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German Pages [323] Year 2017
Studien zum Privatrecht Band 70
Stefan Klingbeil
Die Not- und Selbsthilferechte Eine dogmatische Rekonstruktion
Mohr Siebeck
Stefan Klingbeil, geboren 1980; Studium der Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg; 2007 Erste Juristische Staatsprüfung; Juristischer Vorbereitungsdienst am Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg; 2010 Zweite Juristische Staatsprüfung; 2012 Master of Laws (Yale); 2017 Promotion; Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Lehrstuhl für Zivilrecht, Zivilprozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
D 30
ISBN 978-3-16-155533-6 ISSN 1867-4275 (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung konnten Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Mai 2017 berücksichtigt werden. Mein tief empfundener Dank gilt zunächst meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Felix Maultzsch, der meine Sichtweise auf das Recht seit meiner Studienzeit in Freiburg maßgeblich geprägt hat. Er hat die vorliegende Arbeit mit großem Interesse, konstruktiver Kritik und unerschöpflicher Diskussionsbereitschaft gefördert. Weiterhin möchte ich Herrn Prof. Dr. Alexander Peukert herzlich für seine wertvollen Anregungen im Rahmen der zügigen Zweitbegutachtung dieser Schrift danken. Sehr verbunden bin ich darüber hinaus Herrn Prof. Dr. Felix Hartmann und Herrn Jun.-Prof. Dr. Thomas Wischmeyer. Beide haben nicht nur Teile der Arbeit kritisch Korrektur gelesen, sondern zudem auch die Entwicklung der Hauptgedanken in zahllosen Gesprächen vorangebracht. Großer Dank gebührt außerdem Frau Prof. Dr. Anna-Bettina Kaiser sowie Herrn Prof. Dr. Michael Fehling für die Möglichkeit, mein Forschungs projekt in ihrem Doktorandenkolloquium vorzustellen, wodurch die zentralen Thesen der vorliegenden Untersuchung auch eine kritische Beleuchtung aus verwaltungsrechtlicher Perspektive erfahren haben. Ferner danke ich Herrn Dr. Franz-Peter Gillig vom Mohr Siebeck Verlag für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriftenreihe „Studien zum Privatrecht“. Ein besonderer persönlicher Dank gilt schließlich meinen Eltern, die mich während meiner gesamten Ausbildung auf jede erdenkliche Weise unterstützt haben. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Frankfurt am Main, im August 2017
Stefan Klingbeil
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Gegenstand und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Methode und Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 C. Der rechtspersonalistische Grundansatz der Arbeit . . . . . . . . 4
§ 2 Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 A. Der Staat als Inhaber des Monopolrechts „an“ dem Recht zum physischen Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 B. Konsequenzen für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 C. Die Differenzierung zwischen Not- und Selbsthilferechten . . . . 14 D. Die dogmatische Struktur der Not- und Selbsthilferechte . . . . . 17 I. Die dogmatische Struktur der öffentlich-rechtlichen Notgeschäftsführungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Die dogmatische Struktur der privatrechtlichen Selbsthilferechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Kurzer Strukturvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte . 22 A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO . 23 I. Überblick über die dogmatische Einordnung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Rekonstruktion des dogmatischen Grundgerüsts des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Die Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . 42 2. Das Ob der Notgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Das Wie der Notgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . . 44 a) Das subjektive Wie der Notgeschäftsführung . . . . . . 44 b) Das objektive Wie der Notgeschäftsführung . . . . . . 45 IV. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
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1. Haftung für Fehlverhalten bei der Durchführung der Festnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Haftung bei Schlechtausführung des staatlichen Festnahmegeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Haftung bei Verwendung eines unzulässigen Zwangsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notgeschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB . . . . . . . . . . . 56 I. Rekonstruktion des dogmatischen Grundgerüsts der Notwehr 57 1. Dogmatische Rekonstruktion des individualrechtlichen Schutzprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Dogmatische Rekonstruktion des überindividuellen Rechtsbewährungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Überblick über die herkömmlichen Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Reformulierung des überindividuellen Rechtsbewährungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Notwehr . . . . . . 82 1. Die Grundsituation der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Dogmatische Rekonstruktion der Grundsituation der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Die Maßgeblichkeit der ex-ante-Perspektive des Geschäftsherrn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Das Ob der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Der Wille des Geschäftsherrn als Maßstab für das Ob der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Einwände gegen den herkömmlichen Lösungsansatz . . 89 c) Die unberechtigte Einmischung in einen Polizeieinsatz . 93 d) Die berechtigte Ergänzung eines Polizeieinsatzes . . . . 96 e) Das Problem des pflichtwidrig untätigen Polizisten . . . 98 f) Das Problem des entgrenzten Ersatzmannes . . . . . . 100 g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Das Wie der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Das subjektive Wie der Notwehr . . . . . . . . . . . . 102 aa) Der Notgeschäftsführungswille als normatives Konstrukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Die böswillige Eigengeschäftsführung „bei Gelegenheit“ einer Notwehrlage . . . . . . . . 106 cc) Die verdeckte Eigengeschäftsführung „bei Gelegenheit“ einer absichtlich provozierten Notwehrlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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b) Das objektive Wie der Notwehr . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Der Wille des Geschäftsherrn als Maßstab für das objektive Wie der Notwehr . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Die Integration des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Notwehrdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Angriffe auf das Sacheigentum . . . . . . . . . . . 123 dd) Schuldlose Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 ee) Unabsichtlich provozierte Angriffe . . . . . . . . . 134 ff) Angriffe in engen persönlichen Beziehungen . . . . 140 gg) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 III. Ausgewählte Sonderprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Die Pflicht des Bürgers zur Ausübung des Notwehrrechts . 145 2. Zur Möglichkeit der Berufung von Polizeidienstkräften auf das Notwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Putativnotwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 IV. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Haftung für Fehlverhalten bei der Angriffsabwehr . . . . . 154 a) Haftung bei Schlechtausführung des staatlichen Vollstreckungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Haftung bei Verwendung eines unzulässigen Zwangsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notgeschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Haftung für risikotypische Begleitschäden des nicht in eigenen Rechten angegriffenen Notgeschäftsführers . . 156 b) Haftung für risikotypische Begleitschäden des in eigenen Rechten angegriffenen Notgeschäftsführers . . . . . . . 159 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Rekonstruktion des dogmatischen Grundgerüsts des Sachwehrrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Sachwehr . . . . . 178 1. Die Grundsituation der Sachwehr . . . . . . . . . . . . . 179 2. Das Ob der Sachwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Das Wie der Sachwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Das subjektive Wie der Sachwehr . . . . . . . . . . . . 185 b) Das objektive Wie der Sachwehr . . . . . . . . . . . . 190 III. Abgrenzung des Sachwehrrechts aus § 228 BGB vom Notstandsrecht aus §§ 904 BGB, 34 StGB . . . . . . . . . . . 191 IV. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Haftung für die schuldhafte Herbeiführung einer Sachwehrmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Haftung für Fehlverhalten bei der Abwehr der gefahrbringenden Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notgeschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
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a) Haftung für risikotypische Begleitschäden des nicht durch die Sache bedrohten Notgeschäftsführers . . . . . . . . 197 b) Haftung für risikotypische Begleitschäden des durch die Sache bedrohten Notgeschäftsführers . . . . . . . . . . 198 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB . . . . . . . . 199 I. § 859 BGB als Instrument zur Durchsetzung von Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB . . . . . . . . . 200 II. Die Doppelfunktion des § 859 BGB als Not- und Selbsthilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 III. Dogmatische Rekonstruktion des § 859 BGB als Not- und Selbsthilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. § 859 BGB als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Dogmatische Rekonstruktion des § 859 BGB als Notgeschäftsführungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von § 859 BGB . . 209 2. § 859 BGB als privatrechtliches Selbsthilferecht . . . . . . 210 a) Dogmatische Rekonstruktion des § 859 BGB als Selbsthilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Selbsthilfemaßnahmen auf Grundlage von § 859 BGB . 211 c) Die Erstattung der Selbsthilfekosten . . . . . . . . . . 213 d) Die zeitlichen Grenzen der Selbsthilfe in Abschleppkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Haftungsfragen zu § 859 BGB in seiner Funktion als Notgeschäftsführungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Haftung für Fehlverhalten bei der Abwehr verbotener Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Haftung für risikotypische Begleitschäden . . . . . . . 223 2. Haftungsfragen zu § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Haftung für Fehlverhalten bei der Abwehr verbotener Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Haftung bei Schlechtausführung einer Selbsthilfemaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 224 bb) Haftung bei Verwendung eines unzulässigen Zwangsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Haftung für risikotypische Begleitschäden . . . . . . . 229 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 E. Das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB . . . . . 230 I. § 910 BGB als Instrument zur Durchsetzung von Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB . . . . . 231 II. Die Voraussetzungen des Selbstvornahmerechts aus § 910 BGB 233
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1. Das Selbstvornahmerecht des § 910 Abs. 1 S. 1 BGB . . . . 233 2. Das Selbstvornahmerecht des § 910 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . 236 III. Die Erstattung der Selbstvornahmekosten . . . . . . . . . . . 237 IV. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 F. Das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . 241 II. Die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . 246 III. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I. Überblick über die dogmatische Einordnung der §§ 229, 230 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 II. Dogmatische Rekonstruktion der §§ 229, 230 BGB . . . . . . 251 1. §§ 229, 230 BGB als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Prokuratorische Rekonstruktion der §§ 229, 230 BGB . . 254 b) Die Sicherung von Auskunftsansprüchen auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. §§ 229, 230 BGB als privatrechtliches Selbsthilferecht . . . 259 III. Die Auffangfunktion der §§ 229, 230 BGB . . . . . . . . . . 260 IV. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Haftungsfragen zu den §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Notgeschäftsführungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Haftung für Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Haftung für risikotypische Begleitschäden . . . . . . . 266 2. Haftungsfragen zu den §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Selbsthilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
§ 4 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . 272 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
§ 1 Einleitung A. Gegenstand und Ziel der Arbeit Der einschneidende Charakter der Not- und Selbsthilferechte zwingt jede Rechtsgemeinschaft zu grundsätzlichen Bekenntnissen. Deshalb nimmt es nicht wunder, dass die dogmatischen Grundlagen dieser Rechtsinstitute seit jeher einen besonderen Zankapfel der Jurisprudenz darstellen. Dabei hat sich in der Vergangenheit vor allem das Notwehrrecht immer wieder „als Indikator für Wandlungen in den politischen Grundanschauungen“ erwiesen, was seinen Grund in erster Linie darin findet, dass sich in der juristischen Konzeptualisierung dieses Gewaltrechts „die Position einer Rechtsordnung zwischen Individualismus und sozialer Bindung“ offenbart.1 Welche Position das deutsche Grundgesetz zu dieser Frage einnimmt, hat das Bundesverfassungsgericht folgendermaßen zusammengefasst: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“2
Inwieweit die heutige Notwehrdogmatik diesem staatstheoretischen Grundverständnis gerecht wird, erscheint indessen alles andere als geklärt. Vielmehr wächst in der Rechtslehre seit längerem „das Unbehagen an der mit den Maßstäben eines sozialen Rechtsstaats kaum zu vereinbarenden Weite“3 des Notwehrrechts. So hat etwa bereits Bernsmann darauf hingewiesen, dass ein nicht durch die Verhältnismäßigkeit begrenztes Notwehrrecht „aus verfassungsrechtlicher Perspektive befremdlich“ wirke.4 Daran anknüpfend unterstreicht in jüngerer Zeit auch Bülte, dass das Notwehrrecht in seiner aktuellen dogmatischen Ausformung „verfassungsrechtlich zumindest bedenklich“ sei.5 Aber auch die andeS. für die Zitate Schroeder, FS Maurach, S. 127. BVerfGE 4, 7, 15 f. 3 NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 8. 4 Bernsmann, ZStW 104 (1992), 290, 310. 5 Bülte, GA 2011, 145, 166. 1 2
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§ 1 Einleitung
ren Not- und Selbsthilferechte der Bürger werden in der juristischen Literatur kritisch betrachtet. So stellt beispielsweise Jeand’Heur heraus, dass diese rechtlichen Instrumente insgesamt „einen Bruch in der normativen Infrastruktur“ darstellen würden.6 Im gleichen Sinne hat auch Hoffmann-Riem konstatiert, dass die Gewaltrechte der Bürger „einen Bruch im System eines rechtsstaatlich gebändigten Ausgleichs von kollidierenden Individualinteressen bedingen“.7 Nicht zuletzt wegen dieser verfassungsrechtlichen und rechtsstaatlichen Bedenken soll die dogmatische Ausgestaltung der Not- und Selbsthilferechte in der vorliegenden Arbeit einer kritischen Revision unterzogen werden. Dabei besteht das Ziel der Untersuchung darin, diese Rechtsbehelfe so zu rekonzeptualisieren, dass sie sich harmonisch in die „Einheit der Rechtsordnung“8 einfügen und gerade nicht als „Bruch in der normativen Infrastruktur“ erscheinen. Oder anders ausgedrückt: Es soll herausgearbeitet werden, wie sich die Gewaltrechte der Bürger ohne axiologische Friktionen in „den wunderbaren Bau der logischen Struktur der Rechtsordnung“9 integrieren lassen.
B. Methode und Gang der Arbeit Um den konzeptionellen Grundstein für das hiesige Rekonstruktionsvorhaben zu legen, soll im Rahmen der Vorüberlegungen zunächst die Lehre vom Gewaltmonopol des Staates in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik reformuliert werden.10 Zwar wird die „Gewaltmonopoldoktrin“11 in der juristischen Literatur als eine „heute im Grundsatz unangefochtene Lehre“12 bezeichnet. Wie zu zeigen sein wird, operiert die überwiegende Meinung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum jedoch mit Begriffsbestimmungen, die aus rechtskon struktiver Perspektive nicht haltbar sind.13 Im nächsten Schritt arbeitet die Untersuchung die dogmatischen Implikationen des Gewaltmonopolgedankens für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte heraus, bevor vor diesem Hintergrund dargelegt wird, wie sich die neuere Rechtsprechung zum haftungsrechtlichen Amtswalterbegriff mit der Gewaltrechtsdogmatik verknüpfen Jeand’Heur, AöR 19 (1994), 107, 127. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, 277, 281. 8 Näher zum Gedanken der Einheit der Rechtsordnung etwa Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 1 ff., 55 ff.; Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 142 ff.; Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, Rn. 145 ff., 276 ff. 9 Formulierung von Schönfeld, Die logische Struktur der Rechtsordnung, S. 84. 10 S. dazu unten sub § 2 A, S. 8 ff. 11 Begriff von Möllers, Staat als Argument, S. 280. 12 So Burgi, Verh. des 67. DJT, Bd. 1, D 57. 13 S. dazu unten sub § 2 A, S. 12 f. 6 7
B. Methode und Gang der Arbeit
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lässt.14 Daran schließt sich ein Überblick über die normativen Grundprinzipien der Notrechte einerseits und der Selbsthilferechte andererseits an, woraufhin die beiden Gewaltrechtstypen im Rahmen eines kurzen Strukturvergleichs miteinander kontrastiert werden.15 Insgesamt geht es in den Vorüberlegungen vor allem darum, klar konturierte Begriffsbestimmungen und Kategorien zu entwickeln, um so das dogmatische Fundament für den folgenden Teil der Untersuchung zu legen. Im Hauptteil der Arbeit werden sodann die axiologischen Strukturen der Not- und Selbsthilferechte dogmatisch rekonstruiert.16 Dabei soll insbesondere gezeigt werden, dass die Gewaltrechte der Bürger keine ge nuin strafrechtlichen Rechtsinstitute darstellen, obwohl sie in der Rechtspraxis häufig im Strafrecht eine Rolle spielen. Vielmehr handelt es sich bei diesen Rechtsinstituten bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise um vollstreckungsrechtliche Instrumente, womit korrespondiert, dass das Handeln in Ausübung der Not- und Selbsthilferechte systematisch auf der Ebene der Verhaltens vorschrift zu verorten ist17. In methodischer Hinsicht geht das Rekonstruktionsvorhaben typischerweise so vor, dass die überkommenen Kategorien zunächst auf ihre dogmatische Substanz hin analysiert werden, um sodann die herkömmlichen Begriffsbestimmungen in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik zu reformulieren. Zu diesem Zweck wird regelmäßig eine Funktionsanalyse der in Rede stehenden gesetzlichen Regelung vorgenommen, womit gemeint ist, dass herausgearbeitet wird, welche funktionale Rolle das betreffende Rechtsinstitut im heutigen Rechtssystem erfüllt. Ferner werden die überkommenen Strukturen dort „überschrieben“, wo es aus Gründen der Systemstimmigkeit geboten ist. Hervorzuheben ist, dass es dem vorliegenden Rekonstruktionsvorhaben keineswegs darum geht, das Rad neu zu erfinden. Im Gegenteil soll gerade die überkommene Sonderdogmatik, die sich im Bereich der Not- und Selbsthilferechte etabliert hat, auf bekannte dogmatische Strukturen und Figuren zurückgeführt werden. Weiter zeigt die Untersuchung auf, dass diese Strukturen und Figuren den von der Rechtsprechung entwickelten Problemlösungen vielfach bereits subkutan zugrunde liegen. Damit ist zugleich gesagt, dass die hiesige Konzeption insoweit eine Synthese von „wissenschaftlicher Dogmatik“ und „Gebrauchsdogmatik“18 anstrebt, als sie auf die Entwicklung einer gebrauchstauglichen „Wissenschaftsdogmatik“19 zielt, die den Postulaten der Rechtstheorie ebenso gerecht wird wie 14
S. dazu unten sub § 2 B, S. 13 f. sowie sub § 2 C, S. 14 ff. S. dazu unten sub § 2 D, S. 17 ff. 16 S. dazu unten sub § 3, S. 22 ff. 17 Vgl. dazu auch Lagodny, Schranken, S. 265 sowie Günther, FS Grünwald, S. 217 ff. 18 Näher zu diesen Kategorien Stürner, JZ 2012, 10, 11 f. 19 Begriff von Kaiser, DVBl 2014, 1102, 1105. 15
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§ 1 Einleitung
den Anforderungen der Rechtspraxis. Darüber hinaus geht es der vorliegenden Arbeit darum, die Strukturen des Privatrechts mit denen des öffentlichen Rechts zu verknüpfen und die Bedeutung dieser Strukturen für das Strafrecht aufzu zeigen. Dementsprechend sollen die hier angestellten Überlegungen auch dazu dienen, die viel beklagten „Abschottungstendenzen“20 zwischen den einzelnen Rechtsgebieten ein Stück weit zu überwinden. Bevor das soeben skizzierte Arbeitsprogramm jedoch in der Sache aufgenommen wird, soll zunächst die rechtstheoretische Prämisse des hiesigen Ansatzes offengelegt werden.
C. Der rechtspersonalistische Grundansatz der Arbeit In rechtstheoretischer Hinsicht geht die vorliegende Arbeit davon aus, dass der Begriff der Rechtsperson den Grundbegriff der modernen Wissenschaft vom Recht darstellt. Das heißt, nach der hier vertretenen Auffassung ist Gegenstand der juristischen Betrachtung und Konstruktion weder die „zoologisch-psychologische Einheit: Mensch“21 noch die „ichhafte Kulturperson“22 , sondern die „juristische“ Person und damit ein „Rechtsgebilde“23. In besonderer Klarheit hat bereits Gustav Radbruch auf den spezifisch juristischen Charakter der Rechtsperson aufmerksam gemacht: „[D]ie gleiche Rechtsfähigkeit, die das Wesen der Person ausmacht, wohnt Menschen und menschlichen Verbänden nicht inne, sondern wird ihnen erst von der Rechtsordnung beigelegt. […] Person zu sein, ist das Ergebnis eines Personifikationsakts der Rechtsordnung. Alle Personen, die physischen wie die juristischen, sind Geschöpfe der Rechtsordnung. Auch die physischen Personen sind im strengsten Sinn ‚juristische Personen‘. Über die ‚fiktive‘, d. h. künstliche Natur aller, der physischen wie der juristischen Personen ist also ein Streit nicht möglich.“24 20 S. dazu auch Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, § 1 Rn. 38. 21 S. für dieses Zitat Kelsen, Staatsrechtslehre, S. 142. 22 Formulierung von Schönfeld, Rechtsperson, S. 251. 23 Begriff von Schönfeld, Jherings Jb. 39 (1925), 333, 346: „Wie es nichts Ajuristisches im Recht gibt und geben kann, weil alles im Recht vom Recht zum Juristischen bestimmt ist, also sind nicht nur sein Verein und seine Stiftung, sondern auch sein Mensch Rechtsgebilde.“ Vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 176 ff. 24 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 230 f.; in diesem Sinne etwa auch Lasson, Rechtsphilosophie, S. 440; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 28, 82; Schönfeld, Rechtsperson, S. 251; ders., AcP 135 (1932), 1, 19 f.; Wolff, Juristische Person und Staatsperson, S. 149 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 458 f.; Schnapp, Rechtstheorie 9 (1978), 275, 283; ders., Jura 1980, 68, 70; ders., FS Schenke, S. 1189 f.; Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 227 ff.; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 141 ff.; Jesch, Verwaltung, S. 52; Sokol, Verantwortlichkeit, S. 264 f.; Teubner, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 129.
C. Der rechtspersonalistische Grundansatz der Arbeit
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Im gleichen Sinne stellt in neuerer Zeit etwa Kirste heraus, dass im „modernen, ausdifferenzierten Recht“ die Frage nach der Rechtsperson „eine Frage des Rechts und nicht der Soziologie oder Moral“ sei, was impliziere, dass es sich bei der Rechtsperson um „eine Konstruktion des Rechts selbst“ handele.25 Damit ist indessen noch nicht gesagt, was genau unter dem Begriff der Rechtsperson zu verstehen ist. Die vorliegende Arbeit geht insoweit von folgender Begriffsbestimmung aus: Eine Rechtsperson ist ein rechtsfähiger26 Träger von Rechten und Pflichten, der in einem rechtlichen Körper wohnt27 und Rechtspersönlichkeit herausbildet28, indem er sich als Rechtssubjekt zu sich selbst verhält29 und durch seine Rechtsorgane rechtliche Akte setzt und empfängt30. Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 352. S. zum Begriff der Rechtsfähigkeit etwa Damm, AcP 202 (2002), 841, 847 f.; Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226 ff.; Reuter, AcP 207 (2007), 673, 685; Rittner, FS Hüffer, S. 848 ff.; Staudinger/Kannowski, BGB, § 1 Rn. 1; MK/Schmitt, BGB, § 1 Rn. 6. 27 Vgl. Žižek, Körperlose Organe, S. 240: „Die Person wohnt in einem Körper […].“ Vgl. auch Schönfeld, Grundlegung der Rechtswissenschaft, S. 22 ff., 464 ff.; Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 47 f., S. 59 f.; Kierkegaard, Der Begriff Angst, S. 52, 81, 104, 160; Fromm, Haben oder Sein, S. 32, 87, 105, 156; Spaemann, Personen, S. 168. 28 S. zur Herausbildung der Persönlichkeit aus der personalen Substanz etwa Rütter, Bildungsarbeit, S. 386 ff.; Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 373; Žižek, Körperlose Organe, S. 240; s. auch Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, S. 37: „Die Persönlichkeit ist eine Synthese von Möglichkeit und Notwendigkeit. Daher gleicht ihr Bestehen der Atmung (der Respiration), die ein Ein- und Ausatmen ist.“ Im gleichen Sinne stellt Schönfeld, AcP 136 (1932), 331, 336 heraus, dass „die Persönlichkeit der Rechtsperson nicht eigentlich ein Zustand, sondern ein Verfahren ist, mehr eine ‚Methode‘ als ein ‚Status‘, ein Besitz, der ständig neu erworben werden will“. 29 S. zum „Subjekt als der leeren Form der Selbstbezüglichkeit“ etwa Žižek, Weniger als nichts, S. 999 (Hervorhebung im Original) sowie dens., in: Pfaller (Hrsg.), Interpassivität, S. 19; s. auch Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, S. 8: „Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder es ist in diesem Verhältnis jenes, dass dieses sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass sich das Verhältnis zu sich selbst verhält.“ S. zum Subjektbegriff ferner auch K. Günther, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Personale Rechtsgutslehre, S. 22 (das Subjekt als „die allgemeine Struktur eines […] Selbstverhältnisses“) sowie Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 18 ff. 30 S. zum Organbegriff etwa Schönfeld, Grundlegung der Rechtswissenschaft, S. 38: „[Die Person] hat, bildlich gesprochen, nicht nur einen Kopf zum Denken, sondern auch ein Herz zum Fühlen, einen Mund zum Reden und eine Hand zum Wollen; aber gerade darum ist sie nicht ihr Kopf, ihr Herz, ihr Mund und ihre Hand, die vielmehr ihre Organe sind, wie wir es zu nennen pflegen, ihre Werkzeuge, durch die sie sich als Person erweist, erzeugt und verwirklicht, indem sie in ihnen lebt und webt und ist.“ Vgl. auch v. Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, S. 29: „[W]ie, wenn das Auge sieht oder der Mund spricht oder die Hand greift, der Mensch sieht und spricht und greift, so wird, wenn das Organ innerhalb sei ner Zuständigkeit gehörig funktioniert, die Lebenseinheit des Ganzen unmittelbar wirksam.“ 25
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§ 1 Einleitung
Dabei wird der Akt der Rechtssubjektivierung in der deutschen Rechtsordnung durch die höchste Verfassungsnorm vollzogen.31 Denn „jeder Mensch ist kraft des in Art. 1 Abs. 1 GG liegenden Anerkennungsakts Rechtsperson“32. Durch diese Norm wird der Mensch also „allein wegen seines Menschseins als Rechtsperson begründet“.33 Anders ausgedrückt: Die Staatsperson ruft den Menschen durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ins rechtliche Leben und konstituiert ihn so als Rechtsmenschen.34 Das heißt, der Staatsapparat schafft die natürlichen Rechtspersonen qua Interpellation35 in der Sprache des Rechts, wodurch das Rechtsdreieck Bürger – Staat – Bürger (A–B–C) entsteht.36 Hervorzuheben ist, dass es sich bei diesem Personifikationsakt aus juristisch-konstruktiver Perspektive um einen „Anruf ins Nichts hinein“ handelt, weshalb die natürliche Rechtsperson im Sinne einer creatio ex nihilo durch das Wort aus dem Nichts geschöpft wird.37 Damit ist zugleich gesagt, dass Rechtspersonen nicht in der Kulturwelt, sondern in der Rechtswelt existieren38 – also in der Kulturwelt, wie sie sich darstellt, wenn man sie durch die Brille des Rechts betrachtet. Unter dem Begriff der Rechtswelt ist dementsprechend die unter dem Gesichtspunkt des Rechtlichen betrachtete Kulturwelt zu verstehen. So hat denn auch schon Walther Schönfeld darauf hingewiesen, dass „die Welt des Rechts“ nichts anderes sei als „die Welt im Recht“, weshalb Jurisprudenz „aufs Ganze der Welt im Zeichen der Gerechtigkeit“ gehe: „Sub specie iuris sieht der Jurist die Welt, und zwar die ganze Welt. Er kennt die ganze Welt, es ist ihm nichts verborgen, auch wenn er sie nur ‚auf das Recht hin‘ sieht, das seine Welt ist. Rechtserkenntnis ist Welt erkenntnis in ihrer ganzen Fülle trotz aller ,Einseitigkeit‘ […].“39 Treffend hebt ferner auch Haltern zum Wesen des Rechtlichen hervor: 31 Grundlegend Enders, Menschenwürde, S. 274 ff., 502 ff.; s. auch Hillgruber, JZ 1997, 975; Epping/Hillgruber/Hillgruber, GG, Art. 1 Rn. 3; Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 54; Klingbeil, ARSP-B 140 (2014), 185, 187 ff. 32 Epping/Hillgruber/Hillgruber, GG, Art. 1 Rn. 3. 33 Palm, Der Staat 47 (2008), 41, 54. 34 Vgl. Enders, Menschenwürde, S. 275. 35 Näher zur Subjektivierung durch „ideologische Anrufung“ etwa Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, S. 140 ff.; Butler, Psyche der Macht, S. 7 ff., 91 ff., 104 f.; Žižek, Weniger als nichts, S. 1336 ff.; Schütt, Anrufung und Unterwerfung, S. 15 ff. 36 S. zum Rechtsdreieck Bürger – Staat – Bürger etwa Wehr, Rechtspflichten, S. 165 sowie Grosch, Rechtswandel, S. 138. 37 Instruktiv zur Konstruktionsfigur des „Anruf[s] ins Nichts hinein“ etwa Scholem, Über einige Grundbegriffe des Judentums, S. 53 ff. (s. für das Zitat a. a. O., S. 56). 38 Vgl. etwa Teubner, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 127 ff.; Hutter/Teubner, in: Fuchs/Göbel (Hrsg.), Der Mensch – das Medium der Gesellschaft?, S. 110 ff.; Schnapp, Jura 1980, 68, 70. 39 Schönfeld, Von der Rechtserkenntnis, S. 30; s. auch dens., AcP 135 (1932), 1, 45: „Die Welt des Rechts ist die Welt im Recht, im Namen und Zeichen der Gerechtigkeit […].“ In
C. Der rechtspersonalistische Grundansatz der Arbeit
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„Recht ist keineswegs ein Normenkörper, der von außen auf den Gesellschaftskörper einwirkt. Recht ist vielmehr eine bestimmte Art, die Welt zu beobachten und zu verstehen. Recht ist kein Ding, sondern eine Perspektive. Wer durch die Brille des Rechts schaut, blickt auf das Politische, und zwar aus einem ganz bestimmten Blickwinkel. Das Recht verleiht dem Beobachteten einen spezifischen, dem Recht eigenen Sinn. Bevor es dem Politischen eine Form gibt, gibt es unserer Imagination des Politischen eine Form. Damit ist Recht eine Imaginationsform.“40
Kurzum: Die vorliegende Arbeit baut auf der rechtstheoretischen Prämisse auf, dass (natürliche) Rechtspersonen „Geschöpfe der Rechtsordnung“41 sind, deren ontologische Heimat die Rechtswelt ist, worunter „die Kulturwelt in der Form und Norm des Rechts“42 zu verstehen ist. Das aber bedeutet, dass für die „juristische Ideologie“43 gilt, was für jede Ideologie gilt: „Um die wahre Natur der Dinge zu sehen, brauchen wir die [ideologische] Brille.“44 Oder wie Radbruch es ausdrückt: „Der Jurist sieht […] den individuellen Menschen und den individuellen Fall immer nur durch die Brille des gesetzlichen Allgemeinbegriffs, nur wie durch einen dichten Schleier, der lediglich die gröbsten Umrisse zu sehen gestattet – eben durch die Augenbinde der Themis.“45
diesem Sinne auch Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 123: „Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen.“ 40 Haltern, ARSP-B 113 (2008), 193, 207; vgl. auch Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 30: Recht als „das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen“. 41 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 231. 42 Schönfeld, Rechtsperson, S. 236; s. dazu auch dens., Ueber den Begriff einer dialektischen Jurisprudenz, S. 3 ff. 43 Begriff von Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, S. 160. 44 Žižek, Weniger als nichts, S. 1358; näher zur normativen Konstruktion der Wirklichkeit etwa ders., Liebe deinen Nächsten, S. 142 ff.; Popitz, Die normative Konstruktion von Ge sellschaft, S. 21 ff.; Berger/Luckman, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 49 ff.; Searle, Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, S. 10 ff.; Goodman, Weisen der Welterzeugung, S. 20 ff.; Grace, The Linguistic Construction of Reality, S. 3 ff.; Agamben, Was ist ein Dispositiv?, S. 7 ff.; Lévi-Strauss, Strukturale Anthropologie I, S. 204 ff.; Grafstein, Institutional Realism, S. 172 ff.; Geißlinger, Die Imagination der Wirklichkeit, S. 66 ff. 45 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 198 f.; s. auch a. a. O., S. 199: „Der Jurist muß im lebendigen Menschen nur ein juristisches Schema zu sehen vermögen […].“
§ 2 Vorüberlegungen Wie oben bereits erwähnt wurde1, geht es im Rahmen der Vorüberlegungen in erster Linie darum, das dogmatische Fundament für den sich anschließenden Hauptteil der Arbeit zu legen, in welchem die Not- und Selbsthilferechte der Bürger einer kritischen Revision unterzogen werden. Zu diesem Zweck wird im Folgenden zunächst „[d]ie heute im Grundsatz unangefochtene Lehre vom Gewaltmonopol des Staates“2 in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik reformuliert (dazu A.).3 Zugleich arbeitet die Untersuchung dabei heraus, weshalb die von der überwiegenden Meinung in der juristischen Literatur verwendete Begriffsbestimmung aus rechtskonstruktiver Perspektive nicht tragfähig ist. Sodann werden die Konsequenzen des Gewaltmonopolgedankens für die juristische Konzeptualisierung der Not- und Selbsthilferechte der Bürger dargelegt (dazu B.). Vor diesem Hintergrund zeigt das Rekonstruktionsvorhaben anschließend auf, wie sich die neuere Judikatur zur Auslegung des haftungsrechtlichen Amtswalterbegriffs stimmig mit der Dogmatik der Not- und Selbsthilferechte verbinden lässt (dazu C.). Darauf folgt schließlich noch eine überblicks artige Darstellung der tragenden Strukturprinzipien der Notrechte einerseits und der Selbsthilferechte andererseits (dazu D.).
A. Der Staat als Inhaber des Monopolrechts „an“ dem Recht zum physischen Zwang Als Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen soll die berühmte Formulierung des Gewaltmonopolgedankens von Max Weber dienen, der unter einem Staat bekanntlich einen politischen Anstaltsbetrieb verstanden hat, dessen „Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die 1
S. sub § 1 B, S. 3. Burgi, Verh. des 67. DJT, Bd. 1, D 57. 3 S. zur Notwendigkeit einer juristischen Reformulierung des Gewaltmonopolgedankens etwa Waldhoff, Staat und Zwang, S. 33 sowie dens., in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 3, § 46 Rn. 16. 2
A. Der Staat als Inhaber des Monopolrechts „an“ dem Recht zum physischen Zwang
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Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt“4. Oder wie es an anderer Stelle heißt: „Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ‚Gebiet‘, gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart Spezifische ist: daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur soweit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt: er gilt als alleinige Quelle des ‚Rechts‘ auf Gewaltsamkeit.“5
Als Staaten gelten für Weber dementsprechend nur solche politischen Gemeinschaften, „kraft deren Auftrag oder Zulassung von irgendwelchen anderen Gemeinschaften überhaupt ‚rechtmäßiger‘ physischer Zwang geübt werde[n]“ kann.6 In die gleiche Richtung weist die Begriffsbestimmung von Dieter Grimm, der den Kerngehalt der Lehre vom Gewaltmonopol des Staates folgendermaßen zusammenfasst: „Allein der Staat hat das Recht zur Gewaltanwendung, der Einzelne oder die gesellschaftlichen Verbände haben es im Grundsatz nur, wenn und soweit es ihnen vom Staat verliehen worden ist.“7 In prägnanter Kürze stellt ferner auch Möllers heraus: „Der Staat ist Alleininhaber legitimer Gewalt.“8 Doch wie lässt sich nun der Gewaltmonopolgedanke in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik rekonstruieren? Insoweit ist zunächst zu berücksich tigen, dass der Staat der Neuzeit entgegen einem verbreiteten Sprachgebrauch keineswegs „das Monopol physischer Gewaltanwendung“9 für sich beansprucht, sondern „das Monopol legitimen physischen Zwanges“10. Denn das heißt für die juristische Konstruktion, dass der Staatsperson nicht der „physische Zwang“ Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29 (ohne die Hervorhebung des Originals). Weber, Politik als Beruf, in: Gesammelte Politische Schriften, S. 506 (Hervorhebungen im Original). 6 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 516. 7 Grimm, in: Heitmeyer/Hagan (Hrsg.), Gewaltforschung, S. 1298 (Hervorhebung im Ori ginal). 8 Möllers, Staat als Argument, S. 273. 9 So aber Merten, FS Doehring, S. 585; ähnlich ders., Gewaltmonopol, S. 38 („Das staatliche Monopol der Gewaltanwendung“; „Monopolisierung der Gewalt beim Staat“); in diesem Sinne etwa auch Quaritsch, Der Staat 1 (1962), 289, 308; Bethge, JA 1985, 249, 257; Hummler, Gewaltmonopol, S. 1; Kargl, NStZ 2000, 8, 13; Mertins, GA 1980, 41 ff.; Helmrich, Notwehr, S. 107 f.; Burr, JR 1996, 230 ff. 10 So Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29 (teilweise abweichende Hervorhebung im Original); s. auch Fisahn, KritV 2011, 3, 6, der treffend darauf hinweist, dass der Staat nach Webers Definition gerade „nicht durch das Gewaltmonopol, sondern durch ‚das Monopol legitimen physischen Zwangs‘“ charakterisiert sei (Hervorhebung im Original). Im gleichen Sinne stellt auch Gusy, DÖV 1996, 573, 576 heraus, dass bei Weber „nicht so sehr das Gewaltmonopol als vielmehr die Redeweise vom ‚Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen‘“ im Vordergrund gestanden habe. 4
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§ 2 Vorüberlegungen
als Rechtsgegenstand zugewiesen ist, sondern das „Recht zum physischen Zwang“.11 So hebt denn auch Grimm treffend hervor: „Das Monopol bezieht sich nicht auf die physische Gewalt, sondern die legitime physische Gewalt.“12
Unter juristisch-konstruktiven Gesichtspunkten liegt die Kernaussage der Lehre vom Gewaltmonopol des Staates dementsprechend darin, dass das Recht zum physischen Zwang als unkörperlicher Rechtsgegenstand ausschließlich dem Staat zugeordnet ist.13 Anders gewendet heißt das, dass die Staatsperson ein Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang hat.14 Dabei fällt unter den Begriff des physischen Zwanges in diesem Sinne jede unmittelbare physische Einwirkung auf Personen oder Sachen, die gegen den (präsumtiven) Willen des Berechtigten erfolgt.15 Darüber hinaus ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass das dem Staat zugeordnete Recht zum physischen Zwang in funktional- teleologischer Hinsicht lediglich die Zwangsmittelanwendung zur Verwirklichung der Rechtsordnung bzw. zur Sicherung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen legitimiert.16 Typologisch-kategorial gesehen, betrifft die Lehre vom Gewaltmonopol des Staates daher die Ebene des Zwangsvollstreckungsrechts.17 In der Sprache der modernen Rechtsdogmatik lässt sich der juristische Kerngehalt des Gewaltmonopolgedankens also so reformulieren, dass die Staats person ein Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang hat. Weiter 11
Vgl. auch Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, Vor § 704 Rn. 16: „Der Staat allein hat das Recht zum Zwang […].“ (Hervorhebung im Original.) 12 Grimm, in: Heitmeyer/Hagan (Hrsg.), Gewaltforschung, S. 1304 (Hervorhebung im Original). 13 S. zum Begriff des unkörperlichen Rechtsgegenstandes etwa Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 58; Schönfeld, Rechtsperson, S. 260 ff.; Wendehorst, ARSP-B 104 (2004), 73 ff. 14 Grundlegend zur juristischen Rekonstruktion von Staatsmonopolen als Monopol- bzw. Ausschließlichkeitsrechten Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 1 ff. – Näher zur juristischen Konstruktion von Ausschließlichkeitsrechten etwa Schönfeld, Rechtsperson, S. 216 ff., 257 ff.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 64 ff.; Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 56 ff.; Bernhard, FS Picker, S. 100 ff.; Picker, ZfPW 2015, 385, 400 ff. 15 Vgl. Isensee, FS Eichenberger, S. 24; dens., FS Sendler, S. 52; Hummler, Gewaltmonopol, S. 1; s. zum Begriff des physischen Zwanges ferner auch Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 24 Rn. 14 sowie Götz/Geis, POR, § 13 Rn. 38. 16 Vgl. etwa Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29; Gusy, DÖV 1996, 573, 576; Quaritsch, Der Staat 1 (1962), 289, 307; Grimm, in: Heitmeyer/Hagan (Hrsg.), Gewaltforschung, S. 1300; Stamm, Grundstrukturen, S. 5 ff. 17 Vgl. etwa Gerhardt, Vollstreckungsrecht, S. 5 ff.; Stamm, Grundstrukturen, S. 5 ff.; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 19; Schilken, AcP 208 (2008), 850, 853.
A. Der Staat als Inhaber des Monopolrechts „an“ dem Recht zum physischen Zwang 11
gilt es zu sehen, dass sich „aus“ dem Monopolrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang entsprechend der generellen Struktur von Ausschließlichkeitsrechten als positive Komponente ein Nutzungsrecht und als negative Komponente ein Verbietungsrecht ableiten lässt.18 Dabei berechtigt das positive Nutzungsrecht den Staat dazu, das Recht zum physischen Zwang durch seine Rechtsorgane für die Verwirklichung der Rechtsordnung zu nutzen.19 Dem gegenüber gibt das negative Verbietungsrecht dem Staat das Recht, Dritten die Nutzung des Rechts zum physischen Zwang ohne seine Zustimmung zu verbieten. Graphisch lässt sich die hiesige Rekonstruktion der Lehre vom Gewalt monopol des Staates folgendermaßen darstellen: Staat
Nutzungsrecht Inhaber
„aus“ Monopolrecht
„an“ Recht zum physischen Zwang
„aus“ Verbietungsrecht
Die sog. Friedenspflicht der Bürger20 ist vor diesem Hintergrund nichts anderes als die auf das Monopolrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang bezogene allgemeine Achtungspflicht der Bürger.21 Denn mit der aus-
18 Näher zur dogmatischen Struktur von Ausschließlichkeitsrechten etwa Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, S. 56 ff.; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 607; Bernhard, FS Picker, S. 100 ff.; Picker, ZfPW 2015, 385, 400 ff.; Schönfeld, Rechtsperson, S. 216 ff. 19 Gemäß den Grundsätzen der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes ist der Staat allerdings nur dann zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ seinem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang berechtigt, wenn ihm die entsprechende Befugnis und Kompetenz durch Gesetz eingeräumt wird (s. zur Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 6 Rn. 3 ff.). 20 S. zur Friedenspflicht der Bürger als Kehrseite des Gewaltmonopols des Staates etwa Isensee, FS Eichenberger, S. 23 ff.; dens., DÖV 1982, 609, 616 f.; dens., FS Sendler, S. 48 f.; dens., in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 15 Rn. 82 ff.; Hummler, Gewaltmonopol, S. 8, 206; Merten, Gewaltmonopol, S. 56; Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 121; Scholz, NJW 1983, 705, 708; Schulte, DVBl 1993, 130, 132; Sengbusch, Subsidiarität, S. 108, 274. 21 In diese Richtung auch Bethge, NJW 1982, 2145, 2150, der die Friedenspflicht der Bürger als „Pflicht […] zur Anerkennung des Staates als des alleinigen legitimen Inhabers physischer Gewalt“ definiert. Richtigerweise ist der Staat aber nicht der alleinige legitime Inhaber physischer Gewalt, sondern der alleinige Inhaber des „Monopol[s] legitimer physischer Gewaltsamkeit“ (Weber, Politik als Beruf, in: Gesammelte Politische Schriften, S. 506).
12
§ 2 Vorüberlegungen
schließlichen rechtlichen Zuordnung eines Rechtsgegenstandes zu einer Rechtsperson korrespondiert als inverses Spiegelbild zwangsläufig die Pflicht der anderen Rechtspersonen zur Achtung des fremden Rechts.22 Die Friedenspflicht besagt daher schlicht, dass die Bürger das Monopolrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang zu achten haben.23 Das bedeutet insbesondere, dass die Bürger ohne Zustimmung des Staates nicht dazu berechtigt sind, sich faktisch Ausübungsrechte bezüglich des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang anzumaßen.24 Die überwiegende Auffassung in der juristischen Literatur operiert dagegen mit abweichenden Begriffsbestimmungen, was vor allem darauf zurückzu führen ist, dass das Staatsmonopol regelmäßig nicht auf das Recht zum physischen Zwang bezogen wird, sondern auf den physischen Zwang als solchen.25 So meint etwa Merten in seiner viel rezipierten Studie zum Gewaltmonopol des Staates: „Das staatliche Gewaltmonopol besagt, daß nur der Staat physischen Zwang ausüben und daß jede nichtstaatliche Gewaltanwendung nur aufgrund einer staatlichen Gewaltgestattung erfolgen darf.“26
22 Vgl. etwa MK/Säcker, BGB, 6. Aufl. 2013, § 903 Rn. 8: „[D]as absolute Recht ist charakterisiert durch die Verpflichtung aller übrigen Rechtsgenossen, den Inhaber des absoluten Rechts in seinem durch das Recht geschützten sachlichen Bereich nicht zu beeinträchtigen.“ 23 Die überkommene Lehre definiert die Friedenspflicht der Bürger dagegen üblicherweise als „Gewaltverbot für Private“ (so etwa Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR II, § 15 Rn. 90) oder als „Gewaltverbot inter privatos“ (so etwa Merten, Gewaltmonopol, S. 56). Gegen diese Begriffsbestimmungen ist einzuwenden, dass sie die Friedenspflicht der Bürger nicht auf das Monopolrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang beziehen, wodurch die Friedenspflicht ihrer spezifisch juristischen Konturen entkleidet wird. Zwar trifft es natürlich zu, dass die Bürger grundsätzlich nicht dazu berechtigt sind, gegen den (präsumtiven) Willen ihrer Mitbürger gewaltsam auf deren Körper oder Sachen einzuwirken. Allerdings folgt das juristisch-konstruktiv nicht aus einem „Gewaltverbot für Private“, sondern aus der allgemeinen Achtungspflicht der Bürger gegenüber dem Rechtskreis ihrer Mitbürger (vgl. dazu auch die Nachweise unten auf S. 65 in Fn. 176; s. speziell zu dem „allgemeine[n] Verbot widerrechtlicher Körperverletzungen“ auch RGZ 88, 433, 435). 24 Näher zur Rechtsverletzung durch Rechtsanmaßung etwa Picker, Beseitigungsanspruch, S. 82 ff.; Bernhard, FS Picker, S. 91 ff.; Krumm, Inanspruchnahme, S. 145 ff. 25 Vgl. dazu auch die Nachweise auf S. 9 in Fn. 9. 26 Merten, Gewaltmonopol, S. 56 (Hervorhebung im Original); diesem folgend etwa Burr, JR 1996, 230; Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 128; Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 187; ders., Verh. des 67. DJT, Bd. I, D 57; Helmrich, Notwehr, S. 109; Hummler, Gewaltmonopol, S. 5; Jeand’Heur, AöR 19 (1994), 107, 115; Krölls, GewArch 1997, 445, 448; Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, S. 104 in Fn. 25; Mertins, GA 1980, 41 ff.; Schulte, DVBl 1993, 130, 133; Weiner, Privatisierung, S. 126; Werner, Gewaltmonopol, S. 13; ähnlich bereits Neubecker, Zwang und Notstand, Bd. 1, S. 65:
B. Konsequenzen für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte
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Dem ist entschieden zu widersprechen, weil der Staat durch diese Begriffs bestimmung, überspitzt gesagt, in eine große Räuberbande verwandelt wird.27 Denn eine große Räuberbande mag den physischen Zwang monopolisieren.28 Doch Kennzeichen des modernen Staates ist es gerade, dass er das Recht zum physischen Zwang monopolisiert.29 Damit korrespondiert, dass das staatliche Gewaltmonopol unter juristischen Gesichtspunkten mitnichten besagt, dass im Grundsatz „nur der Staat physischen Zwang ausüben […] darf“. Vielmehr besagt der Gewaltmonopolgedanke, dass im Ausgangspunkt nur der Staat zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ seinem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang berechtigt ist. Des Weiteren ist auch der von Merten für die Not- und Selbsthilferechte der Bürger geprägte Begriff der „staatlichen Gewaltgestattung“ aus juristisch-konstruktiver Perspektive unzutreffend, weil der Staat dem Bürger durch diese gesetzlichen Regelungen keineswegs die Ausübung von Gewalt gestattet. Vielmehr verleiht der Staat dem Bürger durch die gesetzlichen Not- und Selbsthilferechte ein Recht zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang. Dieser Punkt soll sogleich näher beleuchtet werden. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass sich der Gewaltmonopolgedanke in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik so reformulieren lässt, dass die Staatsperson ein Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang hat.
B. Konsequenzen für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte Im Folgenden sollen die Konsequenzen der hiesigen Rekonstruktion der Lehre vom Gewaltmonopol des Staates für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte der Bürger aufgezeigt werden. Insoweit gilt es sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass dem Staat als Inhaber des Monopolrechts „an“ dem Recht zum physischen Zwang das ausschließliche Recht zusteht, das Recht zum physischen Zwang durch seine Vollzugsorgane für die Verwirklichung der Rechtsordnung zu nutzen (positives Nutzungsrecht) und „Zwang üben darf grundsätzlich nur der Staat und die Rechtsordnung. […] Der einzelne darf nur subsidiär Zwang üben.“ 27 S. zum Problem der Räuberbande etwa Augustinus, Vom Gottesstaat, S. 191 f.; Kley, in: Zwahlen/Lienemann (Hrsg.), Kollektive Gewalt, S. 13 ff.; Fisahn, KritV 2011, 3, 6. 28 Vgl. Fisahn, KritV 2011, 3, 6. 29 Vgl. auch Grimm, in: Heitmeyer/Hagan (Hrsg.), Gewaltforschung, S. 1302: „Das Gewaltmonopol entzieht […] den Privatleuten das Recht zur Gewaltanwendung und überträgt es dem Staat.“
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Dritten die Nutzung des Rechts zum physischen Zwang ohne seine Zustimmung zu verbieten (negatives Verbietungsrecht). Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass dem Bürger im Ausgangspunkt kein Recht zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem Monopolrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang zusteht. Vielmehr trifft die Bürger die Rechtspflicht, das staatliche Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zu achten (sog. Friedenspflicht), was in erster Linie bedeutet, dass sie ohne Zustimmung des Staates nicht dazu berechtigt sind, sich faktisch Ausübungsrechte bezüglich des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang anzumaßen. Für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte heißt das, dass es sich bei diesen Rechtsinstituten um an den Bürger adressierte Zustimmungen des Staates zur Ausübung von dessen Nutzungsrecht „aus“ dem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang handelt. Oder um es etwas präziser auszudrücken: Durch die gesetzlichen Not- und Selbsthilferechte wird dem Bürger von Seiten des Staates das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang verliehen. Aus rechtskonstruktiver Perspektive handelt es sich also sowohl bei den Notrechten als auch bei den Selbsthilferechten um derivative, vom Staat abgeleitete Rechte der Bürger. Wie sich die beiden Rechtsinstitute in dogmatisch-kategorialer Hinsicht voneinander unterscheiden lassen, soll im nächsten Gliederungsabschnitt näher beleuchtet werden.
C. Die Differenzierung zwischen Not- und Selbsthilferechten Wie soeben gezeigt wurde, wird dem Bürger durch die Not- und Selbsthilferechte von Seiten des Staates das Recht zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang verliehen. Damit ist allerdings noch nicht darüber entschieden, ob dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrechts des Staates „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang (1) im eigenen Namen oder (2) im Namen des Staates eingeräumt wird. Um die se dogmatisch-kategoriale Differenz terminologisch einzufangen, wird im Folgenden der Begriff des Selbsthilferechts verwendet, wenn dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung das Dürfen und Können eingeräumt wird, das Nutzungsrecht des Staates „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen auszuüben. Demgegenüber wird der Begriff des Notgeschäftsführungsrechts – oder kurz: des Notrechts – verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung das Dürfen und Können verliehen wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatli-
C. Die Differenzierung zwischen Not- und Selbsthilferechten
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chen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates auszuüben. Während also die Selbsthilferechte dem Bürger das Recht zum Handeln „auf eigene Faust“30 einräumen, verleihen ihm die Notrechte das Recht zum Handeln als „verlängerter Arm“31 des Staates. Anders formuliert: Die privatrechtlichen Selbsthilferechte geben dem Bürger das Recht, als Vollstrecker in eigener Sache tätig zu werden32 , wohingegen die öffentlich-rechtlichen Notrechte ihm das Recht geben, als Vollstreckungshelfer des Staates aufzutreten. Doch wie lässt sich entscheiden, ob dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung ein Selbsthilferecht oder ein Notrecht verliehen wird? Nach hiesiger Auffassung kommt es insoweit entscheidend darauf an, ob der Bürger in der konkret in Rede stehenden Sachlage bei funktionsbezogener Betrachtungsweise als „Ersatzmann“33 an die Stelle der an sich vorrangig zum Handeln berufenen, aber zufällig abwesenden Amtswalter des Staates tritt oder nicht. Dabei ist von dem Vorliegen eines Notgeschäftsführungsrechts des Bürgers für den Staat auszugehen, soweit der Bürger als Lückenfüller etwas tut, was zu tun eigentlich Sache des regulären Staatspersonals ist. Dagegen ist von dem Vorliegen eines Selbsthilferechts auszugehen, soweit der Bürger in der konkret in Rede stehenden Situation nicht das reguläre Staatspersonal substituiert. Bei funktionaler Betrachtungsweise dienen die Notrechte dementsprechend zur „Schließung von Lücken, die sich aus der punktuell-zufälligen Abwesenheit von Repräsentanten des organisierten Staates ergeben“34, weshalb hier die Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“35 zum Tragen kommt.
30 Vgl. Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 9: „Selbsthilfe bedeutet die Durchsetzung oder Sicherung eines Rechts auf eigene Faust.“ Ähnlich Jauernig/Mansel, BGB, §§ 229–231 Rn. 1. 31 S. zum Sprachbild des „verlängerten Arms“ etwa Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 47 sowie BGH NVwZ 2006, 964 ff. 32 In diesem Sinne bereits Heyer, ArchBürgR 19 (1901), 38, 111: „Bei der Selbsthülfe ist der Gläubiger gewissermaßen Richter und Vollstrecker in einer Person.“ S. auch Duchstein, JuS 2015, 105: „Selbsthilfe ist private Zwangsvollstreckung.“ 33 S. zur Figur des Ersatzmannes etwa Wolff, Theorie der Vertretung, S. 6 ff., 220 ff. 34 Formulierung von Pawlik, Notstand, S. 184 (zur funktionalen Rolle der Notstandsrechte; ohne die Hervorhebung des Originals). 35 S. zu dieser Maxime etwa Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 I 1, S. 336; Eser, Am. J. Comp. L. 24 (1976), 621, 632 mit Fn. 53; Snyman, S. Afr. J. Crim. Just. 17 (2004), 178, 179; s. ferner bereits Martin Luther, WA, Tischreden, Bd. 4, Nr. 4342, S. 237, der zur Legitimierung des Notwehrrechts auf diesen Grundsatz rekurriert hat (s. dazu etwa Mayer, FS Welzel, S. 97; dens., Strafrecht AT, S. 201; Benert, Il Pensiore Politico 6 [1973], 17, 25; dens., Inferior Magistrates, S. 34; s. auch unten auf S. 63 in Fn. 168). – Frei ins Deutsche übersetzt lautet die Maxime: „Sind die Amtswalter des Staates nicht zugegen, dann wird der Bürger zum Amtswalter.“
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Anders gewendet bedeutet das, dass sich die Not-Geschäftsführungsrechte des Bürgers durch ihren subsidiären Charakter auszeichnen.36 Damit ist gemeint, dass der Bürger auf Grundlage der Notrechte nur dann zur Wahrnehmung eines Vollstreckungsgeschäfts des Staates berechtigt ist, wenn (1) die physischen Kräfte des regulären Staatspersonals in der in Rede stehenden Sachlage zur effektiven Staatsaufgabenerfüllung nicht ausreichen und wenn (2) eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenerfüllung in der konkreten Situation unmöglich oder untunlich ist. Bei genauer Betrachtungsweise sind die Notrechte der Bürger somit in einem doppelten Sinne subsidiär, weil (1) dem regulären Staatspersonal der Vorrang vor dem Bürger gebührt37 und weil (2) eine rechtsgeschäftliche Regelung der gesetzlichen Regelung vorgeht38. Hervorzuheben ist, dass der hier als Differenzierungskriterium herangezogene Gedanke der „hypothetischen Amtswalterhandlung“ auf einer Linie mit den neueren Rechtsprechung zur Auslegung des haftungsrechtlichen Amtswalterbegriffs liegt, nach welcher von der Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 S. 1 GG immer dann auszugehen ist, wenn ein von staatlicher Seite hinzugezogener Privater „Aufgaben erfüllt, die sonst von Verwaltungsbediensteten selbst wahrgenommen werden müßten“39. Oder um es mit den Worten von Remmert zu sagen: 36 Vgl. auch Abegg, Krit. Vierteljahrsschrift 1839, 346, 362, 365, der hervorhebt, dass das Gemeinsame der drei Begriffe „Nothrecht, Nothstand und Nothwehr“ das Merkmal der „Noth“ sei, welches auf „die Abwesenheit der Staatshülfe als Voraussetzung“ verweise. Ähnlich Lagodny, GA 1991, 300, 309 mit Fn. 58; ders., Schranken, S. 265 mit Fn. 72; Lesch, Notwehrrecht, S. 36 in Fn. 63; Eberle, Selbsthilfe, S. 39. 37 Vgl. zum Ersatzmanngedanken auch die etymologische Herkunft des Fremdworts „Subsidiarität“, das von dem lateinischen Wort subsidium abstammt und seine Ursprünge im militärischen Bereich hat, wo es sinngemäß „das Zurücktretenmüssen einer an sich vorhandenen Kraft“ (Böttcher/Krawczynski, Subsidiarität, S. 7) bzw. „die im Rücken zurückbleibende Hilfe“ (Battisti, Freiheit und Bindung, S. 204) meinte. S. auch Brockhaus (Hrsg.), Conversations-Lexicon, Bd. 9, S. 552 f.: „Subsidia hieß bei den Römern das dritte Treffen (Re servetreffen) der Schlachtordnung, welches den beiden vordern Treffen im Fall der Noth zu Hülfe kam; daher Subsidium, figürlich, Unterstützung, ein Hülfsmittel in der Noth.“ 38 Vgl. zum Gedanken der Rechtsgeschäftssubstitution auch die Dogmatik zur Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung, wonach die Konstruktion eines Einwilligungssurrogats immer dann ausscheidet, wenn die rechtzeitige Einholung einer tatsächlichen Einwilligung in zumutbarer Weise möglich ist (näher dazu etwa Rengier, Strafrecht AT, § 23 Rn. 57). Vgl. zur Theorie des fiktiven Rechtsgeschäfts ferner auch Köndgen, in: Zimmermann (Hrsg.), Privatrechtsdogmatik, S. 382 ff.; Landes/Posner, J. Legal Stud. 7 (1978), 83, 93 ff.; Long, Yale L.J. 94 (1984), 415 ff. 39 So die Wertung der Rechtsprechung durch Maurer, JuS 1994, 1015, 1016; in diesem Sinne auch Meysen, JuS 1998, 404, 407: „Der vom BGH eingeschlagene Weg der Auslegung
D. Die dogmatische Struktur der Not- und Selbsthilferechte
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„Die vom BGH inzwischen eingeschlagene Vorgehensweise bedeutet letztlich nichts anderes, als für die Frage der Einschlägigkeit des Art. 34 GG darauf abzustellen, ob der Dienstleister eine Handlung vornimmt, die bei amtspflichtgemäßer Vornahme durch das Personal der Verwaltungseinheit dieser als deren öffentlich-rechtliches Handeln zugerechnet würde.“40
Dieser Gedanke wird von der hiesigen Konzeption für die Notrechte der Bürger dogmatisch weitergedacht. Dabei lautet die zentrale These der vorliegenden Arbeit, dass die gesetzlichen Notgeschäftsführungsrechte bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise dazu dienen, dem Bürger eine Mitwirkung bei der Staatsaufgabenwahrnehmung in Ausnahmesituationen zu ermöglichen, in denen ein Tätigwerden des Bürgers „für“ den Staat zwar dem Staatswillen entspricht, aber eine Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenwahrnehmung qua Rechtsgeschäft aus faktischen Gründen (mangels eines Amtswalters vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) unmöglich oder untunlich ist. Auf eine einfache Formel gebracht heißt das, dass die Notrechte der Bürger als Ausprägung der bereits erwähnten Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ zu verstehen sind.
D. Die dogmatische Struktur der Not- und Selbsthilferechte Die Konsequenzen der hiesigen Rekonstruktion der Lehre vom Gewaltmonopol des Staates für die dogmatische Ausgestaltung der einzelnen Not- und Selbsthilferechte der Bürger sollen im Gang der Arbeit nach und nach herausgearbeitet werden. Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen sollen jedoch schon an dieser Stelle einige zentrale Strukturprinzipien der öffentlich-rechtlichen Notgeschäftsführungsrechte einerseits und der privatrechtlichen Selbsthilferechte andererseits herausgestellt werden.
des Amtswalterbegriffs führt dazu, daß sämtliche Erfüllungsgehilfen, derer sich die Verwaltung bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben im Rahmen eines Verwaltungsrechtsverhältnisses bedient, in den Kreis der Beamten im haftungsrechtlichen Sinne mit aufgenommen sind.“ 40 Remmert, Private Dienstleistungen, S. 269; so auch die Wertung der Rechtsprechungsgrundsätze durch Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 404.
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I. Die dogmatische Struktur der öffentlich-rechtlichen Notgeschäftsführungsrechte Wie soeben dargelegt41, wird dem Bürger A bzw. D durch die öffentlich-rechtlichen Notgeschäftsführungrechte das Dürfen und Können verliehen, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates B als Ersatzmann an Stelle der an sich vorrangig zum Handeln berufenen, aber zufällig abwesenden Amtswalter des Staates (P1, P2, P3 usw.) auszuüben.42 Anders gewendet bedeutet das, dass der Bürger A bzw. D auf Grundlage der Notrechte zu einem Handeln als „verlängerter Arm“ des Staates berechtigt ist, weshalb bei diesen rechtlichen Instrumenten eine Konstruktion übers Eck (A–B–C bzw. D–B–C) angezeigt ist. So entsteht nämlich, wie zu zeigen sein wird, mit der (berechtigten) Übernahme der Notgeschäftsführung durch den mit Notgeschäftsführungswillen agierenden Bürger A bzw. D ein gesetzliches Schuldverhältnis zum Staat B als dem Geschäftsherrn (A–B bzw. D–B), das sich inhaltlich nach den §§ 677 ff. BGB in entsprechender Anwendung richtet.43 Damit ist zugleich gesagt, dass das Handeln in Ausübung der Notrechte als ein Fall der auftragslosen Geschäftsführung im öffentlichen Recht zu begreifen ist, womit wiederum korrespondiert, dass das normative Maßprinzip für das Ob44 und Wie45 einer Notgeschäftsführung auf Grundlage der Notrechte der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn ist (vgl. §§ 677 ff. BGB). Wie näher darzulegen sein wird, fungiert der Geschäftsherrnwille dabei als juristisches Konstruktionselement, um die den Staat B im vertikalen Außenverhältnis zum Vollstreckungsgegner C (B–C) treffenden Rechte und Pflichten in das vertikale Innenverhältnis zum Notgeschäftsführer A bzw. D (A–B bzw. D–B) hineinzuspiegeln, was insbesondere impliziert, dass der die Notgeschäftsführung übernehmende Bürger A bzw. D ebenso wie ein regulärer Amtswalter an den Verhältnismäßigkeits41
S. dazu sub § 2 C, S. 14 ff. Zur hiesigen Nomenklatur: Der Buchstabe „A“ wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit zur Bezeichnung von privaten Anspruchsinhabern verwendet, wohingegen der Buchstabe „D“ zur Markierung von Privatpersonen verwendet wird, denen keine eigenen durchzusetzenden Ansprüche zustehen. Dem Staat wird durchgängig der Buchstabe „B“ und regulären Amtswaltern des Staates der Buchstabe „P“ zugeordnet. Der Vollstreckungs- bzw. Selbsthilfegegner wird regelmäßig mit dem Buchstaben „C“ kenntlich gemacht. Ferner wird für (gefahrbringende) Sachen an einigen Stellen der Buchstabe „X“ verwendet. 43 S. dazu insbesondere unten sub § 3 A II, S. 37 f. sowie sub § 3 B II 3 b aa, S. 119 f. 44 Näher zum Ob der Notgeschäftsführung unten sub § 3 A III 2, S. 43 f., sub § 3 B II 2, S. 86 ff. sowie sub § 3 C II 2, S. 183 ff. 45 Eingehend zum (objektiven) Wie der Notgeschäftsführung unten sub § 3 A III 3 b, S. 45 ff., sub § 3 B II 3 b, S. 119 ff. sowie sub § 3 C II 3 b, S. 190 f. 42
D. Die dogmatische Struktur der Not- und Selbsthilferechte
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grundsatz gebunden ist.46 Weiter liegt es in der Konsequenz des prokuratorischen Charakters der Notrechte des Bürgers, dass im Falle eine Schlechtausführung einer Staatsaufgabe eine Haftung des Staates B nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG gegenüber dem Geschädigten C in Betracht kommt, wobei ein Regressanspruch des Staates B gegen den Notgeschäftsführer A bzw. D aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) bei nicht „geschäftsmäßig“ agierenden Nothelfern wegen der Haftungsprivilegierung des § 680 BGB (analog) ausscheidet, soweit dem Nothelfer A bzw. D nicht Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.47 Mit dem prokuratorischen Charakter der Notrechte geht ferner einher, dass der Staat B als der Geschäftsherr nach dem Rechts gedanken der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB im Grundsatz das Risiko für geschäftsführungsspezifische Begleitschäden des Notgeschäftsführers zu tragen hat. Das bedeutet, dass der auf Grundlage der Notrechte agierende Bürger grundsätzlich in den Schutz der Unfallversicherung kraft Gesetzes einzubeziehen ist, soweit die Übernahme der Notgeschäftsführung bei materiell-wertender Betrachtungs weise nicht in erster Linie seinem Eigeninteresse dient.48
II. Die dogmatische Struktur der privatrechtlichen Selbsthilferechte Bei den privatrechtlichen Selbsthilferechten geht es dagegen nicht um ein Handeln als „verlängerter Arm“ des Staates (A/D → B → C), sondern um ein Handeln des Bürgers „auf eigene Faust“ (A → C). Das impliziert, dass durch die Ausübung eines Selbsthilferechts nicht ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis zwischen dem Selbsthelfer A und dem Staat B nach den Grundsätzen der §§ 677 ff. BGB entsteht (A–B). Vielmehr entsteht mit der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen durch den Selbsthelfer A ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis (A–C) zu dem Selbsthilfegegner C, welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist.49 Damit korrespondiert, dass der Selbsthelfer A gemäß § 241 Abs. 2 BGB bei der Ausübung des Selbsthilferechts zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners C verpflichtet ist, wobei er auch den auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren hat. Das impliziert wiederum, dass der Selbsthelfer A dem Selbsthilfegegner C im Falle eines Fehlverhaltens nicht nur unter den Voraussetzungen der §§ 823 ff. 46
Ausführlich zur Integration des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Notrechtsdogmatik unten sub § 3 A III 3 b, S. 45 f. sowie sub § 3 B II 3 b aa und bb, S. 119 ff. 47 S. dazu unten sub § 3 A IV 1 a, S. 47 ff. sowie sub § 3 B IV 1 a, S. 155. 48 Näher dazu unten sub § 3 A IV 2, S. 53 ff., sub § 3 B IV 2, S. 156 ff., sub § 3 C IV 3, S. 197 ff., sub § 3 D IV 1 b, S. 223 f., sub § 3 F III, S. 248 sowie sub § 3 G IV 1 b, S. 266 f. 49 S. dazu insbesondere unten sub § 3 D III 2 b, S. 212.
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BGB, sondern auch unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB auf Schadensersatz haftet, wobei er sich das Fehlverhalten und Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen (D1, D2, D3 usw.) nach den allgemeinen zu § 278 S. 1 BGB entwickelten Grundsätzen zurechnen lassen muss.50 Ferner ist dem Selbst helfer A, wie näher darzulegen sein wird, in Parallele zu § 788 Abs. 1 ZPO ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Selbsthilfekosten gegen den Selbsthilfegegner C zuzubilligen, der als ungeschriebener Annex zu den einzelnen Selbsthilferechten zu begreifen ist.51
III. Kurzer Strukturvergleich Vergleicht man die Grundstruktur der Not- und Selbsthilferechte miteinander, dann wird deutlich, dass es sich bei diesen rechtlichen Instrumenten um jeweils eigenständige Rechtsfiguren handelt, deren dogmatische Ausgestaltung grundverschiedenen axiologischen Prinzipien folgt. So stellt nämlich bei den öffentlich-rechtlichen Notgeschäftsführungsrechten der Staat B als der Geschäftsherr die juristische Zentralgestalt dar (Vollstreckungshelfer A bzw. D – Vollstrecker B – Vollstreckungsgegner C), wohingegen bei den privatrechtlichen Selbsthilferechten der Selbsthelfer A als der Geschäftsherr und damit als die juristische Zentralfigur fungiert (Erfüllungsgehilfe D – Selbsthelfer A – Selbsthilfegegner C). Welche dogmatischen Implikationen mit diesen unterschiedlichen Kon struktionsmodellen (A/D–B–C vs. D–A–C) im Einzelnen einhergehen, wird im sogleich folgenden Hauptteil der Arbeit in aller Ausführlichkeit dargelegt. An dieser Stelle sei aber bereits darauf hingewiesen, dass auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes bei einigen gesetzlichen Regelungen eine differenzierende Betrachtungsweise in dem Sinne angezeigt ist, dass diese gesetzlichen Vorschriften in einigen Fallgestaltungen als Selbsthilferecht fungieren, während sie in anderen Konstellationen als subsidiäres Notrecht anzusehen sind.52 Dementsprechend ermöglicht das hiesige Konstruktionsmodell eine flexible Anpassung der dogmatischen Strukturen einzelner gesetzlicher Regelungen an die konkreten Verhältnisse der Rechtswirklichkeit.
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Eingehend zu dieser Problemstellung unten sub § 3 D IV 2 a, S. 224 ff. Ausführlich dazu unten sub § 3 D III 2 c, S. 213 ff. 52 Dies gilt namentlich für das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB (s. dazu sub § 3 D II, S. 203 ff.), das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB (s. dazu sub § 3 F I und II, S. 241 ff.) und das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB (s. dazu sub § 3 G II, S. 251 ff.). 51
E. Zusammenfassung
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E. Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich die Lehre vom Gewaltmonopol des Staates in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik so reformulieren lässt, dass dem Staat als Inhaber des Monopolrechts „an“ dem Recht zum physischen Zwang das ausschließliche Recht zusteht, das Recht zum physischen Zwang durch seine Vollzugsorgane für die Verwirklichung der Rechtsordnung zu nutzen (positives Nutzungsrecht) und Dritten die Nutzung des Rechts zum physischen Zwang ohne seine Zustimmung zu verbieten (negatives Verbietungsrecht). Für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte bedeutet das, dass dem Bürger durch diese gesetzlichen Regelungen von Seiten des Staates das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang verliehen wird. Dabei wird der Begriff des Selbsthilferechts in der vorliegenden Arbeit verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung das Dürfen und Können eingeräumt wird, das Nutzungsrecht des Staates „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen auszuüben. Demgegenüber wird der Begriff des Notgeschäftsführungsrechts – oder kurz: des Notrechts – verwendet, um deutlich zu machen, dass dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung das Dürfen und Können verliehen wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates auszuüben. Festzuhalten ist weiter, dass sich die rechtliche Natur einer gesetzlichen Regelung als Not- oder Selbsthilferecht auf Grundlage des hier vertretenen funktions bezogenen Ansatzes danach richtet, ob der Bürger in der in Rede stehenden Sachlage als Ersatzmann an die Stelle der an sich vorrangig zum Handeln berufenen, aber zufällig abwesenden Amtswalter des Staates tritt oder nicht. Dabei ist vom Vorliegen eines subsidiären Notgeschäftsführungsrechts auszugehen, soweit der Bürger bei funktionsbezogener Betrachtungsweise das reguläre Staatspersonal substituiert. Soweit dies nicht der Fall ist, handelt es sich dagegen um ein Selbsthilferecht.
§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte Nachdem die für die Zwecke des hiesigen Rekonstruktionsvorhabens benötigten Grundbegriffe geklärt wurden, sollen nun die axiologischen Strukturen der einzelnen Not- und Selbsthilferechte in der Sprache der modernen Rechts dogmatik rekonstruiert werden.1 Dabei richtet die Untersuchung den Blick zunächst auf das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO (dazu A.), bevor anschließend das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB (dazu B.) und das Sachwehrrecht aus § 228 BGB (dazu C.) einer eingehenden Analyse unterzogen werden. Sodann liegt der Fokus auf dem Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB (dazu D.) und dem Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB (dazu E.), woraufhin das Augenmerk schließlich noch dem Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB (dazu F.) und dem Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB (dazu G.) zugewendet wird. Wie eingangs bereits ausgeführt wurde2 , besteht das übergeordnete Ziel der Untersuchung darin, die Gewaltrechte der Bürger so zu rekonzeptualisieren, dass sie nicht als „Bruch in der normativen Infrastruktur“3 erscheinen, sondern sich friktionslos in die Architektur der heutigen Rechtsordnung integrieren. Darüber hinaus sollen im Rahmen der Rekonstruktion der einzelnen Not- und Selbsthilferechte aber auch die dogmatischen Implikationen der hiesigen Konzeption für die Lösung der einschlägigen praxisrelevanten Problemstellungen herausgearbeitet werden.
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Wie unten sub § 3 C III, S. 191 ff. gezeigt werden soll, handelt es sich bei den Notstandsrechten aus § 904 BGB und § 34 StGB nicht um Not- bzw. Selbsthilferechte im Sinne der hiesigen Nomenklatur, weshalb diese rechtlichen Instrumente für die Zwecke der vorliegenden Arbeit keiner vertieften Analyse bedürfen. 2 S. dazu oben sub § 1 A, S. 2. 3 Jeand’Heur, AöR 19 (1994), 107, 127.
A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO Als Erstes soll die Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO näher in den Blick genommen werden, die jedem Bürger das Recht zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Mitbürgers verleiht, wenn dieser der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Um auszuleuchten, wie sich diese gesetzliche Vorschrift ohne dogmatische Friktionen in die logische Struktur der Rechtsordnung integrieren lässt, werden zunächst die herkömmlichen Charakterisierungen des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO durch Rechtsprechung und Literatur auf ihre dogmatische Substanz hin analysiert. Sodann arbeitet die Untersuchung heraus, welche funktionale Rolle dem Jedermannsrecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO im heutigen Rechtssystem zukommt. Vor diesem Hintergrund soll schließlich das axiologische Grundgerüst des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik re konstruiert werden, wobei die herkömmlichen Begriffsbestimmungen gleichsam als dogmatische Konstruktionsbausteine in die hiesige Konzeption inte griert werden sollen.
I. Überblick über die dogmatische Einordnung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO Bereits das Reichsgericht hat zur dogmatischen Natur des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO angemerkt, dass diese Regelung „im Interesse der öffentlichen Ordnung dem einzelnen eine an sich zur Strafverfolgung gehörige öffentliche Funktion“ übertrage.4 Im gleichen Sinne hebt in neuerer Zeit etwa auch das Bayerische Oberste Landesgericht hervor, dass dem Privaten durch § 127 Abs. 1 S. 1 StPO „quasi-polizeiliche Befugnisse“ eingeräumt würden, „wo Polizei nicht sofort eingriffsbereit“ sei, weshalb der „den staatlichen Strafverfolgungsanspruch“ sichernde Bürger „eine öffentliche Funktion“ erfülle.5 Weiterhin stellt auch das Kammergericht heraus, dass es sich bei dem Jedermann-Festnahmerecht um „eine Art eingeschränktes Behördenvertretungsrecht“ handele, das Platz greifen solle, „wenn und solange die Staatsorgane noch nicht zur Stelle“ seien.6 M. Wagner betont ebenfalls, dass dem Bürger durch § 127 Abs. 1 S. 1 StPO das Recht eingeräumt werde, „pro magistratu“ die staatliche Aufgabe der Straf4
RGSt 17, 127, 128. BayObLGSt 1986, 52, 54; s. auch KK/Schultheis, StPO, § 127 Rn. 6: „§ 127 Abs. 1 S. 1 [StPO] überträgt dem Bürger eine öffentliche Funktion.“ Ähnlich Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 1: „Die Vorschrift überträgt dem Bürger eine öffentliche Aufgabe […].“ 6 KG VRS 19, 114, 116; so auch AK/Krause, StPO, § 127 Rn. 3. 5
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
verfolgung wahrzunehmen, sofern die eigentlich dazu berufenen Amtswalter nicht zugegen seien.7 Ferner hat schon Arzt darauf hingewiesen, dass § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als ein „Hilferuf des Staates“ zu verstehen sei, weshalb der dem Hilferuf folgende Bürger „als eine Art Geschäftsführer ohne Auftrag im Interesse des Staates“ tätig werde.8 Auch N. Pawlik unterstreicht, dass sich der Staat im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO des Privaten „als eines bloß subsidiären Nothelfers“ bediene, weshalb der „als eine Art Hilfsorgan des Staates“ agierende Privatmann im gleichen Maße an die Grundrechte gebunden sei wie die Staatsorgane, deren Funktion er stellvertretend wahrnehme.9 Im gleichen Sinne stellt ferner Bülte heraus, dass dem Bürger durch § 127 Abs. 1 S. 1 StPO das Recht eingeräumt werde, im Falle „der Unerreichbarkeit staatlicher Organe“ gegenüber dem Festzunehmenden „als Vertreter der Strafverfolgungsbehörde“ aufzutreten, womit korrespondiere, dass der das Festnahmerecht ausübende Bürger „wie ein Amtsträger“ an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden sei.10 M. Wagner, ZJS 2011, 465, 470, 477; ebenso Kargl, NStZ 2000, 8; Sickor, NJW 2012, 1074, 1079; Jäger, Strafrecht AT, Rn. 166; Jakobs, Strafrecht AT, 16/16; Gropp, Strafrecht AT, § 5 Rn. 345 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 35 IV 2, S. 398; Roxin, Strafrecht AT I, § 17 Rn. 22; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 15 Rn. 172; s. auch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 217, der hervorhebt, dass § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als Fall „eines delegierten Amtsrechts“ zu verstehen sei, weshalb der Bürger hier „als Repräsentant der Allgemeinheit“ tätig werde (ohne die Hervorhebung des Originals). 8 Arzt, FS Kleinknecht, S. 3 f. (s. für das erste Zitat a. a. O., S. 3 und für das zweite Zitat a. a. O., S. 4). Im gleichen Sinne hat bereits Schlör, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht, S. 25 hervorgehoben, dass die Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO eine „an das breite Publikum gerichtete Aufforderung zur Mitwirkung bei der Erfüllung polizeilicher Aufgaben“ darstelle, weshalb der Bürger hier „als auftragsloser Geschäftsführer für die Polizei“ agiere. Ebenso Jaschkowitz, JW 1928, 1024, 1025; Hartung, JR 1931, 61, 65; Haymann, JW 1932, 367 ff.; Kischel, VerwArch 90 (1999), 391, 400; Hevert, Festnahmerecht, S. 127; s. auch SK/Paeffgen, StPO, § 127 Rn. 18, der das Handeln des Privaten auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als „‚Staats-Nothilfe‘“ bezeichnet. 9 N. Pawlik, Festnahmerecht, S. 65 ff (s. für das erste Zitat a. a. O., S. 67 und für das zweite Zitat a. a. O., S. 65); ebenso Albrecht, Festnahmerecht, S. 200 sowie Hellmann, Strafprozessrecht, S. 98; ähnlich bereits Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 247, der herausstellt, dass bei Ausübung des Festnahmerechts durch den Bürger „in Wahrheit nicht individuelle Rechtsübung, sondern polizeiliche Handlung durch ein gelegentliches Staatsorgan“ stattfinde. 10 Bülte, ZStW 121 (2009), 377, 383; in diesem Sinne auch Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 63; Rengier, Strafrecht AT, § 22 Rn. 1 ff.; Gusy, POR, Rn. 310. Ähnlich Schenke, POR, Rn. 415, der betont, dass die Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO bei funktionaler Betrachtungsweise dazu diene, „Privatpersonen mit staatlichen Aufgaben zu ‚beleihen‘“, weshalb sich „Begrenzungen aus dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot“ ergeben würden. 7
A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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Demgegenüber meinen etwa Krey/Esser, dass die verbreitete Formulierung, dem Bürger werde durch § 127 Abs. 1 S. 1 StPO „‚eine öffentliche Aufgabe‘“ übertragen, „missverständlich und folglich zu vermeiden“ sei, weil der auf Grundlage dieser Vorschrift agierende Privatmann keine „hoheitliche Gewalt“ ausübe.11 Weiterhin hebt auch Nedden hervor, dass es sich bei § 127 Abs. 1 S. 1 StPO „um die Legitimation des Privaten zur eigenverantwortlichen Erledigung einer Verwaltungsaufgabe im eigenen Namen“ handele, weshalb es im Rahmen dieser Vorschrift „um privates Eingreifen im öffentlichen Interesse“ gehe.12 Merten stellt ebenfalls heraus, dass es sich bei der Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO um eine an den Bürger adressierte „Gewaltermächtigung“ von Seiten des Staates handele, weshalb der Bürger im Rahmen dieser Vorschrift zur „Gewaltausübung inter privatos“ berechtigt sei.13 Daran anknüpfend unterstreicht auch Burgi, dass das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als „‚Ermächtigungsgrundlage‘“ für die Ausübung von „privater Gewalt“ fungiere, weshalb eine „Zuordnung“ der eingesetzten Gewalt „zum Staat“ ausscheide.14
II. Rekonstruktion des dogmatischen Grundgerüsts des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO Vor diesem Hintergrund soll nun der Frage nachgegangen werden, wie sich das dogmatische Grundgerüst des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik rekonstruieren lässt. Zugleich soll dabei herausgearbeitet werden, inwieweit die herkömmlichen Charakterisierungen der dogmatischen Natur des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO zu überzeugen vermögen. Um zu zeigen, wie sich das Jedermann-Festnahmerecht stimmig in logische Struktur der RechtsKrey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 640. Nedden, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Öffentlichen Recht, S. 90 (ohne die Hervorhebung des Originals). 13 Merten, Gewaltmonopol, S. 57 (ohne die Hervorhebung des Originals). 14 Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 189 mit Fn. 52 (s. für das erste und zweite Zitat a. a. O., S. 189 und für das dritte und vierte Zitat a. a. O., S. 192). – In terminologischer Hinsicht ist an dieser Stelle anzumerken, dass Burgi den auf Grundlage einer staatlichen „Gewalt ermächtigung“ handelnden Bürger zwar als „Verwaltungshelfer“ (a. a. O., S. 193) bezeichnet, dabei aber den Begriff der „Verwaltungshilfe“ in Abweichung von dem üblichen Sprach gebrauch nicht als organisationsrechtlichen Zurechnungsbegriff verwendet, sondern als „ein[en] Begriff, der einen Zustand nach einer Privatisierung beschreibt“ (s. Remmert, Private Dienstleistungen, S. 260 in Fn. 48). Die vorliegende Arbeit folgt dagegen im Grundsatz der Begriffsbestimmung von Remmert, a. a. O., S. 350: „Ein Verwaltungshelfer ist ein Amtswalter, dessen Handeln und Entscheiden aufgrund eines atypischen Amtswalterverhältnisses als Handeln und Entscheiden eines atypisch zugeschnittenen Amtes und damit als das der übergeordneten Verwaltungseinheit gilt, für die er tätig wird.“ 11
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
ordnung integrieren lässt, soll im ersten Schritt die juristische Konstruktion im Falle einer vorläufigen Festnahme durch das reguläre Strafverfolgungspersonal des Staates näher beleuchtet werden. Sodann wird im zweiten Schritt erörtert, wie sich die Dinge darstellen, wenn ein Bürger einen Amtswalter des Staates bei der Durchführung einer vorläufigen Festnahme unterstützt. Im dritten Schritt soll schließlich die juristische Konstruktion im Falle eines Handelns des Bürgers in Abwesenheit des regulären Staatspersonals näher in den Blick genommen werden. Vorangestellt sei den folgenden Ausführungen ein kurzer Beispielsfall mit zwei Abwandlungen: Der maskierte Bürger C stößt die ältere Frau A von hinten zu Boden und versucht sodann, ihr die Handtasche zu entreißen, was ihm jedoch nicht gelingt, weil A die Tasche fest umklammert hält. Als der zufällig vorbeikommende Polizist P hinzueilt, läuft C ohne Beute davon. Um ihn einer Strafverfolgung zuzuführen, läuft P dem C nach, wobei er ihm von hinten die Worte „Halt, hiergeblieben, Polizei!“ zuruft. Da C jedoch nicht stehenbleibt, packt P ihn mit kräftigem Griff am rechten Arm. 1. Variante: Der Polizist P bittet den zufällig vorbeikommenden Passanten D um Mithilfe bei der Festnahme des C. D erklärt sich dazu bereit, weshalb P und D gemeinsam die Verfolgung des C aufnehmen. Als sie ihn einholen, packt P den C von hinten am rechten Arm, während D den C am linken Arm ergreift. 2. Variante: Da kein Polizist zugegen ist, eilt der zufällig vorbeikommende Passant D zum Ort des Überfalls, woraufhin C ohne Beute davonläuft. Um ihn einer Strafverfolgung zuzuführen, läuft D dem C nach, wobei er ihm von hinten die Worte „Halt, hiergeblieben!“ zuruft. Da C jedoch nicht stehenbleibt, packt D ihn mit kräftigem Griff am linken Arm. Sodann informiert D mit seinem Mobiltelefon die Polizei über die Festnahme. Sein Gesprächspartner, der Polizist P1, sagt ihm, dass er sogleich zwei Streifenpolizisten auf den Weg schicken werde. Als wenig später die Polizeibeamten P2 und P3 die Szene erreichen, händigt D ihnen den C aus.
Im Ausgangsfall ist zunächst zu beachten, dass nach herrschender Auffassung15 auch der Staat B dazu berechtigt ist, durch seine Strafverfolgungsorgane eine anwesenheitssichernde Flagranzfestnahme auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO durchzuführen.16 Darüber hinaus waren in dem Ausgangsfall auch alle Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO gegeben. So war nämlich zum einen der Bürger C auf frischer Tat betroffen, da er aus der Perspektive des Polizisten P dringend verdächtig war, einen nach §§ 249, 22 StGB strafbaren Raubversuch begangen zu haben17; und zum anderen lag auch der FestnahmeS. etwa Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 7; Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 266; Albrecht, Festnahmerecht, S. 81, 142 ff.; Tetsch, Eingriffsrecht, Bd. 2, S. 58; Hevert, Festnahmerecht, S. 68. 16 S. zu den verschiedenen Typen der vorläufigen Festnahme etwa Hellmann, Strafprozess recht, Rn. 260. 17 Soweit es um eine anwesenheitssichernde Flagranzfestnahme durch die staatlichen 15
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grund des Fluchtverdachts vor, weil nach den objektiven Umständen vernünftigerweise davon auszugehen war, dass sich der Bürger C ohne eine vorläufige Festnahme seiner Verantwortung durch Flucht entziehen würde18. Hervorzuheben ist weiter, dass § 127 StPO keine Regelung zum Wie der Festnahme enthält, weshalb für das Handeln des Staates B ergänzend die Regelungen über die Anwendung unmittelbaren Zwangs heranzuziehen sind.19 Das bedeutet insbesondere, dass der Staat B bei der Ausübung des Festnahmerechts das Verhältnis mäßigkeitsprinzip zu beachten hat, wobei ein festes Zupacken zum Zwecke der vorläufigen Festnahme grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.20 Dementsprechend war der Staat B in dem Ausgangsfall gemäß § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB dazu berechtigt, durch sein Strafverfolgungsorgan den Tatverdächtigen C mit kräftigem Griff am Arm zu packen. Nun gilt es allerdings zu sehen, dass der Polizist P entgegen einem verbreiteten Sprachgebrauch kein staatliches Strafverfolgungsorgan ist, sondern ein Amtswalter des Staates B.21 Um das dogmatische Grundgerüst des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik zu rekonstruieren, ist es daher zunächst angezeigt, sauber zwischen den Begriffen (1) Amtswalter, (2) Amt, (3) Staatsperson und (4) Staatsorgan zu unterscheiden.22 Weiter gilt es sich vor Augen zu führen, wie diese rechtlichen Entitäten juristisch- konstruktiv miteinander verknüpft sind: „Das Handeln eines konkreten Amtswalters gilt als Handeln des Amtes, dieses wiederum als das des Organs, welches schließlich den Akt der juristischen Person vermittelt. Umgekehrt
Strafverfolgungsorgane geht, genügt im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO nach allgemeiner Auffassung das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts (s. nur Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 266). 18 S. zum Festnahmegrund des Fluchtverdachts etwa BayObLG NStZ-RR 2002, 336 sowie Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 10. 19 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 20; KK/Schultheis, StPO, § 127 Rn. 40; OLG Karlsruhe NVwZ-RR 2016, 45, 46. 20 Vgl. etwa KK/Schultheis, StPO, § 127 Rn. 27 sowie Pfeiffer, StPO, § 127 Rn. 7. 21 Näher zu der grundkonzeptionellen Unterscheidung von Organ und Organmitglied etwa Beuthien, FS Zöllner, S. 97 ff.; ders./Gätsch, ZHR 156 (1992), 459, 467 ff.; Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I, S. 250 in Fn. 7; Maultzsch, KTS 2016, 402, 404 f.; vgl. auch Wolff, Theorie der Vertretung, S. 229 in Fn. 3: „Die Unterscheidung zwischen ‚Organ‘ und ‚Organwalter‘ wird im bürgerlichen und Handelsrecht allermeist übersehen, im öffentlichen Recht dagegen, wenn auch nicht immer in gleicher Terminologie, fast allgemein gemacht.“ 22 Näher zu den Elementarbegriffen und Grundstrukturen des Verwaltungsorganisations rechts etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 21 Rn. 19 ff.; Raschauer, Verwaltungsrecht AT, Rn. 48 ff.; Remmert, Private Dienstleistungen, S. 272 ff.; Schnapp, Jura 1980, 68 ff.; ders., FS Schenke, S. 1187 ff.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
werden die an die juristische Person adressierten Berechtigungen und Verpflichtungen hinuntergeleitet bis zu einem konkreten Amtswalter.“23
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass sich die Konstruktionslogik des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO nur dann präzise erfassen lässt, wenn man in dem Dreiecksverhältnis Amtswalter P – Staat B – Tatverdächtiger C sauber zwischen den Rechtsrelationen P–B und B–C differenziert. Dabei ist zunächst zu beachten, dass der Staatsperson B durch die gesetzliche Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO die Befugnis und Kompetenz eingeräumt wird, das Nutzungsrecht „aus“ ihrem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang durch ihr Strafverfolgungsorgan zum Zwecke der vorläufigen Festnahme gegenüber dem Bürger C im eigenen Namen auszuüben. Demgegenüber stehen dem Polizisten P nur prokuratorische Wahrnehmungsbefugnisse und -kompetenzen zu.24 Das bedeutet, dass der Amtswalter P in den von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO erfassten Sachlagen nur das Dürfen und Können hat, das Nutzungsrecht des Staates B „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der vorläufigen Festnahme in dessen Namen auszuüben. In dem obigen Beispielsfall übt der seine Dienstpflicht erfüllende Polizist P das Recht zur anwesenheitssichernden Flagranzfestnahme daher nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Staates B aus, womit korrespondiert, dass in der Welt des Rechts im Verhältnis zu dem Bürger C nicht der zum Körper des Polizisten P gehörende Arm in Erscheinung tritt, sondern nur der zum Staatskörper gehörende Arm der Staatsperson B.25 Will man die Konstruktionslogik des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO ergründen, dann muss man sich also „zunächst von der Trivialität der sinnlichen Vorstellung losreißen“26. Denn bei naturalistischer Betrachtungsweise wird der Tatverdächtigte C in dem obigen Ausgangsfall selbstverständlich von dem ausgereckten Arm des Amtswalters P ergriffen. Vor dem geistigen Auge des JurisSchnapp, Amtsrecht, S. 94; in diesem Sinne auch Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 21 Rn. 19 ff. sowie Remmert, Private Dienstleistungen, S. 297 f. 24 Vgl. auch Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 286: „[D]er Amtswalter übt nur Wahrnehmungskompetenzen aus.“ 25 Vgl. etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 21 Rn. 43: „Nach außen tritt […] allein die Behörde in Erscheinung.“ (Hervorhebung im Original.) In diesem Sinne auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 210: „Der Staat tritt nach außen selbst in Erscheinung.“ Ähnlich Peine, DÖV 1997, 353, 357 f.; vgl. ferner auch BGHZ 156, 394, 400: „Das dienstliche Handeln des Polizeibeamten ist immer dem Staat, der durch seine Organe handelt, zuzurechnen.“ So auch Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 6 Rn. 6; Raschauer, Verwaltungsrecht AT, Rn. 113; Detterbeck, Öffentliches Recht, Rn. 378; Wichmann/Langer/Wichmann, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 50; Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 179 ff. 26 S. für dieses Zitat Lasson, Rechtsphilosophie, S. 4 42: „Wer irgend etwas wirklich verstehen will, muss sich zunächst von der Trivialität der sinnlichen Vorstellung losreissen.“ 23
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ten stellen sich die Dinge jedoch anders dar, weil der Amtswalter P als „verlängerter Arm“ des Staates B agiert, was bedeutet, dass er „seine volle Arbeitskraft“27 im inneren Vertikalverhältnis P–B der Staatsperson B hingibt28 und mit dieser das ihm zugeordnete Amt in dem zuständigen Staatsorgan 29 ausfüllt (P → B), woraufhin die Staatsperson B postwendend die empfangene physische Kraft durch ihr Strafverfolgungsorgan im äußeren Vertikalverhältnis B–C an den Tatverdächtigen C weiterleitet, indem sie ihn mit ausgerecktem Arm und mächtiger Hand ergreift (B → C). Bildlich gesprochen, spaltet der Polizist P hier also gleichsam eine helfende Hand von seinem Körper ab, um diese als „Partialobjekt“30 an die Staatsperson B zu leisten (P → B), woraufhin sich nach außen hin eine „juristische Sekunde“31 später die zum Staatskörper gehörende Hand des Staates B zeigt (B → C). Die exakte zweiaktige Konstruktionskette lautet also: (1) Amtswalter P → Arbeitskraft → Amt in dem Staatsorgan der Staatsperson B; (2) Staatsperson B → Staatsorgan → Tatverdächtiger C.
Anders gewendet bedeutet das, dass sich die von dem Körper des Polizisten P abgespaltene Hand (also die als verdinglicht gedachte32 Ware „Arbeitskraft“ = der Zuwendungsgegenstand) in der Welt des Rechts über den Staat B als Zwischenperson bewegt, was juristisch-konstruktiv eine „Transformation individu-
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BVerfGK 10, 59, 63. Näher zur Arbeitskraft als Zuwendungsgegenstand im erfüllungsrechtlichen Sinne etwa Beuthien, RdA 1969, 161, 165; Picker, ZfA 1981, 1, 53 mit Fn. 106, 56 in Fn. 113; Hartmann, in: Perspektiven, S. 56; ders., WiVerw 2014, 139, 143; MK/Schwab, BGB, § 812 Rn. 48; Erman/Buck-Heeb, BGB, § 818 Rn. 25. 29 S. zum organisationsrechtlichen Verhältnis von Amt und Staatsorgan etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 21 Rn. 37: „Das Amt besteht nur organintern, es hat – anders als die Behörde – keine Außenzuständigkeit.“ 30 S. zum Begriff des Partialobjekts etwa Žižek, Körperlose Organe, S. 231 ff.; dens., Weniger als nichts, S. 526 ff., 954 ff.; Widmer, Subversion des Begehrens, S. 81 ff.; Laplanche/ Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, Bd. 2, S. 371 ff.; s. speziell zur Hand als Partialobjekt Žižek, Körperlose Organe, S. 237 ff.; dens., Weniger als nichts, S. 1343; dens., Lacan, S. 86; s. ferner auch Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 68 ff., 74. 31 Näher zur Bedeutung der „juristischen Sekunde“ für die Konstruktionsjurisprudenz etwa Wieacker, FS Wolf, S. 421 ff. sowie Weyand, Der Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde, S. 2 ff. 32 Vgl. dazu etwa Žižek, Körperlose Organe, S. 48 ff.; vgl. auch die Lehre von der Objektivation des Willens von Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 316 ff.; vgl. ferner auch N. Hartmann, Das Problem des geistigen Seins, S. 411: „Jede Äußerung, jedes Wort, jede Geste, jedes Verhalten des Individuums ist schon Objektivation. Ein Mensch wird eben gegenständlich greifbar in allem, was von ihm ausgeht.“ 28
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eller Willensakte in kollektive Handlungen“33 möglich macht. Dementsprechend fungiert die Staatsperson B hier als juristischer „Stepppunkt“34, der dadurch „Hebelwirkung“35 entfaltet, dass er die Direktionslinie der physischen Kraft krümmt, wodurch der „Partialobjekt-Strom“36 übers Eck zirkuliert (P → B → C). Dabei ist der entscheidende Punkt im vorliegenden Zusammenhang, dass der Polizist P bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO nicht das Recht hat, im eigenen Namen zum Zwecke der vorläufigen Festnahme in den Rechtskreis des Tatverdächtigen C einzugreifen. Vielmehr ist der Polizist P im Rahmen von § 127 Abs. 1 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO allein dazu berechtigt, das Festnahmegeschäft des Staates B in dessen Namen wahrzunehmen und dem Staat B zu diesem Zwecke im vertikalen Innenverhältnis P–B seinen Arm zu leihen. Damit korrespondiert, dass der Eingriff in den Rechtskreis des Tatverdächtigen C im vertikalen Außenverhältnis B–C von hoher Hand durch den Staat B erfolgt, welchem durch § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO das Recht eingeräumt wird, im eigenen Namen durch das zum Staatskörper gehörende Strafverfolgungsorgan den Tatverdächtigen C festzunehmen und zu diesem Zweck in seinen Rechtskreis einzugreifen. Dabei hat der durch sein Strafverfolgungsor gan handelnde Staat B in dem obigen Beispielsfall das Festnahmerecht, wie bereits dargelegt wurde, auf rechtmäßige Weise ausgeübt, weil ein kräftiger Griff an den Arm des Tatverdächtigen C in der konkreten Sachlage im Rahmen des Verhältnismäßigen lag. Weiter gilt es mit Blick auf die rechtliche Bewertung des Amtswalterverhaltens zu sehen, dass die den Staat B im Außenverhältnis B–C zu dem Tatverdächtigen C treffenden Rechtspflichten dadurch zu dem Poli zisten P „hinuntergeleitet“37 werden, dass der Wille des Staates B im Innenverhältnis P–B die maßgebliche Größe für das Wie der Staatsaufgabenwahrnehmung ist.38 Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Polizist P in dem obigen Beispielsfall deshalb rechtmäßig gehandelt hat, weil er das staatliche Festnahmegeschäft im Einklang mit dem Willen der Staatsperson B ausgeführt hat. Formulierung von Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht, S. 251 (ohne die Hervorhebung des Originals). 34 S. zum Konzept des Stepppunkts etwa Žižek, Weniger als nichts, S. 800 ff., 817; s. ferner auch Lacan, Das Seminar. Buch III, S. 316 f.: „Um diesen Signifikanten herum strahlt, gestaltet sich alles, in der Art jener an der Oberfläche eines Gewebes durch den Step[p]punkt gebildeten kleinen Kraftlinien. Das ist der Konvergenzpunkt, der erlaubt, rückwirkend und vorauswirkend alles zu situieren, was sich in diesem Diskurs abspielt.“ 35 So die treffende Formulierung von Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 180, 182. 36 Begriff von Deleuze/Guattari, Anti-Ödipus, S. 12. 37 Schnapp, Amtsrecht, S. 94. 38 Vgl. Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 180. 33
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Um als Nächstes die juristische Konstruktion in der ersten Variante des Beispielfalles näher in den Blick zu nehmen: In dieser Konstellation ersuchte der Polizist P den zufällig anwesenden Passanten D um Mithilfe bei der Festnahme des Tatverdächtigen C, wozu sich der Bürger D bereit erklärte, weshalb der Polizist P und der Bürger D den tatverdächtigen Bürger C gemeinsam zum Zwecke der vorläufigen Festnahme ergriffen, wobei der Polizist P den rechten Arm des Tatverdächtigen C packte, während der Bürger D den Tatverdächtigen C am linken Arm packte. Mit Blick auf diese Fallgestaltung ist zunächst hervorzuheben, dass das Ausgangsszenario nicht verändert wurde, was bedeutet, dass die Staatsperson B auch in der ersten Variante des Ausgangsfalls auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO dazu berechtigt war, im eigenen Namen den tatverdächtigen Bürger C durch ihr Strafverfolgungsorgan zum Zwecke der anwesenheitssichernden Flagranzfestnahme zu ergreifen (B → C). Darüber hi naus war auch der Polizeibeamte P dazu berechtigt, das Festnahmegeschäft des Staates B in dessen Namen wahrzunehmen und zu diesem Zwecke der Staatsperson B im vertikalen Innenverhältnis P–B seinen Arm zu leihen (P → B). Wie aber stellen sich die Dinge mit Blick auf den Bürger D dar, der von dem Polizisten P um Mithilfe bei der Durchführung der vorläufigen Festnahme des Bürgers C gebeten wurde? Hier gilt es zunächst zu sehen, dass das Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO nach allgemeiner Ansicht in dem Sinne subsidiär ist, dass eine Berufung des Bürgers auf diese gesetzliche Regelung grundsätzlich ausscheidet, wenn die regulären Amtswalter des Staates B zur Stelle sind.39 Anders gewendet bedeutet das, dass eine Berufung des Bürgers auf das Jedermannsrecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann in Betracht kommt, wenn (1) die Kräfte des regulären Staatspersonals (P1, P2, P3 usw.) zur effektiven Erledigung des staatlichen Festnahmegeschäfts nicht ausreichen und wenn (2) eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Durchführung einer vorläufigen Festnahme durch die Amtswalter des Staates B unmöglich oder untunlich ist. Bei genauer Betrachtungsweise ist das Jedermannsrecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO also in einem doppelten Sinne subsidiär: So ist es nämlich zum einen subsidiär in dem Sinne, dass den anwesenden Amtswaltern des Staates der Vorrang vor dem Bürger gebührt; und zum anderen ist es subsidiär in dem Sinne, dass eine rechtsgeschäftliche Regelung der gesetzlichen Regelung vorgeht.
39 S. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 7; Bülte, ZStW 121 (2009), 377, 383; M. Wagner, ZJS 2011, 465, 470; Albrecht, Festnahmerecht, S. 81; Hevert, Festnahmerecht, S. 68, 150; KK/Schultheis, StPO, § 127 Rn. 21; AK/Krause, StPO, § 127 Rn. 3; LR/Hilger, StPO, § 127 Rn. 27; SK/Paeffgen, StPO, § 127 Rn. 18.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Deshalb konnte sich der Bürger D in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung nicht auf das Jedermannsrecht des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO berufen.40 Vielmehr ist er in der vorliegenden Konstellation auf das Hilfsersuchen des Polizisten P hin als „‚Zugezogener‘“41 tätig geworden. Was aber bedeutet das genau? Insoweit ist als Erstes hervorzuheben, dass der „mit Vertretungsmacht nach Art der Prokura“42 ausgestattete Polizist P hier den Bürger D nicht im eigenen Namen um Hilfe bei der Durchführung der vorläufigen Festnahme ersucht hat, sondern im Namen des Staates B. Damit korrespondiert, dass das von dem Polizisten P im Namen des Staates B abgegebene Hilfsersuchen der Staats person B zuzurechnen ist, was für die juristische Konstruktion bedeutet, dass der von dem Polizisten P abgegebene Sprechakt in der Welt des Rechts aus dem Mund des Staates B kommt.43 Anders ausgedrückt: Der Polizist P leiht hier der Staatsperson B im inneren Vertikalverhältnis P–B als „Erklärungshelfer“44 seine Stimme, weshalb im äußeren Vertikalverhältnis B–D allein die Stimme der Staatsperson B ertönt (B → D: „Könntest du mir bitte bei der Durchführung der vorläufigen Festnahme helfen?“). Bildlich gesprochen, bewegt sich die Stimme des per procura agierenden Polizisten P hier also entlang der Rechtsrelationen P–B und B–D, weshalb in der „Außenwelt“ allein die Stimme der Staatsperson B zu hören ist (P → B → D).45 Dabei handelt es sich bei dem Hilfsersuchen des Staates B sub specie iuris um einen Antrag zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Auftragsvertrags mit dem Bürger D46, welchen dieser in der vorliegenden Fallgestaltung auch gegenüber dem Polizisten P als Empfangsvertreter („Hörwerkzeug“) der Staatsperson B angenommen hat (D → B: „Ja!“).
Vgl. Hevert, Festnahmerecht, S. 68, 150. Albrecht, Festnahmerecht, S. 85; vgl. zum Begriff des Zugezogenen ferner auch § 114 Abs. 2 StGB. 42 Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 217. 43 Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 217; Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 182; Wolff, Theorie der Vertretung, S. 241 ff.; zutreffend aus zivilrechtsdogmatischer Perspektive Beuthien, FS Medicus, S. 8 („Dem Vertretenen rechtlich zuzuordnen ist die Willens erklärung als Ganzes.“) sowie Thomale, Leistung als Freiheit, S. 70 ff. (mit durchschlagenden Argumenten gegen die herrschende Gegenauffassung); vgl. auch Žižek, Liebe deinen Näch sten, S. 147, 152 sowie dens., Körperlose Organe, S. 260. 44 Begriff von Beuthien, FS Medicus, S. 5. 45 S. zur Stimme als Partialobjekt etwa Žižek, Körperlose Organe, S. 231 ff.; dens., in: Salecl/Žižek (Hrsg.), Gaze and Voice as Love Objects, S. 90 ff.; dens., Weniger als nichts, S. 916, 921, 953 ff.; dens., Grimassen des Realen, S. 146 ff.; Lacan, Namen-des-Vaters, S. 80 ff.; dens., Schriften II, S. 194; Deleuze/Guattari, Anti-Ödipus, S. 242 ff., 500 ff.; Widmer, Subversion des Begehrens, S. 86 ff.; vgl. auch Picard, Wort und Wortgeräusch, S. 29. 46 Vgl. Schack, JZ 1966, 640, 641 mit Fn. 20 sowie Kriebel, DÖV 1962, 766, 769 ff.; vgl. ferner auch Palandt/Sprau, BGB, Vor § 662 Rn. 10. 40 41
A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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Dementsprechend ist vorliegend ein Auftragsvertrag zwischen dem Staat B und dem Bürger D zustande gekommen, wobei der Staat B dem Bürger D mit Abschluss des Vertrags zugleich auch (implizit) das Dürfen und Können zur Wahrnehmung des staatlichen Festnahmegeschäfts „für“ die Staatsperson B eingeräumt hat (B → D: „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Verwaltungshelfer aufzutreten!“). Anders gewendet bedeutet das, dass der Staat B durch die rechtsgeschäftliche Bestellung des Bürgers D zum Verwaltungshelfer47 zugleich ein auszufüllendes („leeres“) Amt in dem zuständigen Staatsorgan kreiert hat, welches für die juristische Konstruktion als „Empfangsform“ für die von staatlicher Seite begehrte Arbeitskraft des Bürgers D fungiert.48 Wenn der Bürger D nun in Erfüllung seiner Pflichten aus dem Auftragsvertrag dem Staat B bei der Erfüllung der Festnahmeaufgabe hilft, indem er den Tatverdächtigen C mit kräftigem Griff am linken Arm packt, dann agiert er in der Welt des Rechts als „verlängerter Arm“ der Staatsperson B, was bedeutet, dass er seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine helfende Hand) im vertikalen Innenverhältnis D–B dem Staat B hingibt und so das ad hoc kreierte Amt in dem zuständigen Staatsorgan der Staatsperson B ausfüllt (D → B), woraufhin die Staatsperson B die empfangene physische Kraft postwendend im äußeren Vertikalverhältnis B–C an den Tatverdächtigen C weiterleitet, indem sie diesen durch ihr Strafverfolgungsorgan mit ausgerecktem Arm und kräftigen Griff am linken Arm packt (B → C). In der hier in Rede stehenden Konstellation wird die Arbeitskraft des Polizisten P und des Bürgers D also gleichsam im Strafverfolgungsorgan des Staates B gebündelt, sodass nach außen hin in der Welt des Rechts nur der zum Staatskörper gehörende Arm der Staatsperson B in Erscheinung tritt und den tatverdächtigen Bürger C gewissermaßen mit doppelter Kraft ergreift (P/D → B → C). Der entscheidende Punkt ist dabei an dieser Stelle, dass der mit prokuratorischer Handlungsmacht ausgestattete Erfüllungsgehilfe D nicht im eigenen Namen agiert, sondern im Namen des Staates B, was für die juristische Konstruktion bedeutet, dass der Bürger D als „atypischer Amtswalter“49 dem Staat B im vertikalen Innenverhältnis D–B seinen Arm leiht (D → B), woraufhin sich im vertikalen Außenverhältnis B–C zu dem Tatverdächtigen C in der nächsten juristischen Sekunde der zum Staatskörper gehörende Arm des Geschäftsherrn B 47 S. zum Begriff des Verwaltungshelfers etwa Remmert, Private Dienstleistungen, S. 350 f.: „Ein Verwaltungshelfer ist ein Amtswalter, dessen Handeln und Entscheiden aufgrund eines atypischen Amtswalterverhältnisses als Handeln und Entscheiden eines atypisch zugeschnittenen Amtes und damit als das der übergeordneten Verwaltungseinheit gilt, für die er tätig wird.“ 48 Vgl. Remmert, Private Dienstleistungen, S. 342 ff. 49 Begriff von Remmert, Private Dienstleistungen, S. 476.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
zeigt (B → C). Anders gewendet heißt das, dass dem Geschäftsherrn B das Verhalten seines Erfüllungsgehilfen D nach dem Rechtsgedanken des § 278 S. 1 Alt. 2 BGB zugerechnet wird.50 Dabei gilt es aber klar zu sehen, dass der tiefere Grund für die Zurechnungsverschiebung in der hier in Rede stehenden Konstellation darin liegt, dass der Geschäftsherr B als juristischer Stepppunkt fungiert, der den Weg der physischen Kraft krümmt, sodass die physische Kraft in der Welt des Rechts übers Eck fließt (D → B → C). Die exakte zweiaktige Konstruktionskette lautet dementsprechend: (1) Verwaltungshelfer D → Arbeitskraft → Amt in dem Staatsorgan der Staatsperson B; (2) Staatsperson B → Staatsorgan → Tatverdächtiger C.
