dargelegt werden, um eine Nachvollziehbarkeit dieses Prozesses zu ermöglichen. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelten sich verschiedene An144
Diederichsen, ZRP 1974, 53 (53 f.); Moench, Die methodologischen Bestrebungen der Freirechtsbewegung auf dem Wege zur Methodenlehre der Gegenwart, 1971, S. 22 f. 145 Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1976, S. 329 f. 146 Umfassend zu den verschiedenen Theorien bei Dworkin und Habermas: Herbst, JZ 2012, 891 (891 f.). 147 Herbst, JZ 2012, 891 (899). 148 So jedenfalls Schütze/Salevic, CR 2010, 80 (87). 149 Schroth, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Rechtsphilosophie, 2011, S. 274; Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (900). 150 Herbst, JZ 2012, 891 (900).
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
sätze, die das Ergebnis einer Entscheidung auf der Basis ihres Verfahrens bewerten.151 Dabei ist die „Methodenehrlichkeit“ von zentraler Bedeutung:152 Die Entscheidungsbegründung als rechtfertigender Text muss das Finden der Entscheidung widerspiegeln.153 Je größer der Spielraum in der Auslegung, desto größer ist die Bedeutung, die der Begründung der Entscheidung zukommt. Es geht um einen „Legitimitätstransfer“ vom Gesetz auf die Entscheidung.154 1. Justizsyllogismus und Subsumtion Juristische Logik könnte helfen, die „richtige“ im Sinne der „wahren“ Entscheidung zu ermitteln oder zumindest helfen, den Weg zu ihr nachzuvollziehen, wenn Normen einem logischen Schema folgen. Das Ergebnis wäre dann richtig, wenn es formal gesehen logisch ist: Die normative Prämisse und die faktische Prämisse ergeben ein rechtliches Sollensurteil.155 Dies ist ein Verständnis von Subsumtion im Sinne eines Schlussfolgerns.156 Hierauf aufbauend wird die Rechtsanwendung anhand eines zweistufigen Modells dargestellt: Auf der ersten Stufe steht der Tatbestand, der den „wenn-Teil“ der Norm formuliert, auf der zweiten Stufe die Rechtsfolge, der den „dann-Teil“ darstellt.157 Hierfür finden sich verschiedene Modelle, die auf klassische Konditionalsätze anwendbar und etwa wie folgt aufgebaut sind:158 a) Wenn T, dann OR – sich aus dem Gesetz ergebender Obersatz b) Es ist T – Sachverhaltsermittlung und Subsumtion c) Also OR – Ausspruch der Rechtsfolge T steht hier für den Tatbestand, R für die Rechtsfolge und O ist ein Operator, der die Normativität des Rechts ausdrückt. Dieser Operator ist notwendig, weil die Begriffe, die durch die Normanwender interpretiert werden, nicht allein durch logisches Schlussfolgern richtig sind, sondern erst dadurch, dass ihnen vollständige tatsächliche und rechtliche Prämissen zugrunde gelegt werden.159 Alle Normen 151 Nennenswert aber hier nicht im Details darzustellen ist vor allem Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 63, 72, 79, 82 ff. 152 Christensen, Die Paradoxie richterlicher Gesetzesbindung, in: Lerch, Die Sprache des Rechts, Bd. II, S. 1 (89). 153 Mathis/Diriwächter, Gefährden kognitive Täuschungen und Empathie die Rationalität richterlicher Urteile?, in: Gruber/Häußler, S. 71 (79); Christensen, Die Paradoxie richterlicher Gesetzesbindung, in: Lerch, Die Sprache des Rechts, Bd. II, 2005, S. 1 (89). 154 Christensen, Die Paradoxie richterlicher Gesetzesbindung, in: Lerch, Die Sprache des Rechts, Bd. II, 2005, S. 1 (88). 155 Bäcker, JuS 2019, 321 (322). 156 Neumann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Rechtsphilosophie, 2011, S. 298 (299). 157 Neumann, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Rechtsphilosophie, 2011, S. 334. 158 Nach Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2012, S. 23. 159 Vgl. Säcker, in: MüKo BGB, 2018, Einl. Rn. 145.
C. Die „Richtigkeit“ einer Antwort auf die gestellte Rechtsfrage
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enthalten abstrakte Regelungen, unter die der konkrete Fall in diesem Modell zu subsumieren ist. Danach steht die durch die Norm angeordnete Rechtsfolge. Meist werden die Feststellung des Sachverhalts und die Prüfung, ob die zur Anwendung der Norm erforderlichen tatsächlichen Gegebenheiten vorliegen auf einer ersten Stufe zusammengefasst. Die unbestimmten Rechts- oder Gesetzesbegriffe stehen dabei klassischerweise auf dieser ersten, der Tatbestandsebene, und räumen der Behörde gegebenenfalls einen Beurteilungsspielraum ein. Teilweise finden sich auch vierstufige Modelle, die als zusätzliche Ebene neben der Subsumtion die „Auslegung“ einfügen.160 2. Modifikation des zweistufigen bzw. dreistufigen Modells Die oben anerkannten behördlichen Letztentscheidungsermächtigungen im Energieregulierungsrecht bringen die tradierten Anwendungs- und Kontrollmodelle an ihre Funktionsgrenzen. Zu diesen klassischen Modellen kann auf die Ausführungen im zweiten Teil dieser Arbeit verwiesen werden. Viele Fragen nach der richtigen Methode und dem richtigen Argumentieren sollen an dieser Stelle nicht in der ihnen zustehenden Tiefe behandelt werden.161 Vielmehr soll der Fokus auf denjenigen Teil der Rechtsanwendung gelenkt werden, auf dessen isolierte Darstellung in der Untersuchung behördlicher Entscheidungsspielräume oder deren gerichtlicher Kontrolle oft verzichtet wird: die Verbindung des Einzelfalls mit den gesetzlichen Vorgaben. Dieser Prozess der Subsumtion162 ist nötig, weil der normative Teil des Rechtssatzes mit dem empirischen, individuellen Teil eines konkreten Lebenssachverhalts zur Rechtsfindung im Einzelfall erst in Verbindung gebracht werden muss.163 In dieser Verbindung liegt oft die eigentliche Schwierigkeit der Rechtsanwendung und nur hier kann der Behörde ein Beurteilungsspielraum neben der vollständigen und richtigen Ermittlung aller relevanten Tatsachen eingeräumt sein.164 Wenn es sich um finale Normprogramme handelt, bestimmt der Subsumtionsprozess zudem das Ergebnis in einem größeren Umfang mit, als das bei konditionalen Normtexten der Fall ist, wie gleich genauer zu zeigen sein wird. Der logische Syllogismus und die Annahme einer sich hieraus ableitbaren, richtigen Entscheidung müssen ergänzt werden durch das Erfordernis der Wahrheit der zugrunde gelegten Tatsachen. Logisch richtig ist das Ergebnis nämlich auch ohne 160
Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 168. Vgl. zur juristischen Argumentation: Neumann, Theorie der juristischen Argumentation, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Rechtsphilosophie, 2011, S. 333 ff., der darauf hinweist, dass es gerade Anliegen des Juristen ist, sein Gegenüber davon zu überzeugen, dass eine bestimmte rechtliche Bewertung eines bestimmten Falles die „richtige“ ist. 162 Kritisch Hassemer, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann, Rechtsphilosophie, 2011, S. 252. 163 Bäcker, JuS 2019, 321 (322). 164 Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (33). 161
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
dieses Erfordernis.165 Deshalb untersteht das behördliche Ermittlungsergebnis der Tatsachen, also eigentlich ein Bestandteil des „Es ist T“ in der oben gezeigten Formel, der uneingeschränkten tatrichterlichen Überprüfung.166 Aber in dieser Ebene steckt als zweites Element, welches in einzelnen Fällen nicht der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt und in den meisten Schemata nicht isoliert abgebildet wird: die Subsumtion. Dies ist für die im vorliegenden Teil dargestellten Sachverhalte denkbar ungeeignet. Denn bei der Anwendung von Kontrollmaßstäben, die für konditionale Wenn-Dann-Normen entwickelt wurden, wird dieses verkürzte Schema jedenfalls implizit mit angewandt. Dehnt man nun den behördlichen Entscheidungsspielraum zu einem „Regulierungsermessen“ aus, das nicht mehr trennscharf zwischen tatbestandlichen und rechtsfolgenseitigen Letztentscheidungsermächtigungen unterscheidet, kann das leicht zu der fehlerhaften Schlussfolgerung führen, dass von diesem „Entscheidungsspielraum“ auch Elemente der Tatsachenermittlung umfasst seien. Die jeweils anzuwendenden Kontrollmaßstäbe vermögen dem nicht entgegenzuwirken, werden sie doch nicht zielgenau angelegt, sondern als Kontrolle eines Beurteilungsspielraums und der Abwägungskontrolle des Regulierungsermessens nebeneinander angewandt und der gesamten Behördenentscheidung gewissermaßen als doppelte Verhältnismäßigkeitskontrolle übergestülpt. Bei dieser indifferenten Kontrolle wundert es nicht, dass bei den komplexen Normen der StromNEV/GasNEV und anderen untergesetzlichen Verordnungen zum EnWG aus dem Blick geraten ist, welche Fragen einer Einschätzungsprärogative oder einem Regulierungsermessen zugänglich sein können und wie alle übrigen Fragen trotzdem mit der gebotenen Tiefe gerichtlich überprüft werden können.
