Der Nichtakt: Eine dogmatische Rekonstruktion [1 ed.] 9783428546886, 9783428146888

Was ist ein Nichtakt? Das Allgemeine Verwaltungsrecht bleibt die Antwort auf diese theoretisch wie praktisch relevante F

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German Pages 213 Year 2015

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Der Nichtakt: Eine dogmatische Rekonstruktion [1 ed.]
 9783428546886, 9783428146888

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1294

Der Nichtakt Eine dogmatische Rekonstruktion

Von

Laura Münkler

Duncker & Humblot · Berlin

LAURA MÜNKLER

Der Nichtakt

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1294

Der Nichtakt Eine dogmatische Rekonstruktion

Von

Laura Münkler

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Prime Rate Kft., Budapest Printed in Hungary ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14688-8 (Print) ISBN 978-3-428-54688-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84688-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit beruht auf Erwägungen, die meinem am 14.05.2014 gehaltenen Dissertationsvortrag zugrunde lagen. Rechtsprechung und Litera­ tur wurden bis Dezember 2014 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt vor allem meinem akademischen Lehrer, Prof. Dr. Jens Kersten, der mich nicht nur dazu angeregt hat, die Figur des Nicht­ akts näher zu untersuchen, sondern mir auch den hierzu notwendigen aka­ demischen Freiraum eingeräumt hat. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Martin Burgi für seine Anmerkungen. Besonders danken möchte ich außerdem meinen Freunden sowie meinen Kolleginnen und Kollegen an der Ludwig-Maximilians-Universität Mün­ chen. Hervorzuheben sind dabei im Besonderen PD Dr. Albert Ingold, Dr. Daniel Fröhlich und Dr. Richard Hopkins, die viele Einzelfragen mit mir diskutiert und mich bei der Entscheidung, den Text zu einer kleinen Monographie zu entwickeln, maßgeblich unterstützt haben. Lea Bosch dan­ ke ich für die Mühen, die sie beim Korrekturlesen auf sich genommen hat. Für die finanzielle Unterstützung bei der Veröffentlichung der Arbeit danke ich dem LMUMentoring-Progamm der Ludwig-Maximilians-Univer­ sität München. München, im Februar 2015

Laura Münkler

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Die Grundlagen des Nichtakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Ursprung der Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Herkunft der Figur „Nichtakt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) „Nicht-Rechtsgeschäft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Scheingeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) „Nicht-Urteil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Gemeinsamer Ursprung mit der Fehlerfolgenlehre . . . . . . . . . . . . . . 30 a) Das Nichtaktverständnis im Rechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . 32 b) Das Nichtaktverständnis im Rahmen materiell geprägter Fehler­ folgenlehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Begriffliche Divergenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen . . . . . . . . . . . 55 I. Beamtenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Sozialrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Kommunalrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 V. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 VI. Provokation der Entstehung von Nichtakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 D. Nichtakt-Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Rechtsunerhebliche Erklärungen und Handlungen des Staates . . . . . . . 71 1. Wirksamkeitshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Behördliche Scherzerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Geschäftsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4. Besonderheiten bei „fiktiven“/fingierten Verwaltungsakten . . . . . . . . 79 II. Fehlendes staatliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Amtsanmaßung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Vis absoluta und vis compulsiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Fehlerhafte Errichtung von Hoheitsträgern bzw. Behörden . . . . . . . . 84 4. Fehlerhafte Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5. Faktische Beleihung − Grenzen der Verwaltungshilfe . . . . . . . . . . . . 96 6. Überschreiten der Vertretungsmacht durch Behördenmitarbeiter . . . . 101 7. Ultra-vires-Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8. Zwischenergebnis: Alles eine Frage der Zurechnung . . . . . . . . . . . . 106

8 Inhaltsverzeichnis III. Der Nichtakt als materielle Kehrseite des „formellen Verwaltungs­ akts“?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 IV. Systematisierung der Anwendungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Der Handlungsbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Zurechnungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Auseinanderfallen von Form und Gehalt staatlicher Handlungen . . . 116 4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Konstellationen . . . . . . . . . 117 E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat . . . . . . . . . 119 I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten . . . . . 125 1. Organwalter im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Organwalter im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Besonderheiten gegenüber anderen Vertretungskonstellationen . . . . . 138 II. Zurechnung der Handlungen fremder Behördenbediensteter . . . . . . . . . 140 III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater . . . . . . . . . . . . . 141 1. Keine Zurechnung bei anlasslosen Handlungen Privater . . . . . . . . . . 142 2. Keine Zurechnung bei Indienstnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Verwaltungshelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Amtshaftungsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Anscheins- und Duldungsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Der Verwaltungshelfer als atypischer Amtswalter . . . . . . . . . . . . 149 4. Veranlassungstheorie des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . 152 5. Sicherstellung der materiellen Entscheidungshoheit . . . . . . . . . . . . . . 154 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 IV. Zurechnung im Falle wirksamer oder fehlerhafter Beleihung . . . . . . . . 156 V. Zurechnung im Falle staatlicher Veranlassung − Eine Sphärentheorie. . 157 F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“ − Schein­ akte und Nichtakte −  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Prozessuale und materielle Schwierigkeiten im Umgang mit Nicht­ akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Differenzierung zwischen Scheinakten und Nichtakten . . . . . . . . . . . . . 168 1. Die Figur des Scheinakts − Eine Kategorie des Rechtsformenmiss­ brauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Der Nichtakt − Eigene Kategorie oder Unterfall des Scheinakts? . . 172 III. Folgen der Differenzierung für den prozessualen und materiell-recht­ lichen Umgang mit Nichtakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Prozessualer Umgang mit Nichtakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Unterscheidung von Nichtakten und nichtigen Akten . . . . . . . . . . . . 175 3. Materiell-rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 G. Die dogmatische Figur des Nichtakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Der Nichtakt als übergeordnete Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Nicht-Urteil/Nicht-Beschluss/Nicht-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Nicht-Rechtsverordnung/Nicht-Satzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Inhaltsverzeichnis9 3. Nicht-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Die Funktion von Rechtsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Strukturierungsleistung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Integrationsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Perspektiverweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Zuordnungsaspekt − Exklusionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. Fazit: Der dogmatische Mehrwert der Figur des Nichtakts . . . . . . . . . . 190 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

A. Einleitung Der Nichtakt ist als verwaltungsrechtliche Kategorie zwar bereits früh und anschließend immer wieder in Erscheinung getreten, eine dogmatische Ausarbeitung seiner Figur steht bisher jedoch noch aus.1 Obwohl der Nicht­ akt in unterschiedlichsten Konstellationen und Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts sowohl in der Literatur als auch der Rechtsprechung auftaucht, wird seine praktische Relevanz anscheinend nicht als hoch genug bewertet, um seiner dogmatischen Struktur vertieft nachzugehen.2 Stattdes­ sen wird er vereinzelt sogar als „eher verwirrende denn hilfreiche“ Figur bezeichnet,3 womit ihm letztlich abgesprochen wird, dogmatisch weiterzu­ führen. Weiterhin wird teilweise verneint, seinen Anwendungsbereich „trennscharf und abstrakt“ bestimmen zu können,4 was jedenfalls zur Folge hätte, dass sein dogmatischer Mehrwert als gering anzusehen wäre.5 Finden sich in der Literatur Ausführungen zum Nichtakt, dann wird die Figur ger­ ne anhand von behördlichen Scherzerklärungen oder aber dem Beispiel des „Hauptmanns von Köpenick“6 veranschaulicht. Diese Beispiele sind zwar eingängig und im Rahmen von Lehrbüchern eine durchaus adäquate, didak­ 1  Hierauf hinweisend auch Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristi­ scher Personen des öffentlichen Rechts und die Ultra-vires-Doktrin, S. 12 f. Eine Ausnahme bilden E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 678 ff. und 738 f., der in seinem Lehrbuch wiederholt auf die Figur des Nichtakts eingeht wie auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 393 ff., der sich der Thematik allerdings nur am Rande aus der Perspektive der Vertretung widmet. Auch hier findet sich indes weder eine systematische Darstellung der von der Figur erfassten Konstella­ tionen noch wird ihre dogmatische Funktion näher konzipiert. 2  Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 129, konsta­ tieren, dass dem Nichtakt eine relativ geringe praktische Bedeutung zukäme. So auch Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Ein Lehrbuch, § 21 Rn. 189; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 5; Erfmeyer, DöV 1996, S. 629 ff. (633). 3  Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (479). 4  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603). 5  Diesen Schluss ziehen Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. allerdings nicht, sondern gelangen zu dem Ergebnis, dass es neben dem Nichtakt der weiteren Kate­ gorie des Scheinakts bedürfe, bei dem es sich um einen „normativen Realtypus“ handele. 6  Dieses Beispiel wird − soweit ersichtlich − erstmals von Jellinek, Der fehler­ hafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 45 herangezogen. Kelsen rezipierte dieses Beispiel dann auch in Bezug auf nichtige Staatsakte, Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., 40 (1914), S. 1 ff. (59 und 90). Desgleichen findet sich das Beispiel

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A. Einleitung

tische Beschreibung des Phänomens. Die sich aktuell in Bezug auf den Nichtakt stellenden rechtlichen Fragen werden hierbei allerdings kaum re­ flektiert. Darüber hinaus droht der Nichtakt durch eine derartige, stets ver­ knappte Darstellung selbst zu einer Art Scherzerklärung oder aber einem „Hauptmann von Köpenick“ unter den Rechtsfiguren7 degradiert zu werden. Oder ist der Nichtakt etwa doch ein „dogmatischer Aufschneider“? Um die Berechtigung der Zuschreibung eines eigenen dogmatischen Ge­ halts, welche sich in der Verwendung der hierfür eigens geprägten Begriffe „Nichtakt“, „Nicht-Verwaltungsakt“ bzw. „Scheinakt“ zeigt,8 zu klären, werden zunächst die begriffliche Herkunft und die Gründe für die Annahme einer eigenen Figur – also die Grundlagen des Nichtakts – untersucht. So­ dann wird die Verwendung des Begriffs „Nichtakt“ in der aktuellen Litera­ tur und Rechtsprechung analysiert sowie die Besonderheiten der ihm zuge­ ordneten Konstellationen bestimmt. Dies erfolgt im ersten Schritt rechtsge­ bietsbezogen, wodurch die Einheitlichkeit der Begriffsverwendung überprüft sowie analysiert werden kann, welche rechtlichen Regelungen zu Besonder­ heiten führen, die die Entstehung von Nichtakten provozieren. Hierdurch erfolgt eine erste Annäherung an die als Nichtakt bezeichneten Sachverhal­ te. In einem zweiten Schritt werden die dem Nichtakt zugeordneten Kons­ tellationen kategorisiert, um die verschiedenen Fallgruppen systematisch zu erfassen. Auf diese Weise lassen sich die Unterschiede und Gemeinsamkei­ ten der dem Nichtakt derzeit zugeordneten Konstellationen verdeutlichen. Auf dieser Grundlage wird anschließend herausgearbeitet, welche Rechts­ folgen dem Nichtakt auf Primär- und Sekundärebene beizumessen sind so­ wie analysiert, ob und inwieweit er sich vom nichtigen Verwaltungsakt unterscheidet.9 Diese Analyse wird vorgenommen, um zu bestimmen, wel­ ches Phänomen versucht wurde, mit der Figur des Nichtakts zu erfassen.10 Vor diesem Hintergrund wird die These entwickelt, dass eine Differenzie­ bei Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 242 wie auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 228. Auch heute wird die Referenz noch häufig verwendet, vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, S. 104; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 174; Drie­ haus/Pietzner, Einführung in das Allgemeine Verwaltungsrecht, S. 117; Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, S. 323; Schnapp/Henkenötter, JuS 1998, S. 524 ff. (524); Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (479). 7  Näher zum Begriff der Rechsfigur unter G. II. 8  Zum Sinn und Zweck rechtlicher Begriffsbildungen siehe Möllers, Methoden, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR I, § 3 Rn. 38 ff. 9  Dass ein Unterschied besteht, wird teilweise bezweifelt. So etwa Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (479). 10  Weder der Nichtakt, der Nichtverwaltungsakt noch der Scheinakt sind legalde­ finiert.



A. Einleitung13

rung zwischen den derzeit sämtlich der Figur des Nichtakts zugeordneten Konstellationen notwendig ist. Die auf begrifflicher Ebene bereits herausge­ arbeitete Fragestellung, ob Nichtakte und Scheinakte als Synonyme anzuse­ hen sind oder aber unterschiedliche Figuren darstellen, wird an dieser Stelle wieder aufgegriffen. Anlass hierfür bietet die Überlegung, dass auf­ grund der verschiedenen Ursachen, die die Entstehung von Nichtakten be­ dingen, ein differenzierter Umgang mit den unterschiedlichen Fallgestaltun­ gen geboten ist. Insbesondere in prozessualer, aber auch in materieller Hinsicht sowie in Bezug auf die rechtlichen Folgen auf Sekundärebene er­ geben sich Abweichungen im rechtlichen Umgang zwischen den verschie­ denen Konstellationen, die dem Nichtakt derzeit zugeordnet werden. Die Erörterung dieser Aspekte hängt gleichzeitig mit der Frage nach dem Nutzen der dogmatischen Figur zusammen. In Anbetracht des disparaten Anwendungsbereichs der Figur wird daher problematisiert, inwieweit sie die ihr zugedachte „Speicherfunktion“11 zu erfüllen vermag. Hieran anschließend wird untersucht, ob die Figur −  wie es die Termino­ logie „Nichtakt“ nahelegt − über die Verwaltungsaktdogmatik hinausgehend Verwendung findet bzw. finden kann. Den Ausgangspunkt der Erörterung für die Figur des Nichtakts bildet zwar der Verwaltungsakt.12 Grund hierfür ist zum einen, dass der Nichtakt meist als eine Art Gegenbegriff zum Ver­ waltungsakt verwendet wird. Zum anderen aber eignet sich der Verwal­ tungsakt als Referenz im Besonderen, weil seine Voraussetzungen und Fehlerfolgen am stärksten ausdifferenziert sind. Er bietet daher einen präzi­ se ausgearbeiteten Analyserahmen, anhand dessen sich die Figur des Nicht­ akts herausarbeiten lässt. Eine Beschränkung der unter dem Begriff „Nicht­ akt“ zusammengefassten dogmatischen Erwägungen auf Verwaltungsaktkon­ stellationen ist jedoch nur vorzunehmen, wenn die Überlegungen auf ein Spezifikum der Handlungsform des Verwaltungsakts zurückzuführen wären. Sollte der Nichtakt hingegen rechtliche Gesichtspunkte erfassen, deren Pro­ blematik über die Zuordnung zu einer spezifischen Handlungsform hinaus­ geht, wäre der Anwendungsbereich der Figur nicht auf Verwaltungsakte zu beschränken. In diesem Fall wäre zu überdenken, ob es sinnvoll ist, die 11  Handlungsformen − aber auch sonstigen dogmatischen Konstruktionen − wird eine Speicherfunktion bzw. Leitfunktion für bestimmte Rechtsfolgen zugeschrieben. Ihr Sinn und Zweck ist es, rechtliche Probleme zu ordnen, vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 4 f. und 298 ff.; ders., DVBl 1989, S.  533 ff. (533 ff.); ders., Verwaltungsrechtliche Dogmatik, S. 68; HoffmannRiem, in: ders./Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 33 Rn. 1 ff.; Hasse­ mer, Dogmatik zwischen Wissenschaft und richterlicher Pragmatik, in: Kirchhof/ Magen/Schneider, Was weiß Dogmatik?, S. 3 ff. (7). 12  Hierauf verweist auch Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Ein Lehr­ buch, § 21 Rn. 189.

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A. Einleitung

Figur allein im Rahmen der Handlungsform des Verwaltungsakts darzustel­ len. Sie könnte vielmehr handlungsformunabhängig zu erfassen sein. Ziel der Untersuchung ist es somit einerseits zu bewerten, ob die Figur des Nichtakts eine dogmatische Funktion besitzt, sowie andererseits, die mit dem Nichtakt angesprochenen Rechtsfragen näher auszuarbeiten.

B. Die Grundlagen des Nichtakts Mit den Begriffen „Nichtakt“, „Nicht-Verwaltungsakt“1 oder aber „Scheinakt“2, welche teils synonym verwendet und andernteils voneinander abgegrenzt werden,3 wird ein paradoxes Phänomen bezeichnet: Ziel der Figur soll sein, ein rechtliches Nullum in eine rechtliche Kategorie zu über­ führen.4 Aus diesem Grund wird der Begriff „Nicht-Akt“ teils auch als „Contradictio in adjecto“ angesehen.5 Er benennt, was er gerade nicht ist: 1  So Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 129. Die Bezeichnung „Nicht-Verwaltungsakt“ findet sich hierüber hinausgehend aber teilwei­ se auch allein, um zu kennzeichnen, dass eine andere Handlungsform der Behörde vorliegt als ein Verwaltungsakt. Dies gilt insbesondere für die Zeit, in welcher der Rechtsschutz rein verwaltungsaktzentriert ausgestaltet war, vgl. hierzu Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. Mit den hier verwendeten Begriffen soll dieser Aspekt jedoch nicht angesprochen werden. 2  Nichtakt und Scheinverwaltungsakt synonym verwendend Janßen, in: Ober­ mayer (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 142; von Alemann/Scheffczyk, in: Bader/Ronellen­ fitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, § 35 Rn. 41 ff.; ebenso Schäfer, in: Obermayer (Hrsg.), VwVfG, § 43 Rn. 33; Nolte, NordÖR 1999, S. 447 f. (447), der diese Figur dann allerdings von Noch-Nicht-Verwaltungsakten abgrenzen möchte; BVerwGE 140, 245 (245, 247). Auf die teils synonyme Verwendung ebenso hinweisend Will/ Rathgeber, JuS 2012, S. 1057 ff. (1057). 3  Schein- und Nichtakte voneinander abgrenzend Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604 f.), die allerdings beide Begriffe zunächst synonym verwenden, den Anwendungsbereich des Nichtakts im Scheinakt verorten und den Nichtakt auf ein nicht nur rechtliches, sondern auch tatsächliches Nullum reduzieren. Dem folgend Will/Rathgeber, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058); ähnlich, im Detail in der Abgrenzung aber differenzierter Henneke, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 35 Rn. 108. Zwischen Scheinverwaltungsakten und Nichtakten unterscheiden auch Driehaus/Pietzner, Ein­ führung in das Allgemeine Verwaltungsrecht, S. 117. Allerdings benutzen sie die Begriffe Scheinakt und Nichtakt in genau umgekehrt Weise als Henneke sie verwen­ det. Zu den teilweise angenommenen Divergenzen der Begriffe näher unter B. II. 4  Der Nichtakt wird − unter der Bezeichnung „Nichtrechtsakt“ − deshalb auch als Grenze der Rechtsordnung bezeichnet, vgl. Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 234. Der „Nichtakt“ stelle als Auffangkategorie eine Möglichkeit der „traditions­ beladenen“ alten Handlungsformenlehre dar, ein Stück „normative Wirklichkeitskon­ struktion“ zu leisten, wie sie die neue Verwaltungsrechtswissenschaft für die Ent­ wicklung und Ausgestaltung neuer Handlungsformen fordert, vgl. Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 33 Rn. 43. Den NichtVerwaltungsakt als „Nullum“ bezeichnend auch Detterbeck, Allgemeines Verwal­ tungsrecht, S. 174. 5  So Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 297.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

„Ein Nichtakt ist ein Verhalten, das bereits die Voraussetzungen einer rechtserheblichen Maßnahme nicht erfüllt.“6 Nichtakte sind „rechtlich grundsätzlich irrelevant“7. Sie besitzen keinen normativen Gehalt, weshalb die Rechtsordnung auch keine rechtlichen Regelungen zum Umgang mit ihnen trifft.8 Die Figur des Nichtakts dient demzufolge dazu, außerhalb der Rechtsord­ nung erzeugte faktische Wirkungen einer rechtlich unerheblichen Maßnahme in das System „Recht“ zu überführen.9 Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass die Figur des Nichtakts Konstellationen umfasst, die aus der hand­ lungsformbezogenen Betrachtung und der daran anknüpfenden Fehlerfol­ genlehre herausfallen. Rechtlich an sich unerhebliche Maßnahmen werden durch die Konstruktion einer dogmatischen Figur, welche die faktischen Wirkungen in den Blick nimmt, in das Rechtssystem integriert und auf diese Weise einer rechtlichen Bewertung zugänglich gemacht.10 Der den positivrechtlichen Regelungen von Fehlerkalkülen unterstellte „blinde Fleck“, welcher hinsichtlich der Mindestvoraussetzungen bestehe, die ein Akt erfüllen müsse, um als Rechtsnorm zu gelten,11 könnte mithin durch die Figur des Nichtakts besetzt werden. In den verschiedenen Darstellungen changiert der Nichtakt meist zwi­ schen zwei zwar zusammenhängenden, sich jedoch unterscheidenden Sys­ tematisierungsansätzen − der Handlungsformenlehre12 einerseits und der Fehlerfolgenlehre andererseits. Letztlich ist er aber keinem von beiden zu­ 6  Schmidt, Kommunale Kooperation, S. 255; ebenso E. R. Huber, Wirtschaftsver­ waltungsrecht, 2. Band, S. 680 f. und Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsver­ ordnungen, S. 157. 7  Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, S. 157. 8  Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 234. 9  Vgl. Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 234. 10  Wobei der Handlungsformenlehre ebenfalls die Funktion zugeschrieben wird, an den außerrechtlich verankerten Begriff der Handlung anzuknüpfen und über die Handlungsform eine normative Verknüpfung mit der Rechtsordnung zu schaffen, vgl. Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 18. Hierüber hinaus­ gehend könnte der Nichtakt jedoch möglicherweise auch nur als Handlung anmuten­ de Erscheinungen erfassen. 11  Wiederin, Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls, in: Griller/Rill, Rechtstheo­ rie, S. 81 ff. (128). 12  Zum Begriff der Handlungsformen s. Reimer, Zur Theorie der Handlungsfor­ men des Staates, S. 18 ff.; Di Fabio, System der Handlungsformen und Fehlerfolgen­ lehre, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v.  Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 47 ff. (47); Hoffmann-Riem, in: ders./ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 33 Rn. 9 ff. und Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, S. 66 ff. (insb. Fn. 212), die allerdings zwischen Handlungsformen und Rechtsformen noch weiter differenzieren, was vorliegend nicht übernommen wird.



B. Die Grundlagen des Nichtakts17

zuordnen.13 Zwar wird der Nichtakt häufig im Kontext der Fehlerfolgenleh­ re thematisiert.14 Hier wird er jedoch meist als Vorfrage behandelt und handlungsformbezogen gewendet,15 was auf die Anknüpfung der Fehlerfol­ gen an bestimmte Handlungsformen zurückzuführen ist.16 Ohne das Vorlie­ gen einer bestimmten Handlungsform gelangt auch die hierauf bezogene Fehlerfolgenlehre nicht zur Anwendung. Da die Figur des Nichtakts keine rechtserheblichen Handlungen erfasst, unterfällt sie folglich weder der Handlungsformen- noch der auf sie bezogenen Fehlerfolgenlehre. Die Figur des Nichtakts ist, weil die betrachteten Aspekte an sich aus dem rechtlichen Bewertungsraster herausfallen, eine eigene Kategorie.17 Jener eigenen Kategorie bedarf es, weil es sich bei Nichtakten zwar um rechtlich unerhebliche Maßnahmen handelt, die Konstellationen aber Beson­ derheiten aufweisen, die Anlass dazu geben, sie einer rechtlichen Beurtei­ lung zuzuführen. Diese rechtliche Beurteilung weist zwar gewisse Ähnlich­ keiten mit der Fehlerfolgenlehre auf, ist mit dieser jedoch nicht zu verwech­ 13  Zum Vorwurf der mangelnden Differenzierung zwischen dem Vorliegen eines staatlichen Akts und seinen Fehlerfolgen in Bezug auf den Nichtakt vgl. bereits Bettermann, Zuständigkeitsfragen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge­ richts zum Verwaltungsverfahrensrecht, in: Bachof (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwi­ schen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe BVerwG, S. 61 ff. (67 f.). 14  So etwa P. M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 190; ebenso der Vor­ gänger dieses Lehrbuchs Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 113; Bull/ Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungsrechtslehre, S. 320; Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, S. 157; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 3a und § 43 Rn. 49 f. und § 44 Rn. 6, thematisieren den Nichtakt sowohl im Rahmen der Fehlerfolgen als auch in Bezug auf die Handlungsform. 15  Erstmals thematisiert Riemer, Der gegenwärtige Stand vom fehlerhaften Staats­ akt, S. 3 ff., dass vor Anwendung der Fehlerlehre bestimmt werden müsse, ob über­ haupt ein Staatsakt vorliege. 16  Zum Zusammenhang zwischen Handlungs- und Fehlerfolgenlehre s. auch Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533 ff. (533); Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, S. 341; Di Fabio, System der Handlungsformen und Fehlerfolgenlehre, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 47 ff. (47 f.); Waldhoff, JuS 2012, S. 479 ff. (480); Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 33 Rn. 3. 17  Reimer, Die Unabhängigkeit von Rechtswirksamkeit und Rechtmäßigkeit, Rechtstheorie 45 (2014), S. 5 ff. des Manuskripts, schlägt aufgrund dieser Problema­ tik des Fehlerkalküls unter Anknüpfung an die Konstruktion der alternativen Er­ mächtigung von Merkl und Kelsen deshalb vor, zwischen Zulässigkeitsnormen einer­ seits und Wirkungsnormen andererseits zu differenzieren. Nach dieser Systematisie­ rung würde der Nichtakt auf der Ebene der Zulässigkeitsnormen liegen und die hier denkbaren Fehler betreffen. Die Ebene der Wirkungsnormen berührte er hingegen nicht, es sei denn, Fehler der Bekanntgabe würden von ihm erfasst. In diesem Fall würde der Nichtakt auch nach der Unterscheidung von Reimer zwischen diesen beiden Ebenen mäandern.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

seln.18 Die mit dem Begriff „Nichtakt“ angesprochenen Rechtsfragen betref­ fen letzten Endes sowohl Vorfragen der Handlungsformen- als auch der an sie anknüpfenden Fehlerfolgenlehre − die vom Nichtakt erfassten Gesichts­ punkte sind insoweit auf einer vorgelagerten Ebene angesiedelt.19 Grund hierfür ist, dass der Nichtakt die Fragen des Vorliegens einer Handlung, der Zurechnung von Handlungen zum Staat sowie des Umgangs mit Rechts­ scheintatbeständen betrifft.20 Gleichwohl hat die thematische Zuordnung der Diskussion um die Figur des Nichtakts zur Handlungsformen- und Fehlerfolgenlehre ihre Berechti­ gung. Die Figur des Nichtakts betrifft zum einen die Anwendbarkeit der unter der Chiffre einer Handlungsform zusammengefassten rechtlichen Re­ gelungen. In Bezug auf die Handlungsformenlehre erweist sich der „Nicht­ akt“ demzufolge als Abgrenzungskategorie, was seine Erörterung in diesem Rahmen erklärt. Zum anderen werden Vertretungsprobleme und damit Zu­ rechnungsfragen von der Figur erfasst. Diese weisen zwar, was die Perspek­ tive der Überschreitung von rechtlichen Regelungen angeht, eine gewisse Nähe zur Fehlerfolgenlehre auf. Gleichzusetzen sind sie mit dieser jedoch nicht, da erst die Klärung der Frage, welcher Person die Handlung zuzu­ rechnen ist, überhaupt die Perspektive eröffnet, ob ein rechtlicher Fehler vorliegt. Ohne die Kenntnis, wem eine Handlung zuzurechnen ist, lassen sich die rechtlichen Regelungen, gegen die verstoßen worden sein könnte, nicht eindeutig bestimmen.21 Obwohl die Figur somit durchaus gewisse Ähnlichkeiten zu den beiden Systematisierungsformen aufweist, ist sie kei­ ner von ihnen zugehörig. Der Nichtakt wird in ihrem Rahmen lediglich erörtert, weil er von den beiden Systematisierungsansätzen abzugrenzen ist. Diese Abgrenzungsfunktion prägt − wie im Folgenden noch näher gezeigt werden wird − die Figur des Nichtakts in besonderer Weise. Das Bedürfnis, Nichtakte einer rechtlichen Beurteilung zuzuführen,22 obgleich sie an sich nicht rechtserheblich sind, beruht auf einem weiteren Spezifikum der Figur: Ein Charakteristikum des Nichtakts ist es, dass sich 18  So im Ergebnis auch Schmidt, Kommunale Kooperation, S. 255, der zunächst ausführt, dass sich der Nichtakt aufgrund des von ihm hervorgerufenen Rechts­ scheins nicht der rechtlichen Kategorisierung im Rahmen der Fehlerfolgenlehre entziehen dürfe. Im Anschluss bemerkt er aber ausdrücklich, dass der Nichtakt eine vorgelagerte Prüfungsstufe betreffe und sich „insofern kategorial von den anderen Fehlerfolgen“ unterscheide. 19  Andeutungsweise im Hinblick auf die Fehlerfolgenlehre so auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 306. 20  Der konkrete Anwendungsbereich des Nichtakts wird unter D. herausgearbeitet. 21  Zwar mögen ein Teil von Rechtsnormen im Ergebnis jeden erfassen, dies gilt indes nicht für einen Großteil der gesetzlichen Vorgaben. 22  Diese Notwendigkeit ebenfalls herausstreichend Schmidt, Kommunale Koope­ ration, S. 255 und Blunk/‌Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603).



B. Die Grundlagen des Nichtakts19

sein „Inneres“ und seine äußere Gestalt nicht entsprechen.23 Obwohl sie es rechtlich betrachtet nicht sind, erwecken Nichtakte äußerlich den Eindruck, eine rechtserhebliche, staatliche Maßnahme zu sein.24 Diese Widersprüch­ lichkeit von Erscheinungsform und materiellem Gehalt führt dazu, dass Nichtakte trotz ihrer rechtlichen Unerheblichkeit faktische Wirkungen er­ zeugen.25 Diese faktischen Wirkungen, die im Grunde genommen aus dem rechtlichen Betrachtungsrahmen herausfallen, müssen beseitigt werden können. Der nur scheinbar Regelungsbetroffene muss die Möglichkeit ha­ ben, klären zu lassen, ob es sich um eine rechtlich unerhebliche Maßnahme handelt.26 Sonst bestünde für ihn eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Dies gilt insbesondere, wenn Meinungsdivergenzen hinsichtlich der rechtlichen Erheblichkeit des Akts bestehen. Insofern ist der prozessuale und materiellrechtliche Umgang mit Nichtakten zu reflektieren. Dieses besondere Charakteristikum des Nichtakts dürfte des Weiteren auch der Grund für die teils bestehenden begrifflichen Divergenzen sein. Die für Nichtakte teilweise ebenfalls verwendete Bezeichnung „Scheinakt“ beruht darauf, dass der äußere Anschein in Widerspruch zum materiellen Gehalt der Maßnahme steht − also lediglich der Rechtsschein eines staatli­ chen Rechtsakts erzeugt wird. Eben dieses Spezifikum, das Auseinanderfal­ len von äußerem Anschein und tatsächlichem Gehalt, tritt −  wenn auch nicht derart augenscheinlich  − in der Bezeichnung „Nichtakt“ ebenfalls zutage. Obwohl der Begriff etymologisch betrachtet womöglich nicht auf diese Weise belegt ist, betont die Bezeichnung „Nicht-Akt“ im Sinne einer Negativ-Definition, worum es sich trotz des äußeren Anscheins gerade nicht handelt: Ein Nichtakt ist kein Akt staatlicher Gewalt. Bereits rein begrifflich scheint die Figur des Nichtakts demzufolge zwei Komponenten zu beinhalten, deren dogmatische Durchdringung für seine Figur von Relevanz sind: das Vorliegen einer Handlung und die Zurechnung dieser zum Staat. Hauptaspekte der Nichtaktdogmatik wären demzufolge, unter welchen Voraussetzungen von einer Handlung im Rechtssinne gespro­ chen werden kann, sowie unter welchen Umständen dem Staat derartige Handlungen zuzurechnen sind. 23  Blunk/Schroeder,

JuS 2005, S. 602 ff. (604). hat der Nichtakt letztlich mit einem nichtigen Akt gemein. Für diesen existieren indes spezielle Regelungen. Inwieweit diese auch für Nichtakte gelten, wird unter F. III. 2. näher erörtert. 25  Dies ebenso als maßgeblichen Gesichtspunkt des Nichtakts ansehend Schmidt, Kommunale Kooperation, S. 255. 26  Vgl. Blunk/Schroeder, JuS 2005, S.  602  ff. (603); Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 130; Lüke, JuS 1985, S. 767 ff. (769). Diese Argumentation wird in gleicher Weise für nichtige Verwaltungsakte vorge­ bracht, vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 227. 24  Dies

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

Hinter der Figur des Nichtakts stehen somit die drei folgenden dogmati­ schen Fragen: erstens, unter welchen Voraussetzungen eine Staatshandlung vorliegt, zweitens, wie mit einer lediglich dem Rechtsschein nach rechtser­ heblichen, staatlichen Maßnahme umzugehen ist sowie drittens, ob und wie der Rechtsschein beseitigt werden kann. Diese Fragestellungen sollen im Folgenden weiter entfaltet werden. Um sich diesen, den Nichtakt prägenden rechtlichen Aspekten zu nähern, bedarf es vor der bereits angedeuteten Zuspitzung der Problematik auf den Handlungsbegriff und eine Zurechnungstheorie jedoch zunächst der näheren Herausarbeitung des bestehenden Verständnisses der Figur, ihrer Entste­ hungsgeschichte wie auch der Präzision ihres Anwendungsbereichs.