Weiter ist hervorzuheben, dass sich der Bürger D als der Auftragnehmer bei der Ausführung der Geschäftsbesorgung „für“ den Staat B als den Auftraggeber nach dessen Weisungen zu richten hat, was bedeutet, dass der inhaltliche Maßstab für das Wie der Geschäftsbesorgung der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn ist, wodurch die den Geschäftsherrn B im Außenverhältnis B–C zum Tatverdächtigen C treffenden Pflichten in das vertikale Innenverhältnis B–C hineingespiegelt werden.51 Dabei stand es in der vorliegenden Fallgestaltung auch im Einklang mit dem Geschäftsherrnwillen, dass der Bürger D den Tatverdächtigen C mit kräftigen Griff am linken Arm packte, weshalb der Auftragnehmer D bei der Ausführung des fremden Festnahmegeschäfts im vertikalen Innenverhältnis D–B keine Verhaltenspflichten verletzt hat. Gleiches gilt für den Polizisten P, wobei insbesondere auch die Einschaltung des Bürgers D in die Durchführung der vorläufigen Festnahme von Rechts wegen nicht zu beanstanden ist. Ferner hat sich auch die im vertikalen Außenverhältnis B–C durch ihr Strafverfolgungsorgan handelnde Staatsperson B rechtmäßig verhalten, weil das Zupacken mit doppelter Kraft hier im Rahmen des Verhältnismäßigen lag. Dementsprechend liegt in der ersten Variante des obigen Beispielfalls ein rechtmäßiges Verhalten sowohl von Seiten der Staatsperson B als auch von Seiten ihrer Hilfspersonen P und D vor. Um vor diesem Hintergrund die zweite Variante des Ausgangsfalls näher zu beleuchten: Hier ist das Ausgangsszenario in der Sache unverändert geblieben, wobei allerdings zufällig kein Polizist P vor Ort war, um das Festnahmegeschäft 50 Näher zur Verhaltenszurechnung nach dem Rechtsgedanken des § 278 S. 1 BGB etwa Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 48; Brox/Walker, Schuldrecht AT, § 20 Rn. 24; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 501; s. zur entsprechenden Anwendung von § 278 S. 1 BGB im öffentlichen Recht etwa BGHZ 200, 188 Rn. 14; Würtenberger, DAR 1983, 155, 160 f.; Stelkens, JZ 2004, 656, 658. 51 Näher zum Wie der Auftragsausführung etwa Staudinger/Martinek/Omlor, BGB, § 662 Rn. 25 ff.
A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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des Staates B wahrzunehmen, weshalb nun der Bürger D allein die Verfolgung des Tatverdächtigen C aufnahm und diesen mit kräftigen Griff am linken Arm packte, um ihn einer Strafverfolgung zuzuführen. In dieser Konstellation ist eine Berufung des Bürgers D auf das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO nach allgemeiner Auffassung möglich, weil diese Regelung in ihrer Funktion als Jedermannsrecht dann Platz greift, wenn die regulären Vertreter der Strafverfolgungsbehörde (P1, P2, P3 usw.) nicht zugegen sind. Anders ausgedrückt heißt das, dass dem Bürger D in so gelagerten Fallgestaltungen durch § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO das Recht verliehen wird, an die Stelle der Amtswalter des Staates B zu treten und etwas zu tun, was zu tun eigentlich deren Sache ist. Doch was bedeutet das genau? Um diese Frage zu beantworten, gilt es sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass das Recht der Bürger zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO bei präziser Betrachtung im doppelten Sinne subsidiär ist, weil diese gesetzliche Regelung nur dann zum Tragen kommt, wenn (1) die Kräfte des regulären Strafverfolgungspersonals des Staates B zur Erledigung der in Rede stehenden Festnahmeaufgabe nicht ausreichen und wenn (2) eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenwahrnehmung unmöglich oder untunlich ist. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das gesetzliche Jedermann-Festnahmerecht den akustischen Hilferuf substituiert, an dessen Aussendung die Staatsperson B in einer von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO erfassten Sachlage aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Festnahmeaufgabe usw.) gehindert ist. Dementsprechend dient das gesetzliche Jedermannsrecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO bei funktionaler Betrachtungsweise als fiktiver „Hilferuf des Staates“52 , durch welchen der festnahmewillige Bürger D „in den Status […] eines Stellvertreters der Strafverfolgungsgewalt“53 versetzt wird (B → D: „Bitte hilf mir bei der Durchführung der vorläufigen Festnahme!“ = „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Verwaltungshelfer aufzutreten!“). Das heißt, dass das Recht des Bürgers D zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO ein „eingeschränktes Behördenvertretungsrecht“54 darstellt, das dann zum Tragen kommt, wenn die regulären Vertreter der staatlichen Strafverfolgungsbehörde (P1, P2, P3 usw.) nicht zur Stelle sind. Für die juristische Betrachtung wird der auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Bürger D somit „als Vertreter der Strafverfolgungsbehörde“55 tätig, weshalb er bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO So die treffende Formulierung von Arzt, FS Kleinknecht, S. 3. Bülte, ZStW 121 (2009), 377, 379 f. 54 KG VRS 19, 114, 116; ebenso AK/Krause, StPO, § 127 Rn. 3. 55 Bülte, ZStW 121 (2009), 377, 383; in diesem Sinne etwa auch Kramer, Grundbegriffe 52 53
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
nicht zum Handeln im eigenen Namen „berufen“ ist, sondern nur zum Handeln im Namen des Staates B. Präziser gesagt: Durch die Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO wird dem Bürger D das Dürfen und Können verliehen, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der vorläufigen Festnahme „für“ den Staat B als dessen gesetzlicher Vertreter auszuüben. In juristisch-konstruktiver Hinsicht bedeutet das, dass die Staatsperson B bei Vorliegen der Voraussetzungen des Jedermannsrechts aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO durch einen – fiktiven – an den Bürger D gerichteten Hilferuf in dem zuständigen Strafverfolgungsorgan ad hoc ein auszufüllendes („leeres“) Amt kreiert, das als „Empfangsform“ für die begehrte Arbeitskraft des als Staatsvertreter agierenden Bürgers D fungiert, wodurch für die rechtliche Betrachtung ein Kraftfluss übers Eck möglich wird (D → B → C). Entgegen einem verbreiteten Sprachgebrauch ist der auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Bürger D also nicht als „ad hoc bestelltes Hilfsorgan der Strafrechtspflege“56 anzusehen, sondern als „Vertreter des Staates ad hoc“57. Das heißt, der Vertreterbegriff und der Organbegriff sind strikt voneinander zu trennen, weil sonst die juristische Pointe verfehlt wird, dass ein von der Vertretungsmacht gedecktes Handeln des Vertreters D in der Welt des Rechts ein Handeln des vertretenen Geschäftsherrn B durch seine eigenen „Organe der Kraftäußerung“58 nach sich zieht.59 Wenn der Bürger D also in der zweiten Variante des Ausgangsfalls dem fiktiven Hilferuf des Staates B dadurch folgt, dass er den Tatverdächtigen C verfolgt und ihn zum Zwecke der Festnahme von hinten mit kräftigen Griff am linken Arm packt, dann bedeutet das für die juristische Konstruktion, dass der Bürger D im vertikalen Innenverhältnis D–B seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine greifende Hand) dem Staat B hingibt und mit dieser das ad hoc kreierte atypische Amt in der Strafverfolgungsbehörde ausfüllt (D → B), womit korrespondiert, dass im äußeren Vertikalverhältnis B–C in der Welt des Rechts allein die des Strafverfahrensrechts, Rn. 63; Rengier, Strafrecht AT, § 22 Rn. 1 ff.; Schröder, Jura 1990, 10, 12; Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. 56 Formulierung von N. Pawlik, Festnahmerecht, S. 66; ähnlich etwa Albrecht, Festnahmerecht, S. 200: „eine ‚Art Hilfsorgan des Staates‘“; Hellmann, Strafprozessrecht, S. 98: „quasi als Strafverfolgungsorgan“; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 247: „gelegentliches Staatsorgan“. 57 Zutreffend Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. 58 S. für diese Formulierung Ancillon, Staatswissenschaft, S. 33: „So wie in einem jeden einzelnen Menschen […] Organe der Kraftäußerung zu einer jeden Handlung nothwendig sind, so auch im Staate.“ 59 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243, der treffend darauf hinweist, dass bei juristischen Personen „jeder Organakt ein Organwalterhandeln vor aus[setzt]“.
A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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Strafverfolgungsbehörde der Staatsperson B in Erscheinung tritt und den Tatverdächtigen C mit kräftigen Griff am linken Arm packt (B → C). Anders gewendet heißt das, dass das Verhalten des Festnahmehelfers D dem Staat B als dem Festnehmenden nach dem Rechtsgedanken des § 278 S. 1 Alt. 1 BGB zuzurechnen ist. Es gilt also zu sehen, dass der Bürger D in der hier Rede stehenden Konstellation nicht als rechtsgeschäftlich bestellter Erfüllungsgehilfe im Sinne von § 278 S. 1 Alt. 2 BGB (analog) „für“ den Geschäftsherrn B tätig wird, sondern als dessen gesetzlicher Vertreter im Sinne von § 278 S. 1 Alt. 1 BGB (analog). Zugleich ist aber zu berücksichtigen, dass die Zurechnungsvoraussetzungen in den beiden Fällen des § 278 S. 1 BGB identisch sind: „Unterschiedlich ist allein der Bestellungsakt.“60 Dabei lautet die exakte zweiaktige Konstruktionskette in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung: (1) gesetzlicher Vertreter D → Arbeitskraft → Amt in dem Staatsorgan des Staates B; (2) Staatsperson B → Staatsorgan → Tatverdächtiger C.
Weiter ist hervorzuheben, dass die gesetzliche Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO keine Regelungen über das Wie des Tätigwerdens des Bürgers D „für“ den Staat B enthält, weshalb insoweit ergänzend die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) in entsprechender Anwendung heranzuziehen sind. In der Sache ist die Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO also als Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers D „für“ den Staat B und damit als gesetzlich geregelter Spezialfall einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag anzusehen.61 Dementsprechend ist der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn das normative Maßprinzip für das Ob und Wie der Notgeschäftsführung, was bedeutet, dass die den Staat B im vertikalen Außenverhältnis B–C zum Tatverdächtigen C treffenden Rechte und Pflichten über den Begriff des Willens des Geschäftsherrn B zu dem Notgeschäftsführer D „hinuntergeleitet“62 werden. Mit anderen Worten: Während der im vertikalen Außenverhältnis zu dem Tatverdächtigen C durch sein Strafverfolgungsorgan agierende Staat B unmittelbar an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist, bindet dieser Grundsatz den als Festnahmehelfer agierenden Bürger D im vertikalen Innenverhältnis D–B nur mittelbar über den Begriff des Geschäftsherrnwillens. Dabei hat der Bürger D in der vorliegenden Fallgestaltung auch im Einklang mit dem Willen des Geschäftsherrn B gehandelt, weil ein kräftiger 60
MK/Grundmann, BGB, § 278 Rn. 42. In diesem Sinne auch Arzt, FS Kleinknecht, S. 4; Schlör, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht, S. 24 f.; Hartung, JR 1931, 61, 65; Jaschkowitz, JW 1928, 1024, 1025; Haymann, JW 1932, 367 ff.; Kischel, VerwArch 90 (1999), 391, 400; Hevert, Festnahmerecht, S. 127; unentschieden Freund, JZ 1975, 513, 515 f. mit Fn. 33, 517. 62 Schnapp, Amtsrecht, S. 94. 61
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Griff an den linken Arm des flüchtenden Tatverdächtigen C in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit lag63. Damit korrespondiert, dass sich auch der nach außen hin durch sein Strafverfolgungsorgan agierende Geschäftsherr B bei der Festnahme des Bürgers C im Rahmen des Verhältnismäßigen bewegt hat. Im vorliegenden Zusammenhang ist ferner zu beachten, dass der Notgeschäftsführer D nach dem Rechtsgedanken des § 681 S. 1 BGB gehalten ist, dem Geschäftsherrn B die Übernahme der Notgeschäftsführung anzuzeigen, sobald es möglich und tunlich ist.64 Diesem Erfordernis ist der Festnahmehelfer D in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung auch nachgekommen, indem er mit seinem Mobiltelefon umgehend die Polizei über die Festnahme des Tatverdächtigen C informiert hat, woraufhin die Polizeibeamten P2 und P3 wenige Minuten später die Durchführung der vorläufigen Festnahme übernommen haben. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass sich das Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO ohne dogmatische Friktionen in die logische Struktur der Rechtsordnung einfügt, wenn man es als „eingeschränktes Behördenvertretungsrecht“65 konzeptualisiert, durch welches dem festnahmewilligen Bürger D das Dürfen und Können verliehen wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang „für“ den Staat B „als Vertreter der Strafverfolgungsbehörde“66 auszuüben, sofern (1) die Kräfte der regulären Vertreter der Strafverfolgungsbehörde (P1, P2, P3 usw.) zur effektiven Erledigung der staatlichen Festnahmeaufgabe nicht ausreichen und (2) eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers D in die Staatsaufgabenwahrnehmung nicht möglich oder tunlich ist. Bei funktionaler Betrachtungsweise dient diese Regelung dementsprechend zur „Schließung von Lücken, die sich aus der punktuell-zufälligen Abwesenheit von Repräsentanten des organisierten Staates ergeben“67, weshalb das Jedermannsrecht des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als Ausprägung der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ zu verstehen ist. Das heißt, dass dem „als Repräsentant der Allgemeinheit“68 auftretenden Bürger D durch diese gesetzliche Regelung das Recht eingeräumt wird, „pro magistratu“69 eine Strafverfolgungsaufgabe des Staates B Vgl. auch Sickor, JuS 2014, 807, 810 sowie Schröder, Jura 1990, 10, 13. Vgl. zur analogen Anwendung von § 681 BGB im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag auch Schoch, Jura 1994, 241, 249. 65 KG VRS 19, 114, 116; ebenso AK/Krause, StPO, § 127 Rn. 3. 66 Bülte, ZStW 121 (2009), 377, 383. 67 Formulierung von Pawlik, Notstand, S. 184 (zur funktionalen Rolle der Notstandsrechte; ohne die Hervorhebung des Originals). 68 Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 217 (ohne die Hervorhebung des Originals). 69 M. Wagner, ZJS 2011, 465, 470, 477; Kargl, NStZ 2000, 8; Sickor, NJW 2012, 1074, 1079; Jäger, Strafrecht AT, Rn. 166; Jakobs, Strafrecht AT, 16/16; Gropp, Strafrecht AT, § 5 63
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wahrzunehmen.70 Oder um eine von Masing geprägte Formulierung etwas abzuwandeln: Das Jedermannsrecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO dient der Mobilisierung des Bürgers für die Zwecke der Strafverfolgung, indem es den Einzelnen in den status procuratoris versetzt, um ihm so die Mithilfe bei der Sicherung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zu ermöglichen.71 Dabei liegt es in der Konsequenz des hier vertretenen Ansatzes, dass der auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Bürger D als „verlängerter Arm“ der Staatsperson B tätig wird, weshalb die physische Kraft in der Welt des Rechts über den Staat B als Zwischenperson zirkuliert (D → B → C), womit korrespondiert, dass im Verhältnis zu dem Tatverdächtigen C nicht der zum Körper des Bürgers D gehörende Arm in Erscheinung tritt, sondern allein der zum Staatskörper gehörende Arm der Staatsperson B (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Bei genauer Betrachtungsweise erfüllt die Vorschrift des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO daher eine Doppelfunktion. So verleiht diese Regelung nämlich zum einen dem Bürger D das Dürfen und Können, einen Tatverdächtigen C in Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates B zum Zwecke einer anwesenheitssichernden Flagranzfestnahme vorläufig festzunehmen; und zum anderen räumt sie zugleich der Staatsperson B die Befugnis und Kompetenz ein, einen Tatverdächtigen C in Ausübung ihres Nutzungsrechts „aus“ dem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen durch ihre Strafverfolgungsorgane vorläufig festzunehmen. Darüber hinaus wird dem Bürger D auch durch das Recht zur identifizierungssichernden Flagranzfestnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang „für“ den Staat B eingeräumt, wobei es für die Zwecke der vorliegenden Arbeit dahinstehen kann, ob das nach außen gerichtete Handeln des Staates B in diesem Fall ebenfalls durch § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO oder durch § 163b Abs. 1 StPO legitimiert wird.72 Rn. 345 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 35 IV 2, S. 398; Roxin, Strafrecht AT I, § 17 Rn. 22; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 15 Rn. 172. 70 S. zur Bedeutung des Begriffs „pro magistratu“ etwa Schiller/Voigt, in: v. Müller (Hrsg.), Handbuch der klassischen Altertums-Wissenschaft, Bd. 4/2, S. 23: „Pro magistratu ist jeder, der, ohne Magistrat zu sein, doch berechtigt ist, magistratische Funktion auszuüben.“ – Instruktiv zur Lückenfüllerfunktion der Promagistrate etwa Mommsen, in: Marquardt/ Mommsen (Hrsg.), Handbuch der römischen Alterthümer, Bd. 1, S. 520 ff. 71 S. zum Konzept des status procuratoris Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, S. 225 ff., der diesen Begriff jedoch anders konturiert als die hiesige Konzeption. 72 S. zu dem umstrittenen Verhältnis von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO und § 163b Abs. 1
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Schließlich wird vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen auch deutlich, weshalb es nicht überzeugt, das Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als eine „Legitimation zur eigenverantwortlichen Erledigung einer Verwaltungsaufgabe im eigenen Namen“73 zu begreifen. So ist nämlich gegen die Ermächtigungslösung einzuwenden, dass sie den auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierenden Bürger D nicht so stellt, wie er stünde, wenn ein Staatsvertreter P ihn in einer Festnahmelage um Mithilfe bei der Staatsaufgabenwahrnehmung gebeten hätte. Dementsprechend führt die Ermächtigungslösung zu dem wertungsmäßig nicht überzeugenden Ergebnis, dass der „Verkehrsweg“ der physischen Kraft letztlich davon abhängt, ob in einer Festnahmelage zufällig eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers D in die Staatsaufgabenwahrnehmung in Betracht kommt oder ob die subsidiäre gesetzliche Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO eingreift. Versteht man nämlich § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als eine an den Bürger D adressierte „‚Ermächtigungsgrundlage‘“74 zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen, dann wird der Tatverdächtige C im Falle einer Festnahme durch den auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierenden Bürger D für die juristische Konstruktion nicht von der Hand des Staates B gepackt, sondern von der zum Körper des Bürgers D gehörenden Hand. Soweit es an einer rechtgeschäftlichen Einschaltung des Bürgers D in die Staatsaufgabenerfüllung fehlt, fließt die physische Kraft auf Grundlage der Ermächtigungslösung also nicht über den Staat B als „Umschlagplatz“ (D → B → C), sondern im Verhältnis zwischen Bürger und Bürger (D → C). In dieser Änderung des „Verkehrsweges“ ist jedoch eine Aushebelung des Systems der mittelbaren Staatshaftung75 und damit eine „Flucht ins Privatrecht“76 zu sehen, die „einen Bruch in der normativen Infrastruktur“77 herbeiStPO etwa Kramer, MDR 1993, 111 ff.; Benfer, MDR 1993, 828, 829; Hevert, Festnahmerecht, S. 63 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 7. 73 Nedden, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Öffentlichen Recht, S. 90 (ohne die Hervorhebung des Originals); in diesem Sinne etwa auch Merten, Gewaltmonopol, S. 57; Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 189 mit Fn. 52; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 640. 74 Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 189. 75 S. zum Begriff der „mittelbaren Staatshaftung“ etwa Remmert, Private Dienstleistungen, S. 265 mit Fn. 70. – Näher zu den haftungsrechtlichen Implikationen der hier vertretenen prokuratorischen Konzeption des Jedermannrechts aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO unten sub § 3 A IV 1, S. 47 ff. 76 S. zum Problem der haftungsrechtlichen Flucht ins Privatrecht etwa Notthoff, NVwZ 1994, 771, 772; Burmeister, JuS 1989, 256, 260; Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), 137, 200; Remmert, Private Dienstleistungen, S. 268 ff.; Schimikowski, VersR 1984, 315, 317 f.; Windthorst, JuS 1995, 791, 794. 77 Formulierung von Jeand’Heur, AöR 19 (1994), 107, 127.
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führt und deshalb abzulehnen ist. Dagegen fügt sich die gesetzliche Regelung des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO friktionslos in die normative Infrastruktur der heutigen Rechtsordnung ein, wenn man diese Vorschrift als „eingeschränktes Behördenvertretungsrecht“ versteht, weil sich die physische Kraft dann auch in solchen Konstellationen über den Staat B als „Umschlagplatz“ bewegt, in denen zufällig kein regulärer Staatsvertreter P zugegen ist, um dem hilfswilligen Bürger D qua Rechtsgeschäft die Mitwirkung bei der Staatsaufgabenerfüllung zu ermöglichen.
III. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO Wie soeben herausgearbeitet wurde, wird der auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Bürger D bei funktionaler Betrachtungsweise als vertretungsberechtigter Notgeschäftsführer „für“ den Staat B als den Geschäftsherrn tätig. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Jedermann-Festnahmerechts in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik folgendermaßen reformulieren: 1. Vorliegen der Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO Vorliegen der Voraussetzungen für eine anwesenheits- oder identifizierungssichernde Flagranzfestnahme aus der ex-ante-Perspektive des Geschäftsherrn B 2. Das Ob der Notgeschäftsführung Übereinstimmung der Übernahme der Notgeschäftsführung durch den Bürger D mit dem Willen des Geschäftsherrn B 3. Das Wie der Notgeschäftsführung a) Das subjektive Wie der Notgeschäftsführung Vorliegen eines Notgeschäftsführungswillens auf Seiten des Bürgers D b) Das objektive Wie der Notgeschäftsführung Übereinstimmung der Ausführung der Notgeschäftsführung durch den Bürger D mit dem Willen des Geschäftsherrn B In den folgenden Gliederungsabschnitten werden die einzelnen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Jedermann-Festnahmerechts näher in den Blick genommen. Dabei soll es jedoch weniger um eine vertiefte Analyse von einzelnen Detailfragen gehen. Vielmehr sollen in erster Linie die tragenden Strukturelemente des subsidiären Notgeschäftsführungsrechts aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO herausgearbeitet werden.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
1. Die Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO Gemäß § 127 Abs. 1 S. 1 StPO steht jedem Bürger (D1, D2, D3 usw.) das Recht zu, einen auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Mitbürger C vorläufig festzunehmen, wenn dieser der Flucht verdächtigt ist (Alt. 1) oder wenn seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann (Alt. 2). Doch aus welcher Perspektive ist zu beurteilen, ob die Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO im Einzelfall gegeben ist? Um diese Frage zu beantworten, gilt es sich zunächst noch einmal zu vergegenwärtigen, dass das Jedermannsrechts aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO bei funktionaler Betrachtungsweise dazu dient, den Bürger D in den status procuratoris zu versetzen, um ihm so zu ermöglichen, als gesetzlicher „Vertreter des Staates ad hoc“78 eine staatliche Festnahmeaufgabe wahrzunehmen, solange das reguläre Staatspersonal nicht zur Stelle ist. Weiter gilt es zu sehen, dass mit der Vertretungskonstruktion einhergeht, dass die physische Kraft in der Welt des Rechts übers Eck fließt (D → B → C), sodass die Staatsperson B im Außenverhältnis B–C zu dem Tatverdächtigen C durch das zum Staatskörper gehörende Strafverfolgungsorgan agiert (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass für das Eingreifen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO eine Sachlage vorliegen muss, in welcher es dem Willen des Geschäftsherrn B entspricht, durch seine Strafverfolgungsorgane den Bürger C vorläufig festzunehmen, was impliziert, dass es im Rahmen dieser Regelung maßgeblich auf die ex-ante-Perspektive des Staates B als des vertretenen Geschäftsherrn ankommt.79 Aus dem prokuratorischen Charakter des Jedermann-Festnahmerechts folgt also, dass es für das Vorliegen einer Festnahmelage im Sinne von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO weder auf die subjektive Perspektive des festnahmewilligen Bürgers D noch auf die subjektive Perspektive des festzunehmenden Bürgers C ankommt, sondern auf die „objektive“ Perspektive des Staates B als des Dritten im Bunde. Anders gewendet bedeutet das, dass die Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO vorliegt, wenn aus der Perspektive eines (hinzugedachten) pflichtgetreuen Polizisten P die Voraussetzungen für eine anwesenheits- oder identifizierungssichernde Flagranzfestnahme vorliegen, weil das Situationswissen des als Wissensvertreter fungierenden Polizeibeamten P nach dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB der Staatsperson B zuzurechnen ist, sodass der Erkenntnishorizont des Polizisten P mit dem des Staates B korreliert.80 Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. S. zur Maßgeblichkeit der Perspektive des Geschäftsherrn bei der Geschäftsführung ohne Auftrag etwa Staudinger/Bergmann, BGB, § 683 Rn. 33 ff.; MK/Seiler, BGB, § 683 Rn. 4, 11; Palandt/Sprau, BGB, § 683 Rn. 3 ff.; Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, § 683 Rn. 2; Erman/Dornis, BGB, § 683 Rn. 4; Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 280 in Fn. 27; OLG München, NJW-RR 1988, 1013, 1015. 80 Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 306; näher zur Anwendung des Rechtsge78
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A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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Hervorzuheben ist, dass die hier vertretene Position im Wesentlichen mit der Auffassung der neueren Rechtsprechung übereinstimmt, die den Tatbegriff des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO in einem prozessualen Sinne versteht und das Vorliegen des Merkmals „auf frischer Tat betroffen“ bejaht, wenn „die Zusammenschau aller erkennbaren äußeren Umstände im Tatzeitpunkt […] nach der Lebenserfahrung ohne vernünftige Zweifel den Schluss auf eine rechtswidrige Tat zuläßt“81. Dabei ist die Rechtsprechungsformel inhaltlich allerdings dahin zu präzisieren, dass der maßgebliche Rollenstandard im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO der eines verständigen Amtswalters ist, was sich dogmatisch-konstruktiv, wie soeben gezeigt wurde, aus dem prokuratorischen Charakter des Jedermann-Festnahmerechts ableiten lässt. Dementsprechend sind an den pro magistratu handelnden Bürger in kognitiver Hinsicht weder mildere noch strengere Anforderungen als an einen regulären Amtswalter zu stellen.82 Vielmehr gelten für den Ersatzmann insoweit die gleichen Maßstäbe wie für das Stammpersonal des Staates.83 Als kurzes Fazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO vorliegt, wenn die Voraussetzungen für eine anwesenheits- oder identifizierungssichernde Flagranzfestnahme aus der ex-ante-Perspektive (eines Amtswalters) der Staatsperson B gegeben sind. Bildlich gesprochen heißt das, dass das Auge des Bürgers im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO gewissermaßen zum „Auge des Gesetzes“84 werden muss. 2. Das Ob der Notgeschäftsführung Als Nächstes soll das Ob der Notgeschäftsführung näher in den Blick genommen werden. In der Sache geht es dabei um die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Bürger D bei Vorliegen der Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO zum Tätigwerden „für“ die Staatsperson B berechtigt ist. Insoweit gilt es sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass die gesetzliche Regelung in § 127 Abs. 1 S. 1 StPO bei funktionaler Betrachtungsweise die Rechtslücke füllt, die dankens des § 166 Abs. 1 BGB im Verwaltungsrecht etwa Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, S. 95 ff., 163 ff. sowie Augsberg, Informationsverwaltungsrecht, S. 111. 81 BayObLGSt 1986, 52, 54; ebenso BGH NJW 1981, 745 sowie OLG Hamm NStZ 1998, 370; in diesem Sinne etwa auch Rengier, Strafrecht AT, § 22 Rn. 10; Hellmann, Strafprozess recht, Rn. 266; Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 505 ff.; Bülte, ZStW 121 (2009), 377, 400 f.; Hevert, Festnahmerecht, S. 85; Albrecht, Festnahmerecht, S. 100 f. – Für das Erfordernis einer wirklich begangenen Straftat plädieren dagegen etwa Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 4; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, Vor § 32 Rn. 23; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 601; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 646 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 9 Rn. 86; Schumann, JuS 1979, 559, 561; Satzger, Jura 2009, 107, 110. 82 In diesem Sinne etwa auch Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 266. 83 Vgl. dazu auch Wolff, Theorie der Vertretung, S. 8. 84 Näher zu dieser Metapher Stolleis, Das Auge des Gesetzes, S. 7 ff.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
dadurch entsteht, dass es im Falle eines staatlichen Kraftdefizits in Festnahme lagen nicht immer möglich oder tunlich ist, den Bürger D durch einen akustischen Hilferuf in die Staatsaufgabenerfüllung einzuschalten. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Bürger D dann auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO zum Handeln „für“ die Staatsperson B „berufen“ ist, wenn von dem Vorliegen eines – fiktiven – an ihn gerichteten Hilferufs des Staates B auszugehen ist (B → D: „Bitte hilf mir bei der Staatsaufgabenwahrnehmung!“ = „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Festnahmehelfer aufzutreten!“). Oder um es mit etwas anderen Worten zu sagen: Eine Berufung des Bürgers (D1, D2, D3 usw.) auf das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO kommt nach dem Rechtsgedanken des § 678 BGB nur dann in Betracht, wenn die Übernahme der Notgeschäftsführung „für“ den Staat B als den Geschäftsherrn in der konkret in Rede stehenden Situation von dessen (präsumtiven) Willen gedeckt ist, was in der Regel der Fall sein wird, wenn das reguläre Strafverfolgungspersonal des Staates (P1, P2, P3 usw.) nicht zur Stelle ist, um bei Vorliegen der Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO zum Zwecke der Sicherung der Strafverfolgung tätig zu werden. Festgehalten werden kann, dass der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn der normative Maßstab für das Ob einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO ist, was bedeutet, dass eine Sachlage gegeben sein muss, in welcher von dem Vorliegen eines – fiktiven – an den Bürger D adressierten Hilferufs des Staates B auszugehen ist. 3. Das Wie der Notgeschäftsführung a) Das subjektive Wie der Notgeschäftsführung In subjektiver Hinsicht geht die zutreffende herrschende Meinung davon aus, dass der das Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO ausübende Bürger D mit der Absicht handeln muss, den Tatverdächtigen C der Strafverfolgung zuzuführen.85 Dieses subjektive Element ist auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Konzeption des Jedermann-Festnahmerechts aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens zu rekonstruieren.86 Das bedeutet, dass der in Ausübung des Notvertretungsrechts aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Bürger D bei materiell-wertender Betrachtungsweise mit dem Willen handeln muss, seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine helfende Hand) dem Geschäftsherrn B zum Zwecke der Sicherung der Strafverfolgung durch dessen Strafverfolgungsorgan 85 S. statt aller Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 127 Rn. 8; Haller/Conzen, Das Strafverfahren, Rn. 1131; Rengier, Strafrecht AT, § 22 Rn. 23. 86 In diesem Sinne bereits Schlör, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht, S. 24 f.
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hinzugeben, wobei die maßgebliche Beurteilungsperspektive insoweit gemäß §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung der objektive Empfängerhorizont ist, also die Perspektive des Geschäftsherrn B als des Zuwendungsempfängers.87 Dementsprechend ist von einer Zuwendung der aufgewendeten Arbeitskraft an den Geschäftsherrn B auszugehen, wenn der Notgeschäftsführer D das staatliche Festnahmegeschäft aus der Geschäftsherrnperspektive als dessen „verlängerter Arm“ ausführen wollte, wobei in der Regel von einem rechts treuen Leistungsverhalten des Notgeschäftsführers D auszugehen sein wird. Mit anderen Worten: Da es im Rahmen des Jedermannsrechts aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO um die Wahrnehmung eines für den Bürger D objektiv fremden Festnahmegeschäfts des Staates B geht, spricht in rechtspraktischer Hinsicht eine widerlegbare Regelvermutung für das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens auf Seiten des Notgeschäftsführers D.88 Dabei ist für die Bildung eines finalen Notgeschäftsführungswillens in dem hier geforderten Sinne keine Geschäftsfähigkeit auf Seiten des Notgeschäftsführers D erforderlich, was seinen Grund darin findet, dass die zu erbringende Leistung nicht in einem rechtsgeschäftlichen, sondern in einem tatsächlichen Verhalten besteht.89 Dementsprechend können im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO auch Minderjährige als Notgeschäftsführer „für“ den Staat B als den Geschäftsherrn tätig werden.90 b) Das objektive Wie der Notgeschäftsführung Das inhaltliche Maßprinzip für das objektive Wie der Notgeschäftsführung ist auf Grundlage der hiesigen Konzeption, wie oben bereits dargelegt wurde91, der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn (vgl. § 677 BGB).92 Das 87
S. zur Auslegung der Zweckbestimmung einer Zuwendung nach der Lehre vom objektiven Empfängerhorizont in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB etwa Beuthien, Zweckerreichung, S. 292; Hassold, Dreipersonenverhältnis, S. 14; Gernhuber, Erfüllung, § 5 III 4, S. 116 f.; Seibert, JZ 1981, 380, 384; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 1431. 88 Vgl. zur widerlegbaren Regelvermutung für das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens im Falle der Wahrnehmung von objektiv fremden Geschäften als Geschäftsführer ohne Auftrag etwa BGH NJW 2007, 63 Rn. 15; BGHZ 181, 188 Rn. 18; BGHZ 191, 325 Rn. 16; vgl. dazu aus der verwaltungsgerichtlichen Judikatur etwa OVG Hamburg, N VwZ-RR 1995, 369, 373. 89 Vgl. zur Nichtanwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB auf tatsächliche Maßnahmen im Rahmen einer auftragslosen Geschäftsführung etwa Palandt/Sprau, BGB, Vor § 677 Rn. 2; vgl. in diesem Zusammenhang ferner auch Beuthien, Zweckerreichung, S. 293: „Mit tatsächlichen Leistungen kann ein Schuldner stets erfüllen, mag er geschäftsfähig sein oder nicht.“ 90 So im Ergebnis auch die herrschende Meinung (s. nur Pfeiffer, StPO, § 127 Rn. 4). 91 S. dazu sub § 3 A II, S. 37. 92 In diesem Sinne schon Schlör, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht, S. 25.
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bedeutet, dass sich der Festnahmehelfer D bei der Ausführung der vorläufigen Festnahme nach den hypothetischen Geboten des Geschäftsherrn B zu richten hat (B → D: „Verhalte dich auf die Weise x!“). Dabei sei im vorliegenden Zusammenhang noch einmal herausgestellt, dass mit der Vertretungskonstruktion einhergeht, dass der Geschäftsherr B die vorläufige Festnahme des Tatverdächtigen C in der Welt des Rechts im vertikalen Außenverhältnis B–C durch sein eigenes Strafverfolgungsorgan ausführt (B → C). Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der „Geschäftsherrnwille“ in juristisch-konstruktiver Hinsicht dazu dient, um die den Staat B nach außen hin treffenden Rechte und Pflichten in das vertikale Innenverhältnis zu dem als „Vertreter des Staates ad hoc“93 agierenden Bürger hineinzuspiegeln.94 Weiter gilt es zu sehen, dass der Staat B im vertikalen Außenverhältnis B–C zu dem tatverdächtigen Bürger C bei der Durchführung der vorläufigen Festnahme an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist, was impliziert, dass der Notgeschäftsführer vermittelt über den Geschäftsherrnwillen ebenfalls an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist.95 Anders gewendet bedeutet das, dass dem Notgeschäftsführer D ein bestimmtes Verhalten immer dann verboten ist, wenn der Staatsperson B das entsprechende Verhalten verboten ist. Umgekehrt ist damit aber nicht ohne Weiteres gesagt, dass der Festnahmehelfer D nach dem Geschäftsherrnwillen generell zu jedem Verhalten berechtigt ist, zu welchem der Geschäftsherr B im vertikalen Außenverhältnis B–C berechtigt ist. Vielmehr ist jeweils auf Grundlage der konkreten Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, welches Verhalten des Festnahmehelfers D in der gegebenen Festnahmesituation nach dem Geschäftsherrnwillen als „geboten“ erscheint.96 Darüber hinaus ist mit Blick auf das Wie der Notgeschäftsführung hervorzuheben, dass der auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Bürger D, wie oben bereits dargelegt wurde97, dem Staat B als dem Geschäftsherrn nach dem Rechtsgedanken des § 681 S. 1 BGB die Übernahme der Notgeschäftsführung anzuzeigen hat, sobald es möglich und tunlich ist.98 Weiterhin ist aus dem subsidiären Charakter des Jedermann-Festnahmerechts abzuleiten, dass der Notgeschäftsführer D nach dem Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. S. zur Maßgeblichkeit des Willens des Staates für das Wie der Aufgabenwahrnehmung im Funktionswalterverhältnis auch Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 180. 95 Vgl. auch Bülte, ZStW 121 (2009), 377, 383, der hervorhebt, dass der „als Vertreter der Strafverfolgungsbehörde“ agierende Bürger im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO „wie ein Amtsträger an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden“ sei. Ebenso etwa M. Wagner, ZJS 2011, 465, 474; Kargl, NStZ 2000, 8, 14; Gusy, POR, Rn. 310; Schenke, POR, Rn. 415. 96 Im Ergebnis ähnlich Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 271. 97 S. dazu sub § 3 A II, S. 38. 98 Vgl. zur analogen Anwendung von § 681 BGB im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag auch Schoch, Jura 1994, 241, 249. 93
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Geschäftsherrnwillen gehalten ist, „das von ihm geführte Geschäft des Staates, die Strafverfolgung, sobald als irgend möglich an die zuständigen Beamten des Staates abzugeben“99. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn das normative Maß prinzip für das Wie einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO ist, wobei dieses Kriterium hinreichend wertungsoffen ist, um im konkreten Einzelfall zu situationsangemessenen und praxisgerechten Ergebnissen zu gelangen.
IV. Haftungsfragen Nachdem soeben die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO näher ausgeleuchtet wurden, sollen nun einige der sich im Zusammenhang mit dem Jedermann-Festnahmerecht stellenden Haftungsfragen erörtert werden.100 Dabei wird das Augenmerk zunächst auf der haftungsrechtlichen Konstruktion im Falle eines Fehlverhaltens des Bürgers bei der Durchführung der Festnahme liegen (dazu 1.), bevor anschließend die Haftung für risikotypische Begleitschäden des Festnahmehelfers genauer in den Blick genommen wird (dazu 2.). 1. Haftung für Fehlverhalten bei der Durchführung der Festnahme Soweit es um eine Haftung für ein Fehlverhalten des Bürgers bei der Durchführung der Festnahme geht, lassen sich in typologisch-kategorialer Hinsicht zwei Fallgruppen voneinander unterscheiden. So kann der als Festnahmehelfer agierende Bürger nämlich zum einen das staatliche Festnahmegeschäft unter Anwendung eines seiner Art nach zulässigen Zwangsmittels schlecht ausführen; und zum anderen ist es möglich, dass der Bürger zum Zwecke der Festnahme ein in der gegebenen Situation bereits seiner Art nach unzulässiges Zwangsmittel verwendet.101 a) Haftung bei Schlechtausführung des staatlichen Festnahmegeschäfts Als Erstes soll erörtert werden, wie sich die Dinge unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten darstellen, wenn der auf Grundlage des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Bürger D das Festnahmegeschäft des Staates B unter Anwendung eines seiner Art nach zulässigen Festnahmemittels schlecht ausführt. Zu denHartung, JR 1931, 61, 65. Ansprüche auf Versorgungsleistungen nach dem OEG werden dabei ausgeblendet. 101 Vgl. zu diesen Kategorien auch Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 58 sowie Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 235 f. 99
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ken ist insoweit etwa an die Konstellation, dass der mit Notgeschäftsführungswillen handelnde Festnahmehelfer D den fluchtwilligen Tatverdächtigen C zur Sicherung einer Identitätsfeststellung mit festem Griff am Boden fixiert und dabei aus leichter Unachtsamkeit mit dem Knie gegen dessen Oberkörper stößt, wodurch der Tatverdächtige C einen Rippenbruch erleidet.102 In dieser Fallgestaltung kommt ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten C aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG gegen das Land B als Rechtsträger der Strafverfolgungsbehörde in Betracht.103 Dabei gilt es zunächst zu sehen, dass in dem Beispielsfall eine Notgeschäftsführungslage im Sinne von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO vorlag, weil (1) die Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO gegeben war und zudem auch (2) die Voraussetzungen für das Ob der Notgeschäftsführung vorlagen. Das reicht für sich genommen allerdings noch nicht aus, um von der Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG durch den Bürger D auszugehen. Vielmehr kann das Vorliegen dieses Merkmals nach ständiger Rechtsprechung nur bejaht werden, wenn (1) die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig geworden ist, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und wenn (2) zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss.104 Diese beiden Voraussetzungen sind in der vorliegenden Fallgestaltung erfüllt. So lässt sich nämlich zum einen die Zielsetzung des mit Festnahmewillen agierenden Bürgers D dem Bereich hoheitlicher Tätigkeit zuordnen; und zum anderen war vorliegend auch nicht der Zurechnungszusammenhang zum Staat B durchbrochen, sodass der Kniestoß als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei findet die Aufrechterhaltung des Zurechnungszusammenhangs ihren Grund darin, dass der mit Notgeschäftsführungswillen handelnde Bürger D das staatliche Festnahmegeschäft auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB unter Anwendung eines in der gegebenen Situation seiner Art nach zulässigen Zwangsmittels ausgeführt hat.105 102 Weiter ist an den Fall zu denken, dass der auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Festnahmehelfer ein in der gegebenen Sachlage seiner Art nach zulässiges Zwangsmittel in unverhältnismäßiger Weise anwendet, indem er etwa aus Ungeschicklichkeit den Arm des Tatverdächtigen auf übermäßig harte Weise packt, wodurch der Tatverdächtige Schäden erleidet. 103 Näher zu den einzelnen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 26 Rn. 11 ff. 104 S. nur BGHZ 200, 253 Rn. 31 sowie BGHZ 191, 71 Rn. 13 (jeweils m. w. N.). 105 Vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Fixierens eines fluchtwilligen Tatverdächtigen am Boden etwa BGHSt 45, 378, 381 f.
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Denn damit korrespondiert, dass sich der Festnahmehelfer D im Rahmen des ihm durch § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO verliehenen Könnens bewegte, weshalb nach dem Rechtsgedanken des § 278 S. 1 Alt. 1 BGB eine Verhaltenszurechnung zum Staat B als dem Geschäftsherrn stattfindet.106 Dementsprechend ist die physische Kraft für die juristische Betrachtung über den Staat B als Zwischenperson geflossen, sodass in der Welt des Rechts das zum Staatskörper gehörende Strafverfolgungsorgan dem am Boden fixierten Tatverdächtigen C einen Kniestoß gegen dessen Oberkörper versetzt hat (D → B → C). Allerdings hat der Notgeschäftsführer D hier die Grenze seines Dürfens überschritten, indem er bei der Durchführung der Festnahme aus leichter Unachtsamkeit dem am Boden fixierten Tatverdächtigen C einen Kniestoß versetzte. Anders gewendet heißt das, dass der Festnahmehelfer D seine Pflicht zur ordentlichen Geschäftsführung verletzte, indem er die Notgeschäftsführung nicht im Einklang mit dem Geschäftsherrnwillen ausführte, der auf eine sorgfaltsgemäße Erledigung der Festnahmeaufgabe zielte.107 Das bedeutet wiederum, dass der Festnahmehelfer D eine ihm dem Geschädigten C gegenüber obliegende Amtspflicht im Sinne von Art. 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG verletzt hat, weil die Pflicht zur ordentlichen Notgeschäftsführung zumindest auch den Schutz des Festzunehmenden C bezweckt.108 Ferner fällt dem Bürger D vorliegend auch Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB zur Last, da er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht aus leichter Unachtsamkeit verletzte. Schließlich wird die Schadensersatzhaftung nicht durch § 839 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen, soweit dem Geschädigten C wegen des erlittenen Rippenbruchs Ansprüche gegen seine Krankenkasse zustehen, weil die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB eng auszulegen ist, wobei insbesondere Ansprüche auf Versicherungsleistungen die Haftung aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB nicht verdrängen.109 Vor diesem Hintergrund steht dem Bürger D in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung ein Schadensersatzanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG gegen den Staat B zu, wobei mit der befreienden Schuld- bzw. Haftungsübernahme durch den Staat B nach Art. 34 S. 1 GG einhergeht, dass der Geschädigte C von dem Notgeschäftsführer D nicht gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 106
Vgl. zur Aufrechterhaltung des Zurechnungszusammenhangs in so gelagerten Kon stellationen auch Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 58 (zur parallelen Problemstellung bei § 278 BGB). 107 Vgl. zur Pflicht des Geschäftsführers zur ordentlichen Geschäftsführung etwa Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 235 f. sowie MK/Seiler, BGB, § 677 Rn. 51. 108 Näher zu den Anforderungen an die Drittrichtung der verletzten Amtspflicht etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 26 Rn. 19. 109 Vgl. etwa BGHZ 79, 26, 27 ff. sowie Jauernig/Teichmann, BGB, § 839 Rn. 16.
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BGB Schadensersatz verlangen kann.110 Auch stehen dem Geschädigten C gegen den Festnahmehelfer D keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 ff. BGB zu, weil die allgemeinen Deliktstatbestände von der Spezialregelung des § 839 Abs. 1 S. 1 BGB verdrängt werden.111 Weiter ist im vorliegenden Zusammenhang hervorzuheben, dass der Staat B den Bürger D nicht im Regresswege aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB in entsprechender Anwendung auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann. Zwar hat der Notgeschäftsführer D, wie bereits dargelegt wurde, seine Pflicht zur ordentlichen Notgeschäftsführung verletzt. Allerdings hat er die begangene Pflichtverletzung nicht nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zu vertreten, weil hier die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB (analog) den Maßstab für das Vertretenmüssen aus § 276 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) zu seinen Gunsten modifiziert, sodass er nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat.112 Das bedeutet, dass der Bürger D trotz seines leicht fahrlässigen Verhaltens der Staatsperson B keinen Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB in entsprechender Anwendung schuldet. Im Ergebnis hat in der vorliegenden Fallgestaltung also der Staat B als der Geschäftsherr den durch das Fehlverhalten bei der Festnahme eingetretenen Schaden zu tragen. Anders wäre die Regressfrage allerdings zu lösen, wenn in der vorliegenden Fallgestaltung ein „professioneller Nothelfer“ wie etwa eine gewerbliche Sicherheitskraft auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als „Vertreter des Staates ad hoc“113 tätig geworden wäre. Denn für diesen Personenkreis erscheint ein Rückgriff auf die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB (analog) nicht überzeugend, sodass der Staat B den „geschäftsmäßig“ tätigen Nothelfer D auch im Falle eines nur leicht fahrlässigen Fehlverhaltens im Regresswege aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann. Dabei ist eine Anwendung der Haftungserleichterung aus § 680 BGB auf „professionelle Nothelfer“ deshalb abzulehnen, weil diese Vorschrift darauf zielt, den uneigennützigen Einzelnen zum spontanen Eingreifen im Interesse des Geschäftsherrn zu motivieren, indem sie ihm das Haftungsrisiko aus leicht fahrlässigem Fehlverhalten abnimmt.114 Dieser die Regelung tragende Rechtsgedanke passt 110 Näher zu der „Schuldübernahmekonstruktion“ des geltenden Rechts etwa MK/Papier/ Shirvani, BGB, § 839 Rn. 8 ff.; s. ferner auch BGHZ 200, 253 Rn. 29; BGH NJW 2014, 2557 Rn. 7; BGHZ 108, 230, 232. 111 Vgl. dazu etwa BGHZ 200, 253 Rn. 29; BGHZ 34, 99, 104; BGHZ 60, 54, 62. 112 Die dem Staat als dem Geschäftsherrn drohende dringende Gefahr im Sinne von § 680 BGB ist in den von dem Jedermann-Festnahmerecht erfassten Sachlagen darin zu sehen, dass ohne ein Eingreifen des Notgeschäftsführers die Gefahr einer Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der staatlichen Strafverfolgung zu besorgen ist. 113 Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. 114 Vgl. zur Ratio des § 680 BGB etwa Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag,
A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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jedoch nicht für „geschäftlich“ motivierte Nothelfer, die aus der Bewältigung entsprechender Gefahrenlagen eine auf Dauer angelegte Erwerbsquelle gemacht haben.115 Ihnen kann vielmehr zugemutet werden, sich gegen entsprechende Haftungsrisiken aus leicht fahrlässigem Fehlverhalten durch eine Berufshaftpflichtversicherung abzusichern.116 Vor diesem Hintergrund sollte die Haftungserleichterung aus § 680 BGB (analog) auf beruflich veranlasstes Tätigwerden „professioneller Nothelfer“ im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich keine Anwendung finden.117 Aus den gleichen sachlichen Gründen ist in den hier in Rede stehenden Konstellationen auch das Rückgriffsprivileg des Art. 34 S. 2 GG auf „berufliche Nothelfer“ grundsätzlich nicht anzuwenden.118 b) Haftung bei Verwendung eines unzulässigen Zwangsmittels Als Nächstes soll der Fokus auf der Frage liegen, wie sich die haftungsrechtliche Konstruktion darstellt, wenn ein Bürger im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO ein in der gegebenen Situation unzulässiges Zwangsmittel zur Anwendung bringt. Als Beispiel für diese Problemstellung soll die Konstellation dienen, dass sich der präsumtive Täter C eines versuchten Diebstahls einer geringwertigen Sache durch Flucht der Feststellung seiner Identität entziehen will, woraufhin der auf seiner Dachterrasse stehende Bürger D zum Zwecke der Festnahme mit einer Pistole nach Abgabe einiger Warnrufe und -schüsse gezielt in den Oberschenkel des Tatverdächtigen C schießt, weil sich eine erfolgreiche Flucht auf andere Weise nicht mehr verhindern lässt. In dieser Fallgestaltung steht dem Bürger C kein Schadensersatzanspruch gegen das Land B als Rechtsträger der Strafverfolgungsbehörde aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG zu, weil der Bürger D nicht in Ausübung eines S. 283 f.; Brennecke, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 131 f.; Schoch, Jura 1994, 241, 249; vgl. ferner auch Mugdan II, S. 479. 115 Zutreffend Brennecke, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 131 f. 116 Vgl. auch Soergel/Beuthien, BGB, § 680 Rn. 5; Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 283; Staudinger/Bergmann, BGB, § 680 Rn. 15; vgl. in diesem Zusammenhang ferner auch § 34a Abs. 2 Nr. 3 lit. c GewO i. V. m. § 6 BewachV. 117 Ebenso für die öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag etwa Schoch, Jura 1994, 241, 249 und für die privatrechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag etwa Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 283 f.; Köndgen, in: Zimmermann (Hrsg.), Privatrechtsdogmatik, S. 393; Brennecke, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 131 f.; Staudinger/ Bergmann, BGB, § 680 Rn. 15; Soergel/Beuthien, BGB, § 680 Rn. 5; Jauernig/Mansel, BGB, § 680 Rn. 2; anders aber etwa MK/Seiler, BGB, § 680 Rn. 6 sowie Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, § 680 Rn. 2. 118 Vgl. allgemein zur einschränkenden Anwendung des Rückgriffsprivilegs auf Verwaltungshelfer etwa BGHZ 161, 6, 11 ff.; BVerwGE 137, 377 Rn. 19 ff.; Stelkens, JZ 2004, 656, 660 f.; MK/Papier/Shirvani, BGB, § 839 Rn. 369 mit Fn. 1282.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat. Zwar war hier eine Notgeschäftsführungslage im Sinne von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO gegeben, weil (1) die Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO vorlag und (2) die Voraussetzungen für das Ob einer Notgeschäftsführung erfüllt waren. Wie oben bereits hervorgehoben wurde119, kann von der Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG nach ständiger Rechtsprechung jedoch nur ausgegangen werden, wenn (1) die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und wenn (2) zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Vorliegend lässt sich zwar die Zielsetzung des mit Festnahmewillen agierenden Bürgers D durchaus dem Bereich hoheitlicher Tätigkeit zuordnen. Allerdings kann die konkret in Rede stehende Festnahmehandlung nicht als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden. Vielmehr ist der Zurechnungszusammenhang zum Staat B als dem Geschäftsherrn hier durchbrochen, weil es sich bei dem Schuss auf den Tatverdächtigen C um ein unverhältnismäßiges120 und damit um ein in der gegebenen Situation seiner Art nach unzulässiges Zwangsmittel handelte, dessen Einsatz nicht von dem gesetzlichen Notvertretungsrecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO gedeckt war.121 Insoweit war dem Bürger D also in der konkreten Sachlage kein öffentliches Amt „anvertraut“, was bedeutet, dass er bei der Abgabe des Schusses auf den Tatverdächtigen C nicht „in Ausübung“, sondern „in Überschreitung“ der ihm durch § 127 Abs. 1 S. 1 StPO verliehenen Vertretungsmacht bzw. Amtsgewalt gehandelt hat. In der vorliegenden Fallgestaltung hat der Bürger D dementsprechend nicht nur die Grenzen seines Dürfens, sondern auch die Grenzen seines Könnens überschritten. Anders gewendet bedeutet das, dass der Bürger D den Pistolenschuss nicht als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne, sondern als falsus procurator abgegeben hat, womit korrespondiert, dass sich die Pistolenkugel für die juris119
S. dazu sub § 3 A IV 1 a, S. 48 mit Fn. 104. Selbst wenn man die Abgabe von Schüssen auf einen fliehenden Tatverdächtigen durch einen Bürger im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO „in besonders gelagerten, extremen Ausnahmefällen“ als angemessenes Zwangsmittel ansehen wollte (dafür etwa KK/Schultheis, StPO, § 127 Rn. 28; dagegen etwa Bülte, ZStW 121 [2009], 377, 408 ff.), so wird man jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung wegen des Bagatellcharakters des in Rede stehenden Delikts nicht von dem Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls ausgehen können (vgl. auch Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 271). 121 Vgl. zur Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs in derartigen Konstellationen auch Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 58 (zur parallelen Problemstellung bei § 278 BGB). 120
A. Das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO
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tische Betrachtung im Horizontalverhältnis D–C auf den Bürger C zubewegt hat (D → C). Vor diesem Hintergrund steht dem Geschädigten C in der vorliegenden Konstellation zwar kein Schadensersatzanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG gegen den Staat B zu. Allerdings kann der Geschädigte C von dem Bürger D aus den §§ 823 ff. BGB Schadensersatz verlangen.122 Auf eine kurze Formel gebracht heißt das, dass der Grundsatz „si excessit, privatus est“ zum Tragen kommt, wenn der Jedermann im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO nicht nur die Grenzen seines Dürfens, sondern auch die Grenzen seines Könnens überschreitet.123 2. Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notgeschäftsführers Im Folgenden soll die Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notgeschäftsführers näher ausgeleuchtet werden. Dabei sei zur Veranschaulichung der Problemstellung die Konstellation herangezogen, dass der fluchtwillige Tatverdächtige C, der von dem Bürger D zum Zwecke der Identifizierungssicherung am Arm festgehalten wird, diesem einem Faustschlag gegen den Oberkörper versetzt, wodurch der Bürger D so unglücklich zu Boden stürzt, dass (1) er sich seinen linken Arm bricht und (2) seine Armbanduhr beschädigt wird. In dieser Fallgestaltung kommt mit Blick auf den erlittenen Armbruch zunächst ein Anspruch des Bürgers D gegen den Unfallversicherungsträger U auf Heilbehandlung nach den §§ 26 ff. SGB VII in Betracht. Denn der auf Grundlage von § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StPO agierende Bürger D ist hier als versicherte Person im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 1 SGB VII tätig geworden, indem er sich persönlich bei der Festnahme eines Straftatverdächtigen eingesetzt hat. Auch liegt hier ein Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 SGB VII) in Gestalt eines
122 Eine Schadensersatzhaftung aus § 231 BGB in entsprechender Anwendung kommt im Falle eines exzessiven Handelns des festnahmewilligen Bürgers im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO dagegen nicht in Betracht, weil die systemwidrige Ausnahmevorschrift des § 231 BGB einer Analogie nicht zugänglich ist (näher dazu unten sub § 3 G IV 2, S. 268 ff.). 123 Hervorzuheben ist, dass die hier vertretene Position keineswegs auf eine Wiederbelebung der „Theorie des Mandatskontrakts“ hinausläuft, die bei jedem amtspflichtwidrigen Verhalten von einer Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs zum Staat ausging (näher zu den Kernaussagen dieser Lehre etwa Maunz/Dürig/Papier, GG, Art. 34 Rn. 3). So wird der Grundsatz „si excessit, privatus est“ nämlich von der hiesigen Konzeption gerade nicht auf das Dürfen, sondern auf das Können bezogen, womit korrespondiert, dass auch nicht gedurftes Verhalten dem Staat zuzurechnen ist, soweit das in Rede stehende Verhalten von dem prokuratorischen Können der mit Vertretungswillen agierenden Person gedeckt war (s. dazu auch die oben sub § 3 A IV 1 a, S. 47 ff. behandelte Konstellation). Im Falle einer Überschreitung der Vertretungsmacht scheidet eine Verhaltenszurechnung zum Staat dagegen aus (vgl. auch § 177 Abs. 1 BGB).
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Arbeitsunfalls gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII vor.124 So ist der Faustschlag von Seiten des Tatverdächtigen C nämlich zum einen als ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des Festnahmehelfers D einwirkendes Ereignis und damit als Unfall im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII anzusehen; und zum anderen ist dieser Unfall auch „infolge“ einer den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 1 SGB VII begründenden Tätigkeit eingetreten, da sich in dem Faustschlag von Seiten des Tatverdächtigen C ein typisches Risiko der identifizierungssichernden Flagranzfestnahme nach § 127 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB realisiert hat.125 Schließlich ist der eingetretene Körperschaden in Gestalt des Armbruchs auch kausal auf den Faustschlag zurückzuführen.126 Vor diesem Hintergrund hat der Bürger D gegen den Unfallversicherungsträger U mit Blick auf den erlittenen Armbruch einen Anspruch auf Heilbehandlung nach den §§ 26 ff. SGB VII. Des Weiteren steht dem Bürger D mit Blick auf die beschädigte Uhr ein Anspruch aus § 13 S. 1 SGB VII auf Ersatz des Sachschadens gegen den Unfallversicherungsträger U zu, weil sich die Armbanduhr bei der Durchführung der nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit im Besitz des Bürgers D befand und der Sachschaden „infolge“ der versicherten Tätigkeit entstanden ist.127 Außerdem kann der Bürger D in der vorliegenden Fallgestaltung natürlich auch von dem Bürger C aus den §§ 823 ff. BGB Schadensersatz verlangen.128 Allerdings geht seine Schadensersatzforderung gegen den Bürger C im 124 S. zum Begriff des Arbeitsunfalls etwa BSGE 94, 262 Rn. 5: „Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zum Unfallereignis geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.“ (Ohne die Hervorhebungen des Originals.) 125 Ausführlich zur sog. Unfallkausalität etwa Horn/Maxeiner, Unfallversicherung, S. 66 ff. 126 Näher zur haftungsbegründenden Kausalität etwa Horn/Maxeiner, Unfallversicherung, S. 80 ff. 127 Soweit eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 1 SGB VII versicherte Person im Rahmen der versicherten Tätigkeit Aufwendungen tätigt, die sie den Umständen nach für erforderlich halten durfte, steht ihr darüber hinaus auch ein Aufwendungsersatzanspruch gegen den Unfallversicherungsträger aus § 13 S. 1 SGB VII zu (s. dazu etwa KassKomm/Ricke, SGB VII, § 13 Rn. 6; Leube, NZV 2011, 277, 280 f.; Horn/Maxeiner, Unfallversicherung, S. 41). 128 Dagegen scheidet ein Anspruch des Bürgers D gegen den Tatverdächtigen C auf Ersatz risikotypischer Begleitschäden aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB jedenfalls deshalb aus, weil der Bürger D bei normativer Betrachtungsweise nicht (auch) mit dem Willen gehandelt hat, ein
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Wege der cessio legis nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X (i. V. m. § 13 S. 4 SGB VII) insoweit auf den Unfallversicherungsträger U über, als dieser wegen des Schadensereignisses kongruente Leistungen an den Bürger D zu erbringen hat.129 In diesem Umfang kann der Unfallversicherungsträger U dementsprechend bei dem Bürger C Regress nehmen. Anders würden die Dinge unter unfallversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten jedoch liegen, wenn der Bürger D ein im Wach- und Sicherheitsgewerbe tätiger Unternehmer wäre, der im Zusammenhang mit seiner unternehmerischen Tätigkeit eingreifen würde, weil auf so gelagerte Konstellationen die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 1 SGB VII nicht anwendbar ist.130 Dies findet seinen Grund darin, dass die in § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 1 SGB VII getroffene Regelung darauf zielt, „den spontanen, selbstlosen Helfer abzusichern“131. Dieser die Regelung tragende Rechtsgedanke passt jedoch nicht für „geschäftlich“ motivierte Unternehmer, die aus der Führung entsprechender Geschäfte eine auf Dauer angelegte Erwerbsquelle gemacht haben. Ihnen kann vielmehr zugemutet werden, die Risiken der im Rahmen ihres Unternehmens verrichteten Tätigkeiten selbst zu tragen bzw. abzusichern.132
V. Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle zu dem Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO festgehalten werden, dass jedem Bürger D durch diese gesetzliche Regelung das Dürfen und Können eingeräumt wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates B zum Zwecke der vorläufigen Festnahme eines Tatverdächtigen C auszuüben. Das bedeutet, dass der auf Grundlage des Geschäft des Tatverdächtigen C zu besorgen. Vielmehr zielt der Wille des Bürgers D unter juristischen Gesichtspunkten allein darauf, das Festnahmegeschäft des Staates B zu besorgen. Dementsprechend ist der Bürger D nur „für“ den Staat B, nicht aber zugleich auch „für“ den Tatverdächtigen C tätig geworden. 129 Vgl. dazu auch Loyal, VersR 2013, 966, 970 ff. sowie Leube, NZV 2011, 277, 280 f.; näher zum Erfordernis der sachlichen Kongruenz etwa KassKomm/Kater, SGB X, § 116 Rn. 100 ff. 130 S. etwa KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 77 sowie Loyal, VersR 2013, 966, 969. – Zu berücksichtigen ist ferner, dass bei einem Eingreifen von Beschäftigten im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII eine Versicherung nach dieser Vorschrift gemäß der Kollisionsregelung des § 135 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII einer Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 1 SGB VII vorgeht, wenn das Eingreifen im Rahmen von Verpflichtungen aus dem Beschäftigungsverhältnis erfolgt (näher dazu etwa KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 77 sowie Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 158). 131 Loyal, VersR 2013, 966, 969. 132 Zutreffend Loyal, VersR 2013, 966, 969; s. ferner auch BSGE 68, 119, 121.
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§ 127 Abs. 1 S. 1 StPO agierende Jedermann D gewissermaßen „vom Bürger zum Polizisten“133 wird, wobei mit dieser funktionalen „Wandlung zum Amts träger“134 einhergeht, dass sich die physische Kraft des Bürgers D ab dem Zeitpunkt des Rollenwechsels für die juristische Konstruktion über den Staat B als Zwischenperson bewegt (D → B → C). Damit korrespondiert, dass in der Welt des Rechts im Verhältnis zu dem Tatverdächtigen C nicht der zum Körper des Bürgers D gehörende Arm in Erscheinung tritt, sondern allein der zum Staatskörper gehörende Arm der Staatsperson B (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Darüber hinaus folgt aus dem Charakter des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht „für“ den Staat B, dass es für das Vorliegen der Grundsituation des § 127 Abs. 1 S. 1 StPO auf die „objektive“ ex-ante-Perspektive des Staates B als des Geschäftsherrn ankommt. Festzuhalten ist weiter, dass der normative Maßstab für das Ob und Wie der Notgeschäftsführung der Geschäftsherrnwille ist, wobei der die Notgeschäftsführung „für“ den Staat B übernehmende Bürger D in subjektiver Hinsicht mit Notgeschäftsführungswillen handeln muss.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB Im Folgenden wird der Blick dem Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zugewendet, durch welches jedem Bürger das Recht eingeräumt wird, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Frage, wie sich das Notwehrrecht ohne axiologische Friktionen in „den wunderbaren Bau der logischen Struktur der Rechtsordnung“135 einfügen lässt, sodass es gerade nicht als „Bruch im System eines rechtsstaatlich gebändigten Ausgleichs von kollidierenden Individualinteressen“136 erscheint. Zu diesem Zweck werden zunächst die Begriffsbestimmungen der herrschenden dualistischen Notwehrkonzeption auf ihre dogmatische Substanz hin analysiert, um anschließend vor diesem Hintergrund herauszuarbeiten, welche funktionale Rolle das Notwehrrecht im heutigen Rechtsschutzsystem erfüllt. Zugleich soll dabei gezeigt werden, wie sich die herkömmlichen Begriffsbestimmungen durch Rekurs auf die Kategorien des Privat- und Verwaltungsrechts reformulieren lassen. Darüber hinaus legt die Arbeit im Rahmen der dogmatischen Rekonstruktion der §§ 227 BGB, 32 StGB dar, wie sich die klassischen Notwehrprobleme einer praxisgerechten Lösung zuführen lassen. So treffend Arnau, Das Auge des Gesetzes, S. 13. S. für dieses Zitat Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 267. 135 Schönfeld, Die logische Struktur der Rechtsordnung, S. 84. 136 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, 277, 281. 133
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B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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I. Rekonstruktion des dogmatischen Grundgerüsts der Notwehr Nach der herrschenden Zwei-Elemente-Theorie137 fußt das Notwehrrecht auf einem individuellen und einem überindividuellen Element. Dabei wird der Gehalt des individualrechtlichen Schutzprinzips herkömmlicherweise so umschrieben, dass es bei der Notwehr um den Schutz von Individualrechtsgütern vor Angriffen gehe.138 Das überindividuelle Rechtsbewährungsprinzip soll dagegen besagen, dass das Notwehrrecht auch der „Bewährung der Rechtsordnung“139 diene, weil der Notwehr übende Bürger „gleichsam stellvertretend für die nicht anwesende Staatsgewalt das Recht gegen das Unrecht“140 verteidige. Angesichts des diffusen Gehalts des Rechtsbewährungsprinzips ist es wenig verwunderlich, dass das überindividuelle Moment der Notwehr in jüngerer Zeit ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist.141 So wird sich kaum leugnen lassen, dass die herkömmlichen Umschreibungen des Rechtsbewährungsprinzips den Anforderungen an eine nachvollziehbare Rechtsdogmatik nur schwerlich gerecht werden. Nicht zuletzt wegen der großen praktischen Bedeutung des Rechtsbewährungsprinzips für die Notwehreinschränkungen greift es gleichwohl zu kurz, den überindividuellen Tragpfeiler der Notwehr kurzerhand aus dem dogmatischen Grundgerüst dieses Rechtsinstituts herauszubrechen.142 Vielmehr gilt es, die dogmatische Substanz des Rechtsbewährungsgedankens sorgfältig herauszupräparieren, um sodann die Konturen des überindividuellen Elements der Notwehr dogmatisch zu schärfen. Als Grundlage dafür soll zunächst herausgearbeitet werden, wie sich das individualrechtliche Schutzprinzip in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik rekonstruieren lässt. 137 S. statt aller BGHSt 24, 356, 359; BGH NJW 2013, 2133 Rn. 27; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 1; Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 87 f.; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 1; Kühl, JuS 1993, 177, 182; dens., Strafrecht AT, § 7 Rn. 6 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 1; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 I 1 und 2, S. 336 f.; Fischer, StGB, § 32 Rn. 2; Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 1. 138 S. etwa Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 1; Fischer, StGB, § 32 Rn. 2; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 1; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 1; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 8 f. 139 S. etwa BGHSt 24, 356, 359: „Der wirksamen Ausgestaltung des Notwehrrechts […] liegt der Gedanke zugrunde, daß dieses Recht regelmäßig nicht nur dem Schutz des Angegriffenen, sondern zugleich der Bewährung der Rechtsordnung dient.“ S. ferner auch BGH NJW 2013, 2133 Rn. 27: „[D]as Notwehrrecht [dient] nicht nur dem Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter des Angegriffenen, sondern auch der Verteidigung der durch den rechtswidrigen Angriff negierten Rechtsordnung […].“ 140 So Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 1. 141 S. zur Kritik an dem überindividuellen Notwehrelement etwa Frister, GA 1988, 291, 295 ff.; Engländer, Nothilfe, S. 29 ff.; Kargl, ZStW 110 (1998), 38, 50 ff.; Fechner, Notwehr, S. 161 ff.; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 76 ff.; Neumann, in: Lüderssen/Nestler- Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht, S. 219 ff.; Pawlik, ZStW 114 (2002), 259, 261 ff. 142 Dafür aber etwa die in der vorangegangenen Fn. 141 genannten Autoren.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
1. Dogmatische Rekonstruktion des individualrechtlichen Schutzprinzips Wie soeben bereits erwähnt, wird das individuelle Element der Notwehr üblicherweise so umschrieben, dass das in §§ 227 BGB, 32 StGB geregelte Notwehrrecht dem Schutz von Individualrechtsgütern vor Angreifern diene.143 Diese Definition ist allerdings insoweit unscharf, als sie im Dunkeln lässt, ob es bei der Notwehr um den Schutz von Rechtsgütern im materiellen oder im formellen Sinne gehen soll.144 Das heißt, die herkömmliche Begriffsbestimmung lässt offen, ob die Notwehr (1) dem Schutz der materiellen Rechtsgüter des Angegriffenen oder (2) dem Schutz seiner Rechte „an“ diesen Rechtsgütern dient. Aus zivilrechtsdogmatischer Perspektive kann indessen kein Zweifel daran bestehen, dass es bei der Notwehr nicht um die Abwehr von Angriffen auf die Substrate von subjektiven Rechtspositionen geht, sondern um die Abwehr von Angriffen auf die subjektiven Rechtspositionen als solche.145 Denn entgegen einer verbreiteten Sichtweise sind nicht Rechtsgüter im materiellen Sinne der juristische Bezugspunkt des Schutzes vor Angriffen, sondern die Rechte „an“ diesen Rechtsgütern.146 So werden beispielsweise nicht Sachen vor Angriffen geschützt, sondern die subjektiven Rechte „an“ diesen Sachen (etwa das Eigentum).147 Auch wird nicht der Körper einer Rechtsperson vor Angriffen geschützt, sondern das subjektive Recht einer Rechtsperson „an“ ihrem Körper (das sog. Körperrecht).148 Schließlich wird unter juristischen Gesichtspunkten auch nicht die Persönlichkeit einer Rechtsperson vor Angriffen geschützt, sondern das subjektive Recht einer Rechtsperson „an“ ihrer Persönlichkeit (das sog. Persönlichkeitsrecht).149 Damit korrespondiert, dass es bei der Notwehr nicht um den 143
S. dazu die Nachweise auf S. 57 in Fn. 138. S. für diese begriffliche Differenzierung Schönfeld, Rechtsperson, S. 250, 271. 145 S. nur Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 206 f.; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 46; v. Tuhr, AT II/2, § 95 II, S. 584; Eltzbacher, Die Unterlassungsklage, S. 238 ff.; in diesem Sinne bereits Berner, Archiv des Criminalrechts 1848, 547, 562: „Es ist das bedrohte Recht, welches zu vertheidigen ein Jeder das Recht hat.“ S. ferner auch dens., Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 141 ff. 146 Zutreffend Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 206 f.; vgl. ferner auch Bernhard, FS Picker, S. 101 ff. 147 S. etwa Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 207. 148 S. zum subjektiven Recht des Einzelnen „an“ seinem Körper (Rechtsperson – subjektives Recht – Körper) etwa Bernhard, FS Picker, S. 102: „So wie der Eigentümer einer Sache mit dieser nach Belieben verfahren darf, darf jeder Mensch mit seinem Körper machen, was er will, solange er nicht gegen Rechte eines anderen oder gegen Gesetze verstößt.“ S. ferner auch BGHZ 124, 52, 54 ff.; BGH NJW 1980, 1452, 1453; BGH NJW 1995, 2407, 2408; Stoll, AcP 162 (1963), 203, 227; Haas, Rechtsverletzung, S. 57; Hanau, Pflichtwidrigkeit, S. 91; Pawlik, GA 1995, 360, 366; Palandt/Sprau, BGB, § 823 Rn. 4. 149 Näher zur grundkonzeptionellen Unterscheidung zwischen den Begriffen Person und Persönlichkeit aus Sicht der personalistischen Philosophie etwa Rütter, Bildungsarbeit, 144
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Schutz von Rechtsgütern im materiellen Sinne geht, sondern um den Schutz der subjektiven Rechtspositionen „an“ diesen Rechtsgütern.150 Oder wie Pawlik es ausdrückt: „Der Angegriffene verteidigt nicht einen Güterbestand gegen eine diesem drohende Schmälerung, sondern er verteidigt seinen Rechtsraum gegen Missachtung.“151 Vor diesem Hintergrund lässt sich der juristische Gehalt des individualrechtlichen Schutzprinzips dahin präzisieren, dass das Notwehrrecht der Abwehr drohender, aktueller und fortdauernder rechtswidriger Eingriffe in subjektive Rechtspositionen dient, wobei es um den Schutz von Rechtspositionen geht, die Rechtspersonen des Privatrechts zugeordnet sind. Bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise ist das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB also ein Instrument des negatorischen Rechtsschutzes. Das ist vom Grundsatz her keineswegs eine neue Einsicht. Vielmehr hat etwa schon Eltzbacher zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Notwehrrecht als „Mittel des vorbeugenden Rechtsschutzes“ charakterisiert, das nur dort einschlägig sei, „wo die Verletzung eines Anspruchs auf ein reines Unterlassen“ drohe.152 Weiter hat auch bereits v. Tuhr hervorgehoben, dass die Notwehr „das stärkste Mittel des vorbeugenden Rechtsschutzes“ sei, weil sie der Durchsetzung des „aus einer drohenden Rechtsverletzung entstehenden Unterlassungsanspruch[s]“ diene.153 In jüngerer Zeit hat vor allem W. B. Schünemann apostrophiert, dass es bei der Notwehr um die Durchsetzung eines „materiellen vorbeugenden Unterlassungsanspruchs“ gehe, der durch einen Angriff auf eine „notwehrfähige Position“ ausgelöst werde.154 Ferner betont etwa auch Perron, dass es in der Notwehrsituation um die Durchsetzung der „zivilrechtlichen Unterlassungsansprüche“ des Angegriffenen aus § 1004 BGB (analog) gehe, weshalb der Anspruchsinhaber „[i]m Bürger-Bürger-Verhältnis […] die sofortige Beendigung bzw. Unterlassung des rechtswidrigen Angriffs verlangen“ könne.155 S. 386 ff. sowie Lugmayer, Person, S. 32 ff.; s. aus rechtspersonalistischer Perspektive etwa Schönfeld, AcP 136 (1932), 331, 335: „Rechtsperson ist, wer zur Selbstbestimmung bestimmt und damit frei ist […]. Nicht ist [die Rechtsperson] nur Gliedperson und damit in der Gemeinschaft, auch nicht nur Privatperson und damit außerhalb von ihr, auch nicht beides nebeneinander, sondern vielmehr das eine in dem andern und durch das andere. Sie ist somit, indem sie das ist, was sie ist, in Wirklichkeit ein Drittes, ein Neutrum, ein keines von beiden, und damit eben Rechtspersönlichkeit, die eine ist und bleibt auch in der Unterscheidung, auch in der Zweiheit.“ (Hervorhebung im Original.) S. ferner auch Kirste, in: Gröschner/Kirste/ Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 373: „Persönlichkeit ist die rechtsfähige Person […] erst dann, wenn sie selbst das Ergebnis ihres eigenen Handelns ist.“ 150 S. auch Lesch, FS Dahs, S. 101 f. sowie Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 206 f. 151 Pawlik, ZStW 114 (2002), 259, 265. 152 Eltzbacher, Die Unterlassungsklage, S. 238 ff. (s. für die Zitate S. 238 und 241). 153 v. Tuhr, AT II/2, § 95 II, S. 584. 154 W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 46. 155 Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 87.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Da das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB aber nicht nur die Abwehr von zukünftig drohenden, sondern auch von gegenwärtigen bzw. noch fortdauernden Rechtsverletzungen durch Angreifer ermöglicht, greift es zu kurz, seinen Anwendungsbereich auf die Durchsetzung von vorbeugenden Unterlassungsansprüchen zu beschränken. Gegen eine gegenwärtige bzw. noch fortdauernde Rechtsverletzung steht dem Angegriffenen gegen den Angreifer nämlich nicht ein vorbeugender Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zu, sondern ein Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (analog).156 Zwar lassen sich der Unterlassungs- und der Beseitigungsanspruch gedanklich klar voneinander abgrenzen. Praktisch kann es aber zu Überschneidungen zwischen den beiden Abwehransprüchen kommen, sofern in der Gegenwart subjektive Rechtspositionen verletzt werden und zugleich künftige Rechtsverletzungen drohen.157 Vor diesem Hintergrund lässt sich der Anwendungs bereich der Notwehr in abstrakter Form so umschreiben, dass es um die Durchsetzung solcher Schutzansprüche geht, die ihrer Funktion nach unmittelbar bevorstehende, gerade stattfindende oder noch fortdauernde rechtswidrige Eingriffe in subjektive Rechtspositionen abwehren sollen.158 Dabei gehört neben dem Unterlassungs- und dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) auch der Vindikationsanspruch aus § 985 BGB zu den negatorischen Abwehransprüchen im weiteren Sinne, weil „die negatorische Haftung nach § 985 [BGB]“159 bei funktionaler Betrachtung dazu dient, die in der faktischen Rechtsusurpation durch den unberechtigten Besitzer liegende Rechtsbeeinträchtigung abzuwehren.160 In der Sprache der modernen Rechtsdogmatik lässt sich das individualrechtliche Schutzprinzip daher so reformulieren, dass es bei der Notwehr um die Durchsetzung von negatorischen Schutzansprüchen geht, welche der Verwirkli156 Vgl. etwa Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 1004 Rn. 6, 50; Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 136; Jauernig/Berger, BGB, § 1004 BGB, Rn. 13; Picker, Beseitigungsanspruch, S. 82; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 1379; Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 8 f.; Krumm, Inanspruchnahme, S. 153; s. auch Henckel, AcP 174 (1974), 97, 101: „Der Gegner des Beseitigungsanspruchs soll die eingenommene Position räumen; der Gegner der Unterlassungsklage soll sie gar nicht erst einnehmen […].“ 157 Vgl. auch Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 1004 Rn. 7; Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 33; BGH NJW 1957, 1676. 158 In diesem Sinne auch Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 206 f. mit Fn. 277. 159 Picker, Beseitigungsanspruch, S. 54. 160 S. zum negatorischen Charakter des § 985 BGB etwa Picker, Beseitigungsanspruch, S. 53 ff.; dens., FS Bydlinski, S. 284 ff.; Henckel, AcP 174 (1974), 97, 101; Baur, AcP 160 (1961), 465, 490; Hoffmann, Jura 2014, 71, 72; Offtermatt, Beseitigungsanspruch, S. 40 f.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 69, 1379; Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 9 f.; vgl. ferner auch Lagodny, GA 1991, 300, 313 ff. sowie Lesch, Notwehrrecht, S. 57 ff.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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chung von Individualrechten dienen.161 Vor diesem Hintergrund ist eine Notwehrsituation im Ausgangspunkt dadurch gekennzeichnet, dass der angegriffene Rechtsinhaber im horizontalen Verhältnis zwischen Bürger und Bürger ein negatorisches Schutzrecht gegen den Angreifer in der Hand hält. Anders formuliert: Mit einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf eine subjektive Rechtsposition „an“ einem Rechtsgegenstand geht einher, dass dem angegriffenen Rechtsinhaber A ein negatorischer Abwehranspruch gegen den Angreifer C zusteht. Will man das individualrechtliche Schutzprinzip in zivilrechtlichen Kategorien rekonstruieren, dann ist es also angezeigt, scharf zwischen den Begriffen (1) Rechtsgegenstand, (2) Rechtsposition und (3) Anspruchsrecht zu differenzieren. Was aber ist ein Anspruchsrecht im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB? Wie der Begriff schon nahelegt, ist darunter das Recht des Anspruchsinhabers zu verstehen, „den Anspruchsgegner mit einem Leistungsverlangen in rechtserheblicher Weise anzusprechen“.162 Oder um es mit einem Wort zu sagen: Ein Anspruchsrecht ist ein Befehlsrecht.163 Das heißt, der Anspruchsinhaber A hat das Recht, einen befehlenden Sprechakt an den Anspruchsgegner C zu adressieren, dessen Inhalt der Anspruchsgegner C gehorsam befolgen muss. Dementsprechend wird die mit dem Anspruchsrecht des Anspruchsinhabers A korrespondierende Pflicht des Anspruchsgegners C zur Duldung des Angesprochen werdens erst durch die Ausübung des Anspruchsrechts – also durch den Akt des Ansprechens – in eine Befolgungspflicht transformiert: (1) Anspruchsrecht des A → (2) „Anspruch“ → (3) Befolgungspflicht des C. Anders gewendet bedeutet das, dass dem Inhaber eines Anspruchsrechts im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB die Befugnis und die Rechtsmacht zusteht, von dem Anspruchsgegner ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.164 Der Anspruchsinhaber A darf und kann 161 S. zur dogmatischen Unterscheidung zwischen Schutzrechten und den geschützten Rechtspositionen etwa Picker, FS Schilken, S. 92 ff.; dens., ZfPW 2015, 385, 402 ff.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 66 f.; Hoffmann, Rechtszuweisung, S. 56 ff.; Hartmann, Der Anspruch auf das stellvertretende commodum, S. 22. 162 Thomale, AcP 212 (2012), 920, 930 f. (Hervorhebung im Original); ebenso Schönfeld, Rechtsperson, S. 238 ff.; ausführlich zum Anspruchsbegriff Hoffmann, Rechtszuweisung, S. 95 ff., 106 ff., 128 ff. (m. w. N.); s. ferner auch J. Schmidt, FS Jahr, S. 401 ff.; Thomale, Leistung als Freiheit, S. 184 f.; Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 66 ff.; Lehmann, Die Unterlassungspflicht, S. 70 ff.; Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, §§ 56 ff., S. 173 ff. 163 In diesem Sinne auch Schönfeld, Rechtsperson, S. 238 ff.; Thomale, AcP 212 (2012), 920, 929 ff.; Hoffmann, Rechtszuweisung, S. 132 („Erfüllungszwang“); J. Schmidt, FS Jahr, S. 416 f. („Sanktionsmöglichkeit“); Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 66 ff. („Möglichkeit der Normsetzung“); vgl. ferner auch Pollack, Perspektive und Symbol, S. 492 f.: „Als allgemeiner Gesichtspunkt bezeichnet Anspruch nichts anderes, als die Befugnis, rechtlich Macht zu entfalten.“ 164 Ähnlich Thomale, AcP 212 (2012), 920, 929 ff., der den „Anspruch“ im Sinne von
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
also dem Anspruchsgegner C eine rechtsverbindliche Verhaltensanweisung erteilen (A → C: „Verhalte dich auf die Weise x!“) und ihn so seinem Willen unterwerfen.165 Dabei lässt sich der in Ausübung des Anspruchsrechts gesetzte Sprechakt in juristischer Symbolsprache als Pfeil darstellen, um so die an den Anspruchsgegner C gerichtete befehlende Stimme des Anspruchsinhabers A zu versinnbildlichen (A → C). Weiter ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass in notwehrspezifischen Abwehrlagen regelmäßig eine Vermutung für einen negatorischen Willen des Rechtsinhabers bestehen wird, weil im Grundsatz davon auszugehen ist, dass der Inhaber einer subjektiven Rechtsposition deren Störung bzw. Verletzung durch Dritte nicht billigt.166 Dementsprechend ist eine Anspruchserhebung im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB grundsätzlich zu präsumieren, soweit es an einem ausdrücklichen Akt des Ansprechens fehlt, aber die Vermutung des negatorischen Willens des Berechtigten eingreift. Damit korrespondiert, dass eine notwehrspezifische Abwehrlage im Ausgangspunkt dadurch gekennzeichnet ist, dass der Angreifer C einem (gedachten) Befehl des Angegriffenen A zuwiderhandelt (A → C: „Beende den Angriff auf meine Rechtsposition!“). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise als Mittel des negatorischen Rechtsschutzes gegen Verhaltensstörer zu verstehen ist, was bedeutet, dass es bei der Notwehrübung unter juristischen Gesichtspunkten um die Abwehr drohender, aktueller bzw. noch fortdauernder rechtswidriger Eingriffe in subjektive Rechtspositionen „an“ Rechtsgegenständen geht. Dementsprechend ist eine notwehrspezifische Abwehrlage im Ausgangspunkt dadurch gekennzeichnet, dass dem angegriffenen Rechtsinhaber A im Horizontalverhältnis A–C zwischen Bürger und Bürger ein negatorischer Abwehranspruch gegen den Angreifer C zusteht, wobei die Ausübung des Anspruchsrechts im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB mangels gegenteiliger Anzeichen in der Regel zu unterstellen ist (A → C: „Beende den Angriff!“). Vor diesem Hintergrund lässt sich das individualrechtliche Schutzprinzip in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik so reformulieren, dass es bei der Notwehr um die § 194 Abs. 1 BGB als „Befugnis“ (a. a. O., 930) und „Rechtsmacht“ (a. a. O., 929) zur aktiven Durchsetzung einer passiven Rechtsposition definiert. In diese Richtung auch Schönfeld, Rechtsperson, S. 238 ff. 165 Vgl. auch Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, § 43, S. 90: „[D]er Anspruch ist eine Gestaltungsform, welches jedes Recht anzunehmen fähig ist, da es der wesentliche Inhalt der Rechte ist, daß aus denselben die Unterwerfung menschlichen Wollens verlangt werden kann.“ (Hervorhebung hinzugefügt.) 166 Vgl. dazu auch Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 68 ff.; s. insbesondere a. a. O., S. 68 f.: „Wer eine Sache zu Eigentum besitzt, muß niemandem mitteilen, daß er eine Beschädigung oder Zerstörung der Sache nicht haben wolle.“
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Durchsetzung von negatorischen Schutzansprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) und § 985 BGB geht, welche der Verwirklichung von Individualrechten dienen. 2. Dogmatische Rekonstruktion des überindividuellen Rechtsbewährungsprinzips Als Nächstes wird nun die Frage in den Blick genommen, wie sich die überindividuelle Säule des Notwehrrechts dogmatisch rekonstruieren lässt. Zu diesem Zweck soll zunächst ein kurzer Überblick über die herkömmlichen Begriffsbestimmungen gegeben werden, bevor anschließend untersucht wird, welche funktionale Rolle dem gesetzlichen Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB im heutigen Rechtsschutzsystem zukommt. Vor diesen Hintergrund soll schließlich herausgearbeitet werden, wie sich der Rechtsbewährungsgedanke in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik reformulieren lässt, wobei die tradierten Begriffsbestimmungen gleichsam als dogmatische Konstruktionsbausteine in die hiesige Konzeption integriert werden sollen. a) Überblick über die herkömmlichen Begriffsbestimmungen Kühl fasst die Aussage des Rechtsbewährungsprinzips so zusammen, dass der Einzelne in Notwehrsituationen zum „Statthalter der Rechtsordnung“ werde, weil ihm das Notwehrrecht eine „überpersönliche Legitimation“ zur Durchsetzung des Allgemeininteresses am „Bestand der Rechtsordnung“ verleihe.167 In die gleiche Richtung weist die Begriffsbestimmung von Rengier, der hervorhebt, dass „der Notwehrübende auch für den Bestand der Rechtsordnung“ eintrete, indem er „gleichsam stellvertretend für die nicht anwesende Staatsgewalt das Recht gegen das Unrecht“ verteidige.168 Warda unterstreicht ebenfalls, dass Kühl, JuS 1993, 177, 180 f.; s. auch dens., Strafrecht AT, § 7 Rn. 10: „[D]er Notwehr übende [wird] zum Statthalter des Rechts in Situationen, in denen der Staat das Recht nicht selbst schützen kann.“ – S. zum Begriff des Statthalters etwa Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 878: „Die eigentliche Bedeutung ist ‚Stellvertreter‘.“ 168 Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 1; ebenso Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 305: Notwehr als „stellvertretend für die staatlichen Instanzen geleistete Bewährung der Rechtsordnung gegen Rechtsbrecher“ (Hervorhebung im Original). In diesem Sinne bereits Martin Luther, Tischreden, S. 239 („Notwehr“): „Man fragte ihn: Ob er sich auch wehren wollte, wenn er von Räubern in der Dübener Heide angegriffen würde? Ja, sprach der Doktor, ganz gewiß! Da wollte ich Fürst sein und das Schwert führen, weil sonst niemand um mich wäre, der mich schützen könnte, und wollte totschlagen, soviel ich könnte, und danach das heilige Sakrament nehmen und wollte ein gut Werk getan haben. […] Soll ich doch in der Not den nächsten besten retten, wieviel mehr (bin ich dann dazu verpflichtet), einem Fürsten sein Land (retten zu helfen).“ S. auch dens., WA, Tischreden, Bd. 4, Nr. 4342, S. 237; näher zu 167
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der Notwehrübende durch die Angriffsabwehr neben dem Schutz privater Rechte „zugleich Gemeinschaftsbelange“ wahrnehme, indem er „als Repräsentant der Allgemeinheit […] das Recht gegen das Unrecht“ behaupte.169 Weiterhin betont auch Roxin, dass dem Bürger durch das Notwehrrecht eine „überpersönliche Legitimation“ verliehen werde, weshalb der Verteidiger „als Repräsentant und Bewahrer der Rechtsordnung“ auftreten dürfe.170 Im gleichen Sinne stellt ferner Perron heraus, dass „die Allgemeinheit ein Interesse daran“ habe, „illegale Aggressionen prinzipiell zu unterbinden“, weshalb sie dem Einzelnen das Recht einräume, „pro magistratu dieses öffentliche Interesse wahrzunehmen“.171 Schließlich hebt auch Bockelmann hervor, dass der Notwehrübende neben der Verteidigung privater Güter „zugleich das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Unrecht“ wahrnehme, weshalb er „gleichsam die Rolle des Poli zisten“ übernehme, indem er etwas tue, „was zu tun eigentlich Sache der Polizeibeamten wäre“.172 Luthers Notwehrkonzeption etwa Mayer, Strafrecht AT, S. 201: „[Luther] betrachtete […] die Notwehrübung als sittliche Pflicht um eines öffentlichen Auftrages willen: ‚Nam deficiente magistratu populus est magistratus.‘ Der Notwehrtäter steht ausschließlich im Dienst der Allgemeinheit ‚an Kaisers Statt‘.“ S. ferner auch R. Haas, Notwehr, S. 285; Mayer, FS Welzel, S. 96 f.; Benert, Inferior Magistrates, S. 33 ff.; dens., Il Pensiero Politico 6 (1973), 17, 25. 169 Warda, Jura 1990, 344, 346; ähnlich Gallas, FS Bockelmann, S. 177, der betont, dass der „als Wahrer des Rechts gegenüber dem Unrecht“ auftretende Verteidiger neben dem Schutz privater Güter „zugleich die Funktion“ wahrnehme, „an Stelle der nicht präsenten Staatsgewalt dem Recht gegenüber dem es herausfordernden Unrecht Geltung zu verschaffen“. Auch Koch, ZStW 104 (1992), 785, 791 ff. akzentuiert, dass der Schutz privater Rechte „im modernen (Rechts-)Staat den staatlichen Behörden und Gerichten zugewiesen“ sei, weshalb der Verteidiger die Rechtsordnung bewähre, indem er „stellvertretend für staatliche Rechtsorgane Aufgaben des Rechts“ wahrnehme (s. für das erste Zitat a. a. O., 793 und für das zweite Zitat a. a. O., 791). Ähnlich bereits Klee, GA 1925, 72 in Fn. 1: „Der tiefere Sinn des Notwehrrechts liegt […] darin, daß der einzelne in Vertretung des Staates die Rechtsordnung schützt.“ (Hervorhebung im Original.) 170 Roxin, ZStW 75 (1963), 541, 567; im gleichen Sinne stellt Schumann, JuS 1979, 559, 565 heraus, dass der Verteidiger dem Angreifer „in der Rolle als Hüter und Bewahrer der Rechtsordnung“ gegenübertrete, weil ihm durch das gesetzliche Notwehrrecht eine „‚überpersönliche Legitimation‘“ eingeräumt werde. Wegner, Strafrecht AT, S. 122 hat ebenfalls bereits unterstrichen, dass die Notwehr „ihrem Wesen nach stets Verteidigung der Rechtsordnung“ sei, weshalb der Notwehrübende „im Grunde nicht ein bloß zur Selbsthilfe Greifender, sondern ein Organ der Rechtsordnung“ sei. Darüber hinaus hat auch schon Lasson, Rechtsphilosophie, S. 508 ff. hervorgehoben, dass „jedes Rechtssubject ein Organ der öffentlichen Gewalt für die Aufgabe“ sei, „drohendes Unrecht abzuwehren“, weshalb das Notwehrrecht es jedem Bürger ermögliche, „im Auftrage der Rechtsordnung selber dem Recht gegen das Unrecht“ beizustehen (s. für das erste Zitat a.a.O, S. 508 und für das zweite Zitat, a. a. O., S. 510). 171 Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 87 f. 172 Bockelmann, FS Dreher, S. 243 f.; s. auch Merten, Gutachtliche Stellungnahme, S. 48,
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b) Reformulierung des überindividuellen Rechtsbewährungsprinzips Analysiert man die herkömmlichen Begriffsbestimmungen auf ihre dogmatische Substanz hin, dann wird deutlich, dass dem überindividuellen Rechtsbewährungsprinzip letztlich eine doppelte Aussage entnommen wird. So wird nämlich zum einen der Status des Notwehr übenden Bürgers näher umschrieben („Statthalter der Rechtsordnung“, „Rolle des Polizisten“, „Repräsentant der Allgemeinheit“ usw.); und zum anderen wird betont, dass der zum Schutz privater Rechte tätig werdende Notwehrübende zugleich auch die Rechtsordnung als Ganzes bewähre, indem er das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Unrecht durchsetze. Im gleichen Sinne hebt etwa auch Kargl in seiner kritischen Analyse der herrschenden Notwehrdoktrin hervor, dass der Verteidiger üblicherweise „als Auftragnehmer des Staates“ interpretiert werde, der „als Sachwalter der Allgemeinheit die Funktion der Rechtsbewährung“ übernehme.173 Darüber hinaus betont auch Fechner, dass die herrschende Meinung aus dem überindividuellen Rechtsbewährungsprinzip eine „Stellvertreterrolle des Bürgers“ ableite, „im Notwehrfall für die Rechtsordnung, d. h. für die Gemeinschaft tätig zu werden“.174 Doch wie lassen sich diese dem Rechtsbewährungsgedanken entnommenen Aussagen in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik reformulieren? Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst herausgearbeitet werden, welche funktionale Rolle das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB im heutigen Rechtsschutzsystem erfüllt, wobei zu diesem Zweck als Erstes die Ausgangssituation für das Eingreifen des Notwehrrechts näher beleuchtet werden soll. Am Beispiel: Wie würden sich die Dinge aus juristischer Perspektive darstellen, wenn der Bürger C mit erhobener Faust auf den Bürger A zulaufen würde, um diesem ohne dessen Zustimmung einen Schlag gegen den Oberkörper zu versetzen? Mit Blick auf die normativen Strukturen im Horizontalverhältnis A–C gilt es hier zunächst zu sehen, dass mit dem subjektiven Recht des Bürgers A „an“ seinem Körper als besonderem Persönlichkeitsrecht175 auf Seiten des Bürgers C als inverses Spiegelbild eine Achtungspflicht (im Sinne eines Sollens) korrespondiert (Rechtsposition des A – Achtungspflicht des C).176 Greift der Bürger C der hervorhebt, dass „das Anliegen“ des Notwehrrechts „mit dem polizeilichen Auftrag der Gefahrenabwehr identisch“ sei. 173 Kargl, ZStW 110 (1998), 38, 44 ff. (s. für das erste Zitat a. a. O., 50 und für das zweite Zitat, a. a. O., 53). 174 Fechner, Notwehr, S. 161. 175 Näher dazu etwa Bernhard, FS Picker, S. 108; BGHZ 124, 52, 54 ff.; BGH NJW 1980, 1452, 1453; BGH NJW 1995, 2407, 2408; s. auch Palandt/Sprau, BGB, § 823 Rn. 4. 176 S. zur allgemeinen Achtungspflicht der Bürger etwa Maunz/Dürig/Herdegen, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 74; Epping/Hillgruber/Hillgruber, GG, Art. 1 Rn. 8; v. Münch/Kunig/Kunig,
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nun unter Verletzung seiner Achtungspflicht das Körperrecht des Bürgers A an, indem er sich anschickt, dem Rechtsinhaber A ohne dessen Zustimmung einen Schlag gegen den Oberkörper zu versetzen, dann gibt das objektive Recht dem Rechtsinhaber A einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) an die Hand, sodass sich der Angegriffene A und der Angreifer C als Anspruchsinhaber und Anspruchsgegner gegenüberstehen.177 Dabei ist das juristische Gegenstück zu dem Anspruchsrecht des Bürgers A auf Seiten des Bürgers C dessen Pflicht zur Duldung des Angesprochenwerdens, die durch eine Ausübung des Anspruchsrechts – also durch den Akt des Ansprechens – in eine Gehorsams- bzw. Befolgungspflicht (im Sinne eines Müssens) transformiert wird. Würde der Anspruchsinhaber A nun in Ausübung seines Anspruchsrechts aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) den Anspruchsgegner C auf die Achtung seines Körperrechts „ansprechen“, dann würde er also dem Bürger C ein Verhalten auferlegen, zu welchem dieser als vernünftige Rechtperson schon von sich aus verpflichtet ist (A → C: „Beende den Angriff auf mein Körperrecht!“ = „Erfülle deine Achtungspflicht!“). Von der anderen Seite her betrachtet heißt das, dass der von dem Bürger A auf den Bürger C durch den befehlenden Sprechakt inter privatos ausgeübte „Erfüllungszwang“178 der Verwirklichung des subjektiven Rechts des Bürgers A „an“ seinem Körper dient.179 Dementsprechend lässt sich die rechtslogische Struktur in der horizontalen Rechtsrelation A–C in dieser Konstellation folgendermaßen beschreiben: (1) subjektives Recht des A „an“ seinem Körper; (2) Achtungspflicht des C (im Sinne eines Sollens); (3) Angriff des C auf das Körperrecht des A = Verletzung der Achtungspflicht durch C; (4) Entstehung eines vorbeugenden UnterlassungsanGG, Art. 1 Rn. 27; Stern, FS Scupin, S. 635 f.; Larenz, BGB AT, § 2 I, S. 34 f.; Pawlik, Notstand, S. 14; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 15; Neumann, in: Lüderssen/Nestler-Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht, S. 225; s. auch Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 119: „Die allgemeine Pflicht der Person besteht in der Respektierung der anderen Personen, also der anderen Autonomiebereiche.“ S. aus der älteren Literatur etwa Ancillon, Staatswissenschaft, S. 8: „Ein Jeder ist verpflichtet, das Recht der Andern in Ehren zu halten, und demselben nie zu nahe zu treten.“ S. ferner auch Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, S. 462 sowie Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 36, S. 52. 177 Vgl. auch Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 87: „Im Bürger-Bürger-Verhältnis kann der Angegriffene entsprechend § 1004 BGB die sofortige Beendigung bzw. Unterlassung des rechtswidrigen Angriffs verlangen […].“ Vgl. ferner auch Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 122: „Das Opfer, das vom Messerstecher im nächtlichen Park angegriffen wird, hat natürlich einen ‚Anspruch‘ auf Unterlassung der Körperverletzung.“ 178 Hoffmann, Rechtszuweisung, S. 132. 179 Näher zur Rechtsverwirklichungsfunktion des Anspruchs etwa Hoffmann, Rechtszuweisung, S. 131 ff.; Picker, ZfPW 2015, 385, 404; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 68 ff.; Staudinger/ Gursky, BGB, § 1004 Rn. 1 ff.; Schönfeld, Rechtsperson, S. 259.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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spruchs des A gegen C aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog); (5) Ausübung des Anspruchsrechts des A gegenüber C (A → C: „Beende den Angriff!“); (6) Befolgungspflicht des C (im Sinne eines Müssens). Wie aber stellt sich in dem obigen Beispielsfall die rechtliche Situation in dem Vertikalverhältnis A–B zwischen dem angegriffenen Bürger A und der Staatsperson B dar? Hier geraten die Dinge ebenfalls in Bewegung, wenn in der Hand des Bürgers A infolge des Angriffs auf sein Körperrecht ein vorbeugender Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) gegen den Angreifer C erwacht, weil mit dem zivilrechtlichen Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB ein öffentlich-rechtlicher Rechtsschutzanspruch gegen die Staatsperson B verknüpft ist.180 Das heißt, dass dem Angegriffenen neben dem privatrechtlichen Anspruchsrecht auch das Dürfen und Können zur „Wachrufung der Imperative“ des Staates B zusteht.181 Der Inhaber des Rechtsschutzanspruchs hat es somit in der Hand, „durch sein Verlangen die gedachten Imperative“ des Staates B als des Anspruchsgegners „auszulösen“.182 Wenn der Bürger A in Ausübung des ihm zustehenden Rechtsschutzanspruchs den Staat B „anruft“ (A → B: „Befiehl C, den Angriff zu beenden!“), dann ist der Staat B also gehalten, dem Bürger C den von dem Bürger A begehrten Befehl zu erteilen, soweit dem Bürger A der von ihm geltend gemachte zivilrechtliche Anspruch gegen den Bürger C zusteht und die sonstigen Voraussetzungen für den Erlass des Staatsbefehls vorliegen.183 Grundsätzlich könnte der angegriffene Rechtsinhaber A daher zum Schutze seiner subjektiven Rechtsposition eine Unterlassungsverfügung im Wege des gerichtlichen Eilrechtsschutzes gegen den Angreifer C 180 S. zum Rechtsschutzanspruch des Bürgers gegen den Staat etwa Mes, Der Rechtsschutzanspruch, S. 126 ff.; Herbst, Die Bedeutung des Rechtsschutzanspruchs, S. 271 ff.; Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, S. 30 ff.; J. Schmidt, FS Jahr, S. 417; Wehr, Rechtspflichten, S. 165; Grosch, Rechtswandel, S. 138; Lehmann, Die Unterlassungspflicht, S. 88; Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 226 ff.; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 124 ff.; s. ferner auch Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkte des heutigen Rechts, S. 3: „Das Recht weist jedem Individuum den Herrschaftskreis zu, in welchem sein Wille Gesetz für die anderen Individuen ist; wird das Individuum in diesem Herrschaftskreise nicht anerkannt, so darf es sich darüber bei dem Staate, dem Wächter des Rechtes, beschweren, beklagen, und der Staat hilft ihm zu dem Seinigen.“ – Kategorisch bestritten wird die Existenz eines staatsgerichteten Rechtsschutzanspruchs etwa von Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 ff. 181 Vgl. Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 226 ff. (s. für das Zitat S. 229). 182 Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 228. 183 Vgl. auch die Definition des Rechtsschutzanspruchs von Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, S. 33: „[D]er Rechtsschutzanspruch gegen den Staat [richtet sich] auf Erlaß eines den Kläger günstigen Urteils, wenn es durch die prozessuale und materielle Rechtslage gerechtfertigt ist. Damit dient der Rechtsschutzanspruch der gerichtlichen Durchsetzung des prozessualen Anspruchs.“
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
erwirken, mit welcher dem Angreifer C von Seiten des Staates B die Beendigung des Angriffs auf den Rechtsinhaber aufgegeben würde (B → C: „Beende den Angriff!“), wobei es sich freilich von selbst versteht, dass eine Anrufung der Gerichte in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung faktisch ausscheidet.184 Nun gilt es aber zu sehen, dass der Schutz privater Rechte nach den Subsidiaritätsklauseln in den Polizeigesetzen dann zur Gefahrenabwehr gehört, wenn gerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des privaten Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde, wobei das polizeiliche Einschreiten zum Schutz privater Rechte ferner grundsätzlich an einen Antrag des Berechtigten gebunden ist.185 Denn damit korrespondiert, dass dem Bürger A in dem obigen Beispielsfall nicht nur ein staatsgerichteter Rechtsschutzanspruch zusteht, sondern darüber hinaus auch ein gegen den Polizeiträger B gerichteter Anspruch auf polizeiliches Einschreiten.186 Dementsprechend könnte der Bürger A zum Schutz seines Körperrechts einen zufällig vorbeikommenden Polizeibeamten P als Empfangsvertreter („Hörwerkzeug“) des Polizeiträgers B auf ein polizeiliches Einschreiten gegen den Angreifer C „ansprechen“ (A → B: „Schreite gegen C ein!“). Dabei kommt es in akuten Notlagen jedoch nicht auf ein ausdrückliches Verlangen des Anspruchsinhaber A an, sondern darauf, ob die Geltendmachung seines Rechts auf polizeiliches Einschreiten bei materiell-wertender Betrachtungsweise seinem (präsumtiven) Willen entspricht.187 Ruft nun der Bürger A in dem obigen Beispielsfall den zufällig vorbeikommenden Polizisten P als Empfangsvertreter des Polizeiträgers B um polizeiliche Hilfe an, woraufhin der Polizist P als Stellvertreter des Polizeiträgers B in desVgl. dazu auch v. Tuhr, AT II/2, § 95 II, S. 585 sowie Lagodny, GA 1991, 300, 312. Näher dazu etwa Schoch, Jura 2013, 468, 469 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 5 Rn. 42 ff.; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht, § 4 Rn. 57 ff.; Knemeyer, POR, Rn. 135 ff.; Götz/Geis, POR, § 4 Rn. 20 f.; Gusy, POR, Rn. 90 ff.; Brenneisen/Martins, in: Brenneisen/Staack/Kopischke (Hrsg.), Schutz privater Rechte, S. 13 ff. – Eine Auflistung aller polizeirechtlichen Subsidiaritätsklauseln findet sich bei Schoch, a. a. O., 469 in Fn. 19; s. exemplarisch etwa § 2 Abs. 2 BayPAG: „Der Schutz privater Rechte obliegt der Polizei nach diesem Gesetz nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.“ S. ferner auch § 2 Abs. 2 PolG BW: „Der Schutz privater Rechte obliegt der Polizei nach diesem Gesetz nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird.“ 186 Vgl. auch Knemeyer, POR, Rn. 132: „[C] bedroht [A] mit einem Messer. Der in seinem Leben gefährdete [A] hat gegen den vorbeikommenden Polizeibeamten P einen Anspruch auf Einschreiten gegen [C] […].“ (Die zur Bezeichnung der Beteiligten verwendeten Buchstaben wurden der hiesigen Nomenklatur angepasst.) 187 Zutreffend Schenke, POR, Rn. 54. 184 185
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sen Namen eine auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Polizeiverfügung188 gegen den auf den Bürger A zulaufenden Angreifer C erlässt, dann ist die Willenserklärung des „mit Vertretungsmacht nach Art der Prokura“189 ausgestatteten Polizisten P dem Polizeiträger B zuzurechnen, was impliziert, dass der befehlende Sprechakt in der Welt des Rechts aus dem Mund des Polizeiträgers B kommt (B → C: „Beende den Angriff!“).190 Anders gewendet bedeutet das, dass der per procura agierende Polizist P dem Polizeiträger B als „Erklärungshelfer“191 nach innen hin seine Stimme leiht (P → B), woraufhin in der Rechtswelt nach außen hin in der nächsten juristischen Sekunde die befehlende Stimme der Polizei ertönt (B → C). Bildlich gesprochen, bewegt sich die befehlende Stimme des Polizisten P hier also entlang der Rechtsrelationen P–B und B–C, weshalb in der „Außenwelt“ nur die befehlende Stimme des Polizeiträgers B zu hören ist (P → B → C). Verweigert nun der Befehlsempfänger C den Gehorsam gegenüber dem Polizeibefehl, indem er ungerührt weiter auf den Bürger A zuläuft, um diesen rechtswidrig am Körper zu verletzen, dann wäre der Polizist P gehalten, die an den Bürger C adressierte Polizeiverfügung im Namen des Polizeiträgers B zwangsweise durchzusetzen.192 Fällt der in gehorsamer Erfüllung seiner Dienstpflicht handelnde Polizist P dem Angreifer C jetzt in den Arm, weil sich ein Schlag gegen den Körper des Bürgers A nur noch auf diese Weise abwehren lässt, dann bedeutet das für die juristische Konstruktion, dass der Polizist P dem Polizeiträger B im inneren Vertikalverhältnis P–B seinen Arm leiht (P → B), woraufhin in der nächsten juristischen Sekunde im äußeren Vertikalverhältnis B–C die Vollzugspolizei in Erscheinung tritt und dem Angreifer C in den Arm fällt (B → C). Dabei ist der entscheidende Punkt an dieser Stelle, dass dem Polizisten P allein S. zum Begriff des verfügenden Verwaltungsakts etwa Schmidt-Preuß, FS Maurer, S. 784: „Der gebietende bzw. verbietende (‚verfügende‘) Verwaltungsakt ordnet ein (vollstreckungsfähiges) Tun oder Unterlassen an.“ 189 Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 217. 190 Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 217; Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 182; Wolff, Theorie der Vertretung, S. 241 ff.; vgl. auch Beuthien, FS Medicus, S. 8 sowie Thomale, Leistung als Freiheit, S. 70 ff.; vgl. ferner auch Žižek, Liebe deinen Nächsten, S. 147 sowie dens., Körperlose Organe, S. 260. 191 Begriff von Beuthien, FS Medicus, S. 5. 192 Vgl. dazu etwa Dietlein, POR, in: ders./Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein- Westfalen, § 3 Rn. 238: „Während dem Bürger durch die Grundverfügung ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen als Verhaltenspflicht auferlegt wird, geht es im Verwaltungsvollstreckungs- bzw. im Verwaltungszwangsverfahren um die zwangsweise Durchsetzung eben jener Verhaltenspflicht. Das Verwaltungszwangsrecht wird somit insbesondere dort virulent, wo der Bürger den Gehorsam gegenüber polizeilichen Anordnungen verweigert, aber auch dort, wo ein unmittelbares Zugreifen der Polizei aus zeitlichen Gründen notwendig wird.“ (Hervorhebungen im Original.) 188
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das prokuratorische Dürfen und Können zusteht, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Vollstreckung der erlassenen Grundverfügung gegen den Angreifer C im Namen des Staates B auszuüben. Demgegenüber wird der Staatsperson B durch die einschlägigen Regelungen aus den Polizei- und Verwaltungsvollstreckungsgesetzen die Befugnis und Kompetenz eingeräumt, das Nutzungsrecht „aus“ ihrem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen durch das zum Staatskörper gehörende Vollstreckungsorgan zum Zwecke der Vollstreckung der erlassenen Grundverfügung gegen den Angreifer C auszuüben.193 Dabei ist in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung auch von einem verhältnismäßigen Zwangsmitteleinsatz und damit von einer rechtmäßigen Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang auszugehen, was bedeutet, dass der Polizeiträger B durch sein Vollstreckungsorgan einen rechtmäßigen Vollstreckungsakt gegen den Angreifer C als Vollstreckungsgegner gesetzt hat. Hervorzuheben ist weiter, dass der die polizeiliche Verfügung vollstreckende Polizeiträger B in der vorliegenden Fallgestaltung zugleich auch den Befehl inter privatos durchsetzt hat, was seinen Grund darin findet, dass die dem Angreifer C durch die obrigkeitliche Grundverfügung auferlegte Verhaltenspflicht mit der ihm von dem Bürger A auferlegten Verhaltenspflicht inhaltlich identisch ist. So wurde dem Angreifer C nämlich, wie oben dargelegt, sowohl von Seiten seines Mitbürgers A als auch von Seiten des Staates B aufgegeben, den Angriff augenblicklich zu beenden, wozu der Angreifer C als vernünftige Rechtsperson auch schon von sich aus verpflichtet war. Weiter gilt es zu sehen, dass durch die zwangsweise Durchsetzung der Polizeiverfügung gegen den Angreifer C als Vollstreckungsgegner nicht nur das subjektive Recht des Bürgers A „an“ seinem Körper verwirklicht wurde, sondern „zugleich auch die Rechtsordnung als Ganzes“194. Denn die subjektiven Rechte von Privatpersonen stellen einen integralen Teil der gesamten Rechtsordnung dar195, was impliziert, dass in der Verteidigung subjektiver Rechtspositionen zugleich auch eine Verteidigung der objektiven Rechtsordnung liegt. Dabei ist die Verwirklichung der objektiven Ordnung der Rechte in den hier in Rede stehenden Fallgestaltungen jedoch nur ein Nebenprodukt der Vollstreckung. Denn in der Sache geht es um die Verwirklichung der subjektiven Rechtsposition des angegriffenen Bürgers A.196 193
S. für einen Überblick über die einschlägigen Befugnis- und Kompetenznormen etwa die Nachweise bei Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 24 Rn. 4 ff. 194 Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 337; s. auch Koch, ZStW 104 (1992), 785, 788 ff. sowie Merten, Gutachtliche Stellungnahme, S. 48. 195 S. etwa Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 8 Rn. 4 sowie Schoch, Jura 2013, 468 f. 196 Vgl. auch Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 I 2, S. 337: „Das All-
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Doch wie würden die Dinge liegen, wenn es in dem obigen Beispielsfall an einer wirksamen Bekanntgabe und damit auch an einer wirksamen Polizeiverfügung im äußeren Vertikalverhältnis B–C fehlen würde – etwa weil der Erlass einer Polizeiverfügung gegen den Angreifer C in der konkreten Sachlage unmöglich oder untunlich wäre?197 Um die Durchsetzbarkeit des Rechts in derartigen Konstellationen nicht leerlaufen zu lassen, besteht in so gelagerten Fallgestaltungen die Möglichkeit zur Durchsetzung des Staatswillens im Wege des Sofortvollzugs. Das heißt, in derartigen Konstellationen ist die Staatsperson B dazu berechtigt, auch ohne vorausgehenden Verwaltungsakt das Nutzungsrecht „aus“ ihrem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang durch ihre Vollzugsorgane auszuüben. Entfallen kann dabei allerdings nur der vorausgehende Erlass eines Verwaltungsakts: „[N]icht entfallen kann ein Ge- oder Verbot, das sofort vollzogen werden soll. Dieses nennt man die fiktive Grundverfügung.“198 In so gelagerten Konstellationen kann der zwar gebildete, aber noch nicht wirksam bekanntgegebene Wille des Staates B also ohne eine reale Grundverfügung vollzogen werden.199 So gesehen, dient die Figur der fiktiven Grundverfügung gleichsam als juristischer Denkbehelf, um zu ermitteln, ob der Erlass eines Polizeibefehls in der konkreten Sachlage hypothetisch möglich gewesen wäre. Denn der Verzicht auf eine tatsächliche Grundverfügung befreit den Polizeiträger natürlich nicht von den Anforderungen der einschlägigen Rechtsgrundlage. Vielmehr werden deren Voraussetzungen „gewissermaßen hypothetisch auf die nicht ergehende Grundverfügung bezogen“200. Vor diesem Hintergrund ist der Polizist P in dem obigen Beispielsfall auch dann dazu berechtigt, dem Angreifer C im Namen des Polizeiträgers B in den Arm zu fallen, wenn der Erlass eines Polizeibefehls in der konkret in Rede stehenden Gefahrensituation unmöglich oder untunlich ist.201 Rechtlich gesehen, handelt es sich dabei um einen Fall der Anwendung von unmittelbarem Zwang im Wege des Sofortvollzugs, was bedeutet, dass der Polizeiträger in so gelagerten Konstellagemeininteresse an der Wahrung der Rechtsordnung tritt […] [bei der Notwehr] allein durch das Medium des Einzelrechtsschutzes in Erscheinung.“ 197 S. zur Bekanntgabe als Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Polizeiverfügung etwa Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 6 Rn. 24; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht, § 5 Rn. 30; Götz/Geis, POR, § 12 Rn. 12; Selmer/Gersdorf, Verwaltungsvollstreckungsverfahren, S. 66 ff.; Poscher/Rusteberg, JuS 2012, 26, 29. 198 Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 24 Rn. 38. 199 Vgl. etwa Würtenberger, POR, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 69 Rn. 415 sowie Dietlein, POR, in: ders./Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 256. 200 So Würtenberger, POR, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 69 Rn. 415. 201 Vgl. dazu auch Detterbeck, Verwaltungsrecht AT, Rn. 1041 ff.