3. Die Rechtfertigung einer diskretionär gefundenen Entscheidung Nun stellt sich zusätzlich die Frage, wie es zu rechtfertigen ist, dass am Ende des Rechtsfindungsprozesses mehrere Ergebnisse stehen können, die gleichermaßen „richtig“ sind („Es ist OR“). Man muss sich fragen, ob es wegen des Fehlens eines rein rationalen gerichtlichen Kontrollmaßstabs nicht bei der Behördenentscheidung bleiben sollte, statt an ihre Stelle eine ebenso wenig rational nachvollziehbare gerichtliche Entscheidung zu setzen.167 Richtigerweise wird angeführt, es bedürfe einer umfassenden Begründung der Behördenentscheidung, um ihr zu ausreichender Legitimität zu verhelfen.168 Es können an dieser Stelle nicht alle rechtsphilosophischen Ansätze dargestellt werden, die sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit das Recht ein in sich geschlossenes System (so wohl der Rechtspositivismus 165
Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2012, S. 24. Diskutiert wird eine Ausnahme in besonderen Fällen etwa im Naturschutzrecht, wo kein Konsens über die anzuwendenden Methoden besteht, welche der Ermittlung der Tatsachen dienen, vgl. ablehnend Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (17, 19 f.). 167 In diesem Sinne Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 30. 168 Siehe etwa Säcker/Mengering, N&R 2014, 74 (83). 166
C. Die „Richtigkeit“ einer Antwort auf die gestellte Rechtsfrage
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und das Naturrecht), oder ein für außerrechtliche Aspekte durchlässiges System ist (so zum Beispiel die Prinzipientheorie169). Aber ein Blick auf sie kann helfen, die Frage zu beantworten, was der Maßstab der Richtigkeit einer rechtlichen Entscheidung sein kann. Hier könnte zum Beispiel Alexys juristische Diskurstheorie weiterhelfen, die besagt, dass Richtigkeit rationale Begründbarkeit impliziert.170 Allerdings wird kritisiert, dass spätestens bei Abwägungsprozessen keine verbindlichen Maßstäbe mehr gälten, welche die Urteilsfindung rational rechtfertigen könnten.171 Es hat verschiedene Begründungsvorschläge in der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung gegeben, wobei hier lediglich angemerkt werden soll, dass alle Begründungsansätze sich eher mit dem inhaltlichen „Wie“ der Entscheidungsbegründung als mit dem „Wie“ der Entscheidungsfindung beschäftigen. Hier hält etwa Alexys Diskurstheorie nicht viel mehr bereit, als ohnehin schon ermittelt wurde: Soweit Gesetze Entscheidungen vollständig determinieren, ist der Anspruch auf Richtigkeit ein Anspruch auf Gesetzmäßigkeit; dort, wo dies nicht der Fall ist und das Gesetz Lücken aufweist, ist der Richtigkeitsanspruch ein Anspruch auf „Vernünftigkeit im Sinne allgemeiner praktischer Richtigkeit“.172 Außerdem ist die deduktive Form juristischen Argumentierens bei Alexy nicht unumstritten. Es wird zu Recht vorgebracht, dass der Syllogismus als eine Formalisierung juristischen Urteilens nicht geeignet ist, die Rechtspraxis wiederzugeben.173 Aber auch rein induktive Ansätze vermögen nicht zu überzeugen. Im Sinne Habermas’ Argumentationstheorie kann „Richtigkeit“ in Abgrenzung zu Alexy als rationale und auf gute Gründe gestützte Akzeptabilität verstanden werden.174 Im Ergebnis wird es an dieser Stelle hinzunehmen sein, dass es mehrere richtige Ergebnisse geben kann und somit auch immer eine Partei eines Rechtsstreits, die mit einer Entscheidung unzufrieden ist, wie wohl gleichermaßen, wenn die in einer ersten Instanz getroffene Entscheidung aus anderen Gründen als ihrer „Richtigkeit“ gerichtlich nicht mehr zu korrigieren ist.
169 Deren Hauptvertreter wohl Ronald Dworkin sein dürfte: Taking Rights Seriously, 1978, A Matter of Principle, 1985 und Law’s Empire, 1986. 170 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 132. 171 So etwa Habermas, Faktizität und Geltung, 1992: Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2012, S. 35 m. w. N. 172 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2012, S. 301. 173 Bäcker, Begründen und Entscheiden, 2012, S. 305. 174 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 276 ff.
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
D. Das Subsumtionsermessen: Dogmatische Verortung der skizzierten Entscheidungsspielräume Die gesamte Entwicklung behördlicher Letztentscheidungsrechte im Regulierungsrecht hängt mit dem Begriff des „Regulierungsermessens“ untrennbar zusammen, sodass auf seine Einbindung, trotz gebotener Kritik an seiner Ausgestaltung, hier nicht verzichtet werden kann.
I. Neuartiger Entscheidungsspielraum Richtig ist, dass es sich bei der Methodenwahl und -ausgestaltung um neuartige Entscheidungsformen der Regulierungsbehörden handelt. Diese Erkenntnis wird sich im Falle eines klagestattgebenden Urteils des EuGH zur Frage der normativen Vorstrukturierung der Regulierungstätigkeit noch verstärken. Durch die zuletzt auch vom Bundesgerichtshof verbalisierte Angleichung der verschiedenen Kategorien behördlicher Letztentscheidungsrechte wird vorhersehbare gerichtliche Kontrolle aber nicht erleichtert, sondern erschwert. 1. Differenzierung statt Vereinheitlichung Die einzelnen Ebenen der Rechtsanwendung aus der Gesamtentscheidung zu extrahieren, ist sicher kein Gebot einer jeden Gesetzesanwendung, zumal der geübte Rechtsanwender dies nicht übermäßig problematisieren wird, sofern es keinen Hinweis auf Probleme gibt.175 Allerdings kann es in den komplexen und mit vielen außerrechtlichen Bezügen versehenen Normen, wie in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Eigenkapitalzinssatz, hilfreich sein, die Ebene der Subsumtion insbesondere von der Tatsachenermittlung zu extrahieren. Dass die anzuwendenden Normen im Energiewirtschaftsrecht (ebenso wie im Telekommunikationsrecht) in den meisten Fällen nicht dem klassischen Konditionalsatz entsprechen, wurde festgestellt. Dass die Ermittlung der relevanten Tatsachen vor allem im Umfeld der Energieregulierung hochkomplex sein kann, kann aber nicht dazu führen, dass auf dieser Ebene mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarende Entscheidungsspielräume für Behörden eröffnet werden. Das Regulierungsermessen hat mit einer vermeintlichen Vermengung tatbestandlicher und rechtsfolgenseitiger Wertungselemente sowohl in der behördlichen Rechtsanwendung als auch in seiner gerichtlichen Überprüfung für einen Präzisionsverlust gesorgt und sogleich die Forderung nach einer einheitlichen Systemkategorie des „Ermessens“ befeuert.176
175 176
Bäcker, JuS 2019, 321 (325). Ludwigs, JZ 2009, 290 (297).