I. Ursprung der Bezeichnung Die Verwendung des Begriffs „Nichtakt“ geht bis in die Entstehungspha­ se der Fehlerfolgenlehre für Staatsakte zurück und reicht sogar hierüber hinaus.27 Teilweise wird die Unterscheidung von Nichtakt und Verwaltungs­ akt daher als der Ausgangspunkt der Lehre vom fehlerhaften Verwaltungsakt bezeichnet.28 Insoweit zeigt schon die Entstehungsgeschichte der Figur ihre Nähe zur Fehlerfolgenlehre. Obwohl der Nichtakt mit der Fehlerfolgenlehre somit einen gemeinsamen Ursprung hat und die Figur daher in die Fehler­ folgensystematik eingepasst sein müsste, ergeben sich in Bezug hierauf in­ des einige Abgrenzungsfragen und Reibungen. Dies betrifft etwa die Ab­ grenzung des Nichtakts von einem nichtigen Akt. Grund hierfür ist, dass der Fokus der Diskussion auf der Herausarbeitung der Kategorien der „Rechts­ widrigkeit“ und „Nichtigkeit“ von Staatsakten lag, der Begriff „Nichtakt“ hingegen lediglich am Rande verwendet wurde. Überdies ist der Nichtakt zunächst vielfach mit einem nichtigen Akt gleichgesetzt worden − die Be­ griffe „Nichtigkeit“ und „Nichtakt“ wurden synonym verwendet. Infolge der nie präzise erfolgten Ausarbeitung von Bedeutung und Kons­ truktion des Nichtakts hat sich die Figur immer mehr zur Auffangkategorie entwickelt. Der zunächst im Zivilprozessrecht zumindest am Rande betonte 27  Der Begriff „Nichtakt“ wie auch der Begriff „Scheinakt“ tauchen unter den Bezeichnungen „Nicht-Staatsakt“ und „Schein-Staatsakt“ bereits im Rahmen der Herausbildung der Fehlerfolgenlehre für Staatsakte etwa bei Kelsen, Über Staatsun­ recht, Grünh. Zeitschr., 40 (1914), S. 1 ff. (54 f., 57 und 86) auf. Und auch von Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 206 wird der Begriff „Nichtverwaltungsakt“ zurückgehend auf den Begriff „Nichturteil“ verwendet. Nä­ her hierzu sogleich. 28  So Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Ein Lehrbuch, § 21 Rn. 189, allerdings ohne dies systematisch oder rechtshistorisch nachzuweisen.



I. Ursprung der Bezeichnung21

theoretische Ausgangspunkt der Figur ging auf diese Weise −  jedenfalls partiell  − verloren.29 Vor dem Hintergrund der verschiedenen Funktionen, die dem Nichtakt im Rahmen der Ausdifferenzierung der Fehlerfolgenlehre über die Zeit zugeschrieben worden sind, wird insofern verständlich, warum sein heutiger Anwendungsbereich so disparat ist. Darüber hinaus ist die Herausbildung neuer Handlungsformen und die Ausformung ihrer Fehlerfol­ gen im Hinblick auf die Figur des Nichtakts nicht immer ausreichend re­ flektiert worden.30 Der Anwendungsbereich wie auch die dogmatische Funktion des Nichtakts wurde im Hinblick auf diese „neueren“ Entwicklun­ gen nicht fortgeschrieben.31 Eine nähere Untersuchung der Herkunft und Begriffsgeschichte des Nich­ takts verspricht aus diesem Grund im Rahmen der Herausarbeitung seiner dogmatischen Relevanz gewinnbringend zu sein. Angesichts der verstärkten Einbindung von Privaten in die Erfüllung staatlicher Aufgaben lohnt eine präzisere Ausarbeitung der Figur im Besonderen, da die Zurechnung von Handlungen zum Staat − welche Teil der Nichtaktdogmatik ist − durch die Einbeziehung Privater verkompliziert wird.32 Die in vielerlei Hinsicht und Form stattfindende Privatisierung bringt eine potentielle Verschärfung der die Nichtaktdogmatik betreffenden Fragestellungen mit sich.33 Die Proble­ 29  Vor allem im Zivilprozessrecht ist der Nichtakt näher herausgearbeitet worden, vgl. hierzu B. I. 1. 30  Auf die Veränderung der Fehlerfolgenlehre durch die Anerkennung neuer Handlungsformen hinweisend Di Fabio, System der Handlungsformen und Fehler­ folgenlehre, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 47 ff. (51 ff.). In Bezug auf eine andere Fragestellung wurde bereits problematisiert, dass Entwicklungen im allgemeinen Verwaltungsrecht erst verzögert rezipiert werden, vgl. Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), S. 400 ff. (403). 31  Dies in Bezug auf weitere Institute des allgemeinen Verwaltungsrechts feststel­ lend, die nicht anhand der gesetzlichen Umsetzung und Entwicklung fortgeschrieben worden wären, Schmidt-De Caluwe, VerwArch 90 (1999), 49 ff. (68 f.). Eine Verge­ genwärtigung der anerkannten, „neuen“ Handlungsformen zeigt dies ebenfalls, ver­ gleicht man diese mit dem Anwendungsbereich des Nichtakts. Eine Aufzählung der Realhandlungen und der schlichten und informalen Verwaltungshandlungen findet sich etwa bei Hoffmann-Riem, in: ders./Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 33 Rn. 34. 32  Zur Zunahme der Einbeziehung Privater in die staatliche Aufgabenerfüllung s.  Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 1 ff.; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 25 ff., 218. 33  Diese Verschärfung der Problematik zeigt sich etwa daran, dass die Anzahl der Entscheidungen zu „Nichtakten“ steigt und in den fraglichen Entscheidungen insbe­ sondere eine Rolle spielt, ob der Verwaltungsakt von der Behörde oder einem Pri­ vaten erlassen wurde. Auch Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Ein Lehr­ buch, § 21 Rn. 189 verweist in seinen kurzen Ausführungen zum Nichtakt bereits in Anklängen darauf, dass die Vermischungen des gesellschaftlichen und staatlichen

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

matik, dass die Figur des Nichtakts und die hinter ihm stehenden Rechts­ fragen nicht ausreichend ausgearbeitet sind, aktualisiert sich somit aufgrund des Konnexes der Figur zur Privatisierung. Dieser Zusammenhang zeigt sich etwa daran, dass sich die Gerichte mittlerweile insbesondere vor dem Hintergrund von Fragen der Beleihung wie auch der Verwaltungshilfe wie­ der verstärkt mit der Figur des Nichtakts auseinandersetzen.34 Um den dogmatischen Gehalt der Figur zu bestimmen, soll zunächst je­ doch eine Annäherung an die Thematik aus entstehungsgeschichtlicher Perspektive erfolgen. Gemeint ist hiermit eine Analyse der Herkunft der Figur des Nichtakts sowie seiner Entwicklungsgeschichte.35 Diese Betrach­ tungen dienen dazu, näher zu bestimmen, welche dogmatischen Funktionen dem Nichtakt bisher zugeschrieben worden sind. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse helfen dabei, die fortbestehende Diskussion um den Anwen­ dungsbereich des Nichtakts einordnen zu können und den Nichtakt auf dieser Basis gegebenenfalls neu zu figurieren. 1. Herkunft der Figur „Nichtakt“ Ursprünglich stammt der Terminus „Nichtakt“ aus dem Zivilrecht, in welchem man sich wohl insbesondere aufgrund der verstärkten Anschau­ ung der französischen Rechtsordnung mit ihm auseinandersetzte.36 Im Zi­ Bereichs die Entstehung von Nichtakten befördert, wobei er hierbei allerdings den Vorgang des „Hauptmanns von Köpenick“ im Blick hat und nicht die Einbeziehung Privater in die staatliche Tätigkeit meint. 34  Vgl. etwa VG Saarland, Beschluss vom 13.06.2013, – 3 L 542/13 –, juris Rn. 4 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.09.2012, – 4 L 160/09 –, juris Rn. 45; OVG Sachsen-Anhalt, DÖV 2003, S. 907. 35  Hiermit soll indes nicht das „Wesen“ bzw. der „Kern“ des Rechtsbegriffs er­ gründet, sondern die verschiedenen Bedeutungszuschreibungen offengelegt werden. Vgl. zur Problematik der Bestimmung „juristischer Begriffe“ Stolleis, Rechtsge­ schichte schreiben. Rekonstruktion, Erzählung, Fiktion?, S. 21 ff. 36  Die Fehlerfolgenlehre ist größtenteils aus dem Zivilrecht übertragen worden, vgl. Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 216; W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 45 ff. Zum zivilrechtlichen Verständnis siehe Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Band, S. 550. Auch der Begriff des Schein-Rechtsgeschäfts findet sich im Zivilrecht, vgl. Mansel, in: Jauernig, BGB, Vorb. § 104 Rn. 16. Des Weiteren ist auch auf Ähnlichkeiten mit im französischen Recht verwendeten Begrifflichkeiten der inexistence (rationelle und légale) wie auch der nullité hinge­ wiesen worden, vgl. Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staats­ akts, S. 5 und Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 38. Diese rühren wohl daher, dass insbesondere Windscheid, Zur Lehre des Code Napoléon von der Ungültigkeit des Rechtsgeschäft, S. 191 ff. die Fehlerfolgenlehre des Zivilrechts durch Erkenntnisse aus dem französischen Recht maßgeblich beeinflusst hat. Da die Begriffe auch hier



I. Ursprung der Bezeichnung23

vilrecht findet man sogar zwei bzw. drei unterschiedliche Bezeichnungen, die der Kategorie des Nichtakts zugehörig zu sein scheinen. Zum einen wird der gegenüber dem Nichtakt speziellere Begriff des „Nicht-Rechtsge­ schäfts“ verwendet.37 Zum anderen wird im Zivilrecht aber auch der Be­ griff des Scheingeschäfts gebraucht.38 Trotz des eine Verbindung evozie­ renden Begriffs weist das Scheingeschäft letztlich aber nur eine geringe Überschneidung mit der Figur des Nichtakts auf. Dennoch soll es −  wenn auch eher der Vollständigkeit und begrifflichen Nähe halber  − nicht uner­ wähnt bleiben. Als Kategorie des Nichtakts deutlich relevanter ist demge­ genüber eine weitere im Zivilrecht und hieran anschließend auch im Straf­ recht diskutierte Form des Nichtakts: das „Nicht-Urteil“.39 Insbesondere im Rahmen des Zivilprozessrechts fand eine vergleichsweise intensive Ausei­ nandersetzung mit der Frage statt, ob zwischen „Nicht-Urteilen“ und nich­ tigen Urteilen unterschieden werden müsse.40 Diese Überlegungen sind im Öffentlichen Recht rezipiert worden. Sie bilden den Ausgangspunkt der Diskussion um Nichtakte im Öffentlichen Recht.41 Die verschiedenen Va­ rianten des zivilrechtlichen Nichtakts stellen die Wurzeln der öffentlichrechtlichen Nichtaktdogmatik dar. Die rechtsgebietsübergreifenden Aspekte der Nichtaktdogmatik lassen sich mittels Analyse dieser verschiedenen Anwendungsbereiche aufzeigen und auf diesem Weg die Grundlagen der ­ Figur konziser erfassen.

jedoch nicht einheitlich verwendet werden und nicht ersichtlich ist, dass die Fehler­ konzepte des französischen Rechts vollständig übernommen wurden, wird dieser Parallele nicht weiter nachgegangen. Siehe hierzu aber Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts, S. 7 ff. sowie Klaiber, Die Aufhebung von Ver­ waltungsakten im französischen Recht, S. 27 ff. Zum Hintergrund des Begriffs „in­ existance“ und seines Einzugs im Eherecht, vgl. auch Zepos, Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, in: Constantopoulos/Eustathiades/Fragistas (Hrsg.), FS Spiropoulos, S. 461 ff. (462). Des Weiteren kennt auch das italienische Recht die Rechtsfigur des atto inesistente, der die Mindestvoraussetzungen eines Rechtsakts nicht erfüllt, vgl. Glaser, Die Entwicklung des Europäischen Verwaltungsrechts aus der Perspektive der Handlungsformenlehre, S. 164. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Doktrin vor allem in der romanistischen Rechtslehre und der zivilprozessualen Literatur ausgeprägt bearbeitet wurde. In diesem Kontext wurde sie jedoch als abgestufte Nichtigkeitslehre bezeichnet, vgl. Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 36. 37  Diese Kategorie näher ausformend insbesondere Zepos, Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, in: Constantopoulos/‌Eustathiades/Fragistas (Hrsg.), FS Spiropoulos, S. 461 ff. (466 ff.). Näher hierzu unter B. I. 1. a). 38  Hierzu näher unter B. I. 1. b). 39  Näher hierzu unter B I. 1. c) und G. I. 1. 40  Michel, Über die absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 60 ff.; Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 36 ff. 41  Zum Nicht-Urteil siehe auch G. I. 1.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

a) „Nicht-Rechtsgeschäft“ Den von der Literatur diskutierten Hauptanwendungsfall des NichtRechtsgeschäfts stellt das Fehlen der essentialia negotii dar. Vereinbarungen, welche die essentialia negotii nicht enthalten und die aus diesem Grund nicht zustande kommen, werden als „Nicht-Rechtsgeschäft“ bezeichnet.42 „Ein Nicht-R[echts]Geschäft, kein nur fehlerhaftes, liegt vor, wenn die Tat­ bestandsvoraussetzungen eines R[echts]Geschäfts mangeln.“43 Mit der Ab­ grenzung von Rechtsgeschäften und Nicht-Rechtsgeschäften hängt somit auch die im Hinblick auf Willenserklärungen geführte Diskussion über die Folgen eines fehlenden Erklärungs- und Handlungswillens zusammen,44 da das Vorliegen einer Willenserklärung Anknüpfungspunkt für das Entstehen eines Rechtsgeschäfts ist.45 Der Zusammenhang zwischen der Klassifikation als Rechtsgeschäft oder Nicht-Rechtsgeschäft und der Diskussion um die notwendigen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Willenserklärung er­ gibt sich somit aus folgender Überlegung: Wenn anzunehmen sein sollte, 42  Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2, S. 549 f.; Bu­ sche, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 154 Rn. 5; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Überbl. v. § 104 Rn. 3 und 28; Giesen, BGB − Allgemeiner Teil, S. 14. An­ deutungsweise, da sich die Ausführungen speziell auf die Umdeutung beziehen, Arnold, in: Westermann (Hrsg.), Erman BGB, § 140 Rn. 10. 43  Mansel, in: Jauernig, BGB, Vorb. § 104 Rn. 16. 44  Zum Streit um die Notwendigkeit eines Rechtsbindungswillen in Bezug auf den Nichtakt s. Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Vermögensaus­ gleich, S. 343 ff. Generell zur Thematik siehe Armbrüster, in: Münchner Kommentar zum BGB, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 21 ff. wie auch Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf. v. § 116 Rn. 15 ff. m. w. N. Die Folgen des Fehlens werden − mit Aus­ nahme des für eine Willenserklärung in jedem Fall vorliegen müssenden Handlungs­ willens − unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird hierüber hinausgehend auch noch der Entäußerungswille in diesen Streit einbezogen. Vgl. in Bezug auf die Notwen­ digkeit des Vorliegens eines Rechtsbindungswillens für die Annahme eines Rechts­ geschäfts auch BGH, NJW 2009, 1141 ff. (1142). Die Merkmale des subjektiven Tatbestands der Willenserklärung darstellend Petersen, Jura 2006, S. 178 ff. (180 f.). Zu den theoretischen Hintergründen der verschiedenen Ansichten − vorwiegend der Willens- und Erklärungstheorie − siehe Hepting, Erklärungswille, Vertrauensschutz und rechtsgeschäftliche Bindung, in: Festschrift Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 209 ff; Batholomeyzik, Die subjektiven Merkmale der Willenserklärung, in: Ferid (Hrsg.), FS Ficker, S. 51 ff. (53 ff.); Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 14 ff. In diesem Kontext rückt auch die Zurechenbarkeit von Willenserklärungen in den Fo­ kus, welche in ihren Voraussetzungen letztlich eine Abwägung zwischen dem Ver­ trauensschutz des Erklärungsempfängers und dem Schutz des Erklärenden darstellt. 45  Zum Zusammenhang zwischen Willenserklärung und Rechtsgeschäft siehe auch Leenen, Willenserklärung und Rechtsgeschäft in der Regelungstechnik des BGB, in: Heidrich/Prölss/Koller (Hrsg.), FS Canaris, S. 699 ff. (700 ff.); Bartholo­ meyzik, Die subjektiven Merkmale der Willenserklärung, in: Ferid (Hrsg.), FS Fi­ cker, S.  51 ff. (68 ff.).



I. Ursprung der Bezeichnung25

dass trotz fehlendem Rechtsbindungs-, Erklärungs- oder Handlungswillen eine zwar anfechtbare Willenserklärung vorliegt, es sich jedoch um eine Willenserklärung handelt, dann käme ein Vertrag zustande. Sollte der Rechtsbindungs-, Erklärungs- bzw. Handlungswille hingegen eine konstitu­ tive Voraussetzung für das Vorliegen einer Willenserklärung sein, folgte aus ihrem Fehlen, dass mangels übereinstimmender Willenserklärungen kein Rechtsgeschäft zustande gekommen ist. Es handelte sich stattdessen um ein Nicht-Rechtsgeschäft.46 Im Zivilrecht versteht man unter einem Nichtakt somit ein Rechtsge­ schäft, das deshalb unwirksam ist, weil es bereits im Rahmen des Zustan­ dekommens scheitert. Demnach wird im Zivilrecht zwischen anfechtbaren Rechtsgeschäften, nichtigen Rechtsgeschäften und Nicht-Rechtsgeschäften differenziert:47 Das Nicht-Rechtsgeschäft erfasst andere Fallgestaltungen als die Gruppe der nichtigen Rechtsgeschäfte, obwohl die Wirkungen der bei­ den Figuren ähnlich konzipiert sind. Die Abgrenzung zwischen NichtRechtsgeschäften und nichtigen Rechtsgeschäften wird im Zivilrecht danach vorgenommen, ob der Mangel bereits die Tatbestandsvoraussetzungen be­ trifft oder erst die Wirksamkeitsvoraussetzungen.48 Die Sanktion des NichtRechtsgeschäfts „liegt [somit] vor der Nichtigkeit eines äußerlich zustande gekommenen Vertrages“.49 Bei Fehlen der rechtsgeschäftlichen Tatbestands­ voraussetzungen handelt es sich nicht um ein Rechtsgeschäft, weshalb auch die auf Rechtsgeschäfte zugeschnittene Fehlerdogmatik nicht greift. Es liegt vielmehr ein Nicht-Rechtsgeschäft vor, das eigene Folgen nach sich ziehen 46  So Giesen, BGB − Allgemeiner Teil, S. 14. Andeutungsweise hierzu auch Hip­ pel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts, S. 26 ff. Hepting, Erklärungswille, Vertrauensschutz und rechtsgeschäftliche Bindung, in: Festschrift Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 209 ff. (222 f.) weist darauf hin, dass die Grenzen zwischen Rechtsgeschäfts- und Rechtsscheinshaftung im Hinblick auf diese Konstel­ lationen nicht mehr eindeutig bestimmbar wären. Die Tendenz dazu, eher der Erklärungs­ theorie zuzuneigen und im Zweifel einen Vertragsschluss anzunehmen, dürfte nicht ganz unmaßgeblich darauf beruhen, dass eine folgenorientierte Betrach­ tung vorgenommen wird. Die auch im Zivilrecht bestehenden Defizite hinsichtlich der Folgenkonstruktion von Nicht-Rechtsgeschäften haben daher Auswirkungen auf den Umgang mit anderen Rechtsfragen. Diese Überlegung ebenfalls herausarbeitend Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 36 ff. 47  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2, S. 550; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 109 f. 48  Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor. § 145 Rn. 39; Mansel, in: Stürner (Hrsg.), Jauernig BGB, Vor. § 104 Rn. 16 ff.; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Überbl. v. § 104 Rn. 3 und 28; Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 107; Giesen, BGB All­ gemeiner Teil, Rechtsgeschäftslehre, S. 14; Zepos, Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, in: Constantopoulos/Eustathiades/Fragistas (Hrsg.), FS Spiropoulos, S. 461 ff. (466 ff.). 49  Busche, in: Münchner Kommentar zum BGB, § 154 Rn. 5. Hervorhebung durch die Verfasserin.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

kann. Zwar sollen Nicht-Rechtsgeschäfte an sich generell keine rechtlichen Folgen zeitigen, partiell durchbrochen wird dieser Grundsatz allerdings − letztlich ähnlich wie auch bei nichtigen Rechtsgeschäften − auf Sekundär­ ebene. Aufgrund des vorvertraglichen Verhaltens der Parteien wird für ein­ getretene Vertrauensschäden teilweise auch bei Nicht-Rechtsgeschäften eine Haftung konstruiert.50 Diese auf den ersten Blick ausgearbeitete Systematik des Nicht-Rechtsge­ schäfts ist jedoch auch im Zivilrecht nicht unhinterfragt geblieben. Insbe­ sondere wird die Kategorie des „Nicht-Rechtsgeschäfts“ dahingehend kriti­ siert, dass es sich um „eine heterogene Menge von Schuldverhältnissen [handele], die nur durch die Abgrenzung zu den Rechtsgeschäften bestimmt werden [könne]“51. Des Weiteren wird die praktische Bedeutung der Kate­ gorie „Nicht-Rechtsgeschäft“ für gering gehalten.52 Beachtenswert ist hierbei, dass die Stoßrichtung dieser Kritik dem im Öffentlichen Recht erhobenen Vorwurf äußerst ähnelt, dass es sich beim Nichtakt lediglich um eine Auffangkategorie ohne dogmatischen Wert han­ dele. Obwohl somit auch im Zivilrecht die Abgrenzung zwischen nichtigen Rechtsgeschäften und Nicht-Rechtsgeschäften umstritten ist bzw. bezweifelt wird, ob es der Figur des Nichtakts überhaupt bedarf, führt diese Perspek­ tiverweiterung auf die Figur aber dennoch weiter. Die Differenzierung ist im Zivilrecht, wie insbesondere die dezidierte Unterscheidung zwischen nichtigen Urteilen und Nicht-Urteilen aber auch die explizite Definition der Bezeichnung „Nicht-Rechtsgeschäft“ zeigt, weiter verbreitet und ausgear­ beiteter als im Öffentlichen Recht.53 Im Übrigen ist hinsichtlich der geäu­ ßerten Kritik zu bemerken, dass die Perspektive des Begriffs „Nicht-Rechts­ geschäft“ wohl doch eine andere sein dürfte, als die Überlegung, dass zwischen unterschiedlichen Formen von Rechtsgeschäften zu differenzieren sei. Sie ist auf einer der Einordnung als bestimmtes Rechtsgeschäft und dessen Folgen vorgelagerten Ebene angesiedelt. Aus diesem Grund mag sie angesichts ihres weiteren Blickwinkels zwar eine heterogene Menge an Rechtskonstellationen erfassen, ihre Bedeutung sollte in Bezug auf die Funktion, die Fallgestaltungen von den Rechtsgeschäften abzugrenzen, in­ des nicht unterschätzt werden. 50  Hepting, Erklärungswille, Vertrauensschutz und rechtsgeschäftliche Bindung, in: Festschrift Rechtswiss. Fakultät Köln, S. 209 ff. (217); Canaris, Die Vertrauens­ haftung im deutschen Privatrecht, S. 548 ff. 51  Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 51. Die Klammerzusätze sind durch die Verfasserin erfolgt. 52  Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2, S. 550. 53  Siehe hierzu beispielsweise Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 437 ff., der sich vergleichsweise umfänglich mit Fragen des Nichtakts auseinandersetzt.



I. Ursprung der Bezeichnung27

b) Scheingeschäft Ferner findet sich im Zivilrecht − allerdings nur in vermeintlicher Paral­ lele zum Scheinakt  − der Begriff des Scheingeschäfts (§ 117 BGB). Ein Scheingeschäft liegt vor, „wenn der Erklärende nur den äußeren Schein ei­ ner Willenserklärung hervorrufen, die mit ihr verbundene Rechtswirkung aber nicht eintreten lassen will und […] dies im faktischen Einverständnis des Erklärungsempfängers geschieht“.54 Ein Scheingeschäft ist somit ein „simuliertes Geschäft“55, das durch Gesetz für nichtig erklärt wird, während bei einem Nicht-Rechtsgeschäft Fehler aufgetreten sind, die dazu geführt haben, dass ein Rechtsgeschäft überhaupt nicht zustande gekommen ist. Nicht-Rechtsgeschäft und Scheingeschäft werden im Zivilrecht − anders als im Öffentlichen Recht − somit eindeutig unterschieden. Mit der Bedeutung, die einem Scheinakt im Öffentlichen Recht beigemessen wird, hat das Scheingeschäft indes wenig gemein. Eine Ausnahme stellt allein die bereits eingangs erwähnte Konstellation der Scherzerklärung einer Behörde dar, welche im öffentlichen Recht ebenfalls des Öfteren als Nichtakt eingeordnet wird und die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Scheingeschäft aufweist. Anders als im Öffentlichen Recht wird im Zivilrecht diese Art von Erklä­ rung aber gesetzlich ausdrücklich für nichtig erklärt (§ 118 BGB). Die Überlegungen sind im Zivilrecht insofern auf einer anderen Ebene angesie­ delt und aus diesem Grund nicht vergleichbar. c) „Nicht-Urteil“ Substanzielle Erwägungen, die die Figur des Nichtakts betreffen, werden im Zivilrecht demgegenüber in Bezug auf das sogenannte „Nicht-Urteil“ angestellt. Soweit ersichtlich, ist der Begriff „Nicht-Urteil“ erstmals 1906 von Artur Michel verwendet worden. Mit diesem Gegenbegriff suchte ­Michel die Wesensmerkmale des Rechtsbegriffs „Urteil“ zu bestimmen.56 Rechtsdogmatische und rechtslogische Reflektionen über den Umgang mit fehlerhaften Urteilen ließen ihn zu dem Schluss gelangen, dass an die Er­ füllung des Begriffs „Urteil“ gewisse Anforderungen zu stellen wären. Wenn überhaupt kein Urteil vorläge, könne es gar nicht darum gehen, dessen Nichtigkeit festzustellen − es handele sich vielmehr um ein „Nicht-Urteil“.57 „Nichtige Urteile sind nur möglich kraft gesetzlicher Anordnung, Nicht54  Mansel,

in: Stürner (Hrsg.), Jaunerig BGB, § 117 Rn. 2. Jura 2006, S. 426 ff. (427). 56  Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 60. 57  Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 61. 55  Petersen,

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

Urteile ergeben sich [demgegenüber] aus der Rechtslogik.“58 Zwischen diesen beiden Fallgruppen muss nach der Ansicht Michels deshalb differen­ ziert werden. Diese Erwägung, dass bestimmte Wesensmerkmale eines Akts vorliegen müssen, liegt der Figur des Nichtakts auch heute noch im Ansatz zugrunde. Als Konstellationen, in denen ein Nicht-Urteil gegeben ist, hat Michel folgende Fälle herausgearbeitet: Ein Urteil liegt seiner Ansicht nach nicht vor, wenn keine staatliche Entscheidung getroffen wurde oder das erlassen­ de Staatsorgan nicht mit Gerichtsgewalt ausgestattet ist.59 Kein Urteil ist daher vornehmlich bei Äußerungen von Privatpersonen oder Nichtgerichten gegeben. Aber auch, wenn die Entscheidung nicht in prozessualer Form erlassen wurde oder aber noch nicht äußerlich in Erscheinung getreten ist, handelt es sich nach der Auffassung von Michel um ein Nicht-Urteil.60 Verkündungsfehler sind von ihm demgegenüber nicht unter diese Fallgruppe gefasst,61 sondern dem Aspekt der Rechtswidrigkeit zugeordnet worden. Michel unterschied somit klar zwischen zwei Fallgruppen: Fällen, in denen ein Urteil vorliegt, das aber mit Rechtsfehlern behaftet sein konnte, und Konstellationen, in welchen nicht mehr von einem Urteil gesprochen wer­ den kann, sondern ein Nicht-Urteil gegeben ist. Diesen Überlegungen Michels hat sich die Literatur in der Folge großteils angeschlossen und den Umgang mit Nicht-Urteilen weiter ausgeformt.62 Dabei sind insbesondere prozessuale Fragen des Umgangs mit Nicht-Urtei­ len diskutiert worden. Ergebnis der Überlegungen war, dass, wenn eine Urteilsausfertigung eines „Nicht-Urteils“ vorliegt, auch gegen ein „NichtUrteil“ die Rechtsmittel zur Verfügung stehen, die „gegen ein existentes Urteil gleichen Inhalts zur Verfügung stünde[n]“.63 Eine die Instanz ab­ schließende Wirkung ist dem „Nicht-Urteil“ jedoch nicht beigemessen 58  Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 61. Der Klammer­ zusatz ist durch die Verfasserin erfolgt. 59  Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 61 f. 60  Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 62 f. 61  Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 61. 62  Vgl. Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, S. 3  f. Teilweise wurden die von Michel ausgearbeiteten Fallgruppen erweitert vgl. Wurzer, Nichturteil und Nichtiges Urteil, S. 21 ff. ebenso Hein, Das wirkungslose Urteil, S. 21 ff. Hein meint außer­ dem, dass diese Unterscheidung aus Überlegungen zum „Nicht-Staatsakt“ hergeleitet würden, allerdings ohne dies näher auszuweisen. Hierüber hinausgehend ist das Nicht-Urteil nach einiger Zeit explizit auch im Rahmen des Strafrechts näher behandelt worden, vgl. Holtz, Nichturteil und nichti­ ges Urteil im Strafverfahren, S. 8 ff. 63  Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, S. 88 ff. Der Klammerzusatz ist durch die Verfasserin erfolgt. Des Weiteren werden noch unterschiedliche Fragen des Instan­ zenzugs in Bezug auf Nicht-Urteile diskutiert.