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tionen im vertikalen Außenverhältnis B–C einen fiktiven Grundverwaltungsakt (B → C: „Beende den Angriff!“) zwangsweise gegen den Angreifer C durchsetzen würde.202 Vor diesem Hintergrund ist der dem angegriffenen Bürger A gegen den Polizeiträger B zustehende Anspruch auf polizeiliches Einschreiten in dem obigen Beispielsfall in der Sache als ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf die Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C zu verstehen. Das heißt, dass in dem Anspruch auf polizeiliches Einschreiten der staatsgerichtete Rechtsschutzanspruch (A → B: „Verfüge!“) und der staatsgerichtete Vollstreckungsanspruch203 (A → B: „Vollstrecke!“) gewissermaßen zu einer synthetischen Einheit verschmolzen sind, weshalb der an den Polizeiträger B adressierte (fiktive) Sprechakt des angegriffenen Bürgers A unter juristischen Gesichtspunkten lautet: „Vollstrecke eine (fiktive) Verfügung gegen den Angreifer C!“ Anders gewendet bedeutet das, dass der Rechtsschutzanspruch in dieser Konstellation auf den (fiktiven) Erlass einer Polizeiverfügung zielt, während der Vollstreckungsanspruch auf die Durchsetzung der (fiktiven) Polizeiverfügung durch die Vollzugspolizei gerichtet ist. Während die Erhebung des Rechtsschutzanspruchs in der Rechtsrelation A–B also im vorliegenden Zusammenhang auf die (fiktive) Abgabe einer Willenserklärung in der Rechtsrelation B–C gerichtet ist, zielt die Geltendmachung des Vollstreckungsanspruchs in der Rechtsrelation A–B auf die Vornahme eines Realakts in der Rechtsrelation B–C. Dementsprechend liegt die Rechtsfolge der (unterstellten) Ausübung des Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten durch den angegriffenen Bürger A in den hier in Rede stehenden Fallgestaltungen darin, dass der Polizeiträger B gegenüber dem Bürger A zur Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C verpflichtet ist. Damit korrespondiert, dass der zufällig anwesende Polizist P in dem obigen Beispielsfall dem Polizeiträger B als dessen Erfüllungsgehilfe dabei hilft, eine polizeiliche Vollstreckungsaufgabe zu erledigen, deren Erledigung der Polizeiträger B dem angegriffenen Bürger A schuldet. 202 Vgl. etwa Götz/Geis, POR, § 13 Rn. 4: „Für die Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs kommt es […] auf die Rechtmäßigkeit eines ‚hypothetischen‘ Verwaltungsaktes an, als dessen Vollstreckung der Sofortvollzug angesehen werden kann.“ Vgl. ferner auch Dietlein, POR, in: ders./Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 256: „Vollzug […] auf der Grundlage eines ‚hypothetischen‘ Verwaltungsakts“. Ebenso etwa Stamm, Grundstrukturen, S. 232: „Vollzug eines fiktiven Grundverwaltungsakts“. 203 S. zum Begriff des Vollstreckungsanspruchs etwa Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Vor § 704 Rn. 3: „Vollstreckungsanspruch ist der Anspruch des Gläubigers gegen den Staat, dass seine Organe die Zwangsvollstreckung durchführen.“ S. ferner etwa Gerhardt, Vollstreckungsrecht, S. 11; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 5 Rn. 5.7 ff., § 6 Rn. 6.53; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1; Grosch, Rechtswandel, S. 138; Stamm, Grundstrukturen, S. 9 mit Fn. 22; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, Vor § 704 Rn. 16.
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Wie aber würde sich die juristische Konstruktion darstellen, wenn der Unterstützung benötigende Polizist P den zufällig anwesenden Passanten D um Mithilfe bei der Angriffsabwehr bitten würde, woraufhin der dem Ersuchen nachkommende Passant D und der Polizist P dem Angreifer C zur Angriffsabwehr gemeinsam in den Arm fallen? Insoweit gilt es zunächst zu sehen, dass das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB nach herrschender Meinung204 in dem Sinne subsidiär ist, dass eine Berufung der Bürger auf das Notwehrecht grundsätzlich ausscheidet, wenn die regulären Amtswalter des Staates B zugegen und eingriffsbereit sind. Anders gewendet bedeutet das, dass eine Berufung des Bürgers D auf das Notwehrrecht nur in Betracht kommt, wenn (1) die Kräfte des regulären Staatspersonals (P1, P2, P3 usw.) zur effektiven Erledigung der staatlichen Vollstreckungsaufgabe nicht ausreichen und wenn (2) eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers D in die Wahrnehmung einer staatlichen Vollstreckungsaufgabe aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten P vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) unmöglich oder untunlich ist. Dementsprechend ist der Bürger D in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung nicht auf Grundlage der §§ 227 BGB, 32 StGB, sondern als „Zugezogener“ tätig geworden. Denn das Ersuchen des als Stellvertreter des Polizeiträgers B agierenden Polizisten P ist unter juristischen Gesichtspunkten als Antrag des Polizeiträgers B auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Auftragsvertrags205 mit dem Bürger D zu verstehen (B → D: „Könntest du mir bitte bei der Vollstreckung helfen?“), den der Bürger D hier auch konkludent durch seine Mitwirkung bei dem Vollzug der (gedachten) Verfügung angenommen 204 Arzt, FS Schaffstein, S. 80 ff.; Amelung, JuS 1986, 329, 332; Béguelin, GA 2013, 473, 481 ff.; Bitzilekis, Einschränkung, S. 74 ff.; Burr, JR 1996, 230, 230 ff.; Engländer, Nothilfe, S. 163 ff.; Erb, FS Nehm, S. 181 ff.; Frister, Strafrecht AT, 16/24; Geilen, Jura 1981, 308, 316; Haas, Notwehr, S. 291 ff.; Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 124; Helmrich, Notwehr, S. 17; Himmelreich, NJW 1966, 733; ders., GA 1966, 129, 132; ders., MDR 1967, 361, 362; Hoffmann-Riem, ZRP 1977, 277, 281; Jakobs, Strafrecht AT, 12/45; Kinzig, ZStW 115 (2003), 791, 807; Klose, ZStW 89 (1977), 61, 72 in Fn. 26; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 119 ff.; Kunz, ZStW 95 (1983), 973, 976; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 524; Lagodny, GA 1991, 300, 309 ff.; ders., Schranken, S. 265; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 11a; Lesch, Notwehrrecht, S. 62; ders., FS Dahs, S. 111 f.; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 183; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 145; Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 25 Rn. 93; NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 95; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 244 mit Fn. 538; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 50; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 391 f.; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 41; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 53 f.; ders., DAR 1997, 267, 270; Seelmann, ZStW 89 (1977), 36, 58; Sengbusch, Subsidiarität, S. 236 ff.; SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 100; Suppert, Notwehr, S. 283 f.; H. Wagner, Notwehrbegründung, S. 61; Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 426 ff.; Kunz, ZStW 95 (1983), 973, 976. – Abweichend etwa Seebode, FS Krause, S. 388; Pelz, NStZ 1995, 305 ff., Schmidhäuser, GA 1991, 97, 123 f. 205 S. dazu auch die Nachweise auf S. 32 in Fn. 46.
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hat (D → B: „Ja!“). Hervorzuheben ist weiter, dass der Polizeiträger B dem Bürger D mit Abschluss des Vertrags zugleich auch implizit das prokuratorische Dürfen und Können verliehen hat, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Vollstreckung der (fiktiven) Grundverfügung im Namen des Polizeiträgers B auszuüben (B → D: „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Vollstreckungshelfer aufzutreten!“). Damit korrespondiert, dass der mit Erfüllungswillen handelnde Bürger D seine körperliche Kraft (sinnbildlich: eine helfende Hand) dem Polizeiträger B zugewendet und mit dieser ein ad hoc kreiertes „leeres“ Amt in dem zuständigen Vollstreckungsorgan ausgefüllt hat (D → B), was bedeutet, dass die körperliche Kraft des Polizisten P und des Polizeihelfers D gleichsam in dem zum Staatskörper gehörenden Vollstreckungsorgan des Polizeiträgers B gebündelt wurde, sodass im äußeren Vertikalverhältnis B–C die Vollzugspolizei dem Angreifer C gewissermaßen mit doppelter Kraft in den Arm gefallen ist und so die Befolgung der (fiktiven) Grundverfügung (B → C: „Beende den Angriff!“) durch unmittelbaren Zwang durchsetzt hat (P/D → B → C). Für die juristische Konstruktion folgt daraus, dass der Polizeiträger B die ihm gegenüber dem angegriffenen Bürger A obliegende Vollstreckungspflicht durch die Vollzugspolizei erfüllt hat, wobei er sich zum Zwecke der Erfüllung seiner Vollstreckungspflicht zweier Hilfspersonen bedient hat, nämlich des Polizisten P und des Polizeihelfers D. Dabei ist an dieser Stelle besonders zu betonen, dass der dem angegriffenen Bürger A an die Hand gegebene Anspruch auf polizeiliches Einschreiten nicht auf das Einschreiten eines bestimmten Polizisten (P1, P2, P3 usw.) gerichtet ist, sondern vielmehr – wie der Name schon sagt – auf das Einschreiten der Polizei. Das impliziert, dass sich der Polizeiträger B zur Erfüllung seiner Vollstreckungspflicht gegenüber dem Bürger A nicht nur des regulären Staatspersonals, sondern etwa auch des hilfsbereiten Bürgers D bedienen kann. Denn die rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers D in die Staatsaufgabenerfüllung ändert nichts daran, dass der Polizeiträger B für die juristische Konstruktion nach außen hin gegen den Angreifer C durch die Vollzugspolizei einschreitet, was seinen Grund darin findet, dass das von der Vertretungs macht gedeckte Gehilfenverhalten nach dem Rechtsgedanken des § 278 S. 1 Alt. 2 BGB dem Geschäftsherrn B zuzurechnen ist. Darüber hinaus steht es dem Unterstützung benötigenden Polizisten P in dem obigen Beispielsfall auch frei, im Namen des Polizeiträgers B den angegriffenen Bürger A selbst um die Mitwirkung bei der Angriffsabwehr zu ersuchen (B → A: „Könntest du mir bitte bei der Vollstreckung helfen?“), was sub specie iuris wiederum als ein Antrag auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Auftragsvertrags zu verstehen ist. Kommt nun der Bürger A dem Ersuchen des Polizisten P nach, woraufhin der Polizist P und der Bürger A dem Bürger C zum Zwecke der
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Angriffsabwehr gemeinsam in den Arm fallen, dann ist in dem Verhalten des Bürgers A unter rechtlichen Gesichtspunkten eine konkludente Annahme des Antrags auf Abschluss eines Auftragsvertrags zu sehen (A → B: „Ja!“), wobei der Polizeiträger B dem Bürger A mit Abschluss des Auftragsvertrags zugleich auch implizit das Dürfen und Können verliehen hat, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Verfügungsvollstreckung gegen den Angreifer C im Namen des Polizeiträgers B auszuüben (B → A: „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Vollstreckungshelfer aufzutreten!“). Für die juristische Betrachtung ist die physische Kraft des Polizisten P und des Polizeihelfers A daher auch in dieser Konstellation im staatlichen Vollstreckungsorgan gebündelt worden, weshalb nach außen hin im Verhältnis zu dem Angreifer C allein das zum Staatskörper ge hörende Vollstreckungsorgan in Erscheinung getreten ist (P/A → B → C). Dementsprechend hat der Polizeiträger B die ihm gegenüber dem Bürger A obliegende Pflicht zur Vollstreckung einer (fiktiven) Polizeiverfügung gegen den Angreifer C nach außen hin auch in dieser Konstellation durch die Vollzugspolizei erfüllt, wozu er sich nach innen hin wiederum zweier Hilfspersonen bedient hat, nämlich des Polizisten P und des Bürgers A. Damit korrespondiert, dass der Bürger A in dieser Konstellation seinem eigenen Schuldner bei der Pflichter füllung geholfen hat, indem er ihm als rechtsgeschäftlich bestellter Erfüllungsgehilfe im Sinne von § 278 S. 1 Alt. 2 BGB (analog) bei der Ausführung der polizeilichen Vollstreckungsaufgabe geholfen hat. Wie aber würden sich nun die Dinge darstellen, wenn in dem obigen Beispielsfall zufällig kein Polizist P zugegen ist, um eine (fiktive) Grundverfügung (B → C: „Beende den Angriff!“) gegen den Angreifer C „für“ den Polizeiträger B zu vollstrecken? In dieser Sachlage ist eine Berufung des angegriffenen Bürgers A auf das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB ohne Weiteres möglich, wobei der exakte juristische Grund für das Eingreifen des Notwehrrechts in dieser Sachlage darin liegt, dass eine Wahrnehmung der polizeilichen Vollstreckungsaufgabe durch das reguläre Vollstreckungspersonal des Staates (P1, P2, P3 usw.) infolge von dessen Abwesenheit ausscheidet und dass deswegen auch eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers A in die Staatsaufgaben wahrnehmung nicht in Betracht kommt. Anders gewendet heißt das, dass das gesetzliche Notwehrrecht jedem Bürger A bzw. D eine Mitwirkung bei der Staatsaufgabenerfüllung in Ausnahmesituationen ermöglicht, in denen ein Tätigwerden des Bürgers A bzw. D „für“ den Staat B zwar dem Staatswillen entspricht, aber eine Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenwahrnehmung qua Rechtsgeschäft aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) unmöglich oder untunlich ist. Bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise ist das gesetzliche
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Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB daher als Ausprägung der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ zu verstehen.206 Das impliziert, dass durch diese gesetzliche Regelung jedem Bürger A bzw. D das prokuratorische Dürfen und Können verliehen wird, um das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang „für den Staat und im Namen des Staats“207 zum Zwecke der Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C auszuüben. Vor diesem Hintergrund ist das Notwehrrecht als fiktiver „Hilferuf des Staates“ zu begreifen, durch welchen jeder Bürger A bzw. D in den status procuratoris versetzt wird, um ihm so zu ermöglichen, der Staatsperson B bei der Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme gegen den Angreifer C zu helfen (B → A/D: „Bitte hilf mir bei der Durchführung der Vollstreckungsaufgabe!“ = „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Vollstreckungshelfer aufzutreten!“). In juristisch-kon struktiver Hinsicht bedeutet das, dass die Staatsperson B durch den – fiktiven – an den Bürger A bzw. D adressierten Hilferuf in dem zuständigen Staatsorgan ad hoc ein auszufüllendes („leeres“) Amt kreiert, das als „Empfangsform“ für die begehrte Arbeitskraft des „in Vertretung des Staates“208 agierenden Bürgers A bzw. D fungiert, wodurch für die rechtliche Betrachtung ein Kraftfluss übers Eck möglich wird (A/D → B → C). Wehrt nun der angegriffene Bürger A in dem obigen Beispielsfall den Angriff von Seiten des Bürgers C in Ausübung des Notvertretungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB durch einen Faustschlag gegen dessen Körper ab, dann bedeutet das für die juristische Betrachtung, dass sich die von dem Körper des Bürgers A abgespaltene Faust209 (also die als vergegen206 In diesem Sinne bereits Martin Luther, WA, Tischreden, Bd. 4, Nr. 4342, S. 237 (s. zu dessen Notwehrkonzeption auch oben S. 63 in Fn. 168); s. ferner auch Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 I 1, S. 336; Eser, Am. J. Comp. L. 24 (1976), 621, 632 mit Fn. 53; Snyman, S. Afr. J. Crim. Just. 17 (2004), 178, 179. 207 S. für diese Formulierung Sander, Archiv des Criminalrechts 1841, 68, 80: „Wir sind vollkommen damit einverstanden, daß die Nothwehr kein außerstaatliches natürliches Recht ist, sondern daß sie vollständig aus dem Staate, als der Vereinigung der Menschen zu einer vernünftigen rechtlichen Gesellschaft, dadurch entspringt und begründet wird, daß der Staat nichts anderes will als die Herrschaft des Rechts, und daß er deshalb dem einzelnen in seinem Rechte Angegriffenen die Befugniß ertheilt, für den Staat und im Namen des Staats sein angegriffenes Recht da geltend zu machen, zur Herrschaft zu bringen und darin zu erhalten, wo sich der Staat bei der Urplötzlichkeit des Angriffs außer Lage befindet, mit seiner Macht, mit der Kraft des Gesetzes und den dazu bestehenden Mitteln dieses selbst zu thun und zu bewerkstelligen.“ 208 S. für dieses Zitat Klee, GA 1925, 72 in Fn. 1: „Der tiefere Sinn des Notwehrrechts liegt […] darin, daß der einzelne in Vertretung des Staates die Rechtsordnung schützt.“ (Ohne die Hervorhebung des Originals.) 209 S. zur schlagenden Faust als Partialobjekt etwa Žižek, Körperlose Organe, S. 237 ff. sowie dens., Weniger als nichts, S. 1343.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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ständlicht gedachte Arbeitskraft = der Zuwendungsgegenstand) über den Staat B als „Umschlagplatz“ bewegt (A → B → C), was impliziert, dass in der Welt des Rechts die Staatsperson B dem Angreifer C mit der zum Staatskörper gehörende Faust einen Schlag gegen den Körper versetzt (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB).210 Es gilt an dieser Stelle also klar zu sehen, dass dem Notwehr übenden Bürger A bzw. D durch die §§ 227 BGB, 32 StGB nur das prokuratorische Dürfen und Können eingeräumt wird, um das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates B auszuüben, wohingegen der Staatsperson B durch die einschlägigen Rechtsgrundlagen aus den Polizei- und Verwaltungsvollstreckungsgesetzen die Befugnis und Kompetenz eingeräumt wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen auszuüben. Im heutigen Rechtssystem besteht die funktionale Rolle des gesetzlichen Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB dementsprechend darin, jeden Bürger A bzw. D in den status procuratoris zu versetzen, um ihm so die Wahrnehmung einer staatlichen Vollstreckungsaufgabe in Ausnahmesituationen zu ermöglichen, in denen eine rechtsgeschäftlichen Einschaltung des Bürgers A bzw. D in die Staatsaufgabenerfüllung aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten P vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) nicht möglich oder tunlich ist. Analysiert man die herkömmlichen Beschreibungen des überindividuellen Rechtsbewährungsprinzips, dann zeigt sich, dass die hier vertretene prokura torische Notwehrkonzeption einem Gedanken die notwendige dogmatische Schärfe verleiht, der in den überkommenen Begriffsbestimmungen nur in diffuser Gestalt erkennbar ist. Schichtet man nämlich die einzelnen Rechtsverhältnisse in dem Rechtsdreieck Bürger – Staat – Bürger (A–B–C bzw. D–B–C) sauber voneinander ab, dann wird deutlich, dass die dem überindividuellen Rechtsbewährungsprinzip entnommenen zwei Gedanken sich letztlich auf zwei verschiedene Rechtsrelationen beziehen. Denn bei genauer Betrachtungsweise betrifft die Aussage, dass das Notwehrrecht der Durchsetzung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Unrecht und damit der „Bewährung der Rechtsordnung“ diene, das vertikale Außenverhältnis B–C zwischen der Staats person B und dem Angreifer C, wohingegen sich die Umschreibungen des Status des Notwehr übenden Bürgers („Statthalter der Rechtsordnung“, „Repräsentant der Allgemeinheit“, „Rolle des Polizisten“ usw.) auf das vertikale Innenverhältnis A–B bzw. D–B zwischen dem Notwehrübenden A bzw. D und der Staatsperson B beziehen. Vor diesem Hintergrund lässt sich das überindividuel210 Diametral entgegengesetzt etwa Berner, Archiv des Criminalrechts 1848, 547, 562: „Gegen Jeden, der mein Recht angreift, repellirt dies Recht durch meine Fäuste.“
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le Rechtsbewährungsprinzip in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik so reformulieren, dass jeder Bürger A bzw. D durch das gesetzliche Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB in den status procuratoris versetzt wird, um ihm so zu ermöglichen, dem Staat B bei der Durchsetzung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C zu helfen. Dabei wird durch die Verfügungsvollstreckung als Nebenprodukt zwar auch die objektive Ordnung der Rechte verwirklicht; in der Sache geht es bei der Notwehrübung jedoch, wie oben bereits hervorgehoben wurde, um die Verwirklichung der subjektiven Rechtsposition des angegriffenen Bürgers A. Anders gewendet: Wenn der Notwehrübende auch „als Vertreter des Rechtsschutz übenden Staates“211 tätig wird, so ändert die Konstruktion übers Eck doch nichts daran, dass es im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB im Kern um den Schutz privater Rechte geht. In den herkömmlichen Umschreibungen des überindividuellen Rechtsbewährungsprinzips nimmt der Stellvertretungs- bzw. Repräsentationsgedanke zwar begrifflich eine zentrale Stellung ein („Statthalter der Rechtsordnung“212 , „pro magistratu“213, „Repräsentant der Allgemeinheit“214, „Repräsentant der Rechtsordnung“215, „stellvertretend für die nicht anwesende Staatsgewalt“216, „stellvertretend für die staatlichen Instanzen“217 usw.). Gleichwohl wurden die Konsequenzen dieses Gedankens für die juristische Dogmatik bislang nicht in voller Tragweite herausgearbeitet. Was nämlich bedeutet es, dass der Notwehr übende als „Repräsentant der Allgemeinheit“ agiert? Kurz gesagt, bedeutet es, dass der Notwehrübende den Staat als „die Person gewordene höchste Allgemeinheit“218 vergegenwärtigt. Denn Repräsentation bedeutet so viel wie „die 211 S. für diese Formulierung Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 247, der die Aussage allerdings, merklich widerwillig, auf den nicht in eigenen Rechten angegriffenen Bürger beschränkt: „Die Notwehr, sofern sie einen rechtswidrigen Angriff auf die eigene Person abzuwehren bestimmt ist, mag als Ausübung eines individuellen Rechtes aufgefasst werden, obwohl an der Abwehr rechtswidriger Angriffe auch das Gemeinwesen beteiligt ist. Allein die Verteidigung gegen gegenwärtige, rechtswidrige Angriffe, deren Objekt ein anderer ist, kann nicht als ein Individualrecht aufgefasst werden, weil das individuelle Interesse des Notwehr Uebenden durchaus nicht an der Abwehr beteiligt sein muss. Hier tritt der Abwehrende vielmehr als Vertreter des Rechtsschutz übenden Staates auf.“ 212 Kühl, JuS 1993, 177, 182. 213 Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 88. 214 Warda, Jura 1990, 344, 346. 215 Roxin, ZStW 75 (1963), 541, 567. 216 Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 1. 217 Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 305. 218 S. für dieses Zitat v. Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. 2, S. 831: „Der Staat ist die Person gewordene höchste Allgemeinheit.“ Ähnlich Schönfeld, Rechtsperson, S. 213: „Der Staat ist die Rechtsgemeinschaft als Rechtsperson […].“ S. auch Enders, Menschenwürde, S. 274 ff.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Vergegenwärtigung des Abwesenden durch das Anwesende“, wobei der anwesende Repräsentant A den abwesenden Repräsentierten B präsent macht.219 Das heißt, der Repräsentant A ist der Vergegenwärtigende, während der Repräsentierte B der Vergegenwärtigte ist.220 Daraus folgt für die vorliegende Problemstellung, dass der „stellvertretend für die nicht anwesende Staatsgewalt“221 agierende Notwehrübende A die abwesende Staatsgewalt B anwesend macht. Doch wie funktioniert das Gegenwärtigmachen des Staates B rechtskonstruktiv? Um ein Wortspiel von Derrida aufzugreifen: Der Notwehrübende macht den Staat präsent, indem er ihm ein Präsent macht.222 Mit anderen Worten: Der mit prokuratorischer Handlungsmacht ausgestattete Notgeschäftsführer A vergegenwärtigt den Staat B, indem er seine Hand an ihn „fortschenkt“223 bzw. indem er ihm als Aushilfskraft seinen Arm „leiht“224. Denn dadurch zirkuliert die physische Kraft für die juristische Betrachtung übers Eck (A → B → C), sodass im Außenverhältnis zum Angreifer C allein der zum Staatskörper gehörende Arm der Staatsperson B in Erscheinung tritt. Damit korrespondiert, dass der für die sinnlichen Augen unsichtbare Staat B in der Rechtswelt real präsent ist, weil er durch sein Vollzugsorgan einen Vollstreckungsakt gegen den Angreifer C setzt. Sobald der mit prokuratorischer Handlungsmacht ausgestattete Einzelne als „Repräsentant des Gemeinwesens“ agiert, bekommt „das Individualverhalten“ also „die Qualität einer Staatshandlung“.225 Anders ausgedrückt: So weit die Verhaltenszurechnung reicht, führt das Verhalten des Repräsentanten zu einer Realpräsenz des Staates in der Welt des Rechts (vgl. § 278 S. 1 BGB). Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen zeigt sich schließlich auch, weshalb es nicht überzeugt, die §§ 227 BGB, 32 StGB als „‚Ermächti219 Wolff, Theorie der Vertretung, S. 16 ff. (s. für das Zitat a. a. O., S. 25); in diesem Sinne auch Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 159: „Vertreten […] heißt, etwas gegenwärtig sein lassen, was nicht anwesend ist.“ S. auch Pitkin, The Concept of Representation, S. 8 f.: „[R]epresentation, taken generally, means the making present in some sense of something which is nevertheless not present literally or in fact.“ (Hervorhebung im Original.) S. zum Repräsentationsbegriff ferner auch Hofmann, Repräsentation, S. 116 ff., 156 ff.; Alemann, in: Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, S. 655 ff.; Kierkegaard, Entweder–Oder I, S. 67 f. 220 Vgl. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 51 f. 221 Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 1. 222 S. zum „Bezug der Gabe zum ‚Präsent(en)‘“ Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 19 f., 75 f. 223 S. für diese Formulierung Kierkegaard, Der Liebe Tun, S. 163: „das Herz, welches die Hand fortschenkt“. 224 Vgl. Lasson, Rechtsphilosophie, S. 291: „[S]eine volle Wirklichkeit erlangt [der Staat] erst dadurch, dass Einzelwesen in seine Dienste treten, seine Zwecke zu den ihrigen machen, ihren Arm ihm für die Ausführung seines Willens leihen […].“ 225 Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 181.
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gungsgrundlage‘“226 zur Ausübung des Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen zu begreifen.227 So ist nämlich gegen eine Ermächtigungslösung im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB einzuwenden, dass sie den Notwehr übenden Bürger nicht so stellt, wie er stünde, wenn ein Polizist ihn qua Rechtsgeschäft in die Staatsaufgabenwahrnehmung eingeschaltet hätte. Das aber führt zu dem wertungsmäßig nur schwerlich überzeugenden Resultat, dass der „Verkehrsweg“ der physischen Kraft letztlich davon abhängt, ob bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr zufällig eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenerfüllung in Betracht kommt oder ob das nur subsidiär eingreifende gesetzliche Notwehrrecht zum Tragen kommt. Denn soweit es an einer rechtsgeschäftlichen Einschaltung des Bürgers A bzw. D in die Staatsaufgabenwahrnehmung fehlt, fließt die physische Kraft auf Grundlage einer Ermächtigungslösung nicht über den Staat B als Zwischenperson, sondern im Verhältnis zwischen Bürger und Bürger. Durch diese Änderung des „Verkehrsweges“ wird aber die Wahrnehmung einer staatlichen Vollstreckungsaufgabe ins Horizontalverhältnis zwischen Bürger und Bürger verlagert, worin unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten 228 eine „Flucht ins Privatrecht“229 zu sehen ist, die „einen Bruch in der normativen Infrastruktur“230 bedingt und deshalb abzulehnen ist. Zurückzuweisen ist ferner auch die in der Literatur aufgestellte Behauptung, dass eine „Stellvertreterrolle des Bürgers, im Notwehrfall für die Rechtsordnung, d. h. für die Gemeinschaft tätig zu werden“, als „Fremdkörper“ in der „auf die Einzelperson fixierten Verfassung“ erscheine.231 Denn zum einen ändert die Begriff von Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 189. In diesem Sinne aber etwa Merten, Gewaltmonopol, S. 56 („Gewaltermächtigung“); Burr, JR 1996, 230; Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 189. – Auch „individualistische“ Notwehrkonzeptionen begreifen das Notwehrrecht jedenfalls mit Blick auf den in eigenen Rechten angegriffenen Notwehrübenden als eine Legitimation zum Handeln im eigenen Namen, wohingegen das Notwehrrecht des nicht in eigenen Rechten angegriffenen Bürgers üblicherweise als ein vom angegriffenen Rechtsinhaber abgeleitetes Recht gedeutet wird (so etwa Engländer, Nothilfe, S. 91, 172; Sengbusch, Subsidiarität, S. 194 f.; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 296; Kargl, ZStW 110 [1998], 38, 64). In der Sache heißt das nichts anderes, als dass der angegriffene Rechtsinhaber A als Geschäftsherr und der Dritte D als Geschäftsführungsgehilfe eingestuft wird. So auch schon v. Tuhr, AT II/2, § 95 II, S. 587: „Der Dritte handelt […] als negotiorum gestor des Angegriffenen […].“ 228 Näher zu den haftungsrechtlichen Implikationen der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption unten sub § 3 B IV 1, S. 154 ff. 229 S. zum Problem der haftungsrechtlichen Flucht ins Privatrecht auch die Nachweise auf S. 40 in Fn. 76. 230 Jeand’Heur, AöR 19 (1994), 107, 127. 231 So die Kritik von Fechner, Notwehr, S. 161 an der dualistischen Notwehrkonzeption der herrschenden Meinung; ähnlich Kargl, ZStW 110 (1998), 38, 53, der behauptet, dass das 226 227
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Konstruktion übers Eck nichts daran, dass es in der Sache um die Verwirklichung der subjektiven Rechte der angegriffenen Einzelperson geht; und zum anderen lässt sich das deutsche Grundgesetz auch nicht kurzerhand mit einer „auf die Einzelperson fixierten Verfassung“ gleichsetzen. Denn das „Menschenbild des Grundgesetzes“ ist, wie eingangs bereits hervorgehoben wurde232 , gerade „nicht das eines isolierten souveränen Individuums“; vielmehr hat das Grundgesetz „die Spannung Individuum – Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten“233. Vor diesem Hintergrund kann der hier vertretenen gemeinschaftsbezogenen Notwehrtheorie mitnichten eine mangelnde Kompatibilität mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vorgeworfen werden. Vielmehr sind als „Fremdkörper“ in der deutschen Rechtsordnung – genau umgekehrt – solche Notwehrkonzeptionen anzusehen, die in der Sache auf eine Ermächtigungslösung hinauslaufen, weil sich das Notwehrrecht, wie soeben dargelegt wurde, nicht friktionslos in das heutige Rechtsschutzsystem einfügt, wenn man es als Legitimationsgrundlage zum Handeln im eigenen Namen begreift. 3. Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass das subsidiäre Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB im heutigen Rechtsschutzsystem dazu dient, dem Bürger eine Mitwirkung bei der Staatsaufgabenerfüllung in Ausnahmesituationen zu ermöglichen, in denen eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenwahrnehmung aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) unmöglich oder untunlich ist. Dementsprechend ist das Notwehrrecht bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise als Ausprägung der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ zu verstehen, was bedeutet, dass jedem Bürger durch diese gesetzliche Regelung das Dürfen und Können eingeräumt wird, um in Notsituationen „als Vertreter des Rechtsschutz übenden Staates“ aufzutreten. Dabei lässt sich das individualrechtliche Schutzprinzip so reformulieren, dass es bei der Notwehr um die Durchsetzung von negatorischen Schutzansprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) und § 985 BGB geht, welche der Verwirklichung von subjektiven Rechtspositionen „an“ Rechtsgegenständen dienen. Dagegen lässt sich das überindividuelle Rechtsbe„autoritäre Modell“ der herrschenden Meinung der „individualistische[n] Grundrechtsordnung“ widerspreche. 232 S. oben sub § 1 A, S. 1. 233 BVerfGE 4, 7, 15 f.
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währungsprinzip in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik dahin refor mulieren, dass jeder Bürger in akuten Notlagen durch das gesetzliche Not wehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB in den status procuratoris versetzt wird, um ihm so zu ermöglichen, dem Staat B bei der Durchsetzung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C zu helfen. Dementsprechend bezieht sich das individualrechtliche Schutzprinzip auf die horizontale Rechtsrelation A–C zwischen dem Angegriffenen A und dem Angreifer C, während sich die dem Rechtsbewährungsprinzip entnommenen Aussagen sowohl auf das vertikale Innenverhältnis A–B bzw. D–B zwischen dem Notwehrübenden A bzw. D und dem Staat B als auch auf das vertikale Außenverhältnis B–C zwischen dem Staat B und dem Angreifer C beziehen. Um das axiologische Grundgerüst der Notwehr in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik zu rekonstruieren, benötigt man dementsprechend die folgenden juristischen Konstruktionselemente: (1) gegenwärtiger rechtswidriger Angriff C → A = drohender, aktueller bzw. fortdauernder rechtswidriger Eingriff in eine Rechtsposition des A durch C (2) A → C: „Beende den Angriff!“ = negatorischer Abwehranspruch (3) A → B: „Befiehl C, den Angriff zu beenden!“ = Rechtsschutzanspruch (4) B → C: „Beende den Angriff!“ = Grundverfügung des Staates (5) Nichtbeendigung des Angriffs C → A = Ungehorsam des C (6) A → B: „Vollstrecke den Befehl!“ = Vollstreckungsanspruch (7) B → A/D: „Bitte hilf mir bei der Erfüllung der Vollstreckungsaufgabe!“ = „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Vollstreckungshelfer aufzutreten!“ = das Notwehrrecht als Hilferuf des Staates = Versetzung des Bürgers A bzw. D in den status procuratoris (8) A/D → B: „Hiermit helfe ich dir bei der Erfüllung der Vollstreckungsauf gabe!“ = zweckgerichtete Hingabe einer helfenden Hand an den Staat (9) B → C: „Hiermit erfülle ich meine Vollstreckungsaufgabe!“ = Vollstreckung der Grundverfügung durch die öffentliche Hand
II. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Notwehr Wie soeben dargelegt wurde, wird der auf Grundlage des gesetzlichen Notwehrrechts agierende Bürger A bzw. D bei funktionaler Betrachtungsweise als vertretungsberechtigter Notgeschäftsführer „für“ den Staat B als den Geschäftsherrn tätig. Deshalb lassen sich die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Jedermannsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik folgendermaßen reformulieren:
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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1. Vorliegen der Grundsituation der Notwehr Bestehen einer Rechtspflicht des Polizeiträgers B gegenüber dem Angegriffe nen A zur Vollstreckung eines (fiktiven) Polizeibefehls gegen den Angreifer C 2. Das Ob der Notwehr Übereinstimmung der Übernahme der Notgeschäftsführung durch den Bürger A bzw. D mit dem Willen des Geschäftsherrn B 3. Das Wie der Notwehr a) Das subjektive Wie der Notwehr Vorliegen eines Notgeschäftsführungswillens auf Seiten des Bürgers A bzw. D b) Das objektive Wie der Notwehr Übereinstimmung der Ausführung der Notgeschäftsführung durch den Bürger A bzw. D mit dem Willen des Geschäftsherrn B Im Folgenden sollen die einzelnen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Notwehr näher in den Blick genommen werden. Dabei soll zugleich gezeigt werden, wie sich praktisch relevante Problemkonstellationen auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption rekonstruieren und lösen lassen. 1. Die Grundsituation der Notwehr a) Dogmatische Rekonstruktion der Grundsituation der Notwehr Als Erstes soll an dieser Stelle herausgearbeitet werden, wie sich die „Grundsituation der Notwehr“234 in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik rekonstru ieren lässt. Dazu gilt es sich zunächst noch einmal zu vergegenwärtigen, dass das gesetzliche Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB bei funktional-telelogischer Betrachtungsweise dazu dient, jeden Bürger in den status procuratoris zu versetzen, um ihm so die Mitwirkung bei der Durchsetzung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C zu ermöglichen, deren Durchsetzung der Polizeiträger B dem angegriffenen Rechtsinhaber A schuldet. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Grundsituation der Notwehr gegeben ist, wenn in dem Dreiecksverhältnis Angegriffener – Staat – Angreifer (A–B–C) die folgenden (fiktiven) Befehle vorliegen: (1) A → C: „Beende den Angriff!“ = negatorischer Abwehranspruch (2) A → B: „Befiehl C, den Angriff zu beenden!“ = Rechtsschutzanspruch (3) B → C: „Beende den Angriff!“ = Grundverfügung des Staates (4) A → B: „Vollstrecke den Befehl!“ = Vollstreckungsanspruch 234
Begriff von Pawlik, Notstand, S. 306.
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Anders gewendet bedeutet das, dass für das Vorliegen der Grundsituation der Notwehr eine Sachlage gegeben sein muss, in welcher bei materiell-wertender Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass der angegriffene Bürger A den (mutmaßlichen) Willen hat, den ihm zur zwangsweisen Durchsetzung seiner negatorischen Abwehrrechte an die Hand gegebenen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend zu machen. Denn in der Sache zielt der Anspruch auf polizeiliches Einschreiten in notwehrspezifischen Abwehrlagen auf die Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C, was in rechtskonstruktiver Hinsicht bedeutet, dass in dem Anspruch auf polizeiliches Einschreiten der Rechtsschutzanspruch (A → B: „Verfüge!“) und der Vollstreckungsanspruch (A → B: „Vollstrecke!“) gewisser maßen zu einer synthetischen Einheit verschmolzen sind, sodass der an den Polizeiträger B adressierte (gedachte) Sprechakt des angegriffenen Bürgers A lautet: „Vollstrecke die (fiktive) Verfügung!“ Dementsprechend liegt nach der hier vertretenen Auffassung die Grundsituation der Notwehr vor, wenn der Poli zeiträger B gegenüber dem Angegriffenen A zur Vollstreckung einer (fiktiven) Polizeiverfügung gegen den Angreifer C verpflichtet ist. b) Die Maßgeblichkeit der ex-ante-Perspektive des Geschäftsherrn Doch aus welcher Perspektive ist das Vorliegen der Grundsituation der Notwehr zu beurteilen? Wessen Kenntnis- bzw. Wissenshorizont ist also maßgeblich dafür, ob die Ausgangssituation der Notwehr vorliegt? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass es bei der Notwehrübung unter juristischen Gesichtspunkten um die Wahrnehmung eines Vollstreckungsgeschäfts des Polizeiträgers B gegen den Angreifer C als Vollstreckungsgegner geht. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass für das Vorliegen der Grundsituation der Notwehr eine Sachlage gegeben sein muss, in welcher es dem (präsumtiven) Willen des Polizeiträgers B als dem Geschäftsherrn entspricht, eine (fiktive) Grundverfügung gegen den Angreifer C zu vollstrecken, um so die polizeiliche Vollstreckungsschuld gegenüber dem Angegriffenen A zu erfüllen, was wiederum impliziert, dass es im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB maßgeblich auf die „objektive“ ex-ante-Perspektive des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn ankommt.235 Auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption ist für das Vorliegen der Grundsituation der Notwehr also weder die subjektive Perspektive des Bürgers A oder D noch die des Bürgers C maßgeblich, sondern die „objektive“ Per235 S. zur Maßgeblichkeit der Perspektive des Geschäftsherrn bei der Geschäftsführung ohne Auftrag die Nachweise auf S. 42 in Fn. 79.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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spektive des Staates B als des Geschäftsherrn.236 Anders gewendet heißt das, dass die Grundsituation der Notwehr gegeben ist, wenn aus der Perspektive eines (hinzugedachten) verständigen Polizeibeamten P die Voraussetzungen für die Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C zum Schutz privater Rechte gegeben sind, weil das Situationswissen des als Wissens vertreter fungierenden Polizeibeamten P nach dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB dem Polizeiträger B zuzurechnen ist, sodass der Erkenntnishorizont des Polizisten P mit dem des Polizeiträgers B korreliert.237 Dabei geht mit dieser Perspektivenwahl einher, dass die Grundsituation der Notwehr auch im Falle einer Anscheinsgefahr vorliegt.238 Das heißt, nach der hier vertretenen Auffassung genügt es für das Vorliegen einer notwehrspezifischen Abwehrlage, dass ein hinzugedachter Polizist P in der gegebenen Sachlage aus der Sicht ex ante das Vorliegen eines Angriffs auf Grund hinreichender Anhaltspunkte für sicher halten würde, auch wenn sich ex post herausstellt, dass ein Angriff in Wirklichkeit nicht vorlag.239 Denn auch in dieser Sachlage ist der Polizeiträger B gegenüber dem Rechtsinhaber A bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten zum Schutz privater Rechte dazu verpflichtet, eine (fiktive) Grundverfügung gegen den Anscheinsangreifer C durchzusetzen. Die im Strafrecht vorherrschende Meinung240 spricht sich demgegenüber dafür aus, das Vorliegen einer notwehrspezifischen Abwehrlage aus einer objektiven ex-post-Perspektive zu beurteilen, was bedeutet, dass die Grundsituation der Notwehr nicht gegeben sein soll, wenn sich der präsumtive Angreifer C im Nachhinein als Anscheinsstörer entpuppt. Aus rechtspragmatischer Perspektive 236 Vgl. zu der den „personifizierten Gefahrbegriff“ verkörpernden „fiktiven Urteils person“ auch Demuth, Der normative Gefahrbegriff, S. 73 ff.; vgl. dazu auch Pawlik, Notstand, S. 174 f.; Freund, Strafrecht AT, § 3 Rn. 11; Barnert, Der eingebildete Dritte, S. 7 ff., 113 ff. 237 Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 306; s. zur Anwendung des Rechtsgedankens des § 166 Abs. 1 BGB im Verwaltungsrecht etwa Henning, Wissenszurechnung im Verwaltungsrecht, S. 95 ff., 163 ff. sowie Augsberg, Informationsverwaltungsrecht, S. 111. 238 So im Ergebnis auch Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 424 ff.; Herzberg, JZ 1987, 536, 539 ff.; Kaufmann, FS Welzel, S. 401; Walther, JZ 2003, 52, 53 ff.; Rudolphi, GS Schröder, S. 81 f.; Pawlik, Notstand, S. 306 mit Fn. 110; Wehr, Rechtspflichten, S. 297. 239 S. zum Begriff der Anscheinsgefahr etwa Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht, § 5 Rn. 282; Lisken/Denninger/Rachor, Handbuch des Polizeirechts, M 42; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 169 ff.; Pieroth/Schlink/ Kniesel, POR, § 9 Rn. 21. 240 S. statt aller MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 62; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 12; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 21; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 94; NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 26 f. (jeweils m. w. N.). – S. für einen Überblick über den Streitstand etwa LK/Rönnau/ Hohn, StGB, § 32 Rn. 94 ff.
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ist gegen diesen Lösungsansatz einzuwenden, dass eine ex-post-Betrachtung in notwehrspezifischen Abwehrlagen auf einen praktischen Verzicht „auf eine umsetzbare Verhaltensrichtlinie“241 hinausläuft und dementsprechend den abwehrwilligen Bürger A bzw. D „einem unkalkulierbaren Prognoserisiko“242 aussetzt.243 Vor allem aber spricht gegen die Wahl einer ex-post-Perspektive im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB, dass es bei der Notwehrübung um die Wahrnehmung eines für den Bürger A bzw. D fremden Vollstreckungsgeschäfts des Polizeiträgers B geht, welches, wie soeben dargelegt wurde, bereits dann vorliegt, wenn aus der ex-ante-Perspektive eines pflichtgetreuen Polizisten P die Voraussetzungen für die Vollstreckung einer Grundverfügung gegen den (präsumtiven) Angreifer C gegeben sind. Vor diesem Hintergrund ist die Wahl einer „objektiven“ ex-ante-Perspektive im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB nicht nur ein Postulat juristischer Pragmatik, sondern vor allem ein Gebot dogmatisch-konstruktiver Konsequenz. Darüber hinaus gelingt durch das Abstellen auf den hypothetischen Wissenshorizont (eines verständigen Repräsentanten P) des Polizeiträgers B auch eine angemessene Verteilung der Prognose- und Irrtumsrisiken.244 c) Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Grundsituation der Notwehr gegeben ist, wenn aus der ex-ante-Perspektive (eines Repräsentanten P) des Polizeiträgers B die Voraussetzungen für die Vollstreckung einer (fiktiven) Polizeiverfügung gegen einen (präsumtiven) Angreifer C erfüllt sind, weil der Polizeiträger B dann gegenüber dem Angegriffenen A zur Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Bürger C als Vollstreckungsgegner verpflichtet ist. Dementsprechend muss das Auge des Bürgers auch im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB gewissermaßen zum „Auge des Gesetzes“ werden.245 2. Das Ob der Notwehr Als Nächstes soll nun die Frage nach dem Ob der Notwehr genauer beleuchtet werden – oder in klassischer Terminologie: die Frage nach der Subsidiarität der Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 426 (ohne die Hervorhebung des Originals). So Pawlik, Notstand, S. 171 (zur Parallelproblematik beim Notstand). 243 Treffend Herzberg, JZ 1987, 536, 541: „Soll man, um kein Unrecht zu tun, etwa abwarten, bis man rückblickend so oder so Gewißheit hat?“ Vgl. ferner auch Walther, JZ 2003, 52, 53. 244 Vgl. auch Pawlik, Notstand, S. 171 ff. 245 Vgl. dazu auch die obigen Ausführungen sub § 3 A III 1, S. 42 f. zu der parallelen Problemstellung im Rahmen von § 127 Abs. 1 S. 1 StPO. 241
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B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Notwehr. Dabei geht es in der Sache um Konstellationen, in denen hilfsbereite Bürger und Polizisten bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr aufeinandertreffen, was die Frage aufwirft, welche Rangfolge für das Tätigwerden der Anwesenden gilt. Die herrschende Auffassung246 beantwortet die Frage dahin, dass in Kollisionslagen prinzipiell dem regulären Staatspersonal der Vorrang vor dem Bürger gebühre, weil das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB subsidiären Charakter habe. Auffällig ist indessen, dass kaum je eine präzise dogmatische Herleitung des Subsidiaritätsgedankens erfolgt.247 Vielmehr begnügt sich die herrschende Meinung regelmäßig mit einem pauschalen Rekurs auf das „staatliche Gewaltmonopol“ oder mit einem kurzen Hinweis auf den „Rechtsbewährungsgedanken“.248 So wird etwa darauf verwiesen, dass die Notrechte der Bürger „als Ausnahmen vom staatlichen Gewaltmonopol unter dem Vorbehalt der Unerreichbarkeit staatlicher Hilfe“249 stünden. Oder es wird angeführt, dass das Zurücktreten des Notwehrrechts in Kollisionslagen „gerade auch sub specie Rechtsbewährungsprinzip“250 angezeigt sei. Nicht weniger dunkel ist der Verweis darauf, dass das Tätigwerden des Bürgers neben dem Staatspersonal eine rechtswidrige „Kompetenzverwischung“ darstelle, durch welche „die staatliche Zuständigkeit für die organisierte Abwehr in Frage“251 gestellt werde. a) Der Wille des Geschäftsherrn als Maßstab für das Ob der Notwehr Will man den Subsidiaritätsgedanken auf ein solides dogmatisches Fundament stellen, dann gilt es sich zunächst noch einmal zu vergegenwärtigen, dass das gesetzliche Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise dazu dient, die Rechtslücke zu füllen, die dadurch entsteht, dass es im Falle eines staatlichen Kraftdefizits bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr nicht immer möglich oder tunlich ist, den Bürger A bzw. D durch einen akustischen Hilferuf in die Staatsaufgabenerfüllung einzuschalten. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine Berufung des Bürgers A bzw. D auf das gesetzliche Notwehrrecht nur in Betracht kommt, wenn bei Vorliegen der Ausgangssituation der §§ 227 BGB, 32 StGB ein Tätigwerden des Bürgers A bzw. D „für“ den Polizeiträger B zwar dessen (präsumtiven) Willen 246
S. die Nachweise auf S. 73 in Fn. 204. Das bemängeln etwa auch Haas, Notwehr, S. 289; Engländer, Nothilfe, S. 159; Pelz, NStZ 1995, 305. 248 S. exemplarisch etwa Geilen, Jura 1981, 308, 316: „Gerade dem Rechtsbewährungs gedanken und dem dem Staat gebührenden Gewaltmonopol entspricht der […] subsidiäre Charakter der privaten Notwehr.“ 249 Amelung, JuS 1986, 329, 332. 250 Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 41. 251 Jakobs, Strafrecht AT, 12/45. 247
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entspricht, aber eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers A bzw. D in die Staatsaufgabenerfüllung aus faktischen Gründen ausscheidet. Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 678 BGB geht es an dieser Stelle also um die Klärung der Frage, ob der Polizeiträger B dem Bürger A bzw. D bei Vorliegen der Ausgangssituation der Notwehr hypothetisch die Worte (1) „Bitte hilf mir!“ oder (2) „Hilf mir nicht!“ zugerufen hätte. Oder um es in Anknüpfung an den Wortlaut der §§ 227 BGB, 32 StGB zu sagen: Wenn bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr nicht von einem – fiktiven – Hilferuf des Staates B an den Bürger A bzw. D auszugehen ist, dann ist eine Notgeschäftsführung des Bürgers A bzw. D „für“ den Staat B auf Grundlage des Notwehrrechts nicht „geboten“, sondern „verboten“. Denn dann lautet das – fiktive – an den Bürger A bzw. D adressierte Gebot des Geschäftsherrn B: „Unterlasse die Geschäftsführung!“ Das heißt, nach der hier vertretenen Auffassung ist der Subsidiaritätsgedanke im Begriff der „Gebotenheit“ in §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 StGB zu verankern.252 Dabei lassen sich an dieser Stelle in typologisch-kategorialer Hinsicht zwei Konstellationen voneinander unterscheiden: (1) Berechtigte Notgeschäftsführung Die Übernahme der Notgeschäftsführung ist nach dem Geschäftsherrnwillen „geboten“ im Sinne von §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 StGB, wenn der Geschäftsherr B dem hilfswilligen Bürger A bzw. D im Falle des Vorliegens der Grundsituation der Notwehr hypothetisch die Worte „Bitte hilf mir bei der Erfüllung der Vollstreckungsaufgabe!“ zugerufen hätte, wodurch er dem Bürger A bzw. D implizit das Recht zur Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts gegen den Angreifer C eingeräumt hätte, sodass von einer berechtigten Übernahme der Notgeschäftsführung auszugehen ist.253
252 Dafür auch Béguelin, GA 2013, 473, 483; Burr, JR 1996, 230, 232; Himmelreich, NJW 1966, 733; ders., GA 1966, 129, 132; ders., MDR 1967, 361, 362; Kohlrausch/Lange, Strafgesetzbuch, S. 204; AG Bensberg, NJW 1966, 733, 735; differenzierend Sengbusch, Subsidiarität, S. 266 ff., 272 ff., der den Subsidiaritätsgedanken zumindest dann im Begriff der Gebotenheit verankern will, wenn einem Bürger und einem Polizisten gleich milde Abwehrmittel zur Verfügung stehen. 253 Vgl. zum entsprechenden Sprachgebrauch bei der Geschäftsführung ohne Auftrag etwa Deppenkemper, Negotiorum gestio, S. 642 f. (zu Art. 422 Abs. 1 des schweizerischen Obligationenrechts): „Die echte, berechtigte Fremdgeschäftsführung ohne Auftrag setzt eine gebotene Geschäftsübernahme voraus. Die (altruistische) neg. gest. muss objektiv willensbzw. interessegemäß sein. Ist sie es, ist sie als geboten berechtigt, sonst ist sie unberechtigt. […] Diese ‚Gebotenheit‘ gilt heute als Kern der Fremdgeschäftsbesorgung.“ (Hervorhebung im Original.)
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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(2) Unberechtigte Notgeschäftsführung Dagegen ist die Übernahme der Notgeschäftsführung nach dem Geschäftsherrnwillen nicht „geboten“ im Sinne von §§ 227 Abs. 1, 32 Abs. 1 StGB, sondern vielmehr „verboten“, wenn der Geschäftsherr B dem Bürger A bzw. D hypothetisch die Worte „Unterlasse die Notgeschäftsführung!“ zugerufen hätte, wobei mit einer unberechtigten Übernahme der Notgeschäftsführung einhergeht, dass sich der Bürger A bzw. D gegen den Willen des Geschäftsherrn B in dessen Angelegenheiten einmischt. b) Einwände gegen den herkömmlichen Lösungsansatz Wie soeben dargelegt wurde, ist nach der hier vertretenen Auffassung zur Lösung der Subsidiaritätsfrage an den Begriff der „Gebotenheit“ anzuknüpfen. Demgegenüber will die überwiegende Meinung das Subsidiaritätsproblem über das Erforderlichkeitskriterium in §§ 227 Abs. 2 BGB, 32 Abs. 2 StGB lösen.254 Die methodische Bedenklichkeit dieses Ansatzes sei anhand eines von Engländer gebildeten Beispiels demonstriert: „Bei einer in Gewalttätigkeiten ausartenden Demonstration prügelt der körperlich überlegene [C] auf den hilflosen [A] ein. Sowohl der Polizist P als auch der zufällig anwesende Passant [D] stehen zur Verteidigung des [A] bereit. Beide können den Angriff des [C] durch einen gezielten Faustschlag sofort und endgültig beenden.“255
Hier verletzt der Bürger C fortlaufend seine Achtungspflicht gegenüber dem subjektiven Recht des Bürgers A an seinem Körper, indem er ohne dessen Zustimmung auf ihn einprügelt, weshalb dem Bürger A negatorische Beseitigungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) zur Abwehr von gegenwärtigen Rechtsverletzungen und vorbeugende Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zur Abwehr von künftig drohenden Rechtverletzungen zustehen. Wegen des zu unterstellenden negatorischen Willens des Anspruchsinhabers A ist in dem Beispielsfall ferner auch die Geltendmachung der negatorischen Abwehrrechte zu präsumieren, sodass der Angreifer C durch die körperliche Attacke permanent einem gedachten Befehl des angegriffenen Rechtsinhaber A zuwiderhandelt (A → C: „Beende den Angriff!“). Weiter ist in 254 Dafür etwa Fischer, StGB, § 32 Rn. 35; Frister, Strafrecht AT, 16/24; Geilen, Jura 1981, 308, 316; Kinzig, ZStW 115 (2003), 791, 807; Klose, ZStW 89 (1977), 61, 72 in Fn. 26; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 119 ff.; Kunz, ZStW 95 (1983), 973, 976; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 11a; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 183; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 145; ders., FS Nehm, S. 181 ff.; NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 95; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 50; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 391 f.; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 41; Seelmann, ZStW 89 (1977), 36, 58; Suppert, Notwehr, S. 283 f.; H. Wagner, Notwehrbegründung, S. 61. 255 Engländer, Nothilfe, S. 164 f. (Die zur Bezeichnung der Beteiligten verwendeten Buchstaben wurden der hiesigen Nomenklatur angepasst.)
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der vorliegenden Konstellation auch von einer Erhebung des Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten durch den Bürger A auszugehen (A → B), sodass der Polizeiträger B dem Angegriffenen A gegenüber zur Vollstreckung eines hypothetischen Polizeibefehls gegen den Angreifer C (B → C: „Beende den Angriff!“) verpflichtet ist. Wenn nun aber die Abwehrmittel des Passanten D und des Polizisten P in ihrer schädigenden Wirkung für den Angreifer C völlig identisch sind, ist der Passant D dann auf Grundlage des Notwehrrechts zum Tätigwerden berechtigt? Will man das Problem mit Hilfe des Erforderlichkeitskriteriums in „klassischer“ Lesart lösen, dann lässt sich eine Subsidiarität des Notwehrrechts in der vorliegenden Konstellation nicht begründen, weil dem Polizisten P keine milderen Mittel zur Angriffsabwehr zur Verfügung stehen als dem Passanten D.256 Die überwiegende Auffassung im Schrifttum verneint hier gleichwohl die „Erforderlichkeit“ der Notwehr und erklärt es kurzerhand für unerheblich, ob die Vollstreckungsmittel des regulären Staatspersonals milder sind als diejenigen des Notwehrübenden oder ob sie in dieser Hinsicht gleichwertig sind.257 Das heißt, in Kollisionsfällen soll „die sachliche Rechtfertigung der Subsidiarität – Zurückdrängung von Privatgewalt, Rechtsbewährung in erster Linie durch den Staat – […] die Auslegung des Erforderlichkeitsmerkmals“ beeinflussen.258 Durch diese methodische Vorgehensweise wird das Erforderlichkeitskriterium indessen nicht nur „arg strapaziert“259. Vielmehr wird es in der Sache als Kollisionsklausel verwendet, wodurch der Blick dafür verstellt wird, dass es hier in Wahrheit nicht um die Wahl des richtigen Vollstreckungsmittels, sondern um die Rangfolge der Wahrnehmungsberechtigungen geht.260 Allerdings ist die Lö256 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 120: „Als nicht erforderlich kann […] eine Verteidigungshandlung […] nur bezeichnet werden, wenn die obrigkeitliche Hilfe ‚anwesend‘ ist und den Angriff mit milderen Mitteln stoppen kann […].“ In diesem Sinne auch Sengbusch, Subsidiarität, S. 267: „Das Merkmal der Erforderlichkeit sagt nur, dass bei gleicher Eignung die mildeste aller möglichen Verteidigungsalternativen gewählt werden muss, um eine größtmögliche Schonung des Angreifers zu gewährleisten. Dieser Notwehrvoraussetzung kann nicht entnommen werden, warum bei einem Zusammentreffen von mehreren gleich geeigneten und den Angreifer im gleichen Maße schädigenden Verteidigungsmöglichkeiten eine bestimmte zugunsten einer anderen zurücktreten soll.“ Vgl. ferner auch Béguelin, GA 2013, 473, 482 f.; Bitzilekis, Einschränkung, S. 76; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 11a; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 86; Suppert, Notwehr, S. 283 f.; Erb, FS Nehm, S. 189; Fischer, StGB, § 32 Rn. 35; Rudolphi, GS Schröder, S. 391 f. 257 Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 41; Engländer, Nothilfe, S. 163 ff.; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 148; ders., FS Nehm, S. 189; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 121; Lackner/Kühl/ Kühl, StGB, § 32 Rn. 11a; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 391 f. 258 Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 121. 259 Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 121. 260 Gegen die Lösung des Kollisionsproblems mittels des Erforderlichkeitskriteriums
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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sung der herrschenden Lehre nicht nur wegen ihrer methodischen „Unaufrichtigkeit“261 zu kritisieren. Schwerer wiegt, dass die von der tradierten Doktrin für das Zurücktreten des Notwehrrechts angeführten Begründungen sich weitestgehend in pauschalen Rekursen auf das „staatliche Gewaltmonopol“ erschöpfen: „das (sonst durchbrochene) staatliche Gewaltmonopol“262 , „Notrechte als Ausnahmen vom staatlichen Gewaltmonopol“263, „Begrenzung der Notwehr befugnis durch das staatliche Gewaltmonopol“264, „[d]ie Jedermann-Rechte des § 32 StGB […] als Ausnahmetatbestände vom staatlichen Gewaltmonopol“265, „das staatliche Gewaltmonopol als immanente Schranke der Notwehr“266, „Notwehr als Ausnahme vom staatlichen Gewalt- und Justizmonopol“267 usw. Mag der Verweis auf das „staatliche Gewaltmonopol“ auch in die richtige Richtung deuten, so scheitert eine normativ tragfähige Herleitung des Subsidiaritätsgedankens doch daran, dass der Gewaltmonopolgedanke nach tradierter Lesart nicht dahin verstanden wird, dass dem Staat ein Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zusteht. Geht man dagegen mit der hiesigen Konzeption davon aus, dass der Staat dem Bürger durch das gesetzliche Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB für „Ausnahmesituationen“268 das Dürfen und Können einräumt, das Nutzungsrecht „aus“ seinem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang als prokuratorischer Vertreter des Staates auszuüben, dann lässt sich der Subsidiaritätsgedanke zwangslos aus dem Zweck der Einräumung des Notvertretungsrechts ableiten. Denn bei funktional-teleologischer Auslegung ist die Rechtseinräumung so zu verstehen ist, dass der Staat dem Bürger durch das Notwehrrecht keine weitergehenden Vertretungsrechte gewähren will, als es die „Ergänzungsfunktion“269 des Notwehrrechts erfordert.270 wenden sich auch Béguelin, GA 2013, 473, 482 f.; Himmelreich, NJW 1966, 733; ders., GA 1966, 129, 132; ders., MDR 1967, 361, 362; Jakobs, Strafrecht AT, 12/45; Lagodny, GA 1991, 300, 309; Lesch, Notwehrrecht, S. 62; ders., FS Dahs, S. 112; Müssig, ZStW 115 (2003), 224, 246 f.; Pawlik, ZStW 114 (2002), 259, 270; ders., Das Unrecht des Bürgers, S. 244 mit Fn. 538; ders., Notstand, S. 228 mit Fn. 213; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 88 f. 261 W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 88. 262 Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 121. 263 Amelung, JuS 1986, 329, 332. 264 Burr, JR 1996, 230, 231. 265 Schulte, DVBl 1993, 130, 133. 266 Sengbusch, Subsidiarität, S. 273. 267 Klose, ZStW 89 (1977), 61, 72 in Fn. 26. 268 Merten, Gewaltmonopol, S. 57; Krölls, NVwZ 1999, 233, 234; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 220. 269 Begriff von LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 70; s. auch Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 244. 270 Nur am Rande sei angemerkt, dass das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB entgegen einem verbreiteten Sprachgebrauch aus juristischer Perspektive keineswegs eine „Aus-
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Vor diesem Hintergrund wird ferner deutlich, weshalb das Zurücktreten des Notwehrrechts in Kollisionsfällen „gerade auch sub specie Rechtsbewährungsprinzip“271 angezeigt ist. Versteht man nämlich den Rechtsbewährungsgedanken mit der hiesigen Konzeption dahin, dass der Bürger als subsidiärer Notgeschäftsführer dem Staat bei der Erfüllung einer Vollstreckungsaufgabe helfen darf und kann, dann lässt sich das Schlagwort „Rechtsbewährung in erster Linie durch den Staat“272 dahin umformulieren, dass es dem präsumtiven Willen des Staates als des Geschäftsherrn entspricht, dass staatliche Vollstreckungsaufgaben in erster Linie von dem regulären Staatspersonal wahrgenommen werden. Dieser Gedanke aber lässt sich, wie bereits ausgeführt, dogmatisch stringent im Begriff der „Gebotenheit“ in §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 StGB verankern.273 Dementsprechend ist in dem obigen Beispielsfall nach hiesiger Auffassung die „Gebotenheit“ der Notwehr bzw. das Ob der Notgeschäftsführung durch den Passanten D zu verneinen, weil die Kräfte des Polizisten P in der konkreten Situation für die effektive Erfüllung der Vollstreckungsaufgabe des Staates ausreichen. Das heißt, der hilfsbereite Passant D ist hier deshalb nicht zum Tätigwerden berechtigt, weil der (präsumtive) Wille des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn dahin geht, dass polizeiliche Vollstreckungsgeschäfte vorrangig von den für die Zwecke einer rechtsstaatlichen Gefahrenabwehr ausgebildeten und auf den Posten gestellten Dienstkräften der Polizei besorgt werden. Denkt man den Stellvertretergedanken („Statthalter der Rechtsordnung“, „pro magistratu“, „Rolle des Polizisten“ usw.) dogmatisch zu Ende, dann geht es bei der Frage nach der Subsidiarität des Notwehrrechts also keineswegs darum, die Bürger und den Staat (als die gemeinsame Sache aller Bürger) antagonistisch gegeneinander auszuspielen. Vielmehr geht es um die Frage, in welchen Sachlagen der Staat zur effektiven Erfüllung einer staatlichen Vollstreckungsnahme vom staatlichen Gewaltmonopol“ darstellt – und zwar schon deshalb nicht, weil es für die rechtliche Betrachtung überhaupt kein „staatliches Gewaltmonopol“ im wörtlichen Sinne gibt. Vielmehr bezieht sich das staatliche Monopol, wie oben sub § 2 A, S. 8 ff. ausführlich dargelegt wurde, auf die legitime physische Gewalt, was unter juristischen Gesichtspunkten bedeutet, dass dem Staat ein Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zusteht. Bei genauer Betrachtungsweise liegt der exzeptionelle Charakter des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB dementsprechend darin begründet, dass dem Bürger durch diese gesetzliche Regelung von Seiten des Staates ausnahmsweise das prokuratorische Dürfen und Können verliehen wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang in Notsituationen als Ersatzmann an Stelle des eigentlich vorrangig dazu berufenen Staatspersonals auszuüben. 271 Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 41. 272 Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 121. 273 S. dazu oben sub § 3 B II 2 a, S. 87 f. mit Fn. 253.
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aufgabe auf den Bürger als Aushilfskraft zurückgreifen will. Dementsprechend betrifft das Subsidiaritätsproblem auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption nicht das Konkurrenzverhältnis Bürger vs. Staat, sondern das Konkurrenzverhältnis Bürger vs. Polizist. Nach hiesiger Auffassung geht es bei der Frage nach der Subsidiarität der Notwehr also nicht um einen „Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr“274, sondern um einen Vorrang des regulären Staatspersonals vor dem Bürger bei der Wahrnehmung von staatlichen Gefahrenabwehraufgaben. c) Die unberechtigte Einmischung in einen Polizeieinsatz Wie aber ist vor diesem Hintergrund die Konstellation zu bewerten, dass ein Bürger im Alleingang ein laufendes Polizeimanöver durchkreuzt? Um diese Problemstellung näher zu beleuchten, sei auf ein von Erb gebildetes Beispiel zurückgegriffen, wobei unterstellt werden soll, dass das polizeiliche Vorgehen in dieser Konstellation rechtmäßig ist: „Geiselnehmer [C] droht mit der Ermordung seiner Geisel [A]. Weil die Polizei hofft, ihn durch Verhandlungen zur Aufgabe bewegen zu können, verzichtet sie vorläufig auf einen ‚finalen Rettungsschuss‘, obwohl dieser leicht zu realisieren wäre, da [C] sich immer wieder am offenen Fenster zeigt. Der im Nachbarhaus wohnende [D], der über ein Großkaliber-Präzisionsgewehr verfügt und ein sicherer Schütze ist, beendet die Geiselnahme, indem er [C] durch einen Kopfschuss tötet.“275
Mit Blick auf die normativen Strukturen gilt es in dem Beispielsfall zunächst zu sehen, dass der Geiselnehmer C durch die Geiselnahme fortlaufend seine Achtungspflicht gegenüber den subjektiven Rechtspositionen seiner Geisel A verletzte, weshalb der Geisel A gegen den Angreifer C sowohl Beseitigungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) zur Abwehr gegenwärtiger Rechtsverletzungen als auch ein Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zur Abwehr drohender Rechtsverletzungen zustanden. Dabei ist wegen des (präsumtiven) negatorischen Willens der Geisel A auch die Erhebung der negatorischen Abwehrrechte in der vorliegenden Konstellation zu unterstellen (A → C: „Beende den Angriff!“). Weiter ist in der vorliegenden Konstellation auch davon auszugehen, dass die Geisel A ihren Anspruch auf polizeiliches Einschreiten (A → B) gegen den Polizeiträger B geltend machen wollte, weshalb der Polizeiträger B hier der Geisel A gegenüber zum Einschreiten gegen den Geiselnehmer C verpflichtet war. Dabei war der Polizeiträger B grundsätzlich auch dazu berechtigt, eine (fiktive) Grundverfügung gegen den Angreifer C So aber etwa Engländer, Nothilfe, S. 154 sowie Sengbusch, Subsidiarität, S. 267. Erb, FS Nehm, S. 182. (Die zur Bezeichnung der Beteiligten verwendeten Buchstaben wurden der hiesigen Nomenklatur angepasst.) 274
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(B → C: „Beende den Angriff!“276) durch einen gezielten Todesschuss zu vollstrecken. Allerdings hat sich der Polizeiträger B vorerst dafür entschieden, den Geiselnehmer C durch Verhandlungen zur Aufgabe zu bewegen, wobei er sich im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens bewegt hat. Doch wie ist vor diesem Hintergrund der Kopfschuss des Alleingängers D bewerten: War sein Vorgehen von dem Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB gedeckt? Auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie ist diese Frage zu verneinen, weil das Tätigwerden des Bürgers D im Widerspruch zum (präsumtiven) Willen des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn stand, sodass Notwehr in der hier gegebenen Sachlage nicht „geboten“, sondern vielmehr „verboten“ war.277 Dabei spielt es nach hiesiger Auffassung keine Rolle, ob das polizeiliche Vorgehen in der konkreten Situation weniger effektiv oder mit einem größeren Fehlschlagsrisiko behaftet war als ein gezielter Todesschuss durch den Alleingänger D. Entscheidend ist allein, dass der Geschäftsherr B dem Bürger D in der vorliegenden Sachlage hypothetisch die Worte „Hilf mir nicht!“ bzw. „Unterlasse die Geschäftsführung!“ zugerufen hätte.278 Dementsprechend hat der Alleingänger D in dem obigen Beispielsfall nicht „im Sinne der Rechtsgemeinschaft“ gehandelt, was bedeutet, dass sich der Geschäftsherr B „einer unwillkommenen und unberechtigten Einmischung in seine Sphäre ausgesetzt“ gesehen hat.279 Damit korrespondiert, dass dem Alleingänger D vorliegend nicht durch das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB das Dürfen und Können verliehen wurde, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Vollstreckung einer (fiktiven) Polizeiverfügung auszuüben. Vor diesem Hintergrund hat der Bürger D durch die gleichwohl erfolgte Übernahme der Geschäftsführung eine 276 Vgl. zum Inhalt der (fiktiven) Grundverfügung in derartigen Konstellationen auch ieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 24 Rn. 39: „Der unmittelbaren Zwangsanwendung durch P einen gezielten Todesschuß liegt das auf die Generalklausel gestützte Gebot zugrunde, die Geisel freizulassen.“ 277 So im Ergebnis auch Béguelin, GA 2013, 473, 482 f.; Haas, Notwehr, S. 300 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 12/45; Pawlik, Notstand, S. 227 f.; Lagodny, GA 1991, 300, 309; Lesch, Notwehrrecht, S. 62; ders., FS Dahs, S. 112; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 88 f. 278 Vgl. auch Pawlik, Notstand, S. 227 f.: „Wenn der zuständige Amtsträger eine an den für ihn geltenden rechtlichen Vorgaben orientierte Entscheidung über das Ob (und gegebenenfalls über das Wie) seines Eingreifens getroffen hat, ist für ein Tätigwerden von Privatpersonen rechtlich kein Raum mehr. In solchen Fällen sind weder die Regelungen über den Notstand noch diejenigen über die Notwehr anwendbar […].“ 279 S. für diese Zitate Schoch, Die Verwaltung 38 (2005), 91, 94: „Handelt der Geschäftsführer im Sinn der Rechtsgemeinschaft, ist er zu sichern (§§ 683–686 BGB); sieht sich hingegen der Geschäftsherr einer unwillkommenen und unberechtigten Einmischung in seine Sphäre ausgesetzt, gebührt der Schutz ihm.“
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öffentlich-rechtliche Unterlassungspflicht verletzt, sodass ein Fall einer unberechtigten Notgeschäftsführung vorliegt (vgl. § 678 BGB).280 Damit ist zugleich gesagt, dass der Alleingänger D hier seinerseits zum Angreifer geworden ist, indem er ohne Berechtigung den Rechtskreis des Geiselnehmers C angegriffen hat. Das impliziert, dass dem Geiselnehmer C hier ein vorbeugender Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) an die Hand gegeben war, mit welchem er den drohenden Eingriff in seine Rechtssphäre von Seiten des Alleingängers D abwehren konnte. Damit korrespondiert, dass der Alleingänger D den Geiselnehmer C durch den Kopfschuss rechtswidrig an dessen Rechtsgütern geschädigt hat, wobei ihm insoweit bei normativer Betrachtungsweise auch Vorsatz zur Last fällt. Darüber hinaus hat der Alleingänger D auch schuldhaft im strafrechtlichen Sinne gehandelt, weshalb er sich wegen eines vollendeten Vorsatzdelikts strafbar gemacht hat.281 Die Verfechter der Gegenauffassung lehren indessen, dass das Vorgehen des Alleingängers D vom Notwehrrecht gedeckt sei, weil er „das notwehrrechtlich Erforderliche“ getan habe.282 Die „Erforderlichkeit“ der Notwehr entfalle nach allgemeinen Grundsätzen nämlich nur, wenn „die staatliche Gefahrenabwehr eine mindestens ebenso schnelle und sichere Abwendung des Angriffs“ gewährleiste.283 Dagegen fehle es für eine weitergehende Einschränkung des Notwehrrechts an einem Anknüpfungspunkt im Gesetz.284 Deshalb handele es sich bei dem Subsidiaritätsgedanken um „eine von außen und unter Rückgriff auf das staatliche Gewaltmonopol an die Notwehr herangetragene“ Schranke, welche das Notwehrrecht des Bürgers aus §§ 227 BGB, 32 StGB contra legem limitiere.285 Dieser Auffassung ist darin beizupflichten, dass sich ein Zurücktreten des Notwehrrechts in dieser Konstellation nicht aus dem Erforderlichkeitskriterium ableiten lässt.286 Auch ist der Subsidiaritätsgedanke, wenn man der herkömmli280 S. zur unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag etwa Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, § 678 Rn. 1 ff.; MK/Seiler, BGB, § 678 Rn. 1 ff.; HK/Schulze, BGB, § 678 Rn. 1 ff. 281 Welche Straftatbestände hier im Einzelnen verwirklicht wurden, kann für die Zwecke der vorliegenden Arbeit dahinstehen. 282 Erb, FS Nehm, S. 183; ebenso MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 148; Seebode, FS Krause, S. 386 ff.; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 41; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 391 f.; Fischer, StGB, § 32 Rn. 35; Sengbusch, Subsidiarität, S. 274, 278. 283 MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 148; so auch ders., FS Nehm, S. 189; Seebode, FS Krause, S. 386 ff.; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 391 f.; Fischer, StGB, § 32 Rn. 35; Sengbusch, Subsidiarität, S. 274, 278. 284 Seebode, FS Krause, S. 387 ff.; Erb, FS Nehm, S. 183; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 148; Fischer, StGB, § 32 Rn. 35. 285 Seebode, FS Krause, S. 387; ähnlich Erb, FS Nehm, S. 183 mit Fn. 6 sowie Fischer, StGB, § 32 Rn. 35. 286 Näher dazu oben sub § 3 B II 2 b, S. 89 ff.
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chen Argumentationslinie folgt, in der Tat „eine von außen unter Rückgriff auf das staatliche Gewaltmonopol an die Notwehr herangetragene“ Schranke.287 Allerdings verfängt dieser Einwand nicht, wenn man mit der hiesigen Konzeption davon ausgeht, dass das Notwehrrecht dem Bürger von Seiten des Staates von vornherein nur für solche Ausnahmesituationen eingeräumt wurde, in denen ein Tätigwerden des Bürgers „für“ den Staat zwar dessen (präsumtiven) Willen entspricht (vgl. § 678 BGB), aber eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenwahrnehmung aus faktischen Gründen ausscheidet. Denn dann stellt sich der Subsidiaritätsgedanke keineswegs als „externe“, sondern als „immanente“ Schranke des Notwehrrechts dar.288 Auch fehlt es keineswegs an einem gesetzlichen Anknüpfungspunkt für den Subsidiaritätsgedanken. Vielmehr lässt sich dieser Gedanke, wie oben gezeigt wurde289, über das Kriterium des Geschäftsherrnwillens ohne dogmatische Friktionen im Merkmal der „Gebotenheit“ in §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 BGB verankern. Im Ergebnis vermag die Gegenauffassung daher nicht zu überzeugen. d) Die berechtigte Ergänzung eines Polizeieinsatzes Abzugrenzen ist das soeben behandelte Problem der unberechtigten „Einmischung von außen in einen laufenden Polizeieinsatz“290 von der berechtigten Ergänzung eines laufenden Polizeieinsatzes „von innen her“. Um die Ergänzungskonstellation anhand eines konkreten Beispiels zu veranschaulichen: C1 und C2 gehen auf A los, um ihm körperlichen Schaden zuzufügen. A ruft laut um Hilfe, woraufhin die in einer Nebenstraße patrouillierenden Polizisten P1 und P2 hinzueilen. P1 ruft C1 und C2 die Worte „Beenden Sie den Angriff!“ zu. Gleichwohl gehen die beiden weiter auf A zu. Während es P1 gelingt, C1 zu überwältigen und am Boden zu fixieren, wird P2 von C2 mit einem Messer niedergestochen. Kurz bevor C2 auf den A einstechen kann, schaltet ihn der hinzueilende Passant D mit einem Faustschlag aus.
Hier dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass das Handeln des hinzueilenden Passanten D im Ergebnis vom Notwehrrecht gedeckt ist.291 Was aber ist die genaue juristische Begründung dafür, dass hier das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zur Anwendung kommt? Um eine präzise Antwort auf diese Frage zu geben, sei der Blick zunächst auf die juristischen Strukturen gelenkt: Wenn die Bürger C1 und C2 sich anschicken, unter Verletzung ihrer Achtungs287 Vgl. zur Kritik an der herkömmlichen Herleitung des Subsidiaritätsgedankens auch die obigen Ausführungen sub § 3 B II 2 b, S. 90 ff. 288 Im Ergebnis ähnlich Lagodny, GA 1991, 300, 309 ff. sowie Haas, Notwehr, S. 301. 289 S. sub § 3 B II 2 a, S. 87 f. mit Fn. 253. 290 MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 149. 291 Vgl. nur Lesch, Notwehrrecht, S. 65; Erb, FS Nehm, S. 181; Seebode, FS Krause, S. 386 ff.; Rudolphi, GS Kaufmann, S. 391 f.; Sengbusch, Subsidiarität, S. 274.
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pflicht in den Rechtskreis des Bürgers A einzudringen, dann steht dem angegriffenen Bürger A sowohl gegen den Bürger C1 als auch gegen den Bürger C2 ein vorbeugender Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zu, wobei hier in dem von dem Bürger A ausgesendeten Hilferuf eine konkludente Anspruchserhebung zu sehen ist (A → C1/C2: „Beende den Angriff!“). Darüber hinaus hat der Bürger A durch seinen Hilferuf auch ausdrücklich seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B erhoben (A → B: „Schreite gegen C1 und C2 ein!“), weshalb der Polizeiträger B dem Bürger A zur Durchsetzung einer (fiktiven) Polizeiverfügung gegen die Bürger C1 und C2 verpflichtet war. Weiter gilt es zu sehen, dass der Polizeiträger B den Angreifern C1 und C2 in der vorliegenden Fallgestaltung per Polizeiverfügung die Angriffsbeendigung aufgegeben hat, weil die von dem Polizisten P1 im Namen des Polizeiträgers B abgegebene Willenserklärung diesem als eigene Willenserklärung zuzurechnen ist, was bedeutet, dass in der Welt des Rechts nach außen hin allein die Stimme der Polizei ertönt (B → C1/C2: „Beenden Sie den Angriff!“). Da C1 und C2 den Polizeibefehl nicht befolgt haben, hat der Poli zeiträger B die Grundverfügung gegen den Angreifer C1 hier durch sein Vollzugsorgan mittels des Polizisten P1 vollstreckt (P1 → B → C1). Dagegen wurde der Vollstreckungsbeamte P2 bei der Vornahme seiner Diensthandlung (P2 → B) von dem Angreifer C2 niedergestochen (C2 → P2). Hat man die Struktur des Falles so weit offengelegt, dann wird deutlich, dass der Grund für das Eingreifen des Notwehrrechts in dieser Situation darin liegt, dass (1) die physische Kraft des regulären Vollstreckungspersonals des Staates in der konkreten Situation nicht zur effektiven Vollstreckung des an C2 adressierten Polizeibefehls (B → C2) ausgereicht hat und dass (2) eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers D wegen der zeitlichen Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe nicht in Betracht kam. Das bedeutet, dass das Einschreiten des Bürgers D in der vorliegenden Konstellation deshalb von dem (präsumtiven) Willen des Polizeiträgers B gedeckt war, weil der gedachte an den Bürger D gerichtete Sprechakt des Polizeiträgers B in dieser Lage „Bitte hilf mir!“ lautete. Dementsprechend hat der Polizeiträger B hier die ihm gegenüber dem angegriffenen Bürger A obliegende Vollstreckungspflicht mittels des Bürgers D als eines irregulären Vollstreckungshelfers im Sinne von § 278 S. 1 Alt. 1 BGB erfüllt, was bedeutet, dass der Polizeiträger B dem Angreifer C2 in der Welt des Rechts einen Schlag durch sein Vollzugsorgan versetzt hat (D → B → C2). Dementsprechend hat sich der Bürger D in der vorliegenden Konstellation durch die Übernahme der Notgeschäftsführung nicht unberechtigt „von außen“ in die Angelegenheiten des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn eingemischt. Vielmehr handelt es sich um eine dem Willen des Geschäftsherrn B entsprechende Ergänzung eines Polizeimanövers „von innen her“ (D → B) und damit
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um eine berechtigte Notgeschäftsführung „für“ den Polizeiträger B durch den Bürger D. Dabei würde sich an der juristischen Konstruktion auch dann nichts ändern, wenn in dem obigen Beispielsfall nicht der hinzueilende Passant D, sondern der angegriffene Bürger A dem Angreifer C2 auf Grundlage des Notwehrrechts „als Vertreter des Rechtsschutz übenden Staates“ einen Faustschlag versetzt hätte (A → B → C2). Schließlich führt der vorliegende Beispielsfall auch vor Augen, dass das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB dem hilfswilligen Bürger A bzw. D nicht nur die Mitwirkung bei der Vollstreckung fiktiver Grundverfügungen ermöglicht, sondern darüber hinaus auch eingreifen kann, wenn es um die Vollstreckung realer Grundverfügungen geht. e) Das Problem des pflichtwidrig untätigen Polizisten Wie aber liegen die Dinge, wenn sich ein anwesender Polizist P unter Verletzung seiner Amtspflicht weigert, zugunsten eines angegriffenen Bürgers A im Namen des Polizeiträgers B einzuschreiten: Ist dann jeder Bürger A bzw. D dazu berechtigt, als Lückenfüller auf Grundlage des Notwehrrechts tätig zu werden? Zur Illustration ein Beispiel: C prügelt kontinuierlich auf den hilflos am Boden liegenden A ein. Weil der zufällig anwesende Polizist P dem Geschehen tatenlos zusieht, beendet der Passant D den Angriff auf A, indem er dem C mit Notwehrwillen einen Faustschlag versetzt. Variante: Als P sieht, dass D einschreiten will, ruft er ihm die Worte „Mischen Sie sich nicht ein!“ zu. Gleichwohl beendet D den Angriff auf A durch einen Faustschlag gegen C.
Im Ausgangsfall stand dem Angegriffenen A wegen der permanenten Verletzungen seines Körperrechts zur Abwehr von gegenwärtigen Rechtsverletzungen ein Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) und zur Abwehr von drohenden Rechtsverletzungen ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zu, wobei wegen des (präsumtiven) negatorischen Willens des Bürgers A auch von der Geltendmachung seiner Anspruchsrechte gegen den Angreifer C auszugehen war (A → C). Darüber hinaus war in der gegebenen Sachlage auch zu präsumieren, dass eine Erhebung des Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten (A → B) dem (mutmaßlichen) Willen des Bürgers A entsprach. Dementsprechend war der Polizeiträger B gegenüber dem Angegriffenen A zur Durchsetzung einer (fiktiven) Grundverfügung (B → C) gegen den Angreifer C verpflichtet. Gleichwohl hat der Polizist P die polizeiliche Vollstreckungsaufgabe in dieser Situation dienstpflichtwidrig nicht wahrgenommen. Konnte nun der Passant D unter Berufung auf das Notwehrrecht in die Bresche springen? Oder etwas allgemeiner gefragt: Ist der Bürger berechtigt, auf Grundlage der §§ 227 BGB, 32 StGB tätig zu werden, wenn präsente Polizisten
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bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr dienstpflichtwidrig untätig bleiben? Mit Recht wird diese Frage in der Literatur wohl einhellig bejaht.292 So merkt etwa R. Haas an, dass das Notwehrrecht „ungeschmälert bestehen“ bleibe, wenn Polizisten pflichtwidrig ihre Kompetenzen nicht ausnutzen würden.293 Weiter hebt auch Erb hervor, dass die hoheitliche Hilfe in dieser Lage „defizitär“ sei, weshalb jeder Bürger das „Defizit“ durch Ausübung des Notwehrrechts „kompensieren“ dürfe.294 Im gleichen Sinne stellt Sengbusch heraus, dass diese Konstellation „so zu behandeln“ sei, „als wären die rechtswidrig nicht […] eingreifenden Amtsträger überhaupt nicht anwesend“.295 Auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption lassen sich diese Gedanken folgendermaßen reformulieren: Wenn sich die regulären Dienstkräfte der Polizei (P1, P2, P3 usw.) weigern, dem Polizeiträger B zur Erfüllung einer polizeilichen Vollstreckungsaufgabe ihren Arm zu leihen, dann ist jeder Bürger A bzw. D auf Grundlage des Notwehrrechts berechtigt, das staatliche Kraftdefizit zu „kompensieren“, indem er dem Polizeiträger B als Aushilfskraft seine physische Kraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) hingibt. In dieser Konstellation gilt die Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ also unverändert fort, weil der pflichtwidrig untätig bleibende und diesem Sinne „defizitäre“ Amtswalter P unter normativen Gesichtspunkten „so zu behandeln“ ist, als wäre er „überhaupt nicht anwesend“. Dementsprechend ist das Tätigwerden des Bürgers D in dem Beispielsfall durch das Notwehrrecht gedeckt, was bedeutet, dass der Polizeiträger B seine Vollstreckungspflicht gegenüber dem Angegriffenen A erfüllt hat, indem er dem Angreifer C durch sein Vollzugsorgan mittels des Notwehrübenden D einen Schlag versetzt hat (D → B → C). Wie aber liegen die Dinge in der Variante des Beispielsfalls, in welcher der Polizeiträger B dem hilfswilligen Bürger D ein Einmischungsverbot erteilte, wodurch er ihn zugleich darauf hinwies, dass die Wahrnehmung der Vollstreckungsaufgabe nicht seinem Willen entsprach: Konnte er ihm so das Notwehrrecht aus der Hand schlagen? Hier gilt es zunächst zu sehen, dass der Polizeibefehl (B → D: „Mischen Sie sich nicht ein!“) im verwaltungsrechtlichen Sinne nichtig war, weil das Einmischungsverbot in der gegebenen Situation gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und damit gegen die guten 292 S. etwa Béguelin, GA 2013, 473, 483; Bockelmann, FS Honig, S. 30; Haas, Notwehr, S. 299; Sengbusch, Subsidiarität, S. 264; Engländer, Nothilfe, S. 169 ff.; Pawlik, Notstand, S. 230 in Fn. 216; Kargl, ZStW 110 (1998), 38, 49; Erb, FS Nehm, S. 181; Jakobs, Strafrecht AT, 12/45; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 185; SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 99. 293 R. Haas, Notwehr, S. 299 mit Fn. 82. 294 Erb, FS Nehm, S. 181. 295 Sengbusch, Subsidiarität, S. 264; ebenso Béguelin, GA 2013, 473, 483.
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Sitten verstieß (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG).296 Damit korrespondiert, dass ein der Erfüllung der öffentlichen Vollstreckungspflicht entgegenstehender Wille des Polizeiträgers B in der vorliegenden Konstellation nach dem Rechtsgedanken des § 679 BGB rechtlich unbeachtlich war.297 Das bedeutet, dass es in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung maßgeblich auf den normativ korrigierten (präsumtiven) Willen des Geschäftsherrn B ankam.298 Da sich aber der Polizist P weigerte, die polizeiliche Vollstreckungsaufgabe wahrzunehmen, war der Bürger D auf Grundlage des Notwehrrechts dazu berechtigt, als Aushilfskraft in die Bresche zu springen und dem Polizeiträger B zum Zwecke der Staatsaufgabenerfüllung seinen Arm zu leihen. Auch in dieser Konstellation ist die „Gebotenheit“ der Übernahme der Notgeschäftsführung „für“ den Polizeiträger B also zu bejahen, weshalb eine berechtigte Notgeschäftsführung durch den Bürger D vorliegt.299 Dies impliziert, dass der Polizeiträger B auch in der Variante des Beispielsfalls seine Vollstreckungspflicht gegenüber dem Angegriffenen A erfüllt hat, indem er dem Angreifer C durch sein Vollzugsorgan mittels des Notwehrübenden D einen Schlag versetzt hat (D → B → C). f) Das Problem des entgrenzten Ersatzmannes Im Vorgriff auf den nächsten Problemkomplex sei im vorliegenden Zusammenhang schließlich noch angemerkt, dass dem Notwehrübenden A bzw. D auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie keine in absoluter Hinsicht weiter reichenden Zwangsmittel an die Hand gegeben sind als dem regulären Staatspersonal (P1, P2, P3 usw.).300 Deshalb ist es von vornherein ausgeschlossen, dass Kollisionslagen entstehen, in denen einem Polizisten P der Rückgriff auf ein unverhältnismäßiges Vollstreckungsmittel verwehrt ist, während jeder Bürger A bzw. D dazu berechtigt ist, es unter Berufung auf das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zur Anwendung zu bringen. Auf Grund lage der hiesigen Konzeption kann sich dementsprechend nicht „das absurde 296 Ähnlich Pawlik, Notstand, S. 230 in Fn. 216. – S. zu den Voraussetzungen des § 4 4 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG etwa Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 152 ff. 297 S. zur sinngemäßen Anwendung von § 679 BGB im öffentlichen Recht etwa BVerwGE 80, 170, 173 ff. sowie BGH NJW 1978, 1258, 1259; s. ferner auch Knapp, Geschäftsführung ohne Auftrag bei Beteiligung von Trägern öffentlicher Verwaltung, S. 127 ff. sowie Blas, BayVBl. 1989, 648, 650. 298 Vgl. etwa MK/Seiler, BGB, § 679 Rn. 14; Palandt/Sprau, BGB, § 679 Rn. 1; Bamberger/ Roth/Gehrlein, BGB, § 679 Rn. 1. 299 Vgl. auch Pawlik, Notstand, S. 230 in Fn. 216: „Die nichtige Entscheidung eines Amtsträgers kann […] keine Sperrwirkung entfalten. So wird es insbesondere dann liegen, wenn der Amtsträger dem bedrohten Bürger in einer existentiellen Gefahrsituation seinen Beistand aus offenkundig unsachlichen Erwägungen verweigert.“ 300 Ausführlich dazu unten sub § 3 B II 3 b, S. 119 ff.
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Schauspiel“ ereignen, das „Private ungehindert Verbrechensabwehr üben dürfen, während die anwesende Polizei verpflichtet ist, dem Treiben untätig zuzusehen“301. Geht man dagegen mit der überwiegenden Auffassung davon aus, dass die dem Notwehrübenden A bzw. D zur Verfügung stehenden Zwangsmittel in absoluter Hinsicht über die einem Polizisten P an die Hand gegebenen Zwangsmittel hinausgehen, dann kann die aporetische Situation entstehen, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten des Angegriffenen A durch das Hinzueilen eines Polizisten P faktisch verkürzt zu werden drohen.302 Dabei gilt es an dieser Stelle aber klar zu sehen, dass diese Aporie dadurch hervorgerufen wird, dass dem Bürger A bzw. D als dem in die Bresche springenden Ersatzmann etwas rechtlich ermöglicht wird, was einem Polizisten P als dem Ersetzten in derselben Lage in absoluter Hinsicht rechtlich nicht möglich wäre. Umgekehrt heißt das, dass sich diese Problemstellung nur dadurch befriedigend auflösen lässt, dass man den Bürger A bzw. D im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB von vornherein so stellt, wie er stünde, wenn ihn ein Polizist P bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr rechtsgeschäftlich in die Staatsaufgabenwahrnehmung eingeschaltet hätte. Wie sich die normativen Grenzen für das Wie der Notwehr dogmatisch stringent herleiten lassen, soll im nächsten Abschnitt ausführlich dargelegt werden.303 An dieser Stelle sollte nur klargestellt werden, dass sich das Problem des entgrenzten Ersatzmannes auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption unter Subsidiaritätsgesichtspunkten nicht stellt. g) Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption bei der Frage nach der Subsidiarität der Notwehr nicht darum geht, die Bürger und den Staat (als die gemeinsame Sache aller Bürger) in Generalopposition zueinander zu bringen. Vielmehr geht es um die Frage, in welchen Sachlagen die Wahrnehmung eines polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts gegen den Angreifer C durch den Bürger A bzw. D ausnahmsweise „geboten“ ist. Dabei ist das maßgebliche Kriterium für das Ob der Notgeschäftsführung des Bürgers „für“ den Staat B nach dem Rechtsgedanken des § 678 BGB der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn, weshalb die Differenz „gebotene“ vs. „verbotene“ Übernahme der Notgeschäftsführung „für“ den Staat B in der Sache mit der Differenz berechtigte vs. unbeHaas, Notwehr, S. 326. Vgl. dazu etwa Kinzig, ZStW 115 (2003), 791, 807; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 185; Haas, Notwehr, S. 293. 303 S. dazu insbesondere sub § 3 B II 3 b aa und bb, S. 119 ff. 301
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rechtigte Notgeschäftsführung korreliert. Dementsprechend ist bei einem Aufeinandertreffen von Bürgern und Polizisten im Falle des Vorliegens der Grundsituation der Notwehr die Konstellation der unberechtigten „Einmischung von außen in einen laufenden Polizeieinsatz“304 von der Konstellation der berechtigten Ergänzung eines laufenden Polizeieinsatzes „von innen her“ abzugrenzen. Weiter gilt es zu sehen, dass ein pflichtwidrig untätig bleibender und in diesem Sinne „defizitärer“ Polizeibeamter unter normativen Gesichtspunkten „so zu behandeln“ ist, als wäre er „überhaupt nicht anwesend“305. Das bedeutet, dass in dieser Situation die Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ unverändert fortgilt, weshalb jeder Bürger auf Grundlage des Notwehrrechts berechtigt ist, „pro magistratu“306 das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft gegen den Angreifer C wahrzunehmen. Schließlich ist an dieser Stelle noch hervorzuheben, dass sich auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption nicht das Problem des entgrenzten Ersatzmannes stellt, weil der Notwehrübende nach hiesiger Auffassung nicht dazu berechtigt ist, auf Zwangsmittel zuzugreifen, die in absoluter Hinsicht über die dem regulären Staatspersonal zur Verfügung stehenden Zwangsmittel hinausreichen, worauf im Rahmen des nächsten Abschnitts näher eingegangen werden soll.307 3. Das Wie der Notwehr a) Das subjektive Wie der Notwehr aa) Der Notgeschäftsführungswille als normatives Konstrukt Die zutreffende herrschende Meinung verlangt bei §§ 227 BGB, 32 StGB auch ein subjektives Element, wobei dessen genaue axiologische Struktur freilich keineswegs geklärt ist.308 Doch bevor die einschlägigen Streitpunkte näher in den Blick genommen werden, sollen zunächst die dogmatischen Implikationen der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption entfaltet werden, auf deren Grundlage das subjektive Notwehrelement als finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens zu rekonstruieren ist.309 Das bedeutet, dass der in Ausübung des Notvertretungsrechts aus §§ 227 304
Formulierung von MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 149. Sengbusch, Subsidiarität, S. 264. 306 Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 88. 307 S. dazu sub § 3 B II 3 b, S. 119 ff. 308 S. für einen Überblick über das Meinungsbild etwa Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 63; NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 146 f.; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 239 ff.; Lackner/ Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 7. 309 In diese Richtung andeutungsweise bereits W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 32 ff.; vgl. ferner auch Gallas, FS Bockelmann, S. 177, der die Notwendigkeit „eines als Ausdruck 305
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BGB, 32 StGB handelnde Bürger A bzw. D bei normativer Betrachtungsweise mit dem Willen handeln muss, seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) dem Staat B als dem Geschäftsherrn zum Zwecke der Vollstreckung eines (fiktiven) Polizeibefehls gegen den Angreifer C hinzugeben, wobei die maßgebliche Beurteilungsperspektive insoweit gemäß §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung die „objektive“ Perspektive des Geschäftsherrn B als des Zuwendungsempfängers ist.310 Dementsprechend ist von der Zuwendung der Ware „Arbeitskraft“ an den Geschäftsherrn B auszugehen, wenn der in Kenntnis einer Notwehrlage agierende Notgeschäftsführer A bzw. D das staatliche Vollstreckungsgeschäft gegen den Angreifer C aus der Geschäftsherrnperspektive „für den Staat und im Namen des Staats“311 führen wollte. Dabei wird re gelmäßig von einem rechtstreuen Leistungsverhalten des Notgeschäftsführers auszugehen sein, sofern nicht im konkreten Fall entgegenstehende Indizien vorliegen. Anders gewendet bedeutet das, dass in rechtspraktischer Hinsicht grundsätzlich eine widerlegbare Regelvermutung für das Vorliegen eines fremdbe zogenen Notgeschäftsführungswillens auf Seiten des Notwehrübenden spricht, weil es im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB unter rechtlichen Gesichtspunkten um die Besorgung eines für den Bürger objektiv fremden Staatsgeschäfts geht.312 Hervorzuheben ist weiter, dass die Bildung eines Notwehrwillens in dem hier geforderten Sinne keine Geschäftsfähigkeit auf Seiten des Notgeschäftsführers voraussetzt, weil die in Rede stehende Leistung nicht in einem rechtsgeschäftlichen, sondern in einem tatsächlichen Verhalten besteht.313 Daher können auch Minderjährige in Ausübung des Notwehrrechts „für“ den Staat als den Geschäftsherrn tätig werden. der Rechtsbewahrung verstandenen Verteidigungswillens“ damit begründet, dass der „als Wahrer des Rechts gegenüber dem Unrecht“ auftretende Notwehrübende auch „die Funk tion“ wahrnehme, „an Stelle der nicht präsenten Staatsgewalt dem Recht gegenüber dem es herausfordernden Unrecht Geltung zu verschaffen“. 310 S. zur Auslegung der Zweckbestimmung einer Zuwendung nach der Lehre vom objektiven Empfängerhorizont in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB etwa Beuthien, Zweckerreichung, S. 292; Hassold, Dreipersonenverhältnis, S. 14; Gernhuber, Erfüllung, § 5 III 4, S. 116 f.; Seibert, JZ 1981, 380, 384; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 1431. 311 Sander, Archiv des Criminalrechts 1841, 68, 80. 312 Vgl. zur widerlegbaren Regelvermutung für das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens im Falle der Wahrnehmung von objektiv fremden Geschäften als Geschäftsführer ohne Auftrag etwa BGHZ 191, 325 Rn. 16; BGH NJW 2007, 63 Rn. 15; BGHZ 181, 188 Rn. 18; vgl. dazu aus der verwaltungsgerichtlichen Judikatur etwa OVG Hamburg, NVwZ-R R 1995, 369, 373. 313 Vgl. zur Nichtanwendbarkeit der §§ 104 ff. BGB auf tatsächliche Maßnahmen im Rahmen einer auftragslosen Geschäftsführung etwa Palandt/Sprau, BGB, Vor § 677 Rn. 2; vgl. in diesem Zusammenhang ferner auch Beuthien, Zweckerreichung, S. 293: „Mit tatsächlichen Leistungen kann ein Schuldner stets erfüllen, mag er geschäftsfähig sein oder nicht.“
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Aber lässt sich gegen die hiesige Konzeption des subjektiven Notwehrelements nicht einwenden, dass sie „lebensfremd“ sei, weil der Notwehr übende Bürger kaum je den psychologischen Willen haben werde, seine Arbeitskraft an den Staat zu leisten, um diesem bei dem Vollzug einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer zu helfen?314 Um zu zeigen, weshalb dieser Einwand nicht verfängt, gilt es sich zunächst noch einmal zu vergegenwärtigen, dass Gegenstand der juristischen Betrachtung nicht die in der Kulturwelt lebende Kulturperson, sondern die in der Rechtswelt lebende Rechtsperson ist, bei welcher es sich, wie eingangs bereits ausgeführt wurde315, um „eine Konstruktion des Rechts selbst“316 handelt. Denn damit korrespondiert, dass der für den Juristen relevante Wille nicht der psychologische Wille der Kulturperson ist, sondern der Wille der spezifisch juristischen Einheit Rechtsperson.317 Anders gewendet: Wenn eine natürliche Rechtsperson ein Kunstgeschöpf des Rechts ist, dann ist eo ipso auch der Wille dieses Kunstgeschöpfs ein normatives Kunstprodukt. In starker Zuspitzung hat bereits Felix Somló auf den autonomen juristischen Willensbegriff aufmerksam gemacht: „Die juristische Regelung kann […] etwas als Willen bezeichnen, was im psychologischen Sinne gar keiner ist, sie kann einen Willen präsumieren und fingieren, sie kann also an dem psychologischen Begriff des Wollens nach Belieben herummodeln, sie kann ihn einengen oder ausdehnen und somit zu einem besonderen Begriffe von Wollen gelangen.“318
Da die Rechtswelt jedoch „die Kulturwelt in der Form und Norm des Rechts“319 ist, kann es selbstredend nicht Aufgabe der Jurisprudenz sein, an dem psychologischen Willen einer Kulturperson „nach Belieben herum[zu]modeln“. Vielmehr gilt es, den Willen einer Kulturperson durch die Brille des Rechts zu betrachten, um ihn so aus der Kulturwelt in die Rechtswelt zu transponieren, wobei als juristisch-ideologische Brille im Rahmen des Notwehrrechts, wie soeben dargelegt wurde, die objektivierte Geschäftsherrnperspektive in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB fungiert. Damit korrespondiert, dass es im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB in subjektiver Hinsicht weniger um eine In diese Richtung etwa v. Scherenberg, Notwehr, S. 34 f. sowie Erb, NStZ-RR 2013, 371, 372. 315 S. dazu oben sub § 1 C, S. 4 ff. 316 Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke (Hrsg.), Person und Rechtsperson, S. 352. 317 Vgl. etwa Kelsen, Staatsrechtslehre, S. 121 ff., 142 ff.; Somló, Juristische Grundlehre, S. 224 ff.; Schönfeld, Jherings Jb. 39 (1925), 333, 345; Koriath, in: ders./Krack/Radtke/Jehle (Hrsg.), Grundfragen des Strafrechts, S. 115 f.; Thomale, Leistung als Freiheit, S. 77; Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 366; Hutter/Teubner, in: Fuchs/Göbel (Hrsg.), Der Mensch – das Medium der Gesellschaft?, S. 117, 123. 318 Somló, Juristische Grundlehre, S. 226. 319 Schönfeld, Rechtsperson, S. 236. 314
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psychologisierende Betrachtung der natürlichen Willensrichtung des Notwehr übenden Bürgers geht, sondern vielmehr um die normative Bestimmung der Zweckrichtung seines Handelns unter Berücksichtigung des konkreten sozialen Kontextes der Angriffsabwehr.320 Dabei kann dem Notwehrübenden als Rechtsperson ein finaler Notgeschäftsführungswille auch dann zugeschrieben werden, wenn bei der Kulturperson neben einen Willen zur Angriffsabwehr noch andere Beweggründe wie etwa Wut, Verärgerung oder Zorn eine Rolle spielen. Anders liegen die Dinge nur, wenn und sobald diese Motive den Zweck der Angriffs abwehr bei normativer Betrachtungsweise vollständig verdrängen. Oder wie die strafgerichtliche Rechtsprechung es ausdrückt: „[E]in Verteidigungswille [ist] auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille, das Recht zu wahren, ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein.“321
Dabei lehnt die Rechtsprechung einen „Verteidigungswillen“ im Sinne der §§ 227 BGB, 32 StGB insbesondere dann ab, wenn ein Bürger eine äußerlich gegebene Notwehrlage „lediglich zum Anlass genommen hat, gegen [den Angreifer] Gewalt zu üben“.322 Anders gewendet heißt das, dass das Vorliegen eines finalen Notgeschäftsführungswillens unter juristischen Gesichtspunkten zu verneinen ist, sofern sich ein Bürger anmaßt, „bei Gelegenheit“ einer objektiv vorliegenden Notwehrlage ein Eigengeschäft zu führen (vgl. § 687 Abs. 2 BGB).323 Dieser Problemstellung soll sogleich näher nachgegangen werden. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass das subjektive Notwehrelement auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption als finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens zu rekonstruieren ist, wobei sich die von der Rechtsprechung an den Notwehrwillen gestellten Anforderungen ohne dogmatische Inkonsistenzen oder substanzielle Verfremdungen mit dem hiesigen Ansatz verknüpfen lassen. 320 Vgl. zur normativen Konstruktion des Fremdgeschäftsführungswillens bei der Geschäftsführung ohne Auftrag auch Wittmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 75 f. sowie Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 49 f. 321 BGH NJW 2013, 2133 Rn. 20; s. zu den Anforderungen der Rechtsprechung an das subjektive Notwehrelement ferner etwa BGH GA 1980, 67, 68; BGHSt 5, 245, 247; BGH NStZ 2005, 332, 334; BGH NStZ 1996, 29; BGH NStZ 1983, 117; BGH NStE Nr. 6 zu § 32; OLG Frankfurt, NJW 1950, 119, 120. 322 BGH NJW 2013, 2133 Rn. 21; s. ferner auch BGH NStE Nr. 6 zu § 32. 323 Vgl. dazu etwa Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 73 f.: „Das finale Element des Geschäftsführungswillens wird durch den Umkehrschluss aus § 687 II BGB dahingehend bestimmt, daß das fremde Geschäft nicht ‚als eigenes‘ geführt werden darf.“ (Hervorhebung im Original.)