D. Das Subsumtionsermessen
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2. Überwindung des funktionell-rechtlichen Ansatzes Die vorgeschlagene Differenzierung grenzt sich auch von der anerkannten funktionell-rechtlichen Methode ab, welche mit den „Funktionsgrenzen der Rechtsprechung“ die Kontrolle des Verwaltungshandelns verfassungsrechtlich begrenzen möchte.177 Denn dieser Topos kann gerade nicht dazu dienen, Entscheidungen zu rationalisieren, da ihm eine gewisse Beliebigkeit innewohnt.178 Er kann höchstens als zusätzliches Indiz einer Kontrollbeschränkung herangezogen werden, wenn wegen eines nicht hinreichend deutlich hervortretenden Willens des Gesetzgebers unklar ist, inwieweit der Behörde Entscheidungsspielräume eingeräumt worden sind. Der Ansatz ist aber nicht geeignet, im grundrechtssensiblen Bereich der Netzregulierung als alleinige Rechtfertigung der Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle zu dienen.
II. Abschichtung der Subsumtion Die Anwendung von Gesetzen beruht auf einer Zergliederung und Abschichtung der verschiedenen Bestandteile des Gesetzestextes in solche, die als Tatsachenfragen und solche, die als Rechtsfragen einzustufen sind, um die Rechtsfragen einer „richtigen“ Antwort und die Tatsachenfragen einer umfassenden Ermittlung des nach der Norm Gebotenen zuführen zu können.179 Dieser Prozess der Abschichtung ist nötig, um die Subsumtion zu ermöglichen,180 welche ihrerseits einer Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung dient. Befolgt man diese Vorgabe juristischer Rationalität, offenbart sich, dass nicht lediglich neuartige dogmatische Kategorien behördlicher Letztentscheidungsrechte im Energieregulierungsrecht die Verwaltung und die Gerichte vor Herausforderungen stellen, sondern die dogmatisch korrekte Sezierung der Tatsachenfragen aus den komplexen Normprogrammen. Großer Unterschied zu anderen Kategorien behördlicher Letztentscheidungsrechte ist die Struktur des Gesetzes, die nicht nach dem klassischen „wenn-dann-Schema“ aufgebaut ist und auch nicht nur einen finalen Charakter hat. Vielmehr bestimmen die tatbestandlichen Feststellungen (und die Subsumtion) die Rechtsfolge unmittelbar. Die Grenzen zwischen Interpretation des Rechts und Normierung selbst sind hier fließend und das Problem aufgeworfen, dass eine Regel erst mit ihrer Anwendung ihre eigenen Kontrollmaßstäbe regelt. Aus diesem Grunde ist es essentiell, bereits an diesem Punkt eine Differenzierung vorzunehmen, die die Tatsachen klar von den Rechtsfragen abgrenzt. Legt man das klassische Modell (und nicht das bereits verschliffene „Modell“ unter dem Regu177 178 179 180
BVerfGE 84, 34 (50). Ludwigs, RdE 2013, 297 (299). Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (904). Stelkens, in: FS Herberger, 2016, S. 895 (904).
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
lierungsermessen) an die Anwendung etwa des § 7 Abs. 4, Abs. 5 StromNEV/ GasNEV, also die Ermittlung eines wettbewerbsanalogen Wagniszuschlags zum Eigenkapitalzinssatz an, wird offenbar, dass das „wenn“ im klassischen Justizsyllogismus des „wenn-dann-Schemas“ oft erst ein von der Behörde zu ermittelnder Satz von Daten und Annahmen ist, die gesetzlich nicht oder nicht abschließend vorgegeben sind. Wird der Behörde nun ein im Rahmen des „wenn“ zu verortender Beurteilungsspielraum zugesprochen, wie es in den skizzierten Konstellationen richtigerweise der Fall ist, ist es von Bedeutung, die diesem Spielraum zuordenbaren Rechts- und Tatsachenfragen jeweils klar zu identifizieren. Die Wahl der Methode ist unter den aufgezeigten Voraussetzungen hierunter zu fassen; nicht aber die abschließende Wahl der in die Methode einzupflegenden Daten. Verkommt dieser Schritt zu einem einzigen Schritt sowohl in der Anwendungs- als auch in der Kontrollperspektive, hilft zum Zurückgewinnen der Entscheidungsrationalität möglicherweise die Einführung eines neuen Denkkonzepts.
III. Die Dogmatik des Subsumtionsermessens Statt einer Vereinheitlichung der Entscheidungskategorien, wie sie – so man es wohlwollend als Konzept bezeichnen möchte – das Regulierungsermessen vorsieht oder die Rechtspraxis unter dem Regulierungsermessen jedenfalls herbeigeführt hat, sollte eine stärkere Trennung zwischen der notwendigen Vorfrage der zu ermittelnden Tatsachen und einer sich daran anschließenden Beurteilung, Bewertung und Subsumtion dieser Faktoren vor dem spezifischen Regulierungskontext erfolgen. 1. Das Subsumtionsermessen Für diese angepasste Abbildung der Rechtsanwendung im Energieregulierungsrecht wird hier der Begriff des Subsumtionsermessens vorgeschlagen. Das Subsumtionsermessen verdeutlicht, auf welcher Stufe der Rechtsanwendung dieses behördliche Letztentscheidungsrecht verortet wird. a) Bedeutung von Subsumtion Ursprünglich geht es bei der Subsumtion um die Verknüpfung eines Gesetzesbegriffs, der meist aus dem allgemeinen Sprachgebrauch stammt oder fachspezifisch sein kann, mit einem Geschehen aus dem empirischen, echten Leben. Das setzt bereits voraus, dass der Inhalt des Gesetzesbegriffs ermittelt, verstanden und dieser sodann mit dem tatsächlichen Geschehen verknüpft wird. Dies wirft vielfältige Probleme auf,181 die sich bei Bezugnahmen zu außerrechtlichen Maßstäben zusätzlich verkomplizieren, wobei der Gesetzgeber über eine gewisse Freiheit verfügt, 181
Jesch, AöR 82 (1957), 163 (178 ff.).