I. Ursprung der Bezeichnung29

worden. Insofern ist eine Art „Meistbegünstigungstheorie“ für von „NichtUrteilen“ Betroffene herausgearbeitet worden. Im Zivilrecht werden Nichtakte aufgrund des hervorgerufenen Rechts­ scheins prozessual daher so behandelt, als läge der entsprechende Akt vor. Materiell-rechtlich werden sie hingegen als inexistent angesehen. Demnach werden Nichtakte zwar häufig identisch behandelt wie nichtige Akte, prin­ zipiell wird aber zwischen ihnen unterschieden. Zusammenfassend lässt sich den Ausführungen zum Nichtakt aus dem Blickwinkel des Zivilrechts somit folgende allgemeine Aussage entnehmen: Während ein nichtiger Akt immer­ hin noch die wesentlichen Erfordernisse eines gültigen Akts erfüllt, handelt es sich bei einem Nichtakt um ein rechtliches Nichts.64 Die Nichtigkeit kann deshalb in einem förmlichen Verfahren festgestellt werden. Bei einem Nichtakt ist dies hingegen nicht der Fall. Diese grundsätzlichen Überlegungen sind ins Öffentliche Recht übertra­ gen worden.65 Aufgrund der Zurechnungsnotwendigkeit von Handlungen und Erklärungen zum Staat, der zunehmenden Ausdifferenzierung staatlicher Handlungsformen sowie der divergierenden Behandlung von staatlichem und privatem Handeln haben sich die auch schon im Zivilrecht bestehenden Abgrenzungsprobleme wie auch die Frage des Umgangs mit den Folgen von Nichtakten im Öffentlichen Recht indes weiter verkompliziert. Festzu­ halten bleibt jedoch, dass die Figur des Nichtakts im Zivilrecht das Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäfts betrifft. Er berührt somit Vorfragen der Handlungsform. Ein Handeln, das die Voraussetzungen einer bestimmten Rechtshandlung nicht erfüllt, ist als nicht rechtserheblich anzusehen. Würde man diese Überlegung, ohne eine Anpassung an die Systematik des Öffentlichen Rechts vorzunehmen, übertragen, ergäbe sich für das Öf­ fentliche Recht somit folgender Anwendungsbereich des Nichtakts: Die Fi­ gur würde sämtliche Fälle erfassen, in denen eine dem äußeren Erschei­ nungsbild nach staatliche Handlung mangels Erfüllung der materiellen Vor­ aussetzungen der äußerlich gewählten Handlungsform nicht deren Regelun­ gen unterfällt. Einschränkend hinzuzufügen wäre möglicherweise allerdings noch, dass die Handlungen im Zivilrecht in diesen Fällen als rechtlich unerheblich anzusehen sind, was im Öffentlichen Recht, um eine Übertragung des Rechtsgedankens vornehmen zu können, ebenfalls gelten müsste. Mögli­ 64  Sauer,

Grundlagen des Prozeßrechts, S. 504. Übertragung ist nicht unkritisiert geblieben, die Auseinandersetzung be­ trifft jedoch Fragen, welche die Kernunterscheidung nicht betreffen, sodass ihr im Folgenden nicht weiter nachgegangen wird. Siehe hierzu Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts, S. 34 ff. 65  Diese

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cherweise könnte das Öffentliche Recht außerdem noch weitere Besonder­ heiten aufweisen, die einer eigenständigen rechtlichen Beurteilung bedür­ fen.66 Ob dieses zivilrechtlich geprägte Verständnis sämtliche Spezifika des Öffentlichen Rechts zu erfassen vermag, bedarf daher einer gesonderten Analyse des Nichtakts im Öffentlichen Recht. 2. Gemeinsamer Ursprung mit der Fehlerfolgenlehre Betrachtet man die Verwendung des Begriffs „Nichtakt“ im Öffentlichen Recht, zeigt sich, dass er von Beginn an für unterschiedliche, teils über den heutigen Anwendungsbereich hinausgehende Konstellationen herangezogen wurde.67 Dies beruht vor allem darauf, dass der Nichtakt zunächst mit dem nichtigen Staatsakt gleichgesetzt wurde.68 Erst die Fortentwicklung der Feh­ lerfolgenlehre hat schließlich dazu geführt, dass auch im Öffentlichen Recht zwischen der Nichtigkeit und der Nicht-Existenz eines Akts differenziert wird.69 Diese Differenzierung wird zwar bereits seit längerem nicht mehr 66  Die ungeprüfte Übernahme zivilrechtlich geprägter Begriffe ist des Öfteren deutlich kritisiert worden, siehe etwa Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S. 269 ff. (288). 67  Diese divergierende Verwendung überrascht allerdings insoweit nicht, als auch die Terminologie für die Fehlerhaftigkeit von Verwaltungsakten in dieser Zeit erst langsam vereinheitlicht wurde, vgl. Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsge­ schichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seine Aufhebung im Prozeß, S. 186 ff. 68  Vgl. Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1  ff. (54 ff. und 86). Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 206 lehnt ausdrücklich eine Differenzierung zwischen nichtigen Verwaltungsakten und Nicht­ verwaltungsakten ab. Er hält sie für deckungsgleich. Des Weiteren weist auch E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Band, S. 670 ausdrücklich darauf hin, dass eine Differenzierung nicht stattfindet. Dass der Nichtakt und der nichtige Staatsakt als ein Aspekt angesehen wurden, zeigt sich heute teilweise noch in den Umschrei­ bungen, was Nichtigkeit bedeutet und welche Folgen die Einordnung als Nichtakt hat. So spricht etwa Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 227 davon, dass es sich bei nichtigen Verwaltungsakten um ein juristisches Nichts han­ dele. Eine Beschreibung, die auch im Hinblick auf den Nichtakt verwendet wird. Diese Bemerkung wird zwar relativiert, da der nichtige Verwaltungsakt immerhin auch einen Akt darstelle, „[…] welcher durch seine Existenz auf die staatliche Au­ torität verweist“. Die weiterhin bestehenden Überschneidungen werden hieran je­ doch deutlich. 69  So kritisiert beispielsweise Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehler­ haften Staatsakts, S. 107 die Aufgabe der Unterscheidung eines Nicht-Urteils von einem nichtigen Urteil durch Kormann heftig und verweist ausdrücklich darauf, dass Akte von Privaten wie der Befehl des „Hauptmanns von Köpenick“ keine Staatsak­ te seien, sie würden weder Behörden noch Untertanen binden, weshalb sie von nichtigen Akten unterschieden werden müssten. Zwischen nichtigen Akten und „ech­



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explizit hinterfragt, weiterhin aber praktiziert. In Anbetracht der großteils befürworteten analogen Anwendung der Vorschriften zur Nichtigkeit von Verwaltungsakten auf Nichtakte erscheint eine Rezeption der Gründe für die Annahme eines Unterschieds zwischen der Nichtigkeit eines Akts und ei­ nem Nichtakt als weiterführend.70 Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Unterschiede gleichzeitig nicht als so relevant angesehen werden, dass sie eine analoge Anwendung der Vorschriften zur Nichtigkeit eines Verwal­ tungsakts ausschließen würden. Der Begriff des Nichtakts ist im Rahmen der Diskussion um die Fehler­ folgen bei Verwaltungsakten in unterschiedlicher Weise verwendet worden. Hiermit einhergehend hat sich auch das Verständnis der Nichtigkeit gewan­ delt. Inzwischen wird der Nichtakt zwar in einem anderen Kontext verortet. In das Öffentliche Recht eingeführt worden ist er aber als Aspekt der Feh­ lerfolgenlehre. Mit dem Begriff wurde gekennzeichnet, dass ein Akt keine rechtliche Geltung entfaltet. Die Entstehung der Fehlerfolgenlehre ist daher in Bezug auf die Entwicklung des Nichtakts von Interesse. Sie wird aus diesem Grund im Hinblick auf den Nichtakt rezipiert. Dabei bleibt es zwar nicht aus, die Erläuterung mit Blick auf die Hintergründe der verschiedenen Begriffsverständnisse etwas auszuweiten, dies soll aber nicht den Fokus der Betrachtung bilden. Die Betrachtung erfolgt −  obwohl als Entwicklungsge­ schichte gedacht  − nicht chronologisch, da der Prozess nicht fortschreitend oder in Wellenbewegungen erfolgte. Im Rahmen der Ausdifferenzierung der Fehlerfolgenlehre prallten verschiedene Theoriekonzepte aufeinander, sodass die Entstehungsgeschichte einfacher zugänglich ist, wenn die Darstellung der verschiedenen Ansichten unter Zuordnung zu den jeweiligen Ansätzen vorgenommen wird. Unterschieden wird zwischen den Ansätzen bzw. The­ orien, die eher nach der Art des Mangels zu differenzieren suchen, und positivistisch geprägten Konzepten.71 Nachvollzogen wird diese Dogmenge­ schichte ab etwa dem Beginn des 20. Jahrhunderts, da der Fragenkomplex zuvor jedenfalls nicht als geschlossenes System entwickelt wurde.72 ten Nicht-Staatsakten“ differenziert auch E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 680. 70  Teilweise verunklart sich, warum überhaupt zwischen nichtigen Akten und Nichtakten unterschieden wird. 71  Eine solche Unterscheidung nehmen auch Merkl, Allgemeines Verwaltungs­ recht, S. 194; Winkler, Die absolute Nichtigkeit von Verwaltungsakten, S. 29 ff. und E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Band, S. 670 ff. vor. 72  Vgl. Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Pro­ zeß, S. 16 f., der hierüber hinausgehend aber auch die vorhergehenden Überlegungen zum fehlerhaften Staatshandeln − insbesondere auch hinsichtlich der Zurechnung von fehlerhaften Maßnahmen zum Staat − untersucht, S. 17 ff., im Hinblick auf die Zurechnung s. S. 55 ff.; ähnlich auch Kormann, System der rechtsgeschäftlichen

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

a) Das Nichtaktverständnis im Rechtspositivismus In einer sehr weiten Verständnisvariante findet sich die Bezeichnung Nichtakt bei Kelsen sowie anderen Vertretern des Rechtspositivismus. Nach der Auffassung von Kelsen handelt es sich bei sämtlichen gegen die Rechtsordnung verstoßenden Akten grundsätzlich nicht um Staatsrecht, weil der Akt dem Staat nicht zugerechnet werden könne.73 Es liege vielmehr ein Nicht-Staatsakt vor.74 Der fehlerhafte Staatsakt stellt im Modell von Kelsen einen Unterfall des Staatsunrechts dar.75 „Ein fehlerhafter Staatsakt ist et­ was, was ein Staatsakt zu sein behauptet oder dafür gehalten wird und dennoch kein Staatsakt ist.“76 Diese rigorose Ansicht, nach welcher jeder Rechtsverstoß dazu führte, dass ein Nicht-Staatsakt vorliegt, weicht Kelsen im Weiteren jedoch etwas auf: Kelsen hält auch bei Staatsakten Mängel für möglich, die nicht zur Nichtigkeit führen. Aus diesem Grund ist er der Ansicht, dass die Bezeichnung des „fehlerhaften“ Staatsakts doch nicht vollständig verworfen werden sollte.77 Den Begriff „fehlerhafter Staatsakt“ hält er allerdings auch in letzterem Fall nicht für unproblematisch: Im Fal­ le des Vorliegens eines Anfechtungsgrundes sei vor der staatlichen Entschei­ dung über diesen Grund die juristische Erkenntnisebene für den Begriff der Fehlerhaftigkeit noch nicht eröffnet, wohingegen nach der Entscheidung der Akt bereits vernichtet und somit nicht mehr existent sei.78 Ein fehlerhafter Staatsakt im eigentlichen Sinne läge daher nie vor. Trotz seiner sonst strik­ ten Ablehnung der Existenz von Staatsunrecht und seiner Forderung nach „terminologischer Akkuratesse“79 gelangt Kelsen somit zur Auffassung, dass sowohl nichtige als auch anfechtbare Staatsakte existieren. Im Hinblick auf seine Terminologie ist diesbezüglich allerdings eine gewisse Einschränkung zu machen, denn ein „nichtiger Staatsakt ist rechtslogisch [−  nach Ansicht Kelsens  − ein] Nicht-Staatsakt“80. Kelsen spricht daher von Nicht-Staats­ Staatsakte, S. 230. Eine Untersuchung der Rechtsprechung zu dieser Zeit erfolgt nicht, da diese keine einheitliche Tendenz erkennen lässt, sondern es bei Einzelfall­ beurteilungen verbleibt, vgl. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S.  674 ff. 73  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (16, 48, 87 f.). 74  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (54 f.). 75  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (47 f.). 76  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (48). 77  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (48 f.). 78  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (88 f.). 79  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (89). 80  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (55). Die Hervorhebung wurde übernommen. Der Klammerzusatz ist durch die Verfasserin erfolgt.



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akten und anfechtbaren Staatakten. Nicht-Staatsakte bezeichnet Kelsen, da sie von vornherein vollkommen wirkungslos seien, auch als „ScheinStaatsakte“.81 Bei einem anfechtbaren Staatsakt bedürfe es demgegenüber der staatlichen Feststellung, dass ein Mangel vorliegt. Zuvor sei der Akt, obgleich er rechtsfehlerhaft sein mag, als Staatsakt anzusehen. Die Bestimmung, welche Fehler dazu führen würden, dass ein NichtStaatsakt oder ein anfechtbarer Staatsakt vorliegt, obliege allein der Rechts­ ordnung. In dieser könne festgelegt werden, ob Mängel zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit führen.82 Als logisches Urteil deduziert Kelsen aus seinen Erwägungen jedoch, dass ein Mangel grundsätzlich die Nichtigkeit des Akts bewirke. Das Schweigen der Rechtsordnung zu einem Fehler führt nach Auffassung Kelsens folglich zur Nichtigkeit des Akts. Nur mittels positiver Bestimmung der Rechtsordnung könne ein Fehler auf einen Anfechtungs­ grund reduziert werden.83 Unter diesen Umständen wäre eine Zurechnung zum Staat trotz des Verstoßes des Akts gegen Rechtsnormen möglich, da die Zurechnung über die Fehlerregelung erfolgen könne. Regelungstechnisch müsste die Rechtsordnung daher die Anfechtungsgründe aufzählen, zu den Nichtigkeitsgründen könne sie hingegen schweigen. Kelsen geht somit im Falle eines Rechtsverstoßes grundsätzlich davon aus, dass ein Nicht-Staats­ akt vorliegt, es sei denn, es finden sich entgegenstehende Rechtsnormen. Zwar hat sich das von Kelsen im Hinblick auf das Staatsunrecht entwi­ ckelte Zurechnungsmodell84 nicht durchgesetzt, argumentativ bietet es je­ doch einen dogmatisch präzisen Ausgangsrahmen für die Überlegung, wor­ um es sich bei Nichtakten handelt.85 Nach dem Zurechnungsmodell Kelsens 81  Kelsen,

Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., 40 (1914), S. 1 ff. (57). Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., 40 (1914), S. 1 ff. (65). 83  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., 40 (1914), S. 1 ff. (86 ff.). 84  Der Begriff der Zurechnung wird von Kelsen in seinen Werken unterschiedlich verwendet, worauf er auch selbst hinweist, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 154. Teils wird er als Bindeglied zwischen Tatbestand und Rechtsfolge verstanden: „Das Prinzip der Zurechnung besagt, daß, wenn A ist, B sein soll“, Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 93. Andernteils wird der Begriff für die Zuschreibung von Ak­ ten natürlicher Personen zu juristischen Personen genutzt: „Alle Akte der juristischen Person sind Akte von Menschen, die dem fiktiven Subjekt zugerechnet werden (…)“, Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 57. Vgl. hierzu auch Heidemann, Der Begriff der Zurech­ nung bei Hans Kelsen, in: Paulson/Stolleis, Hans Kelsen, S. 17 ff. (19 ff. und passim) und Renzikowski, Der Begriff der „Zurechnung“ in der Reinen Rechtslehre Hans Kel­ sens, in: Alexy/Meyer/Paulson/‌Sprenger (Hrsg.), Neukantianismus und Rechtsphiloso­ phie, S. 253 ff. (254 f. und 268 ff.). Hinsichtlich seiner Ausführungen zum Staatsunrecht geht es Kelsen in Bezug auf die Zurechnung um die als „zentrale Zurechnung“ bzw. später als Zuschreibung bezeichnete Frage, der Zuschreibung des Handelns einer natür­ lichen Person zum Staat, vgl. Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (11 f.) und Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 154. 85  Bender, DVBl 1953, S. 33 ff. (33). 82  Kelsen,

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

kann aufgrund der Gleichsetzung des Staates mit dem Recht eine Handlung dem Staat nur zugerechnet werden, wenn eine rechtliche Zurechnungsnorm vorhanden ist, welcher der Akt entspricht.86 Gegen das Recht verstoßende Akte sieht Kelsen generell als normativ nicht existent an, weil sie dem Staat nicht zugerechnet werden können. Der „Nicht-Staatsakt“ und der nichtige Staatsakt sind nach diesem Modell identisch.87 Jeglicher Verstoß gegen Bedingungen der Zurechnung führt dazu, dass die Handlung nicht als staat­ licherseits gesetzt angesehen werden kann. Grund für dieses Verständnis ist eine Ausgangsprämisse Kelsens, nach welcher die Staatsperson „vom Stand­ punkt einer Staatsrechtstheorie niemals und in keiner Beziehung als außer­ halb der Rechtsordnung stehend gedacht werden [kann], weil die einheitliche Persönlichkeit des Staates − diese Grundvoraussetzung allen Staatsrechtes − nur durch die Rechtsordnung und in der Rechtsordnung vorstellbar ist“.88 Aus diesem Grund ist nach der Auffassung Kelsens „ein materieller Gegen­ satz zwischen dem Willen des Staates als Rechts- und Pflichtsubjekt und dem Willen des Staates als Rechtsordnungsträger undenkbar“89. Die An­ nahme staatlichen Unrechts hätte zur Folge, dass dem Staat ein zwiespälti­ ger Wille, „genauer: zwei einander zu gleicher Zeit widersprechende Willen“90, unterstellt werden müssten. Dies würde nach Ansicht Kelsens jedoch die Konstruktion der einheitlichen Staatspersönlichkeit zerstören.91 Bei einer derartigen Konstruktion ist ein Auseinanderfallen von Können und Sollen des Staatshandelns nicht möglich. Gegen das Recht verstoßende Akte sind dem Staat diesem Ansatz zufolge demnach grundsätzlich nicht zurechenbar, sie stellen allesamt Nicht-Staatsakte dar. Eine ähnliche Vorstellung findet sich auch bei Merkl, der eine gegen das Recht verstoßende Handlung nur dann als Staatsakt qualifiziert, wenn die Rechtsordnung eine ausdrückliche Regelung hierzu vorsieht.92 Er hält somit Regelungen über die Fehlerfolgen für notwendig, um gegen das Recht ver­ 86  Vgl. Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (16 und 54 ff.); ders., Reine Rechtslehre, S. 117 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 154. Zur Gleichsetzung von Recht und Staat vgl. auch Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, S. 75 ff. und 86 ff. 87  Vgl. Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (54 ff. und (86). E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 670 weist ebenfalls auf die Identität von nichtigen Staatsakten und Nichtstaatsakten in der Theorie Kelsens hin. 88  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (5). 89  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (7). 90  Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (7 f.). 91  So auch schon Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 245 f. 92  Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 195 f. Insoweit wird teils hervorge­ hoben, dass der Unterschied zwischen der Auffassung Kelsens und Merkls darin bestehe, dass letzterer sein Ergebnis mit der Stufenlehre verknüpfe, vgl. Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, S. 52.



I. Ursprung der Bezeichnung35

stoßende Handlungen durch Organe des Staates überhaupt als Staatsakte einordnen zu können.93 Insoweit gleichen sich die Theorien von Kelsen und Merkl. Nach Ansicht Merkls müssen gesetzlich geregelte Fehlerfolgen vor­ liegen, um trotz eines Rechtsverstoßes von einem Staatsakt sprechen zu können. Des Weiteren hält Merkl es für notwendig, dass der Akt bis zu einem gewissen Minimum den Bedingungen der rechtlichen Erzeugungsregel ent­ spricht, damit überhaupt ein Staatsakt und sei es auch ein fehlerhafter vor­ liegt.94 Die Folgen letzterer Ausführungen, die dem heutigen Verständnis des Nichtakts schon sehr viel näher kommen, präzisiert Merkl allerdings nicht weiter. Gemeinsam gelesen mit seinen Bemerkungen zur Nichtigkeit, könnte er möglicherweise jedoch eine dritte Kategorie von Fehlern vor Augen gehabt haben, welche im Hinblick auf die Abstufung von Anfecht­ barkeit bzw. Vernichtbarkeit und Nichtigkeit als dritte Stufe anzusehen wäre. Dieses Verständnis lässt sich der Andeutung entnehmen, dass der „nichtige“ Akt zwar ungleich weniger als ein Vollakt und ebenso weniger als ein bloß anfechtbarer Akt, jedoch „viel mehr als ein rechtliches Nichts“ sei.95 Auch die Herleitung der Nichtigkeit von Normen aus den Grenzen der Gehorsamspflicht, welche er mit den Beispielen des Gesetzes einer Put­ schistenbande, eines in einer Theaterszene gesprochenen Urteils und dem Befehl eines in Amtstracht gekleideten Schwindlers belegt, deuten darauf hin, dass Merkl gewisse Voraussetzungen daran knüpft, einen Akt als nich­ tig zu bezeichnen.96 Angesichts der im Weiteren folgenden Bemerkungen ist eine solche Les­ art Merkls allerdings nicht ganz frei von Zweifeln. Denn er führt ebenfalls aus, dass hinsichtlich der Lehre, welche „zwischen dem Maximum an Be­ stimmungen, die einen Akt zu determinieren versuchen, und dem Minimum an Bestimmungen, deren Beachtung für die Setzung eines Staatsaktes con­ ditio sine qua non ist, eine mehr oder minder große Spannung besteht“ während nach richtiger Auffassung das „erwähnte Maximum mit dem Mi­ nimum“ zusammenfalle.97 Sogleich wird jedoch auch diese Aussage relati­ viert, da ein praktisches Bedürfnis daran bestehe, nicht jeden Akt, der an kleinen Mängeln leidet „zu einem Scheinakt, zu einem rechtlichen Nichts“ 93  Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 196. Auf diese Überlegung der An­ eignung von Handlungen trotz ihres Rechtsverstoßes stellt auch Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre, in: Becker-Schwarze/Köck/‌ Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 25 ff. (28 f.) ab und zieht diesbezüglich überdies noch Haftungsnormen heran. 94  Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 192. 95  Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 194. 96  Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 198. 97  Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 195.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

abzustempeln.98 Ganz eindeutig sind die Ausführungen Merkls an diesem Punkt somit nicht. Angesichts seines weiten Verständnisses der Nichtigkeit und deren Folgen löst Merkl die Problematik, welche Anforderungen über­ haupt bestehen müssen, damit von einem staatlichen Akt gesprochen werden kann, so auf, dass er die Voraussetzungen an das Vorliegen eines Staatsakts insgesamt erhöht und hierdurch die Problematik der Mindestvoraussetzun­ gen ausklammert. Bemerkenswert an den Ausführungen ist des Weiteren, dass Merkl bei seiner Auseinandersetzung mit der Frage, wie rechtswidrige Verwaltungsak­ te einzuordnen sind, auch den Begriff des Scheinakts verwendet, um die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts zu kennzeichnen: „die Einteilung der Verwaltungsakte in fehlerlose und fehlerhafte [läuft] auf eine Konfrontie­ rung von Verwaltungsakten und Scheinakten [hinaus]“.99 Scheinakte werden von ihm ebenfalls als rechtliches Nichts bezeichnet.100 Eine wirkliche Un­ terscheidung zwischen Nichtakten, Scheinakten und der Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit nimmt Merkl somit nicht vor. Sämtliche der Begriffe tau­ chen in seiner Untersuchung der Fehlerhaftigkeit von Staatsakten aber auf und es lassen sich erste Unterscheidungstendenzen erkennen. Im Kontext des Rechtspositivismus hatte der Nichtakt aufgrund der Gleichsetzung von Nichtigkeit und Nichtakt sowie dem besonderen Ver­ ständnis der Zurechnung von Handlungen zum Staat demnach einen sehr breiten Anwendungsbereich. Aufhänger für die Qualifikation einer Maßnah­ me als Nichtakt war in diesem Systematisierungsansatz die Zurechnung von Handlungen natürlicher Personen zum Staat.101 Aus diesem Grund konnte Kelsen − in seinem Rechtsmodell vollkommen zutreffend − „Befehle des Hauptmann von Köpenick“ als nichtige Akte einordnen.102 Heutzutage wer­ den diese demgegenüber als Hauptexempel für einen Nichtakt angeführt.

98  Merkl,

Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 196. Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 192. Die Klammerzusätze sind durch die Verfasserin erfolgt. 100  Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 196. 101  Vgl. hierzu auch Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre, in: BeckerSchwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 25 ff. (28). 102  Vgl. Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (90). 99  Merkl,



I. Ursprung der Bezeichnung37

b) Das Nichtaktverständnis im Rahmen materiell geprägter Fehlerfolgenlehren Anders als Kelsen und Merkl traten W. Jellinek,103 Kormann104 und O. Mayer hingegen für ein differenziertes Fehlerfolgensystem ein, das zwi­ schen den Kategorien Rechtswidrigkeit/‌ „Anfechtbarkeit“105/„Vernichtbar­ 106 keit“ und Nichtigkeit in anderer Form unterschied.107 Nach diesem Sys­ tematisierungsansatz wird die Zurechnung von Handlungen zum Staat nicht mit der Rechtmäßigkeit verkoppelt. Auch rechtswidrige Maßnahmen wer­ den daher grundsätzlich als staatliche Handlungen angesehen. Wie zwi­ schen der Nichtigkeit und der Anfechtbarkeit konkret differenziert wird, unterscheidet sich zwischen den einzelnen Ansätzen.108 Gemein ist ihnen aber eine eher materielle, wertende Betrachtung im Gegensatz zu dem for­ 103  Im Falle von W. Jellinek sind die Unterschiede zu Kelsen auch auf eine ver­ schiedene Herangehensweise zurückzuführen. Während Kelsen strikt von der Rechtsordnung her dachte und die rechtliche Qualifikation betrachtete, leitete Jelli­ nek sein Fehlerfolgensystem nicht aus der Rechtsordnung ab, sondern entwickelte eine Klassifikation „nach möglichst einleuchtenden Gesichtspunkten“, so Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre im Verwaltungsrecht, in: Becker-Schwarze/ Köck/Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentli­ chen Recht, S. 25 ff. (27 f.). Hierauf ebenfalls hinweisend Winkler, Die absolute Nichtigkeit von Verwaltungsakten, S. 28. 104  Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 229  ff. betrachtet zwar auch die Rechtsordnung, meint jedoch neben den gesetzlichen Regelungen einen allgemeinen methodologischen Grundsatz für die Abgrenzung von Nichtigkeit und Rechtswidrigkeit entwickeln zu können, welchen er aus dem Gegensatz zwi­ schen dem Zivilrecht und dem Öffentlichen Recht herleitet. Er unterscheidet im Weiteren dann zwischen verschiedenen Nichtigkeitsarten. 105  Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 208 f. 106  O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, S. 95. 107  W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 44 ff. W. Jelli­ nek will zwar noch weitergehend danach unterscheiden, ob eine einzelne Vorausset­ zung fehlt und der Staatsakt deshalb keine öffentlich-rechtlichen Folgen hat, er ab­ solut unwirksam, vernichtbar oder zurücknehmbar ist (S. 53), differenziert im Fol­ genden jedoch nicht zwischen dem Hervorrufen keiner öffentlich-rechtlichen Folgen und der „absoluten Unwirksamkeit“ (S 54 ff.). Vgl. hierzu auch E. R. Huber, Wirt­ schaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 672 f. Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 204 ff. unterscheidet bei mangelhaften, weil gegen das Gesetz verstoßenden Akten zwischen drei unterschied­ lichen Arten: der Nichtigkeit, der Anfechtbarkeit und der Unrichtigkeit. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, S. 94 ff. stellt an den Verwal­ tungsakt folgende Voraussetzungen: es bedarf der „gehörigen Kundmachung“ und der Akt muss rechtmäßig sein. Im Falle der Rechtswidrigkeit ist der Akt entweder nichtig oder aber vernichtbar. 108  Siehe hierzu zusammenfassend E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 672 ff. und 710 ff.

38

B. Die Grundlagen des Nichtakts

mal geprägten Ansatz Kelsens und Merkls.109 Allesamt gehen sie − anders als Kelsen und Merkl − nicht davon aus, dass die ungeschriebene Rechts­ folge eines Rechtsverstoßes die Nichtigkeit sei.110 Der Anwendungsbereich der Nichtigkeit wird im Rahmen dieser Ansätze somit sehr viel enger ver­ standen. In den Systematisierungsansätzen von W. Jellinek, Kormann und O. Mayer findet sich der Begriff „Nichtakt“ teils zwar auch. Meist wird er hier ebenfalls synonym zum Begriff der Nichtigkeit verwendet.111 Im Falle usurpierter Staatsmacht finden sich zwar erste Differenzierungen.112 Eine Unterscheidung zwischen Nichtakten und nichtigen Akten, so wie sie heute gefordert wird, wird von ihnen jedoch ebenfalls nicht stringent vor­ genommen. Interessanterweise kommen die damals hinsichtlich der Nichtigkeit disku­ tierten Fehlergruppen − wohl aufgrund des zu dieser Zeit engen Verständ­ 109  Hierfür sind Kormann und W. Jellinek von Kelsen scharf kritisiert worden, da ihre materiellen Unterscheidungskriterien, wie schon die Divergenzen in der Zuordnung von Fallgruppen zur Nichtigkeit und Anfechtbarkeit zwischen ihnen zeige, auf Wertungen beruhe und keineswegs zwingend sei, vgl. Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (51 f., 68 ff. und 92). Die Unterscheidung von Anfechtbarkeit und Nichtigkeit aus Zweckmäßigkeitsgründen vorzunehmen, ist später vor dem Hintergrund des Rechtsschutzes betrachtet und eine kasuistische Betrachtung präferiert worden, so bspw. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 226 und Winkler, Die absolute Nichtigkeit von Ver­ waltungsakten, S.  34 f. 110  Vgl. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 673. 111  W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 44 f. und 54 f. verwendet zwar nicht den Begriff Nichtakt, sondern den Terminus „absolut unwirk­ samer Staatsakt“, behandelt Nichtigkeit und Fälle des Nichtakts jedoch identisch. An einer Stelle spricht er außerdem davon, dass der „scheinbar staatliche Akt (...) nich­ tig (sei)“, W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 62. Insbe­ sondere verweist er darauf, dass der „absolut nichtige Dienstbefehl des Hauptmanns von Köpenick“, obwohl er absolut unwirksam war, eine gewisse tatsächliche Gefahr hervorzurufen vermochte. Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 204  ff. spricht davon, dass „[…] das nichtige Geschäft […] im Rechtssinne gar nicht vorhanden [sei], es ist ein rechtliches Nichts, es ist nur der Schein eines Geschäfts.“ Des Weiteren führt er aus: „Vom nichtigen Urteil hat Michel das Nichturteil trennen wollen. Wäre das richtig, so müßte man natürlich allgemein den nichtigen Verwaltungsakt vom Nicht­ verwaltungsakt trennen. Es kann aber diesem Vorschlag von Michel nicht beigetre­ ten werden.“ Das Nichturteil und das nichtige Urteil sind nach seiner Auffassung somit identisch. 112  E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 680 f. Auch Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 207 schlägt − zumindest in prozessu­ aler Hinsicht − vor, dass bestimmte nichtige Verwaltungsakte anders zu behandeln wären als sonstige Fälle der Nichtigkeit. Gegen Verwaltungsakte eines „Hauptmanns von Köpenick“ sei keine Feststellungsklage möglich, da kein rechtliches Interesse an der Feststellung bestehe.



I. Ursprung der Bezeichnung39

nisses des Anwendungsbereichs der Nichtigkeit − dem heutigen Anwen­ dungsbereich des Nichtaks aber relativ nahe.113 Als nichtig sind insbeson­ dere nämlich Staatsakte angesehen worden, die von einem Verwaltungsorgan erlassen wurden, dem jede Kompetenz zu behördlichem Handeln fehlte: „es hat nicht mal die abstrakte Zuständigkeit dazu (Organ der Privatwirtschafts­ verwaltung)“.114 Aber auch bei fehlendem Zugang und damit fehlender Bekanntgabe115 wie auch bei fehlendem eindeutigen Sinn respektive einer erkennbaren Willensäußerung ist angenommen worden, dass die Maßnahme nichtig sei.116 Von den sich im Übrigen vielfach unterscheidenden Ansätzen sind über­ einstimmend in erster Linie Handlungen von Privatleuten, die „ähnlich wie Staatsgewalt aussehen“, als „absolut nichtig“ angesehen worden.117 Zustän­ digkeitsüberschreitungen wurden demgegenüber differenziert eingeordnet, je nachdem welcher Qualität sie waren.118 Ebenso wurden Fehler bei der Be­ setzung von Kollegialorganen in Bezug auf den Erlass von Verwaltungsak­ ten je nach Art des Fehlers differenziert behandelt.119 O.  Mayer etwa qua­ lifizierte Verwaltungsakte als nichtig, „wenn die Stelle, von der er ausging, keine Behörde ist oder Maßregeln dieser Art überhaupt nicht im Bereiche ihrer Zuständigkeit liegen. Dann erscheint die Kraft des Staatswillens von vornherein nicht in ihm, er wirkt nicht.“120 In allen anderen Fällen soll der Verwaltungsakt zunächst einmal wirksam sein als wäre er gültig und erst durch Erklärung ungültig werden.121 Als Grund für seine Einordnung von Fehlern als Nichtigkeits- bzw. Vernichtbarkeitsgründe verwies O. Mayer darauf, dass durch die Setzung des Akts die Obrigkeit das Vorliegen der 113  Dies zeigt sich insbesondere etwa bei den Ausführungen von Kormann, Sys­ tem der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 242 ff. zur Frage der Nichtigkeit von Verwaltungsakten eines Nichtbeamten. 114  Winkler, Die absolute Nichtigkeit von Verwaltungsakten, S. 10; Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 242 ff. 115  W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 67 ff. Ähnlich auch Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 268 f. 116  Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S.  280  f. Auf den S.  232 ff. nimmt Kormann hierüber hinausgehend in unterschiedlichen Fällen der Unmöglichkeit die Nichtigkeit des Akts an. Des Weiteren ordnet er verschiedenste Zuständigkeits- und Formfehler als Nichtigkeitsgründe ein, vgl. Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 244 ff. und 260 ff. 117  W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 54 f. 118  W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 56 ff., der zwi­ schen sachlicher und örtlicher Zuständigkeit mit verschiedenen Unterfällen unter­ schied und auch Kollegialgremien einer differenzierten Betrachtung unterzog. 119  Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 244 ff. 120  O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, S. 95. 121  O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, S. 95.