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Festzuhalten ist weiter, dass das Vorliegen eines in rechtspraktischer Hinsicht zu vermutenden Notgeschäftsführungswillens auch nicht deshalb abzulehnen ist, weil bei einer Notwehr übenden Kulturperson neben einem Rechtsbewahrungswillen auch noch andere Beweggründe wie etwa Wut, Verärgerung oder Zorn eine Rolle spielen. Vielmehr ist das Vorliegen eines finalen Notgeschäftsführungswillen nur zu verneinen, wenn diese anderen Beweggründe den Rechtsbewahrungswillen bei normativer Betrachtungsweise vollständig in den Hintergrund drängen, sodass von der Besorgung eines Eigengeschäfts „bei Gelegenheit“ einer objektiv vorliegenden Notwehrlage auszugehen ist (vgl. § 687 Abs. 2 BGB). bb) Die böswillige Eigengeschäftsführung „bei Gelegenheit“ einer Notwehrlage Als Nächstes soll nun der Frage nachgegangen werden, wie sich die Problemstellung einer böswilligen Eigengeschäftsführung „bei Gelegenheit“ einer objektiv vorliegenden Notwehrlage auf dogmatisch überzeugende Weise lösen lässt. In der Sache geht es dabei um die Frage, wie die Konstellation zu behandeln ist, dass ein in Kenntnis einer Notwehrlage handelnder Bürger das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der §§ 227 BGB, 32 StGB „lediglich zum Anlass“ nimmt, um aus sachfremden persönlichen Gründen „gegen [den Angreifer] Gewalt zu üben“324. Um diese Problemstellung anhand eines von Prittwitz gebildeten Beispiels zu veranschaulichen: „[D] und [C] sind Intimfeinde. [D] wartet schon seit langem darauf, dem [C] einen Denkzettel zu verpassen. Als [C] eines Abends in Anwesenheit des [D] auf [A] mit einem Messer zugeht, nutzt [D] die Gelegenheit, seine ‚Absichten‘ straflos zu verwirklichen, und schlägt [C] nieder. Auf diese Weise passiert dem [A], den [D] überhaupt nicht gekannt hatte – und dessen Schicksal ihm auch gleichgültig war –, nichts.“325
Mit Blick auf die juristischen Strukturen gilt es in dem Beispielsfall zunächst zu sehen, dass der Bürger C unter Verletzung seiner Achtungspflicht das subjektive Recht des Bürgers A an dessen Körper als besonderes Persönlichkeitsrecht angegriffen hat, indem er mit einem Messer auf diesen losgegangen ist, womit korrespondiert, dass das objektive Recht dem Bürger A zum Schutz seines Körperrechts einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) an die Hand gegeben hat, dessen Ausübung wegen des präsumtiven negatorischen Willens des Rechtsinhabers A auch unterstellt werden kann (A → C: „Beende den Angriff!“). Darüber hinaus ist auch davon auszugehen, 324
BGH NJW 2013, 2133 Rn. 21; s. ferner auch BGH NStE Nr. 6 zu § 32. Prittwitz, GA 1980, 381, 384. (Die zur Bezeichnung der Beteiligten verwendeten Buchstaben wurden der hiesigen Nomenklatur angepasst.) 325
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dass es dem Willen des Bürgers A entsprach, seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend zu machen, weshalb der Polizeiträger B gegenüber dem Bürger A zur Vollstreckung eines (fiktiven) Polizeibefehls (B → C: „Beende den Angriff!“) gegen den Angreifer C verpflichtet war. Dementsprechend lag hier die Grundsituation der Notwehr vor, sodass ein zufällig anwesender Polizist gehalten gewesen wäre, dem Polizeiträger B im vertikalen Innenverhältnis P–B seinen Arm zu leihen, um ihm so bei der Vollstreckung der (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C zu helfen (P → B → C). Da vorliegend jedoch zufällig kein Polizist P vor Ort war, um das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft wahrzunehmen, war jeder Bürger auf Grundlage des Notvertretungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB dazu berechtigt, in „die Rolle des Polizisten“326 zu schlüpfen und dem Polizeiträger B bei der Besorgung des Polizeigeschäfts zu helfen. Anders gewendet bedeutet das, dass in dem obigen Beispielsfall mit Blick auf den Bürger D die Voraussetzungen für das Ob der Notwehr vorlagen, weil die Übernahme der Notgeschäftsführung mit dem (präsumtiven) Willen des Geschäftsherrn B im Einklang stand (B → D: „Bitte hilf mir bei der Erfüllung der Vollstreckungsaufgabe!“ = „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Vollstreckungshelfer aufzutreten!“). Das heißt, dass hier eine Notwehr- bzw. Notgeschäftsführungslage im Sinne der §§ 227 BGB, 32 StGB vorlag, weil (1) die Grundsituation der Notwehr gegeben war und zudem auch (2) die Voraussetzungen für das Ob der Notwehr erfüllt waren. Um den Blick nun dem subjektiven Wie der Notwehr zuzuwenden: Wie oben dargelegt wurde327, ist das subjektive Notwehrelement auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie als finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens zu rekonstruieren. Das bedeutet, dass der Notwehrübende D mit dem Willen handeln muss, seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) dem Staat B als dem Geschäftsherrn zum Zwecke der Vollstreckung eines (fiktiven) Polizeibefehls gegen den Angreifer C hinzugeben, wobei die maßgebliche Beurteilungsperspektive insoweit gemäß §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung die „objektive“ Perspektive des Geschäftsherrn B als des Zuwendungsempfängers ist. Hervorzuheben ist weiter, dass in rechtspraktischer Hinsicht eine Regelvermutung für das Vorliegen eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens auf Seiten des Bürgers D spricht, weil es im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB unter rechtlichen Gesichtspunkten um die Besorgung eines für den Bürger D objektiv fremden Vollstreckungsgeschäfts des Staates B als des Geschäftsherrn geht. In der vorliegenden Fallgestaltung ist diese Vermutung jedoch widerlegt, weil der 326 327
Bockelmann, FS Dreher, S. 244. S. dazu sub § 3 B II 2 a aa, S. 102 ff.
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in Kenntnis der objektiv vorliegenden Notwehrlage handelnde Bürger D aus der Geschäftsherrnperspektive gemäß §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung nicht mit dem Willen gehandelt hat, seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) dem Geschäftsherrn B zum Zwecke der Vollstreckung eines (fiktiven) Polizeibefehls gegen den Angreifer C hinzugeben. Vielmehr ging es dem Bürger D ausschließlich darum, „die Gelegenheit“ zu nutzen, um seinem Intimfeind C „einen Denkzettel zu verpassen“. Das heißt, der Bürger D wollte nicht Notwehr, sondern Rache üben. Oder um es etwas juristischer auszudrücken: Der Bürger D wollte bei normativer Betrachtungsweise nicht die bestehende Vollstreckungsschuld des Staates B tilgen, sondern das Vorliegen der Notwehrlage dazu ausnutzen, um eine alte Rechnung mit seinem Intimfeind C zu begleichen. Dementsprechend hatte der Rache suchende Eigengeschäftsführer D nicht den „guten“ Willen, seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) dem Geschäftsherrn B hinzugeben (D → B), damit die Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschehe (B → C). Vielmehr hatte er den „bösen“ Willen, das Vorliegen des staatlichen Vollstreckungsgeschäfts dazu auszunutzen, um bei dieser Gelegenheit ein privates Geschäft der Rache zu erledigen (D → C).328 Dementsprechend würde der böswillige Geschäftsanmaßer D zum Geschäftsherrn B nicht sagen: „Ich habe es für dich getan; es ist dein Werk.“ Sondern: „Ich habe es für mich getan; es ist mein Werk.“ Bei materiell-wertender Betrachtungsweise wollte der Bürger D in dem obigen Beispielsfall also nicht „in Ausübung“ des gesetzlichen Notvertretungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB handeln. Vielmehr wollte er „bei Gelegenheit“ des Vorliegens der objektiven Notwehrvoraussetzungen seinem Intimfeind C „aus rein persönlichen Beweggründen“329 einen Schlag versetzen. Das heißt, der Geschäftsanmaßer D wollte nicht als „verlängerter Arm“ des Geschäftsherrn B handeln, sondern sich höchstpersönlich in der Horizontalen seinem Feind C zuwenden. Deshalb liegt hier keine Leistung des Bürgers D an den Geschäftsherrn B vor, womit korrespondiert, dass sich der Zuwendungsgegenstand (sinnbildlich: die schlagende Faust) in der Welt des Rechts nicht über den Staat B als Zwischenperson bewegt hat (D → B → C), sondern im Horizontal328 S. zur Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs bei einem durch sachfremde persönliche Gründe motivierten Handeln von staatlichen Hilfspersonen auch Windthorst, JuS 1995, 791, 796: „Beispiel hierfür ist die Tötung eines Einbrechers durch einen Polizisten im Dienst aus Rache.“ S. ferner auch Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 26 Rn. 15; Ossenbühl/ Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 28; MK/Papier, BGB, § 839 Rn. 190; Bamberger/Roth/Reinert, BGB, § 839 Rn. 34; BGHZ 11, 181, 185 ff.; RGZ 159, 235, 238 f. 329 S. für dieses Kriterium etwa RGZ 159, 235, 238 f.; BGHZ 11, 181, 187; Maunz/Dürig/ Papier, GG, Art. 34 Rn. 154; MK/Papier/Shirvani, BGB, § 839 Rn. 190; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 28.
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verhältnis zwischen Bürger und Bürger (D → C).330 Oder anders formuliert: Eine Zurechnung des von dem Bürger D abgegebenen Schlages zum Staat B nach dem Rechtsgedanken des § 278 S. 1 Alt. 1 BGB scheitert in dem obigen Beispielsfall daran, dass dem Bürger D unter juristischen Gesichtspunkten kein finaler Notgeschäftsführungswille zugeschrieben werden kann, weil er bei normativer Betrachtungsweise ausschließlich den Zweck verfolgt hat, gegen seinen Intimfeind C Gewalt auszuüben.331 Nach der hier vertretenen Auffassung liegt das subjektive Notwehrelement bei dem Bürger D in dem Beispielsfall also nicht vor, weil der Bürger D bei materiell-wertender Betrachtungsweise nicht „in Ausübung“ des Notvertretungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB gehandelt hat. Vielmehr hat er als böswilliger Eigengeschäftsführer „bei Gelegenheit“ einer bestehenden Notwehrlage aus rein persönlichen Dingen ein privates Geschäft der Rache besorgt (vgl. § 687 Abs. 2 BGB). Das bedeutet, dass der Bürger D seinerseits zum Angreifer geworden ist, wobei der Bürger C den Angriff auf sein Körperrecht mit einem negatorischen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) abwehren konnte (C → D: „Beende den Angriff!“). Damit korrespondiert, dass der Bürger D seinen Mitbürger C durch den Schlag rechtswidrig am Körper verletzt hat, weil er dem Bürger C unberechtigterweise einen Schlag versetzt hat, wobei er bei normativer Betrachtungsweise auch vorsätzlich gehandelt hat. Darüber hinaus hat er auch schuldhaft im strafrechtlichen Sinne gehandelt, obwohl er von der Straflosigkeit seines Tuns ausging; denn bei dieser normativen Fehlvorstellung handelt es sich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne von § 17 S. 1 StGB, der die Schuld unberührt lässt. Dementsprechend hat sich der Bürger D in dem obigen Beispielsfall wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.332 Zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangt eine im Schrifttum verbreitete Auffassung, die es in subjektiver Hinsicht genügen lässt, wenn ein in Kenntnis einer Notwehrlage handelnder Bürger, naturalistisch betrachtet, das Vgl. dazu auch Maurer, JuS 1970, 561, 566. Vgl. auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 306: „Die Abschichtung des Handelns ‚bei Gelegenheit‘ der Amtsausübung betrifft eine Nahtstelle zwischen zurechenbarem Amtshandeln und nicht zurechenbarem Nicht-Amtshandeln.“ 332 Zutreffend Gallas, FS Bockelmann, S. 177: „Fehlt [der Verteidigungswille], so ist der Täter trotz des Vorliegens der objektiven Voraussetzungen der Notwehr wegen vollendeter Tat strafbar.“ (Hervorhebung im Original.) Ebenso etwa Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 392; Köhler, Strafrecht AT, S. 323; Haft, Strafrecht AT, S. 71. – Die überwiegende Auffassung geht dagegen bei Fehlen des subjektiven Notwehrelements von einer Strafbarkeit wegen Versuchs aus (s. statt aller Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 31 IV 2, S. 330; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 406; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 468 f.; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 22 Rn. 16). 330 331
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richtige äußere Verhalten an den Tag legt.333 Die Verfechter dieser Lehre meinen nämlich, dass in dem obigen Beispielsfall „keine rechtswidrige Körperverletzung“334 vorliege, weil der Bürger D objektiv „das Richtige“335 getan habe, womit korrespondiere, dass er auch subjektiv mit dem „Vorsatz“ gehandelt habe, „etwas objektiv Rechtmäßiges zu tun“336. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Bürger D durch das Niederschlagen des Bürgers C allenfalls bei erfolgsorientiert-konsequentialistischer Betrachtungsweise „das Richtige“ getan hat. Betrachtet man die Dinge dagegen durch die Brille des Rechts, dann erscheinen sie in einem ganz anderen Licht. Denn unter juristischen Gesichtspunkten wäre es „das Richtige“ gewesen, wenn der Bürger D seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) im inneren Vertikalverhältnis D–B dem Polizeiträger B hingegeben hätte (D → B), sodass im äußeren Vertikalverhältnis B–C zum Angreifer C der Geschäftsherr B durch sein Vollstreckungsorgan tätig geworden wäre (B → C). Demgegenüber war es sub specie iuris keineswegs „das Richtige“, das äußerliche Vorliegen eines Vollstreckungsgeschäfts des Staates B dazu auszunutzen, um sich höchstpersönlich in der Horizontalen D–C dem Angreifer C zuzuwenden und diesem zur Verwirklichung privater Schädigungzwecke einen Schlag gegen den Körper zu versetzen (D → C). Damit korrespondiert, dass der Bürger C auch subjektiv nicht mit dem „Vorsatz“ gehandelt hat, „etwas objektiv Rechtmäßiges zu tun“. Vielmehr zielte sein Wille, wie bereits dargelegt wurde, auf eine rechtswidrige Verletzung des Körpers seines Mitbürgers D und damit auf etwas objektiv Rechtswidriges. Zurückzuweisen ist ferner auch die in der Literatur337 aufgestellte Behauptung, dass das Erfordernis eines finalen Notwehrwillens auf die Schaffung eines unzulässigen „Gesinnungsstrafrechts“ hinauslaufen würde. Denn wenn ein Polizist P einen Bürger D bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr im Namen des Polizeiträgers B ersuchen würde, dem Polizeiträger B bei der Vollstreckung einer fiktiven Grundverfügung gegen den Angreifer C zu helfen, dann würde auch niemand auf die Idee verfallen, dass das Erfordernis eines zweckgerichteten Leistungswillens der Hilfsperson D, die eigene Arbeitskraft dem Geschäftsherrn B zuzuwenden, auf die Schaffung eines unzulässigen „Ge333 So etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 14 Rn. 97, § 15 Rn. 129 f.; ders., ZStW 75 (1963), 541, 563; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 128 f.; Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 7; Prittwitz, GA 1980, 381 ff.; Frisch, FS Lackner, S. 136 f.; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 266; Erb, NStZ-RR 2013, 371, 372; Engländer, HRRS 2013, 389, 391. 334 Prittwitz, GA 1980, 381, 384. 335 Erb, NStZ-RR 2013, 371. 336 Roxin, Strafrecht AT I, § 14 Rn. 97. 337 S. etwa Erb, NStZ-RR 2013, 371 f.; Prittwitz, GA 1980, 381, 386; Grünewald, ZStW 122 (2010), 51, 82 f.; Engländer, HRRS 2013, 389, 391; Roxin, Strafrecht AT I, § 14 Rn. 99; dens., ZStW 75 (1963), 541, 563.
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sinnungsstrafrechts“ hinauslaufen würde. Aus rechtsethischer Perspektive ist das Erfordernis eines staatsgerichteten Leistungswillens im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB daher ebenso unbedenklich wie das entsprechende Erfordernis im Falle einer rechtsgeschäftlichen Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenerfüllung. Festgehalten werden kann, dass das Vorliegen eines finalen Notgeschäftsführungswillens im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens abzulehnen ist, wenn ein in Kenntnis einer Notwehrlage agierender Bürger A bzw. D bei materiell-wertender Betrachtungsweise nicht „in Ausübung“ des Notvertretungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB handelt, sondern vielmehr „bei Gelegenheit“ einer Notwehrlage private Schädigungszwecke verfolgt.338 Denn bei dieser Sachlage ist der Bürger A bzw. D als böswilliger Eigengeschäftsführer anzusehen, der das vorliegende Vollstreckungsgeschäft des Staates B nicht „als fremdes“, sondern „als eigenes“ führen will (vgl. § 687 Abs. 2 BGB). In so gelagerten Fallgestaltungen ist daher von einer „unechten“ Notgeschäftsführung auszugehen, die zwar faktisch den Vollstreckungserfolg herbeiführen mag, dafür aber den falschen „Verkehrsweg“ benutzt, weil die physische Kraft in dieser Konstellation nicht über den Staat B als „Umschlagplatz“ fließt (A/D → B → C), sondern im horizontalen Verhältnis zwischen Bürger und Bürger (A/D → C). Vor diesem Hintergrund ist mit Blick auf das subjektive Wie der Notwehr in typologisch-kategorialer Hinsicht zwischen einer „echten“ und einer „unechten“ Notgeschäftsführung des im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB tätig werdenden Bürgers A bzw. D zu differenzieren: (1) Echte Notgeschäftsführung Will der durch das Notwehrrecht in den status procuratoris versetzte Bürger A bzw. D das für ihn objektiv fremde Vollstreckungsgeschäft des Staates B gegen den Angreifer C bei materiell-wertender Betrachtungsweise „als fremdes“ führen, dann bewegt sich der Zuwendungsgegenstand (sinnbildlich: die schlagende Faust) für die juristische Betrachtung über den Staat B als Zwischenperson (A/D → B → C), was bedeutet, dass in der Welt des Rechts nicht die Faust des Notwehrübenden A bzw. D, sondern die Faust des Staates B dem Angreifer C einen Schlag versetzt (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). (2) Unechte Notgeschäftsführung Will der mit prokuratorischer Handlungsmacht ausgestattete Bürger A bzw. D das objektiv fremde Vollstreckungsgeschäft des Staates B gegen den An338
So im Ergebnis etwa auch BGH NJW 2013, 2133 Rn. 21; BGH NStE Nr. 6 zu § 32; Gallas, FS Bockelmann, S. 177; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 108; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 404.
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greifer C dagegen bei normativer Betrachtungsweise „als eigenes“ führen, dann bewegt sich der Zuwendungsgegenstand (sinnbildlich: die schlagende Faust) in der Rechtswelt auf horizontaler Ebene (A/D → C), was bedeutet, dass der böswillige Eigengeschäftsführer A bzw. D rechtswidrig auf die Rechtsgüter seines Mitbürgers C einwirkt, womit korrespondiert, dass sein Wille in dieser Konstellation auf etwas objektiv Rechtswidriges gerichtet ist. cc) Die verdeckte Eigengeschäftsführung „bei Gelegenheit“ einer absichtlich provozierten Notwehrlage Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen soll nun das Problem der Absichtsprovokation näher in den Blick genommen werden. Dabei soll es jedoch weniger um eine detaillierte Auseinandersetzung mit der kaum noch überschaubaren Vielzahl von Lösungsansätzen zu dieser Problemstellung gehen.339 Vielmehr soll in erster Linie gezeigt werden, wie sich die Figur der Absichtsprovokation juristisch in den Griff bekommen lässt, wenn man den prokuratorischen Charakter des Notwehrrechts konsequent zu Ende denkt. Zugleich soll dabei herausgearbeitet werden, wie sich der Lösungsansatz der Rechtsprechung dogmatisch rekonstruieren lässt. Gekennzeichnet ist die Konstellation einer Absichtsprovokation bekanntlich dadurch, dass der Absichtsprovokateur erst zielstrebig „die Gelegenheit für die Ausführung der Verletzungshandlung“340 hervorruft, um den provozierten Angreifer sodann „unter dem Deckmantel“ der Notwehr durch physische Gewalt zu schädigen.341 Veranschaulichen lässt sich die Problemstellung anhand des folgenden Beispiels: A will dem Choleriker C unter dem Deckmantel der Notwehr einen Schlag versetzen. Deshalb ruft er ihm in einer Kneipe die Worte „Du Otterngezücht!“ zu. Als C daraufhin auf A losgeht und zu einem Faustschlag ansetzt, kann A dem Schlag nur noch dadurch entgehen, dass er dem C einen schmerzhaften Faustschlag gegen den Oberkörper versetzt. Variante: Zur Überraschung des A attackiert der Choleriker C ihn so geschickt, dass A eine Gegenwehr nicht möglich ist. Vielmehr fällt A infolge der körperlichen Attacke des C zu Boden, woraufhin C kontinuierlich mit den Fäusten auf ihn einprügelt. Als C plötzlich ein Messer aus seiner Hose zieht und zu einem Stich in den Oberkörper des A ansetzt, kann der inzwischen schwer angeschlagene A einer lebensgefährlichen Stichverletzung nur noch entgehen, indem er dem C in Todesangst mit letzter Kraft einen schmerzhaften Faustschlag gegen den Oberkörper versetzt. Dadurch kippt C nach hinten, was A dazu ausnutzt, um die Kneipe fluchtartig zu verlassen. S. für einen Überblick über die verschiedenen Positionen und Argumente etwa Hillenkamp/Cornelius, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, S. 15 ff. 340 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 116; s. auch Geilen, Jura 1981, 370, 372. 341 S. etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 65; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 84; Wessels/ Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 522; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 III 3 a, S. 345; Bitzilekis, Einschränkung, S. 148 f. 339
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Um den Blick zunächst dem Ausgangsfall zuzuwenden: Hier verletzte der Absichtsprovokateur A zunächst das Persönlichkeitsrecht des Cholerikers C, indem er diesem die Worte „Du Otterngezücht!“ zurief. Als der dadurch in Rage geratene Bürger C sodann auf den Bürger A losging, war der in der Persön lichkeitsrechtsverletzung liegende Angriff jedoch nicht mehr gegenwärtig. Damit korrespondiert, dass der Bürger C durch die körperliche Attacke auf den Bürger A seine Achtungspflicht gegenüber dessen Körperrecht verletzte, weshalb das objektive Recht dem Bürger A einen vorbeugenden Unterlassungs anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) an die Hand gab, dessen sofortige Geltendmachung in der vorliegenden Konstellation wegen des zu präsumierenden negatorischen Willens des Bürgers A auch zu unterstellen war (A → C: „Beende den Angriff!“). Hervorzuheben ist weiter, dass die vorangegangene Provokation dem Provozierten C kein Recht dazu gab, in den Rechtskreis des Provokateurs A einzudringen, um diesem physischen Schaden zuzufügen.342 Insbesondere lässt sich das Provokationsverhalten des Bürgers A nicht dahin auslegen, dass er dem Angreifer C konkludent eine Einwilligung zu einem Eingriff in seinen Rechtskreis erteilen wollte.343 Denn der Absichtsprovokateur A wollte keineswegs, dass der provozierte Angreifer C berechtigterweise in seinen Rechtskreis eindringt.344 Vielmehr wollte er dessen Angriff auf seinen Rechtskreis gerade dazu ausnutzen, um durch die Geltendmachung des ihm zustehenden negatorischen Abwehranspruchs den Grundstein für das Entstehen einer Notwehrlage zu legen. Darüber hinaus war in der vorliegenden Konstellation auch zu unterstellen, dass der Angriffsprovokateur A den Willen hatte, seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegenüber dem Polizeiträger B zu erheben (A → B), weshalb der Polizeiträger B dem Angriffsprovokateur A die Vollstreckung einer fiktiven Grundverfügung (B → C: „Beende den Angriff!“) gegen den Angreifer C schuldete. Deshalb lag in dem Beispielsfall ein Vollstreckungsgeschäft des Polizeiträgers B gegen den Angreifer C vor, was bedeutet, dass ein zufällig in der Kneipe anwesender Polizist P gehalten gewesen wäre, dem Polizeiträger B bei der Durchsetzung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer C zu 342
Vgl. MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 227. Vgl. aber Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 26 Rn. 43: „Da der Provokateur den Angriff des provozierten Gegners in seinen Gesamtplan einrechnet, liegt in seinem Verhalten ein der Einwilligung und der bewußten Risikoübernahme ähnlicher Verzicht auf den Rechtsgüterschutz bei seinen eigenen disponiblen Rechtsgütern […].“ Ähnlich H. Wagner, Notwehr begründung, S. 71 f.; Roxin, ZStW 93 (1981), 68, 85 f.; ders., ZStW 75 (193), 541, 575, 579; ders., Strafrecht AT, § 15 Rn. 65. 344 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 233; Jakobs, Strafrecht AT, 12/50; Matt, NStZ 1993, 271 f. 343
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helfen.345 Da vorliegend jedoch kein Polizist P vor Ort war, um das Polizeigeschäft wahrzunehmen, wurde jeder hilfswillige Bürger durch das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB in die Rolle des Polizisten versetzt. Dementsprechend lag hier eine Notwehr- bzw. Notgeschäftsführungslage vor, weil (1) die Grundsituation der Notwehr gegeben war und darüber hinaus auch (2) die Voraussetzungen für das Ob der Notwehr erfüllt waren. Außerdem müsste bei dem Bürger A in subjektiver Hinsicht ein finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens vorgelegen haben. Dabei spricht in rechtspraktischer Hinsicht, wie oben bereits ausgeführt wurde346, im Grundsatz eine Regelvermutung für das Vorliegen eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens, weil es bei der Notwehrübung unter rechtlichen Gesichtspunkten um die Wahrnehmung eines für den Bürger A objektiv fremden Vollstreckungsgeschäfts des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn geht. Fehlt es an entgegenstehenden Indizien, dann ist also grundsätzlich von einem rechtstreuen Leistungsverhalten des im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB tätig werdenden Bürgers auszugehen. Unter „normalen“ Umständen ist dementsprechend zu unterstellen, dass der Notwehrübende A seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) „in Ausübung“ des Notwehrrechts an den Polizeiträger B leisten wollte, um diesem bei dem Vollzug einer (fiktiven) Polizeiverfügung gegen den Angreifer C zu helfen. Diese Regelvermutung für ein rechtstreues Leistungsverhalten kommt vorliegend jedoch ausnahmsweise nicht zum Tragen, weil der Bürger A die äußerlich vorliegende Notwehrlage zielgerichtet hervorrufen hat, um seinem Mitbürger C unter dem Deckmantel der Notwehr einen Schlag zu versetzen. Vielmehr greift im Falle einer Absichtsprovokation – genau umgekehrt – eine widerlegbare Regelvermutung für das Vorliegen eines Eigengeschäftsführungswillens bei der Vornahme der Abwehrhandlung ein. Von dem Vorliegen einer zukunftsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Provokationshandlung (t1) ist somit grundsätzlich auf das Vorliegen einer gegenwartsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung (t2) zu schließen. Im Grundsatz ist dem Absichtsprovokateur also im Sinne einer widerlegbaren Vermutung zu unterstellen, dass er das ihm durch das Notwehrrecht „ad hoc übergeworfene Gewand“347 nur zum Schein tragen will, während es ihm in Wahrheit darum geht, die Besorgung eines Eigengeschäfts „bei Gelegenheit“ des VorlieVgl. Bockelmann, FS Honig, S. 31: „Niemand bestreitet, daß die Polizei, wenn sie zur Stelle wäre, den angegriffenen Provokateur trotz der vorangegangenen Provokation und selbst, wenn sie davon Kenntnis hätte, schützen müßte […].“ S. auch dens./Volk, Strafrecht AT, S. 92 f. 346 S. dazu sub § 3 B II 3 a aa, S. 103. 347 Formulierung von Pawlik, Notstand, S. 174 in Fn. 88 (zur funktionalen Rolle der Notstandsrechte; ohne die Hervorhebung des Originals). 345
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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gens einer äußerlich gegebenen Notwehrlage zu verdecken bzw. zu bemänteln. Wer einem Angreifer unter dem Deckmantel der Notwehr „eins auswischen“348 will, dem ist daher bei materiell-wertender Betrachtungsweise grundsätzlich kein finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens, sondern vielmehr ein Schädigungswille im Sinne eines Eigengeschäftsführungswillens zuzuschreiben.349 Im gleichen Sinne hebt denn auch die strafgerichtliche Rechtsprechung hervor: „Eine Absichtsprovokation begeht, wer zielstrebig einen Angriff herausfordert, um den Gegner unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen. In einem solchen Fall ist dem Täter Notwehr – jedenfalls grundsätzlich – versagt, weil er rechtsmissbräuchlich handelt, indem er einen Verteidigungswillen vortäuscht, in Wirklichkeit aber angreifen will.“350
Dieser dogmatische Lösungsansatz lässt sich ohne inhaltlich-sachliche Verfremdung mit der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption verknüpfen, indem man das von der Rechtsprechung kreierte Begriffspaar Angriffswille/ Verteidigungswille mit dem Begriffspaar Eigengeschäftsführungswille/Fremdgeschäftsführungswille gleichsetzt. Für den obigen Beispielsfall heißt das, dass dem Absichtsprovokateur A bei normativer Betrachtungsweise ein Eigengeschäftsführungswille im Sinne eines Angriffswillens zuzuschreiben ist, weil keine Umstände ersichtlich sind, welche die hier eingreifende Regelvermutung für einen Schädigungswillen widerlegen könnten. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Absichtsprovokateur B das objektiv fremde Vollstreckungsgeschäft des Staates B nicht „als fremdes“, sondern „als eigenes“ besorgt hat, wodurch sich der Zuwendungsgegenstand (sinnbildlich: die schlagende Faust) in der Rechtswelt auf horizontaler Ebene bewegt hat (A → C).351 Dementsprechend hat der böswillige Eigengeschäftsführer A rechtswidrig auf den Körper seines Mitbürgers C eingewirkt, womit korrespondiert, dass sein Vorsatz bei normativer Betrachtungsweise auf eine rechtswidrige Körperverletzung gerichtet war. Da der Bürger A zudem auch schuldhaft handelte, hat er sich hier wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.352 Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 65. Vgl. auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 555: „[B]ei normativer Bewertung [fehlt es] am Verteidigungswillen.“ Ebenso etwa Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 522 sowie Zieschang, FG Knemeyer, S. 460. 350 BGH NStZ 1983, 452; ebenso BGH NJW 2001, 1075; s. auch BGH NStZ-RR 2011, 305 sowie Fischer, StGB, § 32 Rn. 42. 351 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Lasson, Rechtsphilosophie, S. 288: „Wo nicht ge than wird, was in dem bestimmten Zwecke des Staates begründet ist, da ist es nicht der Staat, welcher handelt, sondern andere handeln mit dem Scheine, als handelte durch sie der Staat.“ 352 Wie das Provokationsverhalten des Absichtsprovokateurs A in dem obigen Beispielfall 348 349
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Um vor diesem Hintergrund die Variante des obigen Beispielsfalles genauer zu beleuchten: Hier ist das von dem Absichtsprovokateur A geplante Manöver fehlgeschlagen, woraufhin ihm Schäden drohten, die außerhalb seiner ursprünglichen Vorstellung lagen.353 Das heißt, in dieser Konstellation ist der Absichts provokateur in eine „echte“ Notlage geraten, in welcher ihm eine lebensgefährliche Stichverletzung drohte, aus welcher er sich nunmehr in Todesangst befreien wollte. Wie im Ausgangsfall liegt auch hier eine Notwehrlage vor, weil (1) die Grundsituation der Notwehr gegeben war und zudem auch (2) die Voraussetzungen für das Ob der Notwehr erfüllt waren. Weiter gilt es mit Blick auf das subjektive Wie der Notwehr zu sehen, dass im Falle einer Absichtsprovokation, wie soeben dargelegt wurde, eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen eines Eigengeschäftsführungs- bzw. Angriffswillens bei der Vornahme der Abwehrhandlung eingreift, weil von dem Vorliegen einer zukunftsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Provokationshandlung (t1) grundsätzlich auf das Vorliegen einer gegenwartsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung (t2) zu schließen ist.354 In der vorliegenden Fallgestaltung ist diese Vermutung jedoch widerlegt, weil bei materiell-wertender Betrachtungsweise aus der Perspektive des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB nicht davon ausgegangen werden kann, dass der unerwarteterweise in Lebensgefahr geratene Absichtsprovokateur A seine ursprüngliche Schädigungsabsicht auch noch zum Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung aufrechterhalten hat und einen Fremdgeschäftsführungs- bzw. Verteidigungswillen lediglich „vortäuschen“ wollte. Da die drohenden Verletzungen weit über das von dem Absichts provokateur A einkalkulierte Maß hinausgingen, ist vielmehr davon auszugehen, dass er sich zum Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung „wirklich“ verteidigen wollte, was bedeutet, dass ihm bei normativer Betrachtungsweise ein Fremdgeschäftsführungs- bzw. Verteidigungswille zuzuschreiben ist.355 Hervorzuheben ist weiter, dass der reumütige Absichtsprovokateur A in der hier in Rede stehenden Konstellation in objektiver Hinsicht an die Notwehreinschränkungen gebunden war, die generell in Provokationsfällen zu beachten sind, was bedeutet, dass das Notwehrrecht des Bürgers A grundsätzlich im Sinne der Drei-Stufen-Theorie (Ausweichen, Schutzwehr, Trutzwehr) eingeschränkt unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, kann für die Zwecke der vorliegenden Arbeit dahinstehen. 353 Vgl. zu dieser Konstellation auch NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 122; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 88; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 557; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 26 Rn. 44. 354 Vgl. etwa BGH NStZ 1983, 452; BGH NJW 2001, 1075; BGH NStZ-RR 2011, 305. 355 In diesem Sinne auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 557.
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war.356 Wegen der hier gegebenen Ultima-Ratio-Situation lag der zur Rettung notwendige Schlag gegen den Oberkörper des Angreifers C allerdings ohne Weiteres im Rahmen des notwehrrechtlich „Gebotenen“, weshalb vorliegend die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Notgeschäftsführung des Bürgers A „für“ den Polizeiträger B erfüllt waren. Für die juristische Konstruktion heißt das, dass in der Variante des Ausgangsfalls davon auszugehen ist, dass der Bürger A mit dem zweckgerichteten Willen gehandelt hat, seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) „in Ausübung“ des Notvertretungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB an den Polizeiträger B zu leisten, weshalb die von seinem Körper abgespaltene Faust in der Welt des Rechts übers Eck geflogen ist (A → B → C). Damit korrespondiert, dass der Polizeiträger B dem Angreifer C „in Ausübung“ seines Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen durch die Vollzugspolizei einen rechtmäßigen Schlag gegen dessen Oberkörper versetzt hat. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass im Falle einer Absichtsprovokation nicht die grundsätzliche Vermutung für das Vorliegen eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens eingreift, sondern – genau umgekehrt – eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen eines Eigengeschäftsführungswillens auf Seiten des Absichtsprovokateurs. Das bedeutet, dass von dem Vorliegen einer zukunftsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Provokationshandlung (t1) grundsätzlich auf das Vorliegen einer gegenwartsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung (t2) zu schließen ist. Damit ist zugleich gesagt, dass das materielle Kernproblem bei der Figur der Absichtsprovokation bei genauer Betrach tungsweise gar nicht die Provokationsabsicht des Schädigers ist, sondern die Schädigungsabsicht des Provokateurs. Festzuhalten ist weiter, dass die Vermutung für das Vorliegen eines Eigengeschäftsführungswillens auf Seiten des Absichtsprovokateurs widerlegt ist, wenn bei materiell-wertender Betrachtungsweise aus der Geschäftsherrnperspektive in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB von einem Willensumschwung auf Seiten des Absichtsprovokateurs auszugehen ist. Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn der provozierte Angreifer weit über die von dem Absichtsprovokateur einkalkulierten Verletzungen hinausgeht, wodurch der Absichtsprovokateur in eine „echte“ Notlage gerät, aus der er sich nun befreien will. Sobald dem Absichtsprovokateur aber ein Verteidigungswille im Sinne eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens zugeschrieben werden kann, gewinnt für ihn das vorangegangene Provokationsverhalten dergestalt an Bedeutung, dass jetzt die Notwehreinschrän356 Vgl. Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 557 sowie Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 26 Rn. 44.
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kungen zum Tragen kommen, die generell in Provokationsfällen zu beachten sind.357 Wie sich die stufenweise Limitierung des Notwehrrechts in solchen Fallgestaltungen auf Grundlage der hier vertretenen Notwehrkonzeption rekonstruieren lässt, wird unten näher beleuchtet.358 An dieser Stelle sei aber noch einmal hervorgehoben, dass der hiesige Lösungsvorschlag für das Problem der Absichtsprovokation in der Sache mit dem Lösungsansatz der Rechtsprechung korreliert, woraus sich die folgende Äquivalenzrelation ergibt: (1) Verteidigungswille = Fremdgeschäftsführungswille = Zuwendungswille Bürger → Staat; (2) Angriffswille = Eigengeschäftsführungswille = Zuwendungswille Bürger → Bürger. dd) Zusammenfassung Zusammenfassend ist an dieser Stelle festzuhalten, dass das subjektive Notwehr element auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzep tion als finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens zu rekonstruieren ist. In rechtspraktischer Hinsicht ist dabei grundsätzlich von dem Eingreifen einer widerlegbaren Regelvermutung für das Vorliegen eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens auf Seiten des Notwehr übenden Bürgers auszugehen, weil es im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB unter juristischen Gesichtspunkten um die Besorgung eines für den Bürger objektiv fremden Vollstreckungsgeschäfts des Staates als des Geschäftsherrn geht. Abzulehnen ist das Vorliegen eines finalen Notgeschäftsführungswillens jedoch, wenn ein in Kenntnis einer Notwehrlage agierender Bürger bei materiell-wertender Betrachtungsweise in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB aus der objektivierten Geschäftsherrnperspektive nicht „in Ausübung“ des Notgeschäftsführungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB handeln will, sondern vielmehr als böswilliger Eigengeschäftsführer „bei Gelegenheit“ einer Notwehrlage private Schädigungszwecke verfolgt (vgl. § 687 Abs. 2 BGB). Festzuhalten ist weiter, dass im Falle einer Absichtsprovokation ausnahmsweise nicht die Regelvermutung für das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens eingreift, sondern – genau umgekehrt – eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen eines Eigengeschäftsführungswillens des Absichtsprovokateurs zum Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung. Dementsprechend ist einem Absichtsprovokateur im Grundsatz zu unterstellen, dass er das ihm durch das Notwehrrecht „ad hoc übergeworfene Gewand“359 nur zum Schein tragen Vgl. Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 557. S. dazu sub § 3 B II 3 b ee, S. 134 ff. 359 Formulierung von Pawlik, Notstand, S. 174 in Fn. 88 (zur funktionalen Rolle der Notstandsrechte; ohne die Hervorhebung des Originals). 357
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B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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will, während es ihm in Wirklichkeit darum geht, die Besorgung eines Eigengeschäfts „bei Gelegenheit“ des Vorliegens einer äußerlich gegebenen Notwehrlage zu verdecken bzw. zu bemänteln. Schließlich sei auch an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass sich die von der Rechtsprechung an das subjektive Notwehrelement gestellten Anforderungen ohne dogmatische Inkonsistenzen oder substanzielle Verfremdungen mit dem hiesigen Ansatz verknüpfen lassen, wodurch Theorie und Praxis in einem harmonischen Gleichklang zusammenlaufen. b) Das objektive Wie der Notwehr Im nächsten Schritt soll nun das objektive Wie der Notwehr in den Blick genommen werden. Dabei wird zunächst gezeigt, wie sich das inhaltliche Maß prinzip für die Notgeschäftsführung durch den Bürger dogmatisch stringent herleiten lässt, bevor anschließend herausgearbeitet wird, wie sich die sog. „sozialethischen Einschränkungen“ der Notwehr in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik rekonstruieren lassen. In der Sache verfolgt das hiesige Rekonstruktionsvorhaben ein doppeltes Ziel. So geht es nämlich zum einen um „eine dogmatische Straffung der durch die kasuistischen Einschränkungsversuche arg zersplitterten Dogmatik der Notwehr“360 und zum anderen um eine rechtsstaatliche Bändigung des entgrenzten Notwehrrechts. aa) Der Wille des Geschäftsherrn als Maßstab für das objektive Wie der Notwehr Wie also lässt sich der Maßstab für das Wie der Notgeschäftsführung durch den Bürger dogmatisch stringent herleiten? Um diese Frage zu beantworten, gilt es sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass die gesetzliche Notwehrregelung bei funktionaler Betrachtungsweise den akustischen Hilferuf substi tuiert, an dessen Aussendung der Polizeiträger bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) gehindert ist, weshalb das Notwehrrecht als – fiktiver – an den Bürger gerichteter Hilferuf des Staates zu verstehen ist (B → A/D: „Bitte hilf mir bei der Vollstreckung!“). Denn aus dieser Überlegung lässt sich ableiten, dass der die Rolle des Polizisten übernehmende Bürger so zu stellen ist, wie er stünde, wenn er auf einen tatsächlichen Hilferuf des Polizeiträgers hin tätig geworden wäre. Das aber bedeutet, dass es sich bei dem in §§ 227 BGB, 32 StGB normierten Notwehrrecht um einen gesetzlich geregelten Spezialfall der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne 360
So schon das Anliegen von Schroeder, FS Maurach, S. 141.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Auftrag handelt, weshalb die Notwehrregelung im Lichte der §§ 677 ff. BGB zu interpretieren ist. Damit korrespondiert wiederum, dass der normative Maßstab für die „Gebotenheit“ einer Notwehrhandlung der (präsumtive) Wille des Geschäftsherrn ist (vgl. § 677 BGB). Dementsprechend hat sich der Notgeschäfts führer A bzw. D bei der Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts nach den hypothetischen Geboten des Polizeiträgers B zu richten (B → A/D: „Führe das Vollstreckungsgeschäft auf die Weise x!“).361 Das heißt, der in die Rolle des Polizisten schlüpfende Bürger hat den Willen des Polizeiträgers zu befolgen und als dessen „loyales alter ego“362 aufzutreten. Dabei lassen sich mit Blick auf das objektive Wie der Notgeschäftsführung in der Sache zwei Arten von möglichen Pflichtverletzungen unterscheiden: So kann der Bürger nämlich bei der Notgeschäftsführung entweder (1) ein unzulässiges Vollstreckungsmittel wählen oder (2) das Vollstreckungsgeschäft mit einem an sich zulässigen Vollstreckungsmittel schlecht ausführen.363 Wendet der Bürger unter Überschreitung seiner gesetzlichen Vertretungsmacht ein unzulässiges Vollstreckungsmittel an, dann scheidet eine Zurechnung seiner Handlung zum Staat aus.364 Eine fahrlässige Schlechtleistung ändert dagegen prinzipiell nichts an der Zurechnung eines Realakts zum Staat.365 In den folgenden Gliederungsabschnitten soll näher beleuchtet werden, wie sich die verschiedenen Notwehrschranken auf Grundlage des hiesigen Erklärungsmodells rekonstruieren lassen. Als Grundlage für die spezifischen Einschränkungen soll jedoch zunächst gezeigt werden, wie sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ohne dogmatische Friktionen in das Notwehrrecht integrieren lässt. bb) Die Integration des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Notwehrdogmatik Wenn sich die herrschende Meinung auch „geradezu krampfhaft“366 gegen die Integration des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Notwehrdogmatik wehrt, so wächst doch seit längerem „das Unbehagen an der mit den Maßstäben eines sozialen Rechtsstaats kaum zu vereinbarenden Weite“367 des Notwehrrechts. Ins 361
Vgl. auch NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 98: „Das [im Rahmen der Gebotenheit zu berücksichtigende] ‚Gebot‘ lässt sich zwanglos als hypothetischer Imperativ deuten, der besagt, dass derjenige, der von seiner Erlaubnis Gebrauch machen will, sich in dem hierfür rechtlich vorgesehenen Rahmen bewegen muss.“ 362 Begriff von Staudinger/Martinek/Omlor, BGB, § 662 Rn. 33 (für den Auftragnehmer). 363 Vgl. zu diesen Kategorien Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 235 sowie Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 58. 364 S. dazu auch unten sub § 3 B IV 1 b, S. 155 f. 365 Näher dazu unten sub § 3 B IV 1 a, S. 155. 366 Lagodny, Schranken, S. 265. 367 NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 8.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Wanken gebracht wurde das tradierte Dogma vom entgrenzten Notwehrrecht bekanntlich bereits von Schroeder, der die berechtigte Frage aufgeworfen hat, weshalb der Notwehrübende „zu einem schrankenlosen Schutz“ der Rechtsordnung berechtigt sein sollte, wenn „den ex professu zu ihrem Schutz berufenen Organen“ eine Angriffsabwehr „nur unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit“ gestattet sei.368 Weiterhin hat auch schon Schwabe darauf hingewiesen, dass „der Staat an der Notwehr zwar nicht realiter, wohl aber maßgeblich durch seine normative Erlaubnis beteiligt“ sei, weshalb es mit Blick auf Art. 1 Abs. 3 GG „ungereimt“ sei, dass der Bürger auf Grundlage des ihm von dem selben Gesetzgeber verliehenen Notwehrrechts zu Maßnahmen berechtigt sein soll, die einem Polizisten in absoluter Hinsicht nicht gestattet seien.369 Bernsmann hat ebenfalls konstatiert, dass ein nicht durch die Verhältnismäßigkeit begrenztes Notwehrrecht „aus verfassungsrechtlicher Perspektive befremdlich“ wirke, weil sich der Staat in einer „Schutzpflichtkollision“ befinde, was impliziere, dass er die Rechtsgüter des Angreifers „nicht um jeden […] Preis zur Disposition des Angegriffen stellen“ dürfe.370 An diese Überlegungen anknüpfend hat in jüngerer Zeit etwa Bülte hervorgehoben, dass ein Notwehrrecht, das „eine Verteidigung der Rechtsordnung um jeden Preis“ ermögliche, nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip in Einklang zu bringen sei.371 Wie aber lässt sich das entgrenzte Notwehrrecht rechtsstaatlich bändigen? Oder anders gefragt: Wie lässt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dogmatisch stringent in das Notwehrrecht integrieren? Nach hiesiger Auffassung ist der Schlüssel zur Lösung dieses Problems nicht in erster Linie auf grundrechtsdogmatischer Ebene zu suchen. Vielmehr sind die materiellen Schranken des Notwehrrechts aus dem rechtsdogmatischen Fundament dieses Rechtsinstituts herzuleiten.372 Dementsprechend haben die Überlegungen auch an dieser Stelle von dem dogmatischen Ansatzpunkt auszugehen, dass das Notwehrrecht bei funktionaler Betrachtung ein Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers A bzw. D zum Sofortvollzug einer (fiktiven) Polizeiverfügung ist, womit korrespondiert, dass der Wille des Polizeiträgers B, wie soeben dargelegt wurde373, die maßgebliche Größe für das (objektive) Wie der Schroeder, FS Maurach, S. 138. Schwabe, NJW 1974, 670, 671. 370 Bernsmann, ZStW 104 (1992), 290, 310 f.; ebenso Lagodny, Schranken, S. 265 f. 371 Bülte, GA 2011, 145, 166. 372 Dass die normativen Schranken des Notwehrrechts aus seinem dogmatischen Fundament herzuleiten sind, ist heute weitestgehend unstreitig (s. etwa Roxin, ZStW 1981 [93], 68, 70; dens., Strafrecht AT, § 15 Rn. 59; Geilen, Jura 1981, 370; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 227; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 47; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 III 3, S. 345; SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 105). 373 S. dazu sub § 3 B II 3 b aa, S. 119 f. 368 369
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Notwehr ist (vgl. § 677 BGB). Weiter gilt es zu sehen, dass der Polizeiträger B im vertikalen Außenverhältnis B–C zum Angreifer C bei der Vollstreckung des (fiktiven) Polizeibefehls durch sein Vollzugsorgan zur Beachtung des Grund satzes des Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist, wobei der Wille des Polizeiträgers B vernünftigerweise dahin geht, bei der Vornahme des Vollstreckungsakts keine Verhaltenspflichten zu verletzen. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der transitorische Vollstreckungshelfer A bzw. D nur dann im Einklang mit dem Willen des Geschäftsherrn B handelt, wenn er das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft im Innenverhältnis A–B bzw. D–B so führt, dass der im Außenverhältnis B–C durch sein Vollzugsorgan handelnde Polizeiträger B keine Verhaltenspflichten gegenüber dem Vollstreckungsgegner C verletzt. Dem entsprechend lautet das hypothetisch an den Notgeschäftsführer A bzw. D gerichtete Gebot des Geschäftsherrn B: „Wahre den Grundsatz der Verhältnis mäßigkeit!“ Oder um es in Anknüpfung an den Wortlaut von § 227 Abs. 1 BGB und § 32 Abs. 1 StGB zu sagen: Die Anwendung unverhältnismäßiger Vollstreckungsmittel ist nicht „geboten“, sondern „verboten“. Auf Grundlage der hiesigen Notwehrkonzeption fungiert also der „Geschäftsherrnwille“ als juristisches Konstruktionselement, um die den Geschäftsherrn B im Außenverhältnis B–C zum Angreifer C treffenden Rechte und Pflichten in das Innenverhältnis A–B bzw. D–B zum Notgeschäftsführer A bzw. D hineinzuspiegeln.374 Mit anderen Worten: Während der Geschäftsherr B im Verhältnis zum Vollstreckungsgegner C unmittelbar an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist, bindet dieser Grundsatz den Vollstreckungshelfer A bzw. D nur mittelbar über den Begriff des „Willens“ des Geschäftsherrn B. Die juristische Pointe der hiesigen Konstruktion liegt dementsprechend darin, dass die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB ein Implikat der juristischen Konstruktion übers Eck ist. Das heißt, das Notwehrrecht lässt sich rechtsstaatlich bändigen, indem man den traditionellerweise im Rechtsbewährungsprinzip verankerten Vollstreckungshelfergedanken („Statthalter der Rechtsordnung“, „pro magistratu“, „Rolle des Polizisten“ usw.) auch mit Blick auf das objektive Wie der Notgeschäftsführung konsequent zu Ende denkt.375 Auf den ersten Blick mag die Integration des Verhältnismäßigkeitsprinzips in die Notwehrdogmatik zwar als tiefgreifender Paradigmenwechsel erscheinen. Analysiert man aber das Notwehrrecht in seiner rechtswirklichen Gestalt, dann wird deutlich, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip in abgeschwächter Form 374 Näher zu dieser Konstruktion etwa Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 180 ff. sowie Schnapp, Amtsrecht, S. 94, 160 ff. 375 So andeutungsweise auch Bülte, GA 2011, 145, 159; Stangl, Notwehr, S. 130; NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 99.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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und unter fremden Namen entgegen allen anderslautenden Beteuerungen schon jetzt die Notwehrdogmatik durchdringt. Das ist keineswegs eine neue Einsicht. Vielmehr hat schon Schroeder auf die „latente Anerkennung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ in der Notwehrdogmatik aufmerksam gemacht.376 Weiter heben etwa auch Eser/Burkhardt hervor, dass Proportionalitätserwägungen de facto längst Eingang in die Notwehrdogmatik gefunden hätten, während sie verbal nach wie vor durch „terminologisches Schattenboxen“ aus ihr herausgehalten würden.377 Mit Blick auf das Gebot der Methodenehrlichkeit kann es indessen nur schwerlich Aufgabe der juristischen Dogmatik sein, das Verhältnismäßigkeitsprinzip durch begriffliche Falschmünzerei „aus der Notwehr hinauszudiskutieren“378. Vielmehr gilt es, die zahlreichen kasuistischen Einschränkungen der Notwehr dogmatisch auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und die normativen Grenzen des Notwehrrechts unter Rekurs auf dessen rechtliches Fundament neu zu justieren.379 cc) Angriffe auf das Sacheigentum Um die Konsequenzen der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption für die klassischen Problemkonstellationen aufzuzeigen, sollen zuerst die normativen Grenzen des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB bei der Abwehr von Angriffen auf das Sacheigentum genauer ausgeleuchtet werden. Zur Veranschaulichung der Problemstellung ein konkretes Beispiel: A hat sein Fahrrad im Wert von 50,– Euro unabgeschlossen auf seinem Grundstück abgestellt. Aus dem zweiten Stock seines Hauses sieht A, wie C das Grundstück betritt, sich auf das Rad schwingt und mit ihm davonfährt. Mit einer Pistole zu einem geöffneten Fenster eilend, ruft A dem C mit lauter Stimme die Worte „Gib mein Rad heraus oder ich schieße!“ zu. Doch C fährt ungerührt weiter. Auch ein von A abgegebener Warnschuss wird von C ignoriert. Mangels anderer Möglichkeiten, das Fahrrad zurückzuerlangen, gibt A einen Schuss auf C ab, wobei er auf dessen Beine zielt, aber einen Treffer in den Oberkörper billigend in Kauf nimmt. Die Kugel trifft C mit tödlichen Folgen von hinten ins Herz. Ist die Abgabe des Schusses vom Notwehrrecht gedeckt? Variante: Wie liegen die Dinge, wenn das Fahrrad 5.000,– Euro wert ist?
Um zunächst den Ausgangsfall unter Notwehrgesichtspunkten in den Blick zu nehmen: Hier hat der Bürger C zunächst seine Achtungspflicht gegenüber dem Eigentum des Bürgers A verletzt, indem er unmittelbar dazu ansetzte, ohne Schroeder, FS Maurach, S. 141. Eser/Burkhardt, Strafrecht I, Nr. 10 A 40; ebenso Eser, Am. J. Comp. L. 24 (1976), 621, 633; Lagodny, Schranken, S. 265 f.; Stangl, Notwehr, S. 124 ff.; Bosch, JA 2006, 490, 491; s. ferner auch Koch, ZStW 104 (1992), 785, 814 f. 378 Eser/Burkhardt, Strafrecht I, Nr. 10 A 45. 379 Vgl. auch NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 8. 376
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(präsumtive) Zustimmung des Bürgers A dessen Grundstück zu betreten, sich auf dessen Rad zu schwingen und mit diesem davon zu fahren. Das bedeutet, dass der Eigentümer A diese unmittelbar bevorstehenden Realakte mittels eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB abwehren konnte. Weiter verletzte der Bürger C seine Achtungspflicht gegenüber dem Eigentum des Bürgers A fortlaufend, indem er gegen dessen Willen die tatsächliche Sachherrschaft über dessen Fahrrad ausübte. Dabei gab das objektive Recht dem Eigentümer A ab dem Zeitpunkt des Besitzübergangs einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB an die Hand, den der Eigentümer A hier ausdrücklich geltend gemacht hat (A → C: „Gib mein Rad heraus!“ = „Beende den Angriff auf mein Eigentum!“). Weiter war der vorliegenden Situation auch davon auszugehen, dass der Bürger A seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend machen wollte (A → B), weshalb der Polizeiträger B dem Eigentümer A die Vollstreckung einer (fiktiven) Herausgabeverfügung (B → C: „Gib das Rad heraus!“) gegen den Angreifer C schuldete. Allerdings gilt es an dieser Stelle zu sehen, dass die Staatsperson B zur Vollstreckung des (fiktiven) Polizeibefehls nur auf verhältnismäßige Zwangsmittel zurückgreifen durfte, was für die vorliegende Fallgestaltung bedeutet, dass der Polizeiträger B nicht auf den mit der entwendeten Sache fliehenden Angreifer C schießen durfte, obwohl dies in der konkreten Situation das einzige Erfolg versprechende Mittel zur Durchsetzung der Herausgabepflicht war. Damit korrespondiert, dass dem Fahrradeigentümer A in der vorliegenden Sachlage kein Vollstreckungsanspruch gegen den Polizeiträger B auf Vornahme der unzulässigen Vollstreckungsmaßnahme an die Hand gegeben war. Oder anders ausgedrückt: Dem Eigentümer A stand nicht das Recht zu, dem Polizeiträger B den Befehl „Schieß!“ zu erteilen. Weiter geht mit der Unzulässigkeit der konkreten Vollstreckungsmaßnahme einher, dass es einem zufällig anwesenden Polizisten P dienstrechtlich untersagt gewesen wäre, das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft mit unverhältnismäßigen Vollstreckungsmitteln zu besorgen (B → P: „Wahre den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit!“). Nichts anderes gilt auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie für den Fahrradeigentümer A. Zwar war dieser in dem obigen Ausgangsfall wegen der punktuell-zufälligen Abwesenheit des regulären Staats personals grundsätzlich zur Übernahme der Notgeschäftsführung berechtigt. Allerdings lautet das an ihn gerichtete hypothetische Gebot des Geschäftsherrn B ebenfalls: „Wahre den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit!“ Dementsprechend war A beispielsweise dazu berechtigt, als „Repräsentant der Allgemeinheit“380
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Warda, Jura 1990, 344, 346.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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hinter dem Besitzentzieher C herzulaufen und ihn vom Rad zu ziehen.381 Die Abgabe eines Schusses auf den Angreifer C war dagegen nicht im Sinne von §§ 227 Abs. 1, 32 Abs. 1 BGB „geboten“. Das bedeutet, dem Bürger A fehlte hier sowohl das Dürfen als auch das Können, das Vollstreckungsgeschäft des Polizeiträgers B auf diese Art und Weise wahrzunehmen. Anders gewendet heißt das, dass eine Zurechnung des Besitzes an der Waffe (analog § 855 BGB)382 und der Abgabe des Schusses (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB) zum Polizeiträger B ausscheidet, weil A die normativen Grenzen seiner gesetzlichen Vertretungsmacht überschritten hat, sodass in der Welt des Rechts nicht der Polizeiträger B, sondern der Bürger A den Schuss auf den Besitzentzieher C abgegeben hat (A → C). Dabei gilt es im vorliegenden Zusammenhang klar zu sehen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB ausschließt. Der negatorische Abwehranspruch des Eigentümers muss hier also keineswegs dem Unrecht weichen. Vielmehr kommt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allein auf vollstreckungsrechtlicher Ebene zum Tragen, indem er dem Polizei träger den Zugriff auf ein spezifisches Vollstreckungsmittel versagt. Damit korrespondiert, dass dem Vollstreckungshelfer A die Anwendung dieses spezifischen Mittels ebenfalls untersagt ist, weil die maßgebliche Größe für die Wahrnehmung des staatlichen Vollstreckungsgeschäfts im Innenverhältnis A–B der im Rahmen der „Gebotenheit“ zu berücksichtigende Geschäftsherrnwille ist, der auf eine rechtmäßige Erledigung der Staatsaufgabe zielt. Die herrschende Meinung verneint in dem Ausgangsfall bekanntlich ebenfalls die „Gebotenheit“ der Notwehr, wobei zur Begründung der Notwehreinschränkung im Falle des „krassen Missverhältnisses“ ein bunter Strauß von Rechtsprinzipien ins Feld geführt wird.383 So wird etwa vorgebracht, dass die Notwehrschranke aus dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs folge.384 Andere meinen, hier breche das „Prinzip der Güterabwägung“ in das Notwehrrecht ein.385 Wieder andere halten das „die gesamte Rechtsordnung durchziehende Übermaßverbot“ für einschlägig.386 Schließlich wird in Teilen der Literatur Vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 84. S. zur Stellvertretung im Besitz auch Wieling, Sachenrecht, § 4 IV 2, S. 58 f. sowie Klinck, AcP 205 (2005), 487 ff. 383 S. für einen Überblick über die verschiedenen Lösungsansätze etwa LK/Rönnau/ Hohn, StGB, § 32 Rn. 230 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 176 ff.; SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 111. 384 Dafür etwa Fischer, StGB, § 32 Rn. 39 sowie Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 512. 385 So etwa Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 177. 386 Eser/Burkhardt, Strafrecht I, Nr. 10 A 45; ebenso Klose, ZStW 89 (1977), 61, 90 in Fn. 69. 381
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auch das Gebot zur „Mindestsolidarität“ herangezogen.387 Gegen alle diese Begründungsansätze ist indessen einzuwenden, dass es aus rechtsdogmatischer Perspektive nicht angeht, dem Notwehrrecht durch Rekurs auf externe Rechts prinzipien normative Schranken überzustülpen.388 Vielmehr gilt es, die rechtlichen Grenzen der Notwehr aus den Grundgedanken dieses Rechtsinstituts herzuleiten. Um diesem dogmatischen Postulat gerecht zu werden, versuchen einige Literaturstimmen die hier in Rede stehende Notwehreinschränkung aus dem Rechtsbewährungsprinzip abzuleiten.389 So wird etwa argumentiert, dass die Rechtsordnung durch den Einsatz krass disproportionaler Abwehrmittel letztlich „nicht bewährt, sondern pervertiert“ würde.390 In der Sache bleibt dieser vage an den Rechtsbewährungsgedanken anknüpfende Erklärungsansatz jedoch unergiebig, weil er kein inhaltliches Maßprinzip dafür liefert, ab welchem Punkt die Rechtsordnung nicht mehr „bewährt“, sondern „pervertiert“ wird. Unscharf bleibt ferner auch der Hinweis von Schroeder, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als „integrierender Bestandteil“ des Rechtsbewährungsprinzips erscheine.391 Aufhellen lässt sich die dogmatische Dunkelheit, indem man auf den traditionellerweise im Rechtsbewährungsprinzip verankerten Stellvertretergedanken rekurriert. Denn von diesem Ansatzpunkt aus lässt sich, wie dargelegt wurde, dogmatisch stringent herleiten, dass der Wille des Staates als des Vertretenen das inhaltliche Maßprinzip für das (objektive) Wie der Notwehr ist 387 Jakobs, Strafrecht AT, 12/46; SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 111; Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 88; ähnlich Roxin, ZStW 93 (1981), 68, 95 („Pflicht zur sozialen Rücksichtnahme“); ders., Strafrecht AT I, § 15 Rn. 84. 388 Zutreffend Krey, JZ 1979, 702, 714. – Abzulehnen ist ferner auch die Herleitung des Verbots krass disproportionaler Abwehrmittel aus einem teleologisch-systematischen „Vergleich mit den Proportionalitätsmaßstäben der §§ 904, 228 BGB“ (dafür aber etwa SK/ Günther, StGB, § 32 Rn. 111). Denn zum einen handelt es sich insoweit ebenfalls um eine „von außen“ an das Notwehrrecht herangetragene Schranke; und zum anderen ist gegen eine Anknüpfung an die Proportionalitätsmaßstäbe der §§ 904, 228 BGB einzuwenden, dass diese, wie unten sub § 3 C I, S. 173 ff. sowie sub § 3 C III, S. 191 ff. ausführlich dargelegt werden soll, auf materiellrechtlicher Ebene eine Rolle spielen, während der Proportionalitätsgedanke bei der Notwehr allein auf vollstreckungsrechtlicher Ebene zum Tragen kommt. – Nicht überzeugend ist ferner auch eine gedankliche Anknüpfung an die Regelung des § 153 StPO; dafür aber etwa Roxin, ZStW 93 (1981), 68, 95; s. dazu die zutreffende Kritik von LK/Rönnau/ Hohn, StGB, § 32 Rn. 232. 389 So etwa Krey, JZ 1979, 702, 714; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 58; Geilen, Jura 1981, 370, 374. 390 Krey, JZ 1979, 702, 714; ebenso ders./Esser, Strafrecht AT, Rn. 528; ähnlich Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 58: „Das Recht bewährt sich nicht, wenn es, salopp formuliert, erlaubt, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.“ 391 Schroeder, FS Maurach, S. 139.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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(vgl. § 677 BGB), womit wiederum korrespondiert, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mittelbar auch den als „Vertreter des Rechtsschutz übenden Staates“ auftretenden Bürger bindet.392 Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass die herrschende Meinung im Ausgangsfall (Wert des Fahrrads = 50,– Euro) ebenfalls die „Gebotenheit“ der Notwehr ablehnt, wobei die herkömmlicherweise zur Absicherung der Notwehrschranke des „krassen Missverhältnisses“ angeführten Begründungen aus rechtsdogmatischer Perspektive nicht überzeugen, weil sie allenfalls vage an die Grundgedanken des Notwehrrechts anknüpfen. Wie aber ist die Variante des Beispielsfalls zu beurteilen, in welcher der Wert des Fahrrads bei 5.000,– Euro liegt? Ob die Abgabe des Schusses in dieser Konstellation durch Notwehr „geboten“ ist, gehört nach wie vor „zu den ungeklärten Fragen des Notwehrrechts“393. Die noch immer überwiegende Meinung bejaht in dieser Sachlage die „Gebotenheit“ der Notwehr, wobei zur Begründung regelmäßig auf die Rigorosität des Rechtsbewährungsprinzips verwiesen wird.394 In dieser Konstellation soll die Rechtsordnung also durch die Abgabe des Schusses nicht „pervertiert“, sondern vielmehr „bewährt“ werden, weil kein „unerträgliches“ Missverhältnis vorliege.395 Indessen mehren sich seit längerem die Gegenstimmen, die eine lebensgefährdende Abwehrhandlung bei Angriffen auf das Sacheigentum für rechtswidrig halten.396 So hat etwa bereits Schwabe hervorgehoben, dass sich nicht erschließe, weshalb „eine dem Polizisten verliehene Befugnis, auf den fliehenden Fahrraddieb zu schießen“, vor dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zunichte werde, während das dem Bürger von demselben Gesetz geber verliehene Notwehrrecht „ungeachtet der in Art. 1 Abs. 3 GG statuierten Bindung der rechtsetzenden Gewalt an die Grundrechte von diesen unberührt bleiben“ solle.397 Ferner hat auch Bernsmann die Auffassung vertreten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Notwehr Berücksichtigung finden müsse, weil der sich in einer „Schutzpflichtkollision“ befindende Staat das Leben des Angreifers „nicht um jeden […] Preis zur Disposition des Ange392
Ausführlich dazu oben sub § 3 II 3 b bb, S. 120 ff. SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 112. 394 S. etwa Krey, JZ 1979, 702, 714 f.; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 59; Roxin, ZStW 93 (1981), 68, 94 f. 395 So etwa Krey, JZ 1979, 702, 714 f.; Roxin, ZStW 93 (1981), 68, 94 f. 396 So mit verschiedenen Begründungen etwa Bernsmann, ZStW 104 (1992), 290, 311; Frister, GA 1988, 553, 564; Lagodny, Schranken, S. 265 f.; Marxen, Notwehr, S. 61; NK/ Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 103, 112; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 50, 62; Schwabe, NJW 1974, 670, 671; Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 53. 397 Schwabe, NJW 1974, 670, 671. 393
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griffenen stellen“ dürfe.398 Darüber hinaus wird die Unzulässigkeit lebensgefährdender Abwehrmaßnahmen in der hier in Rede stehenden Konstellation nicht selten auch aus Art. 2 Abs. 2 lit. a EMRK abgeleitet.399 Mögen diese das Notwehrrecht limitierenden Ansätze auch vom praktischen Ergebnis her in die richtige Richtung weisen, so stellen sie doch keine dogmatisch schlüssige Verbindung zwischen den Einschränkungsgesichtspunkten und den Grundgedanken der Notwehr her. Denkt man dagegen den klassischerweise im Rechtsbewährungsprinzip verankerten Stellvertretergedanken konsequent zu Ende, dann lässt sich die Notwehrschranke zwangslos aus dem dogmatischen Fundament des Notwehrrechts deduzieren.400 Denn der Wille des Polizeiträgers B als des Vertretenen geht auch in der hier in Rede stehenden Konstellation dahin, dass das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft nur mit zulässigen Vollstreckungsmitteln besorgt wird, weshalb die Abgabe des Schusses durch den Bürger A nicht „geboten“ im Sinne von §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 StGB war. Dementsprechend steht die Begründung der Notwehr mit dem Rechtsbewährungsprinzip keineswegs der Integration des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in das Notwehrrecht entgegen. Vielmehr erscheint der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als integraler Bestandteil des überindividuellen Rechtsbewährungsprinzips, wenn man den in diesem Prinzip enthaltenen Vertretergedanken akzentuiert. Hervorzuheben ist, dass die hier vertretene Auslegung des „blankettartige[n]“401 Gebotenheitsbegriffs keineswegs die Grenze des Wortlauts von §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 StGB überschreitet.402 Denn der „Verweisungsbegriff“403 der Gebotenheit lässt sich zwangslos so auslegen, dass sich das objektive Wie der Notwehr nach den hypothetischen „Geboten“ des Staates als des Geschäftsherrn richtet, wobei das an den Notgeschäftsführer gerichtete fiktive „Gebot“ in der hier in Rede stehenden Konstellation „Wahre den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit!“ lautet.404 Die begriffliche Verortung der Grenzen des NotwehrBernsmann, ZStW 104 (1992), 290, 311. So etwa Frister, GA 1988, 553, 564; Marxen, Notwehr, S. 61; Schönke/Schröder/ Perron, StGB, § 32 Rn. 50, 62; Lührmann, Tötungsrecht, S. 258 ff.; Himmelreich, GA 1966, 129, 133. 400 In diese Richtung auch NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 99, 103. 401 Geilen, Jura 1981, 370; ebenso Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 528: „Blankettbegriff“. 402 Vgl. aber etwa SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 115; Kargl, ZStW 110 (1998), 38, 46; Bülte, GA 2011, 145, 162 f. 403 Amelung/Boch, JuS 2000, 261, 265. 404 Vgl. auch NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 98, der hervorhebt, dass sich das im Rahmen der Gebotenheitsklausel zu berücksichtigende „Gebot“ zwanglos „als hypothetischer Imperativ“ deuten lasse, der dem Bürger aufgebe, sich bei der Notwehrübung „in dem hierfür rechtlich vorgesehenen Rahmen [zu] bewegen“. 398
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rechts im Merkmal der „Gebotenheit“ entspricht ferner auch dem Willen des Gesetzgebers, der die Gebotenheitsklausel gerade deshalb aus dem früheren Recht übernommen hat, um Einschränkungen der inhaltlichen Reichweite des Notwehrrechts zu ermöglichen.405 Darüber hinaus spricht auch das Telos des subsidiären Notwehrrechts für die hier vertretene Auslegung der Gebotenheitsklausel, weil sich die Einschränkung der inhaltlichen Reichweite des Notwehrrechts, wie gezeigt wurde, stringent aus der Lückenfüllerfunktion des Notwehrrechts ableiten lässt. Nicht überzeugend sind schließlich die gegen ein durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenztes Notwehrrecht immer wieder erhobenen praktischen Bedenken.406 Denn es erschließt sich nicht, weshalb in Deutschland nicht praktikabel sein sollte, was sich in zahlreichen anderen (europäischen) Staaten als praxistaugliche Lösung erwiesen hat.407 Auch drohen dem Notwehr übenden Bürger A bzw. D auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption im Falle einer Schlechtausführung des staat lichen Vollstreckungsgeschäfts keine unangemessenen Haftungsrisiken.408 So haftet der Notgeschäftsführer A bzw. D dem Staat B als dem Geschäftsherrn nämlich für eine Schlechtausführung des Vollstreckungsgeschäfts gemäß § 280 Abs. 1 BGB (analog) nur im Falle eines Vertretenmüssens nach § 276 Abs. 1 S. 1 BGB auf Schadensersatz, wobei zu Gunsten eines nicht „geschäftsmäßig“ handelnden Notgeschäftsführers die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB in entsprechender Anwendung eingreift, was bedeutet, dass der Notwehrübende nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten hat.409 Ferner hat der Notwehr übende auch keine unangemessenen strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten, weil seinen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten auf Schuldebene hinreichend Rechnung getragen werden kann. Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Einsatz von unverhältnismäßigen Zwangsmitteln zur Abwehr von Angriffen auf S. BT-Drs. V/4095, S. 14; s. ferner auch Schünemann, JuS 1979, 275, 279 sowie NK/ Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 98. 406 Vgl. auch Schroeder, FS Maurach, S. 139. 407 Treffend Bülte, GA 2011, 145, 165. – Nur am Rande sei angemerkt, dass die gelegentlich aufgestellte These, dass die Maxime „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ stark im Rechtsbewusstsein der deutschen Bevölkerung verwurzelt sei (so etwa Krey, JZ 1979, 702, 712), jeder empirischen Grundlage entbehrt. Im Gegenteil wurde in einer im Jahr 2001 durchgeführten empirischen Studie festgestellt, dass die „Schneidigkeit“ des Notwehrrechts der deutschen Bevölkerung weitestgehend unbekannt ist und von ihr überwiegend auch nicht befürwortet wird (näher dazu etwa Amelung/Kilian, FS Schreiber, S. 3 ff.; Grünewald, ZStW 122 [2010], 51, 67 f.; Stangl, Notwehr, S. 134, 196). 408 Näher zu den haftungsrechtlichen Implikationen der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption unten sub § 3 B IV 1, S. 154 ff. 409 Näher dazu unten sub § 3 B IV 1 a, S. 155. 405
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das Sacheigentum auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption generell nicht im Sinne von §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 StGB „geboten“ ist. Mag dieses Ergebnis auch in der Literatur mehr und mehr Zuspruch erhalten, so fehlt es doch nach wie vor an einer schlüssigen Erklärung dafür, wie sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip dogmatisch stringent in das Notwehrrecht integrieren lässt. Diese dogmatische Lücke lässt sich schließen, indem man an den traditionellerweise im Rechtsbewährungsprinzip verankerten Stellvertretergedanken anknüpft. Denn von diesem Ansatzpunkt aus lässt sich zwangslos herleiten, dass der Wille des Staates als des Vertretenen das inhaltliche Maßprinzip für die „Gebotenheit“ der Notwehr ist. Transponiert auf eine höhere Abstraktionsebene heißt das, dass dem Notwehrübenden die Anwendung eines bestimmten Zwangsmittels immer dann „verboten“ ist, wenn dem Staat als dem Geschäftsherrn der Zugriff auf dieses konkrete Vollstreckungsmittel in absoluter Hinsicht untersagt ist. Wendet der Bürger das Vollstreckungsmittel gleichwohl an, dann überschreitet er die Grenzen seines Notvertretungsrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB.410 Anders gewendet: Wenn dem angegriffenen Rechtsinhaber in einer Abwehrlage kein staatsgerichteter Vollstreckungsanspruch auf die Vornahme einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan zusteht, dann ist die Vornahme der entsprechenden Vollstreckungsmaßnahme auch notwehrrechtlich unzulässig. dd) Schuldlose Angriffe Mit Recht befürwortet die herrschende Meinung weiterhin eine „sozialethische“ Einschränkung des Notwehrrechts in Fallgestaltungen, in denen Angriffe von schuldlos Handelnden ausgehen.411 Hier soll sich die „Gebotenheit“ der Notwehr im Grundsatz nach der Drei-Stufen-Theorie richten. Dementsprechend wird von dem Angegriffenen zunächst erwartet, dass er dem schuldlosen Angreifer nach Möglichkeit ausweicht (Stufe 1). Wo keine Ausweichmöglichkeit (mehr) besteht, soll er sodann zur Schutzwehr übergehen dürfen (Stufe 2). Sind die defensiven Schutzmöglichkeiten schließlich bis zur Zumutbarkeitsgrenze ausgeschöpft, soll der Notwehr übende Bürger auch zu aggressiver Trutzwehr „unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“412 berechtigt sein (Stufe 3). Dabei wird 410
Näher zu den haftungsrechtlichen Konsequenzen in so gelagerten Konstellationen unten sub § 3 B IV 1 b, S. 155 f. 411 S. etwa Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 52; NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 107; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 192 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 66; Wessels/ Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 518; Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 61 ff. 412 Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 52; in diesem Sinne auch NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 107; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 192 ff.; Geilen, Jura 1981, 370, 371; Schumann, JuS 1979, 559, 565.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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das Eingreifen der Schrankentrias regelmäßig damit legitimiert, dass das „Rechtsbewährungsinteresse“ bei schuldlosen Angriffen „entweder völlig aufgehoben oder doch stark abgeschwächt“ sei.413 Wie sich diese Einschränkung des Notwehrrechts auf Grundlage der hiesigen Konzeption dogmatisch rekon struieren lässt, soll anhand eines Beispiels veranschaulicht werden: Der erkennbar Geisteskranke C stürmt in einer Kneipe mit erhobener Faust auf den körperlich überlegenen A zu, um diesem körperlichen Schaden zuzufügen. A kann der Attacke des C zunächst durch einen schnellen Sprung zur Seite ausweichen. Doch schon im nächsten Augenblick geht C erneut auf A los. Zwar gelingt es dem mit Notwehrwillen handelnden A, einige leichtere Schläge des C defensiv abzuwehren. Allerdings prügelt C immer heftiger auf A ein. Mangels anderer Möglichkeiten, sich den Schlägen zu entziehen, beendet A schließlich die Attacke des C, indem er ihn durch einen gezielten Faustschlag gegen den Oberkörper auf den Boden befördert.
Um zunächst die juristischen Strukturen freizulegen: Hier verletzte der geisteskranke Angreifer C fortwährend seine Achtungspflicht gegenüber dem Körperrecht des Bürgers A, weshalb das objektive Recht dem Bürger A permanent negatorische Abwehransprüche zum Schutz seines Körperrechts an die Hand gab – nämlich Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zur Abwehr von künftigen Rechtsverletzungen und Beseitigungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) zur Abwehr von gegenwärtigen Rechtsverletzungen.414 Dementsprechend lag in der vorliegenden Fallgestaltung durchgängig ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff im Sinne von §§ 227 Abs. 2 BGB, 32 Abs. 2 StGB vor.415 Weiter war hier auch davon auszugehen, dass der angegriffene Rechtsinhaber A seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend machen wollte (A → B). Dementsprechend wäre ein zufällig in der Kneipe anwesender Polizist P prinzipiell gehalten gewesen, dem 413 Geilen, Jura 1981, 370, 371; ebenso Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 52; J escheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 III 3 a, S. 345; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 66. 414 Nach allgemeiner Auffassung ist die negatorische Haftung aus § 1004 BGB (analog) verschuldensunabhängig, womit korrespondiert, dass sie keine Verschuldensfähigkeit des Handelnden voraussetzt (s. nur Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 131; Bamberger/Roth/ Fritzsche, BGB, § 1004 Rn. 6, 54; Jauernig/Berger, BGB, § 1004 Rn. 15; Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 13). 415 So im Ergebnis auch die herrschende Meinung (s. statt aller SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 28 sowie Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 5). – Dagegen plädiert eine verbreitete Literaturauffassung für eine Reduktion des Anwendungsbereichs der Notwehr auf schuldhafte Angriffe (in diese Richtung etwa Otto, Grundkurs Strafrecht, § 8 Rn. 20 f.; Suppert, Notwehr, S. 321; Jakobs, Strafrecht AT, 12/16 ff.; Haas, Notwehr, S. 236; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 283 ff.; Marxen, Notwehr, S. 61 f.; Hruschka, Strafrecht, S. 142; differenzierend Engländer, Nothilfe, S. 259). S. zur Kritik an dieser gesetzesfernen These etwa Lesch, FS Dahs, S. 95 ff. sowie Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 10, 17 ff.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Polizeiträger B bei der Durchsetzung einer fiktiven Polizeiverfügung (B → C: „Beende den Angriff!“) gegen den Geisteskranken C zu helfen, indem er sich beispielsweise schützend vor den angegriffenen Rechtsinhaber A gestellt hätte. Da vorliegend jedoch kein regulärer Polizeidiener vor Ort war, durfte und konnte jeder Bürger auf Grundlage des Notwehrrechts in die Rolle des Polizisten schlüpfen, wobei das normative Maßprinzip für das Wie der Notwehr, wie oben gezeigt wurde416, der im Rahmen der „Gebotenheit“ zu berücksichtigende Geschäftsherrnwille bzw. das – fiktive – an den Notgeschäftsführer A gerichtete Gebot des Geschäftsherrn B ist (B → A: „Verhalte dich auf die Weise x!“). Doch welche Bedeutung kommt nun dem Drei-Stufen-Programm zu? Funktional betrachtet, dient es im vorliegenden Zusammenhang dazu, dem Notwehr übenden besondere Rücksichtnahmegebote aufzuerlegen, um so den Belangen des schuldlos handelnden Angreifers angemessen Rechnung zu tragen. Oder um es etwas präziser auszudrücken: Gegenüber einem schuldlos handelnden Angreifer C treffen den Polizeiträger B bei der Durchsetzung einer fiktiven Polizeiverfügung im vertikalen Außenverhältnis B–C besondere Rücksichtnahmepflichten, die über den im Rahmen der „Gebotenheit“ zu beachtenden Geschäftsherrnwillen in das vertikale Innenverhältnis A–B zum Vollstreckungs helfer A hineingespiegelt werden. So gesehen, ist das dem Notwehrübenden auferlegte Pflichtenprogramm ein Reflex des auf vollstreckungsrechtlicher Ebene eingreifenden Verhältnismäßigkeitsprinzips.417 Um auf den obigen Beispielsfall zurückzukommen: Hier hat sich der Notwehr übende Bürger A ohne Weiteres im Rahmen der Vorgaben der Drei-Stufen-Theorie gehalten, indem er der körperlichen Attacke des Geisteskranken C zunächst ausgewichen ist und sich anschließend nach Kräften bemüht hat, die Situation durch defensive Schutzwehr zu deeskalieren. Spätestens aber, als die Schläge des geisteskranken Angreifers C immer heftiger wurden, war der Bürger A hier auch zu aggressiver Trutzwehr berechtigt, weshalb der mit Not geschäftsführungswillen abgegebene Faustschlag gegen den Oberkörper des Geisteskranken C durch Notwehr „geboten“ war.418 Dementsprechend hat sich der Bürger A vorliegend in den Grenzen seines Vertretungsrechts gehalten, was 416
S. dazu sub § 3 B II 3 b aa, S. 119 f. Nicht überzeugend ist es daher, wenn zur dogmatischen Absicherung der Notwehreinschränkung auf den Proportionalitätsmaßstab des § 228 BGB verwiesen wird (so aber etwa Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 52; Geilen, Jura 1981, 370, 371; Schumann, JuS 1979, 559, 565). Denn bei der Sachwehr kommt das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht erst auf vollstreckungsrechtlicher, sondern bereits auf materiellrechtlicher Ebene zum Tragen (näher dazu unten sub § 3 C I, S. 173 ff.). 418 Vgl. auch Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 62: „Auch von einem Geisteskranken […] braucht niemand sich zusammenschlagen zu lassen.“ 417
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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bedeutet, dass in der Welt des Rechts die Staatsperson B dem Angreifer C einen Schlag mit der am Staatskörper sitzenden Faust versetzt hat (A → B → C). Nach hiesiger Lesart korrelieren die normativen Vorgaben der Drei-Stufen-Theorie also mit den – fiktiven – an den Notgeschäftsführer A gerichteten „Geboten“ des Geschäftsherrn B. Dabei ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass das Drei-Stufen-Modell nicht als starr fixiertes Handlungsschema, sondern als elastisches Aktionsprogramm mit gleitenden Übergängen zu verstehen ist. Dementsprechend ist der Notwehrübende in besonders bedrohlichen Situationen ohne Weiteres dazu berechtigt, ohne Umschweife sogleich zur aggressiven Trutzwehr gegen einen schuldlos Handelnden zu greifen.419 Zur Veranschaulichung ein Beispiel: „Der aus der psychiatrischen Anstalt entwichene schizophrene [C] überfällt seinen von der Arbeit heimkehrenden Nachbarn [A] hinterrücks mit einem Messer, weil er [A] für den Urheber einer gegen ihn gerichteten kosmischen Dauerbestrahlung hält. [D] rettet [A], indem er im letzten Augenblick vom Fenster aus den [C] durch eine lebensgefährliche Schußverletzung ausschaltet.“420
Hier hat der Geisteskranke C durch den Messerangriff seine Achtungspflicht gegenüber dem persönlichen Rechtskreis des Bürgers A verletzt, weshalb dem Rechtskreisinhaber A ein negatorischer Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) gegen den Angreifer C zustand, dessen Erhebung wegen des präsumtiven negatorischen Willens des Bürgers A auch unterstellt werden kann (A → C). Weiter war in der vorliegenden Sachlage auch davon auszugehen, dass der Bürger A seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Staat B geltend machen wollte (A → B), sodass der Polizeiträger B hier dem Angegriffenen A die Vollstreckung eines fiktiven Polizeibefehls gegen den Angreifer C (B → C) schuldete. Da vorliegend jedoch keine Dienstkraft der Polizei vor Ort war, um das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft wahrzunehmen, durfte und konnte der Bürger D als „Vertreter des Rechtsschutz übenden Staates“ auftreten und die Polizeiaufgabe auf Grundlage des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB wahrnehmen. Zwar zielt der im Rahmen der Gebotenheitsklausel zu berücksichtigende Geschäftsherrnwille bei Vollstreckungsmaßnahmen gegen schuldlose Angreifer im Grundsatz auf die Einhaltung eines abgestuften Eskalationsprogramms. Wegen der hier gegebenen Ultima-Ratio-Situation war der Notgeschäftsführer D allerdings ausnahmsweise dazu berechtigt, sofort zu aggressiver Trutzwehr zu greifen.421 Dementsprechend war die Abgabe des leVgl. auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 535. Geilen, Jura 1981, 370, 372. (Die zur Bezeichnung der Beteiligten verwendeten Buchstaben wurden der hiesigen Nomenklatur angepasst.) 421 Geilen, Jura 1981, 370, 372. 419
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
bensgefährlichen Schusses vorliegend von dem (präsumtiven) Willen des Geschäftsherrn B gedeckt und damit notwehrrechtlich „geboten“. Für die juristische Konstruktion bedeutet das, dass die Schusswaffe des mit Notgeschäftsführungswillen agierenden Bürgers D hier zunächst aus seiner Hand in die Hand des Geschäftsherrn B gewandert ist (§ 855 BGB analog)422 , woraufhin sich der Finger der Staatshand um den Abzug gekrümmt hat, als sich der Finger des Bürgers D entsprechend bewegte (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Damit korrespondiert, dass die abgefeuerte Kugel in der Welt des Rechts im äußeren Vertikalverhältnis B–C auf den geisteskranken Angreifer C zugeflogen ist (B → C), wobei der Staat B den Schuss in rechtmäßiger Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ seinem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang abgegeben hat, sodass hier ein rechtmäßiger staatlicher Vollstreckungsakt vorliegt. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass das Notwehrrecht als Mittel des negatorischen Rechtsschutzes auch die Abwehr von schuldlosen Angriffen ermöglicht, wobei den Notgeschäftsführer A bzw. D in diesen Konstellationen besondere Rücksichtnahmepflichten treffen, weil die den Staat B im Außenverhältnis (B–C) zu dem schuldlosen Angreifer C obliegenden Rücksichtnahmepflichten über den im Rahmen der Gebotenheitsklausel zu beachtenden Geschäftsherrnwillen in das Innenverhältnis (A–B bzw. D–B) zum Notgeschäftsführer A bzw. D hineingespiegelt werden. Transponiert auf eine höhere Abstraktionsebene heißt das, dass den Notgeschäftsführer immer dann besondere Rücksichtnahmepflichten treffen, wenn der Geschäftsherr gegenüber dem Vollstreckungsgegner zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet ist. ee) Unabsichtlich provozierte Angriffe Nachdem oben bereits gezeigt wurde, wie sich die Fallgestaltung der Absichts provokation dogmatisch rekonstruieren lässt 423, sollen nun Konstellationen in den Blick genommen werden, in denen der Provokateur zwar nicht absichtlich, wohl aber in zu beanstandender Weise einen Angriff hervorgerufen hat. Mit Recht gewährt die Rechtsprechung dem Bürger in diesen Konstellationen nur ein stufenweise eingeschränktes Notwehrrecht, wobei sich das notwehrrechtlich „gebotene“ Vorgehen wiederum nach dem Drei-Stufen-Modell (Ausweichen, Schutzwehr, Trutzwehr) richten soll.424 Wie aber lässt sich diese stufenweise Einschränkung des Notwehrrechts auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie dogmatisch rekonstruieren? Dieser Fragestellung soll anhand eines konkreten Beispielsfalles nachgegangen werden: 422
S. zur Stellvertretung im Besitz auch die Fundstellen auf S. 125 in Fn. 382. S. dazu sub § 3 B II 3 a cc, S. 112 ff. 424 S. etwa BGHSt 26, 143, 145 sowie BGH NStZ 2011, 82, 83. 423
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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C steigt in einen U-Bahn-Wagen ein, in dem sich außer ihm nur der Fahrgast A befindet. Als C kurz nach der Abfahrt an A vorbeigeht, stellt ihm dieser ein Bein, woraufhin C zu Boden stürzt, was A mit den Worten „Du Trottel, kannst Du nicht richtig gehen, oder was?“ kommentiert. Mit einer Gegenattacke des schmächtigen C rechnet der körperlich deutlich überlegene A dabei nicht. Nachdem C sich erhoben hat, rennt er allerdings voller Wut auf A zu, um diesem körperlichen Schaden zuzufügen. A weicht der Attacke des C zunächst durch einen schnellen Sprung zur Seite aus. Doch schon im nächsten Augenblick geht C erneut auf A los. Zwar gelingt es dem mit Notwehrwillen handelnden A, eine Serie von Schlägen dadurch abzuwehren, dass er sich schützend die Arme vor den Körper hält. Als der immer aggressiver werdende C jedoch plötzlich ein Messer aus der Jackentasche zieht und zu einem Stich in den Oberkörper des A ansetzt, versetzt A dem C einen gezielten Schlag gegen dessen Schulter, weil ihm keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um einer drohenden Stichverletzung zu entgehen.
Hier hat der Bürger A zunächst unter Verletzung seiner Achtungspflicht das subjektive Recht des Bürgers C an dessen Körper verletzt, indem er dem Bürger C ein Bein gestellt hat, sodass dieser zu Boden stürzte. Auch hat der Bürger A das Persönlichkeitsrecht des Bürgers C verletzt, indem er dessen Sturz mit den Worten „Du Trottel, kannst Du nicht richtig gehen, oder was?“ kommentierte. Als der wütende Bürger C zum Gegenschlag ansetzte, waren die rechtswidrigen Angriffe des Bürgers A jedoch nicht mehr gegenwärtig. Vor diesem Hintergrund verletzte der Bürger C seinerseits seine Achtungspflicht gegenüber dem Rechtskreis des Bürgers A, als er diesen attackierte, um ihm körperlichen Schaden zuzufügen.425 Dies impliziert, dass dem Bürger A hier Beseitigungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) zur Abwehr von gegenwärtigen Eingriffen und vorbeugende Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zur Abwehr von unmittelbar bevorstehenden Eingriffen in seinen Rechtskreis zustanden, wobei vorliegend eine Anspruchserhebung wegen des präsumtiven negatorischen Willens des Bürgers zu unterstellen ist (A → C: „Beende den Angriff!“). Ferner war hier auch davon auszugehen, dass der Bürger A seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten (A → B) geltend machen wollte, sodass der Polizeiträger B dem Bürger A die Vollstreckung einer fiktiven Polizeiverfügung (B → C: „Beende den Angriff!“) gegen den Angreifer C schuldete.426 Dementsprechend lag hier die Grundsituation der Notwehr vor. 425 Vgl. Bockelmann/Volk, Strafrecht AT, S. 92: „Läßt sich der Provozierte zu einem Angriff auf den Provokateur hinreißen, so ist dieser Angriff rechtswidrig.“ Vgl. ferner auch Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 302: „Das Recht erwartet, dass der Provozierte der Provokation widersteht.“ 426 Vgl. auch Bockelmann, FS Honig, S. 31: „Niemand bestreitet, daß die Polizei, wenn sie zur Stelle wäre, den angegriffenen Provokateur trotz der vorangegangenen Provokation und selbst, wenn sie davon Kenntnis hätte, schützen müßte […].“ Vgl. ferner auch Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 256, der treffend hervorhebt, dass der angegriffene Provokateur „schutzwürdig und schutzbedürftig“ bleibe.
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Doch wie wirkt sich der Umstand aus, dass der Bürger A gegenüber dem Bürger C „ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalles den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung“427 erscheinen lässt? Die zutreffende herrschende Meinung geht in so gelagerten Konstellationen von einem eingeschränkten Notwehrrecht des Provokateurs A aus, wobei sich das notwehrrechtlich „gebotene“ Verhalten nach dem Drei-Stufen-Modell richten soll: (1) Ausweichen, (2) Schutzwehr, (3) Trutzwehr.428 Diesen normativen Anforderungen ist der Bürger A in dem obigen Beispielsfall auch gerecht geworden, indem er zunächst dem Angriff des Bürgers C ausgewichen ist, sich sodann defensiv geschützt hat und zur aggressiven Trutzwehr erst übergegangen ist, als ihm keine anderen Möglichkeiten mehr zur Verfügung standen, um einen Messerstich in seinen Oberkörper zu vermeiden. Dementsprechend hat der Bürger A vorliegend als „verlängerter Arm“ des Polizeiträgers B agiert, sodass in der Welt des Rechts der Polizeiträger B seinen Arm schützend vor den Körper des Bürgers A gehalten hat, als dieser die Schläge des Bürgers C auf entsprechende Weise defensiv abwehrte (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Anders formuliert: Der mit Notwehrwillen agierende Notgeschäftsführer A hat hier seine physische Kraft an den Polizeiträger B geleistet, sodass sich der Zuwendungsgegenstand entlang der Rechtsrelationen A–B und B–C bewegt hat. Weiterhin ist auch der von der Bürger A im Namen des Staates B abgegebene Schlag gegen die Schulter des Bürgers C der Staatsperson B zuzurechnen, was impliziert, dass die schlagende Faust in der Welt des Rechts übers Eck geflogen ist (A → B → C). Das wiederum heißt, dass vorliegend die Staatsperson B dem Angreifer C einen rechtmäßigen Schlag durch ihr Vollstreckungsorgan mittels des Notwehr übenden Bürgers A versetzt hat. Weshalb aber zielt der im Rahmen der „Gebotenheit“ zu berücksichtigende Wille des Staates B hier auf ein abgestuftes Vorgehen des Provokateurs A gegen den provozierten Angreifer C? Zunächst gilt es insoweit zu sehen, dass es sich bei dem Verhalten des wütenden Bürgers C um eine rechtlich zwar verbotene, aber psychologisch doch nachvollziehbare Reaktion auf das vorangegangene Verhalten des Bürgers A handelt, weshalb eine taktvolle Deeskalation der Situation unter „Rücksichtnahme auf die besondere Gemütslage des Provozierten“ nach dem Geschäftsherrnwillen als „geboten“ erscheint.429 Das heißt, es entS. für dieses Kriterium BGH NStZ 2011, 82, 83; s. ferner auch Voigt/Hoffmann-Holland, NStZ 2012, 362, 364; Fischer, StGB, § 32 Rn. 44; Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 226; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 79. 428 S. etwa BGH NStZ 2011, 82, 83 sowie BGHSt 26, 143, 145. 429 Vgl. Schöneborn, NStZ 1981, 201, 202 ff. (s. für das Zitat S. 203); vgl. ferner auch Schünemann, JuS 1979, 275, 279 f. sowie Roxin, ZStW 93 (1981), 68, 88. – Gegen eine Rück427
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spricht hier dem Willen des Polizeiträgers B, dass dem Angreifer C wegen des vorangegangenen Geschehens eine gewisse „Schonzeit“ gewährt wird, die jedoch nicht unbegrenzt andauert, sondern gleichsam verbraucht wird, wenn defensive Schutzmittel nicht zur Deeskalation des Konflikts führen.430 Allerdings sind die Gründe für eine stufenweise Einschränkung des Notwehrrechts in der vorliegenden Fallgestaltung keineswegs nur in der Person des provozierten Angreifers zu suchen. Vielmehr kommt hier neben dem „Gedanke[n] der begrenzten Schutzwürdigkeit des provozierten Angreifers“ auch der „Aspekt der eingeschränkten Legitimation des Provokateurs zur Bewahrung der Rechtsordnung“431 zum Tragen. Anders formuliert: Der Angriffsprovokateur A erscheint hier angesichts des Vorgeschehens nicht als die „Idealbesetzung“ für die zu vergebene Rolle als loyales Alter Ego des Polizeiträgers B, weshalb aus der Perspektive des Geschäftsherrn B gewisse Vorbehalte gegen die Wahrnehmung des Vollstreckungsgeschäfts „‚gerade durch diesen unbeauftragt handelnden Geschäftsführer‘“432 bestehen.433 So ist nämlich zum einen zu besorgen, dass der Angriffsprovokateur A wegen seiner vorwerfbaren Verstrickung in die Konfliktentstehung dem provozierten Angreifer C „nicht als unbefangener Verteidiger“434 gegenübertreten werde; und zum anderen erscheint es auch unter Deeskalationsgesichtspunkten als wenig zweckmäßig, gerade den Angriffs provokateur A in die Vollstreckung gegen den provozierten Angreifer C einzuschalten. Damit korrespondiert, dass der Wille des Polizeiträgers B in erster sichtnahme auf die psychologisch nachvollziehbare Gemütserregung des provozierten Angreifers aber etwa Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht AT, § 15 Rn. 56 sowie Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 302. 430 Vgl. BGHSt 26, 256 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 69; Fischer, StGB, § 32 Rn. 45; Schünemann, JuS 1979, 275, 279 f. 431 S. für diese Kategorien Schünemann, JuS 1979, 275, 280. 432 S. für diese Formulierung Gursky, AcP 185 (1985), 13, 44: „Die Übernahme der Angelegenheit ‚gerade durch diesen unbeauftragt handelnden Geschäftsführer‘ muß dem Interesse und Willen des Geschäftsherrn entsprechen. Oder anders ausgedrückt: Es dürfen in der Person des Geschäftsführers keine Umstände gegeben sein, die gerade sein Eingreifen als unzweckmäßig und deshalb zumindest präsumtiv unwillkommen erscheinen lassen. Damit gewinnen die persönlichen Beziehungen zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherr und die allgemeine Zuverlässigkeit des ersteren entscheidende Bedeutung.“ (Hervorhebung im Original.) S. zur Bedeutung der konkreten Person des Geschäftsführers für die Übernahme eines fremden Geschäfts ferner etwa Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 241; MK/Seiler, BGB, § 678 Rn. 4; Palandt/Sprau, BGB, § 678 Rn. 2. 433 Vgl. auch Schumann, JuS 1979, 559, 565, der hervorhebt, dass der Angriffsprovokateur im Falle eines pflichtwidrigen Vorverhaltens „in der Rolle als Hüter und Bewahrer der Rechtsordnung“ eher „[u]nglaubwürdig“ wirke. Ähnlich Schünemann, JuS 1979, 275, 278, der ebenfalls unterstreicht, dass der Angriffsprovokateur „wenig berufen“ erscheint, um „zur Bewahrung der Rechtsordnung“ tätig zu werden. 434 Formulierung von Otto, Grundkurs Strafrecht, § 8 Rn. 98.
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Linie darauf zielt, dass der Angriffsprovokateur A das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft überhaupt nicht wahrnimmt, sondern den Konflikt auf andere Weise entschärft (etwa durch Ausweichen, Flucht, ein klärendes Gespräch435 oder eine Entschuldigung). Ist das nicht möglich oder weiterführend, so ist der Angriffsprovokateur A zwar zur Übernahme der Notgeschäftsführung berechtigt. Allerdings erscheint es nach dem Willen des Geschäftsherrn B dann als „geboten“, dass der Angriffsprovokateur A die Provokationswirkung seines Vorverhaltens durch defensive Schutzwehr möglichst neutralisiert 436 und nur als Ultima Ratio zur aggressiven Trutzwehr greift. Die stufenweise Einschränkung des Notwehrrechts ist in der vorliegenden Konstellation daher sowohl auf Gründe in der Person des provozierten Angreifers C (Rücksichtnahmegedanke) als auch auf Gründe in der Person des Angriffsprovokateurs A (Verstrickungsbzw. Neutralisierungsgedanke) zurückzuführen. Mit Blick auf die sozialpsychologische Komplexität von spiralförmig eskalierenden Provokationssituationen liegt es auf der Hand, dass die juristische Bewältigung dieser Fallgestaltungen in der Rechtspraxis keine leichte Aufgabe ist.437 Auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie lässt sich die Problemstellung jedoch in begrifflich-dogmatischer Hinsicht auf die schlichte Frage herunterbrechen, welches Verhalten des Angriffsprovokateurs A in der konkreten Angriffslage nach dem Willen des Geschäftsherrn B als „geboten“ erscheint. Dabei lassen sich die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Bewältigung von Provokationsfällen zwanglos mit dem hiesigen Maßprinzip verknüpfen, indem man die gängigen Formeln der Judikatur als Konkretisierungen des im Rahmen des Gebotenheitsbegriffs zu berücksichtigenden Geschäftsherrnwillens versteht. Als Faustformel kann insoweit gelten: „Je schwerer einerseits die rechtswidrige und vorwerfbare Verursachung der Notwehrlage durch den Angegriffenen wiegt, um so mehr Zurückhaltung ist ihm bei der Abwehr zuzumuten; andererseits sind die Beschränkungen des Notwehrrechts um so geringer, je schwerer das durch den Angriff drohende Übel einzustufen ist.“438
Weiter verfeinern lässt sich die tradierte Dogmatik freilich dadurch, dass man bei unabsichtlich provozierten Angriffen sauber zwischen dem Rücksichtnahmegedanken und dem Verstrickungsgedanken differenziert. Dabei wird der dogmatische Mehrwert dieser Differenzierung spätestens dann deutlich, wenn 435
Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 60. Vgl. auch Köhler, Strafrecht AT, S. 274 f.; vgl. ferner auch Lesch, FS Dahs, S. 105, der von einer Pflicht des Verteidigers zur „Revokation des Provokationsverhaltens“ spricht. 437 Vgl. dazu auch Roxin, NJW 1972, 1823. 438 BGH NStZ 2002, 425, 426; s. auch BGHSt 39, 374, 379; BGHSt 42, 97, 101; Fischer, StGB, § 32 Rn. 45; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 60. 436
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nicht der Angriffsprovokateur A, sondern ein nicht vorwerfbar in die Konfliktentstehung involvierter Dritter D das Vollstreckungsgeschäft des Polizeiträgers B gegen den provozierten Angreifer C wahrnimmt, weil dann der Verstrickungsgedanke wegfällt, weshalb der neutrale Dritte D regelmäßig weniger Zurückhaltung wahren muss als der negativ vorbelastete Angriffsprovokateur A. Schließlich ist an dieser Stelle noch zu klären, welche Qualität ein provozierendes Vorverhalten aufweisen muss, um als notwehreinschränkende Provokation in Betracht zu kommen. Weitgehende Einigkeit herrscht heute darüber, dass rechtlich verbotene Verhaltensweisen eine Einschränkung des Notwehrrechts nach sich ziehen können, wohingegen rechtlich erlaubte und sozialethisch nicht zu missbilligende Verhaltensweisen als notwehreinschränkende Provokation ausscheiden.439 Streitig ist jedoch, ob auch nicht rechtswidrige, aber sozial ethisch zu beanstandende Verhaltensweisen wie Belästigungen, Taktlosigkeiten und Hänseleien eine Einschränkung des Notwehrrechts nach sich ziehen können. Während die neuere Rechtsprechung440 die Streitfrage bejaht, wird sie im Schrifttum441 überwiegend verneint. Um den Streit zu entscheiden, gilt es sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass die stufenweise Einschränkung des Notwehrrechts bei Angriffsprovokationen einerseits durch eine gewisse Rücksichtnahme auf die psychologisch verständliche Gemütserregung des provozierten Angreifers und andererseits durch gewisse Bedenken gegen die Wahrnehmung des Polizeigeschäfts gerade durch den in die Konfliktentstehung verwickelten Angriffsprovokateur legitimiert ist. Weiter gilt es zu sehen, dass beide Gründe auch im Falle eines „bloß“ sozialwidrigen Vorverhaltens einschlägig sein können. So können nämlich auf der einen Seite Belästigungen, S. etwa BGHSt 27, 336 sowie aus der Literatur statt aller Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 74 sowie Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 71. 440 S. etwa BGH NStZ 2014, 451, 452: „Wer durch ein sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährdenden Waffe erst übergehen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit verschließt, ist er zu entsprechend weitreichender Verteidigung befugt. Steht fremde Hilfe – auch privater Art – zur Verfügung, so hat er auf sie zurückzugreifen. Gegen einen unbewaffneten Gegner kommt der Gebrauch einer lebensgefährlichen Waffe nur in Ausnahmefällen in Betracht; er darf nur das letzte Mittel zur Verteidigung sein.“ 441 S. etwa Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 59; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 255; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 234; Bitzilekis, Einschränkung, S. 144 ff.; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 78; Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 72 ff.; dens., ZStW 93 (1981), 68, 90; Schumann, JuS 1979, 559, 565; Grünewald, ZStW 122 (2010), 51, 79. 439
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Taktlosigkeiten und Hänseleien vom realen Provokationseffekt her genauso gemütserregend sein wie rechtswidrige Verhaltensweisen442; und auf der anderen Seite können auch „bloß“ sozialethisch zu beanstandende Verhaltensweisen gewisse Zweifel an der Zweckmäßigkeit einer Erledigung der Polizeiaufgabe durch den in die Konfliktentstehung verwickelten Angriffsprovokateur begründen. Vor diesem Hintergrund kann nach hiesiger Auffassung auch ein nicht rechtswidriges, aber sozialethisch zu beanstandendes Vorverhalten eine Einschränkung des Notwehrrechts nach sich ziehen. Dabei sei auch an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben, dass im Falle des Eingreifens eines „neutralen“ Dritten nur der Rücksichtnahmegedanke zum Tragen kommt, weshalb sein Notgeschäftsführungsrecht deutlich weniger eingeschränkt ist als das Notgeschäftsführungsrecht eines auf vorwerfbare Weise in die Konfliktentstehung verwickelten Bürgers. ff) Angriffe in engen persönlichen Beziehungen Weiterhin befürwortet die zutreffende herrschende Meinung auch eine Einschränkung der inhaltlichen Reichweite des Notwehrrechts bei der Abwehr von Angriffen in engen persönlichen Beziehungen wie Eheverhältnissen oder Eltern-Kind-Verhältnissen.443 Zur Legitimierung dieser Notwehreinschränkung wird dabei überwiegend auf das hier nicht voll zur Geltung kommende Rechtsbewährungsinteresse verwiesen.444 Wenig Klarheit herrscht freilich über die genauen Konturen dieser Notwehrschranke, wobei insbesondere die Rechtsprechung insoweit „ein eher diffuses Bild“445 bietet. Vor diesem Hintergrund soll es im Folgenden weniger um eine detailgenaue Bestimmung der Konturen des Notwehrrechts in dieser Fallgruppe gehen. Vielmehr soll in erster Linie gezeigt werden, wie sich eine vorsichtige Einschränkung des Notwehrrechts im Sinne der Drei-Stufen-Theorie in engen persönlichen Beziehungen auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie begründen lässt. Zur Veranschaulichung der Problematik zunächst ein kurzes Beispiel: Nach einer heftigen verbalen Auseinandersetzung geht der 17 Jahre alte Sohn C wutgeladen auf seinen körperlich unterlegenen Vater A los, um diesem einen kräftigen Faustschlag gegen Zutreffend Schünemann, JuS 1979, 275, 279. S. statt aller Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 53 sowie NK/Kindhäuser, StGB, § 32 Rn. 113 ff. 444 So etwa Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 32 Rn. 53; Schumann, JuS 1979, 559, 566; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 III 3 a, S. 346 („Gedanke der wesentlichen Minderung des Interesses an der Wahrung der Rechtsordnung“); Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 25 Rn. 100; Amelung/Boch, JuS 2000, 261, 265; Eser/Burkhardt, Strafrecht I, Nr. 10 A 37. 445 SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 129. 442 443
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den Kopf zu versetzen. Der mit Notwehrwillen handelnde Vater A kann dem Schlag nur noch dadurch entgehen, dass er einen ihm gehörenden Regenschirm ergreift und seinem Sohn C mit diesem einen Stoß gegen die Schulter versetzt.
Hier hat der Sohn C zunächst seine Achtungspflicht gegenüber dem Körperrecht seines Vaters A verletzt, indem er sich anschickte, diesem einen Faustschlag gegen dessen Kopf zu versetzen. Dementsprechend hat das objektive Recht dem Vater A vorliegend einen negatorischen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) an die Hand gegeben. Weiter war wegen des präsumtiven negatorischen Willens des Vaters A hier auch von einer Anspruchserhebung auszugehen (A → C: „Schlag mich nicht!“ = „Beende den Angriff!“). Da dem Vater A durch den gegen seinen Kopf gerichteten Faustschlag nicht nur unerheblicher Schaden drohte, war ferner auch zu unterstellen, dass er seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend machen wollte (A → B), weshalb der Polizeiträger B vorliegend dem Vater A die Vollstreckung eines fiktiven Polizeibefehls (B → C) gegen seinen Sohn C schuldete. Da vorliegend aber kein Polizist P anwesend war, um das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft wahrzunehmen, war der Vater A prinzipiell dazu berechtigt, in die Rolle des Polizisten zu schlüpfen und das Polizeigeschäft auf Grundlage des Notwehrrechts für den Polizeiträger B wahrzunehmen. Zwar ist bei der Abwehr von Angriffen in engen persönlichen Beziehungen wie dem Vater-Sohn-Verhältnis nach dem Willen des Geschäftsherrn B ein abgestuftes Vorgehen im Sinne der Drei-Stufen-Theorie „geboten“. Allerdings konnte der Vater A dem gegen seinen Kopf gerichteten Faustschlag seines Sohnes C hier nur durch einen Stoß mit dem Regenschirm gegen dessen Schulter entgehen, weshalb sein Vorgehen vorliegend mit dem Geschäftsherrnwillen in Einklang stand.446 Für die juristische Betrachtung heißt das, dass der Schirm aus der Hand des mit Notgeschäftsführungswillen handelnden Vaters A zunächst in die Hand des Polizeiträgers B gewandert ist (§ 855 BGB analog), woraufhin der Polizeiträger B dem Sohn C durch die Vollzugspolizei mit dem Schirm gegen die Schulter gestoßen hat, als sich der Arm des Polizeihelfers A entsprechend bewegte (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Das heißt, der Vater A hat dem Geschäftsherrn B vorliegend seinen mit dem Schirm zustoßenden Arm hingegeben (A → B), sodass in der Welt des Rechts im Verhältnis zum Sohn C allein der mit dem Schirm zustoßende Arm des Geschäftsherrn B in Erscheinung getreten ist (B → C). Für die juristische Konstruktion hat sich der mit dem Schirm zustoßende Arm des Vaters A in der vorliegenden Fallgestaltung somit übers Eck bewegt (A → B → C),
446
Vgl. auch Kindhäuser, Strafrecht AT, § 16 Rn. 47.