D. Das Subsumtionsermessen
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eigene Maßstäbe festzulegen.182 Ist unter einen unbestimmten Gesetzesbegriff zu subsumieren, ist klassische Subsumtion bereits schwierig – der Maßstab der logischsyllogistischen und zugleich deduktiven Vorgehensweise der Rechtsfindung ist dann kein Maßstab, der zugleich der Kontrolle ebenjener Entscheidung dienen kann. Die Maßstabsbildung erfolgt erst durch die Subsumtion selbst. Vorliegend sind die Probleme jedoch nicht in der Begriffsdeutung zu verorten, da es nicht um die Begriffsermittlung im Rahmen der Subsumtion geht, sondern um eine Zielermittlung und Zielsubsumtion. Die Regulierungsbehörde muss die konkreten gesetzlichen Zielvorgaben ermitteln, was sich an Vorgaben wie der „Angemessenheit“ der zu ermittelnden Zinssätze äußert. Subsumtion im Kontext der Entgeltregulierung ist also weit mehr als das „Füllen eines Gesetzesbegriffs mit Leben“. Es ist ein Interpretationsprozess, in welchem durch die Behörde vielfältige, gesetzlich höchstens fragmentarisch vorgegebene Belange zu berücksichtigen sind. b) Bisherige Verwendung des „Subsumtionsermessens“ Der Begriff des Subsumtionsermessens ist keine Neuschöpfung der Verfasserin, sondern wird bereits seit den 1950er Jahren in der Debatte um behördliche Entscheidungsspielräume immer wieder in verschiedenen Kontexten verwendet.183 Er diente so vor allem der Abgrenzung zum „volitiven Ermessen“, welches auf der Rechtsfolgenseite zu verorten sei; bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs auf einen konkreten Sachverhalt sollte also der Begriff des Subsumtionsermessens durch den eines „Beurteilungsspielraums“ ersetzt werden.184 Das Subsumtionsermessen war als Teil eines „kognitiven Ermessens“ grundsätzlich voller gerichtlicher Überprüfung zu unterwerfen.185 Der Begriff geht auf Bachof zurück186 und wird heute nicht mehr verwendet, da sich die Begrifflichkeit des Beurteilungsspielraums durchgesetzt hat. Diesen Begriff wiederzubeleben erscheint sinnvoll, um eine Abgrenzung zu den für die vorliegenden Konstellationen nur wenig geeigneten Begriffen des Beurteilungsspielraums, des (Rechtsfolge-)ermessens und des Regulierungsermessens zu verdeutlichen.
182
Das plakative Beispiel von Jesch, AöR 82 (1957), 163 (179) für sich durch die Verwendung außerrechtlicher Begriffe ergebende Probleme (und Möglichkeiten) soll hier nicht vorenthalten werden: „Weihnachtsmann im Sinne dieses Gesetzes ist auch der Osterhase.“ 183 König, Der Umfang der Berichterstattung über die aktienrechtliche Sonderprüfung, 1970, S. 102 f.; Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozeß, 2002, 100 f. 184 Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 10 Rn. 32 f. 185 Kohlmann, Das subjektiv-öffentliche Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch, 1964, S. 35. 186 Bachof, JZ 1955, 98 (98 f.).
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c) Neuer Begriffsinhalt Das Subsumtionsermessen soll unter Wahrung des Rechtsschutzes der betroffenen Marktteilnehmer den administrativen Entscheidungsspielraum der Regulierungsbehörden würdigen. Es soll sich abgrenzen vom auf die Tatsachenebene ausufernden Regulierungsermessen und durch die neue Bezeichnung die Ebene, auf welcher „Beurteilungsermessen“ stattfindet, kennzeichnen. Es soll eine Fehlentwicklung im Bereich der Energieregulierung korrigieren helfen, die regelmäßig nicht unerheblich in die Grundrechte der Betroffenen eingreift. 2. Dogmatische Verortung Es wird deshalb vorgeschlagen, das oben dargestellte Rechtsanwendungsschema abzuwandeln. Die Subsumtion als Bestandteil der Tatsachenfeststellung im klassischen Wenn-Dann-Schema sollte extrahiert und gesondert betrachtet werden. Zieht man die hier exemplarische Festlegung der Eigenkapitalzinssätze nach § 21 Abs. 2 EnWG i. V. m. §§ 7 Abs. 4, 5 StromNEV/GasNEV durch die Regulierungsbehörde heran, steht die Subsumtion als Wahl einer Methode zudem vor der Ermittlung der hierzu erforderlichen Tatsachen. Beschreiben lassen sich die beiden Schritte in diesem Kontext als Methodenwahl und Methodenausfüllung.187 Das dargestellte Regulierungsverfahren dient weiterhin exemplarisch als Beispiel, ist aber nicht alleiniges denkbares Anwendungsfeld der nachfolgend zu entwickelnden Maßstäbe. Auch diese Ausgestaltung einer Letztentscheidungsermächtigung trägt richtigerweise den Suffix „-ermessen“, auch wenn der eigentliche Prozess der Rechtsfolgendetermination auf einer vorgelagerten Ebene entsteht. Die Bezeichnung als Subsumtionsermessen verdeutlicht den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dieser Auswahlentscheidung und der Rechtsfolge. a) Erster Schritt: Gesetzlicher Zielsatz Für das Energieregulierungsrecht kann der Obersatz in Abgrenzung zum rechtlichen Konditionalsatz („wenn …, dann …“) als „Zielsatz“ bezeichnet werden. Beispielsweise könnte er lauten: „Zu Beginn einer Regulierungsperiode hat die Bundesnetzagentur einen angemessenen Wagniszuschlag als Bestandteil des Eigenkapitalzinssatzes zu ermitteln und festzulegen“. Nicht die Erfüllung einer Kombination von Voraussetzungen tatsächlicher oder rechtlicher Natur („wenn T“) führen zur Anordnung einer mehr oder weniger genau determinierten Rechtsfolge („dann OR“). Sondern die Methodenwahl durch die Behörde selbst bildet erst den eigenen Maßstab; bei Einräumung einer entsprechenden Letztentscheidungsermächtigung, wie im nächsten Schritt gezeigt wird, schließt sich die gerichtlich voll überprüfbare Ermittlung aller relevanten Tatsachen zur Ausfüllung bzw. Anwendung dieser Methode hieran an. 187
Vgl. Mohr, N&R Beilage 1/2020, 1 (14).
D. Das Subsumtionsermessen
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Als gerichtlicher Kontrollmaßstab wird hier zusätzlich vorgeschlagen, an dieser Stelle in Zusammenschau mit dem im vierten Schritt feststehenden Ergebnis zu überprüfen, ob die Methodenwahl und das Vorgehen der Behörde insgesamt den gesetzlichen Vorgaben, hier § 7 Abs. 4, 5 StromNEV/GasNEV, entspricht. Man könnte insofern von einer „einrahmenden“ Gesamtabwägung188 sprechen, dazu wird unter d) weiter ausgeführt. b) Zweiter Schritt: Subsumtion eines konkreten Vorgehens unter den gesetzlichen Zielsatz, Subsumtionsermessen Subsumtion ist die Unterordnung eines Lebenssachverhalts unter einen Gesetzesbegriff, bzw. unter die aufgestellte gesetzliche Zielvorgabe. Dieser Schritt betrifft im hier verwendeten Beispielsfall die Methodenwahl. Hier kann die Behörde innerhalb eines ihr eröffneten Spielraums zwischen verschiedenen gleich geeigneten Methoden wählen, um das gesetzlich gesetzte Ziel zu erreichen. Die Behörde subsumiert hier also das konkret gewählte Vorgehen (die Methode) unter ein gesetzlich vorgegebenes Ziel („angemessene Zinssätze“) und prüft, ob die Methode zur Erreichung des Ziels geeignet ist. An dieser Stelle ist nach Auffassung der Autorin das Subsumtionsermessen dogmatisch zu verorten. Ein der Behörde möglicherweise eingeräumtes Letztentscheidungsrecht kann allein diesen Prozess der Rechtsanwendung als Auswahl einer von mehreren durch das Gesetz eröffneten Möglichkeiten bei der Subsumtion betreffen. Hierbei kann es der Behörde zusätzlich aufgetragen sein, unbestimmte Gesetzesbegriffe auszufüllen. Die richtige Auslegung dieser Begriffe ist grundsätzlich gerichtlich voll überprüfbar. In dieser Kombination von unmittelbarer Determination der Rechtsfolge durch die Wahl der Methode und möglicherweise eingeräumtem Entscheidungsspielraum bezüglich eines sonst als Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite verorteten Entscheidungsspielraums („unbestimmte Gesetzesbegriffe“) liegt die Besonderheit der regulierungsbehördlichen Rechtsanwendung. Diese Besonderheit rechtfertigt eine Abweichung von der gängigen Dogmatik nicht nur, sondern erfordert sie. Dieser Rechtsanwendungsprozess vereint verschiedene Elemente allein auf Ebene der Subsumtion und ist somit weder Rechtsfolgenwahl noch tatbestandsbezogener Entscheidungsspielraum. Das ist das Subsumtionsermessen: ein nur eingeschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielraum bezüglich der rechtlichen Einordnung eines durch die Behörde festzulegenden Modells oder einer Methode unter die gesetzlichen Zielvorgaben. Das Subsumtionsermessen ist nur eingeschränkt gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob der gewählte methodische Ansatz von vornherein ungeeignet ist, die Funktion zu erfüllen, die ihm im Rahmen des zugrunde gelegten Modells zukommt 188 Der Begriff der Gesamtabwägung stammt in diesem Kontext von Burgi, RdE 2020, 105 (115), der ebenfalls das Erfordernis einer solchen abschließenden Abwägung sieht.