40

B. Die Grundlagen des Nichtakts

besonderen Voraussetzungen der Gültigkeit bezeuge.122 Kormann, der eben­ falls den Grundsatz vertrat, dass Mängel im Öffentlichen Recht nur zur Anfechtbarkeit und nicht zur Nichtigkeit führten, begründete dies in Anleh­ nung an O. Mayer mit der publizistischen Kraft des Verwaltungsakts, wel­ che daher rühre, dass, ungleich dem privaten Rechtsgeschäft, der Verwal­ tungsakt seine Kraft nicht allein dem Gesetz entlehne.123 Die Einordnung von Fehlern als Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgründe gleicht der Klassifi­ kation ebenfalls in weiten Teilen.124 Insoweit zeigt sich, dass im Hinblick auf die Einordnung von Nichtigkeitsoder aber Anfechtbarkeitsgründen die Auffassungen zwischen den beiden Theorien − den eher materiell, wertend geprägten Ansichten und den dem Rechtspositivismus zuzuordnenden Auffassungen − zwar stark divergieren. Der Nichtakt wurde aber jeweils mit der Nichtigkeit gleichgesetzt. Nur die Gründe hierfür unterschieden sich: Während bei Kelsen und Merkl die Zure­ chenbarkeit eines Akts zum Staat im Vordergrund steht, geht es bei den eher materiell geprägten Ansätzen der Fehlerfolgenlehre vielmehr darum, zwi­ schen Maßnahmen zu unterscheiden, die in einem unterschiedlichen Grad staatlich geprägt sind. Der Begriff des Nichtakts wird in diesem Kontext nur selten verwendet. Hinsichtlich einiger Fallgestaltungen, welche aufgrund des besonders starken Verstoßes als nichtig angesehen werden, finden sich jedoch bereits erste Bemerkungen dazu, dass mit ihnen anders umzugehen wäre, wenn ihnen kein staatlicher Gehalt anhafte. Eine Differenzierung im Sinne der heute häufig verwendeten, wenn auch nicht unumstrittenen Unterschei­ dung zwischen Nichtakten und nichtigen Akten ist bei der Entstehung der Fehlerfolgenlehre folglich noch nicht vorgenommen worden. Insbesondere Kormann lehnt diese Unterscheidung, die er aus dem Zivil­ recht und hier speziell der Unterscheidung von nichtigen Urteilen und Nicht-Urteilen entnahm, sogar ausdrücklich ab. Er geht davon aus, dass die beiden Begriffe deckungsgleich wären.125 Die Kategorie des Nichtakts tauchte demzufolge zunächst als eine beson­ dere Stufe der Nichtigkeit in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen nichtigen Urteilen und Nicht-Urteilen auf.126 Deutlich wird diese angenom­ mene Stufung vor allem in den späteren Ausführungen von W. Jellinek zur 122  O.

Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, S. 95 f. System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 217 f. 124  Vgl. hinsichtlich der Zuständigkeit insbesondere Kormann, System der rechts­ geschäftlichen Staatsakte, S. 232 ff. und S. 247 f. im Hinblick auf absolut unzustän­ dige Behörden. Im Detail geht die Einteilung von Kormann allerdings weiter als die von O. Mayer, sowohl was den Detailgrad angeht als auch die der Nichtigkeit zu­ geordneten Konstellationen. 125  Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 206. 126  Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 10 und S. 36 f. 123  Kormann,



I. Ursprung der Bezeichnung41

Unwirksamkeit von Verwaltungsakten, in denen er erklärt, dass innerhalb der Unwirksamkeit zwischen unterschiedlichen Stärkegraden unterschieden werden könne: Für „besonders unwirksam“ hält er noch nicht bekanntgege­ bene Verwaltungsakte wie auch „Anordnungen des Hauptmanns von Köpenick“.127 Der Begriff Nichtakt ist somit meist im Kontext der „absolu­ ten“ Nichtigkeit verwendet worden. In den eher seltenen Fällen, in denen der Nichtakt als eigenständiger Fall betrachtet wurde, häufte sich gleicher­ maßen die Kritik an der Figur.128 Der Begriff „Nichtakt“ wurde demzufolge im Rahmen der Fehlerfolgenlehre verwendet, um zu kennzeichnen, dass von einem Akt keinerlei rechtliche Wirkung ausgeht. Erste Zweifel daran, dass jeglicher Rechtsverstoß identisch zu behandeln ist, bestanden jedoch von Beginn an. 3. Zusammenhänge Betrachtet man die zivilrechtlichen Wurzeln des Nichtakts wie auch die Entstehung der Fehlerfolgenlehre für Verwaltungsakte vor der Folie der Nichtaktdogmatik fallen zwei Aspekte auf, die auch in der heutigen Lehre vom Nichtakt bisher nicht zufriedenstellend gelöst sind und deren Proble­ matik bis in die Begründung der Fehlerfolgenlehre zurückreicht: In Bezug auf die Differenzierung zwischen nichtigen Akten und Nichtak­ ten entsteht angesichts der ambivalenten Ergebnisse, welche die Untersu­ chung seiner historischen Wurzeln geliefert hat, kein eindeutiger, geschlos­ sener Eindruck. Während zwischen einem Nichtakt und der Nichtigkeit eines Akts im Rahmen der Fehlerfolgenlehre lange Zeit nicht differenziert worden ist,129 wird im Kontext des Zivilrechts gefordert, zwischen den beiden Va­ rianten zu unterscheiden. Dies wird seit längerem auch im Öffentlichen Recht vorgenommen. Die Gründe dafür, dass mittlerweile zwischen Nicht­ akten und nichtigen Akten differenziert wird, sind theoretisch jedoch nie ganz eindeutig ausgearbeitet worden. Stattdessen wird −  dogmatisch durch­ aus plausibel  − darauf verwiesen, dass die Nichtigkeitsregelung des § 44 VwVfG an Verwaltungsakte anknüpft,130 weshalb die Norm nur auf diese, nicht aber auf Nichtakte anwendbar wäre. Selbiges Argument gilt für sämt­ liche anderen auf Verwaltungsakte bezogenen Regelungen. Die Rechtmäßig­ keitsvoraussetzungen für Verwaltungsakte würden in Bezug auf Nichtakte daher nicht greifen. 127  Jellinek,

Verwaltungsrecht, S. 262. Der nichtige Staatsakt, S. 37. 129  Bei Kelsen fällt die Nichtigkeit des Weiteren mit der Rechtswidrigkeit zusam­ men. 130  Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058). 128  Imboden,

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

Derartige Begründungen sind zwar dogmatisch in Bezug auf den prakti­ schen Umgang möglicherweise zufriedenstellend. Was die vertiefte Begrün­ dung wie auch die theoretischen Hintergründe betrifft, sind die Erwägungen indes lückenhaft. Die Figur des Nichtakts ist letztlich sowohl hinsichtlich ihrer theoretischen Herleitung als auch ihrer dogmatischen Stellung unter­ belichtet geblieben. Aus den bisherigen Überlegungen lassen sich jedoch eine These und Antithese extrahieren, denen im Folgenden weiter nachzu­ gehen ist, um die Figur des Nichtakts präziser erfassen zu können: − These: Zwischen einem Nichtakt und einem nichtigen Akt ist nur deshalb zu unterscheiden, weil sie sich auf verschiedene Konstellationen bezie­ hen. Was ihre Folgen angeht, sind sie jedoch identisch zu behandeln. Die Entstehung einer eigenen Figur „Nichtakt“ ist nur der dogmatischen Ausdifferenzierung der Handlungsformen geschuldet, die Figur muss letztlich aber − hinsichtlich der Art und Weise des Umgangs − wieder auf ein allgemeines Konzept zurückgeführt werden. Der Unterschied zwi­ schen der Nichtigkeit eines Akts und einem Nichtakt besteht demzufolge lediglich in einer „symbolischen Differenzierung“.131 Es sind aber weder prozessual noch materiell-rechtlich Unterschiede hinsichtlich des Um­ gangs mit Nichtakten und nichtigen Akten geboten. − Antithese: Nichtakte und nichtige Akte sind zu unterscheiden. Die Diver­ genzen zwischen einem Nichtakt und einem nichtigen Akt reichen tief. Sie sind existentieller Natur. Bei einem nichtigen Akt liegt eine Handlung des Staates vor, die nur aufgrund rechtlicher Wertung als unerheblich zu klassifizieren ist. Ein Nichtakt stellt hingegen nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch keine staatliche Handlung dar. Allein ein staatlich nicht verursachter Rechtsschein sorgt dafür, dass der Nichtakt ähnliche fakti­ sche Wirkungen erzeugt wie ein nichtiger Akt. Hinsichtlich der Verant­ wortlichkeit weisen nichtige Akte und Nichtakte indes keine Gemeinsam­ keiten auf. Dies hat sowohl auf primär- als auch sekundärrechtlicher Ebene zur Folge, dass zwischen Nichtakten und nichtigen Akten zu dif­ ferenzieren ist. Dieser thesenartig aufbereitete Widerspruch zeigt, dass es, um den dog­ matischen Gehalt der Figur klären zu können, notwendig ist, das genaue Verhältnis von nichtigen Akten und Nichtakten zu bestimmen.132 Auch die aktuelle Literatur setzt sich mit dieser Problematik auseinander, was zeigt, dass die Frage des Verhältnisses des Nichtakts zum nichtigen Verwaltungs­ akt noch nicht als geklärt anzusehen ist.133 131  Kersten,

Die Verwaltung 46 (2013), S. 87 ff. (102). hierzu F. III. 2. 133  Vgl. Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058). 132  Siehe



I. Ursprung der Bezeichnung43

Ferner ist bemerkenswert, dass bei der Beschäftigung mit fehlerhaften Staatsakten die Frage, unter welchen Umständen ein Akt dem Staat zuzu­ rechnen ist, zunächst eine erhebliche Rolle gespielt, im Rahmen der Thema­ tisierung von Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit sodann jedoch deutlich an Relevanz verloren hat. Mit dieser Entwicklung einhergehend ist ein Rück­ gang der Verwendung des Begriffs „Nichtakt“ zu verzeichnen. Dies könnte auf einen Zusammenhang zwischen Zurechnungsaspekten einerseits und dem Nichtakt andererseits hinweisen. Fragen der Zurechnung von Handlun­ gen zum Staat könnten für die Figur des Nichtakts daher womöglich von entscheidender Bedeutung sein.134 An den von Kelsen − allerdings sehr weitgehend − verwendeten Gedan­ ken der „zentralen“ Zurechnung, der im späteren Werk als Zuschreibung bezeichnet wird, lässt sich diesbezüglich zwar nur sehr begrenzt anknüp­ fen.135 Das von Kelsen ins Spiel gebrachte Zurechnungsmodell, das allein auf die Rechtswidrigkeit abstellt, kann weder direkt angewendet noch ein­ fach übertragen werden. Seine Zurechnungstheorie würde fehlerhaftes staat­ liches Handeln ausschließen, was jedoch den Vorgaben der deutschen Rechtsordnung widerspricht.136 Aus diesem Grund muss die Zurechnung auf andere Weise konstruiert werden als dies bei Kelsen der Fall ist, oder es muss ein Modus gefunden werden, in welchem rechtswidriges staatliches Handeln auch nach den Zurechnungsvorgaben Kelsens denkbar ist. Letzteres gelingt indessen nur, wenn man die Zurechnungslehre Kelsens wie Renzikowski sehr weit versteht. Renzikowski glaubt in ihr die Unter­ scheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis im Rahmen der Stellvertre­ tung wiedererkennen zu können und meint deshalb, dass auch im Modell von Kelsen eine Zuschreibung im Außenverhältnis erfolgen könne, obwohl im Innenverhältnis eine Befugnisüberschreitung vorliege.137 Eine tieferge­ hende Begründung für seine Auffassung liefert Renzikowski zwar nicht. Seine Einsicht kann aber nur von dem Gedanken getragen sein, dass im 134  Dies als wesentliches Merkmal für die Bestimmung, wann von einem Staats­ akt gesprochen werden kann, ansehend Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts, S. 3 und E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S.  680 f. 135  Dies jedoch im Hinblick auf die Zurechnung von Handlungen zum Staat zu­ mindest versuchend Wolff, Organschaft und juristische Person, Band 1, Juristische Person und Staatsperson, S. 196 ff. 136  Diese Aussage gilt regelungstechnisch trotz der von Kelsen vertretenen Mög­ lichkeit, Anfechtungsgründe gesetzlich zu regeln, da zum Beispiel die Regelungssys­ tematik der §§ 43 ff. VwVfG diesen Ansatz gerade nicht verfolgt. Vgl. hierzu etwa Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 217. 137  Renzikowski, Der Begriff der „Zurechnung“ in der Reinen Rechtslehre Hans Kelsens, in: Alexy/Meyer/‌Paulson/Sprenger (Hrsg.), Neukantianismus und Rechts­ philosophie, S.  253 ff. (267 f.).

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

Zurechnungsmodell Kelsens die intern getroffene Beschränkung der Vertre­ tungsmacht nicht als Rechtssatz einzuordnen ist, weil sie nicht nach außen wirkt. Eine Zuschreibung des Akts soll demnach erfolgen können, weil die interne Befugnisüberschreitung keinen Rechtsverstoß darstellt. Diese Ausle­ gung von Kelsens Zurechnungstheorie erscheint vor dem Hintergrund der Willenskonstruktion des Staates, die Kelsen für seine Zurechnungskonzep­ tion wählt, allerdings als problematisch. Kelsen dürfte einer derartigen Differenzierung, es sei denn sie wäre gesetzlich so vorgegeben, wohl eher ab­lehnend gegenübergestanden haben, zumal seine Ausführungen zum Zu­ sammenhang von Kompetenz, Organ und Zuschreibung bzw. „zentraler“ Zurechnung in Zusammenhang mit seinem sonstigen Verständnis der Pro­ duktion von Staats- und damit Rechtsakten zu lesen ist. Des Weiteren löst diese Überlegung aber auch nur die Zurechnungsfrage bei Verstößen gegen interne Zuständigkeiten, nicht aber bei Befugnisüberschreitungen der Behör­ de.138 Die Rechtsordnung sieht jedoch die Möglichkeit auch derartiger Überschreitungen vor, weshalb diese Zurechnungskonstruktion nicht trägt. Auf sie kann nicht aufgebaut werden, um vor dem Hintergrund des beste­ henden Rechtssystems eine Zurechnungstheorie zu entwickeln. An der dahinterstehenden Überlegung, dass die Zurechnung im Öffentli­ chen Recht vergleichbar der Vertretung konstruiert werden kann, lässt sich demgegenüber anknüpfen.139 Obwohl die Unterscheidung zwischen nichti­ gen Akten und Nichtakten anhand des Kriteriums der Zurechenbarkeit be­ reits dahingehend kritisiert wurde, dass eine derartige Unterscheidung keinen Sinn habe, weil die Zurechnung „eines nichtigen, d. h. ungültigen Aktes zur staatlichen Rechtsordnung […] eine contradictio in adiecto“140 sei, erscheint diese Abgrenzung als gangbar. Die bemerkenswerte analytische Präzision Kelsens, mit der er die Proble­ matik der Zurechnung einerseits im Kontext der Fehlerfolgen verortet und andererseits herleitet, dass bei mangelnder Zurechenbarkeit ein „NichtStaatsakt“ entstünde, bietet indes Anlass, dem Gedanken weiter nachzuge­ hen. Gesetzt den Fall, dass sich die Zurechnung nicht mit der Rechtswid­ rigkeit oder aber Nichtigkeit von Akten verkoppeln lässt, also auch nicht mit der Zuständigkeit gleichgesetzt werden kann,141 verbleibt im Konzept der staatlichen Handlungs- und Fehlerfolgenlehre in Bezug auf den Aspekt der Zuordnung bzw. Zurechnung von Handlungen zum Staat eine Leerstelle. 138  Diese Problematik stellt sich allerdings auch bei anderen Zurechnungskonst­ ruktionen, vgl. E. I. 139  Siehe hierzu unter E. 140  Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 37. 141  Darauf hinweisend, dass die Zuständigkeit als Rechtmäßigkeitsfrage und nicht als Aspekt der Vertretung behandelt werden Seer, Verständigungen im Steuerverfah­ ren, S.  332 ff.



I. Ursprung der Bezeichnung45

Die Kategorien „Nichtigkeit“ und „Rechtswidrigkeit“ betreffen nur solche Akte, die dem Staat zugerechnet werden.142 Sollte die Zurechnung schei­ tern, liegt kein staatlicher Akt vor, obwohl der Akt als staatlicherseits gesetzt erscheinen mag. Mit Hilfe des Zivilrechts sind derartige, letztlich private Akte ebenfalls nicht adäquat zu erfassen, da ihnen der Rechtsschein staatli­ cher Autorität anhaftet. Diesen blinden Fleck des Fehlerkalküls vermag der Nicht­akt in den Fokus zu rücken und zu besetzen. Um den konkreten An­ wendungsbereich zu bestimmten, bedarf es jedoch einer Reformulierung der Zurechnungsbedingungen. In Bezug hierauf ist der letztlich von Kelsen selbst hervorgehobene Grund dafür, die Zurechnung auf unterschiedliche Weise denken zu können,143 zu reflektieren. Wie die Zurechnung von Handlungen natürlicher Personen zum Staat zu konstruieren ist, hängt damit zusammen, ob man eher der organi­ schen Staatstheorie Gierkes144 folgt oder aber −  wie auch Kelsen  − einen strikt formaljuristischen, normativen Standpunkt vertritt.145 Aber selbst im Hinblick auf normative Anknüpfungspunkte ist die Zurechnungslogik zu überdenken. Unter welchen Voraussetzungen überhaupt ein staatlicher Akt vorliegt, ist daher in Bezug auf die Nichtaktdogmatik zu reflektieren.146 Des Weiteren lässt sich vor dem Hintergrund der Entwicklung der Figur „Nichtakt“ feststellen, dass dieser vielfach als Auffangkategorie fungiert hat. Einhergehend mit der stärkeren Ausdifferenzierung der Handlungsfor­ men und Fehlerfolgen haben die unter seinen Anwendungsbereich fallenden Konstellationen zunächst zugenommen, anschließend, sobald die Handlungs­ formen und Fehlerfolgen näher ausgearbeitet waren, reduzierte sich seine Erwähnung jeweils zusehends wieder.147 Besonders auffällig ist hierbei, Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 37. Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff (20 ff.), der allerdings selbst nicht darauf verweist, dass die Zurechnung auf ver­ schiedene Weise konstruiert werden kann, sondern das Modell Gierkes zunächst als Frage des Glaubens an das Vorhandensein eines Gemeinorganismus bevor er eine rechtliche Regelung erfahren hat darstellt, letztlich aber genau aus diesem Grund − der Undenkbarkeit von gemeinschaftlichen Organismen ohne rechtliche Regeln − diese Überlegung letztlich verwirft. 144  Gierke, Die Genossenschaftstheorie, S. 609 ff. und 752 ff. 145  Dieser Unterschied kommt ebenfalls in der von Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (135 ff.) an den Zurechnungsmodellen, die in Bezug auf die Ver­ waltungshilfe entwickelt wurden, geübten Kritik zum Ausdruck. Siehe hierzu auch Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 32 f. und Reinhardt, Wis­ sen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht, S. 41 f. und 47 ff. Ausführlicher zum Einfluss von Gierkes Genossenschaftstheorie auf die Zurechnung unter E. 146  Vgl. hierzu E. 147  Besonders deutlich ist diese Entwicklung im Rahmen der Ausdifferenzierung des Rechtsschutzes. Unter der Bezeichnung Nicht-Verwaltungsakt, welche inzwi­ 142  A. A. 143  Vgl.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

dass die Bezeichnung Nichtakt, genauer gesagt der Terminus Nichtverwal­ tungsakt, lange Zeit für sämtliche verwaltungsinternen Rechtsakte, Realakte wie auch justizfreie Hoheitsakte verwendet wurde.148 Mit ihrer Qualifikation als eigene Rechts- bzw. Handlungsformen ist der Anwendungsbereich des Nichtakts merklich geschwunden. Betrachtet man diese Entwicklung, wirft dies die Frage auf, ob die Annahme weiterer staatlicher Handlungsformen, insbesondere solcher, die informaler Natur sind, in Bezug auf den Anwen­ dungsbereich des Nichtakts bereits vollständig reflektiert worden ist.149 Nichtakte könnten von inzwischen bereits weiter ausgearbeiteteren staat­ lichen Handlungen zu unterscheiden sein. Überdies ist zu überdenken, ob Nichtakte nicht generell von noch weiter herauszuarbeitenden staatlichen Handlungen abgegrenzt werden sollten. Die Figur des Nichtakts mit der in Bezug auf Handlungsformen praktizierten Einteilung zwischen Rechtsakten und anderen staatlichen Handlungen, die teilweise auch Nichtrechtsakte genannt werden,150 begrifflich in Verbindung zu bringen, erscheint nicht nur deshalb als problematisch, weil die Hand­ lungsformen des Staates laufend weiterentwickelt werden. Vielmehr krankt die Differenzierung schon daran, dass sie den entstehungsgeschichtlich der Fehlerfolgenlehre gerade entrissenen Nichtakt nun als Aspekt der Hand­ lungsformenlehre verortet und nicht als eigenständige Kategorie und Vorfra­ ge zur Handlungsformen- wie auch Fehlerfolgenlehre wahrnimmt.151 Diese aus der Entstehungsgeschichte entwickelten Erwägungen bilden den ge­ danklichen Hintergrund der folgenden Untersuchung.

II. Begriffliche Divergenzen In aktuellen Darstellungen im Bereich des Öffentlichen Rechts finden sich unterschiedliche −  teils weitere und andernteils engere  − Verständnis­ varianten des Begriffs „Nichtakt“.152 Die diesbezüglich hervortretenden schen ebenfalls für Nichtakt-Konstellationen verwendet wird, wurden vielfach sämt­ liche behördlichen Handlungen zusammengefasst, die keinen Verwaltungsakt dar­ stellten, vgl. Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. (3 ff.). 148  Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. (3 ff.). 149  Zum Hintergrund und Verfahren der Entwicklung neuer Handlungsformen s. Ernst, Die Verwaltungserklärung, S. 50 ff. wie auch Schmidt-Aßmann, Verwaltungs­ rechtliche Dogmatik, S. 76 ff. 150  Vgl. Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 104 ff.; in der begrifflichen Verwendung so ebenfalls Ziekow, VwVfG, § 35 Rn. 10. 151  Hierzu bereits die Vorüberlegungen zu den Grundlagen des Nichtakts. 152  Hierüber hinausgehend wurden auch noch sehr viel engere Verständnisvarian­ ten des Begriffs Nichtakt hergeleitet, welche sich aber jedenfalls im Verständnis des Nichtakts nach der deutschen Rechtsordnung nicht durchgesetzt haben. Beispiels­



II. Begriffliche Divergenzen47

Unterschiede sind angesichts dessen, dass sich diese Divergenzen auch im Anwendungsbereich der Figur niederschlagen, nicht nur von rein begriff­ lichem Interesse. Sie betreffen die Figur als solche. Zwar handelt es sich bei den Ausführungen zur Figur des Nichtakts an sich wohl nur um phänomenologische Beschreibungen und nicht um ab­ schließende Definitionen. Ansätze einer einschränkenden Begriffsbestim­ mung sind jedoch vorhanden. Um den Nichtakt nicht konturlos werden zu lassen, bedarf es einer ebensolchen Begrenzung des Anwendungsbereichs − als Auffangkategorie hätte die Figur keinen dogmatischen Mehrwert. An­ gesichts der Zielsetzung der Arbeit, die Figur des Nichtakts näher zu kon­ turieren, werden diese möglicherweise eher als entwicklungsoffene Um­ schreibungen gedachten Darstellungen daher als Definitionen aufgefasst und als solche herangezogen. Der Blick für die Verständnisunterschiede lässt sich, sieht man die Beschreibungen als Definition und damit als gegenüber anderen Erscheinungsformen abschließend an, schärfen. Gegensätze werden auf diese Weise betont, wodurch die Überlegungen an der notwendigen Präzision gewinnen, derer es bedarf, um die dogmatische Funktion der Fi­ gur analysieren zu können. Die hierbei festzustellenden Divergenzen der verschiedenen Definitionen des Nichtakts betreffen insbesondere den Grund für das Auseinanderfallen von Gestalt und Gehalt der Maßnahme. In Bezug hierauf werden unter­ schiedliche, mehr oder weniger konkrete Anforderungen formuliert. Die begrifflichen Unterschiede zeigen sich jedoch nicht nur in den diver­ gierenden Definitionen und damit dem Anwendungsbereich des Nichtakts, sondern sie betreffen ebenfalls die verwendeten Begrifflichkeiten: Statt des Terminus „Nichtakt“ wird vielfach auch der Begriff „Scheinakt“ in Ansatz gebracht, teilweise wird auch die Bezeichnung „Nicht-Verwaltungsakt“ ge­ braucht. Nähere Erläuterungen zum jeweiligen Begriffsverständnis finden sich trotz divergierender Verwendung in Literatur und Rechtsprechung kaum.153 In den allermeisten Fällen werden die Verständnisdivergenzen weise vertritt Burckhardt, Methode und System des Rechts, S. 96 f., dass ein Nicht­ akt nur dann vorläge, wenn überhaupt keine staatliche Äußerung gegeben sei, diese aber behauptet würde. Dem hat sich Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 37 an­ geschlossen. Grund für diese Auffassung ist, dass die Zurechnung im Sinne der reinen Rechtslehre verstanden und daher als Abgrenzungskriterium abgelehnt wird. Da sich diese Auffassung im Übrigen jedoch nicht mehr findet, wird dem hier nicht weiter nachgegangen. Allenfalls die Auffassung von Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. könnte im Hinblick auf ihre Differenzierung zwischen Nichtakten und Scheinakten in diese Richtung verstanden werden. Ihrer Auffassung wird unter F. II. näher erörtert. 153  Eine Ausnahme diesbezüglich bilden Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. auf deren Differenzierungsansatz sogleich näher eingegangen wird.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

nicht einmal artikuliert. Es bleibt daher unklar, ob die Begriffe Nichtakt und Scheinakt synonym verwendet werden können, weil sie dasselbe Phänomen bezeichnen und daher ein und dieselbe Figur darstellen, die nur unter ver­ schiedenen Bezeichnungen firmiert, oder ob Nichtakt und Scheinakt Überbzw. Unterkategorien voneinander darstellen und somit lediglich teiliden­ tisch sind. Ebenso wenig wird deutlich, ob die Bezeichnung „Nichtakt“ eine bloße Abkürzungsform des Begriffs „Nicht-Verwaltungsakt“ darstellt oder ob der „Nicht-Verwaltungsakt“ ein Unterfall des Nichtakts bezogen auf eine konkrete Handlungsform ist. Teilweise wird mit dem Begriff „Nicht-Verwal­ tungsakt“ womöglich auch nur hervorgehoben, worum es sich gerade nicht handelt, ohne dass hiermit irgendeine positive Klassifizierung verbunden wäre.154 Begriffliche Klarheit herrscht somit weder, wenn der Begriff „Nichtakt“ gebraucht wird, noch bei der Verwendung einer der alternativen Bezeichnungen. Dies erschwert das Verständnis wie auch den Umgang mit der Figur. Verallgemeinert man die unterschiedlichen Verständnisvarianten des Nicht­ akts, lassen sich hauptsächlich zwei Ansätze voneinander unterscheiden: Nach einer Ansicht fallen unter die Figur des Nichtakts sämtliche Maß­ nahmen einer Behörde, die wenigstens ein Begriffsmerkmal der Verwal­ tungsaktdefinition nicht erfüllen.155 Als Begründung hierfür wird unter an­ derem auf die Bezeichnung „Nichtakt“ verwiesen, die begrifflich alle Akte erfassen würde, bei denen irgendein Merkmal des Verwaltungsakts nicht erfüllt ist. Zusätzlich hierzu wird gefordert, dass aber zumindest der An­ schein des Vorliegens eines Verwaltungsakts hervorgerufen werden müsse: „Um einen Nicht-Verwaltungsakt handelt es sich [demzufolge] […] bei solchen Akten, die allenfalls den Anschein eines Verwaltungsakts erwecken (Scheinverwaltungsakt), aber offensichtlich einer Behörde nicht, jedenfalls nicht als Verwaltungsakt, zugerechnet werden können.“156 Nach dieser De­ finition würde die Figur des Nichtakts sämtliche sogenannten formellen 154  Eine Verwendung des Begriffs im letzteren Sinn findet sich bei Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. (3). 155  Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1057 f.); Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allge­ meines Verwaltungsrecht, S. 129; Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. (3); Lehmann, Allge­ meines Verwaltungsrecht, S. 81; Jäde, Verwaltungsverfahren − Widerspruchsverfah­ ren – Verwaltungsprozess, S. 97 f.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44 Rn. 2, allerdings ist die Begriffsverwendung hier nicht einheitlich, vgl. § 43 Rn. 49 f. Diese Definition ebenfalls verwendend, wenn auch mit etwas metaphorischeren Begriffen umschrei­ bend, Blunk/‌Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603), allerdings in Bezug auf den Scheinverwaltungsakt, den sie zunächst mit dem Nichtakt gleichsetzen, im Folgen­ den aber von ihm abgrenzen wollen. Ähnlich auch Nolte, NordÖR 1999, S. 447 f. (447) und Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S. 104 f. 156  Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 174. Die Klammerzusätze sind durch die Verfasserin erfolgt.



II. Begriffliche Divergenzen49

Verwaltungsakte erfassen, egal, welches Kriterium des materiellen Verwal­ tungsaktbegriffs nicht erfüllt ist. Eine Einschränkung auf eine bestimmte Voraussetzung würde nicht vorgenommen. In dieser Hinsicht läge ein weites Verständnis des Nichtakts vor. An anderer Stelle beschränkt ein derartiges Verständnis den Anwendungsbereich der Figur hingegen. Der Nichtakt wür­ de nur Fehler betreffen, die in der Wahl der Handlungsform des Verwal­ tungsakts lägen, er hätte aber nicht eine allgemeinere Art von Fehlerquelle zum Gegenstand. Der Nichtakt wäre demzufolge keine handlungsformüber­ greifende Kategorie. Dieser definitorische Ansatz zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er schwerpunktmäßig auf den hervorgerufenen Rechtsschein abstellt. Eine Konkretisierung des Fehlers, der dazu geführt hat, dass nur dem Rechts­ schein nach eine bestimmte Maßnahme vorliegt, enthält er hingegen nicht. Bei einem derartigen Verständnis wären die Bezeichnungen Nichtakt und Scheinakt synonym zu verwenden. Eine andere Ansicht fasst den Anwendungsbereich des Nichtakts hinge­ gen deutlich enger. Anknüpfungspunkt für das Vorliegen eines Nichtakts ist nach dieser Auffassung nicht, dass irgendein Merkmal des Verwaltungsakts nicht vorliege, es müsse vielmehr eine spezifische Voraussetzung nicht ge­ geben sein: Die Handlung dürfe der Behörde nicht zuzurechnen sein.157 In allen übrigen Fallgestaltungen, in denen nur der Rechtsschein eines Verwal­ tungsakts hervorgerufen wird, handele es sich hingegen um anders gelager­ te Fragestellungen, die nicht der Figur des Nichtakts zuzuordnen wären. Die Zurechnung wäre demnach der entscheidende Anknüpfungspunkt für das Vorliegen eines Nichtakts. Als Kernbestandteil der Nichtaktdogmatik wäre demnach herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen Handlungen dem Staat zuzurechnen sind.158 Diese hier zunächst relativ allgemein dargestellte Ansicht, untergliedert sich indes in vielerlei sich im Einzelnen leicht unterscheidende Varianten, welche die hier zwecks konziserer Darstellung als eindeutig suggerierte Differenzierung zwischen diesen sich generell unterscheidenden Ansichten etwas verwischen. Des Öfteren findet sich etwa folgende Definition des Nichtakts: „Nicht­ akte sind Handlungen, die u. a. deshalb einer Behörde nicht zugerechnet werden können, weil sie von einer Person ausgehen, die unter keinem denk­ 157  Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 36; Hebeler, JuS 2012, S. 479 f. (479); Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 295 ff. 158  Angesichts dessen, dass die Umschreibungen wohl nicht als Definitionen ver­ wendet werden, ist der Literatur allerdings nicht eindeutig zu entnehmen, dass die verschiedentlichen Ansätze zwingend andere Nichtaktformen ausschließen.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

baren Gesichtspunkt zu behördlichem Handeln befugt war.“159 Betrachtet man diese Definition wird zwar keine ausdrückliche Einschränkung im Hinblick auf die Art des Rechtsscheins vorgenommen. Es erfolgt keine Anknüpfung an eine bestimmte Handlungsform. Die Ausrichtung auf die Frage, ob ein behördliches Handeln vorliegt, ist der Definition aber eindeu­ tig zu entnehmen. Weiterhin wird auch der Grund für die Annahme eines Nichtakts genannt, nämlich, dass die Handlung einer Person dem Staat nicht zugerechnet werden kann, weil sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu staatlichem Handeln befugt war. Letzteres betrifft den angesprochenen Aspekt der Zurechnung von Handlungen zum Staat. Die Einfügung von „unter anderem“ öffnet die Definition allerdings für weitere Möglichkeiten, warum eine Zurechnung zum Staat nicht erfolgen kann, sodass nicht zwin­ gend eine Beschränkung auf Privathandeln vorliegt. Nach dieser Definition ist, wie bereits hervorgehoben wurde, die „Zurechnung“ zum Staat jedoch das entscheidende Kriterium für die Einordnung als Nichtakt. Welche Vor­ aussetzungen an eine solche Zurechnung zu stellen sind, beinhaltet die Definition allerdings nicht. Über diesen Ansatz hinausgehend finden sich aber noch weitere Um­ schreibungen, die Gemeinsamkeiten mit dieser Definition aufweisen, jedoch nicht vollständig identisch mit ihr sind. Teilweise werden unter die Figur des Nichtakts nur solche Maßnahmen gefasst, „die dem äußeren Erschei­ nungsbild nach einen Verwaltungsakt darstellen können, die jedoch deshalb keine Verwaltungsakte sind, weil sie in Wirklichkeit nicht von einer Behör­ de erlassen wurden“.160 Diese Definition schränkt den Anwendungsbereich des Nichtakts zum einen auf den Verwaltungsakt und somit eine bestimmte Handlungsform des Staates ein, zum anderen begrenzt sie ihn konkreter auf einen bestimmten Grund. Nur wenn die Maßnahme in Wahrheit nicht von einer Behörde stammt, jedenfalls von ihr nicht erlassen wurde, kann von einem Nichtakt gesprochen werden. Hauptgesichtspunkt ist somit wiederum die Frage der Zurechenbarkeit. Darüber hinaus enthält dieser Ansatz mögli­ cherweise aber noch einen weiteren Aspekt, nämlich, dass ein Erlass durch die Behörde gegeben sein muss.161 159  BFHE 125, 347 (349); BSG, Urteil vom 04.09.2013, – B 10 EG 7/12 R –, juris Rn. 23; Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 295 Fn. 9 schließt sich dieser Auffassung an. Ähnlich auch Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 113; Ehlers, Rechtsfragen der Existenz, der Wirksamkeit und der Bestandskraft von Ver­ waltungsakten, in: Krebs (Hrsg.), Liber amicorum Hans-Uwe Erichsen, S. 1 ff. (3); Parzeller, DStZ 1978, S. 430 ff. (432). Im österreichischen Recht wird selbiges ver­ treten vgl. Binder/Trauner, Öffentliches Recht − Grundlagen, S. 146. 160  Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 129. 161  Ob mit der Definition „erlassen“ auf den Aspekt der Bekanntgabe rekurriert werden soll, ist nicht ganz eindeutig.