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weil der in den status procuratoris versetzte Vater A aus juristischer Perspektive „für den Staat und im Namen des Staats“447 gehandelt hat. Doch was ist nun der genaue Grund dafür, dass dem Angegriffenen A bei der Abwehr von Angriffen in besonders engen persönlichen Beziehungen nach dem Willen des Geschäftsherrn B ein möglichst zurückhaltendes Vorgehen im Sinne der Drei-Stufen-Theorie „geboten“ ist? Das strukturelle Kernproblem liegt hier darin, dass der in eigener Person angegriffene Notwehrübende A dem mit ihm eng verbundenen Angreifer C in der „Rolle des Polizisten“448 gegenübertritt. Denn damit korrespondiert, dass der Bürger A, juristisch gesehen, nicht mehr als loyaler Part der dyadischen Beziehung A–C, sondern als loyales Alter Ego des Polizeiträgers B agiert (A → B → C). Wegen der engen persönlichen Verbindung zu dem Vollstreckungsgegner C erscheint der Angegriffene A jedoch nicht als die „Idealbesetzung“ für die zu vergebende Rolle als Repräsentant des Polizeiträgers B (Befangenheitsgedanke). Hinzu kommt, dass zur Beilegung von eskalierenden Konflikten in engen persönlichen Beziehungen grundsätzlich zunächst alternative Streitbeilegungsmethoden ausgeschöpft werden sollen. Deshalb zielt der Geschäftsherrnwille in erster Linie darauf, dass der angegriffene Teil A einer dyadischen Zweierbeziehung A–C dem Angriff nach Möglichkeit ausweicht und die Notgeschäftsführung für den Polizeiträger B unterlässt. Ist ein Ausweichen im Einzelfall nicht (mehr) möglich oder zumutbar, so ist der Angegriffene A zwar zur Übernahme der Notgeschäftsführung für den Polizeiträger B berechtigt. Vor allem soweit es um die Abwehr leichterer Fehlhandlungen oder vereinzelt bleibender Entgleisungen geht, ist es dann aber nach dem Geschäftsherrnwillen „geboten“, dass der Notgeschäftsführer A unter größtmöglicher Schonung gegen den Angreifer C vorgeht.449 Hervorzuheben ist, dass sich die hier in Rede stehende Einschränkung der inhaltlichen Reichweite des Notwehrrechts nicht mit einer Garantenpflicht des Angegriffenen A gegenüber dem Angreifer C450 oder mit besonderen Rücksichtnahmepflichten aus dem horizontalen Rechtsverhältnis A–C451 begründen lässt.452 Denn sobald der Bürger A die Notgeschäftsführung für den PolizeiträSander, Archiv des Criminalrechts 1841, 68, 80. Bockelmann, FS Dreher, S. 244. 449 Vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rn. 99 sowie Rengier, Strafrecht AT, § 19 Rn. 69. 450 So aber etwa Geilen, Jura 1981, 308, 316; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 16 Rn. 47; Marxen, Notwehr, S. 38 ff.; Schumann, JuS 1979, 559, 566; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 519. 451 So aber etwa Lesch, FS Dahs, S. 104; Jakobs, Strafrecht AT, 12/58; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 239; SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 130; Schramm, Ehe und Familie im Strafrecht, S. 111 ff. 452 So im Ergebnis auch Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 25 Rn. 100; s. auch Roxin, 447
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ger B übernommen hat, tritt er dem Angreifer C für die juristische Betrachtung nicht mehr in seiner Rolle als Garant oder als Teil der persönlichen Beziehung A–C gegenüber, sondern in der Rolle als Polizist. Mit dieser funktionalen „Wandlung zum Amtsträger“453 geht einher, dass die Maßstäbe für das objektive Wie der Notgeschäftsführung rechtskonstruktiv nicht aus der Rechtsrelation A–C abgeleitet werden können. Vielmehr lautet die entscheidende Frage auch an dieser Stelle, welche „Gebote“ des Geschäftsherrn B für die Wahrnehmung des Vollstreckungsgeschäfts „‚gerade durch diesen unbeauftragt handelnden Geschäftsführer‘“454 gelten, wobei die den Geschäftsherrn B im vertikalen Außenverhältnis B–C zum Vollstreckungsgegner C treffenden Rechtspflichten wiederum über den im Rahmen der „Gebotenheit“ zu berücksichtigenden Geschäftsherrnwillen in das Innenverhältnis A–B zum Notgeschäftsführer A hi neinzuspiegeln sind. Weiterhin ist im vorliegenden Zusammenhang besonders zu betonen, dass eine Einschränkung des Notwehrrechts in engen Zweierbeziehungen keinesfalls auf einen Freibrief für körperliche Misshandlungen hinauslaufen darf, weshalb das Notwehrrecht bei Angriffen durch den körperlich überlegenen Teil einer engen Zweierbeziehung nur mit äußerster Behutsamkeit einzuschränken ist. Wie aber liegen die Dinge, wenn ein Dritter D zur Abwehr eines Angriffs in einer engen persönlichen Beziehung A–C bereitsteht? Insoweit gilt es zunächst zu sehen, dass sich eine vorsichtige Einschränkung des Notwehrrechts des Dritten D aus dem Befangenheitsgedanken allenfalls dann ableiten lässt, wenn der Dritte D seinerseits in einer engen persönlichen Beziehung zu dem Angreifer C steht. Unabhängig davon kann allerdings auch mit Blick auf das Notwehrrecht des Dritten D zu berücksichtigen sein, dass zur Beilegung von eskalierenden Streitigkeiten in engen persönlichen Beziehungen grundsätzlich zunächst alternative Streitbeilegungsmethoden ausgeschöpft werden sollen. Hervorzuheben ist weiter, dass dem angegriffenen Teil A einer engen persönlichen Beziehung A–C im Verhältnis zu einem hilfswilligen Dritten D kein vorrangiges Notgeschäftsführungsrecht „für“ den Polizeiträger B zusteht. Wer im konkreten Fall zur Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen im Namen des Polizeiträgers B auf Grundlage von §§ 227 BGB, 32 StGB berufen ist, beurteilt sich vielmehr auch in der hier in Rede stehenden Fallgruppe nach dem (präsumtiven) Willen des Geschäftsherrn B.
ZStW 93 (1981), 68, 102, der betont, dass „das Garantieverhältnis nur über seine Einwirkung auf das Rechtsbewährungsprinzip zur Notwehreinschränkung“ führe. 453 Formulierung von Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 267. 454 S. für diese Formulierung Gursky, AcP 185 (1985), 13, 44.
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gg) Zusammenfassung Als Fazit kann festgehalten werden, dass das inhaltliche Maßprinzip für das objektive Wie der Notwehr auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption der im Rahmen der „Gebotenheit“ zu berücksichtigende Geschäftsherrnwille ist, was bedeutet, dass sich der Notwehr übende Bürger A bzw. D bei der Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts gegen den Angreifer C nach den hypothetischen „Geboten“ des Polizeiträgers B zu richten hat (B → A/D: „Verhalte dich auf die Weise x!“). In der Sache fungiert der „Geschäftsherrnwille“ somit als juristisches Konstruktionselement, um die den Geschäftsherrn B im Außenverhältnis (B–C) zum Angreifer C treffenden Rechte und Pflichten in das Innenverhältnis (A–B bzw. D–B) zum Notgeschäftsführer A bzw. D hineinzuspiegeln. Damit korrespondiert, dass der Notwehr übende A bzw. D mittelbar an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist, weil der nach außen hin durch sein Vollstreckungsorgan handelnde Geschäftsherr B unmittelbar an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist. Anders gewendet heißt das, dass dem Notgeschäftsführer A bzw. D die Anwendung eines bestimmten Zwangsmittels immer dann „verboten“ ist, wenn dem Staat B als dem Geschäftsherrn der Zugriff auf das in Rede stehende Zwangsmittel untersagt ist. Weiter folgt aus der Konstruktion übers Eck (A–B–C bzw. D–B–C), dass den Notgeschäftsführer A bzw. D immer dann besondere Rücksichtnahmepflichten treffen, wenn der Geschäftsherr B gegenüber dem Vollstreckungsgegner C zu besonderer Rücksichtnahme verpflichtet ist. Auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption korrelieren die normativen Vorgaben der Drei-Stufen-Theorie daher mit den fiktiven an den Notgeschäftsführer gerichteten „Geboten“ des Geschäftsherrn. Dabei treffen den Notwehr übenden Bürger insbesondere dann besondere Rücksichtnahmepflichten, wenn es um die Durchsetzung von (fiktiven) Grundverfügungen gegen schuldlos handelnde Angreifer geht. Ferner kann auch in Provokationskonstellationen nach dem Geschäftsherrnwillen eine gewisse Rücksichtnahme gegenüber der rechtlich zwar verbotenen, aber psychologisch doch verständlichen Reaktion des provozierten Angreifers „geboten“ sein, wobei im Falle einer Notgeschäftsführung durch den vorwerfbar in die Konflikt eskalation verstrickten Angriffsprovokateur noch hinzukommt, dass aus der Perspektive des Geschäftsherrn gewisse Bedenken gegen eine Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts „‚gerade durch diesen unbeauftragt handelnden Geschäftsführer‘“455 bestehen, weshalb der Geschäftsherrnwille hier weiter darauf zielt, dass der Angriffsprovokateur die Provokationswirkung seines Vorverhaltens nach Möglichkeit durch defensives Verhalten neutralisiert. 455
S. für diese Formulierung Gursky, AcP 185 (1985), 13, 44.
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Schließlich kann nach dem Geschäftsherrnwillen auch bei der Abwehr von Angriffen in engen persönlichen Beziehungen ein abgestuftes Vorgehen im Sinne der Drei-Stufen-Theorie „geboten“ sein, wobei die besondere Problematik in diesen Konstellationen, wie gezeigt wurde, in der Triangulierung einer besonders eng verflochtenen Zweierbeziehung besteht. Letztlich geht es auf Grund lage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrtheorie in begrifflich-dogmatischer Hinsicht also immer um die Klärung der Frage, welches Verhalten in der konkreten Sachlage nach dem Geschäftsherrnwillen „geboten“ war, wodurch nicht nur „eine dogmatische Straffung der durch die kasuistischen Einschränkungsversuche arg zersplitterten Dogmatik der Notwehr“456 möglich wird, sondern zugleich auch eine rechtsstaatliche Bändigung des entgrenzten Notwehrrechts.
III. Ausgewählte Sonderprobleme Nachdem im Vorstehenden die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Notwehr näher ausgeleuchtet wurden, soll der Blick nun einigen ausgewählten Sonderproblemen im Zusammenhang mit dem Notwehrrecht zugewendet werden. Dabei soll zunächst erörtert werden, in welchen Konstellationen eine Pflicht des Bürgers zur Ausübung des Notwehrrechts in Betracht kommt (dazu 1.). Sodann wird untersucht, ob sich auch Dienstkräfte der Polizei auf das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB berufen können (dazu 2.), bevor das Augenmerk schließlich auf der Frage liegen soll, wie sich die Problemstellung der Putativnotwehr auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption rekonstruieren und lösen lässt (dazu 3.). 1. Die Pflicht des Bürgers zur Ausübung des Notwehrrechts In der Regel wird es dem Bürger freistehen, ob er von dem ihm verliehenen Notwehrrecht Gebrauch machen will oder nicht. Allerdings sind auch Konstellationen denkbar, in denen ein Bürger zur Übernahme der Notgeschäftsführung für den Staat verpflichtet ist.457 Einige der einschlägigen Fallgestaltungen sollen im Folgenden näher in den Blick genommen werden. Von besonderer Relevanz ist insoweit zunächst die durch § 323c StGB strafbewehrte allgemeine Bürgerpflicht zur Hilfeleistung in Unglücksfällen, weil ein diese Hilfspflicht auslösender Unglücksfall auch dann vorliegen kann, wenn durch einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff im Sinne von §§ 227 Abs. 2, 32 Abs. 2 StGB die Entstehung eines erheblichen Personen- oder Sachschaden droht, wodurch es zu einer 456 457
Schroeder, FS Maurach, S. 141. Ausführlich zu dieser Problemstellung Engländer, FS Roxin, S. 657 ff.
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Überschneidung von Hilfspflicht und Notwehrrecht kommen kann.458 Um diese Problemstellung anhand eines konkreten Beispiels zu veranschaulichen: Der Zwölfjährige C schlägt kontinuierlich mit den Fäusten auf den Kopf des hilflos am Boden liegenden Siebenjährigen A ein. Der zufällig vorbeikommende Berufsboxer D packt den C mit Notwehrwillen am Arm und zieht ihn von A weg.
Um zunächst die juristischen Strukturen offenzulegen: Hier verletzte C kontinuierlich seine Achtungspflicht gegenüber dem subjektiven Recht des A an seinem Körper, indem er mit den Fäusten auf dessen Kopf einschlug, weshalb das objektive Recht dem A fortlaufend negatorische Beseitigungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) zur Abwehr von gegenwärtigen Rechtsverletzungen und vorbeugende Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) zur Abwehr von unmittelbar bevorstehenden Rechtsverletzungen an die Hand gab, wobei vorliegend auch von einer Ausübung der Anspruchsrechte auszugehen war (A → C). Weiter war hier auch zu unterstellen, dass A seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend machen wollte (A → B), sodass der Polizeiträger B dem Angegriffenen A zur Vollstreckung einer fiktiven Grundverfügung (B → C) gegen den Angreifer C verpflichtet war. Dementsprechend hätte ein zufällig anwesender Polizist P dem Polizeiträger B im vertikalen Innenverhältnis P–B seinen Arm leihen müssen, um diesem bei der Vollstreckung der fiktiven Grundverfügung gegen den Angreifer C zu helfen. Da jedoch kein Polizist vor Ort war, um das Polizeigeschäft wahrzunehmen, war der Berufsboxer D hier auf Grundlage des Notwehrrechts zur Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts berechtigt. Darüber hinaus war der Bürger D aber auch zur Übernahme der Notgeschäftsführung für den Polizeiträger B verpflichtet, weil ihn vorliegend die von § 323c StGB „vorausgesetzte und mit einer Strafdrohung versehene“459 allgemeine Bürgerpflicht zur Hilfeleistung in Unglückfällen getroffen hat. So lag hier nämlich zum einen ein Unglücksfall im Sinne von § 323c StGB vor, weil dem Bürger A durch die gegen seinen Kopf gerichteten Schläge erheblicher Schaden drohte; und zum anderen konnte dem Berufsboxer D die erforderliche Leistung von Vollstreckungshilfe vorliegend auch zugemutet werden, da ihm durch sein Eingreifen keine erhebliche eigene Gefahr drohte. Dementsprechend hätte sich der Bürger D wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB strafbar gemacht, wenn er dem Staat B nicht in Ausübung des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB seinen Arm geliehen hätte. Vorliegend ist der mit Notwehrwillen 458 Vgl. MK/Freund, StGB, § 323c Rn. 65; LK/Spendel, StGB, 11. Aufl. 2005, § 323c Rn. 20; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, StGB, § 323c Rn. 7, 16; Bockelmann, FS Dreher, S. 244 f.; Engländer, FS Roxin, S. 659; Haas, Notwehr, S. 161 mit Fn. 74. 459 MK/Freund, StGB, § 323c Rn. 1.
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handelnde Bürger D seiner Hilfspflicht jedoch ordnungsgemäß nachgekommen, wobei es insbesondere auch notwehrrechtlich „geboten“ war, den Angreifer C am Arm zu packen und ihn von dem Angegriffen A wegzuziehen. Für die juristische Konstruktion bedeutet das, dass der Bürger D als Vollstreckungshelfer im Sinne von § 278 S. 1 Alt. 1 BGB (analog) seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine helfende Hand) im inneren Vertikalverhältnis D–B dem Polizeiträger B hingegeben hat, weshalb im äußeren Vertikalverhältnis B–C zum Angreifer C die am Staatskörper sitzende Hand der Staatsperson B in Erscheinung getreten ist und den Bürger C von dem Bürger A weggezogen hat (D → B → C). Mit Blick auf die allgemeine Problemstellung ist besonders zu betonen, dass die durch § 323c StGB strafbewehrte Pflicht zur Ausübung des Notwehrrechts nur in den Grenzen des Zumutbaren besteht, wobei eine Notgeschäftsführungspflicht insbesondere dann abzulehnen ist, wenn einem Bürger durch die Ausübung des Notwehrrechts erhebliche eigene Gefahren drohen. Am Beispiel: Wenn der Bürger D sieht, dass der Bürger A von dem Räuber C mit einer Pistole bedroht wird, dann wird der Bürger D wegen der erheblichen Gefahren eines Einschreitens regelmäßig nicht verpflichtet sein, auf Grundlage des Notwehrrechts als Vollstreckungshelfer des Staates B tätig zu werden.460 Hervorzuheben ist weiterhin, dass ein nicht in eigenen Rechten angegriffener Bürger über die durch § 323c StGB strafbewehrte Jedermannspflicht hinaus auch in seiner Eigenschaft als Beschützergarant zur Ausübung des Notwehrrechts verpflichtet sein kann.461 So würden die Dinge beispielsweise liegen, wenn in dem obigen Beispielsfall nicht der Berufsboxer D, sondern der Vater V des Siebenjährigen A anwesend gewesen wäre, als der Zwölfjährige C auf dessen Kopf einprügelte. Denn anders als der Berufsboxer D wäre der Vater V nicht nur wegen der durch § 323c StGB strafbewehrten Jedermannspflicht, sondern darüber hinaus auch wegen seiner Beschützergarantenstellung gegenüber seinem Sohn A gehalten gewesen, dem Polizeiträger B in Ausübung des Notwehrrechts seinen Arm zu leihen (V → B → C). Damit korrespondiert, dass im Falle des pflichtwidrigen Untätigbleibens des Vaters V neben einer Strafbarkeit gemäß § 323c StGB auch eine strafrechtliche Haftung aus einem unechtem Unterlassungsdelikt in Betracht kommen würde.462 Zwar werden einen Beschützergaranten im Vergleich mit einem nicht garantenpflichtigen Jedermann regelmäßig höhere Gefahrtragungspflichten treffen. Auch von einem Garanten wird man allerdings nichts Unzumutbares verlangen können.463 Am Beispiel: Wenn der Vater D sieht, dass Vgl. Engländer, FS Roxin, S. 661. Engländer, FS Roxin, S. 659 ff. 462 Vgl. Engländer, FS Roxin, S. 671. 463 Vgl. Schönke/Schröder/Stree/Bosch, StGB, Vor § 13 Rn. 155; Fischer, StGB, § 13 Rn. 80 ff.; Heinrich, Strafrecht AT, Rn. 904; NK/Wohlers/Gaede, StGB, § 13 Rn. 17 f. 460 461
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sein minderjähriger Sohn A von dem Räuber C mit einer Pistole bedroht wird, dann wird der Vater D wegen der erheblichen Gefahren eines Einschreitens regelmäßig nicht rechtlich verpflichtet sein, in Ausübung des Notwehrrechts als Vollstreckungshelfer des Staates B tätig zu werden.464 Allerdings steht ihm natürlich auch in dieser Konstellation die „überobligatorische“ Ausübung des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB offen. Als kurzes Fazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass ein nicht in eigenen Rechten angegriffenen Bürger aus verschiedenen Rechtsgründen zur Leistung von Vollstreckungshilfe zugunsten des Staates in Ausübung des Notwehrrechts verpflichtet sein kann, wobei dem Hilfspflichtigen in keinem Fall etwas Unzumutbares abzuverlangen ist. 2. Zur Möglichkeit der Berufung von Polizeidienstkräften auf das Notwehrrecht Als Nächstes soll die umstrittene Frage in den Blick genommen, ob sich auch Dienstkräfte der Polizei auf das Notwehrrecht berufen können. Dabei wird es freilich weniger um eine detaillierte Auseinandersetzung mit der umfangreichen Literatur zu dieser Fragestellung gehen.465 Vielmehr soll in erster Linie gezeigt werden, wie sich diese Problemstellung lösen lässt, wenn man den lückenfüllenden Charakter des subsidiären Notwehrrechts dogmatisch zu Ende denkt. Zunächst ist an dieser Stelle jedoch anzumerken, dass die hier in Rede stehende Problemstellung in der Literatur häufig dadurch verwirrt wird, dass die Begriffe Amtswalter, Hoheitsträger und Staatsorgan synonym verwendet werden, womit regelmäßig einhergeht, dass die einschlägigen Zurechnungsketten kurzerhand ausgeblendet werden. Eine saubere Problemlösung kann indessen nur gelingen, wenn man streng zwischen den Begriffen (1) Amtswalter = Polizist, (2) Hoheitsträger = Polizeiträger und (3) Staatsorgan = Polizei unterscheidet und sich ein weiteres Mal die einschlägigen Zurechnungsketten vor Augen führt: „Das Handeln eines konkreten Amtswalters gilt als Handeln des Amtes, dies wiederum als das des Organs, welches schließlich den Akt der juristischen Person vermittelt.“466 Weiter gilt es sich im vorliegenden Zusammenhang noch einmal zu vergegenwärtigen, dass die gesetzliche Notwehrregelung bei funktionaler Betrachtung den akustischen Hilferuf substituiert, an dessen Aussendung der Polizeiträger in einer Angriffslage aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) gehindert ist, weshalb das Notwehrrecht als – fiktiver – an den Vgl. Engländer, FS Roxin, S. 661. S. für einen ausführlichen Überblick über den Streitstand etwa Jahn, Strafrecht, S. 272 ff. sowie LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 216 ff. 466 Schnapp, Amtsrecht, S. 94. 464 465
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Bürger gerichteter Hilferuf des Staates zu verstehen ist, was wiederum bedeutet, dass dem Bürger durch das in §§ 227 BGB, 32 StGB geregelte Not-Geschäftsführungsrecht das Dürfen und Können verliehen wird, als irregulärer Polizeihelfer das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft gegen den Angreifer wahrzunehmen. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine Berufung von regulären Dienstkräften der Polizei auf das Notwehrrecht deshalb ausscheidet, weil sie bereits kraft ihrer Stellung als Polizeibeamte das Dürfen und Können zur Wahrnehmung von polizeilichen Vollstreckungsgeschäften haben.467 Dementsprechend laufen die sog. Notrechtsvorbehalte in den Polizeigesetzen468 nach hiesiger Auffassung leer.469 Insbesondere ist auch der verbreiteten These470 zu widersprechen, dass das Notwehrrecht des Bürgers zumindest für die Beurteilung der Strafbarkeit eines Amtswalterverhaltens anwendbar bleibe. Denn für die Frage nach der Strafwürdigkeit eines pflichtwidrigen Amtswalterverhaltens gibt ein Rückgriff auf das in §§ 227 BGB, 32 StGB geregelte Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers nichts her. Weiter ist im vorliegenden Zusammenhang zu betonen, dass ein diensthabender Polizist für die juristische Betrachtung auch dann nicht aus der Polizistenrolle heraustritt, wenn er in Ausübung seiner dienstlichen Funktion einen gegen sich gerichteten Angriff abwehrt.471 Am Beispiel: Der sich im Dienst befindliche Streifenpolizist P wehrt einen gegen ihn gerichteten Messerangriff des Bürgers C durch einen Faustschlag gegen dessen Oberkörper ab, wobei er mit dem Willen handelt, seines Amtes zu walten. Naturalistisch gesehen, gibt hier natürlich der Polizist P dem Bürger C einen Schlag. Betrachtet man das Geschehen jedoch durch die Brille des Rechts, dann erscheinen die Dinge in einem anderen Licht, weil der „mit Vertretungsmacht nach Art der Prokura“472 ausgestattete Treffend Lesch, Notwehrrecht, S. 36 in Fn. 63: „Weil die Staatsorgane schon begrifflich keine ‚Nothelfer‘, sondern eben reguläre Helfer sind, können sie sich bei der Ausübung ihrer Profession […] auf Not-rechte gerade nicht berufen.“ (Hervorhebungen im Original.) Ähnlich Seelmann, ZStW 89 (1977), 36, 55: „Als Aussparung vom modernen Justizmonopol des Staates greift [das Notwehrrecht] nur ersatzweise ein, wenn staatliche Hilfe nicht rechtzeitig zur Stelle ist. Schon wegen dieser Zweckbestimmung kann es keine Eingriffsrechte des Staates gewähren.“ 468 Eine Auflistung der einschlägigen Vorschriften findet sich etwa bei Pieroth/Schlink/ Kniesel, POR, § 12 Rn. 25 in Fn. 1 und 2. 469 So im Ergebnis auch Jahn, Strafrecht, S. 416 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 12/43; Haas, Notwehr, S. 329; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 220; Kunz, ZStW 95 (1983), 973, 981 ff.; Lesch, Notwehrrecht, S. 36 in Rn. 63. 470 S. statt aller SK/Günther, StGB, § 32 Rn. 17; Engländer, Nothilfe, S. 228 ff.; Pieroth/ Schlink/Kniesel, POR, § 12 Rn. 25; Götz/Geis, POR, § 13 Rn. 54. 471 Zutreffend Seelmann, ZStW 89 (1977), 36, 54 ff.; Kunz, ZStW 95 (1983), 973, 981 ff.; Lerche, FS v. d. Heydte, S. 1041 ff. 472 Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 217. 467
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
und im Namen des Polizeiträgers B auftretende Polizist P den auf sich gerichteten Angriff in Erfüllung seiner Dienstpflicht abwehrt, was bedeutet, dass er seine volle Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) an den Polizei träger B als seinen Dienstherrn leistet (P → B), woraufhin der Polizeiträger B in der nächsten juristischen Sekunde die empfangene physische Kraft durch die Polizei in Gestalt eines Faustschlags an den Verhaltensstörer C weiterleitet (B → C), um so die von diesem ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren und den Polizisten P zu schützen.473 Rechtlich gesehen, nimmt der Polizist P also durch die Abwehr des gegen ihn gerichteten Messerangriffs eine polizeiliche Vollstreckungsaufgabe gegen den Angreifer C wahr, weshalb die physische Kraft über den Polizeiträger B als Zwischenperson zirkuliert (P → B → C).474 Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass sich Dienstkräfte der Polizei in keiner Weise auf das Notwehrrecht berufen können, weshalb die Notrechtsvorbehalte in den Polizeigesetzen vollständig leerlaufen. Anders gewendet heißt das, dass sich etwaige Defizite des Polizeirechts nicht über das Notwehrrecht kompensieren lassen. Vielmehr ist der Gesetzgeber zur Schaffung ausreichender polizeirechtlicher Vorschriften aufgerufen, soweit die polizeirechtlichen Regelungen keine befriedigende Problemlösung erlauben.475 3. Putativnotwehr Schließlich soll noch herausgearbeitet werden, wie sich die Problemstellung der Putativnotwehr auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Notwehrkonzeption rekonstruieren und lösen lässt.476 Wie oben gezeigt wurde, ist das Vorliegen einer Notwehrlage nach hiesiger Auffassung nur zu bejahen, wenn (1) die Grundsituation der Notwehr aus der ex-ante-Perspektive eines hinzugedachten Repräsentanten des Polizeiträgers B vorliegt477 und wenn (2) die Übernahme der Notgeschäftsführung „für“ den Staat B durch den Bürger A bzw. D
Näher zu dem hier einschlägigen Teilrechtsgut der öffentlichen Sicherheit Jahn, Strafrecht, S. 424 f. 474 Handelt ein Polizist P dagegen bei normativer Betrachtungsweise nicht „in Ausübung“ seines Amtes, sondern nur „bei Gelegenheit“ der Amtsausübung, dann scheidet eine Zurechnung des Amtswalterhandelns zum Staat B aus, was impliziert, dass der Polizist P rechtswidrig in den Rechtskreis des Angreifers C eingreift (P → C). Vgl. dazu auch die obigen Ausführungen sub § 3 B II 3 a bb, S. 106 ff. sowie die Nachweise auf S. 108 in Fn. 328. 475 Zutreffend Lerche, FS v. d. Heydte, S. 1041 ff. 476 S. für einen Überblick über die verschiedenen Positionen und Argumente etwa Hillenkamp/Cornelius, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, S. 81 ff. 477 S. dazu sub § 3 B II 1, S. 83 ff. 473
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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von Willen des Geschäftsherrn B gedeckt ist478. Wie aber liegen nun die Dinge, wenn sich ein mit Notgeschäftsführungswillen handelnder Bürger eine Sachlage vorstellt, bei deren Vorliegen ihm das gesetzliche Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zustünde, während eine solche Sachlage aus der Perspektive eines hinzugedachten pflichtgetreuen Polizisten P nicht vorliegt? Um die Problemstellung anhand eines konkreten Beispielsfalles zu veranschaulichen: Der ängstliche Spaziergänger A denkt, dass der direkt auf ihn zugehende C ihm einen Schlag versetzen wolle. Deshalb stößt er den C mit Notwehrwillen durch einen Faustschlag gegen dessen Oberkörper von sich weg, wodurch C einen Rippenbruch erleidet. Aus der Perspektive eines hinzugedachten pflichtgetreuen Polizisten P war allerdings zweifelsfrei erkennbar, dass C dem A nur mit erhobener Hand einen Wahlkampf-Flyer anbieten wollte, was A bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch hätte erkennen können.
Wie oben dargelegt479, korreliert die Perspektive eines pflichtgetreuen Polizisten P deshalb mit der Perspektive des Polizeiträgers B, weil diesem das Wissen des Polizisten P nach dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen ist. Für den vorliegenden Beispielsfall heißt das, dass aus der „objektiven“ Perspektive des Polizeiträgers B die Grundsituation der Notwehr nicht gegeben war, weil aus der Sicht eines hinzugedachten Polizisten P zweifelsfrei erkennbar war, dass der Bürger C dem Bürger A nur einen Wahlkampf-Flyer anbieten wollte, worin kein Angriff auf den Rechtskreis des Bürgers A zu erblicken ist. Damit korrespondiert, dass in dem Beispielsfall keine Notwehrlage vorliegt, weil bereits die Grundsituation der Notwehr nicht gegeben ist. Allerdings stellte sich der Bürger A hier einen Sachverhalt vor, bei dessen Vorliegen ihm das gesetzliche Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zugestanden hätte, wobei er sich in dem von ihm imaginierten Szenario auch im Rahmen des notwehrrechtlich „Gebotenen“ bewegt hätte. Hätte es nämlich auch aus der Perspektive des Geschäftsherrn B so ausgesehen, als setze der Bürger C unmittelbar dazu an, dem Bürger A einen Schlag zu versetzen, dann hätte der Bürger C hier aus der Sicht des Polizeiträgers B seine Achtungspflicht gegenüber dem Körperrecht des Bürgers A verletzt, weshalb dem Bürger A ein negatorischer Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog) gegen den Bürger C zugestanden hätte, dessen Geltendmachung wegen des präsumtiven negatorischen Willens des Anspruchsinhabers A auch zu unterstellen gewesen wäre (A → C). Weiter wäre in dem von dem Bürger A imaginierten Szenario auch von einer Erhebung seines Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten auszugehen gewesen (A → B), sodass der Polizeiträger B dem Bürger A die Vollstreckung eines fiktiven Polizeibefehls (B → C) gegen den Bürger C ge478
479
S. dazu sub § 3 B II 2, S. 86 ff. S. sub § 3 B II 1 b, S. 85.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
schuldet hätte. Schließlich wäre der Bürger A mangels eines Polizisten vor Ort auch auf Grundlage des Notwehrrechts zur Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäft gegen den Bürger C berechtigt gewesen, wobei sein von einem finalen Notgeschäftsführungswillen getragenes Abwehrverhalten hier auch vom Geschäftsherrnwillen gedeckt gewesen wäre. Dementsprechend hätte der Bürger A in dem von ihm imaginierten Szenario das Nutzungsrecht des Staates B „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang rechtmäßigerweise „für den Staat und im Namen des Staats“480 ausgeübt, was bedeutet, dass die schlagende Faust des Bürgers A in der Welt des Rechts rechtmäßigerweise in den Staatskörper eingedrungen wäre481 und das physische Vermögen der Körperschaft B gemehrt hätte (A → B), wobei die Staatsperson B die empfangene körperliche Kraft postwendend im eigenen Namen in rechtmäßiger Ausübung des Nutzungsrecht „aus“ ihrem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang durch ihr Vollzugsorgan an den Bürger C weitergeleitet hätte (B → C). In dem von dem Bürger A imaginierten Szenario hätte er somit dem Polizeiträger B als Vollstreckungshelfer rechtmäßigerweise dabei geholfen, dem Bürger C einen rechtmäßigen Schlag gegen dessen Oberkörper zu versetzen. Dabei gilt es an dieser Stelle klar zu sehen, dass das dem Bürger A durch das Notwehrrecht verliehene fremdbezogene „‚Besorgen-Können‘“482 der juristische Grund dafür ist, dass die schlagende Faust des mit Fremdgeschäftsführungswillen handelnden Bürgers A für die juristische Betrachtung übers Eck geflogen wäre (A → B → C). In Wirklichkeit wurde der Bürger A hier dagegen nicht durch das gesetzliche Notwehrrecht in den status procuratoris versetzt, was impliziert, dass die von seinem Körper abgespaltene Faust in der Welt des Rechts trotz des staatsgerichteten Leistungswillens des Bürgers A unvermittelt den Bürger C getroffen hat (A → C). Dementsprechend hat in der vorliegenden Fallgestaltung für die juristische Betrachtung nicht der Polizeiträger B, sondern der als falsus procurator agierende Putativnotwehrübende A dem Bürger C einen Schlag gegen dessen Oberkörper versetzt. Dabei konnte der Bürger C diesen Angriff auf sein Körperrecht von Seiten des Bürgers A auch mit einem negatorischen Abwehranspruch abwehren (C → A: „Beende den Angriff!“), womit korrespondiert, dass der Bürger A seinen Mitbürger C einen rechtswidrigen Schlag gegen dessen Körper versetzt hat. Sander, Archiv des Criminalrechts 1841, 68, 80. S. zum spezifischen „Einwirkungspotential“ des Funktionswalters „auf Substanz und Funktionsabläufe staatlicher Einrichtungen“ auch Graf Kielmansegg, Näheverhältnis, S. 176 ff. 482 Begriff von Raschauer, Verwaltungsrecht AT, Rn. 113. 480 481
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Gleichwohl hat sich der Bürger A vorliegend nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Denn nach zutreffender Auffassung483 ist der strafrechtlich relevante Vorsatz auf den „Gesamtunrechtstatbestand“ zu beziehen, wobei es in der vorliegenden Fallgestaltung insoweit zu sehen gilt, dass sich der Wille des Putativnotwehrübenden A nicht auf eine rechtswidrige Verletzung des Körpers seines Mitbürgers A richtete. Vielmehr war sein Wille bei normativer Betrachtungsweise auf etwas objektiv Rechtmäßiges gerichtet – nämlich darauf, der Staatsperson B rechtmäßigerweise auf Grundlage des Notwehrrechts dabei zu helfen (A → B), dem Bürger C einen rechtmäßigen Schlag gegen dessen Körper zu versetzen (B → C). Deshalb ist eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung aus § 223 Abs. 1 StGB hier gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB in direkter Anwendung ausgeschlossen.484 Allerdings hat sich der Putativnotwehrübende A vorliegend aus § 229 StGB wegen fahrlässiger Körperverletzung strafbar gemacht.485 Denn zum einen hat er durch ein objektiv pflichtwidriges Verhalten die Körperverletzung des Bürgers C in objektiv zurechenbares Weise verursacht; und zum anderen hat er hier auch schuldhaft gehandelt, weil er auch subjektiv dazu in der Lage war, den objektiven Sorgfaltspflichtverstoß zu vermeiden und die Tatbestandsverwirklichung vorauszusehen. Hervorzuheben ist weiter, dass eine strafrechtliche Haftung wegen Amtsanmaßung gemäß § 132 StGB jedenfalls daran scheitert, dass der Putativnotwehrübende A die Rolle des Polizisten nicht „un483 So etwa Kaufmann, JZ 1954, 653, 657; v. Weber, JZ 1951, 260, 262; Schünemann, GA 1985, 341, 349; ders./Greco, GA 2006, 777, 792; Schroth, FS Kaufmann, S. 597 ff. 484 Zutreffend Schünemann/Greco, GA 2006, 777, 792: „Die sachgemäße Lösung, dass der im Erlaubnistatbestandsirrtum handelnde Täter kein vorsätzliches Unrecht verwirklicht, ist […] nur durch eine direkte Subsumtion unter § 16 Abs. 1 StGB widerspruchsfrei zu begründen, sodass der Begriff des ‚gesetzlichen Tatbestandes‘, den das Gesetz hier benutzt, aufgrund einer systematischen Auslegung i. S. von § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB als das gesetzlich geregelte strafrechtsspezifische Unrecht zu interpretieren ist.“ 485 Auch unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten fällt dem Putativnotwehrübenden A mit Blick auf die rechtswidrige Körperverletzung kein Vorsatz zur Last, weil sein Wille bei normativer Betrachtungsweise auf etwas objektiv Rechtmäßiges gerichtet war (s. zum zivilrechtlichen Vorsatzbegriff etwa MK/Grundmann, BGB, § 276 Rn. 154 ff.; Jauernig/Stadler, BGB, § 276 Rn. 15; Palandt/Grüneberg, BGB, § 276 Rn. 10). Allerdings handelte der Putativ notwehrübende A vorliegend auch im zivilrechtlichen Sinne fahrlässig, weshalb er dem Bürger C für den zurechenbar verursachten Körperschaden nach den §§ 823 ff. BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist (vgl. etwa Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 61 sowie Bork, BGB AT, Rn. 364). – Abzulehnen ist dagegen eine Schadensersatzhaftung des Putativnotwehrübenden aus § 231 BGB in entsprechender Anwendung (dafür aber W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 145 ff. sowie Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 86 IV 2 b, S. 669), weil diese systemwidrige Ausnahmevorschrift einer Analogie nicht zugänglich ist (näher dazu unten sub § 3 G IV 2, S. 268 ff.).
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
befugt“ übernehmen wollte. Vielmehr stellte er sich eine Sachlage vor, in welcher er berechtigterweise für den Polizeiträger B tätig geworden wäre, weshalb auch insoweit ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum im Sinne von § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vorliegt.486
IV. Haftungsfragen Im Folgenden sollen die haftungsrechtlichen Implikationen der hier vertretenen prokuratorischen Konzeption des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB näher ausgeleuchtet werden.487 Dabei wird das Augenmerk zunächst auf der haftungsrechtlichen Konstruktion im Falle eines Fehlverhaltens des Bürgers bei der Wahrnehmung des staatlichen Vollstreckungsgeschäfts gegen den Angreifer liegen (dazu 1.), bevor anschließend die Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notwehrübenden genauer in den Blick genommen wird (dazu 2.). 1. Haftung für Fehlverhalten bei der Angriffsabwehr Mit Blick auf die Haftung für ein Fehlverhalten des Bürgers im Rahmen von §§ 227 BGB, 32 StGB gelten die obigen Ausführungen zu der entsprechenden Problemstellung bei § 127 Abs. 1 S. 1 StPO in analoger Weise.488 Das heißt, dass sich auch im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB in typologisch-kategorialer Hinsicht zwei Fallgruppen voneinander unterscheiden lassen. So kann der als Vollstreckungshelfer agierende Bürger A bzw. D das staatliche Vollstreckungsgeschäft gegen den Angreifer C nämlich zum einen unter Anwendung eines an sich zulässigen Zwangsmittels schlecht ausführen, sodass ein Handeln „in Schlechtausübung“ eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes vorliegt; und zum anderen kann der Bürger A bzw. D zum Zwecke der Angriffsabwehr ein in der gegebenen Situation seiner Art nach unzulässiges Zwangsmittel anwenden, sodass er nicht mehr „in Ausübung“, sondern „in Überschreitung“ der ihm durch §§ 227 BGB, 32 StGB verliehenen Vertretungsmacht bzw. Amtsgewalt agiert.489
486
Vgl. dazu etwa MK/Hohmann, StGB, § 132 Rn. 25 sowie Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, § 132 Rn. 13/14. 487 Ansprüche auf Versorgungsleistungen nach dem OEG werden dabei ausgeblendet. 488 S. dazu sub § 3 A IV 1, S. 47 ff. 489 Vgl. zu diesen Kategorien auch Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 58 sowie Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 235 f.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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a) Haftung bei Schlechtausführung des staatlichen Vollstreckungsgeschäfts Führt ein mit Notgeschäftsführungswillen agierender Bürger A bzw. D das Vollstreckungsgeschäft des Staates B gegen den Angreifer C auf Grundlage der §§ 227 BGB, 32 StGB mit einem in der gegebenen Situation seiner Art nach zulässigen Zwangsmittel schlecht aus, dann bleibt der Zurechnungszusammenhang zum Staat B als dem Geschäftsherrn grundsätzlich aufrechterhalten.490 Dies findet seinen Grund darin, dass der „in Schlechtausübung“ des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes agierende Notwehrübende A bzw. D nur die Grenzen seines Dürfens, nicht aber auch die Grenzen seines prokuratorischen Könnens überschreitet. Damit korrespondiert, dass in so gelagerten Konstellationen ein Schadensersatzanspruch des geschädigten Angreifers C gegen den Staat B aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG in Betracht kommt.491 Das bedeutet zugleich, dass Ansprüche des Angreifers C gegen den Notgeschäftsführer A bzw. D aus den §§ 823 ff. BGB ausgeschlossen sind.492 Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Staat B als der Geschäftsherr den Notgeschäftsführer A bzw. D regelmäßig nur dann im Regresswege auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) in Anspruch nehmen kann, wenn diesem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, weil zu seinen Gunsten grundsätzlich die Regelung des § 680 BGB (analog) eingreift. Anders liegen die Dinge allerdings, wenn „professionelle Nothelfer“ wie etwa gewerbliche Sicherheitskräfte auf Grundlage der §§ 227 BGB, 32 StGB im Namen des Staates B tätig werden, weil auf diesen Personenkreis weder die Haftungserleichterung des § 680 BGB (analog) noch das Rückgriffsprivileg des § 34 S. 2 GG anzuwenden ist, sodass der Staat B einen „geschäftsmäßig“ tätigen Nothelfer auch im Falle eines nur leicht fahrlässigen Fehlverhaltens im Regresswege aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB (analog) auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann.493 b) Haftung bei Verwendung eines unzulässigen Zwangsmittels Bringt ein mit Notwehrwillen handelnder Bürger A bzw. D im Rahmen der §§ 227 BGB, 32 StGB dagegen ein in der konkreten Sachlage seiner Art nach unzulässiges Zwangsmittel zur Anwendung, dann ist der Zurechnungszusammenhang zum Staat B als dem Geschäftsherrn durchbrochen.494 Der Grund da490 Vgl. dazu auch Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 58 (zur parallelen Problemstellung bei § 278 BGB). 491 Vgl. dazu auch die obigen Ausführungen sub § 3 A IV 1 a, S. 47 ff. 492 Vgl. dazu die Nachweise auf S. 50 in Fn. 111. 493 Ausführlich zu dieser Problemstellung oben sub § 3 A IV 1 a, S. 50 f. 494 Vgl. auch Schwarze, Leistungsstörungen, § 34 Rn. 58 (zur parallelen Problemstellung bei § 278 BGB).
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
für ist, dass der Bürger A bzw. D insoweit nicht „in Ausübung“, sondern „in Überschreitung“ der ihm durch §§ 227 BGB, 32 StGB verliehenen Vertretungsmacht bzw. Amtsgewalt handelt.495 Das heißt, in so gelagerten Konstellationen überschreitet der Bürger A bzw. D nicht nur die Grenzen seines Dürfens, sondern auch die Grenzen seines prokuratorischen Könnens. Damit korrespondiert, dass dem geschädigten Angreifer C in so gelagerten Konstellationen kein Schadensersatzanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG gegen den Staat B zusteht. Vielmehr kann der Geschädigte C unter den Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB den exzessiv handelnden Bürger A bzw. D auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.496 2. Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notgeschäftsführers Als Nächstes soll die Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notwehr übenden Bürgers genauer in den Blick genommen werden. Dabei wird als Er stes herausgearbeitet, wie sich die Dinge unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten darstellen, wenn ein nicht in eigenen Rechten angegriffener Notwehr übender D risikotypische Begleitschäden erleidet. Im Anschluss soll der Fokus auf der entsprechenden Fragestellung mit Blick auf den in eigenen Rechten angegriffenen Notwehrübenden A liegen. a) Haftung für risikotypische Begleitschäden des nicht in eigenen Rechten angegriffenen Notgeschäftsführers Wie also stellen sich die Dinge unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten dar, wenn ein nicht in eigenen Rechten angegriffener Bürger D im Rahmen einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von §§ 227 BGB, 32 StGB risikotypische Begleitschäden erleidet? Zu denken ist insoweit etwa an die Konstellation, dass der Bürger C mit einer Pistole auf den Bürger A zielt, um diesen zu erschießen, was der mit Notwehrwillen agierende Passant D im letzten Moment dadurch verhindert, dass er den Bürger C mit einem Hechtsprung zur Seite stößt, wobei der Bürger D selbst so unglücklich zu Fall kommt, dass (1) er sich seinen linken Arm bricht und (2) seine Armbanduhr beschädigt wird.
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Vgl. dazu die obigen Ausführungen sub § 3 A IV 1 b, S. 51 ff. Eine Schadensersatzhaftung aus § 231 BGB in entsprechender Anwendung kommt im Falle eines exzessiven Handeln des abwehrwilligen Bürgers im Rahmen von §§ 227 BGB, 32 StGB dagegen nicht in Betracht, weil die systemwidrige Ausnahmevorschrift des § 231 BGB einer Analogie nicht zugänglich ist (näher dazu unten sub § 3 G IV 2, S. 268 ff.). S. für die Gegenauffassung etwa W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 145 ff. sowie Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 86 IV 2 b, S. 669. 496
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Mit Blick auf den erlittenen Armbruch kommt hier zunächst ein Anspruch des Bürgers D gegen den Unfallversicherungsträger U aus den §§ 26 ff. SGB VII in Betracht, da der auf Grundlage der §§ 227 BGB, 32 StGB tätige Bürger D als versicherte Person im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII tätig geworden ist, indem er sich persönlich „zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen“497 eingesetzt hat. Auch liegt hier ein Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 SGB VII) in Gestalt eines Arbeitsunfalls gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII vor. Denn zum einen ist der auf den Hechtsprung folgenden Sturz auf den Boden als ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des Bürgers D einwirkendes Ereignis und damit als ein Unfall im Sinne von § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII anzusehen; und zum anderen ist dieser Unfall auch „infolge“ einer den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII begründenden Tätigkeit eingetreten, weil sich in dem Sturz auf den Boden ein typisches Risiko der angriffs abwehrenden Rettungsaktion realisiert hat. Des Weiteren ist der eingetretene Körperschaden in Gestalt des Armbruchs auch kausal auf den Sturz auf den Boden zurückzuführen. Dementsprechend steht dem Bürger D mit Blick auf den erlittenen Armbruch ein Anspruch auf Heilbehandlung aus den §§ 26 ff. SGB VII gegen den Unfallversicherungsträger U zu. Darüber hinaus hat der Bürger D mit Blick auf die beschädigte Uhr gegen den Unfallversicherungs träger U aus § 13 S. 1 SGB VII einen Anspruch auf Ersatz des Sachschadens, da sich die Armbanduhr bei der Durchführung der nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII versicherten Tätigkeit im Besitz des Bürgers D befand und der Sachschaden auch „infolge“ der versicherten Tätigkeit entstanden ist. Des Weiteren kann der Bürger D in der vorliegenden Fallgestaltung wegen der erlittenen Schäden auch den Angreifer C gemäß §§ 823 ff. BGB auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, weil der Angreifer C hier unter dem Gesichts497 Nicht überzeugend erscheint es, dass der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII von der herrschenden Meinung in der sozialrechtlichen Literatur enger gefasst wird als der Anwendungsbereich der §§ 227 BGB, 32 StGB, wobei insbesondere Angriffe auf das Eigentum wegen des Wortlauts von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII („zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen“) aus dieser Regelung herausfallen sollen (s. etwa Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 155; KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 76; Hauck/Noftz/Riebel, SGB VII, § 2 Rn. 197; Kater/Leube/Leube, SGB VII, § 2 Rn. 331). Dagegen ist einzuwenden, dass auch die Abwehr von Angriffen auf das Eigentum „an“ einer Sache dem „Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen“ dient, nämlich dem Schutz des Eigentümers (vgl. dazu auch oben sub § 3 B I 1, S. 58 ff. sowie sub § 3 B II 3 b cc, S. 123 ff.). Begreift man die dem nicht in eigenen Rechten angegriffenen Notwehrübenden nach §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII gewährten Ansprüche als „flankierende Maßnahme“ zum Notwehrrecht (vgl. auch Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 148) und damit als Ausprägung des Rechtsgedankens der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB, dann erscheint es stimmiger, die Anwendungsbereiche von §§ 227 BGB, 32 BGB und § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII insoweit vollständig zu harmonisieren.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
punkt der Herausforderung das Schadensrisiko der Rettungsaktion zu tragen hat.498 Denn der Bürger D durfte sich hier durch das Angriffsverhalten des Bürgers C zur Ausübung des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB herausgefordert fühlen, wobei sich in den eingetretenen Schäden auch ein spezifisches Risiko der Rettungsaktion realisiert hat.499 Dagegen steht dem Notwehrübenden D kein Anspruch auf den Ersatz risikotypischer Begleitschäden aus den §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB gegen den Angreifer C zu.500 So scheidet ein solcher Anspruch nämlich jedenfalls deshalb aus, weil der Bürger D bei normativer Betrachtungsweise nicht (auch) mit dem Willen gehandelt hat, dem Angreifer C bei der Erfüllung von dessen Achtungspflicht gegenüber den subjektiven Rechten des Bürgers A zu helfen. Vielmehr zielte der Wille des Notgeschäftsführers D unter juristischen Gesichtspunkten allein darauf, dem Polizeiträger B bei der Erfüllung von dessen Vollstreckungspflicht gegenüber dem angegriffenen Bürger A zu helfen (D → B → C). Dementsprechend ist der Bürger D hier nicht „für“ den Angreifer C tätig geworden, sondern nur „für“ den Polizeiträger B.501 Auch steht dem Bürger D kein Anspruch aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB gegen den Angegriffenen A zu, da der Bürger D in der vorliegenden Konstellation keineswegs (auch) „als negotiorum gestor des Angegriffenen“502 tätig geworden ist, sondern allein als negotiorum gestor des Polizeiträgers B. Vor diesem Hintergrund wird zugleich deutlich, dass die dem Bürger D durch die §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII gewährten Ansprüche bei funktionaler Betrachtungsweise als 498 S. zum Herausforderungsgedanken als Zurechnungskriterium etwa BGH NJW 1996, 2235; MK/Wagner, BGB, § 823 Rn. 454 ff.; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 424, 653; Staudinger/Bergmann, BGB, § 683 Rn. 62; Koch, Unaufgeforderte Hilfeleistung in Notsituationen, S. 172 ff. 499 Allerdings geht die dem Bürger D gegenüber dem Bürger C nach den §§ 823 ff. BGB zustehende Schadensersatzforderung im Wege der cessio legis nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X (i. V. m. § 13 S. 4 SGB VII) insoweit auf den Unfallversicherungsträger U über, als dieser wegen des Schadensereignisses kongruente Leistungen an den Bürger D zu erbringen hat. In diesem Umfang kann der Unfallversicherungsträger U dementsprechend bei dem Bürger C Regress nehmen. 500 Dafür aber etwa Jauernig/Mansel, BGB, § 677 Rn. 7. 501 In diese Richtung auch Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 24. Aufl. 2013, Rn. 424. 502 So aber etwa v. Tuhr, AT II/2, § 95 II, S. 587: „Der Dritte handelt […] als negotiorum gestor des Angegriffenen […]; kommt der Nothelfer zu Schaden, so kann er nach § 683 [BGB] vom Angegriffenen Ersatz des Schadens verlangen.“ – Auch in der modernen strafrechtlichen Literatur wird der nicht in eigenen Rechten angegriffene Notwehrübende D in der Sache vielfach als Geschäftsführungsgehilfe des Angegriffenen A eingestuft (in diesem Sinne etwa Engländer, Nothilfe, S. 91, 172; Sengbusch, Subsidiarität, S. 194 f.; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 296; Kargl, ZStW 110 [1998], 38, 64). Soweit ersichtlich, wird dabei aber nicht die Frage aufgeworfen, ob der Angegriffene A dem Dritten D zum Ersatz von dessen risikotypischen Begleitschäden verpflichtet ist.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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Ausprägung des Rechtsgedankens der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB zu verstehen sind503, wonach das Haftungsrisiko für risikotypische Begleitschäden grundsätzlich dem Geschäftsherrn zugewiesen ist.504 In bestimmten Ausnahmekon stellationen kann dem nicht in eigenen Rechten angegriffenen Notwehrübenden allerdings zugemutet werden, die risikotypischen Begleitschäden seiner Notgeschäftsführung selbst zu tragen. So werden die Dinge etwa liegen, wenn im Wach- und Sicherheitsgewerbe tätige Unternehmer im Zusammenhang mit ihrer unternehmerischen Tätigkeit auf Grundlage des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB „zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen“ tätig werden, weshalb dieser Personenkreis aus dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII auszuklammern ist.505 b) Haftung für risikotypische Begleitschäden des in eigenen Rechten angegriffenen Notgeschäftsführers Als Nächstes soll nun die Frage in den Blick genommen werden, wie sich die Haftung für risikotypische Begleitschäden des in eigenen Rechten angegriffe503 Vgl. zur normativen Legitimierung des Unfallversicherungsschutzes für unechte Versicherte im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c SGB VII auch Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 148: „[Der Nothelfer leistet] einen gegebenenfalls gefährlichen Einsatz zugunsten der Allgemeinheit, der die Einbeziehung in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gebietet.“ In diesem Sinne auch BeckOK/Marschner, Sozialrecht, § 2 SGB VII Rn. 56. 504 Dass dem Geschäftsführer ein Anspruch auf Ersatz risikotypischer Begleitschäden gegen den Geschäftsherrn zusteht, ist heute weitestgehend anerkannt. Während aber die herrschende Meinung zur Herleitung des Ersatzanspruchs auf den Rechtsgedanken der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB zurückgreift (s. etwa BGHZ 38, 270, 277; BGHZ 38, 302, 304, BGHZ 33, 251, 257; Staudinger/Bergmann, BGB, § 683 Rn. 62), wollen andere Stimmen die Ersatzpflicht des Geschäftsherrn aus dem allgemeinen Grundsatz der „Risikohaftung bei schadensgeneigter Tätigkeit in fremden Interesse“ ableiten (so etwa Canaris, RdA 1966, 41, 42 ff.; Larenz, JuS 1965, 373, 375 f.; Huber, Die Haftung des Geschäftsherrn, S. 49 ff.; Genius, AcP 173 [1973], 481, 512 ff.). Gegen den zuletzt genannten Ansatz ist indessen mit Staudinger/Martinek/Omlor, BGB, § 670 Rn. 23 einzuwenden, dass der in den §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB zum Ausdruck kommende Gedanke der Schadloshaltung des Geschäftsführers eine hinreichende analogistische Basis für die Überwälzung der risikotypischen Begleitschäden auf den Geschäftsherrn darstellt, weshalb dem an diese Regelungen anknüpfenden Lösungsansatz der herrschenden Meinung zu folgen ist. 505 Vgl. etwa KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 77 sowie Loyal, VersR 2013, 966, 969. – Zu berücksichtigen ist ferner, dass bei einem Eingreifen von Beschäftigten im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII eine Versicherung nach dieser Vorschrift gemäß der Kollisionsregelung des § 135 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII einer Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII vorgeht, wenn das Eingreifen im Rahmen von Verpflichtungen aus dem Beschäftigungsverhältnis erfolgt (näher dazu etwa KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 77 sowie Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 158).
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
nen Notgeschäftsführers darstellt. Zur Veranschaulichung der Problemstellung soll die Konstellation dienen, dass der Bürger C mit einer Pistole auf den Bürger A zielt, um diesen zu erschießen, was der mit Notwehrwillen agierende Bürger A dadurch verhindert, dass er den Bürger C mit einem Hechtsprung auf den Boden stößt, wobei der Bürger A selbst so unglücklich zu Fall kommt, dass (1) er sich seinen linken Arm bricht und (2) seine Armbanduhr beschädigt wird. Insoweit gilt es zunächst zu sehen, dass dem Bürger A hier weder ein Anspruch auf Heilbehandlung nach §§ 26 ff. SGB VII noch ein Anspruch auf Ersatz von Sachschäden aus § 13 S. 1 SGB VII gegen den Unfallversicherungsträger U zusteht. Dies findet seinen Grund darin, dass der auf Grundlage der §§ 227 BGB, 32 StGB agierende Bürger A vorliegend nicht als versicherte Person im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII eingestuft werden kann, weil diese Vorschrift grundsätzlich nicht die Angriffsabwehr durch einen in eigener Person angegriffenen Notwehrübenden erfasst.506 Anders liegen die Dinge nur, wenn der Notwehrübende sich zunächst persönlich zur Abwehr eines gegen eine andere Person gerichteten Angriffs einsetzt und infolgedessen auch in eigener Person von dem Angreifer attackiert wird.507 Das ist hier jedoch nicht der Fall. Darüber hinaus steht dem Bürger A mit Blick auf den erlittenen Armbruch und die beschädigte Uhr auch kein Anspruch aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB (analog) gegen den Polizeiträger B zu. Zwar ist der auf Grundlage der §§ 227 BGB, 32 StGB agierende Bürger A vorliegend als Notgeschäftsführer „für“ den Polizeiträger B als den Geschäftsherrn tätig geworden, indem er diesem bei der Vollstreckung einer fiktiven Grundverfügung gegen den Angreifer C geholfen hat (A → B → C), sodass das Haftungsrisiko für risikotypische Begleitschäden nach dem Rechtsgedanken der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB grundsätzlich dem Geschäftsherrn B zugewiesen ist. Vorliegend gilt es allerdings zu sehen, dass durch die analoge Anwendung der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB die Wertung von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII i. V. m. §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII konterkariert würde, wonach das Schadensrisiko der Rettungstat mit Blick auf den in eigener Person angegriffenen Notwehrübenden A gerade nicht der Allgemeinheit zugewiesen ist. Mit anderen Worten: Obwohl auch der in eigenen Rechten angegriffene Notwehrübende A „die Rolle des Polizisten“508 übernimmt, wird ihm 506 Hauck/Noftz/Riebel, SGB VII, § 2 Rn. 197; KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 76; Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 155; Kater/Leube/Leube, SGB VII § 2 Rn. 331. 507 S. etwa KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 76; Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 155; Hauck/Noftz/Riebel, SGB VII, § 2 Rn. 197; Schmitt, SGB VII, § 2 Rn. 114; Kater/Leube/Leube, SGB VII, § 2 Rn. 331. 508 Bockelmann, FS Dreher, S. 244.
B. Das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB
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im Gegensatz zu einem nicht in eigenen Rechten angegriffenen Notwehrübenden D zugemutet, das Schadensrisiko seiner Rettungsaktion selbst zu tragen. Sachlich ist diese von der Grundregel der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB abweichende Risikoverteilung dadurch gerechtfertigt, dass es bei der Notwehrübung zwar bei formal-konstruktionsorientierter Betrachtungsweise um die fremdnützige Wahrnehmung eines Vollstreckungsgeschäfts des Polizeiträgers B gegen den Angreifer C geht; allerdings ändert die Konstruktion übers Eck nichts da ran, dass die Ausübung des Notwehrrechts durch den angegriffenen Bürger A bei materiell-wertender Betrachtungsweise der Verwirklichung seiner subjektiven Rechte und damit dem Schutz seiner eigenen Interessen dient.509 Vor diesem Hintergrund kann ihm zugemutet werden, das Schadensrisiko seiner eigenen Rettungshandlungen selbst zu tragen.510 Die gleiche Wertung liegt etwa auch der Regelung in § 10 Abs. 5 HambSOG i. V. m. § 10 Abs. 3 S. 2 HambSOG zugrunde, wonach Entschädigungsansprüche eines freiwilligen Polizeihelfers ausgeschlossen sind, soweit durch die von ihm unterstützte Polizeiaktion gerade seine Person oder sein Vermögen geschützt werden sollte.511 Dementsprechend ist der Spezialregelung in § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII i. V. m. §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII im Wege eines Umkehrschlusses zu entnehmen, dass der allgemeine Rechtsgedanke der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB in der hier in Rede stehenden Konstellation durch gegenläufige Erwägungen überlagert ist. Deshalb ist dem in eigenen Rechten angegriffenen Notgeschäftsführer A vorliegend kein Anspruch auf Ersatz risikotypischer Begleitschäden aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB (analog) gegen den Polizeiträger B als den Geschäftsherrn zuzu billigen. Allerdings steht dem Bürger A unter dem Gesichtspunkt der Herausforderung natürlich ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Angreifer C aus den §§ 823 ff. BGB zu.512 Ein Anspruch des Bürgers A auf Ersatz risikotypischer Begleitschäden gegen den Bürger C aus den §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB scheidet dagegen aus, weil der den Angriff abwehrende Bürger A bei normativer Betrachtungsweise nicht mit dem Willen gehandelt hat, (auch) ein Geschäft des 509
Vgl. dazu auch oben sub § 3 B I 2 b, S. 70, 78, 80 f. Aus Gründen der Systemstimmigkeit muss dieser Gedanke auch im Rahmen von § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. a SGB VII Berücksichtigung finden, was bedeutet, dass eine teleologische Reduktion dieser Vorschrift angezeigt ist, soweit ein in eigener Person angegriffener Bürger als „Herangezogener“ eine staatliche Vollstreckungsmaßnahme unterstützt, durch welche gerade seine privaten Rechtspositionen geschützt werden sollen. 511 S. zur Ratio dieser Regelung auch Merten/Merten, Kommentar zum HambSOG, § 10 Rn. 14. 512 Vgl. zum Herausforderungsgedanken als Zurechnungskriterium auch die Ausführungen oben sub § 3 B IV 2 a, S. 157 f. mit Fn. 498. 510
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Angreifers C zu führen.513 Vielmehr zielte sein Wille unter juristischen Gesichtspunkten allein darauf, das Vollstreckungsgeschäft des Polizeiträgers B wahrzunehmen (A → B → C), wodurch er seinem eigenen Schuldner bei der Erfüllung von dessen ihm gegenüber bestehender Vollstreckungspflicht geholfen hat. Vor diesem Hintergrund kann der Bürger A den Bürger C wegen der erlittenen Schäden nicht aus den §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB, sondern nur aus den §§ 823 ff. BGB in Anspruch nehmen.
V. Zusammenfassung Zusammenfassend kann zu den §§ 227 BGB, 32 StGB festgehalten werden, dass das Notwehrrecht als rechtstechnisches Instrument zur Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) und § 985 BGB fungiert, welche der Verwirklichung von subjektiven Rechtspositionen an Rechtsgegenständen dienen. Dabei füllt das subsidiäre Notwehrrecht im heutigen Rechtsschutzsystem die Rechtslücke, die dadurch entsteht, dass es im Falle eines staatlichen Kraftdefizits bei Vorliegen der Grundsituation der Notwehr aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) nicht immer tunlich und möglich ist, den hilfswilligen Bürger qua Rechtsgeschäft in die Staatsaufgabenwahrnehmung einzuschalten. Bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise ist das Notwehrrecht daher als Ausprägung der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ zu verstehen, was bedeutet, dass jeder Bürger in Notsituationen durch die §§ 227 BGB, 32 StGB in den status procuratoris versetzt wird. Dementsprechend wird dem Bürger durch das gesetzliche Notwehrrecht das Dürfen und Können verliehen, um das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates zum Zwecke der Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Angreifer auszuüben. Dabei folgt aus dem prokuratorischen Charakter der §§ 227 BGB, 32 StGB, dass es für das Vorliegen der Grundsituation der Notwehr auf die „objektive“ ex-ante-Perspektive des Staates als des Geschäftsherrn ankommt. Weiter ist an dieser Stelle festzuhalten, dass das normative Maßprinzip für das Ob und das Wie der Notwehr in objektiver Hinsicht der Geschäftsherrnwille ist. Darüber hinaus muss bei dem „die Rolle des Polizisten“514 übernehmenden Notgeschäftsführer in subjektiver Hinsicht ein finaler Notgeschäftsführungswille im Sinne eines Fremdgeschäftsführungswillens vorliegen.
513 514
Dafür aber etwa Jauernig/Mansel, BGB, § 677 Rn. 7. Bockelmann, FS Dreher, S. 244.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB Im Folgenden wird die gesetzliche Regelung des § 228 BGB genauer in den Blick genommen, nach welcher ein Privater nicht widerrechtlich handelt, der eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt dabei auf der Frage, wie sich das Sachwehrrecht des § 228 BGB stimmig in die normative Architektur des heutigen Rechtsschutzsystems einfügen lässt. Insoweit ist schon an dieser Stelle hervorzuheben, dass die dogmatische Struktur des Sachwehrrechts im Wortlaut der gesetzlichen Regelung nur unvollkommen zum Ausdruck kommt, weshalb sich das axiologische Grundgerüst des § 228 BGB durch eine lediglich erläuternde Nacherzählung des Gesetzestextes kaum erschließen lässt.515 Wenig weiterführend ist ferner der verbreitete Hinweis darauf, dass das Sachwehrrecht „auf dem sozialethisch abgeleiteten Grundgedanken des höherwertigen Interesses“516 beruhe. Will man die Konstruktionslogik des in § 228 BGB geregelten Rechtsinstituts ergründen, dann gilt es sich vielmehr zunächst vor Augen zu führen, welche Funktion diese Regelung im heutigen Rechtsschutzsystems erfüllt, um sodann die „nur schemenhaft“ im Gesetz zu erkennenden systematischen Linien „mit kräftigem Stift und mit Mut zur Konsequenz nachzuzeichnen“517.
I. Rekonstruktion des dogmatischen Grundgerüsts des Sachwehrrechts Um die funktionale Rolle des § 228 BGB im heutigen Rechtsschutzsystem he rauszuarbeiten, soll zunächst das idealtypische Ausgangsszenario für das Eingreifen des Sachwehrrechts näher beleuchtet werden. Dieses ist bekanntlich so gelagert, dass der dem Hundehalter C gehörende Hund X auf den Bürger A zuläuft und diesen zu beißen droht. Dabei gilt es mit Blick auf diese Fallgestaltung zunächst zu sehen, dass der Hund X im Eigentum des Bürgers C steht (Rechtsperson C – Eigentum – Rechtsgut X), was bedeutet, dass der Bürger C, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, berechtigt ist, mit dem Hund X nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen, wobei er bei der Ausübung dieser Rechte freilich die besonderen VorS. auch Pawlik, Notstand, S. 186. Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 228 Rn. 1; in diesem Sinne etwa auch Wessels/ Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 438; Soergel/Fahse, BGB, § 228 Rn. 1 mit Fn. 2; Bork, BGB AT, Rn. 373; Palandt/Ellenberger, BGB, § 228 Rn. 1. 517 Pawlik, Notstand, S. 186. 515 516
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schriften zum Schutz der Tiere zu beachten hat (vgl. § 903 BGB). Hervorzuheben ist weiter, dass mit der rechtlichen Zuordnung des Hundes X zu dem Bürger C (C–X) als inverses Spiegelbild die Rechtspflicht des Bürgers A korrespondiert, das Eigentum des Bürgers C an dem Hund X zu achten (Rechtsposition des C – Achtungspflicht des A).518 Das heißt, der Bürger A ist rechtlich verpflichtet, die absolute Rechtsposition des Bürgers C an dessen Hund weder zu stören noch zu verletzen519, wobei ihn insbesondere die Rechtspflicht trifft, den im Eigentum des Bürgers C stehenden Hund X weder anzufassen noch sonstwie körperlich auf ihn einzuwirken520. Schickt er sich dennoch an, das zu tun, dann gibt das objektive Recht dem Bürger C einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB an die Hand, sodass der Hundeeigentümer C den Angreifer A auf die Unterlassung des Angriffs auf seine subjektive Rechtsposition „ansprechen“ kann (C → A: „Finger weg von meinen Hund!“ = „Beende den Angriff!“). Darüber hinaus ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung, dass das Eigentum an einem Rechtsgegenstand den Eigentümer nicht nur berechtigt, sondern zugleich auch verpflichtet. So ist der Eigentümer eines Rechtsgegenstandes nämlich auf der einen Seite gegen Einwirkungen auf seinen Rechtsgegenstand durch andere Rechtspersonen rechtlich geschützt; auf der anderen Seite geht mit dem Eigentum an einem Rechtsgegenstand aber auch die Rechtspflicht des Eigentümers einher, den ihm zugewiesenen Rechtsgegenstand innerhalb der Grenzen seines eigenen Rechtskreises zu halten und die von diesem ausgehenden Gefahren zu beseitigen.521 Mit den Worten von Pawlik: „Der Inhaber eines Rechtskreises darf sich Eingriffe anderer Personen verbitten. […] Die Kehrseite der Ausschließungsbefugnis des Rechtskreisinhabers ist seine personale Zuständigkeit zur ‚Neutralisierung‘ der von seinen Gütern ausgehenden Gefahren, und zwar auch dann, wenn ihm eine pflichtwidrige Organisation seines Rechtskreises nicht zur Last gelegt werden kann.“522 Treffend hebt ferner auch Pleyer hervor: „Bei Beeinträchtigungen, welche von [einer] Sache ausgehen, hat der Eigentümer der Sache die Störung zu beseitigen. Diese Pflicht be518 Vgl. Schönfeld, Rechtsperson, S. 237 ff.; Larenz, BGB AT, § 2 II d, S. 39; Rödl, Gerechtigkeit unter freien Gleichen, S. 265; MK/Säcker, BGB, 6. Aufl. 2013, § 903 Rn. 8. 519 Vgl. etwa Schönfeld, Rechtsperson, S. 214 sowie MK/Säcker, BGB, 6. Aufl. 2013, § 903 Rn. 8. 520 Vgl. dazu Bernhard, FS Picker, S. 103 sowie MK/Baldus, BGB, § 1004 Rn. 285. 521 S. etwa Picker, Beseitigungsanspruch, S. 130 f. sowie Sokol, Verantwortlichkeit, S. 264 ff., 285 ff. 522 Pawlik, GA 2003, 12, 21; s. auch dens., Jura 2002, 26, 30; s. ferner auch Erb, JuS 2010, 17, 19: „Der Eigentümer trägt grundsätzlich die Verantwortung dafür, dass seine Sache keine Gefahrenquelle für Dritte darstellt.“
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ruht allein auf dem für die Umwelt gefährlichen Zustand der Sache, für welchen der Eigentümer als Dispositions- und Nutzungsberechtigter einzustehen hat.“523 Für den obigen Beispielsfall heißt das, dass es prinzipiell dem Hundehalter C obliegt, die von seinem Hund X ausgehenden Gefahren für den Rechtskreis des Bürgers A zu beseitigen.524 Wenn der Hund X auf den Bürger A zuläuft und diesen zu beißen droht, trifft den Eigentümer C also grundsätzlich die Rechtspflicht, die von seinem Hund X ausgehende Gefahr zu neutralisieren. Das heißt, der Bürger C müsste seinen den Bürger A attackierenden Hund X nach Möglichkeit zurückrufen, einfangen oder ihn notfalls durch Anwendung von physischer Gewalt unschädlich machen.525 Dagegen ist es dem Bürger A, wie bereits erwähnt, grundsätzlich verwehrt, den im Eigentum des Bürgers C stehenden Hund X anzufassen oder sonstwie körperlich auf ihn einzuwirken. Sollte der Zustandsverantwortliche C der ihn treffenden Gefahrenbeseitigungspflicht jedoch nicht nachkommen, dann gibt das objektive Recht dem Bürger A einen Gefahrenbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) an die Hand, mittels dessen er die drohende Beeinträchtigung seines Rechtskreises durch den zum Rechtskreis des Bürgers C gehörenden Hund X verhindern kann. Macht also der Bürger C von sich aus keine Anstalten, die ihm obliegende Neutralisierungspflicht zu erfüllen, dann kann der Bürger A durch die Ausübung seines Gefahrbeseitigungsanspruchs „Erfüllungszwang“526 auf den Bürger C ausüben, was bedeutet, dass er dem Bürger C die Gefahrenbeseitigung durch einen befehlenden Sprechakt auferlegen darf und kann (A → C: „Beseitige die von deinem Hund X ausgehende Gefahr!“), wodurch die mit dem Anspruchsrecht des Bürgers A korrespondierende Pflicht des Bürgers C zur Duldung des Angesprochenwerdens in eine Gehorsams- bzw. Befolgungspflicht umgewandelt wird. Grundsätzlich ist der Hundeeigentümer C in dem obigen Beispielsfall somit dazu verpflichtet, die von seinem Hund X für den Bürger A ausgehende Gefahr zu beseitigen, wobei das objektive Recht dem Bürger A im Falle der Nichterfüllung der Beseitigungspflicht durch den Bürger C einen gegen diesen gerichteten (vorbeugenden) Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) an die Hand gibt, mittels dessen der Bürger A die Erfüllung der Beseitigungspflicht 523 Pleyer, AcP 156 (1957), 291, 310; s. auch Offtermatt, Beseitigungsanspruch, S. 51: „Es entspricht einer billigen Interessenabwägung, daß derjenige, der die Herrschaft und den Genuß einer Sache erhält, auch für deren Lasten, Haftung aus schuldloser Verursachung bei Vermittlung durch die Sache, aufzukommen habe.“ 524 Vgl. etwa Picker, Beseitigungsanspruch, S. 170; Pawlik, GA 2003, 12, 21 f.; dens., Notstand, S. 314 in Fn. 128. 525 Vgl. Pawlik, GA 2003, 12, 21 f. sowie Gornig/Jahn, Fälle zum POR, S. 90. 526 Näher zu dieser Funktion des Anspruchsrechts etwa Hoffmann, Rechtszuweisung, S. 131 ff.
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rechtlich erzwingen darf und kann.527 Würde der von dem Hund X attackierte Bürger A den anwesenden, aber pflichtwidrig untätig bleibenden Hundeeigentümer C auf die Beseitigung der durch seinen Hund X drohenden Gefahr „ansprechen“, dann würde sich die rechtslogische Struktur in der horizontalen Rechtsrelation A–C folgendermaßen darstellen: (1) Gefahr für A „durch“ den Hund X des C; (2) Entstehung einer Beseitigungspflicht des C; (3) Nichterfüllung der Beseitigungspflicht durch C; (4) Entstehung eines (vorbeugenden) Beseitigungsanspruchs des A gegen C aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog); (5) Ausübung des Anspruchsrecht des A gegen C (A → C: „Beseitige die Gefahr!“); (6) Befolgungspflicht des C. Weiter gilt es an dieser Stelle zu sehen, dass mit dem Gefahrbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) ein öffentlich-rechtlicher Rechtsschutz anspruch verknüpft ist, welcher dem Bürger A das Dürfen und Können zur „Wachrufung der Imperative“528 des Staates B an die Hand gibt.529 An sich könnte der Bürger A deshalb im Wege des Eilrechtsrechtsschutzes die Zivilgerichte anrufen (A → B: „Befiehl C, die von seinem Hund X ausgehende Gefahr zu beseitigen!“), um so den Erlass einer staatlichen Gefahrbeseitigungsverfügung gegen den Hundeeigentümer C zu erwirken (B → C: „Beseitige die von deinem Hund X ausgehende Gefahr!“). Wegen der zugespitzten Eilsituation kommt eine Anrufung der Zivilgerichte in dem obigen Beispielsfall freilich aus faktischen Gründen nicht in Betracht. Nach den polizeirechtlichen Subsidiaritätsklauseln steht dem Bürger allerdings, wie oben bereits dargelegt wurde530, ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten zum Schutz privater Rechte zu, sofern gerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des privaten Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Dementsprechend steht dem Bürger A in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung neben dem staatsgerichteten Rechtsschutzanspruch auch ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten zu. Das bedeutet, dass der Bürger A zum Schutz seiner privaten Rechte einen zufällig vorbeikommenden Polizisten P als Empfangsvertreter („Hörwerkzeug“) des Polizeiträgers B auf ein polizeiliches Einschreiten „ansprechen“ dürfte und könnte (A → B: „Schreite ein!“), wobei es in zugespitzten Notsituationen jedoch nicht auf ein ausdrückliches Verlangen des Anspruchsinhaber A ankommt, sondern darauf, ob die Geltendmachung des Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten bei normativer Vgl. auch Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 92; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 34 Rn. 1. 528 Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 229. 529 Vgl. zum Rechtsschutzanspruch des Bürgers gegen den Staat auch die Nachweise auf S. 67 in Fn. 180. 530 S. dazu sub § 3 B I 2 b, S. 68 mit Fn. 185. 527
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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Betrachtungsweise seinem (mutmaßlichen) Willen entspricht.531 Verlangt nun der Bürger A von dem zufällig vorbeikommenden Polizeibeamten P als Empfangsvertreter des Polizeiträgers B ein polizeiliches Einschreiten, woraufhin der per procura agierende Polizist P dem Bürger A im Namen des Polizeiträgers B eine auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Polizeiverfügung gegen den Zustandsverantwortlichen C erlässt, dann ist die von dem Polizisten P abgegebene Willenserklärung dem Polizeiträger B zuzurechnen, was bedeutet, dass der befehlende Sprechakt für die juristische Konstruktion aus dem Mund des Polizeiträgers B kommt (B → C: „Beseitige die von deinem Hund X ausgehende Gefahr!“).532 Befolgt der beseitigungspflichtige Hundeeigentümer C den an ihn gerichteten Polizeibefehl jedoch nicht, dann ist der Polizeiträger B grundsätzlich gehalten, die eigentlich dem Zustandsverantwortlichen C obliegende vertretbare Gefahrbeseitigungsmaßnahme im Wege der Ersatzvornahme an dessen Stelle auszuführen.533 Dabei wird dem Polizeiträger B die dafür notwendige Befugnis und Kompetenz zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen durch die einschlägigen Regelungen aus den Polizei- und Verwaltungsvollstreckungsgesetzen eingeräumt. Demgegenüber steht dem Polizisten P in dieser Sachlage allein das Recht zu, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Polizeiträgers B auszuüben. Schlägt der in Ausübung seines Amtes agierende Polizist P nun dem Hund X des Bürgers C in dem obigen Beispielsfall mit einem Schlagstock auf den Kopf, weil dies die einzige Möglichkeit ist, um den Hund X daran zu hindern, den Bürger A zu beißen, dann bedeutet das für die juristische Konstruktion, dass der Polizeiträger B dem Hund X mit dem Schlagstock auf den Kopf geschlagen hat (B → X). Denn für die rechtliche Betrachtung hält den Schlagstock nicht der als Vertreter im Besitz fungierende Polizist P in der Hand, sondern das Vollstreckungsorgan des Polizeiträgers B, welcher dem Hund X mit dem Schlagstock einen Schlag auf den Kopf versetzt, sobald sich der Arm des in Ausübung seines Amtes agierenden Polizisten P entsprechend bewegt. Dementsprechend wanS. etwa Schenke, POR, Rn. 54 sowie oben sub § 3 B I 2 b, S. 75. Näher zu der Zurechnungskonstruktion oben sub § 3 B I 2 b, S. 68 f.; s. ferner auch oben sub § 3 A II, S. 32. 533 S. zum Begriff der Ersatzvornahme etwa Götz/Geis, POR, § 13 Rn. 23: „Ersatzvornahme ist die Ausführung der eine vertretbare Handlung gebietenden Verfügung auf Kosten des Verantwortlichen.“ – S. zum Verhältnis von Ersatzvornahme und unmittelbaren Zwang gegen Sachen oder Tiere a. a. O., § 13 Rn. 24: „Liegt eine Ersatzvornahme, d. h. die Vornahme der gebotenen Handlung, vor, so geht der angewendete Zwang gegen Sachen oder Tiere in ihr auf, die Ersatzvornahme ist insoweit das speziellere Institut (Beispiel: Tötung eines gefährlichen Tieres).“ 531
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dert der mit dem Schlagstock zuschlagende Arm des Polizeibeamten P in der Welt des Rechts übers Eck (P → B → X), weil der Polizist P seinen mit dem Schlagstock zuschlagenden Arm im inneren Vertikalverhältnis P–B seinem Dienstherrn B hingibt (P → B), woraufhin nach außen hin in der Rechtswelt allein der mit dem Schlagstock zuschlagende Arm des Polizeiträgers B in Erscheinung tritt und dem Hund X des Bürgers C einen Schlag auf den Kopf versetzt (B → X). Dabei ist in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung auch davon auszugehen, dass sich der Polizeiträger B bei der Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Rahmen des Verhältnismäßigen bewegt hat. Dementsprechend hat der Polizeiträger B in dieser Konstellation rechtmäßigen physischen Zwang gegen den Hund X des Bürgers C ausgeübt, sodass ein rechtmäßiger Eingriff in den Rechtskreis des Bürgers C durch den Polizeiträger B vorliegt. Doch wie würde sich die juristische Konstruktion darstellen, wenn eine polizeiliche Inanspruchnahme des Hundeeigentümers C in dem obigen Beispielsfall unmöglich oder untunlich wäre – etwa weil der Bürger C überhaupt nicht vor Ort wäre oder weil ihm keine adäquaten Mittel zur effektiven Gefahrbeseitigung zur Verfügung stehen würden? In derartigen Konstellationen ermöglicht das Rechtsinstitut der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs534 eine effiziente Gefahrenabwehr, indem es dem Polizeiträger B die Möglichkeit gibt, durch sein Vollzugsorgan die vertretbare Handlung vorzunehmen, die eigentlich der Zustandsverantwortliche C hätte vornehmen sollen.535 Ist der Erlass einer Gefahrenbeseitigungsverfügung gegen den Hundeeigentümer C (B → C: „Beseitige die Gefahr!“) in dem obigen Beispielsfall zwar rechtlich zu lässig, aber faktisch unmöglich oder untunlich, dann ist der Polizeiträger B also auch ohne eine vorgeschaltete Polizeiverfügung dazu berechtigt, in Ausübung seines Nutzungsrechts „aus“ dem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physiNäher zur funktionalen Äquivalenz der beiden Institute etwa Schoch, JuS 1995, 307, 312; Gusy, POR, Rn. 440; Götz/Geis, POR, § 12 Rn. 20. 535 Vgl. etwa Würtenberger, POR, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 69 Rn. 412: „Gerade in Fällen, in denen eine (akute) Gefahr von einer Sache (z. B. einem tollwutverdächtigen Hund) ausgeht, deren Eigentümer […] nicht erreichbar ist, käme eine an den (vielleicht langwierig) zu ermittelnden Polizeipflichtigen gerichtete Verfügung oftmals zu spät, weil sich die Gefahr bereits realisiert hätte. Aber auch bei Anwesenheit des Verantwortlichen erscheint die Polizeiverfügung nicht immer als die geeignete Maßnahme […]. Das Rechtsinstitut der unmittelbaren Ausführung erlaubt in diesen Fällen eine effiziente Gefahrenabwehr. Der Polizei steht damit ein Instrument zur Verfügung, mit dem sie unabhängig von dem formalisierten Vollstreckungsverfahren flexibel auf akute Gefahrenlagen reagieren kann.“ – Vgl. ferner etwa Götz/Geis, POR, § 12 Rn. 19 ff.; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht, § 8 Rn. 56 ff.; Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, § 24 Rn. 36 ff. 534
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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schen Zwang durch sein Vollstreckungsorgan dem Hund X auf den Kopf zu schlagen und so die an sich dem Bürger C obliegende Gefahrbeseitigungsmaßnahme selbst vorzunehmen. In der Sache würde es sich dabei um eine (atypische) Ersatzvornahme im Wege des Sofortvollzugs handeln, weil der Polizeiträger B ohne eine vorausgegangene Grundverfügung eine Handlung vorgenommen hätte, zu deren Vornahme an sich der Bürger C verpflichtet war. In so gelagerten Fallgestaltungen kann der bereits gebildete, aber noch nicht wirksam bekanntgegebene Wille des Polizeiträgers B somit ohne eine reale Grundverfügung vollzogen werden.536 Anders gewendet heißt das, dass der Polizeiträger B in derartigen Konstellationen eine hypothetische Grundverfügung im Wege der polizeilichen Ersatzvornahme durchsetzt.537 Würde also der zufällig anwesende Polizist P in dem obigen Beispielsfall ohne eine vorausgegangene Polizeiverfügung dem Hund X des Bürgers C mit einem Schlagstock im Namen des Polizeiträgers B einen Schlag auf den Kopf versetzen, um so die Attacke des Hundes X auf den Bürger A zu beenden, dann würde nach außen hin der Polizeiträger B durch sein Vollstreckungsorgan eine fiktive Grundverfügung (B → C: „Beseitige die Gefahr!“) durch Ersatzvornahme im Wege der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs vollstrecken, weil sich der mit dem Schlagstock zuschlagende Arm des Polizisten P für die juristische Betrachtung übers Eck bewegt (P → B → X). In der Sache ist der dem Bürger A in dem Beispielsfall gegen den Polizeiträger B zustehende Anspruch auf polizeiliches Einschreiten somit als ein Anspruch auf die Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung zu begreifen (A → B: „Vollstrecke eine (fiktive) Verfügung!“). Das bedeutet, dass sich in die sem staatsgerichteten Anspruch der öffentlich-rechtliche Rechtsschutzanspruch (A → B: „Verfüge!“) und der öffentlich-rechtliche Vollstreckungsanspruch (A → B: „Vollstrecke!“) gewissermaßen zu einer synthetischen Einheit verbinden.538 Dementsprechend liegt die Rechtsfolge der (unterstellten) Geltendmachung des Anspruchs auf polizeilichen Einschreitens in so gelagerten Konstella tionen darin, dass der Polizeiträger B gegenüber dem Bürger A zur Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung durch Ersatzvornahme verpflichtet ist. Damit korrespondiert, dass der körperlich auf den Hund X einwirkende Polizist P in derartigen Szenarien dem Polizeiträger B dabei hilft, eine polizeiliche Voll streckungsaufgabe zu erfüllen, deren Erfüllung der Polizeiträger B dem durch den Hund X attackierten Bürger A schuldet. 536 Vgl. etwa Dietlein, POR, in: ders./Hellermann, Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, § 3 Rn. 256 sowie Würtenberger, POR, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 69 Rn. 415. 537 Vgl. dazu auch die Nachweise auf S. 72 in Fn. 202 sowie Schenke, POR, Rn. 715. 538 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben sub § 3 B I 2 b, S. 72.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Wie aber würde sich die juristische Konstruktion darstellen, wenn der Polizist P den zufällig einen Regenschirm bei sich führenden Passanten D um tatkräftige Unterstützung bei der Abwehr der Hundeattacke auf den Bürger A bitten würde, woraufhin der dem Hilfsersuchen nachkommende Bürger D und der Polizist P gemeinsam die Hundeattacke durch Schläge gegen den Körper des Hundes X beenden würden? Zunächst gilt es insoweit zu sehen, dass das Sachwehrrecht aus § 228 BGB nach zutreffender Auffassung539 in dem Sinne subsidiär ist, dass eine Berufung des Bürgers auf diese gesetzliche Regelung grundsätzlich ausscheidet, wenn die regulären Amtswalter des Staates B zur Stelle sind. Genauer gesagt heißt das, dass eine Berufung des Bürgers auf das Sachwehrrecht nur in Betracht kommt, wenn (1) die Kräfte des regulären Staatspersonals (P1, P2, P3 usw.) zur effektiven Erfüllung der staatlichen Vollstreckungsaufgabe nicht ausreichen und wenn (2) eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Durchführung der staatlichen Vollstreckungsaufgabe aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) unmöglich oder untunlich ist. Daraus folgt, dass der Bürger D in der hier in Rede stehenden Fallkonstellation nicht auf Grundlage des Sachwehrrechts, sondern als „Zugezogener“ tätig geworden ist. Denn das Hilfsersuchen des per procura agierenden Polizisten P ist sub specie iuris als Antrag des Polizeiträgers B auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Auftragsvertrags540 mit dem Bürger D zu begreifen (B → D: „Könntest Du mir bitte bei der Ersatzvornahme helfen?“), welchen der Bürger D konkludent durch seine tatkräftige Mitwirkung bei der Ersatzvornahme angenommen hat (D → B: „Ja!“). Hervorzuheben ist weiter, dass der Polizeiträger B dem Bürger D mit Abschluss des Auftragsvertrags zugleich auch implizit das Dürfen und Können zur Ausübung des staatlichen Nutzungsrechts „aus“ dem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Polizeiträgers B eingeräumt hat (B → D: „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Vollstreckungshelfer aufzutreten!“). Damit korrespondiert, dass der Regenschirm aus der Hand des mit Hilfswillen agierenden Bürgers D für die juristische Betrachtung gemäß § 855 BGB (analog) in die Hand des Polizeiträgers B gewandert ist, woraufhin dieser dem Hund X mit dem Regenschirm einen Schlag gegen den Körper versetzte, als sich der Arm des rechtsgeschäftlich bestellten Erfüllungsgehilfen D 539 Pawlik, Notstand, S. 314 ff.; ders., GA 2003, 12, 21 f.; Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 92 f.; Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 426 ff.; Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, § 228 Rn. 8; vgl. auch Lesch, Notwehrrecht, S. 59; Lagodny, Schranken, S. 265; W. B. Schünemann, DAR 1997, 267, 270; Hoffmann-Riem, ZRP 1977, 277, 281; Frister, Strafrecht AT, 17/30. 540 Zutreffend zur öffentlich-rechtlichen Natur derartiger Verträge etwa Schmidbauer/ Steiner/Schmidbauer, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, Art. 9 Rn. 25.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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entsprechend bewegte (vgl. § 278 S. 1 Alt. 2 BGB). In dieser Konstellation haben also sowohl der Polizist P als auch der Bürger D als Hilfspersonen des Polizeiträgers B agiert, weshalb in der Rechtswelt nach außen hin allein der Vollstreckungsorgan des Polizeiträgers B in Erscheinung getreten ist, welches dem Hund X mittels eines Regenschirms und eines Schlagstocks Schläge gegen den Körper versetzt hat (P/D → B → X), um so die dem Polizeiträger B gegenüber dem Bürger A obliegende Vollstreckungsschuld zu tilgen.541 An dieser juristischen Konstruktion würde sich auch dann nichts ändern, wenn der Polizist P neben dem Bürger D auch noch den von dem Hund X attackierten Bürger A um die Mitwirkung bei der Erfüllung der Vollstreckungsaufgabe gebeten hätte, woraufhin auch der Bürger A mit physischer Gewalt auf den Hund X eingewirkt hätte. Denn auch in dieser Konstellation wäre in der Welt des Rechts nach außen hin allein das Vollstreckungsorgan des Polizeiträgers B in Erscheinung getreten (P/D/A → B → X), was impliziert, dass der Bürger A in dieser Fallgestaltung seinem eigenen Schuldner als dessen rechtsgeschäftlich bestellter Erfüllungsgehilfe im Sinne von § 278 S. 1 Alt. 2 BGB (analog) bei der Erfüllung von dessen Vollstreckungspflicht geholfen hätte. Ist nun aber in dem obigen Beispielsfall zufällig kein Polizist P vor Ort, um eine (fiktive) Polizeiverfügung „für“ den Polizeiträger B (im Wege der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs) zwangsweise durchzusetzen, dann ist eine Berufung des Bürgers A bzw. D auf das Sachwehrrecht aus § 228 BGB ohne Weiteres möglich. Dabei liegt der exakte juristische Grund für das Eingreifen des Sachwehrrechts in dieser Konstellation darin, dass (1) eine Wahrnehmung der polizeilichen Vollstreckungsaufgabe durch das reguläre Staatspersonal (P1, P2, P3 usw.) infolge von dessen zufälliger Abwesenheit ausscheidet und dass (2) deshalb auch eine rechtsgeschäftliche Einschaltung des Bürgers in die Durchführung der polizeilichen Ersatzvornahme nicht in Betracht kommt. Anders gewendet bedeutet das, dass die gesetzliche Regelung in § 228 BGB im heutigen Rechtsschutzsystem die Funktion erfüllt, jedem Bürger die Mitwirkung bei der Staatsaufgabenwahrnehmung in solchen Ausnahmesituationen zu ermöglichen, in denen ein Tätigwerden des Bürgers A bzw. D „für“ den Polizeiträger B zwar dessen (mutmaßlichen) Willen entspricht, aber eine rechtsgeschäftliche Einschaltung aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) unmöglich oder untunlich ist. So gesehen, substituiert das in § 228 BGB geregelte Jedermannsrecht den akustischen Hilferuf, an dessen Aussendung der Po541 Vgl. etwa Schenke, POR, Rn. 555: „Wenn die Ersatzvornahme durch einen von der Behörde beauftragten Privaten erfolgt (Fremdvornahme), so handelt es sich um hoheitliches Handeln eines Verwaltungshelfers, das dem Träger der Polizeibehörde zuzurechnen ist und für das § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG gilt.“ Vgl. ferner auch Würtenberger, DAR 1983, 155, 160 f.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
lizeiträger B bei Vorliegen der Grundsituation der Sachwehr aus faktischen Gründen gehindert ist, weshalb das Sachwehrrecht als – fiktiver – an den Bürger A bzw. D gerichteter Hilferuf des Staates B zu verstehen ist (B → A/D: „Bitte hilf mir bei der Durchführung der Ersatzvornahme!“). Dementsprechend wird dem Bürger A bzw. D durch diese gesetzliche Regelung das Dürfen und Können verliehen, um das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Polizeiträgers B zur Durchführung einer Ersatzvornahme (im Wege der unmittelbaren Ausführung bzw. des sofortigen Vollzugs) auszuüben. Bei funktionaler Betrachtungsweise dient das Sachwehrrecht aus § 228 BGB also zur „Schließung von Lücken, die sich aus der punktuell-zufälligen Abwesenheit von Repräsentanten des organisierten Staates ergeben“542 , weshalb diese gesetzliche Regelung als Ausprägung der Maxime „deficiente magistratu quisque ex populo est magistratus“543 zu verstehen ist. Das heißt, dass der Bürger durch das Sachwehrrecht in den status procuratoris versetzt wird, um ihm so die Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts als Vollstreckungshelfer im Sinne von § 278 S. 1 Alt. 1 BGB (analog) zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sei der Blick noch einmal dem idealtypischen Ausgangsszenario für das Eingreifen des Sachwehrrechts zugewendet, in welchem der Hund X des (abwesenden) Bürgers C auf den Bürger A zuläuft und diesen zu beißen droht. Wie ausführlich dargelegt wurde, ist der Bürger C in dieser Sachlage prinzipiell dazu verpflichtet, das Eindringen seines Hundes X in den Rechtskreis des Bürgers A zu verhindern, indem er seinen Hund X zurückruft, einfängt oder ihn notfalls durch körperlichen Zwang unschädlich macht. Kommt er seiner Beseitigungspflicht jedoch nicht nach, dann gibt das objektive Recht dem Bürger A einen Gefahrbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) gegen den Bürger C an die Hand, wobei in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung auch unterstellt werden kann, dass eine Anspruchserhebung dem (präsumtiven) Willen des Anspruchsinhabers A entspricht (A → C: „Beseitige die Gefahr!“). Gleiches gilt für den Anspruch auf polizeiliches Einschreiten (A → B: „Beseitige die Gefahr an Stelle des C!“), weshalb der Polizeiträger B dem Bürger A die zwangsweise Durchsetzung einer (fiktiven) Grundverfügung (B → C: „Beseitige die Gefahr!“) schuldete. Ist aber zufällig kein Polizist P vor Ort, um die polizeiliche Ersatzvornahme „für“ den Polizeiträger B durchzuführen, dann ist jeder Bürger A bzw. D zur Wahrnehmung der polizeilichen Vollstreckungsaufgabe auf Grundlage des gesetzlichen Sachwehrrecht aus § 228 So Pawlik, Notstand, S. 184, der im Gegensatz zu der hiesigen Konzeption aber wohl von einer Berechtigung des Sachwehrübenden zum Handeln im eigenen Namen ausgeht. 543 S. für diese Formulierung der Maxime Mayer, FS Welzel, S. 97. 542
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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BGB berechtigt (B → A/D: „Hiermit gebe ich dir das Recht, als mein Vollstreckungshelfer aufzutreten!“). Schlägt der Bürger A nun zur Abwendung der ihm durch den Hund X drohenden Gefahr in Ausübung des Sachwehrrechts mit seinem Regenschirm auf dessen Kopf, wodurch der Hund X eine schwere Kopfverletzung erleidet, dann bedeutet das für die juristische Konstruktion, dass der Regenschirm zunächst aus der Hand des Bürgers A in die Hand des Staates B gleitet (§ 855 BGB analog), woraufhin der Polizeiträger B dem Hund X mit dem Schirm auf den Kopf schlägt, sobald sich der Arm des Bürgers A entsprechend bewegt (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Das bedeutet, dass der „als eine Art Geschäftsführer ohne Auftrag“544 agierende Bürger A hier dem Geschäftsherrn B seinen mit dem Schirm zuschlagenden Arm hingegeben hat (A → B), weshalb in der Welt des Rechts allein der mit dem Schirm zuschlagende Arm des repräsentierten Geschäftsherrn B in Erscheinung getreten ist (B → X). Für die juristische Betrachtung hat sich der mit dem Schirm zuschlagende Arm des Bürgers A in der hier in Rede stehenden Konstellation somit übers Eck bewegt (A → B → X), weil der in Ausübung des Sachwehrrechts handelnde Bürger A die Gefahrbeseitigungsmaßnahme bei normativer Betrachtungsweise im Namen des Polizeiträgers B ausgeführt hat. Dabei hat der Polizeiträger B hier dem Hund X des Bürgers C in Ausübung des staatlichen Nutzungsrechts „aus“ dem Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang einen rechtmäßigen Schlag versetzt. Damit korrespondiert, dass sich auch der Bürger A in dieser Konstellation nicht haftbar gemacht hat. Vielmehr hat er dem Polizeiträger B rechtmäßigerweise dabei geholfen hat, rechtmäßigen physischen Zwang auf den Hund X des Bürgers C auszuüben. Doch wie lässt sich auf Grundlage der hier vertretenen Sachwehrkonzeption die in § 228 S. 1 BGB verankerte Proportionalitätsklausel erklären, wonach der bei der Abwehr der gefahrbringenden Sache eintretende Schaden nicht außer Verhältnis zu der von der Sache ausgehenden Gefahr stehen darf? Insoweit ist zunächst noch einmal hervorzuheben, dass das Sachwehrrecht an eine Sachlage anknüpft, in welcher den Eigentümer C eine Beseitigungspflicht mit Blick auf die von seinem Rechtsgegenstand X drohende Gefahr trifft. Weiter gilt es zu sehen, dass die gesetzliche Beseitigungspflicht von Zustandsstörern nach herrschender Auffassung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird.545 Dabei ist das Bestehen einer Beseitigungspflicht nach zutreffender AnSo Pawlik, Notstand, S. 174, 225, 229. S. etwa BGHZ 62, 388, 391; BGHZ 66, 182, 193; BGHZ 143, 1, 6; BGH NJW 2008, 3122 Rn. 16 ff.; BGH NJW-RR 2010, 315 Rn. 14; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 86 VI 2 b, S. 702 f.; Sokol, Verantwortlichkeit, S. 292 ff.; Köhler, GRUR 1996, 82, 85 f.; Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 9 Rn. 68; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 1004 Rn. 65; Palandt/Herrler, BGB, § 1004 Rn. 47. 544 545
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sicht „in Konkretisierung von § 242 BGB“546 ausgeschlossen, soweit die Störungsbeseitigung für den Zustandsverantwortlichen C mit Nachteilen verbunden ist, die außer Verhältnis zu den Nachteilen des Beeinträchtigten A stehen.547 Ist aber der Zustandsstörer C im Einzelfall nicht von Rechts wegen zur Störungsbeseitigung verpflichtet, dann steht dem Gestörten A im Falle des Untätigbleibens des Bürgers C auch kein Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) gegen diesen zu, was bedeutet, dass der Gestörte A dem Zustandsverantwortlichen C in dieser Konstellationen nicht den Befehl „Beseitige die Gefahr (durch die Maßnahme x)!“ erteilen kann. Nichts anderes gilt insoweit im öffentlichen Recht. Denn wenn die Störungsbeseitigung mit unverhältnismäßigen Nachteilen für den Eigentümer C verbunden ist, dann ist auch die Staatsperson B nicht zum Erlass eines Gefahrbeseitigungsbefehls gegen diesen berechtigt.548 Dementsprechend kommt eine Ersatzvornahme durch das Vollzugsor gan des Polizeiträgers B in so gelagerten Konstellationen nicht in Betracht, weil das Rechtsinstitut der Ersatzvornahme nur einschlägig ist, wenn die Inanspruchnahme des Zustandsstörers C durch eine Polizeiverfügung im Prinzip rechtlich möglich wäre.549 Ist aber der Polizeiträger B nicht zur Ersatzvornahme berechtigt, dann fehlt es auch an einem polizeilichen Vollstreckungsgeschäft, welches der Bürger A bzw. D für den Polizeiträger B wahrnehmen könnte. Damit korrespondiert, dass der Polizeiträger B in so gelagerten Fällen kein Hilfeersuchen an den Bürger A bzw. D aussenden würde, weshalb der Bürger A bzw. 546 Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 86 VI 2 b, S. 702; in diesem Sinne auch Offtermatt, Beseitigungsanspruch, S. 125 ff.; Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 156; Soergel/ Münch, BGB, § 1004 Rn. 312; RGRK/Pikart, BGB, § 1004 Rn. 93; Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 243; Sokol, Verantwortlichkeit, S. 301, 305; OLG Düsseldorf ZMR 2003, 954 f. 547 Während nach der hier vertretenen Auffassung im Falle einer unzumutbaren Störungs beseitigung nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB von einem Wegfall der Beseitigungspflicht ex lege auszugehen ist (vgl. auch die in § 18 Abs. 3 MarkenG getroffene Regelung), will die neuere Rechtsprechung den Einwand der Unverhältnismäßigkeit in Anlehnung an § 275 Abs. 2 BGB als Leistungsverweigerungsrecht konzeptualisieren (s. etwa BGH NJW 2008, 3122 Rn. 17 ff.). Letztlich kommt es für die hier in Rede stehende Problemstellung jedoch nicht entscheidend auf diese dogmatisch-konstruktive Differenz an, weil auf Grundlage der Rechtsprechungslösung in den von § 228 BGB erfassten Notsituationen im Falle einer unzumutbaren Störungsbeseitigung gleichsam standardmäßig von der Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts durch den Zustandsverantwortlichen auszugehen wäre, sodass sich im Ergebnis auch der Rechtsprechungsansatz zwanglos mit dem hiesigen Erklärungsmodell des Sachwehrrechts vereinbaren lässt. 548 Vgl. etwa Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht, § 5 Rn. 374; Pieroth/ Schlink/Kniesel, POR, § 10 Rn. 30; Lisken/Denninger/Rachor, Handbuch des Polizeirechts, E 180 ff.; Schenke, POR, Rn. 338; Gusy, POR, Rn. 399; Götz/Geis, POR, § 11 Rn. 29 ff.; Knemeyer, POR, § 22 Rn. 300 ff.; Gornig/Jahn, Fälle zum POR, S. 90. 549 Vgl. etwa Götz/Geis, POR, § 12 Rn. 27 sowie Gornig/Jahn, Fälle zum POR, S. 89 f.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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D in diesen Konstellationen nicht durch das in § 228 BGB geregelte Notrecht in den status procuratoris versetzt wird. Kurz: Wo der Zustandsstörer C in den von § 228 BGB erfassten Sachlagen unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit nicht tätig werden müsste, dort scheidet eine Ersatzvornahme durch die Staatsperson B und damit auch eine Notgeschäftsführung des Bürgers A bzw. D auf Grundlage des § 228 BGB aus. Um diesen Zusammenhang anhand eines Beispiels zu veranschaulichen: Der dem Hundehalter C gehörende Hund X (Wert: 500,– Euro) setzt dazu an, sich eine dem A gehörende Wurst (Wert: 5,– Euro) zu schnappen. Mangels anderer Möglichkeiten, ihn daran zu hindern, erschießt A den Hund X mit einer Pistole.
Hier geht von dem im Eigentum des Bürgers C stehenden Hund X eine Gefahr für die im Eigentum des Bürgers A stehende Wurst aus, weshalb den Zustandsverantwortlichen C im Prinzip die Rechtspflicht trifft, die von seinem Hund X ausgehende Gefahr für die Wurst des Bürgers A zu beseitigen. Grundsätzlich müsste der Bürger C also seinen Hund X davon abhalten, die fremde Wurst wegzuschnappen, indem er ihn zurückruft, einfängt oder notfalls durch physische Gewalt unschädlich macht. In dem obigen Beispielsfall liegen die Dinge allerdings so, dass sich das Wegschnappen der fremden Wurst im Wert von 5,– Euro nur um den Preis der Tötung des Hundes X im Wert von 500,– Euro verhindern lässt. Das heißt, die Gefahrbeseitigung wäre in dieser Fallgestaltung für den Hundeeigentümer C mit einem Nachteil verbunden, der in keiner vertretbaren Relation zu dem Nachteil des Wursteigentümers A steht. Das aber bedeutet, dass der Bürger C unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit nicht dazu verpflichtet gewesen wäre, die von seinem Hund X ausgehende Gefahr für die Wurst des Bürgers A durch die Tötung seines Hundes X zu beseitigen. Damit korrespondiert wiederum, dass dem Bürger A kein entsprechender Gefahrbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB gegen den untätigen Bürger C zustand. Dementsprechend hätte der Bürger A auch dem Staat B nicht befehlen können, dem Bürger C zu befehlen, seinen Hund X zu erschießen, womit korres pondiert, dass der Staat B nicht berechtigt war, den Hund X des Bürgers C an dessen Stelle im Wege der Ersatzvornahme zu erschießen. Dementsprechend fehlte es hier an einem Vollstreckungsgeschäft des Staates B, welches der Bürger A als Vollstreckungshelfer hätte wahrnehmen können. Das bedeutet, dass der Bürger A vorliegend nicht durch das in § 228 BGB geregelte Sachwehrrecht in den status procuratoris versetzt wurde, was wiederum impliziert, dass er den Hund X des Bürgers C rechtswidrig getötet hat. Dabei gilt es an dieser Stelle zu sehen, dass der Proportionalitätsgedanke in den von § 228 BGB erfassten Konstellationen nicht erst auf vollstreckungsrechtlicher Ebene, sondern bereits auf materiellrechtlicher Ebene zum Tragen
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
kommt. Um diese normlogische Differenz anhand von zwei kurzen Beispielsfällen zu veranschaulichen: (1) Würde der Dieb C mit einer dem Bürger A gehörenden Wurst im Wert von 5,– Euro davonlaufen, wobei sich der Dieb C nur noch durch einen Pistolenschuss stoppen ließe, dann trifft den Dieb C zwar eine Herausgabepflicht, weshalb der Wursteigentümer A berechtigt ist, dem Bürger C gemäß § 985 BGB die Herausgabe der Wurst zu befehlen (A → C: „Gib meine Wurst heraus!“). Auch steht dem Bürger A hier das Recht zu, der Staatsperson B den Erlass einer Herausgabeverfügung gegen den Bürger C aufzugeben (A → B: „Befiehl C, meine Wurst herauszugeben!“). Allerdings dürfte die staatliche Herausgabeverfügung (B → C: „Gib die Wurst des A heraus!“), wie oben ausführlich dargelegt wurde550, im Falle ihrer Nichtbefolgung durch den Dieb C unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht durch einen Pistolenschuss durchgesetzt werden. Dementsprechend kommt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in dieser Konstellation erst auf vollstreckungsrechtlicher Ebene zum Tragen. (2) Würde dagegen der dem Hundehalter C entlaufene Hund X im Wert von 500,– Euro mit einer dem Bürger A gehörenden Wurst im Wert von 5,– Euro davonlaufen, wobei sich der Hund X nur noch durch einen Pistolenschuss stoppen ließe, dann wäre der Hundeeigentümer C unter Verhältnismäßig keitsgesichtspunkten nicht zur Abgabe eines Pistolenschusses auf seinen Hund X verpflichtet, womit korrespondiert, dass der Wursteigentümer A nicht berechtigt wäre, den untätigen bleibenden Bürger C gemäß § 1004 Abs. 1 BGB auf Störungsbeseitigung in Anspruch zu nehmen und der Staatsperson B den Erlass einer Gefahrbeseitigungsverfügung gegen den Bürger C aufzugeben. Dementsprechend kommt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in dieser Konstellation bereits auf materiellrechtlicher Ebene zum Tragen. Hervorzuheben ist weiter, dass der durch die Sache X bedrohte Bürger A im Prinzip nicht nur den Eigentümer C auf Gefahrbeseitigung in Anspruch nehmen kann, sondern alle Rechtspersonen, die gegen Einwirkungen auf die gefahrbringende Sache X rechtlich geschützt sind (C1, C2, C3 usw.).551 So korrespondiert nämlich mit dem negatorischen Ausschließungsrecht gewissermaßen als Kehrseite die Rechtspflicht, die von der geschützten Sache X für Dritte ausgehenden 550
S. dazu sub § 3 B II 3 b cc, S. 123 ff. Vgl. Picker, Beseitigungsanspruch, S. 131: „Auf eine kurze Formel gebracht ist […] Störer im Fall sachbedingter Beeinträchtigung jeder, der gegen Einwirkungen auf die störende Sache seinerseits rechtlich geschützt ist. Der negatorische Anspruch des Gestörten ist nichts anderes als das rechtliche Instrument, den negatorischen Schutz des Störers zu überwinden, und dieses hat der Gesetzgeber folgerichtig so ausgestaltet, daß es im Verhältnis zu dem Gestörten dem Störer überlassen bleibt, die störende Sache zu korrigieren, daß, allgemeiner ausgedrückt, der Zuordnung der Sache die Zuständigkeit korrespondiert, sie innerhalb der eigenen Rechtsgrenzen zu halten.“ 551
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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Gefahren zu neutralisieren.552 Dabei fallen in die Gruppe der Zustandsverantwortlichen alle Rechtspersonen, die in faktischer oder rechtlicher Hinsicht Herrschaft über die Sache X ausüben, also neben dem Eigentümer auch sonstige Berechtigte sowie der oder die Besitzer der Sache.553 Darüber hinaus ist im vorliegenden Zusammenhang zu betonen, dass es im Rahmen von § 228 BGB nicht darauf ankommt, ob ein Zustandsverantwortlicher im konkreten Fall die (rechtliche) Möglichkeit hat, in eigener Person physisch auf die gefahrbringende Sache X einzuwirken. Entscheidend ist vielmehr, ob er die in Rede stehende Gefahrbeseitigungsmaßnahme vornehmen müsste, wenn man seine (rechtliche) Möglichkeit zum Tätigwerden unterstellt.554 Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass das in § 228 BGB statuierte Notrecht im heutigen Rechtsschutzsystem dazu dient, die „aus der punktuell-zufälligen Abwesenheit von Repräsentanten des organisierten Staats“555 entstehenden Lücken zu schließen, indem die gesetzliche Regelung den akustischen Hilferuf substituiert, an dessen Aussendung der Polizeiträger B im Falle des Vorliegens der Grundsituation der Sachwehr aus faktischen Gründen (mangels eines Polizisten vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Durchführung der Ersatzvornahme usw.) gehindert ist. Bei funktionaler Betrachtungsweise ist das in § 228 BGB geregelte Notrecht dementsprechend als fiktiver Hilferuf des Staates B zu verstehen, durch welchen dem Bürger A bzw. D das Dürfen und Können verliehen wird, um dem Polizeiträger B als dessen gesetzlicher Vertreter bei der Durchführung einer (atypischen) Ersatzvornahme im Wege des Sofortvollzugs an Stelle des an sich vorrangig zur Gefahrbeseitigung verpflichteten Zustandsverantwortlichen C zu helfen. Anders formuliert: Das dem Bürger A bzw. D durch das gesetzliche Sachwehrrecht „ad hoc übergeworfene Gewand“556 gibt ihm das Recht, pro magistratu eine polizeiliche Vollstreckungsaufgabe wahrzunehmen.