232
5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
oder ob ein anderes methodisches Vorgehen unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände dem von der Regulierungsbehörde gewählten Vorbringen so deutlich überlegen ist, dass die Auswahl einer anderen Methode nicht mehr als mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen werden kann.189 Das Gericht darf an dieser Stelle keine alternative Modellierung der Regulierungsentscheidung vornehmen, muss aber einen engen Kontrollmaßstab anlegen, da durch die Methodenoffenheit auch die Ergebnisoffenheit bedingt wird. Dies rechtfertigt nicht die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte, sondern allein ihre Intensivierung in Form einer Konkretisierung. In der Bedingtheit des Ergebnisses (hier: Zinssatz) durch die Ausübung eines Subsumtionsermessens liegt eine so große administrative Freiheit, dass ein Verzicht auf eine Plausibilisierung der Ergebnisse bzw. auf eine gerichliche Überprüfung der Vereinbarkeit der gefundenen Ergebnisse mit den tatsächlich zugrunde liegenden Gegebenheiten nicht mehr mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes vereinbar wäre. c) Dritter Schritt: Methodenausfüllung Die richtige und vollständige Heranziehung von richtigen und vollständigen Datensätzen bzw. die korrekte Zugrundelegung von tatsächlichen Annahmen zur Ausfüllung der gewählten Methode ist im Rahmen einer korrekten wissenschaftlichen Methodenanwendung das Äquivalent der Sachverhalts- und Tatsachenermittlung im klassisch dichotomen Rechtsanwendungsprozess. Dieser Bereich sollte vollständig gerichtlich überprüfbar sein. Soweit der Behörde auch hier ein Entscheidungsspielraum zustehen soll, etwa darüber, welche Parameter sie heranzieht, handelt es sich nicht um einen nur eingeschränkt überprüfbaren Spielraum.190 Die gerichtlichen Kontrollfragen zur Methodenausfüllung sollten lauten: Hat die Behörde die entscheidungserheblichen Tatsachen vollständig und zutreffend ermittelt? Hat sie die Datengrundlage erschöpfend ermittelt, ihr gefundenes Ergebnis anhand alternativer Datensätze plausibilisiert und die richtigen Schlüsse aus den Daten gezogen? Die Plausibilisierung ist in anderen Bereichen auch im Rahmen der Ausübung eines „Regulierungsermessens“ anerkannt.191 Es bedarf keiner konkreten Anhaltspunkte für diesen zweiten Teil der Prüfung. Der Bundesgerichtshof prüfte an dieser Stelle, ob der Tatrichter ein erhebliches Vorbringen der Beteiligten unberücksichtigt gelassen, wesentliche Beurteilungsfaktoren außer Betracht gelassen oder offenkundig fehlgewichtet, Rechtsgrundsätze der Zinsbemessung verkannt oder der Nachprüfung der Regulierungsentscheidung sonst unrichtige rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt hat.192 Dies ist der Schwerpunkt seiner Prüfung und entspricht 189
Dies entspricht dem Maßstab des BGH bei zur Überprüfung der Methodenwahl, BGH RdE 2019, 456 Rn. 37. 190 So auch: BGH RdE 2014, 495 Rn. 27. 191 Etwa bei der Bestimmung des Qualitätselements nach §§ 19, 20 ARegV: OLG Düsseldorf, RdE 2016, 315 Rn. 39. 192 BGH ZNER 2019, 431 Rn. 34.
D. Das Subsumtionsermessen
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der Überprüfung von Entscheidungen mit eingeräumtem Beurteilungsspielraum. Diese Prüfung ist jedoch zu „grobmaschig“ und wird nicht der Überprüfung gerecht, die von Verfassung wegen für Tatsachenfragen nötig wäre: eine Überprüfung auf Vollständigkeit und Richtigkeit der zur Ausfüllung der Methode ermittelten tatsächlichen Grundlagen. Auch die Plausibilisierungspflicht ist hier zu verorten und wird zu Recht auch andernorts gefordert, wo der Behörde keine bestimmte Methode gesetzlich vorgeschrieben ist.193 d) Vierter Schritt: Ergebnis der gesetzlich verfolgten Zielvorgabe Als unmittelbares Ergebnis von Methodenwahl und Methodenausfüllung steht im Beispiel die Antwort auf die eingangs gestellte Rechtsfrage „angemessener Zinssatz“. Diese „Rechtsfolge“ leitet sich unmittelbar aus einem nicht vollständig durch das Gesetz determinierten Entscheidungsprogramm der Behörde ab, in welches auch tatsächliche Feststellungen einzubeziehen sind; hätte die Behörde eine andere Methode zugrunde gelegt, die gleich geeignet und ebenso gesetzlich zulässig ist, wäre die Antwort auf die Frage nach dem „angemessenen Zinssatz“ anders ausgefallen; dennoch handelt es sich bei der Ergebnisfindung auf dieser Stufe der Rechtsanwendung nicht um einen klassischen Ermessensspielraum. Denn die Regulierungsbehörde wählt nicht aus verschiedenen, gleichermaßen vom Gesetz umfassten oder gar vorgegebenen Rechtsfolgen aus, sondern sie legt diejenige Rechtsfolge verbindlich fest, welche sich aus ihrem Subsumtionsprozess erst ergibt. Gerichtlich zu überprüfen ist dieser Aspekt deshalb darauf, ob die Behörde eine Gesamtabwägung des Ergebnisses in Bezug zu den gesetzlichen Zielen hergestellt hat, also ob das Ergebnis insgesamt angemessen ist. Es bedarf auch hier keiner besonderen Anhaltspunkte zur Vornahme dieser Überprüfung. Sie sollte immer Bestandteil der gerichtlichen Kontrolle sein, wenn der Behörde ein methodenbezogenes Subsumtionsermessen eingeräumt ist; man könnte sie einrahmende Gesamtabwägung nennen, siehe oben. Denn das Ergebnis, also die „Rechtsfolge“, muss wegen seiner Methodenoffenheit und seiner alleinigen Determination im Schritt der Methodenwahl immer besonders plausibilisiert werden. Allein die Tatsache, dass die Behörde eine anerkannte Methode zugrunde gelegt und in ihrem Rahmen alle erheblichen Tatsachen richtig und vollständig ermittelt hat, reicht für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung noch nicht aus. Bei der Einräumung von behördlichen Letztentscheidungsrechten ist die den Entscheidungen anhaftende Unsicherheit vor allem dann einer Gesamtabwägung zu unterziehen, wenn sie sich wie hier im grundrechtssensiblen Bereich bewegen. An dieser Stelle kann so eine Ergebniskorrektur stattfinden, wie die Bundesnetzagentur sie etwa bei der Ermittlung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors für den Bereich Strom in der dritten Regulierungsperiode vorgenommen hat.194 193 194
Säcker/Mengering, N&R 2014, 74 (83). BNetzA Beschluss v. 28. 11. 2018, BK4 – 18 – 056, S. 6 f.