II. Begriffliche Divergenzen51

Eine ähnliche, den Anwendungsbereich des Nichtakts jedoch um einen Aspekt erweiternde Definition fasst die Figur folgendermaßen: Ein Nichtakt ist ein Akt, der „überhaupt nicht von einer Behörde ausgeht oder einer Behörde zurechenbar ist oder […] [d]er erkennbar nicht ernst gemeint ist“.162 Diese Auffassung nimmt neben dem Aspekt der Zurechenbarkeit noch Scherzerklärungen einer Behörde in den Anwendungsbereich des Nichtakts auf.163 Andere Definitionen fassen unter den Begriff „Nicht-VA“ wiederum sämtliche Akte, die Äußerlich den Anschein erwecken, ein Verwaltungsakt zu sein, die aber „nicht von einer Behörde erlassen worden sind, sondern z. B. von einem Betrüger, der sich als Beamter ausgibt, oder [aber] […] nicht auf Rechtswirkung gerichtet ist“.164 Nicht gewolltes Verwaltungshan­ deln bzw. nicht auf Rechtswirkung ausgerichtetes Handeln von Amtsträ­ gern  − was vergleichbar dem zivilrechtlichen Rechtsbindungswillen sein dürfte − wird somit ebenfalls als Nichtakt klassifiziert.165 Neben dem Staat nicht zurechenbaren Handlungen von Bürgern, die äußerlich aber als ein Verwaltungsakt erscheinen, werden also Maßnahmen von Behörden, die nicht auf Rechtswirkung gerichtet sind, unter die Figur des Nichtakts ge­ fasst. Ein Nichtakt wäre demnach „ein Verhalten, das bereits die Vorausset­ zungen einer rechtserheblichen Maßnahme nicht erfüllt“166. Letztere beiden Ansätze kombinieren die hier als divergierend angesehenen Definitionsver­ suche, weil sie über die Zurechnungsfrage hinausgehend Maßnahmen erfas­ sen, die der Behörde zwar zurechenbar, jedoch nicht rechtserheblich sind, sei es, weil es sich um eine Scherzerklärung handelt oder aber aus anderem Grund keine Rechtswirkung vorliegt. Die unterschiedliche Reichweite der Definitionen zeigt insoweit bereits, dass die dogmatische Struktur des Nichtakts nicht präzise ausgearbeitet ist. Ein Hauptunterschied zwischen den verschiedenen Definitionsansätzen lässt sich indes feststellen. Dieser besteht darin, dass sich ihr Fokus im Hinblick darauf unterscheidet, welche Besonderheiten von der Figur des Nichtakts 162  Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 53. Achterberg, Allgemeines Verwaltungs­ recht, Ein Lehrbuch, § 21 Rn. 189 erweitert den von ihm zunächst auf die Zurechen­ barkeit reduzierten Anwendungsbereich in Fn. 225 ebenfalls auf Scherzerklärungen. 163  So auch Turegg/Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 144 und Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, S. 158. 164  Henneke, in: Knack/Henneke (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, §  35 Rn. 164; Parzeller. DStZ 1978, S. 430 ff. (432); Forsthoff, Lehrbuch des Verwal­ tungsrechts, 1. Band, S. 288; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S.  104 f.; ebenso Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 33. Die Klammerzusätze sind durch die Verfasserin erfolgt. 165  Parzeller, DStZ 1978, S. 430 ff. (432). 166  Schmidt, Kommunale Kooperation, S. 255.

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

erfasst werden. Während die eine Ansicht auf den Rechtsschein abstellt und jede Maßnahme als Nichtakt einordnet, deren äußere Form nicht mit dem materiellen Gehalt übereinstimmt, ist die andere Ansicht der Auffassung, dass dies zwar einen relevanten Aspekt darstellt. Hauptgesichtspunkt letzte­ rer Auffassung ist jedoch die Zurechenbarkeit der Handlungen zum Staat. Letzterer Ansicht zufolge geht es bei Nichtakten nur um Handlungen von Privaten, nicht aber um staatliche Handlungen in der falschen Rechtsform. Betrachtet man die Definitionen angesichts dieses Unterschieds genauer, ergibt sich zwar aus der Begriffsverwendung nicht eindeutig, dass dies auf die verschiedenen Bezeichnungen „Nichtakt“ und „Scheinakt“ zurückzufüh­ ren ist. Es liegt jedoch nahe, dass die Verständnisdivergenzen gerade in der Verwendung dieser unterschiedlichen Begriffe wurzeln. Die Definitionsun­ terschiede könnten somit insbesondere darauf zurückzuführen sein, dass die Begriffe „Nichtakt“ und „Scheinakt“ häufig synonym verwendet, andernteils aber voneinander abgegrenzt und als eigene Kategorien behandelt werden.167 Den synonymen Gebrauch der Begriffe erkennt man meist indes nur daran, dass die Begriffe „Scheinakt“ und „Nichtakt“ für identische Konstellationen verwendet werden. In eher seltenen Fällen werden sie jedoch auch alternativ angeführt.168 Der Begriff des „Nicht-Verwaltungsakts“ wird wiederum syn­ onym zu jeweils einem dieser beiden Begriffe genutzt, teilweise aber auch zur bloßen Kennzeichnung verwendet, dass es sich um eine andere Art von Maßnahme einer Behörde handelt als einen Verwaltungsakt, ohne dass der Anschein eines Verwaltungsakts überhaupt bestehen müsste.169 Gleichzeitig 167  Eine Abgrenzung zwischen Nichtakt und Scheinakt vornehmend Blunk/Schroe­ der, JuS 2005, S. 602 ff. (604). Ebenso Henneke, in: Knack/Henneke (Hrsg.), Ver­ waltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 164, der die Begriffe unterscheidet, jedoch nicht eindeutig kontrastierend nebeneinander stellt. Schiedeck, Die Nichtigkeit von Ver­ waltungsakten nach § 44 Absatz 1 VwVfG, S. 44 f., versteht den Schein-Verwal­ tungsakt als terminologisch neben dem Nichtakt stehend, dogmatisch aber als einen Unterfall von ihm. Die auf diese Ausführung folgenden Erklärungen vermischen die Begrifflichkeiten jedoch wiederum und führen nicht aus, welcher Unterschied zwi­ schen Nichtakt und Scheinakt ausgemacht wurde. Pietzner, in: Pietzner/Driehaus, Einführung in das Allgemeine Verwaltungsrecht, S. 116 f., trennt zwischen Nichtbzw. Scheinverwaltungsakten und dem „sog. Nichtakt“, wobei letzterer lediglich den Fall der Verletzung zwingender Bekanntgabevorschriften erfassen soll. 168  So etwa Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, S. 323; Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1057). Das BVerwG verwendet den Begriff „Nichtakt“ setzt in Klammern die Bezeichnung Scheinakt jedoch gleich, vgl. BVerw­ GE 140, 245 (247 ff.). Und auch das BVerfG spricht von Nichtentscheidungen und Scheinentscheidungen ohne zwischen diesen zu unterscheiden oder ausdrücklich zu erklären, dass es sich hierbei um Synonyme handelt, vgl. BVerfG, NJW 1985, S.  788 f. 169  Waldhoff, JuS 2012, S. 479 f. (480) verwendet den Begriff Nichtverwaltungs­ akt für sämtliche nicht den Verwaltungsaktbegriff erfüllenden Maßnahmen, die aber



II. Begriffliche Divergenzen53

weist die in Bezug auf unterschiedliche Nichtaktkonstellationen immer wie­ derkehrende Hervorhebung, dass es sich um eine besondere Form des Nicht­ akts handele,170 darauf hin, dass eine Differenzierung zwischen den unter­ schiedlichen Arten von Nichtakten respektive Scheinakten notwendig sein könnte. Die beiden Begriffe voneinander abzugrenzen, ist in der Literatur von Blunk und Schroeder bereits erwogen worden. Bei diesem Unterfangen haben Blunk und Schroeder überdies versucht, die bisher unter die beiden Begriffe subsumierten Fallgestaltungen aufzuspalten und neu zuzuordnen. An ihre Überlegungen kann − ausgenommen im Hinblick auf den grund­ sätzlichen Gedanken, zwischen Scheinakten und Nichtakten zu unterschei­ den  − allerdings nur sehr begrenzt angeknüpft werden, da vorliegend ein anderes Verständnis des Nichtakts zugrunde gelegt wird.171 Als Grund für die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Scheinakten und Nichtak­ ten führen Blunk und Schroeder nämlich an, dass bei einem Scheinakt eine „äußere Hülle“ vorliege, die faktische Wirkungen erzeugen könne.172 Bei einem Nichtakt soll dies im Umkehrschluss − was von Blunk und Schroeder allerdings nicht ausdrücklich herausgearbeitet wird  − hingegen wohl nicht der Fall sein.173 Durch ein derartiges Verständnis wird der Begriff „Nicht­ akt“ jedoch nicht nur mit einem rechtlichen, sondern auch einem tatsäch­ lichen Nullum gleichgesetzt. Wenn die Möglichkeit besteht, dass faktische Wirkungen erzeugt werden, handelt es sich der Auffassung von Blunk und Schroeder zufolge immer um einen Scheinakt,174 während ein Nichtakt ihrer Vorstellung nach nur dann vorliegt, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestün­ den, dass es sich um eine staatliche Maßnahme handele. Dieser Differenzie­ rung sind jedoch zwei Argumente entgegenzuhalten: Zum einen, dass der Begriff „Nichtakt“ rechtlich nie in einem solchen Sinne verwendet wurde. Zum anderen und hiermit zusammenhängend, dass ohne irgendeine Form des Rechtsscheins auch keine faktischen Wirkungen erzeugt werden können, welche die Notwendigkeit der rechtlichen Bewertung überhaupt erst hervor­ die Form eines Verwaltungsakts aufweisen. Eine noch weitere Verwendung findet sich beispielsweise bei Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. (3 f.). 170  So beispielsweise Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S. 104 f. in Bezug auf formelle Verwaltungsakte. Bei Wirksamkeitshindernissen heben sie ebenfalls bereits begrifflich die Besonderheiten hervor. Aber auch Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und die ultra-vires-Doktrin des öffentlichen Rechts, S. 67 spricht im Hinblick auf ultra-viresAkte von Unterschieden zu sonstigen Nichtakten. 171  Vgl. hierzu auch F. 172  So ausdrücklich Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604). 173  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604). 174  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604).

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B. Die Grundlagen des Nichtakts

rufen. Nichtakte wären demzufolge, verstünde man sie wie Blunk und Schroeder, für die rechtliche Anwendung irrelevant. Der Nichtakt würde als eigene rechtliche Kategorie hierdurch faktisch getilgt. Blunk und Schoeder präferieren demzufolge zwar den Begriff des Scheinakts, sie nehmen aber keine wirkliche Differenzierung zwischen Scheinakten und Nichtakten in dem Sinne vor, dass sie zwischen verschiedenen Fehlergruppen unterschei­ den und sie der einen oder anderen Kategorie zuordnen. Genau dies ist jedoch notwendig. Ein Hauptaspekt dafür, zwischen der Kategorie Nichtakt und Scheinakt zu unterscheiden, ist, dass der Figur, wie die verschiedenen Definitionen zeigen, sehr disparate Fallgruppen zugeord­ net werden. Einesteils geht es um unterschiedlichste Formen privaten Han­ delns, insbesondere Fälle der Amtsanmaßung, anderenteils um Fehler, die im behördeninternen Bereich aufgetreten sind.175 Letzteres betrifft insbeson­ dere behördliche Handlungen, die in falscher Rechtsform ergangen sind und solche, die trotz des äußeren Anscheins keine Rechtswirkung erzeugen. Da der Sinn dogmatischer Figuren darin liegt, eine Ordnungs- und Speicher­ funktion auszuüben,176 aus der Annahme einer dogmatischen Figur also die Anwendung bestimmter Rechtsregeln folgt, müssen die einer Figur zugeord­ neten Fallgruppen zumindest entweder hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeits­ bedingungen, Rechtswirkungen und Fehlerfolgen oder der Rechtsschutz­ möglichkeiten identischen Maßstäben unterliegen. Das Erfassen disparater Konstellationen erschwert es, diese Funktion zu erfüllen. Es könnte sich daher als notwendig erweisen, die Konstellationen aufzuspalten und somit zwischen Nichtakten und Scheinakten zu differenzieren. Nichtakte und Scheinakte als eigenständige dogmatische Figuren zu be­ handeln, ist jedoch nur dann weiterführend, wenn sie unterscheidbare Kon­ stellationen erfassen und rechtsgebietsübergreifend Anwendung finden. Sonst liefe die Differenzierung Gefahr, rechtlich einmalige Konstellationen zu stark zu verallgemeinern und damit überzuinterpretieren bzw. überzudog­ matisieren.

175  Ruffert, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 23, deu­ tet dies an, wenn er unterscheidet, ob der Anschein eines staatlichen Akts durch den Staat selbst oder einen Privaten hervorgerufen wird. 176  Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S.  297 ff.; ders., DVBl 1989, S. 533 ff (533 f.); Hoffmann-Riem, in: ders./SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR II, § 33 Rn. 3.

C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen Für das Verständnis des Nichtakts als dogmatische Figur und damit als selbstständige Fehlerkategorie spricht, dass er in den verschiedensten Gebie­ ten des Öffentlichen Rechts diskutiert wird und daher als übergeordnete Kategorie von Relevanz ist. Dies ist nicht allein darauf zurückzuführen, dass die Arten von Fehlern, die unter der Kategorie des Nichtakts zusam­ mengefasst werden, jeden Verwaltungsakt − unabhängig von seinem In­ halt − betreffen können und daher Gesichtspunkte des Allgemeinen Verwal­ tungsrechts darstellen. Zwar sind sämtliche der in den verschiedenen Gebie­ ten des Besonderen Verwaltungsrechts diskutierten Fehler, die zur Entste­ hung von Nichtakten führen, verallgemeinerbar − sie können als Fragen des Allgemeinen Verwaltungsrechts reformuliert werden.1 In Bezug auf ver­ schiedene Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts wie auch des Sozial­ rechts stellen sich jedoch sowohl aufgrund der Besonderheiten der jeweili­ gen Materie als auch angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Ausge­ staltung der verschiedenen Rechtsgebiete einige spezielle Fragen, die die Nichtaktdogmatik berühren. Ihre Analyse hilft dabei, rechtliche Besonder­ heiten, welche die Entstehung von Nichtakten begünstigen, offenzulegen. Die Auswahl der Referenzgebiete2 erklärt sich daraus, dass die Figur des Nichtakts vornehmlich im Beamten- und Steuerrecht Verwendung ge­ funden hat, weshalb diese beiden Gebiete gesondert betrachtet werden. Insbesondere im Steuerrecht finden sich einige Abweichungen von der sonstigen Anwendungsweise der Figur des Nichtakts, die nicht nur durch rechtliche Regelungen bedingt werden. Ferner lassen sich anhand des Sozi­ al- und Kommunalrechts einige Spezifika aufzeigen, mittels welcher sich die für die Figur des Nichtakts bedeutsamen rechtlichen Weichenstellungen beleuchten lassen. Das Europarecht wird als weitere Materie hierneben he­ rangezogen, um feststellen zu können, ob es sich um ein durch nationale Regelungen bzw. dogmatische Ansätze bedingtes Phänomen handelt oder die Problematik eher rechtstheoretischer Natur ist. Gleichzeitig wird auf 1  Eine nach Fehlerkategorien geordnete Analyse der Nichtakt-Konstellationen erfolgt unter D. 2  Zur Auswahl von Referenzgebieten und der Technik der Erstellung einer Be­ standsaufnahme mit Hilfe dieser s. Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogma­ tik, S.  8 ff.

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C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen

diese Weise überprüft, inwieweit sich das Verständnis der Figur verallge­ meinern lässt. Zwar findet der Begriff „Nichtakt“ auch im Europarecht Verwendung, ihm könnte in diesem Rahmen jedoch ein anderer Aussage­ gehalt zugeschrieben werden, als dies in der deutschen Rechtsordnung der Fall ist.

I. Beamtenrecht Einer der relevantesten Anwendungsfälle der Nichtaktdogmatik ist im Beamtenrecht unter dem Begriff der „Nichternennung“ (§ 6 Abs. 2 BBG a. F.) diskutiert worden.3 Eine Nichternennung wurde angenommen, wenn eine der wesentlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Ernennung fehlte: bei nicht dienstherrnfähigen Institutionen, fehlendem Vorhandensein des Amts zum Zeitpunkt der Urkundenaushändigung,4 Formfehlern unterschiedlichs­ ter Natur5 und der fehlenden Aushändigung der Originalurkunde.6 In diesen Fällen wurde der Maßnahme keine rechtliche Bedeutung zugemes­ sen. Sie wurde als Nullum betrachtet oder aber in eine andersartige verwal­ tungsrechtliche Willenserklärung umgedeutet.7 Als fehlerhafte Ernennung wurde die Maßnahme hingegen nicht angesehen. Ferner wären im Rahmen des Beamtenrechts vor dem Hintergrund der Figur des Nichtakts auch die Folgen der Nichternennung in Bezug auf die von dem nicht wirksam bestellten Amtswalter erlassenen Akte relevant ge­ worden, hätte nicht die gesetzliche Regelung des Umgangs mit derartigen Maßnahmen dem faktisch einen Riegel vorgeschoben.8 In § 14 BBG a. F. 3  Wagner, DöV 1988, S. 277 ff. (283); Battis, BBG, 3. Aufl. (a. F.), § 6 Rn. 15; Köpp, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 397 ff.; Braun/Post, Öf­ fentliches Dienstrecht, Band I, Beamtenrecht, S. 77; Summer, Beiträge zum Beam­ tenrecht, S. 337; Fromme, DöD 1981, S. 169 f. (169). Darauf verweisend, dass es sich um einen wichtigen Fall der Nichtaktdogmatik handele auch Turegg/Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 144. Allgemein zur Nicht-Ernennung siehe Schröcker, DVBl 1957, S. 661 ff. 4  BVerwG, NVwZ 1984, S. 181 f. (182). 5  BVerwGE 137, 138 (141); weitergehend hierzu Battis, BBG, 3. Aufl. (a. F.), § 6 Rn. 15. 6  Wagner, DöV 1988, S. 277  ff. (283); Günther, Recht im Amt 2009, S. 49 ff. (53); Köpp, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 399; VG Braun­ schweig, ZBR 2006, S. 62 f. (63). 7  Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S.  105; BAGE 8, 260 (266 ff); Fromme, DöD 1981, S. 169 ff. (169). 8  Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 347 ff. Zuvor war allerdings be­ reits diskutiert worden, dass es zu „unhaltbaren Konsequenzen“ führen würde, hiel­ te man sämtliche von einem Nichtbeamten erlassenen Akte für Nichtakte, vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 228 f., der hierin die Begrün­



I. Beamtenrecht57

wie auch dem heute geltenden § 15 S. 3 BBG findet sich die Bestimmung, dass im Falle einer nichtigen oder rechtswidrigen Ernennung die vorgenom­ menen Amtshandlungen in gleicher Weise gültig sind, „wie wenn eine Be­ amtin oder ein Beamter sie ausgeführt hätte“. Diese Regelung greift dem Wortlaut zufolge zwar im Falle der Nichternennung nicht direkt. Eine ana­ loge Anwendung wurde und wird größtenteils jedoch befürwortet,9 da der Regelungszweck der Norm in gleicher Weise bei Fällen der Nichternennung greife. Fehler im Rahmen der Ernennung sollen nicht auf die von der nichternannten bzw. unwirksam ernannten Person erlassenen Akte durchschlagen. Dies verhindert, sämtliche von einem Nicht-Beamten erlassenen Akte als Nichtakte qualifizieren zu müssen. Das BBG unterschied somit jedenfalls bis 2009 zwischen Nichtakten, nichtigen und vernichtbaren Verwaltungsakten.10 Aufgrund der hohen An­ forderungen an die Beamtenernennung und der in diesem Rahmen somit erhöhten Fehleranfälligkeit auf der Ebene der Qualifikation des Akts als Ernennung war der Nichtakt im Beamtenrecht relativ verbreitet. Durch die Änderungen des Bundesbeamtengesetzes und die Ausweitung der in § 13 BBG geregelten Nichtigkeitsgründe sind die Anwendungsfälle des Nichtakts inzwischen jedoch drastisch reduziert worden.11 Die meisten der zuvor zur Nichternennung führenden Gründe wurden zu Nichtigkeitsgründen umde­ klariert. Dies geht so weit, dass teilweise sogar angenommen wird, die Unterscheidung zwischen einer nichtigen Ernennung und einer Nichternen­ nung sei durch die Ausweitung des § 13 BBG, der sämtliche Fallgruppen des § 6 Abs. 2 a. F. konsumiere, weggefallen.12 Gleiches würde für das Landesrecht angesichts des parallel konzipierten § 11 BeamtStG gelten.13 Jedenfalls der fehlende Wille der Behörde zur Ernennung wird indes in der jüngeren Rechtsprechung weiterhin als ein Anwendungsfall der Nichtakt­ dogmatik im Beamtenrecht angesehen,14 sodass der Nichtakt im Beamten­ recht nicht vollständig ausgemerzt wurde. Dennoch lässt sich deutlich er­ kennen, dass der Gesetzgeber gewillt ist, den Anwendungsfall der Figur des Nichtakts entweder gänzlich zu vermeiden oder jedenfalls soweit wie mög­ dung für den damals geltenden § 14 BBG sieht. Vgl. hierzu auch Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhältnis, S. 187 f. 9  Zu dem Streit hierum siehe etwa Battis, BBG, 3. Aufl. (a. F.), § 14 Rn. 2 und Schröcker, DVBl 1957, S.  661 ff. (668 ff). 10  Wagner, DöV 1988, S. 277 ff. (283). 11  So auch Günther, Recht im Amt 2009, S. 49 ff. (52). 12  Battis, in: ders., BBG, 4. Aufl., § 13 Rn. 3. 13  Vgl. BT-Drs. 16/7076, S. 102. 14  Vgl. VG Regensburg, Urteil vom 12.12.2012, − RN 1 K 11.360 −, juris Rn. 30. Hierüber hinausgehend werden auch die Aushändigungsmängel noch als Frage des Nichtakts diskutiert, vgl. Günther, Recht im Amt 2009, S. 49 ff. (51).

58

C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen

lich zu reduzieren. Insbesondere werden Formfehler, die im Allgemeinen Verwaltungsrecht grundsätzlich nur zur Rechtswidrigkeit und allenfalls bei groben Verstößen zur Nichtigkeit führen, nicht aber die Nichtaktdogmatik betreffen,15 inzwischen auch im Beamtenrecht nicht mehr als Anwendungs­ fall des Nichtakts angesehen. Die zuvor als Voraussetzung für das Vorliegen einer Ernennung normierten Umstände sind durch Gesetzesanpassung auf die Rechtmäßigkeitsebene verlagert worden. Trotz eines geringen noch fort­ bestehenden Anwendungsbereichs hat jedenfalls die besondere quantitative Verbreitung des Nichtakts im Beamtenrecht mit der Neuregelung in § 13 BBG und § 11 BeamtStG ihr Ende gefunden.

II. Steuerrecht Im Steuerrecht hat die bis etwa Mitte der 1970er Jahre angewendete Willenstheorie16 in Kombination mit der Art und Weise, wie Zuständigkeits­ fehler beurteilt wurden, die nicht in einem Überschreiten, sondern in der Anmaßung einer sachlichen Zuständigkeit bei der Willensbildung liegen,17 dazu geführt, dass der Nichtakt eine gegenüber anderen Rechtsgebieten er­ höhte Bedeutung erlangt hat.18 Hinzu kam, dass im Steuerrecht nicht der Originalsteuerbescheid bekannt gegeben wurde, sondern eine nicht unter­ schriebene Abschrift, was die Gefahr des Auseinanderfallens von Anschein und tatsächlicher Sachlage weiter verstärkte.19 Im Steuerrecht wurde daher 15  Vgl. Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 189  ff.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 37 Rn. 40. 16  Unter der Willenstheorie ist zu verstehen, dass nur der Verwaltungsakt wirk­ sam wird, den die Behörde auch erlassen wollte. Dieser muss nicht zwingend mit dem Erklärten übereinstimmen. Der Gegenbegriff zur Willenstheorie ist die im all­ gemeinen Verwaltungsrecht anerkannte Erklärungstheorie. Der Unterschied besteht darin, ob auf den Empfängerhorizont abgestellt wird oder den Erklärungshorizont. Siehe hierzu Ernst, Die Verwaltungserklärung, S. 297 ff., der die unterschiedlichen Theorien einander kontrastierend gegenüberstellt und unter dem Aspekt der Geltung untersucht, welcher Ansatz im Zivil- und Öffentlichen Recht vorzugswürdig er­ scheint. 17  Die Begründung, warum Nichtakte im Steuerrecht eine besondere Bedeutung erlangt haben, ist insoweit nicht ganz unumstritten, siehe hierzu Gmach, DStZ 1976, S. 299 ff. einerseits und Parzeller, DStZ 1978, S. 430 ff. andererseits. Vgl. hierzu ebenfalls BFHE 125, 347 (349 f.); 132, 219 (221 f.); 147, 205 (207 f.). 18  Vgl. hierzu Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im öffentlichen Recht, S. 474 ff.; Gmach, DStZ 1976, S. 299 ff. (passim, besonders deutlich im Hinblick auf die Un­ terschiede von Willens- und Erklärungstheorie S. 302); grundlegend zum Wandel der Ansicht der Rechtsprechung s. Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhältnis, S. 30 f. und Parzeller, DStZ 1978, S. 430 ff. (430 f.). 19  Vgl. Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsver­ hältnis, S. 30 ff. Noch immer wird das Vorliegen eines Nichtakts bei Bekanntgabe­



III. Sozialrecht59

die Fallgruppe des im Entwurfsstadium steckengebliebenen Verwaltungs­ akts, der nach außen aber bereits verlautbart worden ist, als Nichtakt-Kon­ stellation vermehrt relevant.20 Auch das Auseinanderfallen von getroffener und bekanntgegebener Regelung stellte eine wiederkehrende Problematik dar. Dies zeigt, dass Besonderheiten im Rahmen des Erlassverfahrens die Entstehung von Nichtakten begünstigt. Die im Steuerrecht anerkannten Fallgruppen des Nichtakts sind durch Änderungen des Verwaltungsverfahrens auch im Steuerrecht allerdings ebenfalls immer weiter reduziert worden, sodass inzwischen kaum noch Spezifika bestehen. Dennoch ist zu bemerken, dass im Steuerrecht die Ten­ denz bestand, Fallgestaltungen in Bezug auf die Nichtaktdogmatik anders zu behandeln als im Allgemeinen Verwaltungsrecht. Dies gilt etwa für Zu­ ständigkeitsüberschreitungen im internen Bereich. Der innerbehördlichen Geschäftsverteilung wurde im Steuerrecht hinsichtlich der Zurechnung von Handlungen zur Behörde eine höhere Bedeutung zugemessen als im Allge­ meinen Verwaltungsrecht.21 Dies hat ebenso dazu geführt, dass im Steuer­ recht −  gegenüber sonstigen Rechtsgebieten vermehrt  − Handlungen als Nichtakt klassifiziert wurden. Über die Zeit hat jedoch auch in diesem Bereich eine immer stärkere Annäherung an die im Allgemeinen Verwal­ tungsrecht herrschenden Anschauungen stattgefunden, weshalb auch im Steuerrecht insgesamt ein Rückgang der Auseinandersetzung mit der Figur des Nichtakts zu verzeichnen ist.

III. Sozialrecht Im Sozialrecht wird die Figur des Nichtakts zwar ebenfalls durchaus verwendet, trotz einiger hierzu ergangener höchstrichterlicher Urteile ist indes nicht ersichtlich, dass durch sozialrechtliche Normierungen spezifi­ sche Fallgestaltungen provoziert werden, die die Nichtaktdogmatik betref­ fen. Selbst die Einbeziehung der Deutschen Post AG in die Anpassung der Renten nach § 119 Abs. 2 SGB VI weist keine Besonderheiten auf,22 die über die Problematik der Einbeziehung von Verwaltungshelfern in die Wahrnehmung von Aufgaben durch einen Staatsträger hinausgehen würde. fehlern im Steuerrecht besonders betont, vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 126 AO Rn. 2 wie auch § 125 AO Rn. 8. 20  BFH, Urteil v. 28.3.63, – V 106/60 –, StRK AO § 91 R. 17; BFHE 81, 198 (199 ff.); vgl. hierzu auch Gmach, DStZ 1976, S. 299 ff. (300). 21  Vgl. Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 322 und 325 ff. 22  Zur Problematik wie der Ablauf der Rentenanpassung zu erfolgen hat, vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2000, – B 6 RA 68/99 R –, juris Rn. 19 f.

60

C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen

Die in neuerer Zeit die Sozialgerichte beschäftigende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Missbrauch der Vertretungsmacht durch einen Behördenmitarbeiter dazu führt, dass ein Nichtakt vorliegt, ist ebenfalls verallgemeinerbar. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts soll es sich nur dann um einen Nichtakt handeln, wenn der Handelnde unter keinem denk­ baren Gesichtspunkt zu derartigem behördlichen Handeln befugt ist. Bei Amtsträgern wird dies von der Rechtsprechung jedoch nur dann angenom­ men, wenn der Vertreter des Staates kollusiv mit dem Verwaltungsaktemp­ fänger zusammenwirkt oder der Missbrauch der Vertretungsmacht offen zu Tage tritt.23 In der Literatur hat diese Auffassung ebenfalls verbreitet Zu­ spruch gefunden.24 Von der Vorinstanz war der fragliche, vom Bundes­ sozialgericht entschiedene Fall demgegenüber noch anders beurteilt und die Handlung des Behördenmitarbeiters als Nichtakt qualifiziert worden, weil sie eine strafbare Handlung darstelle.25 Bemerkenswert ist im Hinblick auf die im Sozialrecht entschiedenen Fälle, dass sich, wie die Mehrung der Entscheidungen und die Aktualität der Fragestellung zeigt, bei Leistungskonstellationen die Problematik des Vor­ liegens eines Nichtakts aufgrund der Überschreitung der Vertretungsmacht häufiger stellt als in andern Bereichen. Hier ist angesichts der möglichen Leistungsvergabe durch Behördenbedienstete die Gefahr des Überwiegens von Eigeninteressen der Amtswalter erhöht, weshalb sich in diesem Rahmen des Öfteren Konstellationen eigennütziger Befugnisüberschreitungen finden. Die Problematik der Abgrenzung, unter welchen Umständen von einem Privathandeln eines Behördenmitarbeiters auszugehen ist und wann von ei­ nem Amtshandeln, spitzt sich in derartigen Fällen zu.