552 Vgl. etwa Picker, Beseitigungsanspruch, S. 131; Pawlik, GA 2003, 12, 21; Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 92. 553 Ausführlich zur Personengruppe der Zustandsverantwortlichen Picker, Beseitigungsanspruch, S. 131 sowie Sokol, Verantwortung, S. 259 ff. 554 Ähnlich Pawlik, GA 2003, 12, 22: „[Es kommt] nicht darauf an, ob dem Zuständigen ein Tätigwerden in der konkreten Gefahrenlage möglich ist. Entscheidend ist, dass das betreffende Gefahrenpotenzial seinem Organisationskreis zugerechnet werden kann, sodass er, seine Möglichkeit zum Eingreifen unterstellt, zur Neutralisierung dieses Gefahrenpotenzials tätig werden müsste.“ (Hervorhebungen im Original.) – Vgl. auch Würtenberger/Heckmann/ Tanneberger, Polizeirecht, § 5 Rn. 368 ff. 555 Pawlik, Notstand, S. 181 (ohne die Hervorhebung des Originals). 556 Formulierung von Pawlik, Notstand, S. 174 in Fn. 88 (ohne die Hervorhebung des Originals).
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
II. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Sachwehr Wie soeben gezeigt wurde, wird dem Bürger A bzw. D durch das in § 228 BGB geregelte Sachwehrrecht das Dürfen und Können verliehen, um dem Staat B in akuten Notlagen bei der Durchführung einer atypischen Ersatzvornahme durch unmittelbaren Zwang gegen die Sache X im Wege des Sofortvollzugs an Stelle des an sich vorrangig zur Gefahrbeseitigung verpflichten Zustandsverantwort lichen C zu helfen. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Rechtmäßigkeits voraussetzungen der Sachwehr in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik folgendermaßen reformulieren: 1. Vorliegen der Grundsituation der Sachwehr Bestehen einer Rechtspflicht des Polizeiträgers B gegenüber dem durch die Sache X bedrohten Bürger A zur Ausübung von unmittelbarem Zwang gegen die Sache X durch polizeiliche Ersatzvornahme (im Wege des Sofortvollzugs bzw. der unmittelbaren Ausführung) an Stelle des an sich vorrangig zur Gefahrbeseitigung verpflichteten Zustandsverantwortlichen C 2. Das Ob der Sachwehr Übereinstimmung der Übernahme der Notgeschäftsführung durch den Bürger A bzw. D mit dem Willen des Geschäftsherrn B 3. Das Wie der Sachwehr a) Das subjektive Wie der Sachwehr Vorliegen eines Notgeschäftsführungswillens auf Seiten des Bürgers A bzw. D b) Das objektive Wie der Sachwehr Übereinstimmung der Ausführung der Notgeschäftsführung durch den Bürger A bzw. D mit dem Willen des Geschäftsherrn B In den folgenden Abschnitten sollen die einzelnen Rechtmäßigkeitsvoraus setzungen näher in den Blick genommen werden, wobei insbesondere auch gezeigt werden soll, wie sich praxisrelevante Problemfälle auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Sachwehrkonzeption rekonstruieren und lösen lassen.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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1. Die Grundsituation der Sachwehr Wie oben ausführlich dargelegt wurde557, ist das in § 228 BGB geregelte Notrecht bei funktionaler Betrachtung als fiktiver Hilferuf des Staates B zu verstehen, durch welchen dem Bürger A bzw. D das Dürfen und Können verliehen wird, um der Staatsperson B im Falle der zufälligen Abwesenheit des regulären Staatspersonals (P1, P2, P3, usw.) bei der Durchführung einer (atypischen) Ersatzvornahme durch unmittelbaren Zwang gegen die gefahrbringende Sache X im Wege des Sofortvollzugs an Stelle des vorrangig zur Gefahrenbeseitigung verpflichteten Zustandsverantwortlichen C zu helfen. Damit korrespondiert, dass die Grundsituation des § 228 BGB vorliegt, wenn aus der „objektiven“ ex-ante-Perspektive (eines Repräsentanten) des Polizeiträgers B558 eine Sachlage gegeben ist, in welcher der Polizeiträger B zur physischen Einwirkung auf die gefahrbringende Sache X an Stelle des zustandsverantwortlichen Bürgers C durch polizeiliche Ersatzvornahme im Wege des sofortigen Vollzugs verpflichtet ist. Daher ist es für das Vorliegen der Grundsituation des § 228 BGB im Ausgangspunkt erforderlich, dass den für den Zustand der Sache X verantwortlichen Bürger C eine negatorische Beseitigungspflicht gegenüber dem durch die Sache X bedrohten Bürger A trifft.559 Im Grundsatz korreliert die Frage, ob dem Bürger A bei normativer Betrachtungsweise eine Gefahr „durch“ die Sache X droht, also mit der Frage, ob der Zustandsverantwortliche C prinzipiell zur Beseitigung der in Rede stehenden Gefahr verpflichtet ist.560 Allerdings trifft den Zustandsverantwortlichen C, wie bereits dargelegt wurde, insbesondere dann keine materiellrechtliche Beseitigungspflicht, wenn ihm durch eine bestimmte Gefahrbeseitigungsmaßnahme ein Nachteil droht, der außer Verhältnis zu der drohenden Gefahr steht, was bedeutet, dass die in § 228 BGB verankerte Proportionalitätsklausel schon auf materiellrechtlicher Ebene zum Tragen kommt.561 Umgekehrt formuliert heißt das, dass der Zustandsverantwortliche C gegenüber dem „durch“ die Sache X bedrohten Bürger A nur dann zur Gefahrbeseitigung verpflichtet ist, wenn ihm die konkret in Rede stehende Gefahrbeseitigungsmaßnahme unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zugemutet werden kann. 557
558
S. dazu sub § 3 C I, S. 163 ff. In diesem Sinne auch Pawlik, Notstand, S. 174 sowie Erman/E. Wagner, BGB, § 228
Rn. 3. 559 Vgl. Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 205 ff.; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 184 f.; Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 92; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 34 Rn. 1. 560 In diesem Sinne auch Pawlik, GA 2003, 12, 22; s. in diesem Zusammenhang auch Pleyer, AcP 156 (1957), 291, 309 f. 561 Ausführlich dazu oben sub § 3 C I, S. 173 ff.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Bleibt der objektiv zur Gefahrbeseitigung verpflichtete Zustandsverantwortliche C jedoch untätig, dann gibt das objektive Recht dem Bürger A zunächst einen Gefahrbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) an die Hand, durch welchen er dem Zustandsverantwortlichen C die Gefahrbeseitigung durch einen befehlenden Sprechakt auferlegen darf und kann (A → C: „Beseitige die Gefahr!“). Weiter korrespondiert mit dem zivilrechtlichen Anspruchsrecht, wie oben dargelegt wurde562 , ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten, sofern in einer akuten Notlage gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Verwirklichung des privaten Rechts besteht. Das bedeutet, dass der durch die Sache X bedrohte Bürger A bei Vorliegen der Voraussetzungen der polizeilichen Subsidiaritätsklausel grundsätzlich dazu berechtigt ist, den Polizeiträger B auf ein polizeiliches Einschreiten „anzusprechen“ (A → B: „Schreite ein!“). Der zu Hilfe gerufene Polizeiträger B ist wiederum dazu berechtigt, dem Zustandsverantwortlichen C die Gefahrbeseitigung auf Grundlage der polizeilichen Generalklausel durch einen befehlenden Sprechakt aufzuerlegen (B → C: „Beseitige die Gefahr!“), wobei dem Polizeiträger B im Falle der Nichtbefolgung der Gefahrbeseitigungsverfügung auch das Recht zusteht, die eigentlich dem Zustandsverantwortlichen C obliegende Gefahrbeseitigungsmaßnahme im Wege der Ersatzvornahme an dessen Stelle auszuführen. Wenn allerdings der Erlass einer Gefahrbeseitigungsverfügung gegen den beseitigungspflichtigen Zustandsverantwortlichen C in einer akuten Notlage aus faktischen Gründen nicht möglich oder tunlich ist, dann steht dem Polizeiträger B darüber hinaus auch die Möglichkeit offen, ohne eine vorangegangene Grundverfügung die an sich dem Bürger C obliegende Gefahrbeseitigungsmaßnahme an dessen Stelle durch Ersatzvornahme im Wege des Sofortvollzugs auszuführen. Ist nun nach den Umständen des Einzelfalls davon auszugehen, dass der Bürger A seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend machen will (A → B: „Beseitige die Gefahr an Stelle des C!“), dann ist der Polizeiträger B dem Bürger A gegenüber zur Gefahrbeseitigung an Stelle des Zustandsverantwortlichen C durch Ersatzvornahme im Wege des sofortigen Vollzugs verpflichtet, was bedeutet, dass die Grundsituation der Sachwehr gegeben ist, weil jetzt ein polizeiliches Vollstreckungsgeschäft vorliegt, das der Bürger A bzw. D im Falle der punktuell-zufälligen Abwesenheit des regulären Staatspersonals (P1, P2, P3 usw.) an dessen Stelle auf Grundlage des in § 228 BGB geregelten Notrechts wahrnehmen darf und kann. Anders gewendet heißt das, dass die Grundsituation der Sachwehr gegeben ist, wenn die folgenden – fik 562
S. dazu sub § 3 C I, S. 166.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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tiven – Befehle in dem Rechtsdreieck Bürger – Staat – Bürger (A–B–C) vor liegen: (1) A → C: „Beseitige die Gefahr!“ = negatorischer Beseitigungsanspruch (2) A → B: „Befiehl C, die Gefahr zu beseitigen!“ = Rechtsschutzanspruch (3) B → C: „Beseitige die Gefahr!“ = Beseitigungsverfügung des Staates (4) A → B: „Beseitige die Gefahr an Stelle des C!“ = Vollstreckungsanspruch Letztlich geht es in Sachwehrkonstellationen also um die ersatzweise Vornahme einer vertretbaren Handlung, deren Vornahme an sich der für den Zustand der gefahrbringenden Sache X verantwortliche Bürger C schuldete. Zur nochmaligen Veranschaulichung dieses Punkts sei „der Schulfall des den Berg herab rollenden führerlosen Kraftwagens“563 herangezogen: Infolge eines unerkennbaren Defekts der Bremsanlage rollt das dem Autohalter C gehörende und von diesem ordnungsgemäß abgestellte Auto X führerlos eine abfallende Bergstraße hinunter. Am Ende der Straße steht ein Kinderwagen, in dem sich das Kind A befindet. Der mit seinem Radlader aus einer Seitenstraße kommende D erkennt, dass das führerlose Auto X das Kind A zu überrollen droht. Mangels anderer Möglichkeiten, das zu verhindern, rammt der mit Gefahrabwendungsabsicht handelnde D mit seinem Radlader das Auto X von der Straße, wodurch dieses, was von vornherein absehbar war, einen Totalschaden erleidet.
Hier drohte dem Kind A „durch“ das führerlos die Bergstraße herabrollende Auto X des Autohalters C eine Gefahr, weshalb der Bürger C als Zustandsverantwortlicher (C–X) dem Kind A gegenüber zur Gefahrbeseitigung verpflichtet war. Das heißt, den Autoeigentümer C traf hier die Rechtspflicht, irgendwie zu verhindern, dass sein Auto X das Kind A überrollt, wobei ihm insbesondere auch zugemutet werden konnte, sein gefahrbringendes Auto X zu vernichten, um so das Leben des Kindes A zu retten. Vorliegend ist der Bürger C der ihn objektiv treffenden Beseitigungspflicht jedoch nicht nachgekommen, weshalb das objektive Recht dem Kind A einen Gefahrbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) an die Hand gegeben hat, dessen präsumtive Geltend machung (durch den gesetzlichen Vertreter des Kindes A) in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung auch zu unterstellen ist (A → C: „Beseitige die Gefahr!“). Weiterhin kann in der hier gegebenen Sachlage auch von einer Erhebung des Anspruchs des Kindes A auf polizeiliches Einschreiten (A → B: „Beseitige die Gefahr an Stelle des C!“) ausgegangen werden, wobei der Polizeiträger B hier zum Erlass einer Gefahrbeseitigungsverfügung gegen den Bürger C als Zustandsstörer (B → C: „Beseitige die Gefahr!“)564 und wegen dessen 563
564
Staudinger/Repgen, BGB, § 228 Rn. 19. Vgl. Götz/Geis, POR, § 9 Rn. 60.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Nichtanwesenheit am Ort des Geschehens auch zur Durchführung einer Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug berechtigt war. Dementsprechend lag in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung die Grundsituation der Sachwehr vor, weil der Polizeiträger B gegenüber dem Kind A zur Ausübung von unmittelbarem Zwang gegen die gefahrbringende Sache X durch polizeiliche Ersatzvornahme im Wege des Sofortvollzugs an Stelle des eigentlich beseitigungspflichtigen Zustandsverantwortlichen C verpflichtet war. Da vorliegend aber kein Polizist P vor Ort war, um das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft zu besorgen, durfte und konnte der Radladerfahrer D die (atypische) Ersatzvornahme auf Grundlage des in § 228 BGB statuierten Notrechts im Namen des Polizeiträgers B durchführen. Naturalistisch gesehen, hat hier selbstverständlich der mit Gefahrabwendungsabsicht handelnde Bürger D mit seinem Radlader das Auto X des Zustandsverantwortlichen C von der Bergstraße gerammt. Vor dem geistigen Auge des Juristen stellen sich die Dinge jedoch anders dar, weil der mit Gefahrabwendungsabsicht handelnde Radladerfahrer D die tatsächliche Sachherrschaft über den Radlader ab dem Zeitpunkt der Übernahme der Notgeschäftsführung bei normativer Betrachtungsweise nicht mehr „für“ sich, sondern „für“ den Polizeiträger B ausgeübt hat. Ab diesem Moment hat der durch § 228 BGB in den status procuratoris versetzte Notgeschäftsführer D also als Stellvertreter des Polizeiträgers B agiert, weshalb Polizeiträger B die tatsächliche Gewalt über den Radlader durch den Notgeschäftsführer als sein Werkzeug ausgeübt hat, was bedeutet, dass dem Polizeiträger B der unmittelbare Besitz an dem Radlader zugerechnet wird (§ 855 BGB analog). Darüber hinaus wird dem Geschäftsherrn B hier auch das Verhalten des als Vollstreckungshelfer agierenden Bürgers D zugerechnet (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB), was bedeutet, dass in der Welt des Rechts der Polizeiträger B am Steuer des Radladers saß und mit diesem das Auto X von der Bergstraße gerammt hat (B → X).565 Dabei ist der entscheidende Punkt im vorliegenden Zusammenhang, dass im Ausgangspunkt der Zustandsverantwortliche C dem Kind A gegenüber zur Beseitigung der diesem „durch“ sein Auto X drohenden Gefahr verpflichtet war, weshalb der Polizeiträger B hier mittels des Vollstreckungshelfers D eine vertretbare Handlung an Stelle des an sich vorrangig zur Gefahrbeseitigung verpflichteten Sacheigentümers C vorgenommen hat. Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Grundsituation des § 228 BGB vorliegt, wenn der Polizeiträger B aus der „objektiven“ ex-ante-Perspektive eines pflichtgetreuen Polizisten P gegenüber dem „durch“ die Sache X bedrohten Bürger A zur Ausübung von unmittelbarem Zwang ge565 S. zum Autofahren in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben etwa Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 3 Rn. 30; BGHZ 29, 38, 40 ff.; BGHZ 42, 176, 179 f.; BGH DÖV 1979, 865 ff.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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gen die gefahrbringende Sache X durch polizeiliche Ersatzvornahme im Wege des Sofortvollzugs an Stelle des eigentlich beseitigungspflichtigen Zustandsverantwortlichen C verpflichtet ist. Dogmatischer Ausgangspunkt für einen Rückgriff auf das in § 228 BGB geregelte Notrecht ist dementsprechend das Bestehen einer negatorischen Beseitigungspflicht des Zustandsverantwortlichen C. Dabei ist das Vorliegen einer negatorischen Beseitigungspflicht aber insbesondere dann abzulehnen, wenn die Vornahme der in Rede stehenden Gefahrbe seitigungsmaßnahme dem Zustandsverantwortlichen C unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zumutbar ist, was bedeutet, dass die Proportionalitätsklausel des § 228 BGB schon auf materiellrechtlicher Ebene zum Tragen kommt. 2. Das Ob der Sachwehr Mit Blick auf die Frage nach dem Ob der Sachwehr gelten die obigen Ausführungen zum Ob der Notwehr in analoger Weise.566 Dementsprechend ist der Maßstab für das Ob der Sachwehr der (präsumtive) Wille des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn. In der Sache kommt es also darauf an, ob die Staatsperson B dem Bürger A bzw. D bei Vorliegen der Grundsituation der Sachwehr die Worte (1) „Bitte hilf mir!“ oder (2) „Hilf mir nicht!“ zugerufen hätte, wobei die Notgeschäftsführung des Bürgers A bzw. D für die Staatsperson B im ersten Fall berechtigt und im zweiten Fall unberechtigt ist. Um die Problemstellung anhand eines kurzen Beispielsfalls zu veranschaulichen: Dem Kind A droht eine Bissverletzung durch den im Eigentum des Hundehalters C stehenden Hund X, die sich nur noch durch die Abgabe eines Pistolenschusses auf den Hund X abwenden lässt. Stehen nun der Jäger D und der Polizist P schießbereit nebeneinander, dann gebührt die vorrangige Wahrnehmungsberechtigung dem Polizisten P. Denn der präsumtive Wille des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn zielt darauf, dass polizeiliche Vollstreckungsaufgaben in erster Linie von dem regulären Staatspersonal wahrgenommen werden, weil dieses speziell für die Zwecke einer rechtsstaatlichen Gefahrenabwehr ausgebildet und auf den Posten gestellt wurde. In dem Beispielsfall steht der Bürger D also gewissermaßen als Ersatzmann in der zweiten Reihe.567 Weist nun aber die Pistole des Polizisten P eine Ladehemmung auf und lässt sich ein Hundebiss nur noch durch die sofortige Abgabe eines Schusses durch den Bürger D abwenden, wobei eine Rücksprache mit dem Polizisten P wegen Gefahr im Verzug nicht mehr recht566
S. dazu sub § 3 B II 2, S. 86 ff. Vgl. auch Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, § 228 Rn. 8: „Regelmäßig wird dem Handelnden, soweit möglich, […] das Herbeirufen von (staatlichen) Hilfspersonen zugemutet werden können.“ 567
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zeitig möglich ist, dann ist die Abgabe einer Schusses auf den Hund X durch den mit Gefahrenabwehrwillen handelnden Bürger D vom Sachwehrrecht gedeckt.568 Denn in dieser Situation lautet der fiktive Zuruf des Polizeiträgers B an den Bürger D „Bitte hilf mir!“. Für die juristische Konstruktion folgt daraus, dass die Pistole des in den status procuratoris versetzten Bürgers D zunächst aus seiner Hand in die Hand des Staates B gleitet (§ 855 BGB analog), woraufhin der Finger der Staatsperson B den Abzug drückt, sobald sich der Finger des Bürgers D entsprechend bewegt (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Damit korrespondiert, dass die abgefeuerte Kugel den Hund X in der Welt des Rechts aus der Vertikalen trifft (B → X). Weiter ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass sich der Subsidiaritätsgedanke in § 228 BGB nicht im Begriff der „Erforderlichkeit“ verankern lässt.569 Denn der Bezugspunkt des in § 228 BGB verankerten Erforderlichkeitskriterium ist allein die Frage, ob „die Beschädigung oder Zerstörung [der fremden Sache] zur Abwendung der Gefahr erforderlich“ ist. Dagegen gibt das Erforderlichkeitskriterium keine Auskunft darüber, ob vorrangig das reguläre Staatspersonal (P1, P2, P3 usw.) oder der hilfsbereite Bürger (A bzw. D) zur gefahrabwendenden Beschädigung oder Zerstörung der fremden Sache berufen ist. Bei genauer Betrachtungsweise fehlt es daher in der gesetzlichen Regelung des § 228 BGB an einem begrifflichen Anknüpfungspunkt zur Verankerung des Subsidiaritätsgedankens.570 In der Literatur ist vorgeschlagen worden, den lückenhaften Wortlaut durch eine Heranziehung der in § 34 S. 2 StGB verankerten Angemessenheitsklausel zu schließen.571 Gegen die gedankliche Anknüpfung an § 34 StGB ist jedoch einzuwenden, dass es sich bei dem Aggressivnotstandsrecht, wie noch zu zeigen sein wird572 , nicht um ein Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat handelt, weshalb die analogistische Basis für eine Anknüpfung an diese Regelung äußerst schmal ist. Ohne axiologische Friktionen lässt sich die begriffliche Lücke in § 228 BGB dagegen schließen, indem man die in den §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 StGB verankerte „Gebotenheitsklausel“ auf das in § 228 BGB geregelte Sachwehrrecht überträgt. Denn bei dem Notwehrrecht handelt es sich ebenso wie bei dem Sachwehrrecht um ein Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat, weshalb eine hinreichende analogistische Basis für eine Übertragung des Begriffs der „Gebotenheit“ auf das SachBeispiel von Pawlik, Notstand, S. 229. Vgl. aber Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, § 228 Rn. 8. 570 Vgl. Frister, Strafrecht AT, 17/30. 571 Frister, Strafrecht AT, 17/30; in diese Richtung auch Lesch, Notwehrrecht, S. 59 („Angemessenheit als generelles Regulativ sämtlicher Notrechte“) sowie Pawlik, Notstand, S. 228 mit Fn. 213. 572 S. dazu unten sub § 3 C III, S. 191 ff. 568 569
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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wehrrecht gegeben ist. So geht es nämlich in der Sache bei beiden Regelungen um die Frage, ob eine Übernahme der Notgeschäftsführung durch den Bürger A bzw. D im Einklang mit dem präsumtiven Willen des Geschäftsherrn B steht. Ist dies der Fall, dann ist die Notgeschäftsführung „geboten“, sodass der Bürger A bzw. D als berechtigter Notgeschäftsführer auftritt. Dagegen handelt der Bürger A bzw. D als unberechtigter Notgeschäftsführer, wenn er entgegen dem präsumtiven Willen des Geschäftsherrn B die Notgeschäftsführung übernimmt, wobei die Notgeschäftsführung in dieser Konstellation „verboten“ ist.573 Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass der Bürger bei Vorliegen der Grundsituation der Sachwehr im Verhältnis zum Staatspersonal gleichsam als Ersatzmann in der zweiten Reihe steht. Da es im Wortlaut des § 228 BGB jedoch an einem begrifflichen Anknüpfungspunkt für die Verankerung des Subsidiaritätsgedankens fehlt, ist die Gebotenheitsklausel des Notwehrrechts in das Sachwehrrecht hineinzulesen. Daher lautet die entscheidende Frage an dieser Stelle, ob die Wahrnehmung der polizeilichen Vollstreckungsaufgabe durch den Bürger als Notgeschäftsführer nach dem Willen des Geschäftsherrn als „geboten“ erscheint, was der Fall ist, wenn von dem Vorliegen eines fiktiven Hilferuf des Staates B an den Bürger A bzw. D auszugehen ist (B → A/D: „Bitte hilf mir bei Staatsaufgabenerfüllung!“). Dementsprechend gelten die obigen Ausführungen zum Ob der Notwehr in entsprechender Weise für das Ob der Sachwehr.574 3. Das Wie der Sachwehr a) Das subjektive Wie der Sachwehr Die zutreffende herrschende Auffassung575 verlangt bei § 228 BGB auch ein subjektives Element, das gemeinhin als „Verteidigungswille“576 oder „Abwehr573 Vgl. zum entsprechenden Sprachgebrauch bei der auftragslosen Geschäftsführung etwa Deppenkemper, Negotiorum gestio, S. 642 f. (zu Art. 422 Abs. 1 des schweizerischen Obligationenrechts): „Die echte, berechtigte Fremdgeschäftsführung ohne Auftrag setzt eine gebotene Geschäftsübernahme voraus. Die (altruistische) neg. gest. muss objektiv willensbzw. interessegemäß sein. Ist sie es, ist sie als geboten berechtigt, sonst ist sie unberechtigt. […] Diese ‚Gebotenheit‘ gilt heute als Kern der Fremdgeschäftsbesorgung.“ (Hervorhebung im Original.) 574 S. dazu oben sub § 3 B II 2, S. 86 ff. 575 BGHZ 92, 357, 359; Bork, BGB AT, Rn. 373; Soergel/Fahse, BGB, § 228 Rn. 22; Wolf/ Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 64; RGRK/Johannsen, BGB, § 228 Rn. 14; Bamberger/Roth/ Dennhard, BGB, § 228 Rn. 8; Palandt/Ellenberger, BGB, § 228 Rn. 7; Erb, JuS 2010, 17, 21; Zieschang, JA 2007, 679, 680 („Gefahrabwendungsabsicht“); Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 236. – Gegen das Erfordernis eines finalen Verteidigungswillens bei der Sachwehr aber etwa MK/Grothe, BGB, § 228 Rn. 11; Staudinger/Repgen, BGB, § 228 Rn. 33; Jauernig/Mansel, BGB, § 228 Rn. 2; Braun, NJW 1998, 941, 942 f. 576 So Soergel/Fahse, BGB, § 228 Rn. 22 sowie Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 6 4.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
wille“577 bezeichnet wird. Auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Sachwehrkonzeption ist dieses subjektive Element als finaler Notgeschäftsführungswille zu rekonstruieren. Das heißt, dass der Notgeschäftsführer bei normativer Betrachtungsweise mit Fremdgeschäftsführungswillen handeln muss. Dabei gelten die Ausführungen zum Notgeschäftsführungswillen bei der Notwehr an dieser Stelle in analoger Weise.578 Dementsprechend ist das Vorliegen eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens zu bejahen, wenn ein Sachwehr übender Bürger bei materiell-wertender Betrachtungsweise nach §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung das staatliche Vollstreckungsgeschäft „für den Staat und im Namen des Staats“579 besorgen will. Abzulehnen ist das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens dagegen, wenn der Bürger das objektiv fremde Vollstreckungsgeschäft bei normativer Betrachtungsweise als böswilliger Eigengeschäftsführer wahrnehmen will (vgl. § 687 Abs. 2 BGB). Letzteres ist dabei insbesondere dann der Fall, wenn ein durch § 228 BGB in den status procuratoris versetzter Bürger „bei Gelegenheit“ einer Sachwehrlage private Schädigungszwecke verfolgt. So können die Dinge beispielsweise liegen, wenn ein Bürger zielstrebig eine Tierattacke herausfordert, um dem Tier sodann „unter dem Deckmantel“580 der Sachwehr Schaden zufügen zu können.581 Um diese Problemstellung anhand eines Beispielsfalles zu illustrieren: A hasst sowohl seinen Nachbarn C als auch dessen Hund X. Um den Hund X unter dem Deckmantel der Sachwehr verletzten zu können, reizt A ihn so lange, bis er auf ihn zuläuft und ihn zu beißen droht. Mangels anderer Möglichkeiten, eine Bissverletzung zu vermeiden, schlägt A dem Hund X sodann mit einem Stock auf den Kopf, wodurch der Hund X eine Kopfverletzung erleidet. Variante: Der provozierte Hund X erweist sich zur Überraschung des A als der Stärkere, wirft A zu Boden und beißt ihm mehrfach in die Arme und Beine. Sodann setzt er dazu an, den hilflos auf dem Rücken liegenden A in den Hals zu beißen. Um das zu verhindern, schlägt A den Hund X in Todesangst mit der Faust gegen die Schnauze, woraufhin der Hund X mit blutender Nase davonläuft.
577 So etwa BGHZ 92, 357, 359; Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, § 228 Rn. 8; Palandt/ Ellenberger, BGB, § 228 Rn. 7; Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 236; Bork, BGB AT, Rn. 373. 578 S. dazu oben sub § 3 B II 3 a, S. 102 ff. 579 Formulierung von Sander, Archiv des Criminalrechts 1841, 68, 80 (zum Notwehrrecht). 580 S. zur Verwendung der Deckmantel-Metapher in diesem Zusammenhang etwa Wolf/ Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 65: „Bei einer böswilligen Provokation, bei der das Tier gezielt gereizt wird, um es sodann unter dem Deckmantel des rechtfertigenden Notstandes töten zu können, ist die Berufung auf § 228 Satz 1 [BGB] rechtsmissbräuchlich.“ 581 S. zur Figur der Absichtsprovokation bei der Sachwehr etwa MK/Grothe, BGB, § 228 Rn. 11; Staudinger/Repgen, BGB, § 228 Rn. 36; Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 64; Erb, JuS 2010, 17, 21.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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Um zunächst die juristischen Strukturen im Ausgangsfall in den Blick zu nehmen: Hier hat der Bürger A zunächst seine Achtungspflicht gegenüber dem Eigentum des Hundehalters C an dem Hund X verletzt, indem er durch die absichtliche Provokation des Hundes X eine Sachlage herbeiführte, in welcher eine Verletzung oder Tötung des Hundes X zu befürchten war.582 Allerdings ändert das Provokationsverhalten des Bürgers A nichts daran, dass es hier dem Hundehalter C als Zustandsverantwortlichem (C–X) oblag, die von seinem Hund X für den Bürger A ausgehenden Gefahren zu beseitigen. Das heißt, der Hundeeigentümer C war in der vorliegenden Konstellation dazu verpflichtet, ein Eindringen seines Hundes X in den Rechtskreis des Bürgers A irgendwie zu verhindern. Er hätte hier also seinen Hund X zurückrufen, einfangen oder notfalls durch physischen Zwang stoppen müssen. Da er in der vorliegenden Fallgestaltung aber die ihm gegenüber dem Bürger A obliegende Gefahrbeseitigungspflicht trotz deren sofortiger Fälligkeit583 nicht erfüllte, gab das objektive Recht dem Bürger A einen Gefahrenbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) gegen den Bürger C an die Hand, dessen Geltendmachung hier wegen des zu präsumierenden negatorischen Willens des Anspruchsinhabers A unterstellt werden kann (A → C: „Beseitige die Gefahr!“). Insbesondere lässt sich das Provokationsverhalten des Bürgers A auch nicht als konkludente Zustimmung zu einem Eindringen des Hundes X in seinen Rechtskreis auslegen. Vielmehr will er die drohende Überlagerung seines Rechtskreises durch das Eigentum des Bürgers C an dem Hund X gerade dazu nutzen, um durch die Geltendmachung des ihm an die Hand gegebenen Gefahrbeseitigungsanspruchs den Grundstein für das Entstehen einer Notgeschäftsführungslage zu legen. Weiterhin ist vorliegend auch von einer Erhebung des Anspruchs des Bürgers A auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B auszugehen (A → B: „Beseitige die Gefahr an Stelle des C!“), weshalb der Polizeiträger B hier dem Bürger A die Ausübung von unmittelbaren Zwang gegen den Hund X an Stelle des Hundehalters C durch Ersatzvornahme im Wege des sofortigen Vollzugs schuldete. Dementsprechend hätte ein zufällig anwesender Polizist P das Vollstreckungsgeschäft für den Polizeiträger B vornehmen müssen. Ist nun aber zufällig keine Dienstkraft der Polizei vor Ort, dann wird an sich jedem nicht kraft Vgl. Horn, JZ 1960, 350, 353 f.; H.-R. Horn, Rechtswidrigkeit, S. 101 f.; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S. 36 mit Fn. 114; Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 168; Landsberg, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches I, § 82 sub 5 b, S. 280; Biermann, Bürgerliches Recht I, § 90 Anm. 17, S. 326 f.; v. Tuhr, AT II/2, § 95 III, S. 589 mit Fn. 62. 583 Vgl. zur sofortigen Fälligkeit von Beseitigungsmaßnahmen im Bereich der negatorischen Haftung etwa Bezzenberger, JZ 2005, 373, 376 sowie Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 147. 582
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Zustandsverantwortlichkeit beseitigungspflichtigen Bürger durch das Sachwehrrecht das Dürfen und Können verliehen, um das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft pro magistratu für den Polizeiträger B wahrzunehmen. Doch wie wirkt sich nun der Umstand aus, dass der Bürger A die Attacke des Hundes X zielgerichtet herbeiführte, um diesen unter dem Deckmantel des Sachwehrrechts verletzen zu können? Wie bei der Behandlung des Parallelproblems bei der Notwehr584 schon herausgearbeitet wurde, ist das materielle Kernproblem bei der Rechtsfigur der Absichtsprovokation bei genauer Betrachtungsweise gar nicht die Provokationsabsicht des Schädigers, sondern die Schädigungsabsicht des Provokateurs. So ist nämlich einem Bürger, der zielstrebig eine Sachwehrlage mit dem Ziel hervorruft, eine fremde Sache unter dem Deckmantel der Sachwehr beschädigen oder zerstören zu können, im Sinne einer widerlegbaren Vermutung zu unterstellen, dass er seine bei Vornahme der Provokationshandlung vorliegende Schädigungsabsicht auch bei der Vornahme der Abwehrhandlung beibehalten hat. Von dem Vorliegen einer zukunftsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Provokationshandlung (t1) ist also grundsätzlich auf das Vorliegen einer gegenwartsbezogenen Schädigungsabsicht im Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung (t2) zu schließen. Oder um es mit etwas anderen Worten zu sagen: Im Falle einer absichtlich herbeigeführten Sachwehrlage ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Absichtsprovokateur das ihm durch das Sachwehrrecht „ad hoc übergeworfene Gewand“585 nur zum Schein tragen will, um die Besorgung eines Eigengeschäfts zu bemänteln bzw. zu verdecken. Deshalb ist in so gelagerten Fallgestaltungen widerleglich zu vermuten, dass der Absichtsprovokateur in subjektiver Hinsicht nicht „in Ausübung“ des Notgeschäftsführungsrechts aus § 228 BGB handeln wollte, sondern vielmehr „bei Gelegenheit“ einer objektiv vorliegenden Notgeschäftsführungslage eigennützige Schädigungszwecke verfolgt hat. Dementsprechend ist ihm bei normativer Betrachtungsweise nach §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung ein Verteidigungswille im Sinne eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens abzusprechen.586 Für den obigen Ausgangsfall folgt daraus, dass dem Absichtsprovokateur A kein finaler Notgeschäftsführungswille zugeschrieben werden kann, weil keine Umstände ersichtlich sind, welche die hier eingreifende Vermutung eines Eigengeschäftsführungswillens bei Vornahme der Abwehrhandlung widerlegen könnten. Dementsprechend hat der Bürger A das objektiv vorliegende Vollstreckungsgeschäft des Staates B hier nicht „als fremdes“, sondern „als eigenes“ 584
S. dazu oben sub § 3 B II 3 a cc, S. 112 ff. Begriff von Pawlik, Notstand, S. 174 in Fn. 88 (ohne die Hervorhebung des Originals). 586 Vgl. auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 555 (zur Parallelproblematik bei der Notwehr): „[B]ei normativer Bewertung [fehlt es] am Verteidigungswillen.“ 585
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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behandelt, was bedeutet, dass eine Zurechnung des Verhaltens des böswilligen Eigeschäftsführers A zum Staat B als dem Geschäftsherrn ausscheidet. Vor diesem Hintergrund hat der schädigungswillige Absichtsprovokateur A hier bei normativer Betrachtungsweise rechtswidrig, vorsätzlich und schuldhaft den für ihn fremden Hund X verletzt, indem er diesen mit dem Stock auf den Kopf geschlagen hat (A → X). Damit korrespondiert, dass der Bürger A dem Hundeeigentümer C nach den §§ 823 ff. BGB zum Ersatz etwaiger Schäden verpflichtet ist.587 Darüber hinaus hat sich der Bürger A hier wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Um nun den Blick der Variante des Ausgangsfalls zuzuwenden: Hier hat sich der Hund X zur Überraschung des Absichtsprovokateurs A als der Stärkere erwiesen, weshalb dem Bürger A Schäden drohten, mit denen er nicht gerechnet hat. Wie soeben dargelegt wurde, ist im Falle einer Absichtsprovokation zwar grundsätzlich zu vermuten, dass der Absichtsprovokateur seine bei Vornahme der Provokationshandlung vorliegende Schädigungsabsicht auch bei der Vornahme der Abwehrhandlung beibehalten hat. In der vorliegenden Fallgestaltung ist diese Vermutung jedoch widerlegt, weil bei normativer Betrachtungsweise nach §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung nicht davon ausgegangen werden kann, dass der in Todesangst handelnde Absichtsprovokateur A im Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung einen Verteidigungswillen lediglich „vortäuschen“ wollte. Da der überraschte Absichtsprovokateur A den drohenden Hundebisses in seinen Hals nicht in seinen Plan einkalkuliert hat, ist vielmehr davon auszugehen, dass er sich zum Zeitpunkt der Vornahme der Abwehrhandlung gegen den Hund X „wirklich“ verteidigen wollte.588 Daher hat der Bürger A bei materiell-wertender Betrachtungsweise in der Variante des Ausgangsfalls mit einem Verteidigungswillen im Sinne eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens gehandelt. Für die juristische Konstruktion bedeutet das, dass der reumütige Absichts provokateur A bei Vornahme der Abwehrhandlung mit dem zweckgerichteten Willen gehandelt hat, seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine schlagende Faust) der Staatsperson B hinzugeben, weshalb die von seinem Körper abgespaltene Faust in der Welt des Rechts übers Eck geflogen ist (A → B → X). Damit korres pondiert, dass für die juristische Betrachtung der Polizeiträger B als der Geschäftsherr dem Hund X einen Faustschlag gegen dessen Schnauze versetzt hat 587
Dagegen ist die Regelung des § 228 S. 2 BGB in der vorliegenden Konstellation nicht einschlägig, weil diese Norm systematisch an § 228 S. 1 BGB und damit an ein Handeln „in Ausübung“ des Sachwehrrechts anknüpft (vgl. etwa Staudinger/Repgen, BGB, § 228 Rn. 39 sowie Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 228 Rn. 13), woran es in der hier in Rede stehenden Konstellation gerade fehlt. 588 Vgl. auch Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 557 (zur Parallelproblematik bei der Notwehr).
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
(vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB), wobei hier ein rechtmäßiger Vollstreckungsakts vorliegt, weil sich der Polizeiträger B bei der Ausübung seines Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Rahmen des Verhältnismäßigen bewegt hat. Allerdings ist der Bürger A dem Hundeeigentümer C wegen der schuldhaften Herbeiführung der Sachwehrlage aus § 228 S. 2 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 BGB zum Ersatz etwaiger Schäden verpflichtet.589 Dabei ist der entscheidende Punkt an dieser Stelle, dass es zu pauschal ist, von dem Vorliegen einer Absichtsprovokation generell auf ein Fehlen des Verteidigungswillens im Sinne eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens zu schließen. Vielmehr ist in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob die im Falle einer Absichtsprovokation eingreifende Vermutung für das Vorliegen eines Eigengeschäftsführungswillens nicht aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise widerlegt ist. Festzuhalten ist, dass das subjektive Element der Sachwehr auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Sachwehrtheorie als finaler Notgeschäftsführungswille zu rekonstruieren ist. Dementsprechend ist das Vorliegen eines fremdbezogenen Notgeschäftsführungswillens zu bejahen, wenn der Sachwehr übende Bürger bei normativer Betrachtungsweise nach §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung das staatliche Vollstreckungsgeschäft „als fremdes“ besorgen will. Dagegen ist das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens abzulehnen, wenn ein Bürger das objektiv fremde Vollstreckungsgeschäft bei materiell-wertender Betrachtungsweise „als eigenes“ behandelt (vgl. § 687 Abs. 2 BGB). Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn ein durch § 228 BGB in den status procuratoris versetzter Bürger „bei Gelegenheit“ einer Sachwehrlage private Schädigungszwecke verfolgt, weil er dann, normativ gesehen, nicht „in Ausübung“ seines Notvertretungsrechts aus § 228 BGB handeln will. b) Das objektive Wie der Sachwehr Wie oben dargelegt590, ist die Verhältnismäßigkeitsklausel des § 228 S. 1 BGB nach hiesiger Auffassung schon bei der Frage zu berücksichtigen, ob überhaupt eine Sachwehrlage vorliegt – und zwar deshalb, weil es bei der Sachwehr sub specie iuris um die Ersetzung einer vertretbaren Handlung geht, deren Vornahme an sich der Zustandsverantwortliche C für die gefahrbringende Sache X schuldet, wobei der Zustandsverantwortliche C aber nicht zur Vornahme unver589 Näher zu dem umstrittenen Verhältnis von § 228 S. 2 BGB und den §§ 823 ff. BGB unten sub § 3 C IV 1, S. 194 ff. – Ob der Hundeeigentümer C in der vorliegenden Fallgestaltung seinerseits dem Bürger A auf Schadensersatz haftet, kann für die Zwecke der vorliegenden Arbeit dahinstehen. 590 S. dazu sub § 3 C I, S. 173 ff.
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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hältnismäßiger Gefahrbeseitigungsmaßnahmen verpflichtet ist, sodass insoweit denknotwendig auch eine Ersatzvornahme ausscheidet. Wenn die Proportionalitätsklausel des § 228 BGB aber schon bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob überhaupt die Grundsituation der Sachwehr vorliegt, dann kann sie nicht gleichzeitig auch als Maßstab für das objektive Wie der Sachwehr herangezogen werden. Vielmehr ist der inhaltliche Maßstab für das objektive Wie der Sachwehr auf Grundlage der hier vertretenen prokuratorischen Sachwehrkonzeption der Wille des Staates B als des Geschäftsherrn (vgl. § 677 BGB). Da es im Wortlaut des § 228 BGB jedoch an einem begrifflichen Anknüpfungspunkt fehlt, um diesen Gesichtspunkt berücksichtigen zu können, ist auch insoweit die „Gebotenheitsklausel“ des Notwehrrechts auf das Sachwehrrecht zu übertragen. Nach hiesiger Auffassung ist der Begriff der „Gebotenheit“ also bei der Sachwehr – ebenso wie bei der Notwehr – nicht nur für die Frage nach dem Ob, sondern auch für die Frage nach dem (objektiven) Wie der Notgeschäftsführung der maßgebliche begriffliche Anknüpfungspunkt. Das bedeutet, dass der Bürger A bzw. D die Notgeschäftsführung im Einklang mit den – hypothetischen – Geboten des Geschäftsherrn B durchführen muss (B → A/D: „Verhalte dich auf die Weise x!“), was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn der Notgeschäftsführer A bzw. D seine Pflicht zur ordentlichen Notgeschäftsführung durch eine Schlechtausführung verletzt.591
III. Abgrenzung des Sachwehrrechts aus § 228 BGB vom Notstandsrecht aus §§ 904 BGB, 34 StGB Als Nächstes soll der Blick der Frage zugewendet werden, wie sich das Sachwehrrecht aus § 228 BGB von dem Notstandsrecht aus §§ 904 BGB, 34 StGB abgrenzen lässt. Dabei gilt es sich an dieser Stelle zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass das in § 228 BGB geregelte Sachwehrrecht im Ausgangspunkt an eine negatorische Beseitigungspflicht des oder der Zustandsverantwortlichen für die gefahrbringende Sache anknüpft, weshalb es bei § 228 BGB in der Sache um die Ersetzung einer vertretbaren Handlung geht, auf deren Vornahme dem durch die Sache bedrohten Bürger ein Gefahrbeseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) gegen den oder die Zustandsverantwortlichen zusteht592. Damit korrespondiert, dass es sich bei dem Sachwehr591
Näher zur Pflicht des auftragslosen Geschäftsführers zur ordentlichen Geschäftsführung etwa Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 235 f. sowie MK/Seiler, BGB, § 677 Rn. 51. 592 Vgl. auch Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 205 ff.; Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 92; Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 34 Rn. 1; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 184 f.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
recht um ein Hilfsinstitut des Vollstreckungsrechts handelt, welches dem Bürger das Dürfen und Können verleiht, um dem Staat als dessen „verlängerter Arm“ bei der Durchführung einer (atypischen) Ersatzvornahme durch unmittelbaren Zwang gegen Sachen im Wege des Sofortvollzug zu helfen. Demgegenüber handelt es sich bei dem Aggressivnotstandsrecht aus den §§ 904 BGB, 34 StGB nicht um ein Hilfsinstitut des Vollstreckungsrechts, weil es hier nicht um die Sicherung oder Durchsetzung von materiellrechtlichen Ansprüchen geht.593 Vielmehr beruht das Aggressivnotstandsrecht nach zutreffender Auffassung auf dem Gedanken der Solidarität.594 Das heißt, die systematische Wurzel des Aggressivnotstands ist der Aufopferungsgedanke.595 Hier geht es also um die Begründung von materiellrechtlichen Duldungspflichten nichtverantwortlicher Dritter.596 Damit korrespondiert, dass die im Rahmen von § 904 BGB und § 34 StGB anzustellende Abwägung einem gänzlich anderen Ziel als die im Rahmen des § 228 BGB anzustellende Abwägung dient. Denn bei § 228 BGB geht es um die Begrenzung der Beseitigungspflicht eines Zustandsverantwortlichen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wohingegen es bei § 904 BGB und § 34 StGB um die Begründung einer solidarischen Duldungspflicht eines Nichtverantwortlichen geht.597 Vor diesem Hintergrund beruhen das Notwehrrecht (§§ 227 BGB, 32 StGB), das Sachwehrrecht (§ 228 BGB) und das Notstandsrecht (§§ 904 BGB, 34 StGB) auf jeweils eigenständigen axiologiVgl. auch Gerhardt, Vollstreckungsrecht, S. 6: „§§ 904, 962 BGB sind nicht als Ausnahme vom Vollstreckungsmonopol zu verstehen: Weder beim Notstand des § 904 BGB noch beim Bienenverfolgungsrecht des § 962 BGB geht es um die ‚Verwirklichung eines Anspruchs‘.“ 594 In diesem Sinne etwa NK/Neumann, § 34 Rn. 9 ff.; Renzikowski, Notwehr und Notstand, S. 188 ff.; Kühl, Strafrecht AT, § 8 Rn. 9; Frister, Strafrecht AT, 17/1; Lackner/Kühl/ Kühl, StGB, § 34 Rn. 1; Lesch, Notwehrrecht, S. 51 ff.; ders., FS Dahs, S. 99 f.; Pawlik, Notstand, S. 148 f.; Köhler, Strafrecht AT, S. 262; SK/Günther, StGB, § 34 Rn. 11; Engländer, GA 2010, 15, 20 f.; Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 176 ff.; Perdomo-Torres, Notstand, S. 39. 595 Lesch, FS Dahs, S. 99: „Im Fall des Notstands wird […] von einer an dem Konflikt im rechtlichen Sinne gänzlich unbeteiligten Person ein Sonderopfer verlangt, das sich – ebenso wie die Hilfeleistungspflicht des § 323c StGB – aus der rechtlichen Institutionalisierung einer moralischen Solidaritätspflicht legitimiert.“ (Hervorhebungen im Original.) Ähnlich NK/ Neumann, StGB, § 34 Rn. 9: „Aus der Perspektive einer grds. individualistisch orientierten Staats- und Gesellschaftsauffassung lässt sich das Institut des rechtfertigenden Notstands als rechtliche Institutionalisierung einer moralischen Solidaritätspflicht und damit als Parallele zu der strafrechtlichen Sanktionierung der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323 c [StGB]) interpretieren.“ (Hervorhebung im Original.) 596 Weitere Beispiele für eine soziale Inpflichtnahme des Einzelnen sind das Notwegrecht aus § 917 BGB (Wolf/Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 47; Lüke, Sachenrecht, Rn. 127) und das Bienenverfolgungsrecht aus § 962 BGB (Lüke, Sachenrecht, Rn. 127). 597 Vgl. auch Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 207 f. sowie Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 176 ff. 593
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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schen Grundlagen: So geht es nämlich (1) bei der Notwehr um die Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen gegen Verhaltensverantwortliche, (2) bei der Sachwehr um die Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen gegen Zustandsverantwortliche und (3) bei dem Aggressivnotstand um die Inanspruchnahme von duldungspflichtigen Nichtverantwortlichen.598 Dabei ist der entscheidende Punkt im vorliegenden Zusammenhang, dass der Notstandstäter im Gegensatz zu dem Not- oder Sachwehr übenden Bürger nicht als prokuratorischer Vertreter des Staates auftritt. Wenn der Notstand auch in einem gewissen Sinne ebenfalls ein Notrecht darstellt, so ist er doch kein Notrecht im Sinne eines Notgeschäftsführungsrechts des Bürgers für den Staat. Auch handelt es sich bei dem Notstandsrecht nicht um eine Selbsthilferecht im strengen Sinne, weil dem Bürger durch die §§ 904 BGB, 34 StGB nicht das Recht verliehen wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem Monopolrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen auszuüben. Vielmehr wird dem Einzelnen durch das Notstandsrecht aus §§ 904 BGB, 34 StGB das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrecht „aus“ einer fremden Rechtsposition „an“ einem bestimmten Rechtsgut eingeräumt.599 Vor diesem Hintergrund bedürfen die §§ 904 BGB, 34 StGB für die Zwecke der vorliegenden Arbeit keiner weitergehenden Analyse. Allerdings sei im vorliegenden Zusammenhang noch hervorgehoben, dass der Anwendungsbereich der Not- und Selbsthilferechte in Notstandskonstellationen dann eröffnet sein kann, wenn der Aufopferungspflichtige seiner Duldungspflicht nicht nachkommt.600 Anders gewendet heißt das, dass die zwangsweise Beseitigung von Widerstand gegen eine zu duldende Notstandsmaßnahme nicht ihrerseits auf das Notstandsrecht gestützt werden kann. Soweit es bei funktionaler Betrachtungsweise um die Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen geht, sind vielmehr die Not- und Selbsthilferechte der Bürger heranzuziehen.
IV. Haftungsfragen Im Folgenden werden einige der sich im Zusammenhang mit dem Sachwehrrecht aus § 228 BGB stellenden Haftungsfragen genauer in den Blick genommen. Dabei wird zunächst die Haftung für die schuldhafte Herbeiführung einer 598 Vgl. auch Lesch, Notwehrrecht, S. 51 mit Fn. 18 und 20; dens., FS Dahs, S. 99 f.; Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 205 ff.; s. ferner auch die Übersicht über die drei Rechtsinstitute von Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 179. 599 Vgl. auch Köndgen, FS Huber, S. 399 f. sowie Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 170 ff., 239. 600 Vgl. dazu auch Haas, Rechtsverletzung, S. 240 f. sowie Palandt/Herrler, BGB, § 904 Rn. 4.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Sachwehrmaßnahme ausgeleuchtet (dazu 1.). Anschließend soll das Augenmerk auf der Haftung für Fehlverhalten bei der Abwehr der gefahrbringenden Sache liegen (dazu 2.), bevor der Blick schließlich der Haftung für risikotypische Begleitschäden des Sachwehrübenden zugewendet wird (dazu 3.). 1. Haftung für die schuldhafte Herbeiführung einer Sachwehrmaßnahme Als Erstes wird die Haftung für die schuldhafte Herbeiführung einer Sachwehrmaßnahme näher untersucht, wobei insbesondere erörtert werden soll, in welchem Verhältnis die Regelung des § 228 S. 2 BGB zu den allgemeinen Deliktstatbeständen der §§ 823 ff. BGB steht. Zur Veranschaulichung der Problemstellung sei dabei noch einmal die Konstellation herangezogen, dass der Bürger A den im Eigentum des Bürgers C stehenden Hund X so lange reizt, bis dieser ihn attackiert, woraufhin der mit Notgeschäftsführungswillen agierende Bürger A den Hund X in Ausübung des Notgeschäftsführungsrechts aus § 228 S. 1 BGB verletzt.601 Zwar liegt in dieser Konstellation ein rechtmäßiger Zwangsakt von Seiten des Staates B vor, soweit der Bürger A bei der Abwehr der Hundeattacke die Grenzen seines Notgeschäftsführungsrechts nicht überschreitet (A → B → X).602 Gleichwohl kann der Hundeeigentümer C hier von dem Bürger A aus § 228 S. 2 BGB Schadensersatz verlangen, weil der Bürger A durch sein Provokationsverhalten die von dem Hund X ausgehende Gefahr verschuldet hat. Das heißt, die Schadensersatzpflicht des Bürgers A knüpft in dogmatisch-konstruktiver Hinsicht nicht an die rechtmäßige Verletzung des Hundes X an, sondern an die rechtswidrige Herbeiführung der rechtmäßigen Verletzung des Hundes X. Im gleichen Sinne hat bereits Kohler zum axiologischen Fundament der in § 228 S. 2 BGB statuierten Haftung angemerkt: „[Der Handelnde ist hier] nicht wegen seiner Sachwehr [schadensersatzpflichtig], sondern wegen der Herbeiführung des Sachwehrzustandes, wodurch er ein Widerrecht gegen den anderen begeht, weil er hierdurch dessen Sache in Gefahr bringt, sie in die Sachwehrlage versetzt und verletzbar macht, während sie sonst rechtlich unverletzbar wäre. Bringe ich auf solche Weise fremdes Gut in Gefahr, so daß es in der Gefahr umkommt, so ist es ebenso, wie wenn ich einen fremden Gegenstand ins Feuer werfe und dadurch den Flammen überliefere: in unserem Falle liefert man die Sache der zerstörenden Sachwehr aus. Die Tätigkeit, welche hier die Sachwehrlage herbeiführt, ist daher eine Widerrechtlichkeit, sie ist eine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff. [BGB] und muß ganz nach diesem Grundsatz behandelt werden.“603
601
S. dazu bereits die Variante des oben sub § 3 C II 3 a, S. 185 ff. behandelten Beispiel-
602
Vgl. dazu auch die obigen Ausführungen sub § 3 C II 3 a, S. 189 ff. Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, § 70 III, S. 214 f.
falls.
603
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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Bei genauer Betrachtungsweise erfüllt § 228 S. 2 BGB also neben den §§ 823 ff. BGB eine „lediglich klarstellende Funktion“, weil der die Haftung aus § 228 S. 2 BGB legitimierende Grundgedanke als Ausprägung eines allgemeinen Haftungsprinzips („actio illicita in causa“) zu verstehen ist.604 Damit korrespondiert, dass die §§ 827 ff. BGB im Rahmen von § 228 S. 2 BGB unmittelbar anwendbar sind.605 Darüber hinaus ist damit zugleich gesagt, dass der schuldhaft die Sachgefahr hervorrufende Bürger A dem Hundeeigentümer C auch dann auf Schadensersatz haftet, wenn nicht er selbst, sondern ein Dritter D der (pro magistratu) „Handelnde“ im Sinne von § 228 S. 2 BGB ist.606 Entsprechendes gilt für die umgekehrte Konstellation, dass der Dritte D die Gefahr verschuldet, woraufhin der durch die Sache bedrohte Bürger A auf Grundlage des Sachwehrrechts tätig wird. Zwar werden diese Fallgestaltungen nicht vom Wortlaut des § 228 S. 2 BGB erfasst. Allerdings kommt hier ein Rückgriff auf die allgemeinen Deliktstatbestände der §§ 823 ff. BGB in Betracht, weshalb eine Analogie zu § 228 S. 2 BGB mangels einer Regelungslücke insoweit nicht angezeigt ist.607 Hervorzuheben ist weiter, dass die Schadensersatzpflicht des schuldhaft die Sachgefahr Schaffenden A bzw. D nicht notwendig an die Ausübung des Sachwehrrechts aus § 228 S. 1 BGB anknüpft. Vielmehr haftet der die Sachgefahr schuldhaft Herbeiführende A bzw. D dem Eigentümer C grundsätzlich auch 604 Horn, JZ 1960, 350, 353 f. (s. für das Zitat a. a. O., 354); H.-R. Horn, Rechtswidrigkeit, S. 101 f.; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S. 36 mit Fn. 114; Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 168; Landsberg, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches I, § 82 sub 5 b, S. 280; Biermann, Bürgerliches Recht I, § 90 Anm. 17, S. 326 f.; v. Tuhr, AT II/2, § 95 III, S. 589 mit Fn. 62. – Teilweise wird argumentiert, dass der Anspruch aus § 228 S. 2 BGB deshalb „kein solcher aus unerlaubter Handlung“ sein könne, weil die Sachabwehrmaßnahme als solche rechtmäßig sei (so etwa MK/Grothe, BGB, § 228 Rn. 13; in diesem Sinne auch Soergel/Fahse, BGB, § 228 Rn. 29; Staudinger/Repgen, BGB, § 228 Rn. 38; Planck/Strohal, BGB, § 228 Anm. 7). Das überzeugt nicht, da auch eine erlaubte Gefahrenabwehrmaßnahme auf unerlaubte Weise herbeigeführt werden kann – und eben hieran knüpft die Schadensersatzpflicht aus § 228 S. 2 BGB an. 605 Zutreffend Horn, JZ 1960, 350, 354 sowie H.-R. Horn, Rechtswidrigkeit, S. 101 f. – Für eine lediglich analoge Anwendung der §§ 827 ff. BGB plädieren dagegen etwa MK/Grothe, BGB, § 228 Rn. 13; Soergel/Fahse, BGB, § 228 Rn. 28; Staudinger/Repgen, BGB, § 228 Rn. 40; Erman/E. Wagner, BGB, § 228 Rn. 9; Jauernig/Mansel, BGB, § 228 Rn. 3; Palandt/ Ellenberger, BGB, § 228 Rn. 9 606 Vgl. etwa Horn, JZ 1960, 350, 354 sowie Soergel/Fahse, BGB, § 228 Rn. 27; vgl. ferner auch Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, § 70 III, S. 215: „[W]enn […] der Bedrohte A [die Sachwehrlage] herbeigeführt hat und ein Dritter, dem kein Verschulden zur Last fällt, den Bedrohten aus dieser Lage rettet, indem er die Sachwehrhandlung vornimmt, so wird der Bedrohte A und nicht der Dritte schadensersatzpflichtig.“ 607 Diametral entgegengesetzt Planck/Strohal, BGB, § 228 Anm. 7, der sich dafür ausspricht, in so gelagerten Konstellationen „§ 228 Satz 2 [BGB] entsprechend anzuwenden, nicht aber § 823 [BGB]“.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
dann nach den §§ 823 ff. BGB auf Schadensersatz, wenn der beseitigungspflichtige Sacheigentümer C die gefahrbringende Sache X in Ausübung seines Nutzungsrechts „aus“ seinem Eigentum „an“ der Sache X mit eigener Hand beschädigt (C → X) oder wenn der durch einen Polizisten P vertretene Polizeiträger B die gefahrbringende Sache im Wege der Ersatzvornahme rechtmäßigerweise zerstört (P → B → X). Als Fazit kann daher festgehalten werden, dass die Regelung des § 228 S. 2 BGB als Ausdruck eines allgemeinen Haftungsprinzips („actio illicita in causa“) anzusehen ist, weshalb dieser Regelung für die von ihr erfassten Fallgestaltungen neben den §§ 823 ff. BGB letztlich keine eigenständige Funktion zukommt. 2. Haftung für Fehlverhalten bei der Abwehr der gefahrbringenden Sache Mit Blick auf die Haftung für ein Fehlverhalten des Bürgers im Rahmen von § 228 BGB gelten die obigen Ausführungen zu den entsprechenden Problemstellungen bei § 127 Abs. 1 S. 1 StPO sowie bei §§ 227 BGB, 32 StGB in analoger Weise.608 Das bedeutet, dass auch im Rahmen von § 228 BGB in typologisch-kategorialer Hinsicht zwei Fallgruppen voneinander zu unterscheiden sind. So kann der Bürger A bzw. D das staatliche Vollstreckungsgeschäft nämlich zum einen unter Anwendung eines an sich zulässigen Zwangsmittels schlecht ausführen, sodass ein Handeln „in Schlechtausübung“ eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG vorliegt609; und zum anderen ist es möglich, dass der Bürger A bzw. D zum Zwecke der Sachwehr zu einem in der gegebenen Sachlage seiner Art nach unzulässigen Zwangsmittel greift, sodass er nicht mehr „in Ausübung“, sondern „in Überschreitung“ der ihm durch § 228 BGB verliehenen Vertretungsmacht agiert610.
608
S. dazu sub § 3 A IV 1, S. 47 ff. sowie sub § 3 B IV 1, S. 154 ff. Ausführlich zu der haftungsrechtlichen Konstruktion in dieser Fallgestaltung oben sub § 3 A IV 1 a, S. 47 ff. sowie § 3 B IV 1 a, S. 155. 610 Näher zu der haftungsrechtlichen Konstruktion in dieser Fallgestaltung oben sub § 3 A IV 1 b, S. 51 ff. sowie § 3 B IV 1 b, S. 155 f. – Gesondert hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass eine Schadensersatzhaftung aus § 231 BGB in entsprechender Anwendung auch im Falle einer vermeintlich durch § 228 BGB legitimierten Handlung nicht in Betracht kommt, weil die systemwidrige Ausnahmevorschrift des § 231 BGB einer Analogie nicht zugänglich ist (näher dazu unten sub § 3 G IV 2, S. 268 ff.). S. für die Gegenauffassung etwa Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 86 IV 2 b, S. 669. 609
C. Das Sachwehrrecht aus § 228 BGB
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3. Haftung für risikotypische Begleitschäden des Notgeschäftsführers a) Haftung für risikotypische Begleitschäden des nicht durch die Sache bedrohten Notgeschäftsführers Mit Blick auf die Haftung für risikotypische Begleitschäden des nicht durch die Sache bedrohten Notgeschäftsführers D gilt es zunächst zu sehen, dass in den von § 228 BGB erfassten Konstellationen vielfach die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB VII vorliegen werden. Danach erstreckt sich der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere auf die Hilfeleistung bei Unglücksfällen und die Rettung eines Mitbürgers aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit. Soweit die Voraussetzungen von §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB VII in der konkreten Konstellation erfüllt sind, können dem auf Grundlage von § 228 BGB agierenden Nothelfer dementsprechend Ansprüche auf Ersatz von Sachschäden und Heilbehandlung gegen den Unfallversicherungsträger U zustehen. Soweit die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB VII im Einzelfall dagegen nicht gegeben sind611, ist dem auf Grundlage von § 228 BGB tätigen Notgeschäftsführer D gleichwohl Versicherungsschutz zu gewähren, was sich dogmatisch-konstruktiv mit einer Analogie zu § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII begründen lässt. Dabei ist die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf den Sachwehr übenden Dritten D dadurch legitimiert, dass dieser ebenso wie der Notwehr übende Dritte D als Notgeschäftsführer „für“ den Staat B tätig wird, weshalb das Haftungsrisiko für risikotypische Begleitschäden des auf Grundlage von § 228 BGB agierenden Notgeschäftsführers D nach dem Rechtsgedanken der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB der (personifizierten) Allgemein heit zugewiesen ist. Weiter gilt es im vorliegenden Zusammenhang zu sehen, dass der Bürger D gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. a SGB VII als „Herangezogener“ in den Kreis der kraft Gesetzes unfallversicherten Personen einbezogen wäre, wenn ihn ein zufällig anwesender Polizist P bei Vorliegen der Grundsituation der Sachwehr qua Rechtsgeschäft in die Staatsaufgabenwahrnehmung einschalten würde. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es wertungsmäßig nicht überzeugt, dem hilfsbereiten Dritten D keinen Versicherungsschutz kraft Gesetzes zu gewähren, wenn er auf Grundlage des gesetzlichen Notgeschäfts611 Zu denken ist insoweit etwa an Konstellationen, in denen es um die Abwehr von Gefahren für nicht bedeutende Sachwerte geht, weil hierin nach herrschender Auffassung kein Unglücksfall im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a Var. 1 SGB VII zu sehen ist (s. etwa KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 65; Becker/Franke/Molkentin/Richter, SGB VII, § 2 Rn. 130; Leube, NZV 2002, 545, 546 f.). Bei einem drohenden Tierschaden soll das Vorliegen eines Unglücksfalls indessen grundsätzlich unabhängig von dem Wert des Tieres sein (s. dazu etwa Leube, NZV 2002, 545, 547 ff. sowie KassKomm/Lilienfeld, SGB VII, § 2 Rn. 65).
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
führungsrechts aus § 228 BGB tätig wird, das gegenüber einer rechtsgeschäftlichen Einschaltung in die Staatsaufgabenwahrnehmung subsidiär ist und dementsprechend das funktionale Äquivalent zu einer rechtsgeschäftlichen Heranziehung als Polizeihelfer darstellt. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass der auf Grundlage von § 228 BGB agierende Notgeschäftsführer D gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB VII bzw. analog § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII in den Kreis der kraft Gesetzes unfallversicherten Personen einbezogen ist, weshalb er unter den Voraussetzungen der §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII Ansprüche auf Ersatz von Sachschäden und Heilbehandlung gegen den Unfallversicherungsträger U hat. Daneben können dem Sachwehr übenden Bürger D auch Ansprüche auf Schadensersatz gegen den Sacheigentümer C aus §§ 823 ff. BGB zustehen, wobei insoweit der Herausforderungsgedanke besondere Bedeutung als Zurechnungskriterium erlangen kann.612 b) Haftung für risikotypische Begleitschäden des durch die Sache bedrohten Notgeschäftsführers Wenn dagegen der durch die Sache bedrohte Notgeschäftsführer A auf Grundlage des § 228 BGB als gesetzlicher Vollstreckungshelfer des Staates B tätig wird und dabei risikotypische Begleitschäden erleidet, dann wird eine Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung regelmäßig ausscheiden. Zwar wird auch der durch die Sache bedrohte Bürger A bei formal-konstruktionsorientierter Betrachtungsweise als Notgeschäftsführer „für“ den Staat B als den Geschäftsherrn tätig. Bei materiell-wertender Betrachtungsweise dient die Ausübung des Notgeschäftsführungsrechts aus § 228 BGB jedoch seinem Eigeninteresse, weshalb ihm zugemutet werden kann, das Schadensrisiko seiner Notgeschäftsführung selbst zu tragen.613 Anders gewendet bedeutet das, dass der allgemeine Rechtsgedanke der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB in dieser Konstellation durch gegenläufige Erwägungen überlagert ist.614 Allerdings kann der Bürger A natürlich unter den Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB den Sach eigentümer C auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.615 612
Vgl. dazu auch die obigen Ausführungen sub § 3 B IV 2 a, S. 157 f. Aus Gründen der Systemstimmigkeit muss dieser Gedanke auch im Rahmen von § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. a SGB VII Berücksichtigung finden, was bedeutet, dass eine teleologische Reduktion dieser Vorschrift angezeigt ist, soweit der Inhaber eines (Gefahr-)Beseitigungs anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB bei Vorliegen der Grundsituation des § 228 BGB als „Her angezogener“ eine staatliche Vollstreckungsmaßnahme unterstützt, die in erster Linie der Durchsetzung seines Beseitigungsanspruchs dient. 614 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben sub § 3 B IV 2 b, S. 159 ff. 615 Vgl. dazu auch oben sub § 3 B IV 2 b, S. 161. 613
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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V. Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle zu dem Sachwehrrecht aus § 228 BGB festgehalten werden, dass diese gesetzliche Regelung als Instrument zur Durchsetzung von gegen den Zustandsverantwortlichen gerichteten (Gefahr-)Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) dient, wobei die Regelung des § 228 BGB subsidiären Charakter hat, womit korrespondiert, dass dem Bürger durch diese Vorschrift das Dürfen und Können eingeräumt wird, um dem Staat in akuten Notlagen bei der Durchführung einer hoheitlichen Ersatzvornahme durch unmittelbaren Zwang gegen die gefahrbringende Sache im Wege des Sofortvollzugs zu helfen. Festzuhalten ist weiter, dass das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB, das Sachwehrrecht aus § 228 BGB und das Notstandsrecht aus §§ 904 BGB, 34 StGB auf jeweils eigenständigen axiologischen Grundlagen beruhen: So geht es nämlich (1) bei der Notwehr um die Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen gegen Verhaltensverantwortliche, (2) bei der Sachwehr um die Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen gegen Zustandsverantwortliche und (3) bei dem Aggressivnotstand um die Inanspruchnahme von duldungspflichtigen Nichtverantwortlichen.
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB Im Folgenden soll das Augenmerk auf dem Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB liegen. Wie in der Literatur treffend angemerkt worden ist, herrscht über die Einordnung des § 859 BGB in das System der Not- und Selbsthilferechte eine gewisse „Verwirrung“616. So fehlt es insbesondere nach wie vor an einer befriedigenden Antwort auf die Frage, in welchem Verhältnis das Besitzwehrrecht aus § 859 Abs. 1 BGB zu dem Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB steht.617 Während einige Stimmen in der Literatur die Regelung des § 859 Abs. 1 BGB neben dem Notwehrrecht für gänzlich „überflüssig“618 halten, stufen andere Stimmen § 859 Abs. 1 BGB als „eine besondere Form der Notwehr“619 oder als „lex specialis“620 zu den §§ 227 BGB, 32 StGB ein. Dabei dient der Verweis 616 617
Suppert, Notwehr, S. 268 in Fn. 129; ebenso Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 136. S. für einen Überblick über das Meinungsbild etwa Staudinger/Gutzeit, BGB, § 859
Rn. 5. 618 Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 18 I 1, S. 56; ebenso Titze, Notstandsrechte, S. 75; ähnlich Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 5 III 1 a, S. 192. 619 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 11; ebenso Wolf/Wellenhofer, Sachenrecht, § 5 Rn. 3 sowie Prütting, Sachenrecht, Rn. 112. 620 Neuner, Sachenrecht, Rn. 74; so auch U. Weber, FS Geppert, S. 753 und Omlor/Gies, JuS 2013, 1065, 1066.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
auf den „‚notwehrähnlich[en]‘“621 Charakter des § 859 BGB nicht selten auch dazu, um eine Übertragung von Notwehrprinzipien auf das Recht zur Besitzwehr und -kehr zu legitimieren.622 Wie zu zeigen sein wird, gibt es in der Tat gewisse Überschneidungen zwischen § 859 BGB und §§ 229 BGB, 32 StGB, die eine partielle Harmonisierung der dogmatischen Strukturen der beiden Rechtsinstitute erforderlich machen. Zunächst soll allerdings herausgearbeitet werden, wie sich § 859 BGB auf axiologisch befriedigende Weise von dem Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB abgrenzen lässt.
I. § 859 BGB als Instrument zur Durchsetzung von Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB Wie also lässt sich das Recht zur Besitzwehr und -kehr dogmatisch stringent von dem Notwehrrecht abgrenzen? Insoweit gilt es zunächst zu sehen, dass das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB, wie oben ausführlich dargelegt wurde623, als Mittel des negatorischen Rechtsschutzes gegen Verhaltensstörer zu verstehen ist, weshalb es bei der Notwehrübung unter juristischen Gesichtspunkten um die Verwirklichung von subjektiven Rechtspositionen im Wege der zwangsweisen Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) und § 985 BGB geht. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Besitz als bloßes Faktum gerade keine subjektive Rechtsposition darstellt.624 Damit korrespondiert, dass der Besitz als solcher entgegen einer verbreiteten Auffassung625 nicht notwehrfähig ist.626 Das aber bedeutet zugleich, dass sich keiner der Fälle des § 859 BGB als Spezialgesetz zu §§ 227 BGB, 32 StGB einstufen lässt.627 Vielmehr handelt es sich bei dem Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB um ein eigenständiges Rechtsinstitut im System der Not- und Selbsthilferechte Krey/Esser, Strafrecht AT Rn. 639; ebenso Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 2 Rn. 55. Vgl. etwa Krey/Esser, Strafrecht AT Rn. 639; Wolf/Wellenhofer, Sachenrecht, § 5 Rn. 7; Prütting, Sachenrecht, Rn. 112; Wieling, Sachenrecht, § 5 III 1, S. 192 f.; Rengier, Strafrecht AT, § 21 Rn. 20, 24; Zieschang, FG Knemeyer, S. 452 ff. 623 S. dazu sub § 3 B I 1, S. 58 ff. 624 So auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 31; Schellhammer, Sachenrecht, § 1 Rn. 52; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 5 III 1 a, S. 192; ders., Sachenrecht, § 3 II, S. 45 ff.; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, S. 373; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 452. S. für die Gegenauffassung etwa Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 3 II 3 i. V. m. III, S. 19; Saenger, Selbsterfüllung, S. 88 f.; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 92. 625 So etwa Lackner/Kühl/Kühl, StGB, § 32 Rn. 3; MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 92; LK/Rönnau/Hohn, StGB, § 32 Rn. 87; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 32 II 1 b, S. 339; Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 134 ff.; Zieschang, FG Knemeyer, S. 452 ff. 626 Ebenso Felber, Rechtswidrigkeit, S. 188; Suppert, Notwehr, S. 268; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 5 III 1 a, S. 192; R. Weber, Sachenrecht I, § 6 Rn. 5. 627 In diesem Sinne auch R. Weber, Sachenrecht I, § 6 Rn. 5. 621
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D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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der Bürger, das sich nach seinen besonderen Voraussetzungen richtet.628 So dient § 859 BGB nämlich bei funktionaler Betrachtungsweise als Instrument zur Vollstreckung von possessorischen Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB.629 Wie bereits angedeutet wurde, können sich die Anwendungsbereiche von § 859 BGB und §§ 227 BGB, 32 StGB aber natürlich überschneiden, soweit in einer Besitzstörung oder -entziehung durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) zugleich auch ein Angriff auf eine Rechtsposition liegt, was eine partielle Harmonisierung der dogmatischen Strukturen der beiden Rechtsinstitute notwendig macht. Bevor der Fokus jedoch dieser Problemstellung zugewendet wird, soll zuerst gezeigt werden, wie sich die Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 BGB mit der Regelung des § 859 BGB verknüpfen lassen. Um zunächst § 859 Abs. 2 und 3 BGB in den Blick zu nehmen: Wie bereits im Gesetzgebungsverfahren hervorgehoben wurde, geht es bei der Besitzkehr in der Sache um die „Durchsetzung des Restitutionsanspruchs“ des vorherigen Besitzinhabers gegen den ihm gegenüber fehlerhaft Besitzenden.630 Anders gewendet bedeutet das, dass die Regelungen in § 859 Abs. 2 und 3 BGB an eine vollendete Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht und damit an „die Situation […] einer Herausgabevollstreckung“631 anknüpfen.632 Oder um es etwas genauer zu sagen: Bei funktionaler Betrachtungsweise geht es bei § 859 Abs. 2 und 3 BGB jeweils um die zwangsweise Durchsetzung eines Wiedereinräumungsanspruchs aus § 861 Abs. 1 BGB633, wobei sich § 859 Abs. 2 BGB auf die 628 Zutreffend Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 523: „Bei § 859 I–IV [BGB] handelt es sich um besondere Rechte, die neben den Notwehr- und Selbsthilferechten nach §§ 227, 229 [BGB] stehen.“ 629 Vgl. auch Staudinger/Gutzeit, BGB, § 861 Rn. 2: „Die Ansprüche aus §§ 861 und 862 [BGB] entsprechen in ihrem Ziel den Gewaltrechten aus § 859 [BGB].“ – Unter Berücksichtigung ihrer inhaltlichen Besonderheiten sind grundsätzlich auch die dem mittelbaren Besitzer zustehenden Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 BGB einer Durchsetzung über § 859 BGB zugänglich, obwohl diese Vorschrift in § 869 BGB nicht ausdrücklich erwähnt wird (so im Ergebnis auch Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 23; Westermann/Eickmann/Gursky, Sachenrecht, § 25 Rn. 6; Soergel/Stadler, BGB, § 869 Rn. 3; Palandt/Bassenge, BGB, § 869 Rn. 2; Jauernig/Berger, BGB, § 869 Rn. 2; Wolff/Raiser, Sachenrecht, § 20 I 2, S. 62; Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 8 sub 3, S. 32; Wolf/Wellenhofer, Sachenrecht, § 4 Rn. 30; HK/ Schulte-Nölke, BGB, § 869 Rn. 1; s. für die Gegenauffassung etwa MK/Joost, BGB, § 869 Rn. 7; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 869 Rn. 8; Erman/A. Lorenz, BGB, § 869 Rn. 4; RGRK/Kregel, BGB, § 869 Rn. 1). 630 Mugdan III, S. 62. 631 Saenger, Selbsterfüllung, S. 88 in Fn. 72 (zu § 859 Abs. 2 BGB). 632 S. etwa Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 61 sowie Prütting, Sachenrecht, Rn. 113 f.; s. auch Mugdan III, S. 62: „Im 2. und 3. Absatze wird vorausgesetzt, daß die Inhabung dem bisherigen Inhaber bereits entzogen ist.“ 633 Vgl. auch Wieling, Sachenrecht, § 5 III 2 a, S. 66 (zu § 859 Abs. 2 BGB): „[Der Vorbesitzer] kann seinen Anspruch aus § 861 [BGB] gewaltsam gegen den Täter durchsetzen, wenn
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Wiedereinräumung des Besitzes an beweglichen Sachen und § 859 Abs. 3 BGB auf die Wiedereinräumung des Besitzes an unbeweglichen Sachen bezieht. Dementsprechend lautet der (fiktive) Sprechakt des Vorbesitzers A an den ihm gegenüber fehlerhaft Besitzenden C in den von § 859 Abs. 2 und 3 BGB erfassten Konstellationen „Räum mir den Besitz wieder ein!“. Demgegenüber werden von der Besitzwehr nach § 859 Abs. 1 BGB Konstellationen erfasst, in denen es um die Abwehr einer drohenden oder (noch) aktuellen Störung im Besitz durch verbotene Eigenmacht geht.634 Funktional gesehen, geht es hier also um die zwangsweise Durchsetzung von possessorischen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen aus § 862 Abs. 1 BGB, wobei der an den Anspruchsgegner C gerichtete (fiktive) Sprechakt des Anspruchsinhabers A im Falle des Unterlassungsanspruchs aus § 861 Abs. 1 S. 2 BGB „Unterlasse die Besitzstörung!“ und im Falle des Beseitigungsanspruchs aus § 861 Abs. 1 S. 1 BGB „Beseitige die Besitzstörung!“ lautet. Die dogmatische Rekonstruktion des § 859 BGB als Durchsetzungsinstrument für possessorische Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 BGB harmoniert ferner auch mit der in § 859 Abs. 4 BGB getroffenen Regelung, welche die Rechte aus § 859 Abs. 1 bis 3 BGB auch gegenüber Rechtspersonen gewährt, welche die Fehlerhaftigkeit des Besitzes nach § 858 Abs. 2 BGB gegen sich gelten lassen müssen. Denn auch gegenüber diesem Personenkreis können die possessorischen Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 BGB geltend gemacht werden. Weiter liegt es in der Konsequenz der hier vertretenen Konzeption des § 859 BGB, dass eine Ausübung des Rechts aus § 859 BGB nach dem Erlöschen der possessorischen Besitzschutzansprüche aus §§ 861, 862 BGB gemäß § 864 BGB ausscheidet.635 Allgemeiner formuliert heißt das, dass ein Rückgriff auf § 859 BGB als Mittel zur Durchsetzung von possessorischen Besitzschutzansprüchen immer dann abzulehnen ist, wenn der Erlass eines Befehls inter privatos (A → C) auf Grundlage von §§ 861, 862 BGB nicht in Betracht kommt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB bei funktionaler Betrachtungsweise als rechtstechnisches In strument zur zwangsweisen Durchsetzung von possessorischen Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB zu verstehen ist, wobei es bei der Besitzwehr er ihn auf frischer Tat betrifft oder verfolgt.“ Vgl. ferner auch Staudinger/Klinck, Eckpfeiler, V. Besitz, Rn. 43. 634 S. etwa Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 60 sowie Prütting, Sachenrecht, Rn. 112; vgl. auch Mugdan III, S. 62: „Der erste Absatz setzt voraus, daß die Inhabung im Augenblicke des thätlichen Konfliktes noch besteht […].“ 635 So auch Soergel/Stadler, BGB, § 859 Rn. 1; differenzierend etwa MK/Joost, BGB, § 859 Rn. 5 mit Fn. 15 sowie Palandt/Herrler, BGB, § 859 Rn. 1, die nur § 864 Abs. 1 BGB, nicht aber § 864 Abs. 2 BGB im Rahmen von § 859 BGB berücksichtigen wollen.
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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nach § 859 Abs. 1 (i. V. m. Abs. 4) BGB um die Vollstreckung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen aus § 862 Abs. 1 BGB und bei der Besitzkehr nach § 859 Abs. 2 und 3 (i. V. m. Abs. 4) BGB um die Vollstreckung von Wiedereinräumungsansprüchen aus § 861 Abs. 1 BGB geht. Wie sich das in § 859 BGB geregelte Gewaltrecht ohne dogmatische Friktionen in die logische Struktur der Rechtsordnung integrieren lässt, soll im nächsten Schritt näher beleuchtet werden.
II. Die Doppelfunktion des § 859 BGB als Not- und Selbsthilferecht Wie soeben dargelegt, ist § 859 BGB bei funktionaler Betrachtungsweise als Mittel zur zwangsweisen Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 861, 862 BGB zu verstehen. Anders gewendet bedeutet das, dass dem Bürger durch die gesetzliche Regelung des § 859 BGB das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrecht des Staates „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang eingeräumt wird. Damit ist freilich noch nicht darüber entschieden, in wessen Namen der Bürger das Nutzungsrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang auf Grundlage von § 859 BGB ausüben darf und kann. Auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes kommt es insoweit entscheidend darauf an, ob der Besitzschutz übende Bürger als Ersatzmann an die Stelle des regulären Staatspersonals (P1, P2, P3 usw.) tritt oder nicht. Dabei ist § 859 BGB gemäß der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ als Notvertretungsrecht des Bürgers für den Staat zu verstehen, soweit der Bürger als Ersatzmann „etwas [tut], was zu tun eigentlich die Sache der Polizeibeamten wäre“636. Dagegen ist § 859 BGB als Selbsthilferecht des Bürgers zu verstehen, soweit der Einzelne bei funktionsbezogener Betrachtungsweise nicht das reguläre Staatspersonal substituiert, sondern zum Tätigwerden in eigener Zuständigkeit berechtigt ist. Zu klären ist daher, inwieweit der Besitzschutz übende Bürger in den von § 859 BGB erfassten Konstellationen bei funktionaler Betrachtungsweise staatliche Zuständigkeiten wahrnimmt. Auf der einen Seite gilt es insoweit zu sehen, dass der Bürger in einigen der von § 859 BGB erfassten Fallgestaltungen durchaus zu einer „Selbstvollstreckung“637 ohne vorherige Anrufung der staatlichen Stellen berechtigt ist. So ist beispielsweise ein Bürger grundsätzlich ohne Inanspruchnahme polizeilicher Hilfe dazu berechtigt, auf Grundlage von § 859 BGB ein Kraftfahrzeug abschleppen zu lassen, das im Wege verbotener Eigenmacht (§ 858 BGB) auf einem in seinem Besitz stehenden Grundstück abgestellt wur636 637
Formulierung von Bockelmann, FS Dreher, S. 244 (zum Notwehrübenden). So treffend Stöber, DAR 2009, 539, 540.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
de.638 Auf der anderen Seite ist aber auch zu berücksichtigen, dass in nicht wenigen der von § 859 BGB erfassten Konstellationen dem regulären Staatspersonal der Vorrang vor dem Bürger gebührt.639 So werden die Dinge regelmäßig dann liegen, wenn es in der Sache um die Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen geht, die typischerweise eine Einwirkung auf den Körper des Vollstreckungsgegners mit einschließen, was seinen Grund nicht zuletzt auch in dem erheblichen Eskalationspotential derartiger Zwangsakte findet.640 Dabei ist die Annahme eines partiell subsidiären Charakters des § 859 BGB nicht zuletzt auch deshalb notwendig, um einen Wertungsgleichlauf mit dem subsidiären Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zu erreichen.641 Um diese Problemstellung an einem Beispiel zu illustrieren: A hat sein Fahrrad an einer Parkbank abgestellt, um mit seinem Freund D auf einer Wiese Fußball zu spielen. Aus einiger Distanz sieht er, wie C sich auf das Rad schwingt und mit diesem davonfährt. Daraufhin ruft A dem C mit lauter Stimme die Worte „Gib das Rad wieder her!“ zu. Da C jedoch ungerührt weiterfährt, sprintet A ihm nach, um sich sein Rad zurückzuholen. Als es ihm gelingt, den C einzuholen, packt er diesen von hinten an der Jacke und zieht ihn mit Gewalt vom Sattel. Anschließend nimmt er das Rad wieder an sich. Variante: Wie liegen die Dinge, wenn das Rad nicht dem A, sondern dem C gehört, wobei dieser es dem A vermietet und zum Gebrauch überlassen hat? Und wie, wenn auf Bitten des A dessen Freund D den C verfolgt und vom Sattel zerrt, um das Rad zurückzuholen?
Um den Ausgangsfall zunächst unter Notwehrgesichtspunkten in den Blick zu nehmen: Hier verletzte der Bürger C seine Achtungspflicht gegenüber dem Eigentum des Bürgers A an dem Fahrrad, indem er unmittelbar dazu ansetzte, sich ohne dessen Zustimmung auf das Rad zu schwingen und mit diesem davonzufahren. Damit korrespondiert, dass der Eigentümer A die drohende Besitzentziehung durch den Bürger C mit einem vorbeugenden Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB abwehren konnte (A → C: „Unterlasse die Eigentumsstörung!“). Darüber hinaus verletzte der Bürger C seine Achtungspflicht gegenüber dem Eigentum des Bürgers A ab dem Zeitpunkt des Besitzübergangs fortlaufend dadurch, dass er mit Besitzerwillen die tatsächliche Sachherrschaft Vgl. auch Schwarz/Ernst, NJW 1997, 2550. Vgl. Haas, Notwehr, S. 347; zu weitgehend W. B. Schünemann, DAR 1997, 267, 270 sowie ders., Selbsthilfe, S. 149 mit Fn. 2, der von einer generellen Subsidiarität des § 859 BGB gegenüber obrigkeitlicher Hilfe ausgeht. – Die überwiegende Meinung spricht sich dagegen kategorial gegen einen subsidiären Charakter des Rechts zur Besitzwehr und -kehr aus (s. etwa Staudinger/Gutzeit, BGB, § 859 Rn. 11; MK/Joost, BGB, § 859 Rn. 12; Bamberger/ Roth/Fritzsche, BGB, § 859 Rn. 8; HK/Schulte-Nölke, BGB, § 859 Rn. 2; Palandt/Herrler, BGB, § 859 Rn. 2). 640 Vgl. dazu auch Arzt, FS Kleinknecht, S. 12; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 1; Duchstein, JuS 2015, 105. 641 Zutreffend Haas, Notwehr, S. 347; vgl. auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 149. 638 639
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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über das fremde Fahrrad ausübte, anstatt es pflichtgemäß dem Eigentümer A herauszugeben. Damit korrespondiert, dass der Eigentümer A dem unberechtigten Besitzer C ab dem Übergang der tatsächlichen Sachherrschaft über das Rad auf Grundlage von § 985 BGB einen Herausgabebefehl erteilen konnte, was er vorliegend auch ausdrücklich durch den an den Anspruchsgegner A adressierten Zuruf „Gib das Rad wieder her!“ getan hat. Weiter war in der vorliegenden Fallkonstellation auch davon auszugehen, dass der Eigentümer A seinen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B geltend machen wollte (A → B), weshalb der Polizeiträger B dem Eigentümer A die Vollstreckung einer (fiktiven) Herausgabeverfügung (B → C: „Gib das Rad des A heraus!“) schuldete. Da vorliegend jedoch keine reguläre Dienstkraft der Polizei vor Ort war, um das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft gegen den Vollstreckungsgegner C wahrzunehmen, war der Bürger A auf Grundlage des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB dazu berechtigt, in „die Rolle des Poli zisten“642 zu schlüpfen und das polizeiliche Vollstreckungsgeschäft „pro magistratu“643 für den Polizeiträger B wahrzunehmen. Dabei hat er sich vorliegend auch im Rahmen des nach dem Geschäftsherrnwillen „Gebotenen“ (§§ 227 Abs. 1 BGB, 32 Abs. 1 StGB) bewegt, indem er die (fiktive) Herausgabeverfügung dadurch vollstreckte, dass er als „Statthalter der Rechtsordnung“644 den Besitzentzieher C von hinten an der Jacke packte und ihn vom Sattel zog, um so wieder an das Fahrrad zu gelangen. Für die juristische Konstruktion bedeutet das, dass der Bürger A hier als „verlängerter Arm“ des Polizeiträgers B aufgetreten ist, weshalb in der Welt des Rechts nicht der Arm des Bürgers A den Bürger C von hinten an der Jacke packte und vom Sattel zog, sondern der zum Staatskörper gehörende Arm der Staatsperson B (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Um nun den Blick der in § 859 BGB getroffenen Regelung zuzuwenden, die, wie dargelegt, als Instrument zur Durchsetzung von possessorischen Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB fungiert: Insoweit gilt es vorliegend zu sehen, dass der Besitzer A die bevorstehende Wegnahme des Fahrrads durch den Besitzstörer C mittels eines possessorischen Unterlassungsanspruchs aus § 862 Abs. 1 S. 2 BGB abwehren konnte (A → C: „Unterlasse die Besitzstörung!“), weil eine Besitzerlangung durch den Bürger C nicht seinem Willen entsprach. Dementsprechend hat der Bürger C dem Bürger A das in dessen Besitz stehende Fahrrad hier durch verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 BGB weggenommen. Damit korrespondiert, dass dem Bürger A nach dem Besitzübergang ein Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB gegen den ihm gegenüber fehlerhaft Bockelmann, FS Dreher, S. 244. Perron, in: Eser/Perron (Hrsg.), Rechtfertigung und Entschuldigung III, S. 88. 644 Kühl, JuS 1993, 177, 181. 642 643
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
besitzenden Bürger C zustand, welchen der Anspruchsinhaber A vorliegend auch explizit gegenüber dem Anspruchsgegner C geltend gemacht hat (A → C: „Gib das Rad wieder her!“). Als Instrument zur Vollstreckung des possessorischen Herausgabeanspruchs mit Blick auf bewegliche Sachen dient, wie oben gezeigt wurde645, das Besitzkehrrecht aus § 859 Abs. 2 BGB646, wobei es für dessen Rechtsnatur als Not- oder Selbsthilferecht auf Grundlage der hiesigen Konzeption entscheidend darauf ankommt, ob vorrangig das reguläre Staatspersonal (P1, P2, P3 usw.) zur Vornahme der in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme berufen ist (dann: Notrecht) oder nicht (dann: Selbsthilferecht). Dabei ist insoweit zunächst zu berücksichtigen, dass der Bürger A einen zufällig anwesenden Polizisten P in der hier gegebenen Sachlage auch auf die Vollstreckung einer (fiktiven) Polizeiverfügung zur Durchsetzung seines Wiedereinräumungsanspruchs aus § 861 BGB hätte „ansprechen“ dürfen und können. Das wiederum bedeutet, dass zur Durchführung der hier in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme vorrangig das reguläre Staatspersonal zuständig war, weshalb das Recht zur Besitzkehr aus § 859 Abs. 2 BGB in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat zu verstehen ist. Für den vorliegenden Beispielsfall bedeutet das, dass der Bürger A sowohl durch das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB als auch durch das Besitzkehrrecht aus § 859 Abs. 2 BGB in den status procuratoris versetzt wurde, um in der hier gegebenen Situation einer Herausgabevollstreckung pro magistratu für den Polizeiträger B tätig zu werden. Dabei ist das normative Maßprinzip für das Ob und Wie einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von § 859 BGB – ebenso wie bei der Notwehr – der Wille des Polizeiträgers B. Allerdings fehlt es in der gesetzlichen Regelung des § 859 BGB an einem begrifflichen Anknüpfungspunkt, um diese Gesichtspunkte berücksichtigen zu können. Deshalb ist die in §§ 227 BGB, 32 StGB verankerte Gebotenheitsklausel auf § 859 BGB zu übertragen, soweit diese Vorschrift als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers fungiert. Für die hier in Rede stehende Fallgestaltung folgt aus der (partiellen) Harmonisierung der dogmatischen Strukturen der beiden Rechtsinstitute, dass das Tätigwerden des Bürgers A auch von § 859 Abs. 2 BGB gedeckt war, weil er sich hier im Rahmen des nach dem Geschäftsherrnwillen „Gebotenen“ bewegt hat. Dabei ist der entscheidende Punkt im vorliegenden Zusammenhang, dass sich die Regelung des § 859 BGB nur dann stimmig in das System der Not- und Selbsthilferechte der Bürger einfügt, wenn man von einem partiell subsidiären Charakter des § 859 BGB ausgeht. 645
S. dazu sub § 3 D I, S. 201 f. Vgl. auch Wieling, Sachenrecht, § 5 III 2 a, S. 66 sowie Saenger, Selbsterfüllung, S. 88 in Fn. 72. 646
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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Um vor diesem Hintergrund die Variante des Ausgangsfalls in den Blick zu nehmen: Hier nahm der Eigentümer C sein Rad dem Besitzer A weg, dem er es allerdings vermietet und zum Gebrauch überlassen hatte, wobei der Bürger A wiederum dem Bürger C nacheilte und diesen vom Sattel zog, um sich das Rad zurückzuholen. In dieser Fallgestaltung wird das Handeln des Bürgers A richtigerweise nicht durch das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB legitimiert, weil es (jedenfalls) nach dem Besitzwechsel an einem Angriff auf eine subjektive Rechtsposition des Bürgers A fehlte. So stand dem Bürger A in der Variante des Ausgangsfall insbesondere kein Herausgabeanspruch aus § 985 BGB gegen den Bürger C zu, weshalb ein Rückgriff auf das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB insoweit ausscheidet.647 Allerdings hatte der Bürger A nach dem Übergang des Besitzes auf den Bürger C einen Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB gegen diesen, mit welchem in der hier gegebenen Sachlage ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten verknüpft war, dessen Erhebung in der vorliegenden Sachlage zu präsumieren war (A → B), weshalb der Polizeiträger B dem Bürger A die Vollstreckung einer fiktiven Herausgabeverfügung (B → C) gegen den Bürger C schuldete. Auch war der Bürger A vorliegend mangels eines Polizisten vor Ort dazu berechtigt, die fiktive Herausgabeverfügung als Vertreter des Besitzschutz übenden Staates auf Grundlage des § 859 Abs. 2 BGB zu vollstrecken. Dabei liegt hier auch eine rechtmäßige Notgeschäftsführung des Bürgers A für den Polizeiträger B vor, weil er sich bei der Wahrnehmung der staatlichen Vollstreckungsaufgabe im Rahmen des nach dem Geschäftsherrnwillen „Gebotenen“ gehalten hat. Wie aber liegen die Dinge, wenn in der Variante des Beispielsfalls nicht der Vorbesitzer A, sondern auf dessen Bitten der Bürger D dem Besitzentzieher C nacheilt und diesen vom Sattel des weggenommenen Fahrrads zerrt? Nach dem Wortlaut des § 859 Abs. 2 BGB ist an sich nur der Besitzer selbst dazu berechtigt, dem auf frischer Tat verfolgten Besitzentzieher die weggenommene Sache mit Gewalt wieder abzunehmen.648 Soweit aber § 859 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat fungiert, hat auch hier die Maxime „deficiente magistratu quisque ex populo est magistratus“ zu gelten. In diesen Konstellationen kommt es daher entscheidend darauf an, ob ein Vollstreckungsgeschäft des Staates B gegen den Besitzentzieher C vorliegt. Ist dies der Fall, dann ist die Regelung des § 859 BGB bei funktionaler Betrachtungsweise als Jedermannsrecht zu verstehen, sodass in Parallele zu den §§ 227 Abs. 2 BGB, 32 Abs. 2 StGB jeder Bürger zur Notgeschäftsführung für die Staatsper647
S. zum Anwendungsbereich des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB die Ausführungen oben sub § 3 B I 1, S. 58 ff. 648 Vgl. dazu auch U. Weber, FS Geppert, S. 754 sowie MK/Erb, StGB, § 32 Rn. 92.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
son B berechtigt ist.649 Dementsprechend war in der Variante des Ausgangsfalls auch der Bürger D zur Wahrnehmung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts auf Grundlage von § 859 Abs. 2 BGB berechtigt. Denn die Bitte des A, der D möge dem C das entwendete Rad wieder wegnehmen, bringt bei normativer Auslegung nach §§ 133, 157 BGB in entsprechender Anwendung den Vollstreckungswillen des A zum Ausdruck, weshalb hier von dem Vorliegen eines Vollstreckungsgeschäfts des Polizeiträgers B ausgegangen werden kann. Auch hat sich der hilfsbereite Bürger D bei der Besorgung des polizeilichen Vollstreckungsgeschäft im Rahmen des nach dem Geschäftsherrnwillen „Gebotenen“ gehalten, weshalb hier eine rechtmäßige Notgeschäftsführung des Bürgers D für den Polizeiträger B vorliegt. Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich die Regelung des § 859 BGB nur dann friktionslos in die logische Struktur der Rechtsordnung einfügt, wenn man von einer partiellen Subsidiarität des Rechts der Bürger zur Besitzwehr und -kehr ausgeht. Dabei korrespondiert mit dem partiell subsidiären Charakter des § 859 BGB, dass diese Vorschrift im System der Not- und Selbsthilferechte eine Doppelfunktion erfüllt. So fungiert § 859 BGB nämlich zum einen als Selbsthilferecht, soweit der Besitzschutz übende Bürger zum Tätigwerden in eigener Zuständigkeit berechtigt ist; und zum anderen dient § 859 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht, soweit der Besitzschutz übende Bürger bei funktionaler Betrachtungsweise staatliche Zuständigkeiten wahrnimmt. Im Folgenden sollen die Implikationen der hiesigen Konzeption für die dogmatischen Strukturen des § 859 BGB aufgezeigt werden, wobei diese Vorschrift zunächst in ihrer Funktion als subsidiäres Notrecht und sodann in ihrer Eigenschaft als Selbsthilferecht in den Blick genommen wird.
III. Dogmatische Rekonstruktion des § 859 BGB als Not- und Selbsthilferecht 1. § 859 BGB als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht a) Dogmatische Rekonstruktion des § 859 BGB als Notgeschäftsführungsrecht Wie soeben dargelegt wurde, ist § 859 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht zu verstehen, soweit der Besitzschutz übende Bürger bei funktionaler Betrachtungsweise „etwas [tut], was zu tun eigentlich die Sache der Polizeibeamten wäre“650. Dementsprechend setzt ein Eingreifen des § 859 BGB als 649 Vgl. auch Staudinger/Klinck, Eckpfeiler, V. Besitz, Rn. 43 i. V. m. 41, der die Regelung des § 859 BGB zwar generell als Selbsthilferecht einstuft, aber ebenfalls eine Berufung von Dritten auf § 859 Abs. 1 und 2 BGB befürwortet. 650 Formulierung von Bockelmann, FS Dreher, S. 244 (zum Notwehrübenden).
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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Notgeschäftsführungsrecht voraus, dass der Polizeiträger B aus der „objektiven“ ex-ante-Perspektive eines pflichtgetreuen Polizisten P gegenüber dem Bürger A als Inhaber eines Besitzschutzanspruchs aus §§ 861, 862 BGB zur Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Anspruchsgegner C verpflichtet ist. Das bedeutet, dass für das Eingreifen des Notrechts aus § 859 BGB im Ausgangspunkt eine Sachlage vorliegen muss, in welcher dem Bürger A ein Besitzschutzanspruch aus §§ 861, 862 BGB gegen den Bürger C zusteht. Weiter muss der Bürger A auch einen Anspruch auf die Vollstreckung einer (fiktiven) Polizeiverfügung gegen den Polizeiträger B haben, wobei die limitierenden Voraussetzungen von § 859 Abs. 2 und 3 BGB gedanklich mit dem Anspruch des Besitzers auf polizeiliches Einschreiten zu verknüpfen sind. Das bedeutet, dass der Bürger A zur Durchsetzung eines possessorischen Herausgabeanspruchs aus § 861 Abs. 1 BGB nur innerhalb der praxisgerecht auszulegenden Zeitgrenzen von § 859 Abs. 2 und 3 BGB einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten hat; anschließend hat er die Zivilgerichte anzurufen. Darüber hinaus setzt ein Eingreifen des in § 859 BGB geregelten Notrechts voraus, dass die Geltendmachung der Anspruchsrechte gegen den Bürger C (A → C) und den Polizeiträger B (A → B) dem (präsumtiven) Willen des Bürgers A entspricht. Denn dann kann für die juristische Betrachtung von dem Vorliegen eines polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts ausgegangen werden, das gemäß der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ jeder Bürger im Falle der punktuell-zufälligen Abwesenheit des regulären Staatspersonals auf Grundlage von § 859 BGB als irregulärer Vollstreckungshelfer wahrnehmen darf und kann. Weiter geht mit der Funktion des § 859 BGB als Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers A bzw. D für den Staat B einher, dass der normative Maßstab für das Ob und Wie der Notgeschäftsführung der (präsumtive) Wille des Polizeiträgers B als des Geschäftsherrn ist. Dabei ist die Gebotenheitsklausel aus §§ 227 Abs. 1 BGB, 32 StGB mangels eines begrifflichen Anknüpfungspunkts in § 859 BGB in diese Vorschrift hineinzulesen. Damit korrespondiert, dass die obigen Ausführungen zum Ob und Wie der Notgeschäftsführung auf Grundlage von §§ 227 BGB, 32 StGB für § 859 BGB in seiner Funktion als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht in entsprechender Weise gelten.651 b) Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von § 859 BGB Vor diesem Hintergrund lassen sich die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von § 859 BGB folgendermaßen reformulieren: 651
S. dazu oben sub § 3 B II 2, S. 86 ff. sowie sub § 3 B II 3, S. 102 ff.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
1. Vorliegen einer potentiellen Notgeschäftsführungslage Bestehen einer Rechtspflicht des Polizeiträgers B gegenüber dem Bürger A als Inhaber eines Anspruchs aus §§ 861, 862 BGB zur Vollstreckung einer (fiktiven) Grundverfügung gegen den Anspruchsgegner C 2. Das Ob der Notgeschäftsführung Übereinstimmung der Übernahme der Notgeschäftsführung durch den Bürger A bzw. D mit dem Willen des Geschäftsherrn B 3. Das Wie der Notgeschäftsführung a) Das subjektive Wie der Notgeschäftsführung Vorliegen eines Notgeschäftsführungswillens auf Seiten des Bürgers A bzw. D b) Das objektive Wie der Notgeschäftsführung Übereinstimmung der Ausführung der Notgeschäftsführung durch den Bürger A bzw. D mit dem Willen des Geschäftsherrn B 2. § 859 BGB als privatrechtliches Selbsthilferecht a) Dogmatische Rekonstruktion des § 859 BGB als Selbsthilferecht Wie dargelegt, greift die gesetzliche Regelung des § 859 BGB in ihrer Eigenschaft als Selbsthilferecht ein, soweit der Bürger in den von dieser Vorschrift erfassten Situationen bei funktionaler Betrachtungsweise nicht das vorrangig zum Handeln berufene, aber zufällig abwesende Vollstreckungspersonal des Staates substituiert.652 Anders gewendet bedeutet das, dass § 859 BGB als Selbstvollstreckungsrecht des Bürgers zu verstehen ist, soweit dem Inhaber eines possessorischen Besitzschutzanspruchs aus §§ 861, 862 BGB in einer von § 859 BGB erfassten Sachlage kein Anspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan zusteht. In so gelagerten Fallgestaltungen wird dem Bürger also durch § 859 BGB das Dürfen und Können verliehen, das Nutzungsrecht des Staates „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Durchsetzung eines Anspruchs aus §§ 861, 862 BGB im eigenen Namen auszuüben. Dementsprechend ermöglicht die gesetzliche Regelung des § 859 BGB dem Bürger im Sinne einer Beschleunigung der Anspruchsdurchsetzung eine Selbstvollstreckung ohne Vollstreckungstitel, wobei es dem Selbsthilfeberechtigten freisteht, Hilfspersonen qua Rechtsgeschäft in die Durchführung von
652
S. dazu § 3 D II, S. 203 ff.
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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Vollstreckungsmaßnahmen einzuschalten653. Darüber hinaus sind Besitzdiener gemäß § 860 BGB auch ohne eine rechtsgeschäftliche Einschaltung dazu berechtigt, das dem Besitzherrn gemäß § 859 BGB zustehende Selbsthilferecht als dessen Vertreter „für“ diesen auszuüben.654 b) Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Selbsthilfemaßnahmen auf Grundlage von § 859 BGB Im Folgenden soll das Augenmerk auf den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Selbstvollstreckung auf Grundlage von § 859 BGB liegen. Wie dargelegt, ist diese Vorschrift bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise als Instrument zur Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 861, 862 BGB zu verstehen.655 Das heißt, dass das Selbsthilferecht aus § 859 BGB im Sinne einer rechtslogischen Stufenfolge an das Vorliegen eines possessorischen Besitzschutzanspruchs anknüpft, wobei es bei der Besitzwehr nach § 859 Abs. 1 (i. V. m. Abs. 4) BGB um die Durchsetzung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen aus § 862 Abs. 1 BGB und bei der Besitzkehr nach § 859 Abs. 2 und 3 (i. V. m. Abs. 4) BGB um die Durchsetzung von Wiedereinräumungsansprüchen aus § 861 Abs. 1 BGB geht. Dementsprechend liegt eine Selbsthilfelage im Sinne von § 859 BGB vor, wenn einem Bürger A ein Anspruch aus §§ 861, 862 BGB an die Hand gegeben ist, ohne dass die zeitlichen Schranken von § 859 Abs. 2 und 3 BGB eingreifen. Weiter ist mit Blick auf das Ob der Selbsthilfe hervorzuheben, dass die Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen auf Grundlage von § 859 BGB mit dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbar sein muss, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn dem Anspruchsinhaber A nach den konkreten Umständen des Einzelfall zuzumuten ist, den Anspruchsgegner C zunächst auf die Erfüllung von dessen Pflichten „anzusprechen“ (A → C).656 Darüber hinaus gilt es mit Blick auf das Wie der Selbsthilfe zu sehen, dass der Selbsthelfer in subjektiver Hinsicht mit Selbsthilfewillen agieren muss.657 Das bedeutet, dass der Selbsthilfeberechtigte bei normativer Betrachtungsweise mit S. etwa Westermann/Eickmann/Gursky, Sachenrecht, § 22 Rn. 3; MK/Joost, BGB, § 859 Rn. 3; Erman/A. Lorenz, BGB, § 859 Rn. 1; Palandt/Herrler, BGB, § 859 Rn. 1; Dörner, JuS 1978, 666, 671; AG Braunschweig NJW-RR 1986, 1414. 654 S. dazu etwa Westermann/Eickmann/Gursky, Sachenrecht, § 22 Rn. 3; MK/Joost, BGB, § 860 Rn. 1 ff.; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 860 Rn. 1; BeckOGK/Rövekamp, BGB, Stand: 01.04.2017, § 229 Rn. 68; Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 45; Schapp/Schur, Sachenrecht, Rn. 71. 655 Ausführlich dazu oben sub § 3 D I, S. 200 ff. 656 Vgl. auch S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1026; Baldringer/Jordans, NZV 2005, 75, 78; BGH NJW 2016, 2407 Rn. 9. 657 Vgl. dazu auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 31 ff. 653
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dem Willen handeln muss, das Nutzungsrecht des Staates „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Anspruchsdurchsetzung im eigenen Namen auszuüben. Hervorzuheben ist ferner, dass mit der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen durch den Selbsthilfeberechtigten A ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis (A–C) zu dem Selbsthilfegegner C entsteht, welches als „geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB anzusehen ist, der den anderen in § 311 Abs. 2 BGB geregelten Fällen deshalb „ähnlich“ ist, weil dem Selbsthelfer A durch das Selbstvollstreckungsrecht aus § 859 Abs. 1 BGB die Möglichkeit zur Einwirkung auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners C gewährt wird.658 Daraus folgt für das objektive Wie der Selbsthilfe, dass der Selbsthilfeberechtigte A gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners C verpflichtet ist.659 Dabei ist insbesondere auch der „auf Treu und Glauben beruhende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“660 von dem auf Grundlage von § 859 BGB agierenden Selbsthelfer A zu wahren.661 Nach hiesiger Auffassung ist es mit Blick auf die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen von § 859 BGB dementsprechend unerheblich, ob dieser Regelung in ihrer Funktion als Not- oder Selbsthilferecht zum Tragen kommt. Unterschiede ergeben sich allerdings bei der dogmatisch-konstruktiven Herleitung der Verhältnismäßigkeitsschranke. So ist nämlich der als Notgeschäftsführer „für“ den Staat agierende Bürger über den „Willen“ des Geschäftsherrn gemäß § 677 BGB in entsprechender Anwendung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden, während der Selbsthelfer unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nach § 242 BGB zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet ist. 658 S. zum Begriff des „ähnlichen geschäftlichen Kontakts“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB etwa MK/Emmerich, BGB, § 311 Rn. 48 f.; Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, § 311 Rn. 49 ff.; BeckOGK/Herresthal, BGB, Stand: 01.01.2017, § 311 Rn. 291 ff.; Erman/Kindl, BGB, § 311 Rn. 19, 22; Palandt/Grüneberg, BGB, § 311 Rn. 24. 659 Weiter folgt daraus, dass sich der Selbsthelfer A das Verhalten und Verschulden seiner Hilfspersonen (D1, D2, D3 usw.) bei der Durchführung von Selbsthilfemaßnahmen nach den allgemeinen zu § 278 S. 1 BGB entwickelten Grundsätzen zurechnen lassen (näher dazu unten sub § 3 D IV 2 a aa, S. 224 ff.). 660 BGHZ 181, 233 Rn. 16. 661 Für eine Geltung der Verhältnismäßigkeitsschranke im Rahmen von § 859 BGB etwa auch BGHZ 181, 233 Rn. 16; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 523b; ders., LMK 2009, 291008; K. Schmidt, JuS 2009, 762, 763; Stöber, DAR 2009, 539, 542; Koch, NZV 2010, 336, 337; Wolf/ Wellenhofer, Sachenrecht, § 5 Rn. 7; Westermann/Eickmann/Gursky, Sachenrecht, Rn. 45. – S. für die Gegenauffassung etwa Vieweg/Werner, Sachenrecht, § 2 Rn. 55; Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 60; Erman/A. Lorenz, BGB, § 859 Rn. 1; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 11; Zieschang, FG Knemeyer, S. 453.