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5. Teil Kap. 8: Konturierung eines Subsumtionsermessens
3. Zwischenergebnis Das Subsumtionsermessen als dogmatisch geschärftes Regulierungsermessen ist sowohl im Kontext einer sich wandelnden Ermessensdogmatik, als auch als ein Vorschlag anzusehen, außerrechtliche Maßstäbe als handlungsleitend für die Verwaltung anzuerkennen und in eine rationale Rechtsfindung einzubetten.195 Dem hier entwickelten Subsumtionsermessen kann entgegnet werden, als Symptom einer voranschreitenden Hypertrophie behördlicher Entscheidungskategorien nichts zu deren Rationalisierung beitragen zu können. Jedoch würde dieser Vorwurf übersehen, dass es nicht um eine weitere Differenzierung geht, sondern um die Rekonstruktion eines bereits bestehenden und praktizierten Konzepts, welches ohne stabile dogmatische Grundlage aber mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Die soeben entwickelte Struktur offenbart eine Abweichung zur klassischen dichotomen Struktur von Rechtsnormen. Es bietet sich für die aufeinander aufbauenden, nicht als Koppelungsvorschriften einzustufenden Normtexte im Bereich der ARegV oder der StromNEV/GasNEV nicht an, die Ebenen auf der Rechtsanwendungsseite zu vereinheitlichen. Dies ist vermutlich das größte und bereits erwähnte Problem des Regulierungsermessens: Beim Versuch, die überkommenen und unpassenden Kategorien auf neuartige Formen administrativer Entscheidungsfindung zu übertragen und an sie anzupassen, wurde im Ergebnis ein Verlust an Entscheidungsrationalität herbeigeführt, der sowohl auf der Anwendungs- als auch auf der Kontrollebene wirkt. Eine Anerkennung des besonderen Zwischenschritts der Subsumtion bedeutet nicht, dass der Regulierungsbehörde keine Letztentscheidungsrechte zustehen können. Aber sie bedeutet, dass solche nur im Bezug auf die spezifische QuasiWettbewerbsherstellung möglich sind, wo der Sachverhalt umfassend ermittelt wurde und es um den Transfer der empirisch vollständig festgestellten Umstände auf das Gesetz und seine Ziele geht. Deshalb sind die Herauslösung dieses Schritts und seine isolierte Würdigung nötig. In der Einführung einer neuen Begrifflichkeit liegt die Chance, dem Konzept administrativer Letztentscheidungsbefugnisse in der Energieregulierung zu größerer Anerkennung zu verhelfen und es gleichzeitig in dogmatische Strukturen zu überführen.
E. Ergebnis Die Einräumung und Handhabung administrativer Letztentscheidungsbefugnisse ist nach alledem auch eine Methodenfrage und keine reine Frage der Kompetenzverteilung zwischen den Gewalten.196 Der juristische Diskurs und mit ihm ein Methodendiskurs sind dazu berufen, für die Fragen, auf die das Gesetz wegen der 195 196
Hierzu für das Telekommunikationsrecht Franzius, DVBl. 2009, 409 (410). A. A. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2017, § 7 Rn. 64.
E. Ergebnis
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„Endlichkeit unserer theoretischen Erkenntnis“197 keine Antworten geben kann, ebensolche anhand der gesetzlichen Zielvorgaben und den Verfassungsgrundsätzen zu entwickeln. Denn Standards für den Rechtsschutz und die Rechtserzeugung müssen auch in ökonomisch komplexen Materien gewährleistet sein. Die Übernahme des Regulierungsermessens in das Energiewirtschaftsrecht zeigt daher aktuell vor allem, dass „das Recht […] mit der Preisregulierung im Grunde überfordert“ ist.198 Das Regulierungsermessen, wie das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesgerichtshof es entwickelt haben, birgt das Risiko eines Verlusts an Präzision in der Überprüfung von Behördenentscheidungen. Zwar ist ein Letztentscheidungsrecht an vielen Stellen der Entgeltregulierung im Energiewirtschaftsrecht durchaus angezeigt. Es darf jedoch nicht unter Heranziehung eines unausgereiften Konzepts erfolgen, das dazu führt, dass in den komplex-ökonomischen und zudem grundrechtssensiblen Sphären der Entgeltregulierung aus dem Blick gerät, welche Fragen einem Entscheidungsspielraum der Regulierungsbehörde überhaupt zugänglich sein können und welche nicht. Die Normstruktur erlaubt in der Energieregulierung häufig keine genaue Verortung von Letztentscheidungsbefugnissen zu den daran gekoppelten Überprüfungsmaßstäben, da diese ihre Wirkung nicht isoliert auf einer der beiden klassisch-dichotomen Normstrukturebenen entfalten. Anders als vereinzelt angenommen ist die Ablehnung behördlicher Letztentscheidungsrechte im Energiewirtschaftsrecht insgesamt eine Illusion.199 Vielmehr sollte die Erkenntnis ihrer Notwendigkeit dazu führen, dogmatisch tragfähige Konzepte zu diskutieren. Erst dann kann präzise gerichtliche Kontrolle auch von erweiterten behördlichen Entscheidungsspielräumen erfolgen, ohne dass dabei in der Hoffnung, dass niemand seinen fehlenden Inhalt bemerkt, auf das Regulierungsermessen rekurriert werden muss.200 Das Subsumtionsermessen und sein hier vorgeschlagenes Kontrollkonzept können dem Regulierungsermessen mit einer Differenzierung begegnen, welche weder behördliche Handlungsflexibilität negiert, noch eine verfassungsrechtlich fragwürdige Ausdehnung von Entscheidungsspielräumen toleriert.