IV. Kommunalrecht Des Weiteren lässt sich anhand einiger Eigenheiten des Kommunalrechts verdeutlichen, welche Regelungsvarianten dazu führen, dass Maßnahmen vermehrt als Nichtakte zu qualifizieren sind, respektive, welche rechtlichen Rahmenbedingungen dies verhindern. Als Nichtakte provozierende rechtliche Ausgestaltungen sind insbesonde­ re komplex ausgestaltete Vertretungsregeln26 wie auch Fälle zu nennen, in 23  BSG,

Urteil vom 04.09.2013, – B 10 EG 7/12 R –, juris Rn. 22 f. Schneider-Danwitz, SGb 2014, S. 271 ff. (273), obgleich die Subsumtion im konkreten Fall für fragwürdig erachtet wird. 25  LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.03.2012, – L 11 EG 416/11 –, juris Rn.  23 ff. 26  Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 78 und 90; Stelkens, Verwal­ tungsprivatrecht, S. 203 ff. Das Auseinanderfallen der Entscheidungs- und Bekannt­ 24  Vgl.



IV. Kommunalrecht61

denen es zum Erlass eines bestimmten Rechtsakts des Zusammenwirkens mehrerer Personen27 oder aber Behörden bedarf.28 Die im Kommunalrecht besonders ausgeprägte Unterscheidung von interner Willensbefugnis und externer Vertretungsbefugnis fördert im Grundsatz die Entstehung von Nicht­akten.29 Solange beispielsweise ein „auf den Erlass eines Verwaltungs­ aktes abzielender Beschluss“ des Gemeinderats nicht durch den Bürgermeis­ ter durchgeführt wurde, wird dieser als „Nichtakt“ angesehen.30 Hierbei handelt es sich allerdings um eine rein intern verbleibende Maßnahme, die zu diesem Zeitpunkt noch in keinerlei Weise nach außen getreten ist. Des Weiteren wurden insbesondere Vorschriften, welche anordnen, dass Ver­ pflichtungserklärungen durch den Bürgermeister nur schriftlich abgegeben werden können oder regeln, dass eine Gesamtvertretung vorliegen muss, von Teilen der Literatur und Rechtsprechung als Regelungen zur Beschrän­ kung der Vertretungsmacht erachtet.31 Ein Verstoß gegen diese Vorgaben könnte daher zur Folge haben, dass die Maßnahme als Nichtakt einzuordnen ist.32 Vielfach wird in diesen Fällen allerdings − obwohl die Vorschriften gabezuständigkeit kann, sollte diese nicht beachtet worden sein, beispielsweise zur Klassifikation als Nichtakt führen, vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 30.07.1997, – 1 M 55/97 –, LKV 1998, S. 112 ff. (115). Teilweise wurde bereits konstatiert, dass die Vertretung der Gemeinde auf ungeklärter dogmatischer Basis bewältigt würde, vgl. Lange, Die Vertretung der Gemeinde, in: Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum HansUwe Erichsen, S. 107 ff. (107). 27  Bspw. § 71 Abs. 2 S. 2 Hessische Gemeindeordnung. 28  Zu diesen Beispielen der Ausgestaltung s. insbesondere Lange, Die Vertretung der Gemeinde, in: Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum Hans-Uwe Erichsen, S. 107 ff. (108 ff.); allgemein hierzu auch Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  209 ff. 29  Zu diesem Zusammenspiel siehe Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 78. 30  So Burgi, Kommunalrecht, S.  181 f. 31  Diese Frage ist sehr umstritten, siehe hierzu Stelkens, VerwArch 94 (2003), S.  48 ff. (49 ff.); ders., Verwaltungsprivatrecht, S.  210 ff.; Sensburg, NVwZ 2002, S.  179 ff.; Püttner, JZ 2002, S. 197 f.; Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 89 ff. wie auch Burgi, Kommunalrecht, S. 184 ff. Vgl. hierüber hinausgehend auch VGH Kassel, NVwZ-RR 2005, S. 650 ff. (651). 32  Diese Aussage ist allerdings in Bezug darauf einzuschränken, dass die beispiel­ haft aufgeführte Problematik meist bei zivilrechtlichem Vorgehen des Bürgermeisters zum Tragen kommt und insoweit § 179 BGB angewendet wird. Die Überlegung, eine persönlichen Haftung des Bürgermeisters gem. § 179 BGB anzunehmen, zeigt jedoch gerade, dass seiner auf Verpflichtung der Gemeinde gerichteten Erklärung keine Wir­ kung zugesprochen wird, weil sie der Gemeinde nicht zugerechnet werden kann. Im Öffentlichen Recht wird hingegen von der Nichtigkeit der Verpflichtung ausgegangen, so Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 87. Dann müsste die Zurechnung im Öf­ fentlichen Recht allerdings anders konstruiert werden als im Zivilrecht. Ansonsten kann dies nur angenommen werden, wenn man die Regelungen nicht als Vertretungs-, sondern als Formvorschriften einordnet, s. hierzu VGH Kassel, NVwZ 1983, S. 556 f. (557). Die Gemeinde soll bei Verstoß gegen die Regelungen nicht gebunden sein, weil das Handeln ihres Organs ihr nicht zuzurechnen sei, vgl. Lange, Die Vertretung der

62

C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen

als Regelungen der Vertretungsmacht eingeordnet werden − angenommen, dass die unter Verletzung dieser Voraussetzungen abgegebene Erklärung nichtig sei.33 Von einem Nichtakt wird in diesem Kontext meist nicht ge­ sprochen, obgleich die fehlende Zurechenbarkeit, welche im Falle fehlender Vertretungsmacht naheliegt, generell als Grund für die Entstehung eines Nichtakts angesehen wird. Grundsätzlich zeigt sich hieran indes, welche Relevanz der Einordnung von Regelungen als Form- bzw. sonstige Recht­ mäßigkeitsvoraussetzung oder aber Vertretungsvorschriften in Bezug auf die bei einem Verstoß hervorgerufenen Rechtsfolgen zukommt. Des Weiteren finden sich im Kommunalrecht aber auch Regelungen, die die Entstehung von Nichtakten tendenziell eher verhindern. Die dem Bür­ germeister im Außenverhältnis fast uneingeschränkt eingeräumte Vertre­ tungsmacht, welche zwar im Innenverhältnis durchaus Beschränkungen kennt, die jedoch nicht nach außen wirken, hat zur Folge, dass ein Akt trotz des Verstoßes gegen interne Beschränkungen extern zugerechnet werden kann.34 Aus diesem Grund führt beispielsweise die fehlende Beteiligung des Gemeinderats bei dem gemäß § 36 BauGB zu erteilenden Einverneh­ men „allenfalls zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Wirkungslosigkeit der Außenrechtshandlung“35. Besonders bemerkenswert ist in Bezug auf die Anwendung bzw. Nichtan­ wendung der Figur des Nichtakts ferner, dass der Umfang der Vertretungs­ macht des Bürgermeisters bei privatrechtlichen, rechtsgeschäftlichen Wil­ lenserklärungen enger verstanden wird als bei öffentlich-rechtlichem Tätig­ werden. Während bei privatrechtlichen Maßnahmen auf die Regelung des Missbrauchs der Vertretungsmacht rekurriert wird,36 nehmen Literatur und Rechtsprechung bei öffentlich-rechtlichen Erklärungen an, dass diese noch zurechenbar seien, weshalb die Maßnahmen nicht als Nichtakt qualifiziert werden. Die Befugnisüberschreitung wird aber dennoch als ein gesetzlicher Verstoß angesehen,37 der zur Nichtigkeit oder zumindest Anfechtbarkeit des Gemeinde, in: Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum Hans-Uwe Erichsen, S. 107 ff. (112). Wäre tatsächlich die Zurechnung abzulehnen, handelte es sich allerdings nicht um einen Fall der Nichtigkeit, sondern um einen Nichtakt. 33  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 87; Lange, Die Vertretung der Ge­ meinde, in: Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum Hans-Uwe Erichsen, S. 107 ff. (111 ff.). 34  OVG Koblenz, NVwZ 1983, S. 484. 35  VGH Mannheim, NVwZ 1999, S.  442  ff. (444); Püttner, Kommunalrecht Baden-Württemberg, S. 104. 36  Vgl. hierzu auch Geis, Kommunalrecht, S. 115 f. zur Einschränkung bei pri­ vatrechtlichen Rechtsgeschäften und S. 109 zur Ansicht bei öffentlich-rechtlichem Tätigwerden wie auch Püttner, Kommunalrecht Baden-Württemberg, S. 105 ff. 37  Auf diesen Widerspruch ebenfalls hinweisend und ihn kritisierend Lange, Die Vertretung der Gemeinde, in: Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum Hans-Uwe Erichsen,



V. Europarecht63

Akts führe. An diesen Unterschieden zwischen dem Öffentlichen Recht und Zivilrecht ist erkennbar, dass die Zurechnung im Öffentlichen Recht an­ scheinend weiter geht als im Zivilrecht. Bei privatrechtlichem Tätigwerden und mangelnder Vertretungsmacht wird an die Zurechenbarkeit der Hand­ lung angeknüpft, bei öffentlich-rechtlichen Maßnahmen hingegen an deren Rechtmäßigkeit.

V. Europarecht Die Figur des Nichtakts findet jedoch nicht nur im nationalen Recht Ver­ wendung, vielmehr wird über das nationale Recht hinausgehend auch im Europarecht sowohl der Begriff „Scheinakt“38 als auch der Terminus „Nichtakt“ verwendet. Die Bezeichnung „Nichtakt“ findet sich sogar ver­ mehrt. Unter diesem Topos werden verschiedene rechtliche Fragestellungen diskutiert. Insbesondere der Aspekt, ob ein zulässiger Klagegegenstand für eine Nichtigkeitsklage vorliegt, fällt in diesen Themenbereich.39 Generell geht es bei der Frage, ob ein Nichtakt im Sinne des Europarechts vorliegt, nach Auffassung der Literatur darum, zu bestimmen, „wie weit die Abwei­ chung [des Akts] von der rechtlichen Norm reichen darf, um den Akt über­ haupt noch als Rechtsakt ansehen zu können“40. Diesbezüglich ist aller­ dings vorweg bereits anzumerken, dass im Kontext der europarechtlichen Fehlerfolgenlehre die Begrifflichkeiten der Nichtigkeit, der Inexistenz und des Nichtakts meist nicht unterschieden werden.

S. 107 ff. (108 f.). Als Grund für dieses Auseinanderfallen wird angeführt, dass die Normen bei privatrechtlichem Tätigwerden nicht als Formvorschriften angesehen werden könnten, sondern nur als Vertretungsregeln, da für erstere im Bereich des Zivilrechts keine Kompetenz bestehen würde. Diese Begründung erscheint ange­ sichts des Regelungszwecks, die Gemeinde besonderen Bindungen zu unterwerfen, allerdings als eher zweifelhaft, so auch Lange, Die Vertretung der Gemeinde, in: Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum Hans-Uwe Erichsen, S. 107 ff. (111). 38  Allerdings werden hier die spezielleren Bezeichnungen „Scheinrichtlinie“ und „Scheinverordnung“ verwendet, vgl. Biervert, Der Mißbrauch von Handlungsformen im Gemeinschaftsrecht, S. 119; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 230 Rn. 29 ff. Der im Rahmen von Art. 230 EGV in Bezug auf den Klagegegenstand geführte Streit über „Scheinrichtlinien“ und „Scheinverordnungen“ hat sich aufgrund der Erweiterung des Wortlauts in Art. 263 AEUV inzwischen erledigt. 39  Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 Rn. 8 ff.; Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Europäischen Union, S. 216 ff.; Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, S. 83 ff.; dies., EuZW 1995, S. 755 ff. (755); Schärf, EuZW 2004, S. 333 ff. (333); Stotz, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, P. I. Rn.  82 f.; Allkemper, Der Rechtsschutz des Einzelnen nach dem EG-Vertrag, S. 38; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn.  379 ff. 40  Schärf, EuZW 2004, S. 333 ff. (333).

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C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen

Zwar stellt der „Nichtakt“ auch im Europarecht eine Ausnahmefigur dar, weil für Akte der Unionsorgane grundsätzlich die Gültigkeitsvermutung gilt.41 Dies wird zum einen als allgemeiner Rechtsgrundsatz angenommen und zum anderen aus dem Klagesystem hergeleitet. Vor dem Hintergrund des notwendigen Ausgleichs zwischen der Stabilität der Rechtsordnung ei­ nerseits und der Wahrung der Rechtmäßigkeit andererseits wird aber in Fällen von offenkundigen und besonders schweren Fehlern, die von der EU-Rechtsordnung nicht toleriert werden können, die Inexistenz des Akts angenommen.42 Demzufolge wird auch im Europarecht zwischen fehlerhaf­ ten, aber nur rechtswidrigen Akten einerseits und inexistenten Akten ande­ rerseits differenziert.43 Ein sogenannter „Nichtakt“ soll bei evidenten Verletzungen grundlegen­ der Kompetenzregeln, bei Zuständigkeitsübergriffen in die Kompetenzsphä­ re der Nationalstaaten44 oder Akten von generell unzuständigen Stellen45 vorliegen. Selbiges wird für Meinungsäußerungen, Mitteilungen, (Rechts-) Auskünfte, Verhaltensempfehlungen sowie vorbereitende und innerdienstli­ che Organisationsakte angenommen,46 es sei denn, sie erheben den Anspruch oder erwecken zumindest den Anschein, dass eine unionsrechtliche Pflicht besteht.47 Ebenso werden im Entwurfsstadium befindliche Entscheidungen 41  EuGH, Rs. C-137/92 P, Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555, Rn. 48; Rs. C-475/01, Kommission/Griechenland, Slg. 2004, I-8923, Rn. 19; Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, S. 83 unter Verweis auf EuGH, verb. Rs. 7/56, 3/57 bis 7/57, Algera u. a./Assemblée commune, Slg. 1957, 81 (117), wobei die Gründe für eine „absolute“ Nichtigkeit eines Gemeinschaftsakts hier noch nicht ausgearbeitet sind. Zusätzlich wird darauf verwiesen, dass sich die Gültigkeitsvermutung aus dem bestehenden Klagesystem ergebe. Vgl. hierzu auch Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Europäischen Union, S. 216. 42  EuGH, Rs. C-137/92 P, Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555, Rn. 49. 43  Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 Rn. 9. 44  Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Europäischen Union, S. 217, wobei allerdings die ultra-vires-Doktrin nach kurzer Zeit ebenfalls auf offenkundige und schwere Fehler zurückgeführt wurde, vgl. Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, S. 89 f. 45  Vgl. EuGH, Rs. 98/80, Giuseppe Romano/Institut national d’assurance maladieinvalidité, Slg. 1981, 1241, Rn. 20. Maßnahmen, die von einem nicht zum Erlass verbindlicher Regelungen Berechtigten stammen, sind unverbindlich und entfalten keine Rechtswirkung. Für die Auslegung, ob eine rechtsverbindliche Aussage getrof­ fen wurde, lässt sich auch Heranziehen, ob überhaupt eine Zuständigkeit hierfür be­ standen hätte, vgl. EuGH, Rs. 71/74, Frubo/Kommission, Slg. 1975, 563, Rn. 19/20. 46  EuGH, Rs. C-133/79, Sucrimex/Kommission, Slg. 1980, 1299, Rn. 16 ff.; Rs. C-60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639, Rn. 10 f.; EuG, Rs. T-113/89, Nefarma/ Kommission, Slg. 1990, II-797, Rn. 78 ff.; EuGH, Rs. C-17/78, Fausta Deshormes/ Kommission, Slg. 1979, 189, Rn. 16; Rs. 71/74, Frubo/Kommission, Rn. 19/20. 47  EuGH, Rs. C-57/95, Frankreich/Kommission, Slg. 1997, I-1627, Rn. 13  ff.; Rs. C-325/91, Frankreich/‌Kommission, Slg. 1993, I-3283, Rn. 19 ff.



V. Europarecht65

wie auch Entscheidungen, die nie nach außen getreten sind und daher keine Rechtswirkungen entfalten können, als Nichtakte eingeordnet.48 Hierüber hinausgehend wird aber auch bei sonstigen schweren und offenkundigen Fehlern die Kategorie des Nichtakts herangezogen.49 Nach der anfänglich vermehrten Annahme der Kriterien „offenkundig und schwerwiegend“, die sowohl durch formelle als auch durch materielle Fehler begründet sein konnten, hat sich der Umgang der Unionsgerichtsbarkeit mit diesen Kriteri­ en allerdings gewandelt. Bereits kurze Zeit nach der erstmaligen Annahme ist die Feststellung der Inexistenz eines Akts aufgrund schwerer und offen­ kundiger Fehler auf „ganz außergewöhnliche Fälle“ beschränkt worden.50 Begründet wurde dies insbesondere mit der Notwendigkeit von Rechtssi­ cherheit.51 Inzwischen wird mit diesen Kriterien daher äußerst zurückhaltend umgegangen, als Voraussetzungen für die Qualifikation einer Maßnahme als Nichtakt sind sie aber weiterhin anerkannt. Besieht man diese Fallgruppen, zeigt sich, dass der Begriff „Nichtakt“ im Europarecht synonym zur „Inexistenz“ bzw. der Bezeichnung einer Norm als „nicht vorhanden“ verwendet wird.52 Hintergrund dieser Begrifflichkeiten ist insbesondere, dass dogmatische Anleihen aus dem französischen Recht ge­ nommen wurden.53 Vergleicht man die Kriterien mit dem deutschen Recht, ist eine weitgehende Übereinstimmung mit der Nichtigkeit von Rechtsakten festzustellen.54 Angesichts der mittlerweile an die Schwere und Offenkundig­ 48  EuG, Rs. 80/63, Degreef/Kommission, Slg. 1964, 843 (863 f.); Rs. C-60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639, Rn. 10 f.; Rs. C-133/87, Nashua Corporation u. a./Rat und Kommission, Slg. 1990, I-719, Rn. 8 f.; Rs. C-282/95 P, Guérin auto­ mobiles/Kommission, Slg. 1997, I-1503, Rn. 34; Schärf, EuZW 2004, S. 333 ff. (333); Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 Rn. 17 f. 49  EuGH, verb. Rs. 15 bis 33, 52, 53, 57 bis 109, 116, 117, 123, 132 und 135 bis 137/73, Kortner/Rat, Slg. 1974, 177, Rn. 10 und 21/29; Rs. C-137/92 P, Kom­ mission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555, Rn. 49; Rs. C-135/93, Spanien/Kommission, Slg. 1995, I-1651, Rn. 18; Rs. C-475/01, Kommission/‌ Griechenland, Slg. 2004, I-8923, Rn. 19. 50  EuGH, Rs. C-137/92 P, Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555, Rn. 50; EuGH, Rs. 15/85, Consorzio Cooperative d’Abruzzo/Kommission, Slg. 1987, 1005, Rn. 10. 51  Vgl. Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Europäischen Union, S. 217 f. 52  So etwa Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unions­ recht, S.  83 ff.; dies., EuZW 1995, S. 755 ff. (755); Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Europäischen Union, S. 216 ff.; Schärf, EuZW 2004, S. 333 ff. (333). 53  Vgl. Koch, Die Klagebefugnis Privater gegenüber Europäischen Entscheidun­ gen, S. 89 ff. und 101 f. 54  So auch Koch, Die Klagebefugnis Privater gegenüber Europäischen Entschei­ dungen, S. 101 ff. Begrifflich kommt dies am deutlichsten in der Kommentierung von Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, VO 1/2003 Anhang 1: Gerichtlicher Rechtsschutz Rn. 17 sowie bei Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 379

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C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen

keit des Fehlers gestellten hohen Anforderungen wird die Kategorie des Nichtakts unterdessen aber insbesondere im Hinblick auf Zurechnungsfragen sowie Aspekte der Außenwirkung diskutiert.55 Demzufolge ergeben sich nicht nur Überschneidungen mit der Nichtigkeit, sondern es werden ebenfalls Aspekte unter dem Terminus „Nichtakt“ diskutiert, die auch im deutschen Recht unter dem Begriff des Nichtakts problematisiert werden. Betrachtet man den prozessualen Umgang mit Nichtakten im Europarecht, lassen sich auch in diesem Rahmen Ähnlichkeiten zur Figur des Nichtakts, wie sie in der deutschen Rechtsordnung verwendet wird, erkennen: Folge der Annahme eines europarechtlichen „Nichtakts“ ist, dass die Nichtigkeits­ klage nach Art. 263 AEUV gegen die fragliche Maßnahme unzulässig ist.56 Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung wird aber dennoch die Inexistenz des Akts festgestellt,57 wodurch dem Rechtsschutzinteresse des Klägers Rech­ nung getragen wird. Dies ermöglicht auch außerhalb der Klagefristen festzustellen,58 dass eine Maßnahme keine Rechtswirkung entfaltet, sodass die Qualifizierung einer Maßnahme als Nichtakt den Rechtsschutz nicht etwa aushebelt, sondern die Rechtsschutzmöglichkeiten sogar erweitert.59 In derartigen Fällen werden trotz der Unzulässigkeit der Klage dem beklagten Urheber die Kosten des Verfahrens auferlegt.60 Dem Kläger wird somit auch nicht das Kostenrisiko aufgebürdet. Dies dürfte allerdings nicht für sämt­ und Annacker, EuZW 1995, S. 755 ff. (755), welche synonym zur Inexistenz auch den Begriff der absoluten Nichtigkeit verwendet, zum Ausdruck. 55  Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 Rn. 9; Dörr, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 263 AEUV Rn. 34 ff. Teilweise werden diese Aspekte aber auch nicht unter dem Begriff „Nichtakt“ sondern als ei­ genständige Fallgruppen diskutiert, so etwa Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn.  384 ff. 56  EuGH, verb. Rs. 1/57 und 14/57, Usines à tubes de la Sarre/Hohe Behörde, Slg. 1957, 215 (231 ff.); kritisch hierzu Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Eu­ ropäischen Union, S. 221 f., die darauf hinweist, dass eine solche Feststellungsklage gerade nicht bestünde, aus dem rechtlichen Interesse hieran und einem a maiore ad minus-Schluss jedoch der Vorgehensweise des EuGH letztlich zustimmt. 57  EuG, Rs. T-64/89, Automec/Kommission, Slg. 1990, II-367, Rn. 64, 80; verb. Rs.T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89, BASF u.  a./‌ Kommission, Slg. 1992, II-318, Rn.  66 ff. und Tenor; Annacker, EuZW 1995, S. 755 ff. (756); Pechstein, EU-/EGProzessrecht, Rn.  379 ff.; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 Rn. 8. 58  EuGH, Rs. 15/85, Consorzio Cooperative D’Abruzzo/Kommission, Slg. 1987, 1005, Rn. 10. 59  Vgl. Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Europäischen Union, S. 221 f. 60  EuGH, verb. Rs. 1/57 u. 14/57, Usines à tubes de la Sarre/Hohe Behörde, Slg. 1957, 215 (232 f.); Rs. 15/85, Consorzio Cooperative d’Abruzzo/Kommussion, Slg. 1987, 1005, Rn. 19; EuG, verb. Rs. T-79/89 u. w., BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315, Rn. 101, 103; Busse-Muskala, Normenkontrolle in der Europäischen Union, S. 221.



V. Europarecht67

liche der skizzierten Fallgestaltungen gelten, sondern eine vor dem Hinter­ grund des Verantwortungsprinzips gefundene Lösung darstellen, welche zu wählen ist, wenn der Grund für die Unzulässigkeit der Klage auf einem Fehler eines Unionsorgans beruht. Angesichts der auch im Europarecht sehr unterschiedlichen Fallgestaltungen, die unter den Begriff der Inexistenz bzw. des Nichtakts gefasst werden, wird man zu diesem Ergebnis wohl nicht in jeder Konstellation kommen können. Entschieden wurde dies bisher allerdings nur in Fällen, in denen dem Unionsorgan auch nach dem Verant­ wortungsprinzip die Kosten aufzuerlegen waren. Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass die im Europarecht unter dem Begriff „Nichtakt“ zusammengefassten Phänomene nur teilweise mit der deutschen Nichtaktdogmatik übereinstimmen.61 Bei näherer Be­ trachtung der unter den Nichtakt subsumierten Fallgruppen sowie seiner Voraussetzungen zeigt sich, dass sowohl die Nichtigkeit von Rechtsakten als auch ihr Nicht-Zustandekommen bzw. ihre fehlende Zurechenbarkeit unter dem Begriff des Nichtakts zusammengefasst werden.62 Eine Differenzierung zwischen diesen Fehlergruppen erfolgt nicht. Zwar ist in der Literatur zum Teil betont worden, dass es im Falle mangelnder Zurechenbarkeit eines Akts zur Union nicht auf das Vorliegen der sonst kumulativ zu erfüllenden Vor­ aussetzungen der Offenkundigkeit und Schwere ankomme, weil bereits die Mindestvoraussetzungen eines EU-Rechtsakts nicht erfüllt seien.63 Mit einer derartigen Konstellation hatte sich der EuGH bisher jedoch noch nicht zu befassen, sodass auch in diesem Punkt nicht eindeutig von einer Differen­ zierung zwischen Nichtigkeit und Nichtakt gesprochen werden kann. Anders als im deutschen Rechtssystem wird im Europarecht demzufolge nicht zwi­ schen der Nichtigkeit eines Akts und einem Nichtakt unterschieden, sodass Überlegungen aus dem einen System nicht unbesehen in das andere System übertragen werden können. Die Gleichbehandlung von nichtigen Akten und Nichtaktkonstellationen stößt jedoch die Überlegung an, ob die deutsche Dogmatik an diesem Punkt möglicherweise zu stark ausdifferenziert ist und ähnlich gelagerte Probleme nicht ausreichend auf identische Konstruktionen zurückgeführt werden. Wo­ möglich bedarf es dogmatisch gar keiner Unterscheidung zwischen nichtigen Akten und Nichtakten.64 61  Koch, Die Klagebefugnis Privater gegenüber Europäischen Entscheidungen, S.  101 ff. 62  Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 Rn. 8 ff; Daig, Nichtig­ keits- und Untätigkeitsklagen im Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 39 ff.; Koch, Die Klagebefugnis Privater gegenüber Europäischen Entscheidungen, S. 101 ff. 63  Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, S. 98. 64  Vgl. hierzu F. III. 2.

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C. Der Nichtakt als rechtsmaterienübergreifendes Phänomen

VI. Provokation der Entstehung von Nichtakten Die betrachteten Rechtsgebiete zeigen, dass bestimmte Regelungsvarian­ ten wie auch rechtsgebietsspezifische Besonderheiten, wie etwa der erleich­ terte Zugriff auf Gemeingüter im Selbstinteresse, die Entstehung von Nicht­ akten provozieren. Die Fehleranfälligkeit im Hinblick auf die Entstehung von Nichtakten häuft sich insbesondere, wenn die rechtlichen Anforderun­ gen, die an eine staatliche Handlung gestellt werden, auf der Qualifikations­ ebene angesiedelt und nicht als Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Hand­ lung eingeordnet werden. Hohe formelle Hürden, die nicht die Ebene der formellen Rechtmäßigkeit des staatlichen Handelns betreffen, sondern als Voraussetzung für die Entstehung eines bestimmten staatlichen Akts ange­ sehen werden, verändern die Regelungssystematik insbesondere im Hinblick auf die Fehlerfolgenlehre. Desgleichen ist festzustellen, dass Zurechnungs­ fragen und Vertretungsregelungen einen Themenkomplex darstellen, der rechtsgebietsübergreifend mit Überlegungen zur Figur des Nichtakts in Zusammenhang gebracht wird. Einesteils wird bei Verstößen gegen Vertre­ tungsvorschriften die Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit des Akts angenom­ men, andernteils die Zurechnung der Handlung zum Staat verneint, was dazu führt, dass die Maßnahme als Nichtakt einzuordnen ist. Die Verwendung des Begriffs in den verschiedenen Rechtsgebieten weist darauf hin, dass Zurechnungsfragen den Hauptaspekt der Nichtaktdogmatik darstellen und Zuständigkeitsfragen hiermit eng verzahnt sind. Bemerkens­ wert ist hierüber hinausgehend aber auch, dass in den verschiedenen Berei­ chen, in welchen ein erhöhter Anwendungsgrad des Nichtakts zu verzeich­ nen war, Schritt für Schritt versucht wurde, die Anwendungsfälle − sei es durch eine Rechtsprechungsänderung, sei es mittels Gesetzesänderungen − zu reduzieren. Hierfür sind zwei Gründe denkbar: Zum einen erscheint es als möglich, dass versucht wird, zu vermeiden, eine Maßnahme als Nichtakt zu klassifizieren, weil die Folgen der Einordnung vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit als problematisch angesehen werden. Zum anderen ist denkbar, dass durch derartige Steuerungen versucht wird, den Anwendungs­ bereich der Figur zu präzisieren, indem bestimmte Rechtsfragen aus dem Anwendungsbereich ausgeklammert und stattdessen der Fehlerfolgenlehre − womöglich, weil diese für die hervorgerufenen Rechtsfragen geeigneter er­ scheint − zugeordnet werden.

D. Nichtakt-Konstellationen Betrachtet man die Konstellationen, die in Literatur und Rechtsprechung unter die Figur des Nichtakts gefasst werden, so stellt man fest, dass es sich hauptsächlich − wenn auch nicht nur − um Fälle handelt, in denen Private am Erlass eines Verwaltungsakts beteiligt sind.1 Darüber hinaus betreffen nach allgemeiner Auffassung aber auch Vorfragen des Verwaltungsakts −  etwa Hindernisse seines Wirksamwerdens  − die Nichtaktdogmatik.2 Behördliche Scherzerklärungen3 werden ebenfalls hierunter gefasst und auch im Hinblick auf ultra-vires-Akte4 wird häufiger diskutiert, ob es sich bei ihnen um Nicht­ akte handelt. Ferner wird die Figur des Nichtakts noch im Rahmen verschie­ denster anderer Fallgestaltungen angesprochen. Im Falle letzterer Konstella­ tionen wird das Vorliegen eines Nichtakts allerdings meist nur von einzelnen Stimmen in der Literatur aufgebracht, ohne dass sich hieran eine kontroverse Diskussion entzündet hätte. Der Anwendungsbereich des Nichtakts erfasst demzufolge vielzählige Fallgestaltungen, die unterschiedliche, komplexe Rechtsfragen betreffen. Systematisiert man die Fallgruppen, werden im Grunde genommen derzeit drei unterschiedliche Konstellationen unter dem Begriff „Nichtakt“ bzw. „Scheinakt“ zusammengefasst:5 1  E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 680 f. fasst diese Gruppe unter dem Begriff der Machtusurpation zusammen, was jedoch angesichts des Be­ deutungskontextes in heutiger Zeit nicht mehr passt. 2  Vgl. D. I. 1. 3  Vgl. D. I. 3. 4  Vgl. D. II. 7. 5  Aufzählungen der unter den Nichtakt fallenden Konstellationen finden sich bei Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S. 104 f.; P. M. Huber, Allge­ meines Verwaltungsrecht, S. 190; Ehlers, Rechtsfragen der Existenz, der Wirksam­ keit und der Bestandskraft von Verwaltungsakten, in: Krebs (Hrsg.), Liber Amico­ rum Hans-Uwe Erichsen, S. 1 ff. (3); ders., Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 13 ff.; Schiedeck, Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten nach § 44 Abs. 1 VwVfG, S. 44 f.; Nolte, NordÖR 1999, S.  447 ff. (447); Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, S. 323. Die Einteilung divergiert bei den einzelnen Darstellungen. Häufig wird auch gar keine Zuordnung zu Fallgruppen vorgenommen, sondern es werden verschiede­ ne Konstellationen nacheinander aufgezählt. Eine Dreiteilung der Nichtaktkonstella­ tionen findet sich auch bei Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603 ff.) und Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 49. Diese Einteilungen weisen gewisse Überschneidun­ gen mit der hier gewählten Einteilung auf, stimmen jedoch nicht gänzlich mir ihr überein: Blunk und Schroeder differenzieren zwischen 1. der unwirksamen Bekannt­

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D. Nichtakt-Konstellationen

Hierbei handelt es sich erstens um Fälle, in denen entweder überhaupt keine Handlung gegeben ist oder aber zwar eine staatliche Handlung vor­ liegt, diese aber als nicht rechtserheblich angesehen wird. Es geht einerseits um Fälle, in denen der Verwaltungsakt bereits am Wirksamwerden gehindert wird und nicht einmal für eine logische Sekunde besteht. Andererseits wer­ den teilweise aber auch behördliche Scherzerklärungen, Handlungen ge­ schäftsunfähiger Amtswalter sowie andere Akte hierunter gefasst, denen keine rechtliche Wirkung beigemessen wird. Zweitens werden Konstellationen, in denen das Handeln keinem Staats­ träger zurechenbar ist, der Figur des Nichtakts zugeordnet.6 An der Zurech­ nung kann es etwa scheitern, weil ein Privater nur den Anschein erweckt, für den Staat zu handeln. Fälle der Amtsanmaßung stellen deshalb einen Anwendungsfall des Nichtakts dar.7 Aber auch Befugnisüberschreitungen −  sei es von Organwaltern im weiteren Sinne oder aber von in die Erledi­ gung öffentlicher Aufgaben einbezogenen Privaten  − werfen Fragen im Hinblick auf die Zurechenbarkeit der Handlung auf und betreffen somit Aspekte der Nichtaktdogmatik. Des Weiteren stellt sich im Falle einer feh­ lerhaften wie auch bei einer nur faktischen Beleihung die Frage, inwieweit die Maßnahmen der Privaten dem Staat zuzurechnen sind. Hierüber hinaus­ gehend, teilweise mit dieser Fragestellung aber auch übereinstimmend spie­ len außerdem Aspekte der fehlerhaften Errichtung von Hoheitsträgern bzw. Behörden hinsichtlich der Nichtaktdogmatik eine Rolle. Auch in diesen Fällen geht es darum, ob die Handlungen als staatlich zu qualifizieren sind. Der Komplex der Zurechnung betrifft somit die Figur des Nichtakts. Drittens wird −  über diese beiden ersten Konstellationen hinausgehend  − von Teilen der Literatur angenommen, dass ein Verstoß gegen Regelungen, die das Wesen des Rechtsakts bestimmten, dazu führe, dass lediglich ein Nichtakt, nicht aber der – der Form nach – intendierte Rechtsakt entstehe.8 gabe, 2. Willensmängeln der Behörde und 3. der fehlenden Zurechenbarkeit. Weite­ re Konstellationen werden nicht angesprochen, obwohl nach ihrer weiten Definition des Begriffs „Scheinakt“ der Kategorie noch andere Fallgestaltungen zugehörig sind. Kopp und Ramsauer unterscheiden zwischen Nichtakten, die aufgrund 1. fehlender Ernstlichkeit des Gewollten entstehen, 2. die keinen Bezug zur öffentlichen Gewalt aufweisen und 3. denen wegen fehlender Zurechnungsmöglichkeit zu einer Behörde jede öffentlich-rechtliche Qualität fehlt. Inwieweit sich die zweite und dritte von ihnen gewählte Kategorie unterscheidet, geht aus ihren Ausführungen jedoch nicht hervor und auch im Übrigen divergiert die Einteilung gegenüber der hier gewählten Differenzierung hinsichtlich verschiedener Facetten. 6  Teilweise werden diese beiden ersten Gruppen als eine Konstellation behan­ delt, so etwa Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 33. 7  Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhältnis, S.  179 ff.