D. Das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB
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Vor diesem Hintergrund lassen sich die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Selbsthilfemaßnahmen auf Grundlage von § 859 BGB folgendermaßen reformulieren: 1. Vorliegen einer Selbsthilfelage im Sinne von § 859 BGB Bestehen eines possessorischen Besitzschutzanspruchs aus §§ 861, 862 BGB bei Nichteingreifen der zeitlichen Schranken von § 859 Abs. 2 und 3 BGB 2. Das Ob der Selbsthilfe Vereinbarkeit der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen auf Grundlage von § 859 BGB mit dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) 3. Das Wie der Selbsthilfe a) Das subjektive Wie der Selbsthilfe Vorliegen eines Selbsthilfewillens auf Seiten des Selbsthilfeberechtigen b) Das objektive Wie der Selbsthilfe Wahrung der Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB und des auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den Selbsthelfer c) Die Erstattung der Selbsthilfekosten Aus Nächstes soll die Frage nach dem Ersatz der Selbsthilfekosten in den Blick genommen werden, die seit jeher „[e]in besonderes ‚Stiefkind‘ der Selbsthilfedogmatik“662 darstellt. Dabei soll diese Problemstellung am Beispiel der äußerst praxisrelevanten Abschleppkonstellationen näher beleuchtet werden. Zwar existiert zur Frage des Kostenersatzes in Abschleppfällen inzwischen eine umfangreiche Literatur und Rechtsprechung. Wie zu zeigen sein wird, fehlt es aber nach wie vor an einem dogmatisch stringenten Lösungsansatz, der eine vollumfänglich befriedigende Bewältigung der Problemstellung ermöglicht. Dies findet seinen Grund nicht zuletzt auch darin, dass die rechtsdogmatischen Grundlagen des Selbsthilferechts aus § 859 BGB bislang nur unzureichend geklärt sind. Im Folgenden soll dargelegt werden, dass das Selbstvollstreckungsrecht aus § 859 Abs. 1 BGB in Abschleppkonstellationen bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise das außerprozessuale Pendant zu einer Ermächtigung zur Selbstvornahme nach § 887 Abs. 1 ZPO darstellt, weshalb ein Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Vollstreckungskosten in Parallele zu den §§ 887 Abs. 1, 788 Abs. 1, 91 ZPO „als ungeschriebener Annex“663 zu dem Selbsthilferecht aus W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 127. Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 374; ebenso Staudinger/Bergmann, BGB, Vor §§ 677 ff. Rn. 293; s. auch AG Fürstenfeldbruck DAR 1985, 257. 662
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
§ 859 Abs. 1 BGB zu verstehen ist. Um die Problemstellung anhand eines konkreten Beispielsfalles zu veranschaulichen: Der Halter E hat sein Auto seinem Freund C geliehen. Dieser stellt das Auto auf einem von A gemieteten Grundstück mit mehreren Parkplätzen ab, obwohl am Grundstücksrand gut sichtbar ein Schild mit folgender Aufschrift steht: „Privatgrundstück! Unberechtigt parkende Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt.“ Als A das Auto fünfzehn Minuten später bemerkt, lässt er es sogleich von dem Abschleppunternehmer D entfernen. Kann A die an D gezahlten Abschleppkosten in Höhe von 150,– Euro von C und E erstattet verlangen?
Um die rechtslogische Struktur des Beispielsfalls zu erfassen, gilt es sich zunächst noch einmal vor Augen zu führen, dass § 859 BGB bei funktionaler Betrachtungsweise als rechtstechnisches Instrument zur Durchsetzung von Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB dient. Wie dargelegt, folgt daraus, dass die gesetzliche Regelung des § 859 BGB im Sinne einer rechtslogischen Stufenfolge an das Vorliegen eines possessorischen Besitzschutzanspruchs anknüpft, wobei das Besitzwehrrecht aus § 859 Abs. 1 BGB zur Durchsetzung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen aus § 861 Abs. 1 BGB und das Besitzkehrrecht aus § 859 Abs. 2 und 3 BGB zur Durchsetzung von Wiedereinräumungsansprüchen aus § 862 Abs. 1 BGB dient. Weiterhin ist in der vorliegenden Fallgestaltung zu beachten, dass der Fahrzeugführer C das von dem Fahrzeughalter E entliehene Auto ohne den Willen des Grundstücksbesitzers A auf dem von diesem angemieteten Grundstück abgestellt hat, wodurch er den Grundstücksbesitzer A durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) im Besitz gestört hat. Damit korrespondiert, dass der Fahrzeugführer C unter dem Gesichtspunkt der Verhaltensverantwortlichkeit dazu verpflichtet war, das den Grundstücksbesitzer A im Besitz störende Auto von dem Grundstück zu entfernen. Darüber hinaus war in der vorliegenden Fallgestaltung auch der Fahrzeughalter E, der sein Auto freiwillig seinem Freund C überlassen hatte, unter dem Gesichtspunkt der Zustandsverantwortlichkeit gegenüber dem Grundstücksbesitzer A zur Entfernung des falsch geparkten Fahrzeugs verpflichtet.664 Da die sowohl den Verhaltensverantwortlichen C als auch den Zustandsverantwortlichen E treffende Beseitigungspflicht sofort fällig war, konnte der Grundstücksbesitzer A hier auch jeden der beiden sogleich gemäß § 862 Abs. 1 BGB auf die Erfüllung der Beseitigungspflicht „ansprechen“ (A → C/E: „Entferne das Auto!“).665 Dagegen 664 Vgl. etwa BGH NJW 2012, 3781 Rn. 8; AG Fürstenfeldbruck DAR 1985, 257; AG Frankfurt a. M. NJW 1990, 917; AG Frankfurt a. M. NJW-RR 1990, 730, 731; Bamberger/ Roth/Fritzsche, BGB, § 862 Rn. 8; Schwarz/Ernst, NJW 1997, 2550, 2551; Janssen, NJW 1995, 624; Baldringer/Jordans, NZV 2005, 75, 77; S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1026; Paal/ Guggenberger, NJW 2011, 1036, 1039 f.; s. für die Gegenauffassung etwa Woitkewitsch, MDR 2005, 1023, 1026. 665 Vgl. S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1026 sowie BGH NJW 2016, 2407 Rn. 9.
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stand dem Grundstücksbesitzer A in der vorliegenden Fallgestaltung kein Wiedereinräumungsanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB gegen C oder E wegen einer „Teilbesitzentziehung“ zu. Denn dem Grundstücksbesitzer wird durch das bloße unberechtigte Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf einem in seinem Besitz stehenden Parkplatz bei wertender Betrachtungsweise keineswegs teilweise der Besitz an dem Grundstück entzogen.666 Vielmehr wird dem Grundstücksbesitzer durch das unberechtigte Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf einem in seinem Besitz stehenden Grundstück lediglich die faktische Gebrauchsmöglichkeit mit Blick auf das weiterhin vollständig in seinem Besitz verbleibende Grundstück teilweise entzogen.667 Wie dargelegt, ist die gesetzliche Regelung des § 859 BGB auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes als Selbsthilferecht zu verstehen, soweit dem Inhaber eines possessorischen Besitzschutzanspruchs in einer von § 859 BGB erfassten Sachlage neben einem staatsgerichteten Rechtsschutz anspruch kein Anspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Voll streckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan an die Hand gegeben ist.668 So liegen die Dinge hier, weil sich in der Rechtspraxis inzwischen für Abschleppkonstellationen die überzeugende Regel herausgebildet hat, dass dem Bürger kein Anspruch auf das hoheitliche Abschleppen eines Falschparkers zusteht, soweit es ausschließlich um die Durchsetzung von privatrechtlichen Beseitigungsansprüchen geht.669 Vielmehr wird dem Bürger in so gelagerten Konstellationen durch die gesetzliche Regelung des § 859 Abs. 1 BGB von Seiten des Staates B das Dürfen und Können verliehen, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Durchsetzung eines Beseitigungsanspruchs aus § 862 Abs. 1 BGB im eigenen Namen auszuüben. Anders gewendet bedeutet das, dass der Bürger durch die gesetzliche Regelung des § 859 Abs. 1 BGB in derartigen Fallgestaltungen von Seiten des Staates B dazu ermächtigt wird, einen possessorischen Beseitigungsanspruch aus § 862 Abs. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme zu vollstrecken, wozu er sich auch fremder Hilfe bedienen kann. Dementsprechend ist das Selbsthilferecht aus § 859 Abs. 1 BGB in Abschlepp666 Wie hier AG Bremen DAR 1984, 224 f.; AG Deggendorf DAR 1984, 227, 228; AG Fürstenfeldbruck DAR 1985, 257; AG Braunschweig NJW-RR 1986, 1414; AG Berlin-Mitte NJW-RR 2011, 380; AG Köpenick NZV 2009, 609; s. für die Gegenauffassung etwa LG Frankfurt a. M. NJW 1984, 183; LG Frankfurt NJW-RR 2003, 311; AG München NJW 1996, 853, 854; AG München DAR 1981, 56; Staudinger/Gutzeit, BGB, § 858 Rn. 49; Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 61; Jung, DAR 1983, 151, 152; S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1026; offen gelassen von BGHZ 181, 233 Rn. 13 sowie von BGH NJW 2012, 3781 Rn. 5. 667 Vgl. auch AG Braunschweig NJW-RR 1986, 1414. 668 S. dazu oben sub § 3 D II, S. 203 ff. 669 Vgl. etwa Schwarz/Ernst, NJW 1997, 2550.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
konstellationen als das außerprozessuale Pendant zu einer Ermächtigung zur Selbstvornahme nach § 887 ZPO zu verstehen670, wobei die Regelung des § 859 Abs. 1 BGB dem Anspruchsinhaber im Gegensatz zu der vollstreckungsrechtlichen Regelung „eine Selbstvornahme ohne Vollstreckungstitel und damit ohne langwieriges gerichtliches Verfahren“671 ermöglicht.672 Wegen dieser funktionalen Rolle des Selbsthilferechts aus § 859 BGB erscheint es sachgerecht, dem Selbsthilfeberechtigen in Abschleppkonstellationen in Parallele zu den §§ 887 Abs. 1, 788 Abs. 1, 91 ZPO einen materiellrechtlichen Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Selbstvornahmekosten zuzubilligen, der als ungeschriebener Annex zu dem Selbstvollstreckungsrecht des § 859 Abs. 1 BGB zu verstehen ist. So hebt denn auch Bergmann treffend hervor: „Der Anspruch auf Kostenerstattung folgt unmittelbar aus dem Selbsthilferecht. Liegen die Voraussetzungen der Selbsthilfe vor, kann der Berechtigte die ihm angefallenen und notwendigen Kosten liquidieren.“673 Für den obigen Beispielsfall heißt das, dass der Fahrzeugführer C und der Fahrzeughalter E als Gesamtschuldner im Sinne von § 421 S. 1 BGB dazu verpflichtet sind, dem Selbsthelfer A die erforderlichen Kosten der Ersatzvornahme in Höhe von 150,– Euro zu erstatten. Dabei ist die Kostenerstattungsforderung des Selbsthelfers A in der hier in Rede stehenden Konstellation auch fällig, weshalb er sowohl den Fahrzeugführer C als auch den Fahrzeughalter E auf die Erfüllung von deren Zahlungspflicht „ansprechen“ darf und kann (A → C/E: „Zahl mir 150,– Euro!“). Vielfach wird versucht, das hier befürwortete Ergebnis über die Konstruktion eines Aufwendungsersatzanspruchs nach den Grundsätzen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag herzuleiten.674 Allerdings scheitert ein An670 S. zur Entfernung von auf Grundstücken abgestellten Fahrzeugen im Wege der Vollstreckung nach § 887 ZPO etwa AG Pirna DGVZ 2010, 155; Schuschke, DGVZ 2010, 137, 140; Zöller/Stöber, ZPO, § 885 Rn. 15; MK/Gruber, ZPO, § 885 Rn. 11. 671 Stöber, DAR 2009, 539, 540. 672 Vgl. zum Zusammenhang zwischen der vollstreckungsrechtlichen Regelung des § 887 ZPO und den zivilrechtlichen Selbstvornahmerechten etwa MK/Gruber, ZPO, § 887 Rn. 1 sowie Stamm, Grundstrukturen, S. 466 f.; vgl. auch BeckOK/Stürner, ZPO, § 887 Rn. 1: § 887 ZPO als „prozessrechtlich ausgestaltetes Selbstvornahmerecht“ (ohne die Hervorhebung des Originals). 673 Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 374; so auch Staudinger/Bergmann, BGB, Vor §§ 677 ff. Rn. 293; vgl. ferner auch Dörner, JuS 1978, 666, 671: „Recht auf Selbsthilfe bedeutet […] Recht auf Selbsthilfe ohne finanzielle Nachteile: Der Besitzer darf nicht in die Lage kommen, auf die Durchsetzung seines Rechts etwa aus Kostengründen verzichten zu müssen.“ 674 So etwa BGH NJW 2016, 2407 Rn. 5 ff.; MK/Joost, BGB, § 859 Rn. 17; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 15; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 523b; Baldringer/Jordans, NZV 2005, 75, 77 f.; S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1026 ff.; Dörner, JuS 1978, 666, 668; Pöschke/Sonntag, JuS 2009, 711, 712 f.; Huneke, Jura 2010, 852, 855 f.
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spruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB jedenfalls an dem fehlenden Fremdgeschäftsführungswillen des Selbsthelfers.675 Bei normativer Betrachtungsweise handelt der Selbsthilfe übende Bürger nämlich keineswegs (auch) mit dem Willen, dem Störer bei der Erfüllung von dessen Verbindlichkeiten zu helfen.676 Vielmehr zielt der Wille des Selbsthelfers allein darauf, sich in Ausübung seines Selbsthilferechts selbst zu helfen. Dementsprechend handelt der Selbsthilfeberechtigte nicht „für“ den Störer als den Geschäftsherrn, sondern „für“ sich selbst.677 Damit korrespondiert, dass der Störer durch das Abschleppen des Fahrzeugs im Wege der privaten Ersatzvornahme nicht durch Erfüllung, sondern durch Unmöglichkeit wegen Zweckerreichung gemäß § 275 Abs. 1 BGB von seiner Beseitigungspflicht befreit wird.678 Auch eine Lösung der Problemstellung über § 823 Abs. 1 BGB bzw. über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 858 Abs. 1 BGB679 ist nicht in jeder Hinsicht befriedigend. Denn über diese Normen kann in der vorliegenden Fallgestaltung lediglich ein Schadensersatzanspruch des Selbsthelfers A auf Erstattung der erforderlichen Selbsthilfekosten in Höhe von 150,– Euro gegen den Fahrzeugführer C herleitet werden.680 Demgegenüber lässt sich eine Schadensersatzhaftung des Fahrzeughalters E aus § 823 BGB nicht begründen, weil diesem jedenfalls kein Verschulden zur Last fällt.681 Diese Haftungslücke lässt sich auch nicht auf befriedigende Weise über einen Bereicherungsausgleich nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB schließen, weil die nach § 818 Abs. 2 BGB herauszugebene Ersparnisbereicherung in Abschleppkonstellationen regelmäßig gegen Null tendieren wird682. Um die Lückenhaftigkeit des materiellen Rechts mit Blick auf eine An675 Zutreffend Saenger, Selbsterfüllung, S. 6 4 sowie Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 178. 676 So aber etwa BGH NJW 2016, 2407 Rn. 6; Dörner, JuS 1978, 666, 668; Pöschke/Sonntag, JuS 2009, 711, 712; S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1026 f.; Huneke, Jura 2010, 852, 855 f. 677 S. auch Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 178: „In den Fällen […] der Selbsthilfe wird der ‚Geschäftsführer‘ ausschließlich für sich und zum Schutze seiner eigenen Interessen tätig, aber keinesfalls für den Störer.“ 678 Vgl. Gursky, NJW 1971, 782, 784 sowie W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 109 f., 132. 679 S. zur Eigenschaft des § 858 Abs. 1 BGB als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB etwa BGHZ 181, 233 Rn. 15; BGH NJW 2012, 528 Rn. 9; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 77 III 1 c, S. 440 f.; Schellhammer, Sachenrecht, Rn. 52; abweichend aber etwa Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 160; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 540; ders., LMK 2009, 291008 sub 2. 680 Vgl. etwa Gottwald, Sachenrecht, S. 5 sowie Pöschke/Sonntag, JuS 2009, 711, 713 ff. 681 Vgl. dazu auch BGH NJW 2016, 2407 Rn. 20. 682 Vgl. Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 160; MK/Baldus, BGB, § 1004 Rn. 279; Stöber, DAR 2006, 486, 489; dens., DAR 2008, 72, 73; dens., DAR 2009, 539, 541; Huneke, Jura 2010, 852, 856 in Fn. 33; Dörner, JuS 1978, 666, 670.
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spruchsgrundlage für eine Erstattung der Selbsthilfekosten zu beheben, wird in der Literatur teilweise eine Analogie zu dem prozessualen Kostenerstattungs anspruch aus § 91 ZPO befürwortet.683 Führt man sich aber vor Augen, dass es sich bei den Selbsthilfekosten bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise um Vollstreckungskosten handelt, dann erscheint es aus dogmatisch-konstruktiver Perspektive überzeugender, die Lücke des materiellen Rechts durch eine gedankliche Anknüpfung an § 788 Abs. 1 ZPO zu schließen.684 Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Selbstvornahmerecht des Besitzers aus § 859 Abs. 1 BGB in Abschleppkonstellationen das außerprozessuale Pendant zu einer Ermächtigung zur Selbstvornahme nach § 887 Abs. 1 ZPO darstellt, weshalb ein Anspruch des Selbsthelfers A auf Erstattung der erforderlichen Selbsthilfeaufwendungen sowohl gegen den verhaltensverantwortlichen Fahrzeugführer C als auch gegen den zustandsverantwortlichen Fahrzeughalter E in Parallele zu den §§ 887 Abs. 1, 788 Abs. 1, 91 ZPO als ungeschriebener Annex zu dem Selbstvollstreckungsrecht aus § 859 Abs. 1 BGB zu verstehen ist. Auf eine allgemeine Formel gebracht heißt das, dass dem Selbsthelfer im Falle einer rechtmäßigen Ausübung des Selbsthilferechts aus § 859 BGB ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Selbsthilfekosten gegen den oder die Selbsthilfegegner in Parallele zu den §§ 788 Abs. 1, 91 ZPO zuzubilligen ist. d) Die zeitlichen Grenzen der Selbsthilfe in Abschleppkonstellationen Vor diesem Hintergrund sollen nun die zeitlichen Grenzen des Selbsthilferechts aus § 859 BGB in Abschleppkonstellationen ausgeleuchtet werden. Dabei geht es in der Sache um die Frage, inwieweit dem Sofortigkeitskriterium aus § 859 Abs. 3 BGB in Abschleppfällen Bedeutung zukommt. Zur Veranschaulichung der Problemstellung ein konkreter Beispielsfall: A hat einen einzelnen Parkplatz gemietet, vor dem gut sichtbar ein Schild mit folgender Aufschrift angebracht ist: „Privatparkplatz! Unberechtigt parkende Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt.“ Gleichwohl stellt C auf dem Parkplatz ein dem Halter E gehörendes Auto ab, welches er sich von diesem geliehen hat. Als der aus einem längeren Urlaub nach 683 So etwa W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 133 ff.; Staudinger/Repgen, BGB, § 229 Rn. 49; MK/Grothe, BGB, § 229 Rn. 9; Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 78 (jeweils zur Pa rallelproblematik im Rahmen von §§ 229, 230 BGB); ebenso bereits Heyer, ArchBürgR 19 (1901), 38, 101: „Über [die Kosten der Selbstvollstreckung] enthält das BGB nichts. Man muß daher […] § 91 CPO analog anwenden. Hiernach trägt die Kosten der rechtmäßigen Selbsthülfe der Schuldner […].“ 684 In diese Richtung andeutungsweise bereits Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, 1. Aufl. 2003, § 229 Rn. 10 in Fn. 34: „[S]ehr zweifelhaft ist mE die […] vorgeschlagene Analogie zu § 91 ZPO; noch eher denkbar wäre die Heranziehung von § 788 ZPO.“
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Hause kommende A das Auto bemerkt, lässt er es sogleich von dem Abschleppunternehmer D entfernen. Wie die Aufnahme einer Überwachungskamera zeigt, hat das Auto des E bereits sieben Tage lang auf dem von A angemieteten Parkplatz gestanden. Kann A die an D gezahlten Abschleppkosten in Höhe von 150,– Euro von C und E erstattet verlangen?
Will man den Beispielsfall präzise lösen, dann ist als Erstes die Frage zu klären, ob in dem Abstellen des Fahrzeugs auf dem von dem Parkplatzbesitzer A angemieteten einzelnen Parkplatz im Wege der verbotenen Eigenmacht (§ 858 BGB) durch den Fahrzeugführer C (1) eine Besitzstörung oder (2) eine Besitzentziehung zu sehen ist. Denn davon hängt es ab, ob dem Bürger A (1) ein Beseitigungsanspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1 BGB oder (2) ein Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB zusteht, was wiederum darüber entscheidet, ob (1) die nach ihrem Wortlaut keine Zeitgrenze enthaltene Regelung des § 859 Abs. 1 BGB oder (2) die ein sofortiges Handeln verlangende Regelung des § 859 Abs. 3 BGB einschlägig ist. Nach einer verbreiteten Ansicht soll in dem unberechtigten Parken auf einem in fremden Besitz stehenden Parkplatz jedenfalls dann eine Besitzentziehung liegen, wenn der Besitzer nur über einen einzelnen Parkplatz verfügt.685 Zur Begründung dieses Ergebnisses wird angeführt, dass in so gelagerten Fallgestaltungen „die Benutzbarkeit des Grundstückes bzw. des Grundstücksteiles“ durch das falsch geparkte Fahrzeug „vollständig unmöglich gemacht“ werde.686 Dieses Argument erscheint indessen wenig überzeugend. Denn aus dem vollständigen Entzug der Nutzungsmöglichkeit eines Grundstücks oder Grundstücksteils durch ein falsch abgestelltes Auto lässt sich nicht ohne Weiteres ableiten, dass der Fahrzeugbesitzer nunmehr auch als der Besitzer des besetzten Parkplatzes anzusehen wäre. Oder anders ausgedrückt: Eine besonders gravierende Beeinträchtigung der faktischen Nutzungsmöglichkeit eines einzelnen Parkplatzes lässt sich nicht kurzerhand in eine Besitzentziehung umdeuten. Wem der unmittelbare Besitz an dem besetzten Parkplatz nach § 854 Abs. 1 BGB zukommt, ist vielmehr im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung auf Grundlage aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.687 Bei normativer Betrachtungsweise kann in dem bloßen unberechtigten Parken auf einem in fremdem Besitz stehenden Parkplatz aber nur schwerlich eine „vollständige und dauerhafte Beseitigung des unmittelbaren Besitzes“688 an dem Parkplatz gesehen 685 So etwa Schwarz/Ernst, NJW 1997, 2550; Koch, NZV 2010, 336, 338; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 523b; Staudinger/Gutzeit, BGB, § 858 Rn. 12, 49; R. Weber, Sachenrecht I, § 6 Rn. 12; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 9 Rn. 15; Neuner, Sachenrecht, Rn. 65; OLG Karlsruhe OLGZ 1978, 206 f. 686 Schwarz/Ernst, NJW 1997, 2550; ebenso etwa Staudinger/Gutzeit, BGB, § 858 Rn. 49. 687 Vgl. dazu auch Palandt/Herrler, BGB, § 854 Rn. 3 sowie Mugdan III, S. 506. 688 S. für dieses Kriterium Palandt/Herrler, BGB, § 861 Rn. 4; s. ferner auch Staudinger/
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werden. Überzeugender erscheint es, in derartigen Konstellationen statt von einer Verschiebung der tatsächlichen Sachherrschaft an dem Parkplatz lediglich von einer in quantitativer Hinsicht besonders gravierenden Besitzstörung auszugehen.689 Dass es im Falle eines bloßen unberechtigten Falschparkens in der Sache nicht um eine Besitzentziehung, sondern um eine Besitzstörung geht, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass in solchen Fallgestaltungen keine He rausgabevollstreckung nach § 859 Abs. 3 BGB „durch Entsetzung des Täters“ notwendig ist, sondern lediglich eine Beseitigung der Besitzstörung durch Entfernung des falsch geparkten Fahrzeugs im Wege der Ersatzvornahme nach § 859 Abs. 1 BGB. Dementsprechend ist ein Vorgehen nach § 859 Abs. 3 BGB als das funktionale Pendant zu einer Herausgabevollstreckung nach § 885 ZPO zu verstehen, während die Regelung des § 859 Abs. 1 BGB in Abschleppkon stellationen das außerprozessuale Gegenstück zu einer Ermächtigung zur Selbstvornahme nach § 887 Abs. 1 ZPO darstellt.690 Nach hiesiger Auffassung ist in dem obigen Beispielsfall somit von einer bloßen Besitzstörung auszugehen, deren Beseitigung der Parkplatzbesitzer A gemäß § 862 Abs. 1 S. 1 BGB sowohl von dem verhaltensverantwortlichen Fahrzeugführer C als auch von dem zustandsverantwortlichen Fahrzeughalter E verlangen konnte (A → C/E: „Entferne das Auto!“). Damit korrespondiert, dass der Bürger A vorliegend grundsätzlich dazu berechtigt war, den ihm zustehenden Beseitigungsanspruch im Wege der Ersatzvornahme auf Grundlage von § 859 Abs. 1 BGB zu vollstrecken. Teilweise wird allerdings vorgeschlagen, in Abschleppkonstellationen das Sofortigkeitskriterium aus § 859 Abs. 3 BGB in entsprechender Anwendung auf die Regelung des § 859 Abs. 1 BGB zu übertragen.691 Für den obigen Beispielsfall würde das bedeuten, dass dem aus einem längeren Urlaub nach Hause kommenden Bürger A nicht mehr das Recht zugestanden hätte, das unberechtigt auf dem in seinem Besitz stehenden Stellplatz Gutzeit, BGB, § 858 Rn. 12; R. Weber, Sachenrecht I, § 6 Rn. 12; RGZ 67, 387, 389; AG Deggendorf DAR 1984, 227, 228. 689 Vgl. auch AG München, DAR 1981, 56: „[D]as Abstellen eines Fahrzeugs auf fremden Gelände [hat] eher den Charakter einer Besitzstörung als den einer Besitzentziehung […].“ 690 S. zu der vollstreckungsrechtlichen Unterscheidung zwischen der körperlichen Entfernung störender Personen nach § 885 ZPO und der Entfernung störender Gegenstände nach § 887 ZPO etwa OLG Celle NJW 1962, 595; s. speziell zur Entfernung von auf Grundstücken abgestellten Fahrzeugen im Wege der Vollstreckung nach § 887 ZPO etwa AG Pirna DGVZ 2010, 155; Schuschke, DGVZ 2010, 137, 140; Zöller/Stöber, ZPO, § 885 Rn. 15; MK/Gruber, ZPO, § 885 Rn. 11. 691 So etwa AG Bremen DAR 1984, 224 f.; AG Braunschweig NJW-RR 1986, 1414; Wieling, Sachenrecht, Bd. 1, § 5 III 2 c, S. 199; ders., Sachenrecht, § 5 III 2 c, S. 67; Paal/Guggenberger, NJW 2011, 1036, 1037; Schwarz/Ernst, NJW 1997, 2550; Neuner, Sachenrecht, Rn. 65 in Fn. 56; ebenso wohl Westermann/Eickmann/Gursky, Sachenrecht, § 22 Rn. 5.
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geparkte Auto im Wege der privaten Ersatzvornahme zu entfernen, weil das Auto bereits sieben Tage lang auf dem Parkplatz gestanden hat, sodass nach objektiven Maßstäben nicht mehr von einem „sofortigen“ Handeln im Sinne von § 859 Abs. 3 BGB ausgegangen werden könnte.692 Unter normativen Gesichtspunkten vermag die Übertragung der Sofortigkeitsschranke aus § 859 Abs. 3 BGB auf die vorliegende Fallgestaltung indessen nicht zu überzeugen. Denn das Sofortigkeitskriterium des § 859 Abs. 3 BGB ist spezifisch auf die Konstellation einer Herausgabevollstreckung „durch Entsetzung des Täters“ zugeschnitten, mit welcher typischerweise eine nicht unerhebliche Störung des „Rechtsfriedens“ einhergeht. In der vorliegenden Fallgestaltung geht es dagegen in der Sache um die Vollstreckung einer vertretbaren Handlung im Wege der Ersatzvornahme nach § 859 Abs. 1 BGB, durch welche der „Rechtsfrieden“ regelmäßig deutlich weniger beeinträchtigt wird. Deshalb erscheint eine Übertragung des Sofortigkeitskriteriums aus § 859 Abs. 3 BGB auf die hier in Rede stehende Abschleppkonstellation nicht sachgerecht.693 Vielmehr steht dem Anspruchsinhaber das Selbstvornahmerecht des § 859 Abs. 1 BGB grundsätzlich ohne zeitliche Schranke zur Verfügung.694 Einschränkungen können sich im Einzelfall allenfalls aus dem praxisgerecht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben695, der vorliegend jedoch ohne Weiteres gewahrt ist. Vor diesem Hintergrund hat der Bürger A das ihm zustehende Selbstvornahmerecht aus § 859 Abs. 1 BGB nach der hier vertretenen Ansicht auf rechtmäßige Weise ausgeübt, weshalb er die Abschleppkosten in Höhe von 150,– Euro sowohl von dem Fahrzeugführer C als auch von dem Fahrzeughalter E ersetzt verlangen kann (A → C/E: „Zahl mir 150,– Euro!“). Dabei ist der ihm zustehende Kostenerstattungsanspruch, wie oben gezeigt wurde696, in Parallele zu den §§ 887 Abs. 1, 788 Abs. 1, 91 ZPO als ungeschriebenen Annex zu dem Selbsthilferecht aus § 859 Abs. 1 BGB zu begreifen. Als kurzes Fazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass im Falle eines bloßen unberechtigten Falschparkens auf einem im fremden Besitz stehenden Parkplatz grundsätzlich nicht von einer Verschiebung der tatsächlichen S. zur Auslegung des Begriffs der Sofortigkeit etwa Westermann/Eickmann/Gursky, Sachenrecht, § 22 Rn. 7; Erman/A. Lorenz, BGB, § 859 Rn. 4; Koch, NZV 2010, 336, 338. 693 Vgl. auch MK/Joost, BGB, § 859 Rn. 5. 694 Ebenso etwa AG Deggendorf DAR 1984, 227, 228; AG München DAR 1981, 56; MK/ Joost, BGB, § 859 Rn. 5. – Wie oben unter § 3 D I, S. 202 bereits hervorgehoben wurde, scheidet ein Rückgriff auf das Selbstvornahmerecht aus § 859 Abs. 1 BGB aber dann aus, wenn der durchzusetzende Besitzschutzanspruch nach § 864 Abs. 1 BGB erloschen ist. 695 Vgl. zur Notwendigkeit der Vereinbarkeit der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen auf Grundlage von § 859 BGB mit dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch die Ausführungen oben sub § 3 D III 2 b, S. 211 ff. 696 S. dazu sub § 3 D III 2 c, S. 213 ff. 692
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Sachherrschaft an dem besetzten Parkplatz auszugehen ist, sondern lediglich von einer in quantitativer Hinsicht besonders gravierenden Besitzstörung. Damit korrespondiert, dass in so gelagerten Fallgestaltungen das Ersatzvornahmerecht aus § 859 Abs. 1 BGB zum Tragen kommt, das im Gegensatz zu der für Herausgabevollstreckungen geltenden Regelung des § 859 Abs. 3 BGB kein sofortiges Handeln verlangt, sondern lediglich dem allgemeinen Gebot von Treu und Glauben aus § 242 BGB unterworfen ist.
IV. Haftungsfragen Im Folgenden sollen einige der sich im Zusammenhang mit dem Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB stellenden Haftungsfragen näher ausgeleuchtet werden. Dabei wird das Augenmerk zunächst auf der haftungsrechtlichen Konstruktion im Falle eines Eingreifens von § 859 BGB in seiner Funktion als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht liegen (dazu 1.), bevor anschließend ausgewählte Haftungsfragen zu § 859 BGB in seiner Funktion als privatrechtliches Selbsthilferecht erörtert werden (dazu 2.). 1. Haftungsfragen zu § 859 BGB in seiner Funktion als Notgeschäftsführungsrecht a) Haftung für Fehlverhalten bei der Abwehr verbotener Eigenmacht Soweit das Recht zur Besitzwehr und -kehr in seiner Funktion als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers „für“ den Staat eingreift, gelten mit Blick auf die Haftung für ein Fehlverhalten des Bürgers im Rahmen von § 859 BGB die obigen Ausführungen zu den parallel gelagerten Problemstellungen bei § 127 Abs. 1 S. 1 StPO, bei §§ 227 BGB, 32 StGB und bei § 228 BGB in entsprechender Weise.697 Insoweit sind also auch im Rahmen von § 859 BGB in typologisch-kategorialer Hinsicht zwei Fallgruppen voneinander zu unterscheiden. So kann der Bürger A bzw. D das staatliche Vollstreckungsgeschäft gegen den Vollstreckungsgegner C nämlich zum einen unter Anwendung eines an sich zulässigen Zwangsmittels schlecht ausführen, sodass ein Handeln „in Schlecht ausübung“ eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG vorliegt698; und zum anderen ist es möglich, dass der Bürger A bzw. D zum Zwecke der Abwehr verbotener Eigenmacht zu einem in der gegebenen Sachlage seiner Art nach unzulässigen Zwangsmittel 697
S. dazu sub § 3 A IV 1, S. 47 ff., sub § 3 B IV 1, S. 154 ff. sowie sub § 3 C IV 2, S. 196. Ausführlich zu der haftungsrechtlichen Konstruktion in dieser Fallgestaltung oben sub § 3 A IV 1 a, S. 47 ff. sowie § 3 B IV 1 a, S. 155. 698
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greift, sodass er nicht mehr „in Ausübung“, sondern „in Überschreitung“ der ihm durch § 859 BGB verliehenen Vertretungsmacht agiert699. b) Haftung für risikotypische Begleitschäden Als Nächstes soll nun erörtert werden, wie sich die Haftung für risikotypische Begleitschäden darstellt, wenn die Regelung des § 859 BGB in ihrer Funktion als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers „für“ den Staat und damit als Jedermannsrecht700 zum Tragen kommt. Mit Blick auf den hilfsbereiten Dritten D, der bei Ausübung des Notgeschäftsführungsrechts aus § 859 BGB risikotypische Körper- und Sachschäden erleidet, gilt es insoweit zunächst zu sehen, dass die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII hier nicht direkt einschlägig ist, weil diese Vorschrift als flankierende Maßnahme zu dem Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zu verstehen ist.701 Weiter ist aber zu berücksichtigen, dass der Bürger D gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. a SGB VII als „Herangezogener“ in den Kreis der kraft Gesetzes unfallversicherten Personen einbezogen wäre, wenn ihn ein zufällig anwesender Polizist P qua Rechtsgeschäft in die Staatsaufgabenwahrnehmung einschalten würde. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es wertungsmäßig nicht überzeugt, dem hilfsbereiten Dritten D keinen Versicherungsschutz kraft Gesetzes zu gewähren, wenn er auf Grundlage des gesetzlichen Notgeschäftsführungsrechts aus § 859 BGB tätig wird, das gegenüber einer rechtsgeschäftlichen Einschaltung in die Staatsaufgabenwahrnehmung subsidiär ist und dementsprechend das funktionale Äquivalent zu einer rechtsgeschäftlichen Bestellung zum Verwaltungshelfer darstellt. Damit korrespondiert, dass dem Staat B als dem Geschäftsherrn nach dem Rechtsgedanken der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB das Haftungsrisiko für risikotypische Begleitschäden des auf Grundlage von § 859 BGB agierenden Notgeschäftsführers D zugewiesen ist. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII auf die hier in Rede stehende Fallgestaltung analog anzuwenden, was bedeutet, dass dem Notgeschäftsführer D unter den Voraussetzungen der §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII ein Anspruch auf Heilbehandlung und auf Ersatz von Sachschäden gegen den Unfallversicherungsträger U zusteht.702 Darüber hinaus kann der Bürger D auch den Besitzstörer bzw. 699
Näher zu der haftungsrechtlichen Konstruktion in dieser Fallgestaltung oben sub § 3 A IV 1 b, S. 51 ff. sowie sub § 3 B IV 1 b, S. 155 f. 700 Näher dazu sub § 3 D II, S. 207 f. sowie sub § 3 D III 1 a, S. 208 f. 701 S. zur Abgrenzung des Rechts zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB vom Notwehrrecht aus §§ 227, 32 StGB oben sub § 2 D I, S. 200 ff. 702 Anders liegen die Dinge allerdings, wenn ein „professioneller Nothelfer“ auf Grund lage von § 859 BGB für den Staat tätig wird (vgl. dazu auch die Ausführungen oben sub § 3 A IV 2, S. 55 sowie sub § 3 B IV 2 a, S. 159).
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-entzieher C bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wobei insoweit der Herausforderungsgedanke besondere Bedeutung als Zurechnungskriterium erlangen kann.703 Soweit der Inhaber A eines Besitzschutzanspruchs aus §§ 861, 862 BGB auf Grundlage des § 859 BGB als gesetzlicher Vollstreckungshelfer des Staates B tätig wird und dabei risikotypische Begleitschäden erleidet, scheidet eine Analogie zu § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII dagegen aus. Zwar wird auch der Anspruchsinhaber A bei formal-konstruktionsorientierter Betrachtungsweise als Notgeschäftsführer „für“ den Staat B als den Geschäftsherrn tätig. Bei materiell-interessenorientierter Betrachtungsweise dient die Ausübung des Notgeschäftsführungsrechts aus § 859 BGB jedoch seinem eigenen Vorteil, weshalb ihm zugemutet werden kann, das Schadensrisiko seiner Notgeschäftsführung selbst zu tragen.704 Anders gewendet bedeutet das, dass der allgemeine Rechtsgedanke der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB in dieser Konstellation durch gegenläufige Erwägungen überlagert ist.705 Allerdings kann der Bürger A natürlich unter den Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB den Besitzstörer bzw. -entzieher C auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.706 2. Haftungsfragen zu § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht a) Haftung für Fehlverhalten bei der Abwehr verbotener Eigenmacht aa) Haftung bei Schlechtausführung einer Selbsthilfemaßnahme Im Folgenden soll die haftungsrechtliche Konstruktion im Falle einer Schlecht ausführung einer auf Grundlage von § 859 BGB vorgenommenen Selbsthilfemaßnahme genauer in den Blick genommen werden. Zur Veranschaulichung der Problemstellung soll dabei die Konstellation dienen, dass der Halter C sein Auto im Wege verbotener Eigenmacht (§ 858 BGB) auf einem von dem Bürger A gemieteten Grundstück mit mehreren Parkplätzen abstellt, woraufhin der Grundstücksbesitzer A fünfzehn Minuten später den Abschleppunternehmer D mit der Entfernung des Autos beauftragt, welcher das Auto bei dem zeitnah erfolgenden Abschleppvorgang aus leichter Unachtsamkeit am Kotflügel beschä703
Vgl. dazu auch oben sub § 3 B IV 2 b, S. 161. Aus Gründen der Systemstimmigkeit muss dieser Gedanke auch im Rahmen von § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. a SGB VII Berücksichtigung finden, was bedeutet, dass eine teleologische Reduktion dieser Vorschrift angezeigt ist, soweit der Inhaber einer Besitzschutzanspruchs aus §§ 861, 862 BGB bei Vorliegen der Grundsituation des § 859 BGB als „Herangezogener“ eine staatliche Vollstreckungsmaßnahme unterstützt, die in erster Linie der Durchsetzung seines Besitzschutzanspruchs dient. 705 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben sub § 3 B IV 2 b, S. 159 ff. 706 Vgl. oben sub § 3 B IV 2 b, S. 157 f. mit Fn. 498. 704
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digt. Kann der Halter C nun wegen der Beschädigung seines Autos von dem Grundstücksbesitzer A und dem Abschleppunternehmer D Schadensersatz verlangen? In dieser Fallgestaltung kommt als Erstes ein Schadensersatzanspruch des Bürgers C gegen den Bürger A aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist zunächst, dass zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung ein Schuldverhältnis zwischen dem Bürger A und dem Bürger C vorlag. Aus dem Gedanken einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag des Bürgers A „für“ den Bürger C lässt sich vorliegend jedoch kein derartiges Schuldverhältnis herleiten.707 Zwar war der Bürger C hier als Zustands- und Verhaltensverantwortlicher zur Entfernung seines Autos von dem Besitz des Bürgers C verpflichtet. Allerdings fehlte es auf Seiten des Bürgers C am Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens, weil er bei normativer Betrachtungsweise keineswegs ein Geschäft des Bürgers A besorgen wollte. Vielmehr zielte sein Wille unter juristischen Gesichtspunkten allein darauf, sich in Ausübung seines Selbsthilferechts aus § 859 Abs. 1 BGB selbst zu helfen. Dementsprechend wollte der Selbsthelfer A vorliegend nicht (auch) „für“ den Störer C als den Geschäftsherrn handeln, sondern ausschließlich „für“ sich selbst.708 Mit der Beauftragung des Abschleppunternehmers D durch den Selbsthilfeberechtigten A ist jedoch gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB ein gesetzliches Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zwischen dem Bürger A und dem Bürger C entstanden.709 Denn in der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen durch den Selbsthilfeberechtigten A ist ein „geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu sehen, der den anderen in § 311 Abs. 2 BGB geregelten Fällen deshalb „ähnlich“ ist, weil dem Selbsthelfer A durch das Selbsthilferecht aus § 859 Abs. 1 BGB die Möglichkeit zur Einwirkung auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vollstreckungsgegners C gewährt wird.710 Dementsprechend bestand vorliegend zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses zwischen dem Selbsthilfeberechtigen A und dem Selbsthilfegegner C ein den Anforderungen des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB genügendes Schuldverhältnis (A–C). Zwar hat der Selbsthelfer A vorliegend durch eigenes Verhalten keine ihm gegenüber dem Selbsthilfegegner C obliegende Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Allerdings muss er sich nach dem Rechtsgedanken des § 278 Abs. 1 Alt. 2 BGB die schädigende Handlung des Abschleppunterneh707
S. für die Gegenauffassung die Nachweise auf S. 216 in Fn. 674. Vgl. dazu bereits oben sub § 3 D III 2 c, S. 216 f. 709 Vgl. zur Parallelproblematik im öffentlichen Recht etwa Würtenberger, DAR 1983, 155, 160. 710 S. dazu bereits oben sub § 3 D III 2 b, S. 212. 708
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mers D zurechnen lassen, weil er diesen als Erfüllungsgehilfen in die Erfüllung der ihm gegenüber dem Bürger C obliegenden Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB einbezogen hat.711 Dementsprechend hat der Abschleppunternehmer C hier als „verlängerter Arm“ des Selbsthelfers A als des Geschäftsherrn agiert, was bedeutet, dass der Abschleppunternehmer C das Nutzungsrecht „aus“ dem Monopolrecht des Staates B „an“ dem Recht zum physischen Zwang nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Bürgers A ausgeübt hat. Demgegenüber hat der Selbsthelfer A das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang auf Grundlage von § 859 Abs. 1 BGB im eigenen Namen ausgeübt, wozu er sich des Abschleppunternehmers D als eines Werkzeuges bedient hat. Deshalb ist der Selbsthelfer A für die rechtliche Betrachtung so zu behandeln, als hätte er die den Selbsthilfegegner C schädigende Handlung mit eigener Hand vorgenommen, was wiederum impliziert, dass der Bürger A hier eine ihm dem Bürger C gegenüber obliegende Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB verletzt hat. Diese Pflichtverletzung hat der Selbsthelfer A vorliegend auch gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten. Denn gemäß § 276 Abs. 1 S. 1 BGB hat er für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen, wobei er sich das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen D gemäß § 278 S. 1 Alt. 2 BGB zurechnen lassen muss, welcher hier aus leichter Unachtsamkeit das Auto des Bürgers C beschädigte und damit fahrlässig im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB handelte. Dementsprechend ist der Selbsthelfer A so zu behandeln, als fiele ihm mit Blick auf die pflichtwidrige Handlung selbst Fahrlässigkeit zur Last. Daher steht dem Bürger C hier gegen den Bürger A aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Autos bei der Durchführung der privaten Ersatzvornahme zu. Dagegen hat der Bürger C gegen den Bürger A keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB, weil auf deliktischer Ebene eine Zurechnung des Verhaltens und Verschuldens von Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 S. 1 Alt. 2 BGB (analog) nach allgemeiner Auffassung nicht in Betracht kommt, sodass es insoweit an einer unerlaubten Handlung des Selbsthelfers A fehlt. Demgegenüber kann der Selbsthilfegegner C von dem Abschleppunternehmer D nicht aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB Schadensersatz verlangen, weil es bereits an dem erforderlichen Schuldverhältnis zwischen dem Bürger C und dem Bürger D fehlt. Dabei scheidet insbesondere die Herleitung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses aus dem Gedanken einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag des Abschleppunternehmers D „für“ den Zustandsverantwort lichen C aus, weil dem Abschleppunternehmer D jedenfalls der erforderliche 711 Vgl. dazu auch Palandt/Grüneberg, BGB, Vor § 241 Rn. 4 sowie BeckOGK/Herres thal, BGB, Stand: 01.01.2017, § 311 Rn. 328.
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Fremdgeschäftsführungswille fehlte.712 So zielte der Wille des Abschleppunternehmers D nämlich bei normativer Betrachtungsweise keineswegs (auch) darauf, dem Zustandsverantwortlichen C bei der Erfüllung von dessen Beseitigungspflicht zu helfen. Bei lebensnaher Betrachtungsweise wollte der Abschlepp unternehmer vielmehr allein seine gegenüber dem Bürger A eingegangene Verpflichtung erfüllen und diesem bei der Ausübung von dessen Selbsthilferecht aus § 859 BGB helfen.713 Dementsprechend handelte der Bürger D nicht „für“ den Bürger C, sondern „für“ den Bürger A. Darüber hinaus ist hier auch nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB kein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Abschleppunternehmer D und dem Vollstreckungsgegner C zustande gekommen, weil es insoweit an dem Vorliegen eines „geschäftlichen Kontaktes“ im Sinne dieser Vorschrift fehlt. Denn der Bürger D agierte vorliegend, wie soeben näher dargelegt wurde, als „verlängerter Arm“ des Bürgers A, was bedeutet, dass die Beziehung zwischen dem Erfüllungsgehilfen D und dem Selbsthilfegegner C über den Selbsthilfeberechtigten A als Zwischenperson vermittelt ist (D–A–C), womit wiederum korrespondiert, dass der Bürger C und der Bürger D in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung für die rechtliche Betrachtung nicht in „geschäftlichen Kontakt“ miteinander getreten sind.714 Allerdings steht dem Bürger C gegen den Abschleppunternehmer D ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu, weil der Abschleppunternehmer D rechtswidrig und schuldhaft das Auto des Bürgers C beschädigt hat. Dementsprechend haften der Selbsthelfer A und der Abschleppunternehmer D dem Bürger C vorliegend als Gesamtschuldner im Sinne von § 421 BGB auf Schadensersatz. Dabei kann sich der Selbsthelfer A im Innenverhältnis A–D bei dem Abschleppunternehmer D schadlos halten, weil dieser ihm wegen der Schlecht ausführung des Vollstreckungsgeschäfts aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist. Als Fazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass im Falle einer Schlechtausführung einer auf Grundlage von § 859 BGB durchgeführten Selbst hilfemaßnahme eine Haftung des Selbsthelfers A gegenüber dem Selbsthilfegegner C aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht kommt, weil durch die Ein leitung von Selbsthilfemaßnahmen ein Vollstreckungsverhältnis zwischen dem Selbsthelfer A und dem Selbsthilfegegner C entsteht, das als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist. Das impliziert, dass der Selbsthelfer A gegenüber dem Selbsthilfegegner C gemäß Zutreffend S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1028. Vgl. auch S. Lorenz, NJW 2009, 1025, 1028. 714 Vgl. zur Parallelproblematik im öffentlichen Recht etwa Gusy, POR, Rn. 4 43; vgl. ferner auch Peine, DÖV 1997, 353, 357 f. 712 713
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§ 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen verpflichtet ist, wobei er sich nach den zu § 278 S. 1 BGB entwickelten Grundsätzen sowohl das Fehlverhalten als auch das Verschulden seiner Hilfspersonen zurechnen lassen muss. Daneben können dem geschädigten Selbsthilfegegner C auch deliktische Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 ff. BGB gegen die an der Durchführung der Selbsthilfemaßnahme beteiligten Personen zustehen. bb) Haftung bei Verwendung eines unzulässigen Zwangsmittels Vor diesem Hintergrund soll nun der Frage nachgegangen werden, wie sich die Haftung im Falle der Verwendung eines unzulässigen Zwangsmittels im Rahmen von § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht darstellt. Zu denken ist insoweit etwa an die Konstellation, dass sich der Fahrzeughalter C auf die Aufforderung des Grundstücksbesitzers A hin weigert, sein falsch geparktes Auto von dessen Besitz zu entfernen, woraufhin ihm der mit Selbsthilfewillen handelnde Grundstücksbesitzer A einige „motivierende“ Faustschläge gegen den Oberkörper versetzt, wodurch der Fahrzeughalter C einen Rippenbruch erleidet, den er nach der eigenhändigen Entfernung seines Autos von dem Besitz des Bürgers A im Krankenhaus behandeln lässt. Kann der Bürger C in dieser Konstellation Schadensersatz von dem Bürger A verlangen? In Betracht kommt hier zunächst ein Anspruch des Bürgers C gegen den Bürger A aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB, weil mit der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen, wie soeben gezeigt wurde715, ein Vollstreckungsverhältnis zwischen dem Selbsthelfer A und dem Selbsthilfegegner C entsteht, das als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist und den Selbsthelfer A gegenüber dem Selbsthilfegegner C nach § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen verpflichtet. Dabei steht es der Annahme einer solchen Sonderverbindung auch nicht entgegen, dass der Selbsthilfeberechtigte A sodann die normativen Grenzen seines Selbsthilferechts aus § 859 Abs. 1 BGB überschreitet, indem er auf ein in der konkreten Sachlage seiner Art nach unzulässiges Zwangsmittel zurückgreift. So liegen die Dinge hier, weil der Einsatz von körperlicher Gewalt gegen den Falschparker C in der vorliegenden Fallgestaltung nach dem auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht als geboten erscheint. Vielmehr war dem Grundstücksbesitzer A in der hier in Rede stehenden Konstellation zuzumuten, seinen Besitzschutzanspruch aus § 862 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme durch Einschaltung eines Abschleppunternehmens durchzusetzen. Dementsprechend hat der Grundstücksbesitzer A vorliegend die ihn gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffende Pflicht zur 715
S. oben sub § 3 D III 2 b, S. 212 sowie sub § 3 D IV 2 a aa, S. 225.
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Rücksichtnahme auf die Interessen des Fahrzeughalters C dadurch verletzt, dass er ein in der konkreten Situation seiner Art nach unzulässiges Zwangsmittel einsetzte und dem Bürger C so einen Rippenbruch zufügte. Darüber hinaus hat der Bürger A die Pflichtverletzung auch nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten, weil vorliegend keine Umstände ersichtlich sind, welche die gesetzliche Vermutung für ein Vertretenmüssen widerlegen könnten. Daneben haftet der Bürger A hier dem Bürger C auch aus den §§ 823 ff. BGB auf Schadensersatz.716 Als kurzes Fazit ist festzuhalten, dass bei Anwendung eines unzulässigen Zwangsmittels im Rahmen von § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht Schadensersatzansprüche des Geschädigten aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB und aus den §§ 823 ff. BGB in Betracht kommen. b) Haftung für risikotypische Begleitschäden Als Nächstes soll das Augenmerk auf der Frage liegen, wie sich die Haftung für risikotypische Begleitschäden darstellt, wenn die Regelung des § 859 BGB in ihrer Funktion als Selbsthilferecht zum Tragen kommt. Insoweit ist zunächst zu sehen, dass in diesen Konstellationen weder dem Selbsthelfer A noch seinem Gehilfen D Ansprüche gegen den Unfallversicherungsträger U aus §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII zustehen. Insbesondere scheidet auch mit Blick auf den hilfsbereiten Dritten D eine Analogie zu § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII aus, weil es in den hier in Rede stehenden Selbsthilfekonstellationen an einem Tätigwerden im Allgemeininteresse fehlt. Auch steht weder dem Selbsthelfer A noch dem ihn unterstützenden Dritten D ein Anspruch auf Ersatz risikotypischer Begleitschäden aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB gegen den Störer C zu. Denn der Selbsthelfer wird ebenso wenig wie der ihn unterstützende Dritte D „für“ den Störer C als den Geschäftsherrn tätig. Vielmehr handelt der Gehilfe D „für“ der Selbsthelfer A, der wiederum „für“ sich selbst handelt. Allerdings kommen natürlich Ansprüche des Selbsthelfers A und des ihn unterstützenden Dritten D aus den §§ 823 ff. BGB gegen den Störer C in Betracht, wobei der Herausforderungsgedanke in diesem Rahmen besondere Bedeutung als Zurechnungskriterium erlangen kann. Darüber hinaus kann auch der Selbsthilfeberechtigte A gegenüber dem ihn unterstützenden Dritten D nach den allgemeinen Grundsätzen (beispielsweise nach § 670 BGB) zum Ersatz risikotypischer Begleitschäden verpflichtet sein.
716 Eine Schadensersatzhaftung aus § 231 BGB in entsprechender Anwendung kommt im Falle eines exzessiven Handeln des Selbsthelfers im Rahmen von § 859 BGB dagegen nicht in Betracht, weil die systemwidrige Ausnahmevorschrift des § 231 BGB einer Analogie nicht zugänglich ist (näher dazu unten sub § 3 G IV 2, S. 268 ff.).
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V. Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle zu § 859 BGB festgehalten werden, dass diese gesetzliche Regelung bei funktionaler Betrachtungsweise als rechtstechnisches Instrument zur Durchsetzung von possessorischen Besitzschutzansprüchen aus §§ 861, 862 BGB dient. Dabei erfüllt § 859 BGB wegen des partiell subsidiären Charakters des Rechts zur Besitzwehr und -kehr im heutigen Rechtssystem eine Doppelfunktion. So ist § 859 BGB nämlich als Selbsthilferecht einzustufen, soweit der Besitzschutz übende Bürger zum Tätigwerden in eigener Zuständigkeit berechtigt ist. Dagegen ist § 859 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat zu rekonstruieren, soweit der Besitzschutz übende Bürger bei funktionaler Betrachtungsweise staatliche Zuständigkeiten wahrnimmt. Dabei gelten die hier aufgestellten Grundsätze in entsprechender Weise für die Durchsetzung der Ansprüche des Rechtsbesitzers aus §§ 1029, 861, 862 BGB auf Grundlage von §§ 1029, 859 BGB.
E. Das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB Im Folgenden soll der Blick dem Recht des Eigentümers zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB zugewendet werden. Diese Regelung ist nach allgemeiner Auffassung „nicht in dem Sinne subsidiär“, dass sie „die Unmöglichkeit zeitiger obrigkeitlicher Hülfe voraussetzte“717. Dementsprechend wird dem Eigentümer durch diese Regelung auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes ein Selbsthilferecht eingeräumt. Das bedeutet, dass der Staat dem Bürger durch die gesetzliche Regelung des § 910 BGB das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen einräumt. Abzulehnen ist dagegen die verbreitete These, dass das Selbsthilferecht des § 910 BGB „aus dem Inhalt des Eigentums“ folge.718 Denn die aus dem Eigentum abgeleiteten Rechte berechtigen den Eigentümer nicht dazu, gegen den (präsumtiven) Willen eines Störers mit physischer Gewalt auf dessen Sachen einzuwirken. Bei genauer Betrachtungsweise ist das Recht aus § 910 BGB daher nicht als Konkretisierung des Eigentumsinhalts zu verstehen. Vielmehr handelt es sich bei dieser 717 Kuhlenbeck, Selbsthülfe, S. 77; s. auch BeckOGK/Rövekamp, BGB, Stand: 01.04.2017, § 229 Rn. 71. 718 So aber Saenger, Selbsterfüllung, S. 84; in diesem Sinne auch Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 1, 6; MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 1, 16; Erman/A. Lorenz, BGB, § 910 Rn. 1; Palandt/Herrler, BGB, § 910 Rn. 1; Planck/Strecker, BGB, § 910 Anm. 2.
E. Das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB
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Regelung um ein vollstreckungsrechtliches Instrument zur Verwirklichung des Eigentumsinhalts. Denn bei funktionaler Betrachtungsweise dient diese Vorschrift, wie sogleich näher dargelegt werden soll, zur Durchsetzung von negatorischen Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme. Gezeigt werden soll weiter, wie sich die Voraussetzungen für das Eingreifen des Selbstvollstreckungsrechts dogmatisch rekonstruieren lassen, bevor schließlich die Konsequenzen der hiesigen Rekonzeptualisierung des § 910 BGB für die Kostenerstattung herausgearbeitet werden.
I. § 910 BGB als Instrument zur Durchsetzung von Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB Die zutreffende herrschende Meinung geht davon aus, dass das Selbsthilferecht aus § 910 BGB neben einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB tritt, weshalb die beiden Rechtsbehelfe dem gestörten Grundstückseigentümer im Sinne einer echten Rechtsschutzkonkurrenz wahlweise zur Verfügung stehen.719 Oder wie Picker es ausdrückt: „[Das Selbsthilferecht steht] dem Betroffenen zu Gebote, wenn er bereit ist, Hand an die fremde Sache zu legen; es hindert ihn aber nicht, auf der Beseitigung durch den Gegner zu beharren, wenn er den eigenhändigen Eingriff in das fremde Eigentum lieber vermeiden will.“720 Aus juristisch-konstruktiver Perspektive handelt es sich bei dem Beseitigungsanspruch und dem Selbsthilferecht indessen keineswegs um zwei gänzlich voneinander unabhängige Instrumente zur Eigentumsverteidigung.721 Vielmehr dient das Selbsthilferecht aus § 910 BGB bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise zur Durchsetzung des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme, was bedeutet, dass das Selbsthilferecht im Sinne einer rechtslogischen Stufenfolge an das Bestehen eines negatorischen Beseitigungsanspruchs anknüpft.722 So hebt denn auch Saenger treffend hervor, dass das Selbsthilferecht aus § 910 BGB „der Durchsetzung eines 719 BGH NJW 2004, 603, 604; BGHZ 60, 235, 241 ff.; Picker, JuS 1974, 357, 361, Gursky, JZ 1992, 312, 313; Roth, JZ 1998, 94; Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 2; MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 19; Palandt/Herrler, BGB, § 910 Rn. 1; Erman/A. Lorenz, BGB, § 910 Rn. 2; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 910 Rn. 12; Jauernig/Berger, BGB, § 910 Rn. 1; s. für die Gegenauffassung etwa Canaris, FS Medicus, S. 53 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 86 II 3 c, S. 680 f.; Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3089; Wieling, Sachenrecht, § 23 II 5 d, S. 357 mit Fn. 101; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 1393. 720 Picker, JuS 1974, 357, 361 (Hervorhebung im Original). 721 So aber etwa Picker, JuS 1974, 357, 361. 722 In diese Richtung auch Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 3, 27; Lüke, in: Grziwotz/ Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 402; BeckOGK/Vollkommer, BGB, Stand: 01.03.2017, § 910 Rn. 31; Saenger, Selbsterfüllung, S. 84.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
auf die Vornahme einer vertretbaren Handlung gerichteten Anspruchs“ diene, weil dem durch den Überhang gestörten Grundstückseigentümer aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ein „Beseitigungsanspruch gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks“ zustehe, soweit er nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung des Überhangs verpflichtet sei.723 Im gleichen Sinne betont auch Roth, dass es bei der Selbstbeseitigung nach § 910 BGB in der Sache um eine „Ersatzvornahme in bezug auf den bestehenden Beseitigungsanspruch“ gehe.724 So gesehen, stellt das Selbstvornahmerecht des § 910 BGB für die von dieser Regelung erfassten Konstellationen das außerprozessuale Pendant zu einer Ermächtigung zur Selbstvornahme nach § 887 Abs. 1 ZPO dar, wobei das Selbsthilferecht im Gegensatz zu der vollstreckungsrechtlichen Regelung nicht an das Vorliegen eines vollstreckbaren Titels anknüpft, sondern allein an das Vorliegen eines durchsetzbaren Anspruchs im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB.725 Dementsprechend ist der Anspruchsinhaber nicht gezwungen, sich durch ein staatliches Rechtsprechungsorgan zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang nach § 887 Abs. 1 ZPO ermächtigen zu lassen. Vielmehr wird ihm die entsprechende Ermächtigung durch die gesetzliche Regelung des § 910 BGB eingeräumt, wodurch ihm eine schnelle Störungsbeseitigung ohne einen Vollstreckungstitel ermöglicht wird.726 Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Regelung des § 910 BGB also als Instrument zur Durchsetzung von Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme zu verstehen, weshalb dem durch den Überhang gestörten Grundstückseigentümer im Ausgangspunkt ein Beseitigungsanspruch gegen seinen Nachbarn zustehen muss.727 Dabei lässt sich die Entstehung eines Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB auch nicht mit dem Argument ablehnen, dass es sich bei dem Hinüberwachsen der Wurzeln oder Zweige in das Nachbargrundstück um einen Naturvorgang hanSaenger, Selbsterfüllung, S. 84. Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 3; in diesem Sinne auch BeckOGK/Vollkommer, BGB, Stand: 01.03.2017, § 910 Rn. 31 („Beseitigung der Störung im Wege der Ersatzvornahme“) sowie Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 402. 725 Vgl. zum Zusammenhang zwischen der vollstreckungsrechtlichen Regelung des § 887 ZPO und den zivilrechtlichen Selbstvornahmerechten etwa MK/Gruber, ZPO, § 887 Rn. 1 sowie Stamm, Grundstrukturen, S. 466 f. 726 Vgl. OLGZ 1991, 448, 449; vgl. ferner auch Soergel/J. F. Baur, BGB, § 910 Rn. 8: „Das vom Gesetz ausdrücklich eingeräumte Selbsthilferecht soll den Gestörten besser stellen im Sinne einer Beschleunigung der Störungsbeseitigung. Sein Gebrauch ist unter dem Aspekt der Prozessökonomie und Kostenbegrenzung sinnvoll (das Erwirken eines Titels und dessen Vollstreckung kostet Zeit und Geld und beschwert somit auch den Störer) und kann darum nicht als ‚rechtspolitisch unerwünschte‘ Selbstvollstreckung angesehen werden […].“ 727 Vgl. auch Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 27. 723
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E. Das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB
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delt.728 Vielmehr hat der Eigentümer eines Grundstücks „nach dem in § 903 BGB enthaltenen Grundgedanken“ dafür Sorge zu tragen, dass Wurzeln und Zweige nicht über die Grenzen seines Grundstücks hinauswachsen.729 Dementsprechend ist die Störereigenschaft des Nachbarn unter dem Gesichtspunkt der Zustandshaftung zu bejahen, wenn er einer ihn treffenden Beseitigungspflicht mit Blick auf Überhang nicht nachkommt.730 Hervorzuheben ist allerdings, dass die Regelung des § 1004 BGB gleichsam im Lichte von § 910 Abs. 2 BGB auszulegen ist.731 Damit ist gemeint, dass eine Pflicht zur Beseitigung der hinüberwachsenden Wurzeln oder Zweige nicht besteht, soweit die Benutzung des Nachbargrundstücks durch den Überhang nicht beeinträchtigt wird. Vielmehr hat der Grundstückseigentümer den Überhang in so gelagerten Fallgestaltungen gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. Vor diesem Hintergrund lautet die exakte normlogische Struktur in den hier in Rede stehenden Konstellationen: (1) Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks des A durch Überhang vom Grundstück des C; (2) Beseitigungspflicht des C; (3) Nichterfüllung der Beseitigungspflicht durch C; (4) Erwachen eines negatorischen Beseitigungsanspruchs des A gegen C aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB; (5) Entstehung eines Selbsthilferechts des A aus § 910 BGB unter den dort normierten Voraussetzungen (näher dazu sogleich).
II. Die Voraussetzungen des Selbstvornahmerechts aus § 910 BGB Als Nächstes soll herausgearbeitet werden, wie sich die Voraussetzungen für das Eingreifen des Selbstvornahmerechts aus § 910 BGB auf Grundlage der hiesigen Konzeption dogmatisch rekonstruieren lassen. Dabei soll das Augenmerk zunächst auf dem Recht zum Abschneiden von eindringenden Wurzeln aus § 910 Abs. 1 S. 1 BGB liegen. Anschließend wird das Recht zum Abschneiden von herüberragenden Zweigen aus § 910 Abs. 1 S. 2 BGB näher in den Blick genommen. 1. Das Selbstvornahmerecht des § 910 Abs. 1 S. 1 BGB Gemäß § 910 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die von einem Nachbargrundstück eingedrungenen Wurzeln eines Baumes oder Strauches abschneiden und behalten, wobei ihm dieses Recht gemäß § 910 Abs. 2 728 In diesem Sinne aber etwa Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3089 sowie Wilhelm, JZ 2004, 629 f. 729 BGH NJW 2004, 603, 604; ebenso etwa KG NJW 2008, 3148; Saenger, Selbsterfüllung, S. 84 f.; Roth, JZ 1998, 94; Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 3. 730 Vgl. BGH NJW 2004, 603, 604; KG NJW 2008, 3148; Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 3. 731 Vgl. etwa BGH NJW 2004, 603, 604; BGHZ 157, 33, 39; KG NJW 2008, 3148; Gursky, JZ 1992, 312, 313; MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 19; Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 2.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
BGB nicht zusteht, wenn die Wurzeln die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. Wie bereits ausgeführt, ist dieses Selbsthilferecht im heutigen Rechtsschutzsystem als Instrument zur Durchsetzung von Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme zu verstehen, was bedeutet, dass das in § 910 Abs. 1 S. 1 BGB geregelte Selbstvornahmerecht im Sinne einer rechtslogischen Stufenfolge an das Vorliegen eines negatorischen Beseitigungsanspruchs anknüpft.732 Im Ausgangspunkt muss dem gestörten Grundstückseigentümer daher ein Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gegen den Wurzeleigentümer733 zustehen, wobei ein solcher Beseitigungsanspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 910 BGB ohne Weiteres gegeben ist.734 So hebt denn auch der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung zu dem Selbstvornahmerecht aus § 910 Abs. 1 S. 1 BGB hervor: „[Von dem Ansatz der jüngeren Rechtsprechung aus] ist die Störereigenschaft des Eigentümers eines Baums, dessen Wurzeln in das Nachbargrundstück hinüberwachsen, problemlos zu bejahen. Denn nach dem in § 903 BGB enthaltenen Grundgedanken, der in der Spezialregelung des § 910 BGB eine besondere Ausprägung gefunden hat, muss der Eigentümer dafür Sorge tragen, dass die Baumwurzeln nicht über die Grenzen seines Grundstücks hinauswachsen.“735
Wie oben bereits dargelegt wurde, besteht die Pflicht des Wurzeleigentümers zur Wurzelbeseitigung jedoch nur, wenn die Wurzeln die Benutzung des Grundstücks des Nachbarn beeinträchtigen (vgl. § 1004 Abs. 2 BGB i. V. m. § 910 Abs. 2 BGB).736 Ist dies der Fall, dann steht dem gestörten Grundstückseigen tümer A ein negatorischer Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gegen den Wurzeleigentümer C zu, sodass er den Zustandsverantwortlichen C in rechtserheblicher Weise auf die Beseitigung der Wurzeln „ansprechen“ kann (A → C: „Beseitige die Wurzeln!“). Darüber hinaus wird ihm durch das Selbstvornahmerecht des § 910 Abs. 1 S. 1 BGB aber auch die Möglichkeit zur Durchsetzung des Beseitigungsanspruchs im Wege der privaten Ersatzvornahme eingeräumt.737 Anders als bei § 910 Abs. 1 S. 2 BGB ist der gestörte Grundstückseigentümer im Rahmen von § 910 Abs. 1 S. 1 BGB auch nicht gehalten, dem 732 Vgl. auch Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 27; Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 402; BeckOGK/Vollkommer, BGB, Stand: 01.03.2017, § 910 Rn. 31. 733 Vgl. zur Zuordnung des Eigentums an den in das Nachbargrundstück eingedrungenen Wurzeln etwa Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 373. 734 Vgl. auch Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 27. 735 BGH NJW 2004, 603, 604; ebenso KG NJW 2008, 3148; kritisch dazu Wilhelm, JZ 2004, 629 f.; ders., Sachenrecht, Rn. 1393. 736 Vgl. etwa BGH NJW 2004, 603, 604; BGHZ 157, 33, 39; KG NJW 2008, 3148; Gursky, JZ 1992, 312, 313; MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 19; Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 2. 737 In diese Richtung auch Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 3, 27; BeckOGK/Vollkom-
E. Das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB
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Zustandsverantwortlichen zunächst eine angemessene Frist zur Störungsbeseitigung zu setzen.738 Vielmehr kann er grundsätzlich sogleich die eingedrungenen Wurzeln kappen. Dabei ist der Verzicht auf ein Fristsetzungserfordernis sachlich vor allem dadurch gerechtfertigt, dass sich eine durch eingedrungene Wurzeln hervorgerufene Eigentumsbeeinträchtigung vielfach erst durch das Aufgraben des Bodens oder andere Erforschungsmaßnahmen ermitteln lassen wird.739 Denn damit korrespondiert, dass sich der Gestörte in den von § 910 Abs. 1 S. 2 BGB erfassten Fallgestaltungen in der Regel zunächst selbst auf die Suche nach der Störungsquelle machen muss. Entdeckt er sodann die Störungsursache, dann ist das Fortführen der begonnenen Arbeiten durch sein Interesse an einer zügigen Störungsbeseitigung gerechtfertigt.740 In den von § 910 Abs. 1 S. 2 BGB erfassten Sachlagen liegen die Dinge dagegen anders, weil herüberragende Zweige als Störungsursache üblicherweise leichter auszumachen sind, sodass aufwendige Erforschungsmaßnahmen insoweit regelmäßig nicht notwendig sein werden. Allerdings kann der Selbsthilfeberechtigte im Rahmen von § 910 Abs. 1 S. 1 BGB nach dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in besonderen Einzelfällen dazu verpflichtet sein, seinen Nachbarn von dem Abschneiden der Wurzeln zu unterrichten, damit dieser die ihm notwendig erscheinenden Schutzmaßnahmen ergreifen kann.741 Hervorzuheben ist weiter, dass der Selbsthelfer bei der Durchführung der Ersatzvornahme in subjektiver Hinsicht mit Selbsthilfewillen agieren muss. Dabei entsteht durch die Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen auf Grundlage von § 910 BGB ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis zwischen dem Selbsthilfeberechtigten A und dem Selbsthilfegegner C (A–C), welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist und den Selbsthelfer gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners verpflichtet.742 Danach ist der Selbsthilfeberechtigte insbesondere dazu verpflichtet, das Selbsthilmer, BGB, Stand: 01.03.2017, § 910 Rn. 31; Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 402. 738 Vgl. etwa MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 4; Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 10; Soergel/J. F. Baur, BGB, § 910 Rn. 1; für ein Fristsetzungserfordernis im Rahmen von § 910 Abs. 1 S. 1 BGB aber noch Ortloff, ArchBürgR 17 (1900), 234, 277 f. 739 Vgl. BGH NJW 2004, 603, 604. 740 BGH NJW 2004, 603, 604. 741 Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 10; Erman/A. Lorenz, BGB, § 910 Rn. 4; Bamberger/ Roth/Fritzsche, BGB, § 910 Rn. 3; Palandt/Herrler, BGB, § 910 Rn. 2; Soergel/J. F. Baur, BGB, § 910 Rn. 4. 742 Insoweit gelten die obigen Ausführungen sub § 3 D III 2 b, S. 212 f. zu § 859 BGB in seiner Funktion als privatrechtliches Selbsthilferecht im Rahmen von § 910 BGB in entsprechender Weise.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
ferecht schonend und nicht zur Unzeit auszuüben, damit die fremden Pflanzen nicht über das notwendige Maß hinaus beeinträchtigt werden.743 An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass das Recht zum Abschneiden von Wurzeln aus § 910 Abs. 1 S. 1 BGB bei funktionsbezogener Betrachtungsweise als Instrument zur Durchsetzung von negatorischen Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme dient, wobei eine vorherige Fristsetzung im Rahmen von § 910 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich entbehrlich ist. Weiter ist festzuhalten, dass der Selbsthelfer bei der Durchführung der Ersatzvornahme in subjektiver Hinsicht mit Selbsthilfewillen und in objektiver Hinsicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 242 BGB unter Rücksichtnahme auf die Belange des Selbsthilfegegners agieren muss. 2. Das Selbstvornahmerecht des § 910 Abs. 1 S. 2 BGB Gemäß § 910 Abs. 1 S. 2 BGB kann ein Grundstückseigentümer von einem Nachbargrundstück herüberragende Zweige abschneiden und behalten, wobei ihm das Selbsthilferecht gemäß § 910 Abs. 2 BGB nicht zusteht, soweit die Grundstücksbenutzung durch die herüberragenden Zweige nicht beeinträchtigt wird. Wie bereits dargelegt744, handelt es sich auch bei dieser Regelung aus funktional-teleologischer Perspektive um ein Instrument zur Durchsetzung von negatorischen Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme. Deshalb gelten die obigen Ausführungen zu § 910 Abs. 1 S. 1 BGB insoweit in entsprechender Weise.745 Anders als im Rahmen von § 910 Abs. 1 S. 1 BGB steht dem gestörten Grundstückseigentümer das Selbstvornahmerecht aus § 910 Abs. 1 S. 2 BGB aber erst zu, nachdem er dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Störungsbeseitigung gesetzt hat und diese erfolglos abgelaufen ist.746 Dementsprechend lautet die exakte normlogische Struktur im Falle des § 910 Abs. 1 S. 2 BGB folgendermaßen: (1) Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks des A durch herüberragende Zweige vom Grundstück des C; (2) Beseitigungspflicht des C; (3) Nichterfüllung der Beseitigungspflicht durch C; (4) Entstehung eines negatorischen Beseitigungsanspruchs des A gegen C aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB; (5) Setzung einer angemessenen Frist zur Störungsbeseitigung durch A gegenüber
Vgl. Wieling, Sachenrecht, § 23 II 5 d, S. 357. S. dazu sub § 3 E I, S. 231 ff. 745 S. dazu sub § 3 E II 1, S. 233 ff. 746 Näher zu den Modalitäten der Fristsetzung etwa BeckOGK/Vollkommer, BGB, Stand: 15.08.2016, § 910 Rn. 11 ff.; MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 5 f.; Soergel/J. F. Baur, BGB, § 910 Rn. 44; RGRK/Augustin, BGB, § 910 Rn. 9 f. 743
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E. Das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB
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dem Besitzer des Nachbargrundstücks747; (6) ergebnisloser Fristablauf; (7) Entstehung eines Selbsthilferechts des A aus § 910 Abs. 1 S. 2 BGB.
III. Die Erstattung der Selbstvornahmekosten Vor diesem Hintergrund soll der Blick nun der Frage nach dem Kostenersatz für eine auf Grundlage von § 910 Abs. 1 BGB durchgeführte Selbsthilfemaßnahme zuwendet werden. Die herrschende Meinung gewährt dem Selbsthelfer gegen den Zustandsverantwortlichen einen Kostenerstattungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB, was damit begründet wird, dass der Zustandsverantwortliche durch die Störungsbeseitigung von einer ihn treffenden Verbindlichkeit befreit worden sei und dementsprechend Wertersatz für die ersparten Aufwendungen zu leisten habe.748 Insoweit geht es also „nicht um den Ersatz von Kosten, die dem betroffenen Grundstückseigentümer durch die Ausübung seines Selbsthilferechts entstanden sind, sondern um den Ersatz der Kosten, die der Störer für die Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung hätte aufwenden müssen“749. Zwar ist ein Rückgriff auf § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB in den von § 910 BGB erfassten Konstellationen zwangslos möglich.750 Führt man sich aber vor Augen, dass dem gestörten Grundstückseigentümer durch § 910 BGB das Recht eingeräumt wird, den ihm gegen den Störer zustehenden Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme durchzusetzen, dann erscheint es darüber hinaus als geboten, dem Selbsthelfer auch einen Anspruch auf Ersatz der Kosten zuzubilligen, die ihm durch die Ausübung des Selbsthilferechts entstanden sind. Dabei steht der Annahme eines Anspruchs auf Erstattung der notwendigen Selbsthilfeaufwendungen auch nicht die vollstreckungsrechtliche Regelung des § 887 ZPO entgegen.751 Im Gegenteil wird durch die Anerkennung eines solchen Kostenerstattungsanspruchs gerade dem Umstand Rechnung getragen, dass 747 Vgl. MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 5; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, § 910 Rn. 5; BeckOGK/Vollkommer, BGB, Stand: 01.03.2017, § 910 Rn. 11 ff.; vgl. aber auch Staudinger/ Roth, BGB, § 910 Rn. 15, der in bestimmten Fallgestaltungen eine zusätzliche Fristsetzung gegenüber dem Eigentümer des Nachbargrundstücks verlangt. 748 S. etwa BGH NJW 2004, 603, 604; BGHZ 97, 231, 234; BGHZ 106, 142, 143; KG NJW 2008, 3148, 3149 f.; Staudinger/Roth, BGB, § 910 Rn. 3, 27; MK/Brückner, BGB, § 910 Rn. 20; Erman/A. Lorenz, BGB, § 910 Rn. 8; Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 401; Soergel/J. F. Baur, BGB, § 910 Rn. 8; Palandt/Herrler, BGB, § 910 Rn. 4. 749 BGH NJW 2004, 603, 604. 750 S. für die Gegenauffassung etwa Picker, JuS 1974, 357, 361 f., Gursky, NJW 1971, 782, 784 ff.; dens. JZ 1992, 313 ff.; Wieling, Sachenrecht, § 23 II 5 d, S. 357. 751 Vgl. aber Gursky, NJW 1971, 782 , 785 f.; dens., JZ 1992, 312, 314; Staudinger/Gursky, BGB, § 1004 Rn. 159.
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§ 910 BGB bei funktionaler Betrachtungsweise das außerprozessuale Pendant zu einer Ermächtigung zur Selbstvornahme nach § 887 ZPO darstellt, weil der Anspruchsinhaber durch die gesetzliche Regelung des § 910 BGB im Sinne einer schnellen Störungsbeseitigung von staatlicher Seite dazu ermächtigt wird, einen nicht titulierten Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB selbst zu vollstrecken.752 Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, dem auf Grundlage von § 910 BGB tätig werdenden Selbsthelfer in Parallele zu den §§ 887 Abs. 1, 788 Abs. 1, 91 ZPO einen materiellrechtlichen Anspruch auf Erstattung der notwendigen Selbsthilfeaufwendungen zu gewähren. Im gleichen Sinne hebt etwa auch Bergmann hervor, dass ein Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Selbsthilfeaufwendungen als ungeschriebener Annex zu dem Selbsthilferecht aus § 910 BGB zu begreifen sei, weshalb der Selbsthelfer die ihm durch die rechtmäßige Ausübung des Selbsthilferechts entstandenen Kosten bei dem Selbsthilfegegner liquidieren könne.753 Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Kostenerstattungsanspruch des auf Grundlage von § 910 BGB tätig werdenden Selbsthelfers also nicht auf die Ersparnisbereicherung auf Seiten des Zustandsstörers beschränkt. Vielmehr kann der Selbsthelfer auch die ihm tatsächlich bei der Ersatzvornahme angefallenen Kosten von dem Zustandsverantwortlichen ersetzt verlangen, soweit die Aufwendungen nach objektiven Maßstäben erforderlich waren. Dabei steht der Annahme eines solchen Anspruchs auch nicht das in § 910 Abs. 1 BGB statuierte Aneignungsrecht des Selbsthelfers mit Blick auf das Schnittgut entgegen. Denn das Aneignungsrecht kann unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Lastenverteilung nur schwerlich als angemessene Kompensation für die durchgeführten Arbeiten angesehen werden.754 Allenfalls kann der Wert des Schnitt752
Vgl. zum Normzweck des § 887 ZPO etwa MK/Gruber, ZPO, § 887 Rn. 1: „§ 887 [ZPO] dient der unmittelbaren Durchsetzbarkeit von Ansprüchen auf Vornahme vertretbarer Handlungen. Dem Gläubiger [wird] die Ersatzvornahme der Handlung durch einen Dritten auf Kosten des Schuldners ermöglicht. […] Im wirtschaftlichen Ergebnis führt die Vollstreckung nach § 887 [ZPO] im Wesentlichen zu dem, was sich auf der Ebene des materiellen Rechts mit einem Selbstvornahmerecht des Gläubigers […] erreichen lässt […].“ Vgl. auch BeckOK/ Stürner, ZPO, § 887 Rn. 1: „[§ 887 ZPO] regelt die Vollstreckung von Titeln, die eine Verpflichtung zur Vornahme von vertretbaren Handlungen enthalten […]. Die Vollstreckung erfolgt dadurch, dass der Gläubiger selbst oder ein von ihm beauftragter Dritter die titulierte Handlung auf Kosten des Schuldners vornimmt (Abs. 1). Es handelt sich also um ein prozess rechtlich ausgestaltetes Selbstvornahmerecht.“ (Hervorhebung im Original.) Vgl. zur funk tionalen Rolle des § 887 ZPO ferner auch Stamm, Grundstrukturen, S. 466 f. sowie Paulus, Zivilprozessrecht, Rn. 889 ff. 753 Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 374; ebenso Staudinger/Bergmann, BGB, Vor §§ 677 ff. Rn. 293. 754 Zutreffend Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 402; s. auch MK/Säcker, BGB, 6. Aufl. 2013, § 910 Rn. 12.
E. Das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 BGB
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guts nach dem Gedanken der Vorteilsausgleichung auf die Kostenerstattungsforderung angerechnet werden.755 Schließlich ist an dieser Stelle noch hervorzuheben, dass die Konstruktion eines Aufwendungsersatzanspruchs des Selbsthelfers nach den Grundsätzen einer auftragslosen Geschäftsführung (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB) jedenfalls deshalb nicht in Betracht kommt, weil das Vorliegen eines Selbsthilfewillens das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens ausschließt. Bei normativer Betrachtungsweise hat der Selbsthelfer also gerade nicht den Willen, dem Störer bei der Erfüllung von dessen Verbindlichkeiten zu helfen; sein Wille zielt vielmehr darauf, sich selbst zu helfen.756 Damit korrespondiert, dass der Zustandsverantwortliche durch die Selbsthilfemaßnahme nicht durch Erfüllung, sondern durch Unmöglichkeit wegen Zweckerreichung gemäß § 275 Abs. 1 BGB von seiner Beseitigungspflicht befreit wird.757
IV. Haftungsfragen Mit Blick auf die sich im Rahmen von § 910 BGB stellenden Haftungsfragen gelten die obigen Ausführungen zu § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht in analoger Weise.758 Das bedeutet insbesondere, dass im Falle einer Schlechtausführung einer auf Grundlage von § 910 BGB durchgeführten Selbsthilfemaßnahme Schadensersatzansprüche des Selbsthilfegegners C aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB gegen den Selbsthelfer A in Betracht kommen, weil durch die Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis zwischen dem Selbsthelfer A und dem Selbsthilfegegner C (A–C) entsteht, welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist und den Selbsthelfer A gegenüber dem Selbsthilfegegner C gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen verpflichtet.759 Das impliziert, dass sich der Selbsthelfer im Rahmen von § 910 BGB das Fehlverhalten und Verschulden seiner Hilfspersonen nach den zu § 278 S. 1 BGB entwickelten Grundsätzen zurechnen lassen muss.760 Daneben können dem geschädigten Selbsthilfegegner C auch deliktiEbenso Lüke, in: Grziwotz/Lüke/Saller, Nachbarrecht, 2. Teil, Rn. 402. Vgl. auch Bergmann, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 178: „In den Fällen […] der Selbsthilfe wird der ‚Geschäftsführer‘ ausschließlich für sich und zum Schutze seiner eigenen Interessen tätig, aber keinesfalls für den Störer.“ Vgl. ferner auch Saenger, Selbsterfüllung, S. 64. 757 In diesem Sinne auch Gursky, NJW 1971, 782 , 784; vgl. ferner auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 109 f., 132. 758 S. dazu sub § 3 D IV 2, S. 224 ff. 759 S. dazu auch oben sub § 3 E II 1, S. 235 f. 760 Näher dazu sub § 3 D IV 2 a aa, S. 224 ff. 755
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sche Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 ff. BGB gegen die an der Durchführung der Selbsthilfemaßnahme beteiligten Personen zustehen.
V. Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Regelung des § 910 BGB als Instrument zur Durchsetzung von negatorischen Beseitigungsansprüchen aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der privaten Ersatzvornahme zu verstehen ist. Deshalb erscheint es angemessen, den Kostenerstattungsanspruch des Selbsthelfers nicht auf die Ersparnisbereicherung des Störers zu beschränken. Vielmehr ist ein Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Selbsthilfeaufwendungen als ungeschriebener Annex des Selbsthilferechts aus § 910 BGB zu begreifen. Dogmatisch-konstruktiv lässt sich dieses Ergebnis mit einer Parallele zu den §§ 887 Abs. 1, 788 Abs. 1, 91 ZPO begründen, weil das Selbstvornahmerecht aus § 910 BGB bei funktional-telelogischer Betrachtungsweise das außerprozessuale Pendant zu einer Ermächtigung zur Selbstvornahme nach § 887 ZPO darstellt.
F. Das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB Als Nächstes soll das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB näher beleuchtet werden. Diese Vorschrift wird von nicht wenigen Stimmen in der juristischen Literatur äußerst kritisch betrachtet. So hebt etwa Emmerich hervor, dass diese Vorschrift „einen sachlich durch nichts zu rechtfertigenden Fremdkörper in unserer Rechtsordnung“ darstelle, weshalb § 562b Abs. 1 BGB „betont restriktiv zu interpretieren“ sei.761 Im gleichen Sinne stellt auch Blank heraus, dass die in § 562b Abs. 1 BGB getroffene Regelung aus heutiger Sicht „als überholt angesehen werden“ müsse.762 Darüber hinaus hat Voelskow diese Regelung gar als „Schandfleck“ im heutigen Rechtsschutzsystem bezeichnet.763 Vor dem Hintergrund dieser rechtspolitischen Kritik besteht das Ziel der folgenden Ausführungen darin, das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB so zu rekonzeptualisieren, dass es gerade nicht als „Fremdkörper in unserer Rechtsordnung“ erscheint, sondern sich harmonisch in die normativen Strukturen des geltenden Rechtsschutzsystems inte761
Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 1. Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 1. 763 MK/Voelskow, BGB, 3. Aufl. 1995, § 561 Rn. 2. 762
F. Das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB
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griert. Dabei wird das Augenmerk zunächst auf der Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB liegen (dazu I.), bevor anschließend die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 2 BGB näher in den Blick genommen wird (dazu II.).
I. Die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB Durch die gesetzliche Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB wird dem Vermieter das Recht eingeräumt, die Entfernung von Sachen, die seinem Pfandrecht unterliegen, auch ohne Anrufen des Gerichts zu verhindern, soweit er berechtigt ist, der Entfernung zu widersprechen. Dementsprechend dient die Vorschrift des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise der faktischen Durchsetzung des Widerspruchsrechts des Vermieters.764 Bei Lichte besehen, ist das Widerspruchsrecht des Vermieters allerdings nichts anderes als das ihm in den von § 562b Abs. 1 S. 1 BGB erfassten Sachlagen zustehende Anspruchsrecht aus §§ 1257, 1227, 1004 Abs. 1 BGB765 bzw. aus §§ 1257, 1227, 985 BGB766, womit zugleich gesagt ist, dass die Entfernung der pfandrechtsbelasteten Sachen gegen den (mutmaßlichen) Willen des Vermieters unter juristischen Gesichtspunkten als Angriff auf sein Pfandrecht „an“ den eingebrachten Sachen des Mieters zu qualifizieren ist.767 So hebt denn auch Hellmann treffend hervor: „Unternimmt es der Mieter oder ein anderer, pfandrechtsbelastete Gegenstände aus der Wohnung zu verbringen, liegt darin ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf das Vermieterpfandrecht.“768 Vor 764
Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 5; Bamberger/Roth/Ehlers, BGB, § 562b Rn. 7; Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 5. 765 Vgl. auch Herrlein/Kandelhard/Herrlein, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 3: „Da neben dem Selbsthilferecht auch der pfandrechtliche Unterlassungsanspruch nach §§ 1227, 1257, 1004 Abs. 1 [BGB] steht, kann der Vermieter wahlweise die Entfernung auch mit einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung verhindern.“ Vgl. ferner auch Blank/Börstinghaus/ Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 5: „Der Widerspruch dient der Verhinderung der Wegschaffung. Der Vermieter kann […] den Widerspruch im Wege der Unterlassungsklage geltend machen […].“ (Hervorhebung hinzugefügt.) 766 Die Durchsetzung eines Herausgabeanspruchs aus §§ 1257, 1227, 985 BGB kommt im Rahmen von § 562 Abs. 1 S. 1 BGB vor allem dann in Betracht, wenn ein Dritter das Pfandrecht des Vermieters dadurch beeinträchtigt, dass er sich mit der in Besitz genommenen Pfandsache vom Grundstück entfernt (vgl. dazu auch Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 2). 767 Vgl. auch Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 3: „Wird ein dem Pfand recht unterliegender Gegenstand widerrechtlich aus der Mietsache entfernt, so hat der Vermieter folgerichtig einen Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1, 1227, 1257 BGB.“ Vgl. ferner auch Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 5; Katzenstein/Hüftle, MDR 2005, 1027, 1029 f.; OLG Stuttgart NJW-RR 1997, 521. 768 Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 134.
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diesem Hintergrund korreliert die Geltendmachung des Widerspruchsrechts mit der Geltendmachung eines negatorischen Abwehranspruchs durch den Vermieter A gegen den Verhaltensstörer C (A → C: „Hiermit widerspreche ich der Entfernung der Pfandsache von dem Grundstück!“ = „Beende den Angriff auf mein Pfandrecht!“).769 Das aber bedeutet, dass die dogmatischen Strukturen des Abwehranspruchs mit denen des Widerspruchsrechts zu synchronisieren sind. Dementsprechend ist das Bestehen eines negatorischen Abwehranspruchs insbesondere dann abzulehnen, wenn die in § 536a S. 2 BGB geregelten Ausschlusstatbestände eingreifen770, wenn das Vermieterpfandrecht gemäß § 562c S. 1 BGB nicht geltend gemacht werden kann771 oder wenn es gemäß § 562c S. 2 BGB erloschen ist772. Funktional gesehen, dient die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB somit als Instrument zur Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen aus §§ 1257, 1227, 1004 Abs. 1, 985 BGB, weshalb das Recht des Vermieters zur Sicherung des Vermieterpfandrechts bei genauer Betrachtungsweise als eine Spezialregelung zu dem Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB zu verstehen ist.773 Denn das Notwehrrecht stellt, wie oben gezeigt wurde774, das allgemeine Instrument zur Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB (analog) und § 985 BGB dar. Damit korrespondiert, dass ein Rückgriff auf die §§ 227 BGB, 32 StGB gemäß dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ ausscheidet, soweit es in der Sache um die Durchsetzung der dem 769 Vgl. auch BeckOK/Dötsch, Mietrecht, § 562a BGB Rn. 30: „Widerspruch meint die Kundgabe eines der Entfernung entgegenstehenden Willens.“ Vgl. ferner auch Blank/ Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 5. 770 Näher dazu etwa Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562a BGB Rn. 11 ff.; Bamberger/ Roth/Ehlert, BGB, § 562a Rn. 8 ff.; NK/Riecke, BGB, § 562a Rn. 9 ff.; BeckOGK/Reuschle, BGB, Stand: 01.04.2017, § 562a Rn. 7 ff. 771 Zutreffend zu den Rechtsfolgen einer Sicherheitsleistung nach § 562c S. 1 BGB etwa Soergel/Heintzmann, BGB, § 562c Rn. 1 sowie Schmidt-Futterer/Lammel, BGB, § 562c Rn. 10; abweichend etwa Staudinger/Emmerich, BGB, § 562c Rn. 4 sowie MK/Artz, BGB, § 562c Rn. 4. 772 Die Rechtsfolge einer Sicherheitsleistung nach § 562b Abs. 1 S. 2 BGB ist nach allgemeiner Auffassung das Erlöschen des Vermieterpfandrechts an der befreiten Sache (s. nur Soergel/Heintzmann, BGB, § 562c Rn. 2; Schmidt-Futterer/Lammel, BGB, § 562c Rn. 14; Staudinger/Emmerich, BGB, § 562c Rn. 4; MK/Artz, BGB, § 562c Rn. 4; BeckOK/Dötsch, Mietrecht, § 562c BGB Rn. 12). 773 Vgl. auch Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 133: „Fall der Notwehr“. – Die herrschende Meinung problematisiert dagegen üblicherweise nur das Verhältnis von § 562b Abs. 1 S. 1 BGB zu den §§ 229, 230 BGB (s. nur Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 4; Schmidt-Futterer/Lammel, BGB, § 562c Rn. 3; Lützenkirchen/Dickersbach, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 23; Sternel, Mietrecht, Rn. III 268; Katzenstein/Hüftle, MDR 2005, 1027, 1029). 774 S. dazu sub § 3 B I, S. 57 ff.
F. Das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB
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Schutz des Vermieterpfandrechts dienenden Abwehransprüchen geht, weil insoweit die spezielle Regelung des § 562 Abs. 1 S. 1 BGB einschlägig ist.775 Darüber hinaus scheidet im Anwendungsbereich des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB aus Spezialitätsgründen auch ein Rückgriff auf die Regelung der §§ 229, 230 BGB aus.776 Damit ist indessen noch nicht darüber entschieden, ob die Regelung in § 562b Abs. 1 S. 1 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers „für“ den Staat oder als Selbsthilferecht zu verstehen ist. Wie oben dargelegt wurde777, kommt es auf Grundlage der hiesigen Konzeption insoweit entscheidend darauf an, ob der Bürger in einer von § 562b Abs.1 S. 1 BGB erfassten Sachlage bei funktionsbezogener Betrachtungsweise als Ersatzmann an die Stelle der an sich vorrangig zum Handeln berufenen, aber zufällig abwesenden Amtswalter des Staates tritt (dann: subsidiäres Notrecht) oder nicht (dann: Selbsthilferecht). Dabei gilt es zunächst zu sehen, dass der Vermieter in den von § 562b Abs. 1 S. 1 BGB erfassten Sachlagen zwar „auch ohne Anrufen des Gerichts“ tätig werden darf. Dagegen gibt die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB keine Auskunft darüber, inwieweit der Vermieter in den von dieser Vorschrift erfassten Konstellationen auch zum Tätigwerden ohne Anrufen der Polizei berechtigt ist. Vor diesem Hintergrund ist nach hiesiger Auffassung auch an dieser Stelle auf den allgemeinen Grundsatz778 zurückzugreifen, dass von dem Bürger eine Anrufung der staatlichen Vollstreckungsorgane erwartet wird, soweit ihm ein Vollstreckungsanspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme zusteht.779 Anders gewendet bedeutet das, dass § 562b Abs. 1 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers „für“ den Polizeiträger B zu verstehen ist, soweit dem Vermieter A auf die Vornahme der konkret in Rede stehende Vollstreckungsmaßnahme ein VollstreckungsanAnders Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 134. Näher zur Auffangfunktion der §§ 229, 230 BGB unten sub § 3 G III, S. 260 ff. 777 S. dazu sub § 2 C, S. 14 ff. 778 Vgl. zum „Vorrang institutionalisierter Konfliktlösungsmechanismen“ auch Pawlik, Notstand, S. 218 ff. (s. für das Zitat a. a. O., S. 130 in Fn. 7); dens., GA 2003, 12, 21 mit Fn. 28; Lesch, Notwehrrecht, S. 61 ff.; W. B. Schünemann, DAR 1997, 267, 270; Hoffmann-Riem, ZRP 1977, 277, 281; Arzt, FS Schaffstein, S. 84 ff.; Werner, Gewaltmonopol, S. 14 f. 779 Die herrschende Meinung geht indessen in ungenauer Lesart des Gesetzeswortlauts („auch ohne Anrufen des Gerichts“) davon aus, dass das Recht des Vermieters aus § 562b Abs. 1 S. 1 BGB im Verhältnis zu staatlicher Hilfe generell nicht subsidiär sei (s. etwa Schmidt-Futterer/Lammel, BGB, § 562b Rn. 3; Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 4; MK/Artz, BGB, § 562b Rn. 1; Herrlein/Kandelhard/Herrlein, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 3; Sternel, Mietrecht, Rn. III 268; Katzenstein/Hüftle, MDR 2005, 1027, 1029; Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 133; Oestmann, KritV 2003, 96, 101). – Bedenken gegen die herrschende Lesart der Subsidiaritätsklausel des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB hat bereits W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 149 f. mit Fn. 4 angemeldet. 775
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spruch gegen den Polizeiträger B an die Hand gegeben ist und die Geltendmachung des Anspruchs bei normativer Betrachtungsweise dem Willen des Vermieters entspricht (A → B: „Vollstrecke!“), weil dann für die juristische Kon struktion von dem Vorliegen eines polizeilichen Vollstreckungsgeschäfts ausgegangen werden kann. Zwar ist in den Randbereichen wenig geklärt, in welchen Konstellationen dem Vermieter A in den von § 562b Abs. 1 S. 1 BGB erfassten Sachlagen ein Vollstreckungsanspruch gegen den Polizeiträger B zusteht. Jedenfalls soweit es in der Sache um die Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen geht, die typischerweise eine Einwirkung auf den Körper des Angreifers C einschließen, wird man das Bestehen eines Vollstreckungsanspruchs gegen den Polizeiträger B aber nur schwerlich ablehnen können. Dabei spricht für die Existenz eines staatsgerichteten Vollstreckungsanspruchs in solchen Konstellationen nicht z uletzt auch das erhebliche Eskalationspotential derartiger Zwangsmaßnahmen.780 Dementsprechend wäre ein zufällig anwesender Polizist P in so gelagerten Fallgestaltungen gehalten, dem zur Vornahme der Vollstreckungshandlung verpflichteten Polizeiträger B dabei zu helfen, eine (fiktive) Polizeiverfügung (B → C: „Beende den Angriff!“) gegen den Angreifer C zu vollstrecken (P → B → C). Daraus folgt, dass die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB in derartigen Konstellationen bei funktionsbezogener Betrachtungsweise als Ausprägung der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ zu verstehen ist. Damit korrespondiert wiederum, dass ein bei normativer Betrachtungsweise mit Notgeschäftsführungswillen agierender Bürger A bzw. D in solchen Fallgestaltungen dem Polizeiträger B als dessen „verlängerter Arm“ bei dem Vollzug einer (fiktiven) Verfügung (B → C) gegen den Angreifer C hilft, weshalb die physische Kraft für die juristische Konstruktion übers Eck fließt (A/D → B → C), sodass im Verhältnis zu dem Angreifer C in der Welt des Rechts allein das Vollstreckungsorgan des Polizeiträgers B in Erscheinung tritt (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Vor diesem Hintergrund gelten die obigen Ausführungen zum Ob und Wie einer Notgeschäftsführung auf Grundlage von §§ 227 BGB, 32 StGB im Rahmen von § 562b Abs. 1 S. 1 BGB in seiner Funktion als subsidiäres Notrecht in entsprechender Weise.781 In dogmatisch-konstruktiver Hinsicht bedeutet das, dass die Gebotenheitsklausel aus §§ 227 BGB, 32 StGB in die Vorschrift des § 562 Abs. 1 S. 1 BGB hineinzulesen ist, soweit diese Regelung als Notvertretungsrecht des Bürgers „für“ den Staat fungiert. Vgl. dazu etwa Arzt, FS Kleinknecht, S. 12; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 1; Duchstein, JuS 2015, 105. 781 S. dazu sub § 3 B II 2 und 3, S. 86 ff. 780
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Soweit es im Rahmen von § 562 Abs. 1 S. 1 BGB dagegen nicht um die Ausübung von unmittelbaren Zwang gegen Rechtspersonen geht, wird dem Vermieter häufig kein Vollstreckungsanspruch gegen den Polizeiträger zustehen, weshalb die Regelung des § 562 Abs. 1 S. 1 BGB insoweit als Selbsthilferecht zu verstehen ist. So werden die Dinge beispielsweise liegen, wenn sich eine dem Schutz des Vermieterpfandrechts dienende Vollstreckungsmaßnahme in dem Versperren der vermieteten Räume erschöpft.782 In so gelagerten Fallgestaltungen ist der Vermieter A dementsprechend zum Tätigwerden „auf eigene Faust“783 berechtigt, wobei die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahme freilich mit dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Einklang stehen muss. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Vermieter A grundsätzlich zunächst auf die wörtliche Geltendmachung seines Anspruchs- bzw. Widerspruchsrechts gegenüber dem Verhaltensstörer C beschränken muss (A → C: „Hiermit widerspreche ich der Entfernung der Pfandsache von dem Grundstück!“ = „Beende den Angriff auf mein Pfandrecht!“).784 Darüber hinaus muss der Selbsthelfer in sub jektiver Hinsicht mit Selbsthilfewillen agieren.785 Weiter gilt es zu sehen, dass durch die Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen durch den Selbsthelfer A ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis zu dem Selbsthilfegegner C entsteht (A–C), welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB anzusehen ist.786 Dementsprechend ist der Selbsthelfer A gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners C verpflichtet, wobei insbesondere auch der „auf Treu und Glauben beruhende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“787 von ihm zu wahren ist.788 Hervorzuheben ist ferner, dass dem auf Grundlage von § 562b 782 S. zu dieser Fallgestaltung etwa OLG Koblenz, NJW-RR 2005, 1174 f.; OLG Karlsruhe NZM 2005, 542; Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 9; MK/Artz, BGB, § 562b Rn. 1; Erman/Lützenkirch, BGB, § 562b Rn. 2; NK/Riecke, BGB, § 562b Rn. 16; Lützenkirchen/ Dickersbach, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 9; Palandt/Weidenkaff, BGB, § 562b Rn. 6; Sternel, Mietrecht, Rn. III 269. 783 Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 9. 784 S. zum Erfordernis eines vorangehenden wörtlichen Widerspruchs im Falle einer Wegschaffung der Pfandsache durch den Mieter etwa OLG Karlsruhe NZM 2005, 542; Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 9; MK/Artz, BGB, § 562b Rn. 1; NK/Riecke, BGB, § 562b Rn. 8; Lützenkirchen/Dickersbach, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 9; Palandt/Weidenkaff, BGB, § 562b Rn. 6. 785 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben sub § 3 D III 2 b, S. 211 ff. 786 Näher dazu oben sub § 3 D III 2 b, S. 212. 787 BGHZ 181, 233 Rn. 16. 788 Vgl. zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen von § 562b Abs. 1 S. 1 BGB etwa Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Abs. 1 S. 1 BGB Rn. 4, 9; Soergel/Heintzmann, BGB, § 562b Rn. 1; Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 12; SchmidtFutterer/Lammel, BGB, § 562b Rn. 3; Erman/Lützenkirch, BGB, § 562b Rn. 2; NK/Riecke,
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Abs. 1 S. 1 agierenden Selbsthelfer in Parallele zu den §§ 788 Abs. 1, 91 ZPO ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Selbsthilfekosten gegen den Selbsthilfegegner zusteht, der als ungeschriebener Annex zu dem Selbsthilferecht aus § 562b Abs. 1 BGB zu begreifen ist.789 An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 1 BGB als rechtstechnisches Instrument zur zwangsweisen Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen aus §§ 1257, 1227, 1004 Abs. 1, 985 BGB gegen Verhaltensstörer dient, wobei § 562b Abs. 1 S. 1 BGB gemäß der Maxime „lex specialis derogat legi generali“ als vorrangige Spezialregelung zu den §§ 227 BGB, 32 StGB und den §§ 229, 230 BGB zu verstehen ist. Festzuhalten ist weiter, dass § 562b Abs. 1 S. 1 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers „für“ den Staat fungiert, soweit dem Vermieter in den von dieser Vorschrift erfassten Sachlagen ein Vollstreckungsanspruch gegen den Polizeiträger auf Durchführung der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme zusteht. Soweit dies nicht der Fall ist, dient § 562b Abs. 1 S. 1 BGB dagegen als Selbsthilferecht.