197
Bäcker, ARSP 97 (2011), 346 (348). Ludwigs, NVwZ 2008, 954 (959), sofern man hierunter auch die Entgeltregulierung versteht. 199 So aber Christiansen, Optimierung des Rechtsschutzes im Telekommunikations- und Energierecht, 2013, S. 178. 200 Siehe zur „unreflektierten Übernahme“ des Regulierungsermessens aus dem Bereich des TKG in denjenigen des EnWG: Burgi, RdE 2020, 105 (111). 198
Kapitel 9
Zusammenfassung und Thesen A. Zusammenfassung Die Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes durch die erste Elektrizitäts- und Gasbinnenmarktrichtlinie brachte die Regulierung als neuartige Form staatlicher Interaktion mit dem Markt hervor. Zur Gewährleistung der Stabilität einer Versorgung mit Elektrizität und Gas steuert der Staat nun das Marktgeschehen durch diesen Eingriff, um die Verwirklichung der gesetzlich, verordnungsrechtlich und unionsrechtlich gesetzten Ziele sicherzustellen. Aus dieser Entwicklung heraus ist das Regulierungsverwaltungsrecht entstanden, das seit 2005 einer eigens gegründeten Regulierungsbehörde, der Bundesnetzagentur, weitgehend anvertraut ist. Die Regulierungstätigkeit des Staates hat im Unterschied zum klassischen Gefahrenabwehr- und Ordnungsrecht den jeweiligen Markt nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben so zu regulieren, dass dort Wettbewerbsbedingungen herrschen. Die Wettbewerbssimulation wurde als zentrales Merkmal der Regulierung monopolistischer Netzinfrastrukturen identifiziert. Dies ergibt sich sowohl aus den allgemeinen Gesetzeszwecken in § 1 Abs. 1 EnWG, als auch aus der ratio legis des § 1 Abs. 2 EnWG und wird somit zu einem handlungsleitenden Prinzip sowohl für die behördliche Anwendung des Gesetzes und der aufgrund des Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, als auch für die gerichtliche Überprüfung dieses Handelns. Es wurde festgestellt, dass das Kartellrecht aufgrund seiner beschränkten Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den stabilen natürlichen Monopolen in der Energiewirtschaft nicht geeignet ist, diesen Markt zu ordnen und aus diesem Grunde, trotz verbleibender Schnittstellen, auch klar vom Regulierungsrecht abgrenzbar ist. Der besondere Regulierungshintergrund hat dazu geführt, dass der Bundesgerichtshof das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte „Regulierungsermessen“ als behördliches Letztentscheidungsrecht auf die komplex strukturierten Normen des EnWG und der aufgrund des EnWG erlassenen Rechtsverordnungen übertragen hat. Die klassische Dogmatik von Beurteilungsspielraum und Ermessen wurde für ein Verwaltungshandeln entwickelt, das dem traditionellen Gefahrenabwehrrecht entspricht. Der Gesetzgeber kann hierbei die Bindung des Verwaltungshandelns und das Maß der gerichtlichen Kontrolle bestimmen. Die Grundannahme der Trennbarkeit von Feststellungen der Tatsachenebene und solchen der Rechtsebene sowie ein hierauf jeweils abgestimmtes gerichtliches Kontrollprogramm gerät durch die zu-
A. Zusammenfassung
237
nehmende Komplexität von Rechtsnormen vor dem Regulierungshintergrund unter Druck. Jedoch darf allein deshalb das gerichtliche Kontrollprogramm im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht zurückgenommen werden. Die Freiheit der Verwaltung, sachverhaltsbezogene Letztentscheidungsrechte auszuüben, ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen es an einer Reproduzierbarkeit des Sachverhalts fehlt. In allen anderen Fällen ist die der Entscheidung zugrunde gelegte Tatsachenbasis einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Hieran ist festzuhalten. Die dogmatischen Maßstäbe gerichtlicher Kontrolle haben sich auch in allen Sonderformen des Ermessens, die sich bisher herausgebildet haben, nicht verändert. Etwa sind Koppelungsvorschriften, die ein Ermessen und einen Beurteilungsspielraum kombinieren, nicht als dogmatisch eigenständige Kategorie zu betrachten. Auch das Planungsermessen basiert nicht auf einer Aufhebung der getrennten gerichtlichen Überprüfung von Tatsachenfragen und Rechtsfragen. Das hieran angelehnte Regulierungsermessen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde als ein Versuch identifiziert, mit den Schwierigkeiten der Regulierungsaufgabe in einem Umfeld gesetzlich bzw. verordnungsrechtlich nur schwach vorgeprägtem administrativen Handeln umzugehen. Erstmals erkennt das Bundesverwaltungsgericht diese Ermessensform ausdrücklich in Urteilen aus den Jahren 2007 und 2008 zur Regulierung der Telekommunikationsmärkte an. Die Besonderheit lag in der Verknüpfung tatsachenbezogener mit rechtsfolgenseitigen Entscheidungsebenen. Prüfungsmaßstab war auch die „Angemessenheit“ der Regulierungsverpflichtung im Hinblick auf die Regulierungsziele, weshalb eine Trennung der durch unbestimmte Rechtbegriffe gesteuerten Abwägungsentscheidung von einer sich anschließenden Ermessensbetätigung nicht möglich schien. Der hierdurch entstandene Entscheidungsspielraum war dennoch keiner, der zwischen Tatsachenfragen und Rechtsfragen nicht mehr unterschied, sondern der eine doppelte Kontrolle auf „Abwägungsfehler“ bei der Ausübung des Regulierungsermessens und eine Kontrolle des Beurteilungsspielraums anhand der entwickelten Maßstäbe gebot. Zur Rechtfertigung der Abwandlung der Ermessenskontrolle zu einer Abwägungskontrolle diente diese enge Verbindung der zu berücksichtigenden Belange im Rechtsanwendungsprozess. Zu Unrecht wurde diese Entwicklung als verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert. Der doppelte Überprüfungsmaßstab führte nicht zu einer dem Willen des Gesetzgebers im konkreten Fall zuwider laufenden Ausdehnung behördlicher Letztentscheidungsmacht. Seit dem Jahr 2014 ist das Regulierungsermessen auch im Bereich der Regulierung des Energiesektors zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geworden. Ein Ausschluss von Letztentscheidungsrechten unter dem EnWG, wie vereinzelt angenommen wird, wurde nicht festgestellt. Vielmehr ist es sachgerecht, den gesetzlichen Vorgaben Letztentscheidungsermächtigungen im Einzelfall zu entnehmen. Anhand einer Auswertung aller energiewirtschaftlichen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs von 2014 bis Mai 2021 wurde die Bedeutung des Regulie-
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5. Teil Kap. 9: Zusammenfassung und Thesen
rungsermessens in der Rechtsprechung hervorgehoben und abschließend diejenigen Fälle dargestellt, in welchen der Bundesgerichtshof ein administratives Letztentscheidungsrecht bejaht. So hat er zu Beginn der Rechtsprechungslinie noch ausdrücklich auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Regulierungsermessen Bezug genommen, nachfolgend aber auch oft ohne die ausdrückliche Bezeichnung als „Regulierungsermessen“ ein tatsachenbezogenes Letztentscheidungsrecht angenommen. Die konkrete Ausgestaltung des gerichtlichen Kontrollmaßstabs durch den Bundesgerichtshof ist im Ergebnis als kritikwürdig zu bewerten, da Bereiche dem Letztentscheidungsrecht der Behörde unterstellt werden, die der Tasachenebene oder Sachverhaltsebene zuzuordnen sind. Das Regulierungsermessen hat diese Fehlentwicklung maßgeblich bedingt. Da diese Sachverhalte aber reproduzierbar sind, liegt keine Ausnahme vom Gebot der gerichtlichen Vollkontrolle vor. Aus dem Unionsrecht ergibt sich kein abweichender Befund. Weder das Primärrecht noch das Sekundärrecht treffen Vorgaben zu der gerichtlichen Kontrolldichte von regulierungsbehördlichem Handeln. Auch aus der Rechtsprechung des EuGH folgen keine Vorgaben für die Kontrolldichteproblematik in der Energiewirtschaft. Das anhängige Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik wegen unzureichender Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur in Bezug auf die Festlegung der Bedingungen für den Netzzugang und die Netzentgelte könnte für die Letztentscheidungsdogmatik jedoch von Bedeutung sein. Wenn die normative Vorsteuerung weiter zurückgenommen würde, müssten die Kontrollmechanismen erneut angepasst werden. Dies steht zu erwarten. Es wird nach alledem vorgeschlagen, statt der Negierung behördlicher Letztentscheidungsrechte im Bereich der Energieregulierung eine differenzierte Betrachtung des Rechtsanwendungsprozesses vorzunehmen und die verschiedenen Ebenen dieses Prozesses präzise voneinander abzuschichten. Für das identifizierte Letztentscheidungsrecht wird der Begriff des Subsumtionsermessens vorgeschlagen. Allein die Subsumtion eines konkreten Lebenssachverhalts unter den gesetzlich definierten Zielsatz kann der Letztentscheidung der Behörde übertragen werden. Dies betrifft vornehmlich die Wahl der Methode durch die Regulierungsbehörden im Rahmen der Netzentgeltregulierung. Der Begriff kann die nötige Abgrenzung zu Tatsachenerwägungen, die einem Letztentscheidungsrecht nicht zugänglich sind, herstellen und so eine Fehlentwicklung in der Rechtsprechungspraxis des Bundesgerichtshofs zum Regulierungsermessen korrigieren helfen.