I. Rechtsunerhebliche Erklärungen und Handlungen des Staates 71

Dies wird nicht nur für den Rechtsformenmissbrauch, also die bewusste Wahl der falschen Rechtsform,9 sondern generell für das Auseinanderfallen von Rechtsform und materiellem Gehalt vertreten. Mit dieser letzten, dritten Gruppe werden letztlich sämtliche der unter dem Begriff des „formellen Verwaltungsakts“ diskutierten Fragestellungen dem Nichtakt zugeordnet: Immer, wenn bloß dem Rechtsschein nach eine bestimmte staatliche Hand­ lungsform vorliegt, handelt es sich dieser Auffassung zufolge um einen Nichtakt. Eine Erweiterung erfährt die Kategorie des Nichtakts durch diese Konstellation insbesondere im Hinblick darauf, als ihm hierdurch Fälle zu­ geordnet werden, in denen einem Akt keine Regelungswirkung beigemessen wird. 8

Diese drei unterschiedlichen Konstellationen sind, um den dogmatischen Gehalt der Figur des Nichtakts bestimmen zu können, genauer zu untersu­ chen. Hierbei ist aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten, aus welchen Gründen jeweils angenommen wird, dass es sich um einen Nichtakt handele. Vor diesem Hintergrund lässt sich beurteilen, inwiefern die Kon­ stellationen Übereinstimmungen aufweisen und welcher Natur diese sind. Mittels Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede lässt sich gleichsam die dogmatische Funktion des Nichtakts näher konturieren.

I. Rechtsunerhebliche Erklärungen und Handlungen des Staates Versteht man unter einem Nichtakt sämtliche nicht wie auch noch-nicht rechtserheblichen Handlungen des Staates, die aber dennoch eine faktische Wirkung erzeugen, sind vor allem Wirksamkeitshindernisse (1.) und behörd­ liche Scherzerklärungen (2.) Paradebeispiele für Nichtakte. Außerdem fragt sich, ob von Geschäftsunfähigen erlassene „Verwaltungsakte“ Rechtswir­ kungen erzeugen oder diese ebenfalls als Nichtakte zu qualifizieren sind (3.). Ferner werden verschiedene im Rahmen der „fiktiven“ bzw. fingierten Verwaltungsakte auftretende Aspekte ebenfalls als Nichtakt bezeichnet (4.). 8  Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1057 f.); Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allgemei­ nes Verwaltungsrecht, S. 129; Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. (3); Lehmann, Allgemei­ nes Verwaltungsrecht, S. 81; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44 Rn. 2, allerdings ist die Begriffsverwendung hier nicht einheitlich, vgl. § 43 Rn. 49 f. Dieses Verständnis jedenfalls zunächst ebenfalls zugrunde legend Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603), allerdings in Bezug auf den Scheinverwaltungsakt, den sie zunächst mit dem Nichtakt gleichsetzen. Ähnlich auch Nolte, NordÖR 1999, S. 447 f. (447). Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S. 104 f. bezeichnen letztere Gruppe als „besondere Art des Nichtaktes“. 9  Grundlegend zum Rechtsformenmissbrauch siehe Pestalozza, „Formenmiß­ brauch“ des Staates, S. 1 ff. und S. 107 ff.

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D. Nichtakt-Konstellationen

1. Wirksamkeitshindernisse Wirksamkeitshindernisse stellen nach weitverbreiteter, aber nicht unum­ strittener Auffassung einen Anwendungsfall des Nichtakts dar.10 Teilweise werden derartige Maßnahmen auch als „Noch-Nicht-Verwaltungsakt“ be­ zeichnet – wohl um herauszustellen, dass es sich um eine besondere Nicht­ akt-Konstellation handele.11 10  BVerwG, NVwZ 1987, S. 330  f.; VGH Mannheim, NVwZ 1991, S. 1195 f. (1196); OVG Magdeburg, NVwZ 2000, S. 208 f. (209); OVG Münster, NJW 2004, S. 3730 f. (3731); VGH München, NVwZ-RR 2013, S. 169 f. (170); OVG NRW, Urteil vom 19.4.2013 – 20 D 84/12.AK –, juris Rn. 34 f.; Ruffert, in: Knack/Henne­ ke (Hrsg.), Vw­VfG, § 41 Rn. 70; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 41 Rn. 15 f. sowie § 43 Rn. 4 und 49; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.  242 f.; Detterbeck, Allge­ meines Verwaltungsrecht, S.  173 f.; Schoch, Jura 2011, S. 23 ff. (29); Pietzner, in: Driehaus/Pietzner, Einführung in das Allgemeine Verwaltungsrecht, S. 117; Tiede­ mann, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, § 41 Rn. 55; Kopp/Schen­ ke, VwGO, § 42 Rn. 4; von Alemann/Scheffczyk, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, § 35 Rn. 41 ff.; Ehlers, Rechtsfragen der Existenz, der Wirksam­ keit und der Bestandskraft von Verwaltungsakten, in: Krebs (Hrsg.), Liber amicorum Hans-Uwe Erichsen, S. 1 ff. (4 f.); Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 125 AO Rn. 8. A. A. wohl Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 20 ff., der ausführt, dass ein Verwaltungsakt bereits vor der Bekanntgabe existieren würde, weshalb der noch nicht wirksam bekanntgegebene Verwaltungsakt auch kein Nullum darstelle. Damit eine Regelungswirkung hervorgerufen werden kann, müsse der Ver­ waltungsakt aber wirksam sein. Wie Stelkens mit den faktischen Folgen umgehen möchte und wie er diese dogmatisch einordnet, wird jedoch nicht ganz eindeutig. Insbesondere seine Ausführungen unter § 41 Rn. 222 sprechen dafür, dass er doch zum Begriff des Nichtakts und zum Gedanken der Inexistenz zurückkehrt. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 44 Rn. 6, der unter anderem auf die Aus­ führungen von Stelkens verweist, ist aber dezidiert der Auffassung, dass Wirk­ samkeitshindernisse keinen Fall des Nichtakts darstellten. Erfmeyer, DÖV 1999, S. 719 ff. (720, 724 f.) und Köhler, BayVBl 1999, S. 582 ff., (583 f.) halten einen Verwaltungsakt bereits vor Bekanntgabe für existent, sodass sie Wirksamkeitshinder­ nisse nicht unter die Nichtaktdogmatik fassen. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., § 49 Rn. 23 und Rasch/Patzig, in: C. H. Ule (Hrsg.), Verwaltungsgeset­ ze des Bundes und der Länder, Band I, 1. Halbband, S. 39 f. sehen einen mangels Bekanntgabe unwirksamen Verwaltungsakt als „Noch-Nicht-Verwaltungsakt“ an, der aber einen Unterfall des Nichtakts darstellen soll. Nolte, NordÖR 1999, S. 477 ff. (477), sieht überhaupt noch nicht bekanntgegebene behördliche Erklärungen als Noch-Nicht-Verwaltungsakte an, die er von Schein- und Nichtverwaltungsakten ab­ grenzt. Schmidt-De Caluwe, VerwArch 90 (1999), S. 49 ff. (57 ff.), ist der Auffas­ sung, dass ein Verwaltungsakt schon vor Bekanntgabe existiere, es aber einer ver­ bindlichen, willentlichen Entäußerung bedürfte, damit ein Verwaltungsakt existent würde. Er verzichtet somit bzgl. der Bekanntgabe nur auf den Zugang. Fröhlich, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 94, weist deshalb zutreffend darauf hin, dass sowohl in der Rechtsprechung als auch der Literatur erhebliche Divergenzen im Hinblick auf die Einordnung der Folgen eines nicht wirksam be­ kanntgegebenen Verwaltungsakts bestehen.



I. Rechtsunerhebliche Erklärungen und Handlungen des Staates 73

Ein Wirksamkeitshindernis liegt beim Fehlen bzw. der Unwirksamkeit der Bekanntgabe vor.12 Gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt wirksam, wenn er demjenigen, für den er bestimmt ist oder dem, der von ihm betroffen ist, bekanntgegeben wurde. § 43 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG knüpfen hieran an und legen fest, in welchen Fällen ein Verwaltungsakt unwirksam ist. Gedanklich setzen diese beiden Absätze aber voraus, dass der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde. Nur in diesem Fall greifen ihre Maßgaben. Welche Folge das Fehlen von Wirksamkeitsvoraussetzungen nach sich zieht, ist hingegen nicht geregelt.13 Wenn z. B. ein Verwaltungsakt nie gemäß § 41 VwVfG bekannt gegeben wurde, soll es sich nach vielfach vertretener Auffassung um einen Nichtakt handeln.14 11

In diesem Kontext erfolgt allerdings bereits eine gewisse Einschränkung, denn nicht jeder Bekanntgabefehler soll dazu führen, dass ein Nichtakt vor­ liegt.15 Für die Annahme der rechtlichen Existenz genügt es bereits, dass der Verwaltungsakt einer Person bekannt gegeben wurde. Die Existenz und die äußere Wirksamkeit werden zwar meist gleichgesetzt,16 sie sind jedoch nicht in jedem Fall identisch.17 Der Verwaltungsakt muss für die Annahme seiner Existenz nicht jeder von dem Verwaltungsakt betroffenen Person bekanntge­ geben worden sein. Die Wirksamkeit ist, wie § 43 Abs. 1 VwVfG zeigt, rela­ tiv und bezieht sich auf das konkrete Verwaltungsrechtsverhältnis. Für die rechtliche Existenz des Verwaltungsakts ist daher nur entscheidend, dass der Verwaltungsakt den verwaltungsinternen Bereich, gedeckt vom Willen der Behörde, verlassen hat und einer Person zugegangen ist.18 Ab diesem Zeit­ etwa Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6 Aufl., S. 104 f. in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 222 f.; Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhältnis, S. 12 ff. 13  Schoch, Jura 2011, S. 23 ff. (29). 14  VGH Mannheim, NVwZ 1991, S. 1195; Sennekamp, in: Fehling/Kastner/Stör­ mer, Verwaltungsrecht, § 42 VwGO Rn. 11. 15  Zu den Folgen einer fehlerhaften Bekanntgabe siehe Schoch, Jura 2011, S. 23 ff. (29 ff.). 16  Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 4 f. Zwischen Existenz und äußerer Wirksamkeit hingegen differenzierend Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 243. Zur Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Wirksamkeit siehe auch BVerwGE 13, 1 (7); 55, 212 (214 f.); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 43 Rn. 164 f.; Krebs, VerwArch 68 (1977), S. 285 ff. (288 f.); Schoch, Jura 2011, S.  23 ff. (23). 17  Fröhlich, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 26, weist deshalb auf die Eröffnung einer „verwaltungsrechtsverhältnisspezifischen Perspekti­ ve“ durch diese Differenzierung hin. Ähnlich auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 43 Rn. 164 f. 18  Tiedemann, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, § 41 Rn. 51 und 53 ff. Schoch, Jura 2011, S. 23 ff. Teilweise wird der Begriff Existenz als falsch 11  So

12  Stelkens,

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D. Nichtakt-Konstellationen

punkt entfaltet der Verwaltungsakt rechtliche Wirkung, es sei denn, er ist ge­ mäß § 43 Abs. 2 oder Abs. 3 VwVfG unwirksam. Ein Nichtakt soll demnach nur vorliegen, wenn der Verwaltungsakt keiner Person wirksam bekanntgege­ ben worden ist. Wann mangels Existenz des Akts konkret ein Nichtakt vor­ liegt, hängt somit davon ab, unter welchen Voraussetzungen von einer Be­ kanntgabe auszugehen ist. Wie ein Verwaltungsakt bekannt zu geben ist, regelt im Grundsatz § 41 VwVfG. Allerdings wird der Begriff der Bekanntgabe hier selbst nicht de­ finiert, sondern vorausgesetzt.19 Sinn und Zweck der Bekanntgabe ist es, den Betroffenen zu informieren, was er zu tun bzw. zu unterlassen hat (vgl. § 43 Abs. 1 S. 2 VwVfG).20 Die Annahme der Nichtexistenz eines Akts im Falle der fehlenden Bekanntgabe erklärt sich demzufolge daraus, dass eine Befolgung der Anordnung nicht erwartet werden kann, wenn der Betroffene keine Kenntnis davon hat, was von ihm verlangt wird. Ein Nichtakt soll deshalb vorliegen, wenn der Betroffene den Verwaltungsakt nicht erlangt hat. Relevant wird dies insbesondere, wenn streitig ist, ob das Schreiben dem Betroffenen zugegangen ist. Sollte die Behörde den Zugang nicht nachweisen können, wird angenommen, dass es sich um einen Nicht­ akt handele.21 Probleme stellen sich im Kontext der fehlenden Bekanntgabe allerdings erst, wenn ein vermeintlich in der Welt befindlicher Verwaltungsakt nicht befolgt wird und deshalb entweder Sekundärmaßnahmen ergriffen oder er vollzogen wird bzw. werden soll.22 Wird gegen diese Maßnahmen Rechts­ schutz ergriffen, ist inzident festzustellen, ob die Voraussetzungen der Se­ kundärmaßnahme bzw. des Vollzugs vorlagen. Sollte der Verwaltungsakt angesehen, wie man bereits daran erkennen könne, dass § 41 Abs. 1 und § 43 Abs. 1 VwVfG jeweils von einem Verwaltungsakt sprächen und nicht von einem Entwurf, vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 20. Dem Argument ist in begrifflicher Hinsicht zwar durchaus zuzustimmen, allerdings führt die Ver­ knüpfung der § 43 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG mit der Bekanntgabe dazu, dass die im VwVfG für einen Verwaltungsakt geregelten Maßgaben erst in dem Moment rechtliche Relevanz entfalten, in dem der Verwaltungsakt wirksam geworden ist. Versteht man Existenz daher als Aspekt der Anknüpfung der rechtlichen Maßgaben des VwVfG für Verwaltungsakte, also als rechtliche Existenz als Verwaltungsakt, erscheint eine derartige Begriffsverwendung tragbar. Schmidt-De Caluwe, VerwArch 90 (1999), S. 49 ff. verzichtet auf das Kriterium des Zugangs, versteht die Existenz im Übrigen aber identisch. 19  Fröhlich, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 12. 20  Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 1. 21  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604); VGH München NVwZ-RR 2013, S.  169 f. (170). 22  Vgl. hierzu Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 183.



I. Rechtsunerhebliche Erklärungen und Handlungen des Staates 75

nicht zugegangen sein,23 liegt kein wirksamer Verwaltungsakt vor, der vollzogen werden oder auf dessen Grundlage Sekundärmaßnahmen ergriffen werden können. Häufig wird in diesem Rahmen jedoch keine eindeutige Einordnung des Akts vorgenommen. Denn es kann in diesem Kontext offen bleiben, als was ein niemandem bekanntgegebener Verwaltungsakt exakt zu qualifizieren ist. Unabhängig davon, ob überhaupt zwischen einem nichti­ gen Verwaltungsakt, einem Nichtakt und einem noch nicht wirksamen Verwaltungsakt zu differenzieren ist, führt ihr Vorliegen hier jedenfalls zum identischen Ergebnis: die Voraussetzungen der Vollziehung sind nicht gege­ ben, sie ist deshalb rechtswidrig. Aus Rechtsschutzperspektive problematischer und, weil in diesem Rah­ men präzise unterschieden werden muss, dogmatisch in Bezug auf die Figur des Nichtakts damit relevanter sind demgegenüber Konstellationen, in denen eine fehlerhafte Bekanntgabe vorliegt und der Betroffene deshalb direkt gegen die scheinbar auferlegte Verhaltenspflicht vorgeht. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen der Betroffene den Verwaltungsakt zwar erhalten hat, er mangels wirksamer Bekanntgabe aber dennoch nicht existent gewor­ den ist. Hierzu kann es kommen, weil eine Bekanntgabe nicht bereits immer dann anzunehmen ist, wenn der Betroffene den „Bescheid“ auf irgendeine Art und Weise erlangt hat.24 Eine Bekanntgabe soll beispielsweise nur vorliegen, wenn die Behörde einen Bekanntgabewillen aufwies.25 Auf ­ das Vorliegen des Bekanntgabewillens können zwar äußere Anzeichen hindeuten,26 zwingend müssen diese aber nicht gegeben sein. Es kann daher weder bei dem Fehlen äußerer Anzeichen für die Bekanntgabe noch ihrem 23  Streitigkeiten darüber, ob ein Verwaltungsakt zugegangen und daher bekannt­ gegeben wurde, gehören zu dieser Thematik, vgl. auch VGH München, NVwZ-RR 2013, S.  169 ff. (170 f.). 24  Bei zufälliger Kenntnisnahme des Bescheides, beispielsweise in den Akten, liegt folglich keine Bekanntgabe vor, vgl. BVerwGE 16, 165 (166 f.). Selbiges gilt bei der Bekanntgabe durch eine unzuständige Stelle, BVerwGE 29, 321 (323 ff.). Einen Nichtakt im Falle der fehlerhaften Bekanntgabe ebenfalls annehmend BFH, Beschluss vom 25.11.2002, BB 2003, S. 997 ff. (999). 25  BVerwGE 16, 165 (166 f.); 17, 148, (153); 22, 14, (15); 29, 321 (322 f.); 104, 301 (310 ff.); BVerwG JZ 1964, S. 687; VGH München BayVBl 1998, S. 563 ff. (565); VG Bremen NVwZ-RR 1996, S. 550 ff. (551); VG Dessau NVwZ-RR 2001, S. 536 f. (537); BFHE 142, 204 (204 ff.); 147, 205 (207); 155, 466 (466 ff.); BFH NVwZ-RR 1991, S. 660 ff. (661); BFH, NVwZ 1987, S. 632; BayObLG, BayVBl 1986, S.  186 f.; Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 185; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, § 41 VwVfG Rn. 8; Ruffert, in: Knack/ Henneke, VwVfG, § 41 Rn. 9 und 24; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 41 Rn. 7 f. Selbi­ ges gilt für die Zustellung für die ausdrücklich ein Zustellungswille gefordert wird, BVerwGE 16, 165 (167). 26  Diese beispielhaft aufzählend als Unterschrift auf dem Bescheid, dem bei den Akten verbleibenden Urschrift oder sonstigem Schriftverkehr Stelkens, in: Stelkens/

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D. Nichtakt-Konstellationen

Vorliegen zwangsläufig auf das Vorhandensein des Bekanntgabewillens der Behörde geschlossen werden.27 Deshalb kann der Fall eintreten, dass ein Betroffener eine schriftliche Erklärung der Behörde erhält, bei der es sich, obwohl die Merkmale des § 35 VwVfG äußerlich und auch materiell erfüllt sind, um keinen Verwaltungsakt handelt, weil der Behörde der Bekanntga­ bewille fehlte. Das Fehlen des Bekanntgabewillens kann auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen sein: Die Erklärung kann abhandengekommen oder der Bekanntgabewillen nicht vom zuständigen Behördenmitarbeiter gebildet worden sein, ebenso kann es am Handlungs- oder Erklärungswillen schei­ tern.28 Ein weiteres Beispiel stellt der Fall der Bekanntgabe einer Abschrift durch eine für die Bekanntgabe des Verwaltungsakts nicht zuständige Be­ hörde dar.29 Nicht sämtliche Gründe werden in diesem Rahmen identisch behandelt. Bei einigen Fehlern wird diskutiert, ob der Rechtsschein des Erlasses genü­ gen soll, um anzunehmen, dass der Verwaltungsakt existent geworden sei. Einesteils wird die Ansicht geäußert, dass allein der Empfängerhorizont maßgeblich sei, weshalb der Akt selbst wenn kein Bekanntgabewille vorlä­ ge als Verwaltungsakt zu qualifizieren sei. Andernteils wird angenommen, dass nur ein „Schein-VA“ vorliege, auf den aber sämtliche Regelungen zum Verwaltungsakt analog anzuwenden seien.30 Bei anderen Fehlern wird wie­ derum eine Zurechnung grundsätzlich nicht mehr für möglich gehalten. Letztere Problematik trifft in Bezug auf das Fehlen des Bekanntgabewillens −  insbesondere was abhandengekommene Willenserklärungen angeht  − letztlich mit Gesichtspunkten der wirksamen Vertretung bzw. des Vorliegens einer Handlung zusammen.31 Insoweit wird teilweise auch darauf hinge­ wiesen, dass es zu einer Vermengung von Fragen der Bekanntgabe und Zurechnung des Verwaltungsakts zur Behörde käme.32 Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 53; Fröhlich, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 17. 27  Vgl. VG Bremen NVwZ-RR 1996, S. 550 ff. (551). 28  Im Steuerrecht wird hierüber hinausgehend der Fall der Aufgabe des Bekannt­ gabewillens diskutiert, vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 122 AO Rn. 3 ff. 29  BVerwGE 29, 321 (322 f.). 30  Ausführlich zur Diskussion Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 57 ff. 31  Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 54. Teilweise werden nur abhandengekommene Erklärungen als nicht zurechenbar angesehen, so Ernst, Die Verwaltungserklärung, S.  495 f.; Nothnagel, Die Bekanntgabe von Ver­ waltungsakten, S. 101. 32  So Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten, S. 101.



I. Rechtsunerhebliche Erklärungen und Handlungen des Staates 77

Über den fehlenden Bekanntgabewillen hinausgehend wird aber weiterhin auch bei einigen anderen Bekanntgabefehlern − beispielsweise bei Verstö­ ßen gegen zwingende Erfordernisse der Bekanntgabeform oder im Falle der Bekanntgabe an eine nicht handlungsfähige Person im Sinne des § 12 Vw­ VfG −33 zum Teil angenommen, dass die Bekanntgabe nicht wirksam erfolgt und daher der Verwaltungsakt nicht existent geworden sei.34 Sämtliche dieser Fallvarianten zeigen, dass hinter dem Aspekt der Wirk­ samkeitshindernisse ganz unterschiedliche Konstellationen stehen.35 Ob die Qualifikation des mangels wirksamer Bekanntgabe unwirksamen Verwal­ tungsakts als Nichtakt allgemein zutrifft, kann daher bezweifelt werden.36 Die als einheitlich suggerierte Gruppe der Wirksamkeitshindernisse nach § 43 Abs. 1 VwVfG betrifft sowohl Aspekte der Handlung als auch der Zurechnung, sodass die verschiedenen Bekanntgabefehler differenziert zu betrachten sind. Insoweit spiegelt sich in der Diskussion um die Wirksam­ keit der Bekanntgabe gleichsam sowohl die Unsicherheit des Anwendungs­ bereichs des Nichtakts als auch des Umgangs mit ihm wider. 2. Behördliche Scherzerklärungen Eine weitere vielfach als Nichtakt bezeichnete Konstellation stellen ferner behördliche Scherzerklärungen dar. Bei Scherzerklärungen handelt es sich um Erklärungen, die nicht ernst gemeint und daher nicht darauf gerichtet sind, eine Rechtsfolge hervorzurufen.37 Im Zivilrecht wird die Scherzerklä­ rung in § 118 BGB für nichtig erklärt. Hiermit wird ein Grundgedanke normiert, der im Hinblick auf Scherzerklärungen auch im Öffentlichen Recht zur Anwendung gelangt: Es geht darum, welche Folgen dem Fehlen des Rechtsbindungs- wie auch Erklärungswillens in ausgewählten Konstel­ lationen zugemessen wird.38 Anknüpfungspunkt für das Vorliegen eines Nichtakts ist daher, dass die Behörde eine Maßnahme nicht ernsthaft treffen wollte, sie keine Regelung bezweckt hat.39 Rechtswirkungen sollen derarti­ gen Akten nicht zugebilligt werden. 33  VG München, Beschluss vom 21.3.2013, – M 6a S 13.181 –, juris Rn. 39; OVG Hamburg, DVBl 1982, S. 218; Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603); Happ, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, § 42 VwGO Rn. 16. 34  Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 41 Rn. 222 ff. 35  Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 321. 36  So etwa Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 6. 37  Vgl. hierzu § 118 BGB. 38  Vgl. Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 118 Rn. 1 f. 39  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604); Ehlers, Die Lehre von der Teil­ rechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 14; Sachs, in: Stel­ kens/Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfG, § 44 Rn. 5.

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D. Nichtakt-Konstellationen

3. Geschäftsunfähigkeit Ebenfalls als Nichtakt werden von Teilen der Literatur Erklärungen ein­ geordnet, die von geschäftsunfähigen Beamten in amtlicher Eigenschaft abgegeben wurden.40 Eine „verbindliche, dem Staat zurechenbare Erklä­ rung“ liege in diesen Fällen nicht vor.41 Andernteils wird demgegenüber vertreten, dass diese Akte „voll gültig“ seien.42 Irritierender Weise verwei­ sen beide Ansichten zur Begründung ihrer Auffassung auf unterschiedliche Passagen bei Kormann,43 der indes zwischen der Nichtigkeit eines Akts und einem Nichtakt selbst überhaupt nicht differenziert hat. Die von ihm vorge­ nommene Einordnung als Nichtigkeitsgrund ist für die Klassifikation als Nichtakt daher nicht sonderlich aussagekräftig.44 Zu bemerken ist aber, dass sich gewisse Überschneidungen hinsichtlich dieser Fragestellung mit der Problematik des Vorliegens eines Bekanntgabewillens ergeben, die also den Willensbildungsprozess des Staates durch seine Amtswalter betreffen.45 Hintergrund hiervon ist, dass beide Überlegungen an Aspekte anknüpfen, die dem Zivilrecht entnommen werden. Einesteils, auch wenn dies nicht ausdrücklich erfolgt, scheint die Zivilrechtsdogmatik übernommen zu wer­ den, andernteils wird diese hingegen abgelehnt und eine spezifisch öffent­ lich-rechtliche Sichtweise befürwortet. Die zuletzt genannte Auffassung ist weniger zurückhaltend, wenn es darum geht, etwa ein Schreiben als Hand­ lung zu qualifizieren, und auch der Schutz des Willensbildungsprozesses wird, jedenfalls was die Qualifikation als staatlichen Akt angeht, sehr viel geringer bewertet, als dies bei eher zivilrechtlich angeleiteten Auffassungen der Fall ist. Bezieht man in die Erwägungen ein, warum im Privatrecht im Gegensatz zum Öffentlichen Recht gesonderte Regelungen zur Geschäftsfähigkeit wie auch den Folgen von Irrtümern getroffen wurden, spricht einiges dafür, dass die Bewertung von Willensmängeln im Öffentlichen Recht anders auszufal­ len hat.46 Die Wertungen des Öffentlichen Rechts unterscheiden sich hin­ 40  E.

R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 738. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 738. 42  Alscher, NJW 1972, S. 800  ff. (803), nur Ermessensakte sollen rechtswidrig sein, da von einer Ausübung dieses nicht ausgegangen werden könne. Ebenso von der Zurechenbarkeit ausgehend W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 273. 43  Siehe E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 738 Fn. 8 und Alscher, NJW 1972, S. 800 ff. (803 Fn. 35). 44  Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 285  ff. Zur Ableh­ nung der Unterscheidung zwischen Nichtakten und nichtigen Akten siehe S. 206. 45  Vgl. hierzu D. I. 2. 46  Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhältnis, S.  188 f. 41  E.



I. Rechtsunerhebliche Erklärungen und Handlungen des Staates 79

sichtlich der Relevanz des Schutzes der Willensbildung von denen des Zi­ vilrechts. Die subjektive Willenskomponente des Amtswalters, welche dem Staat zugerechnet wird, ist nicht grundlos im Allgemeinen Verwaltungsrecht ungeregelt geblieben. Während das Zivilrecht auf die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Personen ausgerichtet ist,47 kommt es auf den subjektiven Willen des Amtswalters im Öffentlichen Recht gerade nicht an.48 Angesichts der andersartigen Wirkung und Konstruktion von hoheitli­ chen Akten werden Fehler in der Willensbildung nicht auf Ebene der Qua­ lifikation als rechtserhebliche Handlung problematisiert, sondern der Recht­ mäßigkeitsebene zugeordnet. Dem Öffentlichen Recht liegt insoweit ein anderes Paradigma zugrunde als dem Zivilrecht. Demzufolge ist äußerst zweifelhaft, ob derartige Konstellationen im Öffentlichen Recht als Nichtakt klassifiziert werden sollten. Dem Staat stehen schließlich auch weitgehen­ dere Möglichkeiten zu, etwaig ohne korrekte Willensbildung erlassene Akte rückgängig zu machen. 4. Besonderheiten bei „fiktiven“/fingierten Verwaltungsakten Eine andere Konstellation des Nichtakts wird in Bezug auf Genehmi­ gungsfiktionen49 ausgemacht. Als Nichtakt wird in diesem Rahmen −  nach bisher allerdings vereinzelt gebliebener Auffassung  − ein Bescheid angese­ hen, der nach Eintritt der gesetzlichen Fiktionswirkung zugeht.50 Da ein solcher verspätet zugehender Ablehnungsbescheid nicht in einen Rücknah­ mebescheid umgedeutet werden könne,51 soll er als Nichtakt einzuordnen sein.52 Dieser Einordnung, die sich − jedenfalls in dieser ausdrücklichen Weise − weder in der Literatur noch Rechtsprechung sonst findet, ist letzt­ lich jedoch nicht zuzustimmen. Der Grund, warum Kluth die verspätete Ablehnung als Nichtakt einord­ net, ergibt sich aus einer im Rahmen von „fiktiven“ Verwaltungsakten auftretenden besonderen Problematik: Würde man die verspätete Ablehnung als Verwaltungsakt ansehen, hätte dies zur Folge, dass sie angegriffen wer­ hierzu etwa Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 35 ff. Ernst, Die Verwaltungserklärung, S. 324 ff. und 340 ff. 49  Zum Begriff des „fiktiven“ bzw. fingierten Verwaltungsakts siehe Caspar, AöR 125 (2000), S. 131 ff. (131 f.). 50  Kluth, JuS 2011, S. 1078  ff. (1081). Auf die besondere Problematik, wenn auch nicht unter dem Begriff des Nichtakts hinweisend, auch Guckelberger, DÖV 2010, S. 109 ff. (117). 51  Kluth, JuS 2011, S. 1078  ff. (1081); Hullmann/Zorn, NVwZ 2009, S. 756 ff. (759 f.). 52  Kluth, JuS 2011, S.  1078  ff. (1081). Gleichzeitig nimmt er an, dass aus Rechtssicherheitsgründen der Nichtakt angefochten können werden müsse. 47  Vgl. 48  Vgl.