II. Die Regelung des § 562b Abs. 1 S. 2 BGB Durch die gesetzliche Regelung des § 562b Abs. 1 S. 2 BGB wird dem Vermieter das Recht verliehen, die seinem Pfandrecht unterliegenden Sachen im Falle eines Auszugs des Mieters in Besitz zu nehmen. Bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise dient diese Vorschrift somit zur Durchsetzung eines Anspruchs des Vermieters auf Überlassung des Besitzes an der Pfandsache zu Verwahrungszwecken.790 Dementsprechend setzt § 562b Abs. 1 S. 2 BGB in juristisch-konstruktiver Hinsicht voraus, dass dem Vermieter im Auszugsfall ein Anspruch auf Übergabe der Pfandsache zum Zwecke der Verwahrung an die Hand gegeben ist. Soweit sich die konkret in Rede stehende Vollstreckungsmaßnahme in der Inbesitznahme der Pfandsache erschöpft, wird man dabei kaum von einem entsprechenden Vollstreckungsanspruch des Vermieters A gegen den Polizeiträger B ausgehen können, weshalb § 562b Abs. 1 S. 2 BGB insoweit BGB, § 562b Rn. 16; Herrlein/Kandelhard/Herrlein, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 5; Lützenkirchen/Dickersbach, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 9; Sternel, Mietrecht, Rn. III 269; OLG Karlsruhe NZM 2005, 542. 789 Insoweit gelten die obigen Ausführungen sub § 3 D III 2 c, S. 213 ff. zu § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht in entsprechender Weise. 790 Vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, § 562b Rn. 6: „Der Vermieter kann [im Auszugsfall] die Übergabe [der Pfandsache] vom Mieter verlangen […].“ Ebenso NK/Riecke, BGB, § 562b Rn. 8; vgl. auch Blank/Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 7: „Das Besitznahmerecht kann im Wege der Herausgabeklage – auch durch einstweilige Verfügung – oder durch Selbsthilfe nach § 562b Abs. 1 Satz 2 BGB verwirklicht werden.“
F. Das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB
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– entsprechend zu den soeben für § 562b Abs. 1 S. 1 BGB dargelegten Grundsätzen – als Selbsthilferecht zu verstehen ist. Das heißt, dass dem Vermieter durch § 562b Abs. 1 S. 2 BGB das Dürfen und Können eingeräumt wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem Monopolrecht des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen Namen zum Zwecke der Durchsetzung des Besitzverschaffungsanspruchs auszuüben. Hervorzuheben ist weiter, dass der Vermieter unter Wahrung des auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgehen muss. Das bedeutet insbesondere, dass vor einer Wegnahme der Pfandsache durch den Vermieter A grundsätzlich die wörtliche Geltendmachung des Übergabeverlangens gegenüber dem Anspruchs gegner C geboten ist (A → C: „Übergib mir die Sache zum Zwecke der Verwahrung!“).791 Darüber hinaus muss der Selbsthelfer A in subjektiver Hinsicht mit Selbsthilfewillen handeln, wobei durch die Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis (A–C) zu dem Selbsthilfegegner C entsteht, das als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB anzusehen ist und dementsprechend den Selbsthelfer A gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners C verpflichtet. Darüber hinaus steht dem Selbsthelfer A in Parallele zu den §§ 788 Abs. 1, 91 ZPO als ungeschriebener Annex zu dem Selbsthilferecht aus § 562b Abs. 1 S. 2 BGB ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Selbsthilfekosten gegen den Selbsthilfegegner C zu.792 Weiter gilt es zu sehen, dass der Vermieter nach der Inbesitznahme der Pfandsache die Rechtsstellung eines Faustpfandgläubigers einnimmt, weshalb er nunmehr gemäß § 1215 BGB zur Verwahrung des Pfandgegenstandes verpflichtet ist.793
III. Haftungsfragen Mit Blick auf die sich im Rahmen von § 562b Abs. 1 BGB stellenden Haftungsfragen gelten die obigen Ausführungen zu dem Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB in analoger Weise.794 Dementsprechend ist auch mit Blick auf das Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts aus § 562b Abs. 1 BGB un791
Vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, § 562b Rn. 6 sowie NK/Riecke, BGB, § 562b Rn. 16. Insoweit gelten die obigen Ausführungen sub § 3 D III 2 c, S. 213 ff. zu § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht in entsprechender Weise. 793 Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 11; Soergel/Heintzmann, BGB, § 562b Rn. 2; Schmidt-Futterer/Lammel, BGB, § 562b Rn. 19 f.; MK/Artz, BGB, § 562b Rn. 7; Blank/ Börstinghaus/Blank, Miete, § 562b BGB Rn. 14; Herrlein/Kandelhard/Herrlein, Mietrecht, § 562b BGB Rn. 4; Lützenkirchen/Dickersbach, Mietrecht, § 562b Rn. 12. 794 S. dazu sub § 3 D IV, S. 222 ff. 792
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
ter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten danach zu differenzieren, ob diese gesetzliche Regelung in ihrer Funktion als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht oder als privatrechtliches Selbsthilferecht eingreift. Kommt § 562b Abs. 1 BGB in seiner Funktion als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht und damit als Jedermannsrecht795 zum Tragen, dann ist mit Blick auf die Haftung für risikotypische Begleitschäden zu berücksichtigen, dass die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c SGB VII auf den hilfsbereiten Dritten D – anders als bei § 859 BGB in seiner Funktion als Notrecht796 – nicht nur analog, sondern direkt angewendet werden kann, soweit es in der Sache um die Durchsetzung der dem Schutz des Vermieterpfandrechts dienenden Abwehransprüche geht, weil der Dritte in so gelagerten Konstellationen zum Schutz des angegriffenen Pfandrechtsinhabers A und damit „zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen“ tätig wird. Greift § 562b Abs. 1 BGB dagegen in seiner Funktion als privatrechtliches Selbsthilferecht ein, dann gilt es zu sehen, dass mit der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen durch den Selbsthilfeberechtigten A ein privatrechtliches Voll streckungsverhältnis (A–C) zu dem Selbsthilfegegner C entsteht, welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB ein zustufen ist und den Selbsthelfer A gegenüber dem Selbsthilfegegner C gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen verpflichtet. Deshalb können dem Selbsthilfegegner C im Falle einer Verletzung von Rücksichtnahmepflichten durch den Selbsthelfer A Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB zustehen. Darüber hinaus kommen auch deliktische Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 ff. BGB gegen die an der Durchführung der Selbsthilfemaßnahme beteiligten Personen in Betracht. Weiter ist auch an dieser Stelle noch einmal hervorzuheben, dass der Selbsthilfeberechtigte A im Falle der Inbesitznahme einer Pfandsache auf Grundlage von § 562b Abs. 1 S. 2 BGB die Stellung eines verwahrungspflichtigen Faustpfandgläubigers im Sinne von § 1215 BGB einnimmt.797 Denn das impliziert, dass zwischen ihm und dem Selbsthilfegegner C mit dem Zeitpunkt der Inbesitznahme der Pfandsache ein gesetzliches Verwahrungsverhältnis (A–C) entsteht, auf welches die §§ 688 ff. BGB grundsätzlich entsprechende Anwendung finden.798 Dementsprechend können dem Selbsthilfegegner C auch deshalb Schadens 795
S. dazu oben sub § 3 F I, S. 243 f. S. dazu sub § 3 D IV 1 b, S. 213. 797 S. dazu die Nachweise auf S. 247 in Fn. 793. 798 Die Haftungsbeschränkung des § 690 BGB findet insoweit allerdings keine Anwendung, weil der Selbsthelfer die Sache im eigenen Interesse besitzt (s. etwa MK/Damrau, BGB, § 1215 Rn. 2; Palandt/Wicke, BGB, § 1215 Rn. 1; HK/Schulte-Nölke, BGB, § 1215 Rn. 2). 796
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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ersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB zustehen, weil der Selbsthelfer A seine Pflichten aus dem gesetzlichen Verwahrungsverhältnis verletzt.799
IV. Zusammenfassung Zusammenfassend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass § 562b Abs. 1 S. 1 BGB bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise als Mittel zur Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen aus §§ 1225, 1227, 1004 Abs. 1, 985 BGB dient, wohingegen § 562b Abs. 1 S. 2 BGB als Instrument zur Durchsetzung von Besitzverschaffungsansprüchen zu verstehen ist. Festzuhalten ist weiter, dass die Regelung des § 562b Abs. 1 BGB dann nicht als „Fremdkörper in unserer Rechtsordnung“800 erscheint, wenn man diese Vorschrift als subsidiäres Notrecht rekonzeptualisiert, soweit dem Vermieter A auf die Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme ein Vollstreckungsanspruch gegen den Polizeiträger B zusteht, wovon insbesondere dann auszugehen ist, wenn Vollstreckungsmaßnahmen die Einwirkung auf den Körper des Anspruchsgegners C einschließen. Soweit dem Vermieter dagegen kein Vollstreckungsanspruch gegen den Polizeiträger zusteht, ist § 562b Abs. 1 BGB als Selbsthilferecht zu verstehen. Dabei gelten die obigen Ausführungen für die auf § 562b Abs. 1 BGB verweisenden Regelungen der §§ 592 S. 4, 704 S. 2 BGB in entsprechender Weise.
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB Als Nächstes soll das Augenmerk auf dem Recht der Bürger aus §§ 229, 230 BGB liegen. Wie in der Literatur treffend angemerkt worden ist, wird eine fundierte Beschäftigung mit den §§ 229, 230 BGB dadurch erschwert, dass diese Vorschriften in der Rechtspraxis ein gewisses „Schattendasein“ führen.801 Zugleich gilt es aber auch zu sehen, dass eine dogmatische Durchdringung dieses Rechtsinstitut dadurch erleichtert wird, dass bei den §§ 229, 230 BGB im Ausgangspunkt weitgehende Einigkeit darüber herrscht, dass diese Vorschriften als Instrument zur zwangsweisen Durchsetzung und Sicherung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB dienen802. Im Folgenden soll 799
Vgl. auch Palandt/Wicke, BGB, § 1215 Rn. 1. Staudinger/Emmerich, BGB, § 562b Rn. 1. 801 Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 118. 802 S. nur MK/Grothe, BGB, § 229 Rn. 1; Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, § 229 Rn. 1; Jauernig/Mansel, BGB, §§ 229–231 Rn. 2; BeckOGK/Rövekamp, BGB, Stand: 01.04.2017, 800
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
herausgearbeitet werden, wie sich das in den §§ 229, 230 BGB geregelte Rechts institut stimmig in das heutige Rechtsschutzsystem integrieren lässt. Als Grundlage hierfür soll zunächst ein kurzer Überblick über die dogmatische Einordnung der §§ 229, 230 BGB in der Literatur gegeben werden.
I. Überblick über die dogmatische Einordnung der §§ 229, 230 BGB Die heute herrschende Meinung geht davon aus, dass dem Bürger durch die §§ 229, 230 BGB das Recht verliehen wird, privatrechtliche Ansprüche in eng umrissenen Ausnahmefällen „auf eigene Faust“803 zu sichern bzw. durchzusetzen.804 So hebt etwa Dennhardt hervor, dass dem Rechtsinhaber „der Weg der ‚privaten Vollstreckung‘“ nicht versperrt bleiben solle, sofern „der (einstweilige) staatliche Rechtsschutz“ im Einzelfall zur Rechtssicherung oder -durchsetzung nicht ausreiche.805 Im gleichen Sinne betont auch Duchstein, dass dem Einzelnen durch die §§ 229, 230 BGB die exzeptionelle Berechtigung zu einer „private[n] Zwangsvollstreckung“ verliehen werde, wenn „staatliche Machtmittel“ nicht rechtzeitig erreichbar seien.806 In seiner zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erschienenen Studie zur „Selbsthülfe“ hat ferner auch schon Heyer darauf hingewiesen, dass es bei den §§ 229, 230 BGB im Grunde um „eine private Zwangsvollstreckung“ gehe, weshalb der Gläubiger hier „gewissermaßen Richter und Vollstrecker in einer Person“ sei.807 Weiterhin stellt in jüngerer Zeit auch Stamm heraus, dass im Rahmen der §§ 229, 230 BGB „eine Substitution des Vollstreckungsorgans durch den Gläubiger“ eintrete, die „bis zu dem Zeitpunkt“ andauere, „in dem ein staatliches Vollstreckungsorgan wieder verfügbar“ sei.808 Demgegenüber hat etwa bereits Hegler mit Verweis auf den subsidiären Charakter der §§ 229, 230 BGB die Auffassung vertreten, dass dem Bürger durch § 229 Rn. 13; Duchstein, JuS 2015, 105 ff.; Heyer, ArchBürgR 19 (1901), 38, 58, 109; Kuhlenbeck, Selbsthülfe, S. 71; Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 73; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 638; abweichend aber W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 66 ff., der meint, bei den §§ 229, 230 BGB gehe es um die Durchsetzung „des – hypothetischen – prozessualen Anspruchs“ (a. a. O., S. 67). 803 So Jauernig/Mansel, BGB, §§ 229–231 Rn. 1. 804 S. nur Staudinger/Repgen, BGB, § 229 Rn. 1. 805 Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, § 229 Rn. 1. 806 Duchstein, JuS 2015, 105. 807 Heyer, ArchBürgR 19 (1901), 38, 62 ff. (s. für das erste Zitat a. a. O., 40 und für das zweite Zitat a. a. O., 111). 808 Stamm, Grundstrukturen, S. 11 f., 44 f. (s. für das erste Zitat S. 4 4 und für die folgenden Zitate S. 11); s. auch a. a. O., S. 11: „Es wird gleichsam nur das Vollstreckungsorgan ausgetauscht durch den Gläubiger.“
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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diese Regelungen ebenso wie durch § 127 Abs. 1 S. 1 StPO das Recht zum Auftreten als „Vertreter des Staates ad hoc“ bzw. als „Quasibeamter“ eingeräumt werde.809 Im gleichen Sinne hat auch schon Hartung hervorgehoben, dass der Einzelne sowohl durch § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als auch durch die §§ 229, 230 BGB zur Leistung von „Nothilfe zu Gunsten des Staates“ berechtigt werde.810 In der modernen strafrechtlichen Literatur wird ebenfalls gelegentlich eine Pa rallele zwischen dem Festnahmerecht aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO und dem Recht aus §§ 229, 230 BGB hergestellt, indem beide Rechtsinstitute unter der gemeinsamen Überschrift „Handeln pro magistratu“ abgehandelt werden.811 Des Weiteren hat auch bereits Klinkhardt unterstrichen, dass es sowohl bei § 127 Abs. 1 S. 1 StPO als auch bei den §§ 229, 230 BGB um ein Handeln des Bürgers „an Stelle der nicht erreichbaren Obrigkeit“ gehe, weshalb der Bürger in beiden Fällen „im gleichen Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet“ sei „wie die zuständige Behörde“.812 In eine ähnliche Richtung geht die Auffassung von Pawlik, der aus dem subsidiären Charakter der §§ 229, 230 BGB gegenüber „institutionalisierter (‚obrigkeitlicher‘) Hilfe“ ableitet, dass der Bürger „im Rahmen des § 229 BGB […] als ‚Geschäftsführer ohne Auftrag‘ agieren“ müsse.813
II. Dogmatische Rekonstruktion der §§ 229, 230 BGB Um vor diesem Hintergrund wieder die Ausgangsfrage in den Blick zu nehmen: Wie lassen sich die §§ 229, 230 BGB ohne dogmatische Friktionen in das heutige Rechtsschutzsystem integrieren? Wie bereits erwähnt wurde, herrscht zumindest im dogmatischen Ausgangspunkt weitgehende Einigkeit darüber, dass die §§ 229, 230 BGB als rechtstechnisches Instrument zur zwangsweisen Sicherung und Durchsetzung von privatrechtlichen Ansprüchen im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB fungieren. Anders gewendet bedeutet das, dass dem Bürger durch die §§ 229, 230 BGB das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrechts des Staates „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. Hartung, JR 1931, 61, 65. 811 S. etwa Gropp, Strafrecht AT, Rn. 345 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 17 C; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, § 35 IV 1, S. 397 f.; s. auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 138, der ebenfalls darauf hinweist, dass das Tätigwerden des Bürgers auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB „nach Legitimität und Zulässigkeitskonstruktion ein Handeln ‚pro magistratu‘“ darstelle (s. ferner auch a. a. O., S. 135 mit Fn. 41). 812 Klinkhardt, VerwArch 55 (1964), 264, 272 mit Fn. 47; s. auch Molketin, GewArch 1991, 414, 416, der hervorhebt, dass aus dem subsidiären Charakter der §§ 229, 230 BGB folge, dass das Selbsthilferecht „als Ersatz für obrigkeitliches Eingreifen“ dienen solle (Hervorhebung im Original). 813 Pawlik, Notstand, S. 234 in Fn. 229. 809 810
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
eingeräumt wird. Dementsprechend lautet die entscheidende Frage im vorliegenden Zusammenhang, in wessen Namen der Bürger das Nutzungsrecht der Staatsperson „an“ dem Recht zum physischen Zwang auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB ausüben darf und kann. Wie bereits dargelegt814, kommt es auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes insoweit entscheidend darauf an, ob der eine Vollstreckungsmaßnahme vornehmende Bürger bei funktionaler Betrachtungsweise als Ersatzmann an die Stelle des regulären Vollstreckungspersonals des Staates tritt (dann: subsidiäres Notrecht) oder nicht (dann: Selbsthilferecht). Zu klären ist daher, inwieweit der Bürger im Rahmen der §§ 229, 230 BGB an die Stelle des regulären Vollstreckungspersonals des Staates tritt. Dabei ist insoweit zunächst zu betonen, dass sich aus der Subsidiaritätsklausel in § 229 BGB nicht ohne Weiteres ableiten lässt, dass es bei den §§ 229, 230 BGB um die Wahrnehmung von staatlichen Vollstreckungsaufgaben geht. Zwar lässt sich dieser Klausel im Wege einer systemischen Gesamtschau entnehmen, dass die §§ 229, 230 BGB in dogmatischer Hinsicht an eine Sachlage anknüpfen, in welcher dem gefährdeten Anspruchsinhaber ein Rechtsschutzanspruch gegen die „Obrigkeit“ zusteht.815 Allerdings trifft die Subsidiaritätsklausel keine Aussage darüber, in welchen der von den §§ 229, 230 BGB erfassten Sachlagen dem Anspruchsinhaber ein Vollstreckungsanspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan zusteht. So gibt die Subsidiaritätsklausel insbesondere keine Antwort auf die Frage, ob der Bürger in einer von §§ 229, 230 BGB erfassten Sachlage einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten hat. Vielmehr folgt aus der Subsidiaritätsklausel nur, dass den regulären Dienstkräften der Polizei der Vorrang vor dem Bürger gebührt, wenn die Voraussetzungen für das polizeiliche Einschreiten zum Schutz privater Rechte vorliegen.816 Wenn in den Randbereichen auch wenig geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen der Bürger im Einzelfall einen Anspruch auf polizeiliches Handeln zum Schutz privater Rechte hat, so steht ihm nach allgemeiner Auffassung doch zumindest in einigen der von §§ 229, 230 BGB erfassten Fallgestaltungen ein solcher Anspruch zu. So ist dem Bürger insbesondere ein Anspruch auf polizeili814
S. dazu oben sub § 2 C, S. 14 ff. Vgl. W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 66 ff.; Staudinger/Repgen, BGB, § 229 Rn. 1; BeckOGK/Rövekamp, BGB, Stand: 01.04.2017, § 229 Rn. 9; Pawlik, Notstand, S. 234 in Fn. 229; Kuhlenbeck, Selbsthülfe, S. 71; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 638; Bork, BGB AT, Rn. 384; Zieschang, FG Knemeyer, S. 451; BayObLGSt 1990, 113, 114. 816 Vgl. zum Vorrang der regulären Dienstkräfte der Polizei in diesen Konstellationen etwa Staudinger/Repgen, BGB, § 230 Rn. 1; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 74 mit Fn. 105; Molketin, GewArch 1991, 414, 416. 815
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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ches Einschreiten an die Hand gegeben, soweit es um die Durchsetzung eines privatrechtlichen Anspruchs auf Mitteilung der Personalien zur Ermöglichung der Klärung der bestehenden Rechtslage geht.817 Vor diesem Hintergrund ist es für die Zwecke der vorliegenden Arbeit nicht notwendig, detailliert auszuleuchten, in welchen der §§ 229, 230 BGB erfassten Konstellationen dem Inhaber des gefährdeten Anspruchs ein Vollstreckungsanspruch gegen den Polizeiträger zusteht. Vielmehr soll in erster Linie in abstrakter Form herausgearbeitet werden, wie das Bestehen eines staatsgerichteten Vollstreckungsanspruchs die dogmatische Struktur der §§ 229, 230 BGB beeinflusst. Insoweit gilt es zunächst zu sehen, dass von dem Bürger im Rahmen der §§ 229, 230 BGB wegen des Vorrangs obrigkeitlicher Hilfe grundsätzlich erwartet wird, dass er einen ihm zustehenden Anspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan geltend macht. Weiter ist hervorzuheben, dass es in Notsituationen nicht auf die ausdrückliche Erhebung des Vollstreckungsanspruchs ankommt, sondern darauf, dass die Gewährung obrigkeitlicher Hilfe dem (präsumtiven) Willen des Bürgers entspricht.818 Anders gewendet: Soweit dem Bürger A in den von §§ 229, 230 BGB erfassten Sachlagen neben einem Rechtsschutzanspruch auch ein Vollstreckungsanspruch gegen den Staat B zusteht, ist dessen (sofortige) Erhebung grundsätzlich zu präsumieren (A → B: „Vollstrecke!“), wobei der Bürger gewissermaßen im Gegenzug durch die insoweit als Hilferuf des Staates fungierenden §§ 229, 230 BGB in den status procuratoris versetzt wird (B → A: „Bitte hilf mir bei der Vollstreckung!“). So gesehen, wird dem Bürger in derartigen Konstellationen durch die §§ 229, 230 BGB die (einstweilige) Wahrnehmung eines von ihm selbst hervorgerufenen staatlichen Vollstreckungsgeschäfts als „Vertreter des Staates ad hoc“819 ermöglicht, was bedeutet, dass in der Welt des Rechts im Verhältnis zum Vollstreckungsgegner C allein das Zwangsvollstreckungsorgan des Staates B in Erscheinung tritt (vgl. § 278 S. 1 Alt. 1 BGB). Wo das objektive Recht dem Bürger einen Vollstreckungsanspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan an die Hand gibt, dort ist die Geltendmachung dieses Vollstreckungsanspruchs im Rahmen von §§ 229, 230 BGB also grundsätzlich zu unterstellen, sodass für die juristische Konstruktion ein staatliches Vollstre817 S. etwa Schenke, POR, Rn. 54: „Begegnet […] der Gläubiger einer privatrechtlichen Forderung auf der Straße unverhofft dem flüchtigen Schuldner, so ist der zur Stelle befindliche Polizist auf Verlangen des Gläubigers befugt, von dem Schuldner dessen sonst nicht in Erfahrung zu bringenden Adresse ausfindig zu machen.“ – S. ferner auch Schoch, Jura 2013, 468, 471 sowie Staudinger/Repgen, BGB, § 230 Rn. 1 818 Vgl. Schenke, POR, Rn. 54. 819 Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
ckungsgeschäft vorliegt, welches der Bürger als „‚Geschäftsführer ohne Auftrag‘“820 für den Staat als den Geschäftsherrn wahrnehmen darf und kann. Vor diesem Hintergrund kann der herrschenden Meinung nur teilweise zugestimmt werden. So fungieren die §§ 229, 230 BGB nämlich in der Tat als Selbsthilferecht des Bürgers, soweit dem gefährdeten Anspruchsinhaber im Rahmen der §§ 229, 230 BGB nur ein staatsgerichteter Rechtsschutzanspruch zusteht, weil der Bürger in so gelagerten Konstellationen wegen des Fehlens eines staatlichen Vollstreckungsgeschäfts bei funktionaler Betrachtungsweise nicht das reguläre Vollstreckungspersonal des Staates substituiert. Dagegen fungieren diese Vorschriften als fiktiver Hilferuf des Staates und damit als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat, soweit dem Bürger im Rahmen der §§ 229, 230 BGB neben dem Rechtsschutzanspruch noch ein Vollstreckungsanspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan zusteht, weil der Bürger in derartigen Fallgestaltungen als transitorischer „Quasibeamter“821 an die Stelle der regulären Dienstkräfte des staatlichen Vollstreckungsorgans tritt. Im Folgenden sollen die Konsequenzen der hiesigen Konzeption für die dogmatischen Strukturen der §§ 229, 230 BGB herausgearbeitet werden, wobei diese Vorschriften zunächst in ihrer Funktion als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht (dazu 1.) und sodann in ihrer Eigenschaft als Selbsthilferecht (dazu 2.) näher beleuchtet werden. 1. §§ 229, 230 BGB als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht a) Prokuratorische Rekonstruktion der §§ 229, 230 BGB Wie soeben dargelegt, fungieren die §§ 229, 230 BGB nach hiesiger Auffassung als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat, soweit der Bürger bei funktionaler Betrachtungsweise ein staatliches Vollstreckungsgeschäft an Stelle des regulären Vollstreckungspersonals des Staates wahrnimmt. Voraussetzung für das Eingreifen der §§ 229, 230 BGB als Notvertretungsrecht des Bürgers für den Staat ist daher, dass dem Inhaber des durchzusetzenden oder zu sichernden privatrechtlichen Anspruchs nicht nur ein Rechtsschutzanspruch gegen die Staatsperson zusteht, sondern zugleich auch ein staatsgerichteter Anspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches Vollstreckungsorgan, wobei die Geltendmachung des Vollstreckungsanspruchs gegen den Staat B (A → B: „Vollstrecke!“) 820 So die Formulierung von Pawlik, Notstand, S. 234 in Fn. 229, der aber im Gegensatz zu der hiesigen Konzeption wohl nicht von einer Zurechnung des von dem auftragslosen Geschäftsführer gesetzten Realakts zum Staat als dem Geschäftsherrn ausgeht. 821 Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49.
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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darüber hinaus auch dem (präsumtiven) Willen des Anspruchsinhabers A entsprechen muss. Denn nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kann für die juristische Konstruktion von dem Vorliegen eines Vollstreckungsgeschäfts des Staates ausgegangen werden, das im Falle der Abwesenheit der regulären Staatsvertreter (P1, P2, P3 usw.) jeder Bürger als „Vertreter des Staates ad hoc“822 auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB wahrnehmen darf und kann. In so gelagerten Konstellationen dienen die §§ 229, 230 BGB also bei funktionsbezogener Betrachtungsweise zur „Schließung von Lücken, die sich aus der punktuell-zufälligen Abwesenheit von Repräsentanten des organisierten Staates ergeben“823, weshalb auch hier die Maxime „deficiente magistratu quisque ex populo est magistratus“ zum Tragen kommt. Soweit die §§ 229, 230 BGB als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat fungieren, sind diese Vorschriften also als Jedermannsrecht zu verstehen, was bedeutet, dass nicht nur der Anspruchsinhaber A dazu berechtigt ist, dass staatliche Vollstreckungsgeschäft pro magistratu wahrzunehmen, sondern zudem auch jeder andere Bürger (D1, D2, D3 usw.).824 Damit korrespondiert, dass der auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB handelnde Bürger A bzw. D bei funktionaler Betrachtungsweise als „‚Geschäftsführer ohne Auftrag‘“825 für den Staat B als den Geschäftsherrn tätig wird. Dementsprechend ist das inhaltliche Maßprinzip für das Ob und Wie der Notgeschäftsführung der (präsumtive) Wille des Staates B als des Geschäftsherrn (vgl. §§ 677 ff. BGB). Dabei liegen die Voraussetzungen für das Ob der Notgeschäftsführung gemäß § 229 BGB vor, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist, was für die hier in Rede stehenden Konstellationen bedeutet, dass die Übernahme der Notgeschäftsführung nur dann im Einklang mit dem Geschäftsherrnwillen steht, wenn die regulären Helfer der „Obrigkeit“ nicht rechtzeitig zur Staatsaufgabenerfüllung tätig werden können. Indessen hat der Bürger mit Blick auf das Wie der Notgeschäftsführung nicht nur die Schranke der Erforderlichkeit aus § 230 Abs. 1 BGB zu beachten. Vielmehr ist darüber hinaus auch die Gebotenheitsklausel des Notwehrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB in das Notrecht aus §§ 229, 230 BGB hineinzulesen, was im Ergebnis Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. Pawlik, Notstand, S. 184 (i. V. m. Fn. 229 auf S. 234 f.). 824 Vgl. auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 56 ff. sowie Bork, BGB AT, Rn. 384, die sich in Abkehr von der herrschenden Meinung (s. statt aller Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 229 Rn. 3 sowie Soergel/Fahse, BGB, § 229 Rn. 9) generell für eine Ausgestaltung der §§ 229, 230 BGB als Jedermannsrecht aussprechen. – Demgegenüber ist auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes danach zu differenzieren, ob die §§ 229 BGB in ihrer Funktion als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht (dann: Jedermannsrecht) oder als privatrechtliches Selbsthilferecht einschlägig sind (dann: kein Jedermannsrecht). 825 Pawlik, Notstand, S. 234 in Fn. 229. 822 823
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
bedeutet, dass der als Stellvertreter der „Obrigkeit“ agierende Notgeschäftsführer A „im gleichen Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet [ist] wie die zuständige Behörde“826 – und zwar deshalb, weil die den Geschäftsherrn B im vertikalen Außenverhältnis (B–C) zum Vollstreckungsgegner C treffenden Pflichten über den im Rahmen der Gebotenheitsklausel zu berücksichtigenden Willen des Geschäftsherrn B in das vertikale Innenverhältnis (A–B bzw. D–B) zum Notgeschäftsführer A bzw. D hineingespiegelt werden. b) Die Sicherung von Auskunftsansprüchen auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB Wenn die §§ 229, 230 BGB in der Rechtspraxis auch weitgehend ein Schattendasein führen, so kommt diesen Vorschriften doch eine wichtige Bedeutung zu, soweit es um die zwangsweise Sicherung von privatrechtlichen Auskunftsansprüchen auf Mitteilung der Personalien eines unbekannten und leistungsunwilligen Schuldners geht. Um die Konsequenzen der hiesigen Konzeption für die dogmatische Struktur der §§ 229, 230 BGB zu illustrieren, soll diese Pro blemstellung anhand eines konkreten Beispielsfalls näher in den Blick genommen werden: C setzt sich in das Taxi des selbständigen Taxifahrers A und bittet diesen, ihn zum Bahnhof zu fahren. Am Zielort verlangt A von C die Zahlung des Beförderungsentgelts in Höhe von 20,– Euro, woraufhin C aus dem Taxi springt und davonläuft. A ruft dem C hinterher, er solle stehenbleiben und ihm seine Personalien mitteilen. Da C jedoch ungerührt weiterläuft, nimmt A unter ständigem Rufen nach der Polizei die Verfolgung auf. Als er den C einholt, packt er ihn mit festem Griff von hinten am rechten Arm und verlangt von ihm nochmals die Mitteilung seiner Personalien. Da C sich weiterhin weigert, seine Personalien bekanntzugeben, ruft A mit seinem Mobiltelefon die Polizei an, die er nach einer Situationsschilderung um Hilfe ersucht. Sein Gesprächspartner, der Polizist P1, sagt dem A, er werde sogleich zwei Streifenpolizisten auf den Weg schicken. Nach dem Telefonat hält A den C weiter fest, bis wenig später die Polizisten P2 und P3 die Szene erreichen. Da C auf Verlangen des P2 weder seine Personalien mitteilt noch Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt, durchsucht ihn P2 direkt vor Ort nach Identifizierungspapieren. Die Suche verläuft jedoch erfolglos, weshalb P2 und P3 den C auf die Polizeiwache bringen, wo sie seine Personalien feststellen und diese anschließend an A weitergeben. Variante: Wie liegen die Dinge, wenn C nach dem Telefonat des A mit der Polizei versucht, sich dem Griff des A zu entziehen, woraufhin der Passant D dem A zur Seite eilt und den C bis zum Eintreffen der Polizisten P2 und P3 mit festen Griff am linken Arm festhält, um die Identifizierung des C für die Zwecke einer privaten Rechtsverfolgung zu ermöglichen?
Zunächst zu den juristischen Strukturen im Ausgangsfall: Hier hat der Bürger C mit dem Taxifahrer A einen Beförderungsvertrag geschlossen, wobei der Taxi826
So schon Klinkhardt, VerwArch 55 (1964), 264, 272 mit Fn. 47.
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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fahrer A seine Beförderungspflicht aus dem Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hat, weshalb er am Zielort das Beförderungsentgelt in Höhe von 20,– Euro von dem Fahrgast C verlangen durfte und konnte, was er hier auch explizit getan hat (A → C: „Zahl mir das Beförderungsentgelt!“). Allerdings hat der Schuldner C hier versucht, sich der Erfüllung der Entgeltforderung seines Gläubigers A zu entziehen. Da dem Gläubiger A die Personalien des Schuldners C nicht bekannt waren, stand ihm hier auch ein aus dem Schuldverhältnis A–C nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteter Auskunftsanspruch zu, welcher auf Mitteilung der Personalien des Schuldners C zur Ermöglichung der (gerichtlichen) Klärung der bestehenden Rechtslage gerichtet war.827 Diesen Auskunftsanspruch hat der Taxifahrer A vorliegend auch geltend gemacht (A → C), indem er dem fliehenden Bürger C nachgerufen hat, er solle ihm seine Personalien mitteilen. Da hier ohne polizeiliche Hilfe eine Vereitelung des privatrechtlichen Auskunftsanspruchs drohte, stand dem Bürger A auch ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen den Polizeiträger B zum Schutz privater Rechte zu828, wobei die Erhebung dieses staatsgerichteten Anspruchs (A → B) auch dem Willen des Bürgers A entsprach, was insbesondere sein ständiges Rufen nach der Polizei deutlich macht. Dementsprechend schuldete der Polizeiträger B dem Bürger A in der vorliegenden Sachlage die Vollstreckung einer (fiktiven) Auskunftsverfügung (B → C) gegen den Bürger C. Da vorliegend jedoch kein Polizist vor Ort war, um das polizeiliche Vollstreckungs geschäft wahrzunehmen, wurde der Bürger A durch die insoweit als fiktiver Hilferuf des Staates B fungierenden §§ 229, 230 BGB in den status procuratoris versetzt (B → A: „Bitte hilf mir bei der Vollstreckung!“), wodurch ihm das Dürfen und Können eingeräumt wurde, die Polizeiaufgabe einstweilen als „Vertreter des Staates ad hoc“829 wahrzunehmen. Für die juristische Konstruktion bedeutet das, dass der Bürger A hier dem Polizeiträger B seine Arbeitskraft (sinnbildlich: eine helfende Hand) hingegeben und mit dieser ein ad hoc geschaffenes leeres Amt ausgefüllt hat, weshalb in der Welt des Rechts nach dem Rechtsgedanken des § 278 S. 1 Alt. 1 BGB allein der Staat B mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm den Bürger C von hinten am rechten Arm gepackt hat (B → C). Dabei hat der als „‚Geschäftsführer ohne Auftrag‘“830 agierende 827
Vgl. etwa BGH NStZ 2012, 144; BayObLGSt 1990, 113, 114; AG Grevenbroich NJW 2002, 1060, 1061 f.; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 229 Rn. 9; BeckOGK/Rövekamp, BGB, Stand: 01.04.2017, § 229 Rn. 14; Grabow, NStZ 2012, 145; Duchstein, JuS 2015, 105, 106; Molketin, GewArch 1991, 414, 415; Rengier, Strafrecht AT, § 21 Rn. 9; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 635. 828 Vgl. nur Schenke, POR, Rn. 54 829 Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. 830 Formulierung von Pawlik, Notstand, S. 234 in Fn. 229.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Bürger A vorliegend auch keine Verhaltenspflichten verletzt, weil er sich bei der Vollstreckung der fiktiven Grundverfügung des Polizeiträgers B im Rahmen des nach dem Geschäftsherrnwillen „Gebotenen“ (vgl. § 677 BGB) gehalten hat. Darüber hinaus gilt es in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung zu sehen, dass der Notgeschäftsführer A nach dem Rechtsgedanken des § 681 S. 1 BGB gehalten war, dem Geschäftsherrn B die Übernahme der Notgeschäftsführung anzuzeigen, sobald es möglich und tunlich war.831 Diesem Erfordernis ist der Bürger A vorliegend auch nachgekommen, indem er durch den Anruf bei der Polizei den durch den Polizisten P1 vertretenen Polizeiträger B als den Geschäftsherrn über die Übernahme der Notgeschäftsführung informiert hat, wobei er ihm zugleich um Unterstützung bei der Durchsetzung seines privatrechtlichen Auskunftsanspruchs gegen den Bürger C ersucht hat. Hervorzuheben ist weiter, dass der Bürger A den Bürger C bis zur Übernahme der Geschäftsführung durch die Polizisten P2 und P3 weiterhin als „verlängerter Arm“ des Polizeiträgers B festgehalten hat, was bedeutet, dass der Bürger C für die juristische Konstruktion durchgehend von dem Vollzugsorgan des Polizeiträgers B festgehalten wurde (A → B → C). Dabei hat der Bürger A bei der Geschäftsbesorgung für den Polizeiträger B an keinem Punkt eine Verhaltenspflicht verletzt, weshalb er sich vorliegend in keiner Weise haftbar gemacht hat. Wie aber liegen die Dinge in der Variante des Ausgangsfalls: Hat der Bürger D in diesem Szenario eine Verhaltenspflicht verletzt, indem er den Bürger C mit festem Griff am linken Arm festhielt? Insoweit gilt es zunächst zu sehen, dass die §§ 229, 230 BGB auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes als Jedermannsrecht zu verstehen sind, soweit der Bürger im Rahmen dieser Vorschriften „etwas [tut], was zu tun eigentlich Sache der Polizeibeamten wäre“832. Dementsprechend war der Bürger D vorliegend dazu berechtigt, dem Polizeiträger B auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB als transitorischer „Quasibeamter“833 bei der Vollstreckung einer fiktiven Polizeiverfügung gegen den Bürger C zu helfen. Dabei hat er sich hier auch im Rahmen des nach dem Geschäftsherrnwillen „Gebotenen“ bewegt, indem er den Bürger C mit festem Griff am linken Arm festhielt, um dessen Anwesenheit zu sichern, bis die Polizisten P2 und P3 den Ort des Geschehens erreichten, weshalb dem hilfsbereiten Bürger D vorliegend kein Verhaltenspflichtverstoß zur Last fällt. Für die juristische Konstruktion bedeutet das, dass der Bürger D hier – ebenso wie der Bürger A – mit seiner (physischen) Arbeitskraft ein ad hoc kreiertes Amt in dem zuständigen Staatsorgan ausgefüllt hat, womit korrespondiert, dass der Vollstre831 Vgl. zur analogen Anwendung von § 681 BGB im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag etwa Schoch, Jura 1994, 241, 249. 832 Formulierung von Bockelmann, FS Dreher, S. 244 (zum Notwehrübenden). 833 Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49.
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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ckungsgegner C in der Welt des Rechts allein von dem zum Staatskörper gehöri gen Vollstreckungsorgan der Staatsperson B festgehalten wurde (A/D → B → C). 2. §§ 229, 230 BGB als privatrechtliches Selbsthilferecht Wie oben dargelegt wurde834, greifen die §§ 229, 230 BGB nach hiesiger Auffassung in ihrer Funktion als Selbsthilferecht ein, soweit dem Anspruchsinhaber in einer von diesen Vorschriften erfassten Sachlage mit Blick auf die konkret in Rede stehende Vollstreckungsmaßnahme kein staatsgerichteter Vollstreckungsanspruch zusteht. Je weiter der Staat seine Vollstreckungszuständigkeit auf die von diesen Regelungen erfassten Situationen ausdehnt, desto kleiner wird also der Anwendungsbereich der §§ 229, 230 BGB als Selbsthilferecht. Anders gewendet bedeutet das, dass der hier vertretene funktionsbezogene Ansatz eine flexible Anpassung der dogmatischen Struktur der §§ 229, 230 BGB an die konkreten Verhältnisse der Rechtswirklichkeit ermöglicht, wobei es letztlich um die Frage geht, ob der Bürger in einer von den §§ 229, 230 BGB erfassten Sachlage „auf eigene Faust“ (A → C) oder als „verlängerter Arm“ des Staates (A/D → B → C) tätig werden darf und kann. Soweit es um die dogmatische Ausgestaltung der §§ 229, 230 BGB als Selbsthilferecht geht, stimmt der hier vertretene Ansatz im Wesentlichen mit der Position der herrschenden Meinung überein. Deshalb soll es an dieser Stelle mit einigen kurzen Bemerkungen zur Struktur der §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Selbsthilferecht sein Bewenden haben. So ist zunächst zum Begriff der Selbsthilfelage im Sinne der §§ 229, 230 BGB anzumerken, dass dem Selbsthelfer ein Anspruch im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB zustehen muss, dessen Durchsetzung ohne sofortiges Eingreifen gefährdet ist, ohne dass gerichtliche Hilfe rechtzeitig zu erlangen wäre. Darüber hinaus gilt es mit Blick auf Ob der Selbsthilfe zu sehen, dass es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Einzelfall angezeigt sein kann, den (präsumtiven) Vollstreckungsgegner vor der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen zunächst die Möglichkeit zur freiwilligen Befolgung des Anspruchs zu geben. Ferner ist mit Blick auf das Wie der Selbsthilfe hervorzuheben, dass der Anspruchsinhaber in subjektiver Hinsicht mit Selbsthilfewillen handeln muss.835 Das heißt, dass der Selbsthel834
S. sub § 3 G II, S. 251 ff. So auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 30 ff.; Erman/E. Wagner, BGB, § 229 Rn. 6; Soergel/Fahse, BGB, § 229 Rn. 14; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 229 Rn. 7; Palandt/ Ellenberger, BGB, § 229 Rn. 6; Duchstein, JuS 2015, 105, 108 f.; Rengier, Strafrecht AT, § 21 Rn. 19; Kühl, Strafrecht AT, § 9 Rn. 6; Grabow, NStZ 2012, 145, 146; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 350, 351. – Gegen das Erfordernis eines Selbsthilfewillens im Rahmen von §§ 229, 230 BGB aber etwa Staudinger/Repgen, BGB, § 229 Rn. 41; MK/Grothe, BGB, § 229 Rn. 6; Jauernig/Mansel, BGB, § 229–231 Rn. 7; RGRK/Johannsen, BGB, § 229 Rn. 2. 835
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
fer A bei normativer Betrachtungsweise mit dem Willen handeln muss, das Nutzungsrecht des Staates B „aus“ dessen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang zum Zwecke der Anspruchssicherung bzw. -durchsetzung im eigenen Namen auszuüben. Hervorzuheben ist weiter, dass durch die Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen durch den Selbsthilfeberechtigten A ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis A–C zu dem Selbsthilfegegner C entsteht, welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist.836 Dementsprechend gilt es mit Blick auf das objektive Wie der Selbsthilfe zu sehen, dass der Selbsthelfer A gemäß § 241 Abs. 2 BGB bei der Ausübung des Selbsthilferechts aus §§ 229, 230 BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners C verpflichtet ist, wobei insbesondere auch der „auf Treu und Glauben beruhende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“837 von ihm zu wahren ist.838 Darüber hinaus hat der Bürger in jedem Fall auch die in §§ 230 Abs. 2 bis 4 BGB aufgestellten Voraussetzungen zu beachten, die für die Zwecke der vorliegenden Arbeit indessen keiner vertieften Analyse bedürfen. Hervorzuheben ist schließlich noch, dass ein Anspruch des Selbsthelfers auf Ersatz der notwendigen Selbsthilfeaufwendungen in Parallele zu den §§ 788 Abs. 1, 91 ZPO839 als ungeschriebener Annex zu dem Selbsthilferecht aus §§ 229, 230 BGB zu verstehen ist.840
III. Die Auffangfunktion der §§ 229, 230 BGB Als Nächstes soll die Stellung der §§ 229, 230 BGB im System der Not- und Selbsthilferechte näher beleuchtet werden. In der Sache geht es dabei um die Frage, in welchem Verhältnis das Recht aus §§ 229, 230 BGB zu den sonstigen 836
Insoweit gelten die obigen Ausführungen sub § 3 D III 2 b, S. 212 zu 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht an dieser Stelle entsprechend. 837 BGHZ 181, 233 Rn. 16; s. zu dieser Entscheidung auch Wilhelm, LMK 2009, 291008 sub 3, der mit Recht hervorhebt, dass die Einführung der Verhältnismäßigkeitsschranke durch den Bundesgerichtshof auch über die Fallkonstellation des Urteils hinaus bedeutsam ist. 838 Für eine Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des Selbsthilferechts aus §§ 229, 230 BGB etwa auch W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 95 f.; Klinkhardt, VerwArch 55 (1964), 264, 272 mit Fn. 47; Stamm, Grundstrukturen, S. 11 f.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 1, § 29 Rn. 14; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 20 Rn. 12. – Dagegen aber etwa MK/Grothe, BGB, § 229 Rn. 8, § 230 Rn. 1; Staudinger/Repgen, BGB, § 230 Rn. 1; Palandt/ Ellenberger, BGB, § 230 Rn. 1; Erman/E. Wagner, BGB, § 230 Rn. 1; Duchstein, JuS 2015, 105, 108; Hellmann, Rechtfertigungsgründe, S. 128 f. 839 In diese Richtung andeutungsweise bereits Bamberger/Roth/Dennhard, BGB, 1. Aufl. 2003, § 229 Rn. 10 in Fn. 34. 840 Insoweit gelten die obigen Ausführungen sub § 3 D III 2 c, S. 213 ff. zu § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht an dieser Stelle in entsprechender Weise.
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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Not- und Selbsthilferechten des Bürgers steht. Insoweit gilt es zunächst zu sehen, dass die Not- und Selbsthilferechte allesamt zur Sicherung oder Durchsetzung von Ansprüchen dienen, wobei es bei den sonstigen Not- und Selbsthilferechten der Bürger, wie im Verlauf der Arbeit herausgearbeitet wurde, um die Sicherung bzw. Durchsetzung bestimmter Typen von Ansprüchen geht. So dient etwa das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB als Instrument zur Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen gegen Verhaltensstörer, während das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB als Instrument zur Durchsetzung von possessorischen Besitzschutzansprüchen fungiert. Demgegenüber ermöglichen die §§ 229, 230 BGB generell die zwangsweise Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB, was bedeutet, dass die §§ 229, 230 BGB im System der Not- und Selbsthilferechte eine Auffangfunktion erfüllen. Nach dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ scheidet daher ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung der §§ 229, 230 BGB aus, soweit für die Sicherung oder Durchsetzung eines bestimmten privatrechtlichen Anspruchs ein spezielles Not- oder Selbsthilferecht einschlägig ist. So können die §§ 229, 230 BGB beispielsweise nicht herangezogen werden, soweit es um die zwangsweise Durchsetzung eines Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB geht, weil insoweit das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB das speziellere Rechtsinstitut ist. Dabei ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben, dass das Notwehrrecht entgegen der herrschenden Auffassung generell einschlägig ist, soweit es in Notsituationen um die zwangsweise Durchsetzung von Herausgabeansprüchen des Eigentümers aus § 985 BGB geht. Um diese Problemstellung anhand eines Beispielfalls zu veranschaulichen: A sieht aus dem Fenster, wie sein Fahrrad von C entwendet wird. Noch am gleichen Tag meldet A sein Fahrrad unter Angabe der Rahmennummer bei der Polizei als gestohlen. Als A den C am nächsten Tag mit dem entwendeten Fahrrad in der Stadt sieht, ruft er ihm mit lauter Stimme die Worte „Gib mein Rad heraus!“ zu. Da C jedoch ungerührt mit dem Rad davonfährt, läuft A ihm nach und zieht ihn mit Gewalt vom Sattel. Anschließend nimmt A sein Rad wieder an sich. Ist das Handeln des A vom Notwehrrecht gedeckt?
Wie oben ausführlich dargelegt wurde841, dient das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB im System des heutigen Rechtsschutzes als rechtstechnisches Instrument zur zwangsweisen Durchsetzung von negatorischen Abwehransprüchen gegen Verhaltensstörer. Weiter ist im vorliegenden Zusammenhang zu berücksichtigen, dass es sich auch bei dem Herausgabeanspruch des Eigentümers aus § 985 BGB um einen negatorischen Abwehranspruch im diesem Sinne handelt, weil der Anspruch aus § 985 BGB bei funktionaler Betrachtungsweise 841
S. sub § 3 B I, S. 57 ff.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
dazu dient, Eingriffe in die Rechtsposition des Eigentümers A durch einen unberechtigten Besitzer C abzuwehren.842 Dabei hat der Eigentümer A den ihm zustehenden Herausgabeanspruch aus § 985 BGB vorliegend auch ausdrücklich gegenüber dem unberechtigten Besitzer C geltend gemacht (A → C: „Gib meine Sache heraus!“ = „Beende den Angriff!“). Darüber hinaus stand dem Eigentümer A in der vorliegenden Konstellation auch ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten zu, weil gerichtlicher Schutz faktisch nicht rechtzeitig zu erlangen war und ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr einer Vereitelung der Rechtsverwirklichung bestand. Auch entsprach die Geltendmachung des Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten in der hier gegebenen Sachlage dem (präsumtiven) Willen des Eigentümers A, sodass die Voraussetzungen für die Vollstreckung einer (fiktiven) Herausgabeverfügung (B → C: „Gib die Sache des A heraus!“) gegen den Angreifer C vorlagen. Da vorliegend aber kein Polizist P vor Ort war, um die (fiktive) Herausgabeverfügung für den Polizeiträger B zu vollstrecken, war der Eigentümer A berechtigt, auf Grundlage des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB in die Rolle des Polizisten zu schlüpfen und das Polizeigeschäft pro magistratu wahrzunehmen, wobei sich seine Notwehrhandlung vorliegend auch im Rahmen des notwehrrechtlich „Gebotenen“ bewegt hat. Demgegenüber will die herrschende Auffassung in der Konstellation des wiederangetroffenen Diebes zur zwangsweisen Durchsetzung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB auf die §§ 229, 230 BGB zurückgreifen, wobei das Nichteingreifen des Notwehrrechts in dieser Fallgestaltung üblicherweise damit begründet wird, dass der Angriff des Diebes C auf das Eigentum des Bürgers A einen Tag nach dem Diebstahl nicht mehr „gegenwärtig“ im Sinne von §§ 227 Abs. 2 BGB, 32 Abs. 2 StGB sei.843 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Angriff auf das Eigentum so lange „gegenwärtig“ ist, wie der Eingriff in die subjektive Rechtsposition des Eigentümers A durch den unberechtigten Besitzer C fortdauert.844 Dementsprechend ist auch in dieser Konstellation vom Grundsatz her das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB einschlägig.845 Hervorzuheben ist weiter, dass bei der Durchsetzung von Herausgabeansprüchen aus § 985 BGB auf Grundlage des Notwehrrechts aus §§ 227 BGB, 32 StGB in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen der polizeilichen Subsidiari-
842
S. dazu auch die Nachweise auf S. 60 in Fn. 160. S. nur Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 47; Rengier, Strafrecht AT, § 18 Rn. 27, § 21 Rn. 15; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 8 Rn. 35; Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 25 Rn. 111; Duchstein, JuS 2015, 105. 844 Vgl. Lesch, Notwehrrecht, S. 60 f. mit Fn. 27 sowie dens., FS Dahs, S. 94. 845 Zutreffend Lagodny, GA 1991, 300, 313 f., 315 mit Fn. 80 sowie Lesch, Notwehrrecht, S. 60 f. mit Fn. 27. 843
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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tätsklausel846 vorliegen, weil es dem Eigentümer im Regelfall zuzumuten sein wird, die Zivilgerichte zur Durchsetzung seines Herausgabeanspruchs anzurufen. Dabei ist die Konstellation des wiederangetroffenen Diebes insoweit ein Sonderfall, als hier typischerweise eine Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Durchsetzung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB drohen wird. Festzuhalten ist daher, dass für die zwangsweise Durchsetzung von Herausgabeansprüchen des Eigentümers aus § 985 BGB in Notsituationen generell das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB heranzuziehen ist, weshalb ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung in den §§ 229, 230 BGB insoweit ausscheidet. Weiter geht mit der Lösung der vorliegenden Fallgestaltung über das Notwehrrecht einher, dass die in § 230 Abs. 2, Abs. 4 BGB getroffenen Bestimmungen schon tatbestandlich nicht einschlägig sind. Auch besteht kein Bedürfnis für eine analoge Anwendung dieser Vorschriften auf das Notwehrrecht. Dementsprechend muss der durch Notwehr wieder in den Besitz seiner Sache gelangte Eigentümer in dem obigen Beispielsfall nach der hier vertretenen Auffassung nicht noch nachträglich die staatlichen Stellen einschalten. Zu dem gleichen praktischen Ergebnis gelangen die Literaturstimmen, die in der vorliegenden Konstellation zwar die §§ 229, 230 BGB anwenden wollen, aber zugleich das Erfordernis eines gerichtlichen Antrags nach § 230 Abs. 2 BGB (analog) ablehnen.847 Ferner liegt es in der Konsequenz der hier vertretenen Lösung, dass die Regelung des § 231 BGB in entsprechenden Irrtumskonstellationen schon ihrem Wortlaut nach keine Anwendung findet, weil diese Norm an die irrige Vornahme einer „der im § 229 BGB bezeichneten Handlungen“ anknüpft.848
846 S. zu den Voraussetzungen der polizeilichen Subsidiaritätsklausel oben sub § 3 B I 2 b, S. 68 mit Fn. 185. 847 So etwa Erman/E. Wagner, BGB, § 230 Rn. 2; RGRK/Johannsen, BGB, § 229 Rn. 2; Soergel/Fahse, BGB, § 230 Rn. 5; Jauernig/Mansel, BGB, §§ 229–231 Rn. 8; Duchstein, JuS 2015, 105, 109; Rengier, Strafrecht AT, § 21 Rn. 14. – Nicht wenige Literaturstimmen halten dagegen einen gerichtlichen Antrag nach § 230 Abs. 2 BGB auch dann für erforderlich, wenn es um die zwangsweise Durchsetzung von Herausgabeansprüchen aus § 985 BGB geht und nicht ausnahmsweise zugleich die Voraussetzungen der Besitzkehr nach § 859 Abs. 2, Abs. 3 BGB gegeben sind (so etwa MK/Grothe, BGB, § 230 Rn. 2; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 230 Rn. 3; Staudinger/Repgen, BGB, § 230 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, BGB, § 230 Rn. 3). 848 Wie sogleich sub § 3 G IV 1 a, S. 265 mit Fn. 853 zu zeigen sein wird, ist die Vorschrift des § 231 BGB freilich entgegen ihrem Wortlaut auch auf Irrtumskonstellationen im Rahmen der §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht nicht anwendbar.
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
IV. Haftungsfragen Schließlich sollen noch einige der sich im Zusammenhang mit dem Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB stellenden Haftungsfragen näher ausgeleuchtet werden. Dabei soll der Fokus zunächst auf den §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführung liegen (dazu 1.), bevor der Blick anschließend den §§ 229, 230 BGB in ihrer Eigenschaft als privatrechtliches Selbsthilferecht zugewendet wird (dazu 2.). 1. Haftungsfragen zu den §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Notgeschäftsführungsrecht a) Haftung für Fehlverhalten Greifen die §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Notgeschäftsführungsrecht ein, dann gelten für ein Handeln des Bürgers A bzw. D „in Schlechtausübung“ des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die Ausführungen zu der entsprechenden Fragestellung bei den anderen Notrechten in analoger Weise.849 Etwas näher in den Blick genommen werden soll an dieser Stelle jedoch die Konstellation, dass der Bürger A bzw. D bei Vorliegen einer Notgeschäftsführungslage im Sinne der §§ 229, 230 BGB zu einem in der gegebenen Sachlage seiner Art nach unzulässigen Zwangsmittel greift, sodass er nicht mehr „in Ausübung“, sondern „in Überschreitung“ der ihm durch die §§ 229, 230 BGB verliehenen Vertretungsmacht agiert. Zu denken ist insoweit etwa an die Fallgestaltung, dass sich der namentlich unbekannte Schuldner C des Gläubigers A einer zum Zwecke der Forderungsverwirklichung notwendigen Feststellung seiner Identität durch Flucht entziehen will, woraufhin der Gläubiger A oder der zufällig anwesende Passant D zum Zwecke der Sicherung eines Anspruchs auf Personalienmitteilung nach Abgabe einige Warnrufe und -schüsse mit einer Pistole gezielt in den Oberschenkel des davon laufenden Schuldners C schießt, weil sich eine erfolgreiche Flucht auf andere Weise nicht mehr verhindern lässt. Da die Abgabe des Pistolenschusses in dieser Sachlage nicht von dem Notvertretungsrecht aus §§ 229, 230 BGB gedeckt ist, scheidet eine Zurechnung der Abgabe des Schusses zum Polizeiträger B als dem Geschäftsherrn hier aus.850 Das impliziert, dass dem Bürger C in dieser Sachlage kein Schadensanspruch aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG gegen den Staat B zusteht. Vielmehr kann er den als falsus procurator agierenden Bürger A bzw. D in so gelagerten Fallgestaltungen unter den Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB in Anspruch nehmen, wo849
Ausführlich zu der haftungsrechtlichen Konstruktion in dieser Fallgestaltung oben sub § 3 A IV 1 a, S. 47 ff. 850 Vgl. dazu auch die obigen Ausführungen sub § 3 A IV 1 b, S. 51 ff.
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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nach die Schadensersatzpflicht des Bürgers A bzw. D insbesondere an das Verschuldenserfordernis geknüpft ist. Davon abweichend bestimmt allerdings § 231 BGB, dass derjenige, der eine der im § 229 BGB bezeichneten Handlungen in der irrigen Annahme vornimmt, die für den Ausschluss der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen seien vorhanden, dem anderen Teil auch dann zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht. Dabei ist die Regelung des § 231 BGB nach ihrem Wortlaut zwar auf die hier in Rede stehende Fallgestaltung anzuwenden. Unter dogmatisch-systematischen Gesichtspunkten vermag eine Anwendung des § 231 BGB auf eine vermeintlich auf Grundlage von §§ 229, 230 BGB vorgenommene Notgeschäftsführungshandlung jedoch nicht zu überzeugen. Denn es erschließt sich nicht, weshalb gerade für dieses öffentlich-rechtliche Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers eine Abweichung vom Verschuldensprinzips der §§ 823 ff. BGB gerechtfertigt sein soll. So standen dem Ge setzgeber bei Schaffung des § 231 BGB denn auch ausschließlich Handlungen in vermeintlicher Ausübung „der exzeptionellen Selbsthülfebefugniß“851 aus §§ 229, 230 BGB vor Augen, nicht aber (vermeintliche) Verwaltungshilfekon stellationen. Hinzu kommt, dass die in § 231 BGB statuierte Risikohaftung als ein Fremdkörper in der axiologischen Struktur des geltenden Haftungssystems anzusehen ist.852 Deshalb sollte der Anwendungsbereich dieser „querstehenden“ Norm möglichst eng begrenzt werden, damit das harmonische Gesamtgefüge des heutigen Haftungsrechts so wenig wie möglich beeinträchtigt wird. Aus diesen Gründen ist die Regelung des § 231 BGB in dem Sinne teleologisch zu reduzieren, dass von dieser Vorschrift nur Handlungen in vermeintlicher Ausübung des privatrechtlichen Selbsthilferechts aus §§ 229, 230 BGB erfasst sind, nicht aber auch Handlungen in vermeintlicher Ausübung des öffentlich-rechtlichen Notgeschäftsführungsrechts aus §§ 229, 230 BGB.853 Anders gewendet bedeutet das, dass unter das in § 231 BGB enthaltene Merkmal der „im § 229 [BGB] bezeichneten Handlungen“ nur vermeintliche „Selbsthilfehandlungen“, nicht aber auch vermeintliche „Notgeschäftsführungshandlungen“ fallen. Als Fazit kann daher festgehalten werden, dass für Fehlverhalten des Bürgers A bzw. D im Rahmen der §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als öffentlich-rechtliches Notgeschäftsführungsrecht unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten die gleichen Grundsätze gelten wie bei den anderen Notrechten, weil 851
Protokolle I, S. 244. Näher dazu unten sub § 3 G IV 2, S. 268 ff. 853 Dabei gelten die hier angestellten Erwägungen entsprechend für die Konstellation eine „Putativnotgeschäftsführung“ in vermeintlicher Ausübung des Notrechts aus §§ 229, 230 BGB, weshalb ein Rückgriff auf die Regelung des § 231 BGB auch insoweit abzulehnen ist. 852
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
die haftungsverschärfende Norm des § 231 BGB auf das Notrecht aus §§ 229, 230 BGB nicht anwendbar ist. b) Haftung für risikotypische Begleitschäden Mit Blick auf die Haftung für risikotypische Begleitschäden des auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB agierenden Notgeschäftsführers soll zunächst die Konstellation in den Blick genommen werden, dass nicht der Anspruchsinhaber A, sondern der Dritte D bei der Wahrnehmung des staatlichen Vollstreckungsgeschäfts Schäden erleidet. Zu denken ist insoweit etwa an die Fallgestaltung, dass der fluchtwillige Schuldner C, der von dem Gläubiger A und dem Dritten D zum Zwecke der Sicherung eines privatrechtlichen Anspruchs auf Personalienmitteilung festgehalten wird, dem Dritten D einen Schlag gegen den Oberkörper versetzt, wodurch der Bürger D so unglücklich zu Boden stürzt, dass (1) er sich seinen linken Arm bricht und (2) seine Armbanduhr beschädigt wird. In dieser Fallgestaltung steht dem Bürger D nach den §§ 13 S. 1, 26 ff. SGB VII ein Anspruch auf Heilbehandlung und Ersatz von Sachschäden gegen den Unfallversicherungsträger U zu, weil der Bürger D gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII in entsprechender Anwendung in den Schutz der Unfallversicherung kraft Gesetzes einzubeziehen ist. Dabei ist die analoge Anwendung dieser Vorschrift auf den Dritten D dadurch legitimiert, dass dieser ebenso wie der Notwehr übende Dritte D als Notgeschäftsführer „für“ den Staat B tätig wird, weshalb das Haftungsrisiko für risikotypische Begleitschäden des auf Grundlage von §§ 229, 230 BGB agierenden Notgeschäftsführers D nach dem Rechtsgedanken der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB der (personifizierten) Allgemeinheit zugewiesen ist. Weiter gilt es im vorliegenden Zusammenhang zu sehen, dass der Bürger D gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. a SGB VII als „Herangezogener“ in den Kreis der kraft Gesetzes unfallversicherten Personen einbezogen wäre, wenn ihn ein zufällig anwesender Polizist P in der hier in Rede stehenden Sachlage qua Rechtsgeschäft in die Staatsaufgabenerfüllung eingeschaltet hätte. Denn vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es wertungsmäßig geboten ist, dem hilfsbereiten Dritten D auch dann Versicherungsschutz kraft Gesetzes zu gewähren, wenn er auf Grundlage des gesetzlichen Notgeschäftsführungsrechts aus §§ 229, 230 BGB tätig wird, weil dieses gegenüber einer rechtsgeschäftlichen Einschaltung in die Staatsaufgabenerfüllung subsidiär ist und dementsprechend als funktionales Surrogat zu einer rechtsgeschäftlichen Heranziehung als Verwaltungshelfer zu begreifen ist. Darüber hinaus steht dem Bürger D in dem obigen Beispielsfall auch ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Bürger C aus den §§ 823 ff. BGB zu.
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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Soweit dagegen der Anspruchsinhaber A bei der Wahrnehmung des staatlichen Vollstreckungsgeschäfts auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB risikotypische Begleitschäden erleidet, kommt eine Analogie zu § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. c Alt. 2 SGB VII nicht in Betracht. Zwar wird der Anspruchsinhaber A im Rahmen der §§ 229, 230 BGB bei formal-konstruktionsorientierter Betrachtungsweise ebenfalls als „Vertreter des Staates ad hoc“854 tätig. Bei materiell-wertender Betrachtungsweise dient die Ausübung des Notvertretungsrechts aus §§ 229, 230 BGB in seinem Fall jedoch in erster Linie seinem Eigeninteresse an der privaten Rechtsdurchsetzung, weshalb ihm zugemutet werden kann, das Schadensrisiko seiner Notgeschäftsführung selbst zu tragen.855 Anders gewendet bedeutet das, dass der allgemeine Rechtsgedanke der §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB in dieser Konstellation durch gegenläufige Erwägungen überlagert ist.856 Unter den Voraussetzungen der §§ 823 ff. BGB kann der Bürger A aber selbstverständlich den Bürger C auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. 2. Haftungsfragen zu den §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Selbsthilferecht Mit Blick auf die §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Selbsthilferecht gelten im Grundsatz die obigen Ausführungen zu § 859 BGB in seiner Funktion als Selbsthilferecht in entsprechender Weise.857 Das bedeutet insbesondere, dass auch durch die Einleitung von Selbsthilfemaßnahme auf Grundlage von §§ 229, 230 BGB ein Vollstreckungsverhältnis (A–C) zwischen dem Selbsthelfer A und dem Selbsthilfegegner C entsteht, welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist und den Selbsthelfer A gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Selbsthilfegegners C verpflichtet. Dementsprechend haftet der Selbsthelfer A dem Selbsthilfegegner C für Fehlverhalten bei der Ausübung des Selbsthilferechts unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB auf Schadensersatz, wobei er sich auch das Fehlverhalten und Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen nach den allgemeinen zu § 278 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätzen zurechnen lassen muss. Darüber hinaus kommt eine Schadensersatzpflicht der an der Durchführung von Selbsthilfemaßnahmen Beteiligten aus Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49. Aus Gründen der Systemstimmigkeit muss dieser Gedanke auch im Rahmen von § 2 Abs. 1 Nr. 11 lit. a SGB VII Berücksichtigung finden, was bedeutet, dass eine teleologische Reduktion dieser Vorschrift angezeigt ist, soweit der Anspruchsinhaber bei Vorliegen der Grundsituation der §§ 229, 230 BGB als „Herangezogener“ eine staatliche Vollstreckungsmaßnahme unterstützt, die in erster Linie dem Schutz seiner privaten Rechte dient. 856 Vgl. dazu auch die Ausführungen oben sub § 3 B IV 2 b, S. 159 ff. 857 S. dazu sub § 3 D IV 2, S. 224 ff. 854 855
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
den §§ 823 ff. BGB in Betracht. Dabei ist die Haftung auf Schadensersatz freilich nach den allgemeinen Grundsätzen von einem Verschulden abhängig und dementsprechend im Falle eines nicht vermeidbaren Irrtums über die Rechtswidrigkeit einer (vermeintlichen) Selbsthilfemaßnahme ausgeschlossen.858 Davon abweichend ordnet jedoch die oben bereits erwähnte859 Sonderregelung des § 231 BGB an, dass derjenige, der eine der im § 229 BGB bezeichneten Handlungen in der irrigen Annahme vornimmt, die für den Ausschluss der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen seien vorhanden, dem anderen Teil selbst dann zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht. Zur Begründung dieser Vorschrift wurde im Gesetzgebungsverfahren ausgeführt, dass es „dem Rechtsfühle“ entspreche, „daß derjenige, welcher von der exzeptionellen Selbsthülfebefugniß Gebrauch mache, dies auf seine Gefahr thue, und dementsprechend, wenn sich herausstelle, daß die Ausübung der Selbsthülfe objektiv zu Unrecht erfolgt sei, sich nicht durch die Berufung auf einen entschuldbaren Irrthum von der Verpflichtung, den anderen Theil schadlos zu halten, befreien könne“.860 Zugleich stellte der Gesetzgeber aber auch klar, dass „[d]urch die Aufnahme einer diesen Gedanken zum Ausdrucke bringende Vorschrift“ keineswegs der allgemeine Grundsatz angetastet werden solle, „daß eine aus entschuldbarem Irrthume für erlaubt gehaltene Handlung den Handelnden zum Schadensersatz nicht verpflichte“.861 Vielmehr sollte „eine Spezialbestimmung“ geschaffen werden, „welche in Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Bestimmung eine analoge Anwendung auf verwandte Fälle nicht zulasse“.862 Der Gesetzgeber war sich bei der Schaffung des § 231 BGB also durchaus darüber im Klaren, dass diese Vorschrift einen Fremdkörper in der normativen Struktur des Haftungssystems darstellt. Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung863 handelt es sich bei der in § 231 BGB statuierten Haftung jedoch nicht um einen Fall der Gefährdungshaftung – und zwar deshalb nicht, weil die Haftung aus § 231 BGB ausschließlich an rechtswidriges Verhalten anknüpft.864 Vielmehr handelt es sich bei § 231 BGB in der Sache um eine Haftung aus unerlaubter Handlung, bei welcher das Gesetz eine Haftungsverschärfung im Sin858 Vgl. etwa Bork, BGB AT, Rn. 389; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 142 ff.; v. Tuhr, AT II/2, § 96 I 4, S. 597. 859 S. sub § 3 G IV 1 a, S. 265 f. 860 Protokolle I, S. 244. 861 Protokolle I, S. 244. 862 Protokolle I, S. 244. 863 So etwa Palandt/Ellenberger, BGB, § 231 Rn. 1 (ohne Begründung); in diese Richtung auch Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 231 Rn. 1. 864 In diesem Sinne auch Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 79; Staudinger/Repgen, BGB, § 231 Rn. 4; Erman/E. Wagner, BGB, § 231 Rn. 2; W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 141 f.
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ne eines „Vertretenmüssens ohne Verschulden“ anordnet, indem es dem Handelnden „ausnahmsweise das Risiko des unverschuldeten Irrtums über die Rechtmäßigkeit seines Handelns“865 zuweist.866 Im gleichen Sinne hat bereits W. B. Schünemann herausgestellt, dass § 231 BGB „seiner Substanz nach lediglich einen Annex zu den §§ 823 ff. BGB“ bedeute, der „mit diesen derart ‚zusammenzusehen‘“ sei, dass „§ 231 BGB eine Verschärfung der regelmäßig vom Verschuldensprinzip regierten Schadenshaftung“ vornehme und den Handelnden auch dann zum Schadensersatz verpflichte, wenn sein Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruhe.867 Dabei gilt es allerdings zu sehen, dass das generelle Erfordernis der Verschuldensfähigkeit (§§ 827, 828 BGB) von § 231 BGB gerade nicht suspendiert wird.868 Das bedeutet, dass eine Schadensersatzpflicht nach § 231 BGB ausscheidet, wenn sich der irrende Selbsthelfer mangels Verschuldensfähigkeit für die rechtliche Betrachtung überhaupt nicht schuldhaft irren kann. Denn in der Sache zielt die Regelung des § 231 BGB lediglich auf eine Verschärfung des haftungsrechtlichen Verschuldensprinzips, nicht aber darüber hinaus auch auf eine Ausdehnung des Kreises der potentiell haftbaren Schädiger.869
Larenz, JuS 1965, 373, 375. Ähnlich schon v. Tuhr, AT II/2, § 96 I 4, S. 597: „Das Gesetz betrachtet die Selbsthilfe als ein überaus scharfes und für den Gegner gefährliches Rechtsmittel und hält es für angemessen, daß, wer dies Mittel anwendet, das Risiko des Irrtums tragen soll; wer Selbsthilfe übt, handelt auf eigene Gefahr. Die Ersatzpflicht aus § 231 [BGB] beruht auf einem, zwar nicht subjektiv, aber objektiv rechtswidigen Eingriff in fremden Rechtskreis und ist daher nach Analogie des deliktischen Schadensersatzes zu behandeln […].“ – Präzisierungsbedürftig erscheint vor diesem Hintergrund die verbreitete Charakterisierung der von § 231 BGB statuierten Haftung als Fall der „gesetzlichen Risikozurechnung“ (so etwa Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 79; Staudinger/Repgen, BGB, § 231 Rn. 4; MK/Grothe, BGB, § 231 Rn. 2; Erman/E. Wagner, BGB, § 231 Rn. 2). Zwar geht es bei § 231 BGB in der Tat um eine „gesetzliche Risikozurechnung“ in dem Sinne, dass diese Regelung dem (vermeintlichen) Selbsthelfer das Risiko einer Fehleinschätzung der Voraussetzungen einer erlaubten Selbsthilfe zuweist. Zugleich gilt es allerdings zu sehen, dass die Haftung aus § 231 BGB dogmatisch an das Vorliegen einer rechtswidrigen Handlung anknüpft, weshalb es sich bei der „gesetzlichen Risikozurechnung“ der Sache nach um eine Verschärfung des haftungsrechtlichen Verschuldensprinzips handelt. 867 W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 143. 868 Zutreffend W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 145, 148; v. Tuhr, AT II/2, § 96 I 4, S. 597; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, § 231 Rn. 1; s. für die Gegenauffassung etwa Staudinger/ Repgen, BGB, § 231 Rn. 4; Soergel/Fahse, BGB, § 231 Rn. 3; MK/Grothe, BGB, § 231 Rn. 2; Erman/E. Wagner, BGB, § 231 Rn. 2; Palandt/Ellenberger, BGB, § 231 Rn. 1. 869 Vgl. auch Wolf/Neuner, BGB AT, § 21 Rn. 79: „§ 231 [BGB] bezweckt nur, das Risiko der Fehleinschätzung dem Handelnden zuzuweisen. Ein hinreichender Sachgrund, der eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Schutzes Schuldunfähiger legitimieren könnte, ist nicht erkennbar.“ 865
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§ 3 Dogmatische Rekonstruktion der Not- und Selbsthilferechte
Wegen der Suspendierung des haftungsrechtlichen Verschuldensprinzips erscheint die Regelung des § 231 BGB indessen „für eine gänzlich friktionslose Einordnung in den bereits bekannten Bau der Rechtsordnung kaum geeignet“870. Vielmehr stellt diese Vorschrift, wie bereits erwähnt, einen Bruch in der axiologischen Struktur des geltenden Haftungssystems dar. Deshalb kann die in § 231 BGB getroffene Regelung gemäß der Maxime „singularia non sunt extendenda“871 nicht per analogiam auf die anderen Not- und Selbsthilferechte der Bürger übertragen werden.872 Im Gegenteil ist der Anwendungsbereich dieser „querstehenden“ Norm möglichst klein zu halten, wobei insbesondere, wie oben dargelegt wurde873, eine teleologische Reduktion des § 231 BGB angezeigt ist, soweit es um die Schadensersatzpflicht wegen eines vermeintlichen Handelns auf Grundlage der §§ 229, 230 BGB in ihrer Funktion als Notrecht geht. Als Fazit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass bei den §§ 229, 230 BGB in ihrer Eigenschaft als Selbsthilferecht unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten grundsätzlich die gleichen Prinzipien wie bei den anderen Selbsthilferechten zur Anwendung kommen, wobei im Rahmen der §§ 229, 230 BGB allerdings die haftungsverschärfende Sonderregelung des § 231 BGB zu berücksichtigen ist, die eine systemwidrige Ausnahmevorschrift darstellt und deshalb nicht im Wege der Analogie auf die anderen Not- und Selbsthilferechte der Bürger übertragen werden kann.
V. Zusammenfassung Zusammenfassend ist zu dem Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB festzuhalten, dass diese gesetzliche Regelung im heutigen Rechtsschutzsystem eine Doppelfunktion erfüllt. So fungieren die §§ 229, 230 BGB nämlich als Selbsthilferecht, soweit dem Inhaber des gefährdeten Anspruchs in einer von den §§ 229, 230 BGB erfassten Sachlage nur ein Rechtsschutzanspruch gegen den Staat zusteht, weil der Bürger in so gelagerten Konstellationen wegen des Fehlens eines staatlichen Vollstreckungsgeschäfts nicht das reguläre Vollstreckungspersonal des Staates ersetzt. Dagegen fungieren diese Vorschriften als subsidiäres Notgeschäftsführungsrecht des Bürgers für den Staat, soweit dem Bürger im Rahmen der §§ 229, 230 BGB neben einem Rechtsschutzanspruch noch ein Vollstreckungsanspruch auf Vornahme der konkret in Rede stehenden Vollstreckungsmaßnahme durch ein staatliches VollW. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 147 f. S. zu dieser Parömie auch Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 224 ff. 872 Abweichend aber etwa W. B. Schünemann, Selbsthilfe, S. 145 ff. sowie Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 86 IV 2 b, S. 669. 873 S. dazu § 3 G IV 1 a, S. 265 f. 870 871
G. Das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB
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streckungsorgan zusteht, weil der Bürger in derartigen Fallgestaltungen als „Vertreter des Staates ad hoc“874 an die Stelle der regulären Dienstkräfte des staatlichen Vollstreckungsorgans tritt. Weiter ist festzuhalten, dass die §§ 229, 230 BGB einem gefährdeten Anspruchsinhaber generell die zwangsweise Sicherung und Durchsetzung von privatrechtlichen Ansprüchen im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB ermöglichen, was bedeutet, dass die §§ 229, 230 BGB im System der Not- und Selbsthilferechte des Bürgers eine Auffangfunktion erfüllen. Damit korrespondiert, dass ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung der §§ 229, 230 BGB gemäß der Maxime „lex specialis derogat legi generali“ ausscheidet, soweit für die Sicherung oder Durchsetzung eines bestimmten privatrechtlichen Anspruchs ein spezielles Not- oder Selbsthilferecht einschlägig ist.
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Hegler, ZStW 36 (1915), 19, 39 in Fn. 49.
§ 4 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. 1. Will man die Gewaltrechte der Bürger so rekonzeptualisieren, dass sie sich harmonisch in das Gefüge der Gesamtrechtsordnung integrieren, dann ist es zunächst notwendig, die Lehre vom Gewaltmonopol des Staates in der Sprache der modernen Rechtsdogmatik zu reformulieren. Dabei gilt es zu sehen, dass der juristische Kerngehalt des Gewaltmonopolgedankens darin liegt, dass der Bezugspunkt des Staatsmonopols nicht der physische Zwang als solcher ist, sondern das Recht zum physischen Zwang.1 2. Unter juristischen Gesichtspunkten besagt die Gewaltmonopoldoktrin dementsprechend, dass der Staat ein Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang hat. Das impliziert, dass dem Staat das ausschließliche Recht zusteht, das Recht zum physischen Zwang durch seine Vollzugsorgane zur Verwirklichung der Rechtsordnung bzw. zur Sicherung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen zu nutzen (positives Nutzungsrecht) und Dritten die Nutzung des Rechts zum physischen Zwang ohne seine Zustimmung zu verbieten (negatives Verbietungsrecht).2 3. Daraus folgt für die juristische Konstruktion der Not- und Selbsthilferechte, dass dem Bürger durch diese gesetzlichen Regelungen von Seiten des Staates das Dürfen und Können zur Ausübung des Nutzungsrechts „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang verliehen wird.3 4. Um zum Ausdruck zu bringen, dass dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung das Dürfen und Können eingeräumt wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im eigenen
1
S. dazu oben sub § 2 A, S. 8 ff. S. dazu oben sub § 2 A, S. 9 ff. 3 S. dazu oben sub § 2 B, S. 13 f. 2
§ 4 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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Namen auszuüben, wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit der Begriff des Selbsthilferechts verwendet. Dagegen wird der Begriff des Notgeschäftsführungsrechts – oder kurz: des Notrechts – verwendet, um deutlich zu machen, dass dem Bürger durch eine gesetzliche Regelung das Dürfen und Können verliehen wird, das Nutzungsrecht „aus“ dem staatlichen Monopolrecht „an“ dem Recht zum physischen Zwang im Namen des Staates auszuüben.4 5. Die rechtliche Natur einer gesetzlichen Regelung als Not- oder Selbsthilferecht richtet sich auf Grundlage des hier vertretenen funktionsbezogenen Ansatzes danach, ob der Bürger in der konkret in Rede stehenden Sachlage als Ersatzmann an die Stelle der an sich vorrangig zum Handeln berufenen, aber zufällig abwesenden Amtswalter des Staates tritt oder nicht. Dabei ist vom Vorliegen eines subsidiären Notgeschäftsführungsrechts auszugehen, soweit der Bürger bei funktionsbezogener Betrachtungsweise das reguläre Staatspersonal substituiert. Soweit dies nicht der Fall ist, handelt es sich dagegen um ein Selbsthilferecht.5 6. Dementsprechend sind die Notrechte der Bürger als Ausprägung der Maxime „deficiente magistratu populus est magistratus“ zu verstehen. Das bedeutet, dass diese rechtlichen Instrumente bei funktional-teleologischer Betrachtungsweise dazu dienen, dem Bürger eine Mitwirkung bei der Staatsaufgabenwahrnehmung in Ausnahmesituationen zu ermöglichen, in denen ein Tätigwerden des Bürgers „für“ den Staat zwar dem Staatswillen entspricht, aber eine Einschaltung des Bürgers in die Staatsaufgabenwahrnehmung qua Rechtsgeschäft aus faktischen Gründen (mangels eines Amtswalters vor Ort, wegen der Dringlichkeit der Vollstreckungsaufgabe usw.) unmöglich oder untunlich ist. Damit korrespondiert, dass das Handeln des Bürgers auf Grundlage der Notrechte als Fall der auftragslosen Geschäftsführung im öffentlichen Recht zu begreifen ist, was impliziert, dass das normative Maßprinzip für das Ob und Wie der Notgeschäftsführung der (präsumtive) Wille des Staates als des Geschäftsherrn ist (vgl. §§ 677 ff. BGB).6 7. Bei den Selbsthilferechten geht es dagegen nicht um ein Tätigwerden des Bürgers als „verlängerter Arm“ des Staates, sondern um ein Handeln „auf eigene Faust“. Dabei entsteht mit der Einleitung von Selbsthilfemaßnahmen durch den Selbsthelfer ein privatrechtliches Vollstreckungsverhältnis zu dem Selbst4
S. dazu oben sub § 2 C, S. 14 f. S. dazu oben sub § 2 C, S. 15 ff. 6 S. dazu den kurzen Überblick oben sub § 2 D I, S. 18 f. sowie die dortigen Querweise. 5
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§ 4 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
hilfegegner, welches als „ähnlicher geschäftlicher Kontakt“ im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzustufen ist. Damit korrespondiert, dass der Selbsthelfer gemäß § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Inte ressen des Selbsthilfegegners und gemäß § 242 BGB zur Wahrung des auf Treu und Glauben beruhenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verpflichtet ist.7
II. 1. Als subsidiäre Notgeschäftsführungsrechte des Bürgers „für“ den Staat sind das Recht zur vorläufigen Festnahme aus § 127 Abs. 1 S. 1 StPO8, das Notwehrrecht aus §§ 227 BGB, 32 StGB9 und das Sachwehrrecht aus § 228 BGB10 zu begreifen. 2. Als Selbsthilferecht ist dagegen das Recht zur Beseitigung von Überhang aus § 910 Abs. 1 BGB zu verstehen.11 3. Eine differenzierende Betrachtung ist mit Blick auf das Recht zur Besitzwehr und -kehr aus § 859 BGB12 , das Recht zur Sicherung des Vermieterpfand rechts aus § 562b Abs. 1 BGB13 und das Recht zur Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen aus §§ 229, 230 BGB14 geboten, weil diese gesetzlichen Regelungen nur einen partiell subsidiären Charakter haben. Dementsprechend dienen diese Regelungen als Notgeschäftsführungsrechte des Bürgers „für“ den Staat, soweit der Bürger bei funktionsbezogener Betrachtungsweise das Vollstreckungspersonal des Staates substituiert. Soweit dies dagegen nicht der Fall ist, fungieren diese Regelungen als Selbsthilferechte.
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S. dazu den kurzen Überblick oben sub § 2 D II, S. 19 f. sowie die dortigen Querweise. S. dazu oben sub § 3 A, S. 23 ff. 9 S. dazu oben sub § 3 B, S. 56 ff. 10 S. dazu oben sub § 3 C, S. 163 ff. 11 S. dazu oben sub § 3 E, S. 230 ff. 12 S. dazu oben sub § 3 D, S. 199 ff. 13 S. dazu oben sub § 3 F, S. 240 ff. 14 S. dazu oben sub § 3 G, S. 249 ff. 8
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Sachregister Abschleppfälle, privatrechtliche 213 ff., 218 ff., 224 ff. – Abschleppen als private Ersatzvornahme 215 f., 220 f. – und Geschäftsführung ohne Auftrag 216 f., 225 – Haftungsfragen 224 ff., 228 f. – Kostenerstattung 20, 213 ff. – und Sofortigkeitskriterium siehe dort – und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 212 f., 228 f. Absichtsprovokation – bei der Notwehr 112 ff. – bei der Sachwehr 186 ff. Achtungspflicht 11 f., 65 f., 89, 106, 113, 123 f., 131, 133, 135, 141, 146, 151, 158, 163 f., 187, 204 Aggressivnotstand 192 f., 199 ähnlicher geschäftlicher Kontakt 19, 212, 225, 227 f., 235, 239, 245, 247 f., 260, 267, 274 Amt – als „Empfangsform“ 33, 36, 76 – als organinterne Einheit 27 ff. (mit Fn. 29) Amtshaftung 19, 47 ff., 155 f., 196, 222, 264 – Amtswalterbegriff, haftungsrechtlicher siehe dort – und Regress 50 f. – und Rückgriffsprivileg 51, 155 – und Überschreitung der Vertretungsmacht 51 ff. (mit Fn. 123), 155 f. – Voraussetzungen 48 ff. – und Zurechnungszusammenhang 48 f., 155 Amtswalterbegriff – Abgrenzung vom Organbegriff 27 ff. – haftungsrechtlicher 16 f.
Angriff – Anscheinsangriff 85 f. – Beurteilungsperspektive 84 ff. – subjektive Rechtsposition als Bezugspunkt 58 f. Anscheinsgefahr 85 Anspruch – Begriff 61 f. – Rechtsverwirklichungsfunktion 66 (mit Fn. 66), 81 – und subjektive Rechtsposition 58 ff., 61 ff., 65 ff. Anspruch auf Ersatz des Sachschadens 54 f., 157 ff., 161, 197 f., 223, 229, 266 Anspruch auf Heilbehandlung 53 f., 156 f., 159 f., 197 f., 266 Anspruch auf Mitteilung der Personalien 253, 256 ff., 264, 266 Anspruch auf polizeiliches Einschreiten 68, 72, 84, 93, 97, 107, 124, 131, 133, 135, 141, 146, 151, 166 f., 169, 172, 180 f., 187, 205, 207, 209, 252, 257, 262 Arbeitskraft – Verdinglichung von 29 f. (mit Fn. 32), 76 f. – Versinnbildlichung von 33, 36, 44, 74, 99, 103, 107 f., 110 ff., 114 ff., 189, 257 – als Zuwendungsgegenstand 29 ff. (mit Fn. 28), 103 f. Arbeitsunfall 54 (mit Fn. 124), 157 Auge des Gesetzes 43, 86 Ausschließlichkeitsrecht 10 f., siehe auch Rechtsposition, subjektive – Begriff 10 f. – dogmatische Struktur 11 berufliche Nothelfer siehe professionelle Nothelfer
302
Sachregister
Beseitigungsanspruch – negatorischer 60, 98, 131, 135, 146, 231 ff. – possessorischer 202 f., 211, 214 f., 220 Besitzposition vs. Rechtsposition 200 Besitzwehr und -kehr, Recht zur – Abgrenzung vom Notwehrrecht 200 f. – Abschleppfälle, privatrechtliche siehe dort – Doppelfunktion als Not- und Selbsthilferecht 203 ff. – Erstattung der Selbsthilfekosten 213 ff. – Haftungsfragen 222 ff. – und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 212 f., 228 f. – als vollstreckungsrechtliches Instrument 200 ff. – zeitliche Grenzen 209, 218 ff. Brille des Rechts 6 f., 104, 110, 149 creatio ex nihilo siehe Rechtsperson, creatio ex nihilo Defensivnotstand siehe Sachwehrrecht deficiente magistratu populus est magistratus 15 (mit Fn. 35), 17, 38, 64, 76, 81, 99, 102, 162, 172, 203, 207, 209, 244, 255, 273 Drei-Stufen-Theorie siehe Notwehrrecht, Drei-Stufen-Theorie Eigengeschäftsführung – böswillige 106 ff., 118, 186 ff. – verdeckte 112 ff., 186 ff. Eigengeschäftsführungswille – Angriffswille als 115 f., 118 – widerlegbare Vermutung für Vorliegen 114, 117 f., 190 Einheit der Rechtsordnung 2, 22, 40 f., 56, 79 f., 240 f., 249, 272 Erforderlichkeitskriterium – und Subsidiarität der Notwehr 89 ff. Erfüllungsgehilfe 20, 33 f., 37, 72, 170 f., 225 ff., 267 Erlaubnistatbestandsirrtum 150 ff. Ersatzmann 15, 18, 21, 43, 91 in Fn. 270, 100 f., 183, 185, 203, 243, 252, 273 Ersatzvornahme
– hoheitliche 167 ff., 178 ff. – private 213 ff., 218 ff., 230 ff., 237 ff. Erstattung der Selbsthilfekosten 20, 213 ff., 221, 237 ff., 246 f., 260 falsus procurator 52 f., 152, 264 fiktive Grundverfügung – als juristischer Denkbehelf 71 – als Vollstreckungsgrundlage 71 f. (mit Fn. 202), 84 ff., 90, 94, 107 ff., 122 f., 124 ff., 133, 135, 141, 146, 151, 160, 162, 169, 207, 209, 257 f., 262 fiktiver Hilferuf des Staates – Notrechte als 35 f., 44, 76, 88, 119, 148 f., 172, 177, 179, 185, 254, 257 finaler Todesschuss 93 ff. Flucht ins Privatrecht, haftungsrechtliche 40 (mit Fn. 76), 80 (mit Fn. 229) Fremdgeschäftsführungswille – Notgeschäftsführungswille als 102 ff., 107, 111, 114, 118 ff., 162, 186 – vs. Selbsthilfewille 216 ff., 225, 239 – Verteidigungswille als 115, 117 f., 185 f., 188 ff. Friedenspflicht der Bürger 11 f. (mit Fn. 23), 14 Gebotenheitsbegriff – und Geschäftsherrnwille 87 ff. (mit Fn. 253), 92, 96, 119 ff., 132 ff., 138, 143 f., 184 f. (mit Fn. 573), 191, 206, 209, 244, 255 f. – und Verhältnismäßigkeitsprinzip 120 ff., 128 ff. – und Wortlautgrenze 128 f. Gefahrbeseitigungsanspruch 165 f., 172, 180 f., 187 Gefahrbeseitigungsmaßnahme 169, 173, 179 f., 191 Gefahrbeseitigungsverfügung 166 f., 180 f. gefahrbringende Sache 18 in Fn. 42, 172, 177 ff., 190 f., 194, 196, 199 Geschäftsführung ohne Auftrag – öffentlich-rechtliche 18 f., 37 ff., 119 f. – privatrechtliche 216 f., 225 ff. Geschäftsherrnwille 18 f., 41, 44 ff., 83, 87 ff., 119 ff., 178, 183 ff., 191, 209, 244, 255, 244, 255 f.
Sachregister – und Gebotenheitsbegriff siehe dort Gesinnungsstrafrecht 110 f. Gewaltmonopol des Staates 2, 8 ff., 21, 87, 91, 95 f., 272 – und Friedenspflicht der Bürger siehe dort – juristische Reformulierung der Lehre vom 8 ff., 21, 272 – und Subsidiarität der Notwehr 87, 91 ff. gewerbliche Sicherheitskräfte 50 f., 155, siehe auch professionelle Nothelfer Grundverfügung, fiktive siehe fiktive Grundverfügung Herangezogener 161 in Fn. 510, 197, 198 in Fn. 613, 223, 224 in Fn. 704, 266, 267 in Fn. 855, siehe auch Verwaltungshelfer Herausforderungsgedanke 157 f., 161, 198, 224, 229 Herausgabevollstreckung 201, 206, 220 ff. – vs. Ermächtigung zur Selbstvornahme 220 ff. (mit Fn. 690) Herrschaftsrecht siehe Ausschließlichkeitsrecht Hilferuf des Staates 24, 35 f., 36, 44, 76, 82, 87 f., 97, 119, 148 f., 171 f., 177, 179, 185, 253 f., 257 – fiktiver siehe dort Hilfsperson 34, 74, 108, 110, 171, 183, 210, 212, 228 hypothetische Grundverfügung siehe fiktive Grundverfügung ideologische Anrufung 6 (mit Fn. 35) individualrechtliches Schutzprinzip siehe Schutzprinzip, individualrechtliches Jedermannsrecht 23, 31 f., 35, 38 f., 42, 45, 82, 171, 207, 223, 248, 255, 258 juristische Sekunde 29, 33, 69, 150, 298 Konstruktion übers Eck 18 f., 27 ff., 42, 68 ff., 117, 122, 136, 141, 144, 152, 161, 167 ff., 189, 244 Körperrecht 58 (mit Fn. 148), 65, 106 Kulturwelt 6 f., 104 lex specialis derogat legi generali 242, 246, 261, 271
303
Monopolrecht – Begriff 10 f. – dogmatische Struktur 11 – des Staates „an“ dem Recht zum physischen Zwang 8 ff., 28, 36 ff., 55, 70 ff., 91 f., 117, 134, 152, 167 ff., 190, 193, 203, 210, 215, 225, 230, 247, 251, 260, 272 f. negatorische Beseitigungspflicht 165 ff., 179, 183, 191 – Erlöschen durch Unmöglichkeit wegen Zweckerreichung 239 – und Ersatzvornahme 167 ff., 231 ff. – und Recht zur Beseitigung von Überhang 231 ff. – und Sachwehrrecht 165 ff. – Unverhältnismäßigkeit als Grenze 173 ff. – und Zustandsverantwortlichkeit 165 ff., 233 ff. negatorischer Abwehranspruch 60 ff., 82, 84, 125, 131, 242 f. – Begriff 60 ff. – Beseitigungsanspruch siehe Beseitigungs anspruch, negatorischer – Gefahrbeseitigungsanspruch siehe dort – und negatorischer Wille des Rechts inhabers 89, 93, 98, 106, 109, 113, 133, 135, 141, 187 – und subjektive Rechtsposition 61 ff., 65 ff. – Unterlassungsanspruch siehe Unterlassungsanspruch, negatorischer – Unterlassungsanspruch vs. Beseitigungsanspruch 60 – Vindikationsanspruch als siehe dort – und Widerspruchsrecht des Vermieters 241 ff. Notgeschäftsführungsrechte siehe Notrechte Notgeschäftsführungswille 18, 41, 44 f., 56, 83, 102 ff., 132, 141, 151 f., 155, 162, 178, 186 ff., 194, 210 – und Absichtsprovokation 114 ff., 188 ff. – als Fremdgeschäftsführungswille 102 ff., 111, 114, 116, 162, 186 – als normatives Konstrukt 102 ff. – und Schädigungsabsicht 116 f., 188 f.
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Sachregister
– Verteidigungswille als 115 ff., 185 ff. – widerlegbare Regelvermutung für Vorliegen 45, 103, 107, 114, 118 Notrechte – Begriff 14 f., 18, 273 – dogmatische Grundstruktur 18 f. – und Gewaltmonopol des Staates 8 ff., 13 ff., 87 f., 91 (mit Fn. 270) – und Handeln als verlängerter Arm des Staates 15, 19, 39, 45, 108, 136, 192, 205, 244, 258 f., 273 – Lückenfüllerfunktion 15, 98, 129 – als Notgeschäftsführungsrechte „für“ den Staat 15, 17 ff., 37, 41, 56, 82 f., 118, 140, 149, 171 ff., 178, 188, 194, 198, 206, 208 f., 222 f., 230, 243, 254 f., 264 ff., 270, 273 f. – und Notgeschäftsführungswille siehe dort – als Notvertretungsrechte 44, 52, 72, 91, 102, 107, 117, 130, 190, 203, 254, 264, 267 – und status procuratoris siehe dort – Subsidiarität 16 ff., 31 ff., 56, 73 ff., 86 ff., 162, 170 ff., 183 ff.. 198 f., 204 ff., 222 f., 230, 243 ff., 249, 252 ff., 266, 270, 273 f. Notrechtsvorbehalte, polizeirechtliche 149 f. Notstandsrecht siehe Aggressivnotstand Notwehrrecht 56 ff. – Abgrenzung vom Sachwehrrecht 193 ff. – Absichtsprovokation 112 ff. – und Amtshaftung 154 ff. – und Anscheinsgefahr 84 ff. – als „Ausnahme“ vom staatlichen Gewaltmonopol 87, 91 (mit Fn. 270) – Berufung von Polizisten auf das 148 ff. – Drei-Stufen-Theorie 116 f., 130 ff., 134 ff., 140 ff., 144 f. – dualistische Notwehrkonzeption 56 ff. – in engen persönlichen Verhältnissen 140 ff. – Erforderlichkeitskriterium 89 ff. – Ermächtigungslösung vs. Vertretungs lösung 79 ff. – als fiktiver Hilferuf des Staates 76, 82, 88, 119, 148 f., 172, 177, 179, 185
– und Flucht ins Privatrecht, haftungsrechtliche 80 – Gebotenheitsbegriff siehe dort – Gegenwärtigkeitsbegriff 261 ff. – individualistische Notwehrkonzeptionen 80 in Fn. 227 – als Instrument des negatorischen Rechtsschutzes 59 ff., 162, 193, 200 – krasses Missverhältnis 125 ff. – Lückenfüllerfunktion 129 – und Menschenbild des Grundgesetzes 1, 81 – als Notgeschäftsführungsrecht „für“ den Staat 82 f., 118, 140, 149, 274 – als Notvertretungsrecht 76, 91, 102, 107, 117, 130 – Notwehrprovokation, unabsichtliche 134 ff. – Notwehrwille siehe dort – Pflicht zur Ausübung 145 ff. – Putativnotwehr siehe dort – Rechtsbewährungsprinzip, überindividuelles siehe dort – schuldlose Angriffe 130 ff. – Schutzprinzip, individualrechtliches siehe dort – „sozialethische“ Einschränkungen 119 ff. – und sozialwidriges Vorverhalten 139 f. – und status procuratoris 76 ff., 82 f., 111, 142, 152, 162 – Subsidiarität 73 ff., 86 ff. – und Unfallversicherung, gesetzliche siehe dort – und Verhältnismäßigkeitsprinzip 120 ff. – Verhältnis zum Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts 241 ff. – Verteidigungswille siehe Notwehrwille – Zwei-Elemente-Theorie 57 Notwehrwille – und Absichtsprovokation 112 ff. – und andere Beweggründe 104 ff. – Beurteilungsperspektive für Vorliegen 103 ff. – als finaler Notgeschäftsführungswille 102 ff. – und Geschäftsfähigkeit 103 (mit Fn. 313) – und Gesinnungsstrafrecht siehe dort
Sachregister – und Handeln „bei Gelegenheit“ einer Notwehrlage 106 ff. – als normatives Konstrukt 102 ff. – und psychologischer Wille 104 ff. – und Schädigungsabsicht 110 ff., 116 ff. – als staatsgerichteter Leistungswille 107 ff. – widerlegbare Regelvermutung für Vorliegen 103, 106 f., 114 Organ siehe Rechtsorgan Partialobjekt 30 (mit Fn. 30), 32 (mit Fn. 45), 76 (mit Fn. 209), 117, 152, 189 – und Konstruktion übers Eck 29 ff., 76 ff., 117, 152, 189 – als Sinnbild für Arbeitskraft siehe Arbeitskraft, Versinnbildlichung von – als verdinglichte Kraft 29 (mit Fn. 32), 77 (mit Fn. 209) Persönlichkeitsrecht 58, 65, 106, 113, 135 Polizeihelfer 74 f., 141, 149, 161, 198, siehe auch Verwaltungshelfer polizeiliches Einschreiten – Anspruch auf siehe dort – zum Schutz privater Rechte 68 (mit Fn. 185), 85, 166, 252, 257 – und Subsidiaritätsklausel, polizeirechtliche siehe dort – Verhältnis zum gerichtlichen Rechtsschutz 67 f., 166, 243 f., 252 ff. possessorischer Besitzschutzanspruch 200 ff., 205 f., 210 f., 213 ff., 230, 261 – Beseitigungsanspruch siehe Beseiti gungsanspruch, possessorischer – Unterlassungsanspruch siehe Unterlassungsanspruch, possessorischer – Wiedereinräumungsanspruch 201 ff., 205 ff., 211, 214 professionelle Nothelfer – Haftung 47 ff., 50 f., 155 – und Haftungserleichterung 51, 155 – und Rückgriffsprivileg 51, 155 – und Unfallversicherung, gesetzliche 55, 159 pro magistratu 23, 38 f., 43, 64, 78, 92, 102, 122, 177, 188, 206, 251, 255, 262 – Definition 39 in Fn. 70
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Putativnotwehr 150 ff. Rechtsbewährungsprinzip, überindividuelles – dogmatische Rekonstruktion 65 ff. – herkömmliche Begriffsbestimmungen 63 ff. Rechtsgegenstand 10, 12, 61 f., 164, 173 Rechtsorgan – Abgrenzung vom Amtswalterbegriff 27 ff. – Abgrenzung vom Vertreterbegriff 36 – und Amt 27 ff. (mit Fn. 29) – Begriff 5 (mit Fn. 30) – Rechtsperson als Träger des 48, 51, 148 Rechtsperson – Begriff 5 – creatio ex nihilo 6 – vs. Kulturperson 4, 104 ff. – und rechtlicher Körper 5 (mit Fn. 27), 58 (mit Fn. 148) – Rechtsfähigkeit 5 (mit Fn. 26) – und Rechtsorgan siehe dort – und Rechtspersönlichkeit siehe dort – und Rechtssubjekt siehe dort Rechtspersonifikation des Menschen 4 ff. Rechtspersönlichkeit 5 (mit Fn. 28), 58 (mit Fn. 149) Rechtsposition, subjektive 58 ff., 163 ff., siehe auch Ausschließlichkeitsrecht – und Anspruchsrecht 60 ff., 65 ff. – Begriff 58 ff. – und Rechtsgegenstand 58 ff., 65 ff., 163 f. Rechtsschutzanspruch 67 f., 72, 82 ff., 166, 169, 181, 215, 252 ff., 270, 282, 289 – und Anspruch auf polizeiliches Einschreiten 68, 72, 84, 169 – Begriff 67 (mit Fn. 183), 72, 82 ff. – Verknüpfung mit privatrechtlichem Anspruch 67, 166 Rechtssubjekt 5 (mit Fn. 29) Rechtswelt 6 f., 28 ff., 56, 68 f., 79, 104, 112, 115, 168, 171 – Begriff 6 f., 104 – und Kulturwelt 6 f., 104 Recht zum physischen Zwang – Monopolisierung des 8 ff., siehe auch Gewaltmonopol des Staates
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Sachregister
Recht zur Sicherung des Vermieterpfand rechts 240 ff. – als Instrument des negatorischen Rechtsschutzes 242, 246, 249 – Verhältnis zum Notwehrrecht 241 ff. Recht zur vorläufigen Festnahme 23 ff. – und Amtshaftung 47 ff. – Beurteilungsperspektive für Eingreifen 52 f. – als eingeschränktes Behördenvertretungsrecht 23, 35 – Ermächtigungslösung vs. Vertretungs lösung 40 f. – als fiktiver Hilferuf des Staates 35, 44 – und Flucht ins Privatrecht, haftungsrechtliche 40 f. – als Notgeschäftsführungsrecht „für“ den Staat 37, 41, 56 – und status procuratoris 39, 42, 52 – subsidiärer Charakter 31 ff., 41, 46, 56 – und Unfallversicherung, gesetzliche siehe dort – und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 37 f., 46, 52 Repräsentation 78 f., siehe auch Stellvertretung risikotypische Begleitschäden 19, 53 ff., 156 ff., 197 f., 223 f., 229, 248, 266 f. Sachwehrrecht 163 ff. – Abgrenzung vom Aggressivnotstand 191 ff., 199 – Abgrenzung vom Notwehrrecht 192 f., 199 – Absichtsprovokation 186 ff. – Abwehrwille als Notgeschäftsführungswille 185 ff. – und Anspruch auf polizeiliches Einschreiten 166 ff. – und Beseitigungspflicht des Zustands verantwortlichen 164 ff., 181 ff. – als fiktiver Hilferuf des Staates 171 f., 177 – und Gefahrbeseitigungsanspruch 165 ff., 180 f., 187, 191 – als Notgeschäftsführungsrecht „für“ den Staat 171 ff., 178, 188, 194, 198 – und polizeiliche Ersatzvornahme 167 ff., 178 ff.
– schuldhafte Herbeiführung einer Sachwehrmaßnahme 194 ff. – subsidiärer Charakter 170 ff., 183 ff. – Übertragung der Gebotenheitsklausel auf das 184 f., 191 – und Unfallversicherung, gesetzliche siehe dort – Verhältnismäßigkeitklausel 173 ff., 190 f. – und Zustandshaftung 164 ff., 191 ff. Schutzprinzip, individualrechtliches – dogmatische Rekonstruktion 58 ff., 82 – herkömmliche Begriffsbestimmung 57 f. Schutz privater Rechte 64 (mit Fn. 169), 68, 78, 85, 166, 252, 257 Selbsthilfekosten siehe Erstattung der Selbsthilfekosten Selbsthilferechte – Begriff 14 f., 21, 272 f. – dogmatische Grundstruktur 19 f. – Erstattung der Selbsthilfekosten siehe dort – Haftung des Selbsthelfers 19 f., 212 in Fn. 659, 224 ff., 239, 267 – und Handeln auf eigene Faust 15 (mit Fn. 30), 245, 250, 259, 269 – Selbsthilfewille siehe dort – und Treu und Glauben 211 ff., 221 f., 228, 235, 245, 247, 257, 259 f., 274 – und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 19, 212 f., 228 f., 274 – als vollstreckungsrechtliche Instrumente 3, 200 ff., 210 f., 212 ff., 216, 218, 230 ff., 249 Selbsthilfewille 211 ff., 228, 235, 239, 245, 247, 259 – vs. Fremdgeschäftsführungswille 217, 225, 239 si excessit, privatus est 53 (mit Fn. 123) singularia non sunt extendenda 270 Sofortigkeitskriterium 218 ff. Sofortvollzug 71 f., 121, siehe auch fiktive Grundverfügung – Ersatzvornahme im Wege des 169, 177 ff., 182 f., 192, 199 Staatsaufgabenerfüllung 16, 40 f. 44, 75, 77, 80 f., 87 f., 100, 185, 255, 266
Sachregister Staatsaufgabenwahrnehmung 17, 30, 35, 40, 44, 75, 80, 81, 96, 101, 162, 171, 197 f., 223, 273 Staatskörper 28 ff., 33, 42, 49, 70, 74 ff., 133, 147, 152, 205, 259 Staatsorgan 23 ff., 33 ff., 76, 148 f., 258 Staatsperson 6, 9 f., 13, 15 f. 21, 26 ff., 70 ff., 133, 136, 147, 152 f., 176 ff., 183 f., 189, 205, 252, 254, 259 Staatspersonal 15 f., 21, 26, 31, 42, 73 f., 87, 90, 92 f., 100, 102, 171, 179, 180, 183 ff., 203, 206, 209, 273 status procuratoris 39, 76 ff., 82 f., 111, 142, 152, 162, 172, 175, 182, 184, 186, 190, 206, 253, 257 Stellvertretung – Aktivvertreter als „Erklärungshelfer“ 32, 69 – im Besitz 125 (mit Fn. 382), 134, 141, 170, 173, 182, 184 – falsus procurator siehe dort – und Konstruktion übers Eck 29 ff., 32, 68 f., 78 f. – Lehre von der Realpräsenz des Geschäftsherrn 78 f. – Passivvertreter als „Hörwerkzeug“ 32, 68, 166 – Überschreitung der Vertretungsmacht siehe dort – Vertreterbegriff vs. Organbegriff 36 – Wissensvertreter siehe dort Strafverfolgungsorgan 26 ff. – Abgrenzung vom Amtswalterbegriff 27 ff. – Amt in dem 29 ff. – als Funktionseinheit innerhalb des Staatskörpers 29, 42 subjektive Rechtsposition, siehe Rechts position, subjektive Subsidiarität der Notrechte siehe Notrechte, Subsidiarität Subsidiarität der Notwehr siehe Notwehrrecht, Subsidiarität Subsidiaritätsklausel, polizeirechtliche 68 (mit Fn. 185), 166, 180, 262 f.
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Tierattacke 170, 186, 194 Treu und Glauben 19, 211 ff., 221 f., 228, 235, 245, 247, 257, 259 f., 274 – und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 19, 212 f., 228, 245, 247, 257, 260 (mit Fn. 837), 274 Überhang, Recht zur Beseitigung von 230 ff. – Fristsetzungserfordernis 234 f. (mit Fn. 235), 236 f. – und Geschäftsführung ohne Auftrag 239 – als Instrument zur Durchsetzung von Beseitigungsansprüchen 231 ff. – Kostenerstattung 237 ff. – und Zustandshaftung 232 ff. Überschreitung der Vertretungsmacht 52 f. (mit Fn. 53), 120, 154, 156, 196, 223, 264 Unfallversicherung, gesetzliche – Anspruch auf Ersatz des Sachschadens siehe dort – Anspruch auf Heilbehandlung siehe dort – Arbeitsunfall siehe dort – und Haftung für risikotypische Begleitschäden 19, 53 ff., 156 ff., 197 f., 223 f., 229, 248, 266 f. – und Notwehrrecht 156 ff. – und professionelle Nothelfer 55, 159 – und Recht zur Besitzwehr und -kehr 223 f., 229 – und Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts 248 – und Recht zur Sicherung und Durch setzung von Ansprüchen, allgemeines 266 f. – und Recht zur vorläufigen Festnahme 53 ff. – und Sachwehrrecht 197 f. – versicherte Person 53 ff., 157 ff., 197 f., 223 f., 266 f. unmittelbare Ausführung 168 f., 171 f., 178 f. – Verhältnis zu sofortigem Vollzug 168 (mit Fn. 534) unmittelbarer Zwang 27, 74, 178 f., 187, 192, 199, 245 Unmöglichkeit wegen Zweckerreichung 217, 238
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Sachregister
Unterlassungsanspruch – negatorischer 59 f., 66, 89, 93, 97 f., 106, 109, 124, 131, 133, 135, 141, 146, 151, 164, 204 – possessorischer 202 f., 205, 211, 214 verbotene Eigenmacht 201 ff., 214, 219, 222, 224 Verbotsirrtum 109 Verhaltensstörer 62, 150, 200, 242, 245, 246, 261 Verhaltenszurechnung siehe Zurechnung, von Verhalten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 18 f., 24, 37, 46, 120, 122, 129 f., 132, 176, 179, 190, 192, 212 f., 228, 245, 260, 274 – Begrenzung gesetzlicher Beseitigungspflichten durch 173 ff. – und Gebotenheitsbegriff 128 ff. – und Geschäftsherrnwille 18 f., 37, 46, 122, 132, 212 – Integration in das Notwehrrecht 120 ff. – und Treu und Glauben siehe dort verlängerter Arm 15, 19, 33, 39, 45, 108, 136, 192, 205, 226 f., 244, 258 f., 273 Vermieterpfandrecht siehe Recht zur Sicherung des Vermieterpfandrechts Verteidigungswille – bei der Notwehr siehe Notwehrwille – bei der Sachwehr siehe Sachwehrrecht, Abwehrwille als Notgeschäftsführungswille Vertretungsmacht 32, 36, 52 f. 69, 120, 125, 149, 154, 196, 223 – Überschreitung der siehe dort Verwaltungshelfer 25, 33, 34 f., 171, 223, 266, siehe auch Polizeihelfer und Vollstreckungshelfer – und Amtswalterbegriff, haftungsrechtlicher siehe dort – Begriff 25 in Fn. 14, 33 (mit Fn. 47) – Bestellung zum 33, 37, 223 – und Konstruktion übers Eck 31 ff. – Verhaltenszurechnung 33 ff., 49, 55 in Fn. 130, 79 – als verlängerter Arm des Staates 33, 39, 45, 108, 136, 192, 205, 244, 258 f., 273
Vindikationsanspruch 60, 63, 81, 124 f., 162, 176, 200, 205, 207 – als negatorischer Abwehranspruch 60, 162, 200, 242, 261 ff. Vollstreckungsanspruch 72, 82 ff., 124, 130, 169, 181, 243 ff., 252 ff., 270 – und Anspruch auf polizeiliches Einschreiten 72, 84, 169 – Begriff 72 (mit Fn. 203), 82 ff., 169, 181 Vollstreckungsaufgabe, staatliche 17, 72 ff., 82, 88, 92, 99 f., 100, 107, 119, 150, 162, 170 f., 177, 183, 185, 207, 252, 273 Vollstreckungsgeschäft, staatliches 16, 84, 86, 92, 103, 107 ff., 118, 120, 122, 125, 128 f., 133, 137, 139, 143 f., 146, 149, 152, 154 f., 161 f., 190, 196, 205, 208 f., 222, 227, 244, 253 ff., 266 f., 270 Vollstreckungshelfer 15, 20, 75 f., 82, 97, 107, 122, 125, 147 f., 152, 154, 170, 172, 175, 182, 198, 209, 224 Vollstreckungsverhältnis, privatrechtliches 19, 212, 227 f., 235, 245, 247, 260, 267, 273 vorläufige Festnahme siehe Recht zur vorläufigen Festnahme Vorrang obrigkeitlicher Hilfe 15 f., 18, 21, 31, 87, 92 f., 143, 177 ff., 182 ff., 294, 206, 210, 243, 246, 252 f., 273, 275, 291 Welt des Rechts siehe Rechtswelt Willensbegriff – juristischer vs. psychologischer 104 f. Wissensvertreter 42, 85 Zugezogener 32 (mit Fn. 41), 170 Zurechnung – von Besitz 125, 134, 141, 170, 173, 182, 184, – Durchbrechung der 51 ff., 155 f. – des Empfangs von Erklärungen 32, 68, 166 – von Verhalten 34, 37, 49, 53 in Fn. 123, 74, 79, 182, 189, 226 ff., 239, 267 – von Willenserklärungen 32, 68 f., 97, 167 – von Wissen 42, 85, 151 Zustandshaftung – dogmatischer Anknüpfungspunkt 164 ff., 176 f.
Sachregister – und Recht zur Besitzwehr und -kehr 214 ff. – und Sachwehrrecht siehe dort – und Überhang, Recht zur Beseitigung von siehe dort
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– Unverhältnismäßigkeit als Grenze 173 ff. Zwischenperson 39, 49, 56, 80, 108, 111, 150, 227, siehe auch Konstruktion übers Eck