B. Zusammenfassung in Thesen Die gefundenen Ergebnisse lassen sich wie folgt in Thesen zusammenfassen. 1. Die Liberalisierung des ehemals monopolisierten Netzbetriebs hat dem Staat eine Gewährleistungsverantwortung für das Funktionieren der gesellschaftlich be-
B. Zusammenfassung in Thesen
2. 3.
4.
5.
6.
7.
8.
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deutenden Infrastrukturen übertragen, der er im Energiesektor durch Regulierung nachkommt. Zur Herstellung von Wettbewerbsbedingungen sind die Instrumente des Kartellrechts unzureichend; die Aufgaben der Regulierung und der Kartellaufsicht sind nur bedingt miteinander vergleichbar. Die im Verwaltungsrecht über die letzten sechs Jahrzehnte entwickelten Dogmen zur Anwendung und gerichtlichen Überprüfung von behördlichen Letztentscheidungsrechten sind für die komplex-wirtschaftlichen Prognoseentscheidungen der Regulierungsbehörden im Energierecht ungeeignet. Wegen ihrer Ungeeignetheit auch für andere Fallkonstellationen hat es in der Vergangenheit immer wieder Anpassungen und Abweichungen gegeben, um spezielles Verwaltungshandeln mit speziellen Instrumenten für die Verwaltung und die Gerichte auszustatten, wie etwa das Planungsermessen. Das Regulierungsermessen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum TKG war der Versuch, für die besondere Regulierungssituation, und die hiermit an die Behörden herangetragene komplexe Aufgabe der Herstellung wettbewerblicher Entgelte, ein besonderes Handlungs- und Kontrollinstrument zu schaffen. Die Übertragung dieses Instruments auf das Energiewirtschaftsrecht durch den Bundesgerichtshof hat die Schwachstellen des Regulierungsermessens besonders deutlich aufgezeigt. Eine Ausdehnung der Letztentscheidungsermächtigung auf Tatsachenelemente ist die Folge. Aus dem Unionsrecht ergeben sich bis heute keine Vorgaben zur gerichtlichen Kontrolle von Regulierungsentscheidungen. Allerdings finden sich solche zur Dichte der normativen Vorstrukturierung des Regulierungshandelns, weshalb die Erklärung der Unionsrechtswidrigkeit der gängigen „normativen Regulierung“ erwartet wird. Da weder die klassischen Kategorien, noch das Regulierungsermessen den Anforderungen an die Entscheidungsrationalität und die nötige Handlungsflexibilität gerecht werden, wird vorgeschlagen, in diskretionären Behördenentscheidungen des Energierechts das Subsumtionsermessen einzuführen, welches eine genaue Verortung der Entscheidung im Rechtsfindungsprozess ermöglicht und daher nur Belange in zulässigerweise bestehende Letztentscheidungsrechte mit einbezieht, die solchen von Verfassung wegen auch zugänglich sind.
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Sachwortverzeichnis Anreizregulierung 33, 51, 58, 68 ff., 153 ff., 196 f. Beurteilungsspielraum 27 f., 80 ff., 89 ff., 104, 108, 115, 129, 148, 200 ff., 229 Bundeskartellamt 63, 75 ff., 143 ff. Bundesnetzagentur 30 ff., 63, 70 ff., 108 ff., 121 ff., 143 ff., 166 ff., 188 ff. Daseinsvorsorge 27, 32, 41 ff., 55 ff., Dichotomie 15, 33, 35, 81, 89, 119, 136 f., 169, 221 Dogma, Dogmatik 30 ff., 42, 80 ff., 100 ff., 114, 117, 124 f., 131, 140, 166, 169, 217 ff. Eigenkapitalzinssatz 35, 140, 150, 175, 178 f., 196 ff., 218, 226, 230 Einschätzungsprärogative 92 f., 206, 213, 224 Energieregulierung 31 f., 37 ff., 49, 77, 84, 130, 140, 149, 162 ff., 180 ff., 194 ff., 204, 214 f., 226 ff. Energieversorgung 26, 37, 40 f., 43 ff., 55, 66 f., 75 ff., 158 f., 171 Energiewirtschaftsrecht 34 ff., 49, 139, 142, 148, 152 f., 164 ff., 209 f. Exekutive 27, 57, 85 f., 101 f., 113, 126 f., 134, 144, 204 Festlegung 39 f., 66, 118, 128, 132, 135, 150 f., 155 ff., 172 ff., 188 ff., 205 f., 240 f. Gewaltenteilung
29, 79 f., 85, 92, 143
Kartellrecht 25, 29, 33, 51, 55 f., 71 ff., 130, 143, 167, 236, 239 Kontrolldichte 27, 30, 84, 87, 92, 94, 123, 126, 130, 136, 151 f., 156, 163, 179, 183, 187 f., 192 ff., 232, 238 Koppelungsvorschrift 104, 121 ff., 149, 215, 234, 237
Letztentscheidungsrecht 27 ff., 32 ff., 84, 86 ff., 100, 106, 109, 122, 127, 130 ff., 147, 152, 162 ff., 170, 182 ff., 202 ff., 219, 226 ff. Liberalisierung 27, 30, 36 f., 40, 43 f., 56, 62, 65, 67, 71 f., 141 f., 181, 236 Marktabgrenzung 110, 116, 120, 123, 149 Marktanalyse 115 f., 118, 120, 122, 129 Marktrisikoprämie 197 ff., 208, 218 Methodenwahl 31, 136, 150, 152, 163 f., 176 ff., 187, 197, 199 f., 205 f., 212, 216, 219, 226, 230 ff. Methodenausfüllung 200, 218 f., 230, 232 f. Monopol 26, 33, 38 ff., 54 ff., 68 ff., 77, 128, 130, 141, 167, 236, 238 Netzbetrieb 25 f., 55, 67, 70, 75, 155, 175, 185, 191, 197, 238 Netzentgelt 46, 64, 66, 142, 149, 154, 173, 175 f., 189 f., 195, 238 Planungsermessen 30, 33, 50, 100, 102 ff., 109, 119, 124, 135, 138, 210, 237, 239 Plausibilisierung 34, 161, 178, 199 ff., 218, 232 f. Produktivitätsfaktor 140, 154, 178, 196, 233 Prognoseentscheidung 110, 203, 215, 217 Qualitätselement 217
149 f., 157, 192, 211 f.,
Regulierungsentscheidung 31, 110, 153, 190, 201, 213, 215, 232, 239 Regulierungsperiode 69 f., 150, 154 f., 174, 191, 196 ff., 203, 211, 230, 233 Regulierungsziel 31, 37, 56, 112, 113, 117 f., 121, 132 f., 188, 218, 237 Subsumtionsermessen 32, 35, 228 ff., 238 f.
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Sachwortverzeichnis
Telekommunikation 27, 30, 34, 37 f., 51, 108 f., 121, 128, 132 f., 138 ff., 148, 153, 163 f., 188, 190, 226, 237 Wagniszuschlag 228, 230
175, 191, 196 ff., 207 f.,
Vertragsverletzungsverfahren 189, 192, 194, 238 Zielsatz
230, 238
34, 180 f.,
Anhang
Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen 2014 – 05/2021
254
Anhang: Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen
Anhang: Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen
255
256
Anhang: Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen
Anhang: Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen
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258
Anhang: Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen
Anhang: Rechtsprechungsauswertung des BGH zum Regulierungsermessen
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