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D. Nichtakt-Konstellationen

den müsste, um nicht die gesetzlich intendierte Wirkung der Genehmigungs­ fiktion zu unterlaufen. Obwohl sich die Klassifikation dieser Entscheidung als Nichtakt aus­ drücklich lediglich bei Kluth findet, der insoweit zumindest eine dogmati­ sche Einordnung vornimmt, wird diese Problematik in der Literatur durchaus vermehrt angesprochen und im Ergebnis auch genauso behandelt wie ein Nichtakt. Wiederholt finden sich Formulierungen wie: die verspätete Ent­ scheidung „gehe ins Leere“, sie sei „obsolet und unbeachtlich“ und entfalte keine Rechtswirkung.53 Hiermit wird letztlich eine identische Aussage ge­ troffen, wie sie auch von Kluth mit der Einordnung als Nichtakt intendiert ist: Der Ablehnung wird keine Rechtswirkung beigemessen. Diese der ver­ späteten Entscheidung zugeschriebene Wirkung bzw. Nicht-Wirkung ist zwar mit derjenigen der Figur des Nichtakts identisch, sodass die Beschrei­ bung von Kluth in dieser Hinsicht durchaus korrekt ist. Um als Nichtakt klassifiziert werden zu können, müssten jedoch auch rechtliche Gründe dafür vorliegen, dem verspätet eingehenden Bescheid keine Rechtswirkung zuzu­ schreiben. Für die Qualifikation der Entscheidung als Nichtakt sind indes keine dogmatisch sauber zu konstruierenden Gesichtspunkte ersichtlich. Allein die Problematik, dass die Entscheidung, obwohl sie rechtswidrig ist, angefochten werden muss, um nicht Geltung zu entfalten, rechtfertigt diese Klassifikation jedenfalls nicht. Zwar läuft es der gesetzlichen Intention zu­ wider, wenn die Genehmigungsfiktion durch verspätet zugehende Ableh­ nungsentscheidungen droht, ausgehebelt zu werden. An welcher Vorausset­ zung die Einordnung als Verwaltungsakt scheitern soll, bleibt aber unklar. Mangels Regelung dieses Falles in § 42a VwVfG wird man die allgemeinen Merkmale des § 35 VwVfG anzulegen haben, um zu bewerten, ob es sich bei der Entscheidung um einen Verwaltungsakt handelt. Die Intention, eine Regelung zu treffen, kann dem Bescheid nicht deshalb abgesprochen wer­ den, weil durch Gesetz die Fiktionswirkung eingetreten ist. Sämtliche ande­ ren Merkmale des § 35 VwVfG sind ebenfalls erfüllt. Demzufolge ist nicht ersichtlich, warum es rechtstechnisch an der Verwaltungsaktqualität mangeln sollte. Bei einer nach Eintritt der Fiktionswirkung zugehenden Ablehnungs­ entscheidung handelt es sich also um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt,54 der, um den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern, angefochten werden muss. In Anbetracht des hierdurch hervorgerufenen Widerspruchs zu dem mit § 42a VwVfG verfolgten Zweck sind bereits besondere „(Kollisions-) 53  Vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 42a Rn. 14 und Uechtritz, in: Mann/ Sennekamp/ders. (Hrsg.), VwVfG, § 42a Rn. 39. 54  Die Rechtswidrigkeit des Akts ergibt sich daraus, dass der Antrag aufgrund des Fiktionseintritts „aufgebraucht“ − erledigt − ist. Die Voraussetzungen der Um­ deutung in eine Rücknahme liegen nicht vor.



II. Fehlendes staatliches Handeln81

Regeln“ für diese Problematik gefordert worden.55 Das gesetzgeberische Regelungskonzept würde in derartigen Fällen sonst untergraben. Dies be­ gründet jedoch nicht, den nach Eintritt der Fiktionswirkung eingehenden Bescheid als Nichtakt einzuordnen; vielmehr bedarf es der gesetzgeberi­ schen Korrektur bzw. Ergänzung. Ferner wird auch hinsichtlich des Charakters der Genehmigungsfiktion erörtert, ob es sich hierbei um einen Nicht-Verwaltungsakt bzw. Nichtakt handele.56 Die Bezeichnung „Nicht-Verwaltungsakt“ bzw. „Nichtakt“ ist in diesem Rahmen aber ebenfalls nicht treffend. Der hiermit verbundene Aus­ sagegehalt ist lediglich, dass es sich bei der Fiktion nicht um einen Verwal­ tungsakt handelt.57 Auf die Figur des Nichtakts wird hingegen nicht rekur­ riert. Der unpräzise Gebrauch des Begriffs „Nichtakt“ zeigt sich im Kontext von „fiktiven“ bzw. fingierten Verwaltungsakten somit besonders deutlich. Keine der angesprochenen Konstellationen ist im Ergebnis als Nichtakt zu qualifizieren. Hieran zeigt sich somit ein weiteres Mal, dass die Figur des Nichtakts als Auffangkategorie verwendet wird, wenn zur Geltung gebracht werden soll, dass eine Maßnahme nicht als rechtserheblich anzusehen ist. Welche Vor­ aussetzungen hierfür vorliegen müssen, bleibt unklar. Allzu leichtfertig wird insbesondere folgeorientiert auf die Figur zurückgegriffen, ohne ihre Funk­ tion näher zu überdenken.

II. Fehlendes staatliches Handeln Die zweite und wohl relevanteste Konstellation des Nichtakts stellen Fälle dar, in denen dem Staat ein Akt nicht zugerechnet werden kann, ob­ wohl in seinem Namen gehandelt wurde.58 Aufgrund der Subjektkonstruk­ tion des Staates handelt dieser grundsätzlich durch seine Organe, welche Guckelberger, DÖV 2010, S. 109 ff. (117). AöR 125 (2010), S. 131 ff. (132 und 141) hält die Fiktion für einen qua gesetzlicher Regelung entstehenden „Nicht-Akt“, weil ein Rechtsscheintatbe­ stand eintrete. Anders als Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 42a Rn. 66 meint, geht hingegen Eisenmenger, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), § 42a VwVfG Rn. 16 nicht davon aus, dass ein Nicht-Verwaltungsakt vorliege. Er verneint vielmehr lediglich die Verwaltungsakteigenschaft der Fiktion. 57  Dies ist zwar ebenfalls nicht unumstritten, diesem Aspekt wird mangels Re­ levanz für den Nichtakt jedoch nicht weiter nachgegangen. 58  Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 44 Rn. 5. Auch in Bezug auf diese Fallgruppe wird teilweise der Begriff „Scheinakt“ verwendet, siehe etwa Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 226. Zum Zusammenhang zwischen Zu­ rechnung und Nichtakt siehe auch Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwaltungs­ recht, S. 467 ff. und 545 ff. 55  So

56  Caspar,

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D. Nichtakt-Konstellationen

wiederum durch ihre Behörden und letztere durch den Behördenleiter sowie die Behördenmitarbeiter tätig werden. Der Staat handelt aber nicht nur durch Amtsinhaber, sondern er bezieht auch Private in die Erfüllung staat­ licher Aufgaben mit ein. Der Privatisierungstrend hat, selbst wenn die „In­ korporation“ von Privaten begrifflich teilweise nicht hierunter gefasst wird,59 zu einer Vermehrung der Einbeziehung Privater in Aufgabenbereiche des Staates geführt,60 was wiederum die Diskussion um den Anwendungsbe­ reich der Figur des Nichtakts aktualisiert hat. Dies betrifft insbesondere die Problematik des Umgangs mit von fehlerhaft oder aber faktisch Beliehenen in öffentlich-rechtlicher Handlungsform erlassenen Akten. Diese könnten Nichtakte darstellen. Neben der Einbeziehung Privater in die staatliche Auf­ gabenerfüllung werden unter dem Topos des Nichtakts aber noch weitere mit der Zurechenbarkeit von Akten zum Staat zusammenhängende Rechts­ fragen diskutiert. 1. Amtsanmaßung Exemplarisch für einen Anwendungsfall des Nichtakts stehen sicherlich der Fall des „Hauptmanns von Köpenick“ wie auch sonstige Fälle der Amtsanmaßung. § 132 StGB stellt diese unter Strafe. Die im Hinblick auf § 132 StGB, insbesondere Alternative  2 − die Ausübung eines öffentlichen Amts −, entschiedenen Fälle weisen einen hohen Übereinstimmungsgrad mit dem Anwendungsfeld des Nichtakts auf,61 sind mit diesem jedoch nicht vollständig kongruent.62 Die Amtsanmaßung stellt den Ausgangspunkt da­ für dar, den Nichtakt als eigene und dogmatisch weiterführende Kategorie zu begreifen. 59  Das Begriffsverständnis von Privatisierung scheint an dieser Stelle zu diver­ gieren. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 23 und Schmidt-Aßmann, Das allge­ meine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 272, verstehen die Einbeziehung Pri­ vater in die staatliche Aufgabenwahrnehmung als „Veramtung“ der Privaten, als „funktionale Etatisierung“, anstatt Privatisierung. Während die Privatisierung staatli­ che Aufgaben auslagere, führe die Beleihung und Verwaltungshilfe zur Inkorporation von Privaten. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 12, S. 79 ff. (in Bezug auf die Beleihung) und S. 100 ff. (hinsichtlich der Verwaltungshilfe) hin­ gegen nimmt unter anderem aufgrund seines Begriffs der „funktionalen Privatisie­ rung“ an, dass beide Formen der Einbeziehung Privater Privatisierungsmodi darstell­ ten. Zado, Privatisierung der Justiz, S. 44 ff. rezipiert dieses Begriffsverständnis. 60  Vgl. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 13 ff. 61  Vgl. hierzu Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, §  132 Rn.  6 ff. und Düring, Amtsanmaßung und Mißbrauch von Titeln, S. 74 ff. 62  Jedenfalls wenn schlechthin unzulässige Amtshandlung aus dem Anwendungs­ bereich der Norm ausgeschlossen werden, so Lackner, in: Lackner/Kühl, StGB, § 132 Rn. 7.



II. Fehlendes staatliches Handeln83

2. Vis absoluta und vis compulsiva Des Weiteren werden mittels vis absoluta von Behördenmitarbeitern er­ zwungene Maßnahmen größtenteils als Nichtakte klassifiziert.63 Die Hand­ lung des Organwalters wird nicht als Akt der Behörde und somit auch nicht als Staatsakt angesehen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass schon kein Handeln des Behördenmitarbeiters selbst gegeben ist,64 das der Behörde zugerechnet werden könnte. Es liegt vielmehr allein ein Handeln desjenigen vor, der die vis absoluta ausübt.65 Im Falle der Ausübung von vis compulsiva66 handelt es sich trotz der Einwirkung auf die Willensbildung hingegen um einen Akt der Behörde.67 § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG zeigt im Umkehrschluss, dass die Ausübung von Drohungen nicht die Existenz eines Verwaltungsakts berührt.68 Nicht jede Beeinträchtigung der Willensbildung eines Behördenmitarbeiters führt demzufolge dazu, dass die Handlung als Nichtakt anzusehen ist. Nur wil­ lensausschließenden Momenten wird diese Folge zugeschrieben.

63  So bereits W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 114; E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 738; Janßen, in: Obermeyer (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 14; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S.  104 f.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, § 44 Rn. 5; Schweickhardt/Von­ dung (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 129. A. A. wohl Alscher, NJW 1972, S. 800 ff. (803), der wohl auch für die vis absoluta annimmt, dass ein nichtiger Verwaltungsakt vorliegen würde. Eine Ausnahme bilden diesbezüglich Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 242, der die Handlung zwar nicht als Akt der Behörde, sondern des Zwingenden ansieht, aber dennoch davon ausgeht, dass es sich um einen Fall der Nichtigkeit handele, und Hippel, Untersuchungen zum Problem des fehlerhaften Staatsakts, S. 132. Bemerkenswert an der Auffassung Hippels ist, dass er mit vis absoluta erzwungene Akte für nichtig hält, obwohl er grundsätzlich fordert zwischen Nichtakten und nichtigen Staatsakten zu differenzie­ ren. Dass Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 298 ebenfalls davon ausgeht, dass vis absoluta einen Nichtigkeitsgrund darstelle, ist hingegen angesichts dessen, dass er zwischen Nichtigkeit und einem Nichtakt nicht differen­ ziert, weniger überraschend. 64  Janßen, in: Obermeyer (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 14; Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 324. 65  W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, S. 114. 66  Siehe hierzu Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, Vorb. zu §§ 234 bis 241a Rn.  15 ff., m. w. N. 67  Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfG, § 44 Rn. 6. A. A. Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, S. 158. Auch Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 14 nimmt bei einer „unwiderstehlichen Nötigung“ an, dass es sich um einen Nichtakt handele. 68  Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S. 105.

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D. Nichtakt-Konstellationen

3. Fehlerhafte Errichtung von Hoheitsträgern bzw. Behörden Sollte eine juristische Person des öffentlichen Rechts − sei es eine Körper­ schaft, eine Anstalt oder aber eine Stiftung − fehlerhaft errichtet und deshalb als Hoheitsträger rechtlich nicht existent geworden sein, stellt sich ebenfalls die Frage, ob die von ihr erlassenen Akte als staatliche Maßnahmen anzuse­ hen sind.69 Mit dieser Fragestellung haben sich die Verwaltungsgerichte vor allem ab etwa 1996 vermehrt auseinanderzusetzen gehabt, da bei der Grün­ dung von Zweckverbänden insbesondere Anfang der 1990er Jahre verschie­ dene Fehler aufgetreten sind,70 die jeweils zur Folge hatten, dass der Zweck­ verband nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts entstanden ist.71 Den­ 69  Ehlers, Rechtsfragen der Existenz, der Wirksamkeit und der Bestandskraft von Verwaltungsakten, in: Krebs (Hrsg.), Liber amicorum Hans-Uwe Erichsen, S.  1 ff. (4); Pencereci/Bluhm, LKV 1998, S. 172 ff. (175); Schmidt, Kommunale Ko­ operation, S.  255 ff.; Stelkens, LKV 2003, S. 489 ff. (492 ff.); Aschke, NVwZ 2003, S.  917 ff. (917); Saugier, Der fehlerhafte Zweckverband, S. 106 f. und 120 ff.; Degen­ hart, Rechtsfragen einer rückwirkenden Heilung fehlerhafter Zweckverbände, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 595 ff. (595 f.); Wellmann, LKV 1997, S. 402 ff. (403 f.). 70  Rechtliche Fehler können bei der Gründung von Zweckverbänden auf unter­ schiedlichen Ebenen und bei verschiedenen Verfahrensschritten auftreten, siehe hierzu Saugier, Der fehlerhafte Zweckverband, S. 70 ff.; Kollhosser, NJW 1997, S.  3265 ff. sowie Schmidt, Kommunale Kooperation, S. 254 ff. Es ist jedoch umstritten, ob jegliche formellen wie materiellen Fehler des Grün­ dungsakts dazu führen, dass der Verband nicht zur Existenz gelangt, vgl. hierzu OVG Weimar, LKV 2001, S. 415 ff. (416 f.). Das OVG Weimar versucht zwischen Entstehungs- und Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen zu differenzieren, was angesichts des für Gesetze geltenden Nichtigkeitsdogmas allerdings als problematisch erscheint. Die jeweiligen Gründungsfehler müssten genauer beleuchtet werden, um festzustel­ len, ob sie jeweils zur Inexistenz führen. Die vom OVG Weimar vorgenommene Reduktion der Gründungsfehler, die dazu führen, dass der Zweckverband nicht exis­ tent geworden ist, auf die Bekanntmachung der Verbandssatzung und deren Geneh­ migung, ist vor diesem Hintergrund jedoch nicht überzeugend. Zu Fehlern der Verbandssatzung siehe aber OVG Bautzen, LKV 2013, S. 509 ff. (510). Einzelne formell oder aber materiell rechtswidrige Regelungen der Verbandssatzung begrün­ den nur eine Teilnichtigkeit der Satzung, welche die Existenz des Verbandes nicht beeinträchtigt. Die Teilnichtigkeit ist ein Kriterium, das bei der Bestimmung, wann Rechtsfehler nicht zur Inexistenz führen, weiterführt. Cromme, LKV 1999, S. 122 ff. (122) schätzt im Hinblick auf das Land Branden­ burg, dass etwa 90 % der Zweckverbände rechtsfehlerhaft seien. Für das Land Sachsen-Anhalt wird von über 80 % rechtsfehlerhaft gegründeten Zweckverbänden gesprochen, vgl. Klügel, LKV 1997, S. 197 ff. (197) und Naumann, NVwZ 2002, S.  175 ff. (176). 71  SachsAnhVerfG, LKV 1997, S. 411  f.; OVG Bautzen, LKV 1997, S. 418 ff. (419 ff.); ebenso Kollhosser, NJW 1997, S. 3265 ff. (3266); Degenhart, Rechtsfragen einer rückwirkenden Heilung fehlerhafter Zweckverbände, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 595 ff. (596).



II. Fehlendes staatliches Handeln85

noch sind diese „Zweckverbände“, obwohl sie als solche nie existent gewor­ den sind, jahrelang unter Verwendung von Handlungsformen des öffentlichen Rechts aufgetreten. Es stellte sich daher unter anderem die Frage, ob die von ihnen erlassenen „Verwaltungsakte“ überhaupt als solche zu qualifizieren sind.72 Mangels ihres Erlasses durch einen Staatsträger könnte es sich ebenso gut um Nichtakte handeln. Wenn der Hoheitsträger nicht wirksam errichtet worden ist, fehlt an sich das staatliche Zurechnungssubjekt, dessen es bedarf, um das Vorliegen einer staatlichen Handlung annehmen zu können.73 Erst nach Vollendung der Gründung, unter Einhaltung der maßgeblichen formellen und materiellen Gründungsvoraussetzungen, erhält die juristische Person hoheitliche Befug­ nisse.74 Ist der Gründungsakt fehlerhaft und deshalb nichtig bzw. noch nicht wirksam,75 müssten demnach sämtliche der erlassenen Akte eigentlich als Nichtakte qualifiziert werden, weil sie nicht von einem Hoheitsträger erlas­ sen wurden.76 Selbiges Problem stellt sich ebenfalls bei fehlerhaft errichteten Behör­ den.77 Die nachfolgenden Erwägungen gelten für diesen Fall daher in gleicher Weise, auch wenn sie −  angesichts der häufigeren Anwendungsfäl­ le  − ausdrücklich meist nur auf die fehlerhafte Errichtung von juristischen Personen bezogen sind.78 Im Falle fehlerhaft errichteter Behörden fehlt es zwar nicht am staatlichen Zurechnungssubjekt.79 Die Voraussetzungen der Zurechnung sind jedoch prekär, da die Zurechnungsnormen an dem Handeln einer Behörde anknüpfen, die bei fehlerhafter Errichtung jedoch nicht exis­ 72  Schmidt, Kommunale Kooperation, S. 259  ff.; Pencereci/Bluhm, LKV 1998, S.  172 ff. (172 f.). 73  Schmidt, Kommunale Kooperation, S. 255 ff.; ders., NdsVBl 2004, S. 196 ff. (196 f.); Sächs. OVG, ZMR 2003, 616 ff.; VG Gießen, Urteil vom 14. November 2012, – 8 K 486/12.GI –, juris Rn. 22 ff.; BVerwG, LKV 2004, S. 27 f. (27); BVerwG, NVwZ 2003, S. 995 ff. (996). 74  Kollhosser, NJW 1997, S. 3265 ff. (3266). 75  Ob die in Gründung befindlichen juristischen Personen des Öffentlichen Rechts identisch zu behandeln sind wie die fehlerhaft errichteten Verwaltungsträger, ist al­ lerdings nicht unumstritten, vgl. hierzu Stelkens, LKV 2003, S. 489 ff. (493 f.). 76  So Blunk/Schroeder, JuS 2005, S.  602  ff. (604); Wellmann, LKV 1997, S.  402 ff. (404); Thielbeer/Nawroth, NJ 2005, S. 424 f. (424); Naumann, NVwZ 2002, S. 175 ff. (176). 77  Vgl. hierzu auch Rasch, Die staatliche Verwaltungsorganisation, S.  161  ff. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn es nicht um eine fehlerhafte Errich­ tung einer Behörde geht, sondern sich Private behördliche Tätigkeiten anmaßen. 78  Vgl. dazu, dass es sich um identische Fragestellungen handelt Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 64 sowie ders., LKV 2003, S. 489 ff. (494 f.); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 67. 79  Vgl. Stelkens, LKV 2003, S. 489 ff. (494).

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D. Nichtakt-Konstellationen

tent geworden ist.80 Die Problematik verschiebt sich im Falle der fehlerhaf­ ten Errichtung einer Behörde daher lediglich um einen Zwischenschritt,81 ist aber als solche nicht anders gelagert. Trotz dieser gegen die Staatlichkeit der Maßnahmen sprechenden Argu­ mente sind die Gerichte indes nicht zu dem Ergebnis gelangt, dass die von unwirksam gegründeten Zweckverbänden in öffentlich-rechtlicher Hand­ lungsform ausgehenden Akte82 als Nichtakte zu klassifizieren wären.83 Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht − in Anlehnung an das Bundes­ verfassungsgericht − angenommen, dass in § 14 BBG  a. F.84 ein allgemei­ ner Grundsatz zum Ausdruck käme, nach welchem sämtliche Maßnahmen und Beschlüsse von unwirksam bestellten Organen bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Unwirksamkeit ihrer Errichtung so zu behandeln seien, als hätte eine wirksame Errichtung vorgelegen.85 Insoweit erfolgt letztlich eine parallele rechtliche Konstruktion der fehlerhaften juristischen Person des Öffentlichen Rechts zur fehlerhaften Gesellschaft im Zivilrecht.86 Begründet wird dieses Ergebnis damit, dass sonst unerträgliche Rechtsunsi­ cherheiten bestünden.87 Angesichts der insbesondere auf der Grundlage von Stelkens, LKV 2003, S. 489 ff. (495). wird diese Problematik auch dadurch gelöst, dass auf den funktionellen Behördenbegriff im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG abgestellt wird. Hierzu sogleich. 82  Die Ausführungen beziehen sich an dieser Stelle vor allem auf Verwaltungs­ akte, gelten aber in gleicher Weise für sonstige öffentlich-rechtlichen Handlungsfor­ men. Siehe hierzu G. I. 83  BVerwG, NVwZ 2003, S.  995  ff. (996); OVG Bautzen, SächsVBl 2002, S. 298 f.; OVG Weimar, ThürVBl 2003, S. 38 f.; VG Dessau, LKV 1997, S. 466; VG Dresden, SächsVBl 2000, S. 274; OVG Weimar, LKV 2000, S. 360 f. (361); VG Gera, LKV 1998, S. 203 f. (204); LKV 2000, S. 363 f. (364). 84  Eine identische Regelung findet sich heute in § 15 BBG. 85  BVerwG, NVwZ 2003, S. 995 ff. (996); BVerwGE 108, 169 (178). So auch schon BVerfGE 1, 14 (38); 3, 41 (44); 34, 81 (95 f.). Dieser Gedanke kommt in der zivilrechtlichen Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis ebenfalls zum Aus­ druck. Zu diesem vgl. Bayer/Lieder, NZG 2012, S. 1 ff. A. A. wohl Stelkens, Verwal­ tungsprivatrecht, S. 237. 86  So BGH, NVwZ-RR 2011, S. 797 ff. (800 ff.) im Hinblick auf die Versorgungs­ anstalt des Bundes und der Länder. Auf die Übertragung dieser Lehre ins Öffentliche Recht ebenfalls hinweisend Stelkens, LKV 2003, S. 489 ff. (493) wie auch bereits Klingshirn, Kommunale Zusammenarbeit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage in Bayern, S. 56 f. Zur Behandlung von fehlerhaften Gesellschaften im Zivilrecht siehe außerdem Wiesner, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, S. 42 ff. und 157 ff. sowie Neese, Fehlerhafte Gesellschaften, S. 163 ff. Die faktische Organstellung wird im Zivilrecht hingegen anders konstruiert. Hier wird eine Zurechnung über die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsmacht vor­ genommen, vgl. Stein, Das faktische Organ, S. 18 f. 87  BVerfGE 34, 81 (95  f.); OVG Weimar, LKV 2002, S. 336 ff. (338 f.); sich dieser Auffassung anschließend Stelkens, LKV 2003, S. 489 ff. (494) und Aschke, 80  Vgl.

81  Vielfach



II. Fehlendes staatliches Handeln87

Verwaltungsakten erfolgten Gebührenerhebungen durch die Zweckverbände hätte die Annahme, dass es sich bei sämtlichen dieser Maßnahmen um Nichtakte handele, gravierende rechtliche Folgen.88 Vor dem Hintergrund des Ausgleichs zwischen zwei Elementen des Rechtsstaatsprinzips, der Rechtsbindung auf der einen und der Rechtssicherheit auf der anderen Seite,89 wird deshalb eine Abgrenzung zwischen Akten vorgenommen, die der Bestandskraft generell nicht fähig sind, und Akten, die zwar Rechtsfeh­ ler aufweisen, bei denen Rechtssicherheitsaspekte die Fehlerhaftigkeit je­ doch überlagern können.90 Unter die Gruppe der Akte, welche der Bestand­ kraft nicht zugänglichen sind, fasst das Bundesverwaltungsgericht dabei insbesondere Akte eines „Hauptmanns von Köpenick“, also Fälle der Amtsanmaßung,91 nicht aber Akte von fehlerhaft errichteten juristischen Personen des Öffentlichen Rechts bzw. fehlerhaft errichteten Behörden. Diese seien zwar rechtswidrig, dem Staat aber nicht unzurechenbar.92 Aus diesem Grund werden die Maßnahmen nicht als Nichtakte angesehen.93 NVwZ 2003, S. 917 ff. (924 f.). Der Aspekt der Rechtssicherheit hinsichtlich der Einordnung von Maßnahmen kommt auch in BVerfGE 1, 14 (38); 34, 81 (95 f.); BVerwGE 108, 169 (176 ff.) zum Ausdruck. 88  Die Problematik, dass die Rechtsgrundlage der geleisteten Zahlungen bei ei­ ner derartigen rechtlichen Qualifikation der Maßnahmen entfiele, soll sich rechtlich auch nicht etwa dadurch auffangen lassen, dass der Gedanke des faktischen Ver­ tragsschlusses für die vom Zweckverband erbrachten Leistungen herangezogen wird. Einer solchen Umdeutung stünde entgegen, dass öffentlich-rechtliche Bezie­ hungen nicht in privatrechtliche Verhältnisse transformiert werden könnten, vgl. Degenhart, Rechtsfragen einer rückwirkenden Heilung fehlerhafter Zweckverbände, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 595 ff. (596 Fn. 9). A. A. Wellmann, LKV 1997, S. 402 ff. (404). Die Folgen hinsichtlich der finanziellen Belastung sind trotz Neugründung und Heilungsversuchen im Land Sachsen-Anhalt auf etwa 450 Mil­ lionen Euro veranschlagt worden, vgl. Klügel, LKV 1997, S. 197 ff. (199). Zu bedenken bleibt demgegenüber, ob nicht ein Gegenanspruch des Zweckver­ bandes aufgrund der von ihm erbrachten Leistungen entstanden ist, mit dem gegen­ über dem Rückzahlungsanspruch der Bürger aufgerechnet werden kann, so Saugier, Der fehlerhafte Zweckverband, S. 125 ff. Sämtliche dieser Erwägungen führen an­ gesichts der zahlreichen Rechtsverhältnisse aber nicht dazu, dass die mögliche Qualifizierung solcher Maßnahmen als Nichtakte nicht eine erhebliche Rechtsunsi­ cherheit hervorrufen würde. 89  Zu diesen verschiedenen Aspekten des Rechtsstaatsprinzips s. Kunig, Rechts­ staatsprinzip, S. 316 ff. und 390 ff. 90  BVerwG, NVwZ 2003, S. 995 ff. (996). 91  BVerwG, NVwZ 2003, S. 995 ff. (996). 92  BVerwG, NVwZ 2003, S. 995 ff. (996). 93  Paradigmatisch wird vorliegend eine entschiedene Konstellation untersucht. Selbiges würde aber auch für anders gelagerte Fallgestaltungen gelten, in denen eine fehlerhaft errichtete juristische Person des Öffentlichen Rechts oder aber Behörde tätig geworden ist.

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D. Nichtakt-Konstellationen

Diese Einordnung haben Pencereci und Bluhm mit weiteren Argumenten zu unterfüttern versucht. Vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit wollen sie das in § 44 Abs. 1 VwVfG geregelte Kriterium der Offenkundigkeit auch als Kriterium für die Qualifikation einer Maßnahme als Nichtakt her­ anziehen.94 Diese Überlegung mag zwar im Hinblick auf den Interessenaus­ gleich zwischen Rechtssicherheit und Rechtsstaatsprinzip als passend er­ scheinen, weil bei offenkundig fehlerhaft errichteten Behörden wie auch juristischen Personen des Öffentlichen Rechts kein Bedürfnis besteht, die Rechtssicherheit zu schützen. Diesbezüglich erscheint das Kriterium als einleuchtend. Es erklärt aber nicht weiter, warum die Maßnahmen, obwohl sie nicht von einem Staatsträger erlassen wurden bzw. ihm rechtlich zuge­ rechnet werden können, trotzdem als Verwaltungsakte anzusehen sind. Weiterhin käme man zu erheblichen Zuordnungsproblemen, abstrahierte man diese Voraussetzung und wendete sie als generelles Kriterium für die Einordnung von Maßnahmen als staatlichen Akt respektive Nichtakt an. Angesichts dessen, dass Nichtakte insbesondere Fälle der Amtsanmaßung erfassen, erscheint es als problematisch ein Kriterium heranzuziehen, das allein auf den Empfängerhorizont abstellt und fordert, dass das Nichtvorlie­ gen einer staatlichen Handlung offenkundig sein müsse.95 Dies würde allein den Staat in die Verantwortung nehmen, selbst wenn dieser keinen Anlass für das Verhalten des Amtsanmaßenden geschaffen hat. Die Zurechnung zum Staat wäre an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft als die Glaub­ haftigkeit des staatlichen Anscheins. Das Kriterium vermag somit zwar dabei weiterführen, die Grenzen zu bestimmen, unter welchen Umständen bei „faktischen“ Behörden bzw. juristischen Personen des Öffentlichen Rechts noch davon auszugehen ist, dass die ergangenen Maßnahmen, weil Rechtssicherheitsaspekte dies erfordern, noch als staatliche Akte anzusehen sind. Zur abstrakten Definition der Figur des Nichtakts ist das Merkmal jedoch ungeeignet. Des Weiteren wird versucht, die Einordnung der Handlung als Verwal­ tungsakt auch damit zu begründen, dass § 1 Abs. 4 VwVfG einen weiten Behördenbegriff enthalte, der auch faktische Verbände erfasse, solange diese öffentliche Aufgaben wahrnähmen.96 Diese Argumentationsweise ist indes problematisch, weil sie übersieht, dass der Betrauungsakt, welcher 94  Pencereci/Bluhm, LKV 1998, S. 172  ff. (175); Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders. (Hrsg.), VwVfG, § 44 Rn. 5, stimmt diesem Ergebnis ebenfalls zu, allerdings ohne eine weitere Begründung hierfür zu liefern. Andeutungsweise kommt dieser Aspekt auch in der Vorlage an der BVerwG zum Tragen, vgl. BVerwG, NVwZ 2003, S. 995 ff. (995). 95  Hierauf, wenn auch in anderem Kontext, bereits hinweisend v. Mutius, Verw­ Arch 62 (1971), S. 300 ff. (304 f.). 96  Saugier, Der fehlerhafte Zweckverband, S. 121; Pencereci/‌Bluhm, LKV 1998, S.  172 ff. (175); Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 64.



II. Fehlendes staatliches Handeln89

vorliegen muss, damit öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden können,97 bei fehlerhaft errichteten Behörden bzw. Hoheitsträgern fehlt. Würde man ein derartiges Verständnis zugrunde legen, läge auch in Fällen der Amtsanmaßung, sollten hierbei öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden, ein Tätigwerden einer Behörde vor, es sei denn, man fände ein anderweitiges Kompensationskriterium. Dies geht indes zu weit. Welcher Voraussetzungen es bedarf, um eine Maßnahme als staatlich anzusehen, bleibt daher auch im Rahmen dieser Auffassung offen. Die gewählten Argumentationsmuster, warum es sich um einen Nichtakt handelt bzw. weshalb der Akt doch noch als Hoheitsakt anzusehen ist, sind somit allesamt nicht unproblematisch. Ihnen ist im Folgenden noch näher nachzugehen. Als Ergebnis sämtlicher Erwägungen ist aber festzuhalten, dass die von einem fehlerhaft errichteten Hoheitsträger erlassenen Verwal­ tungsakte nicht als Nichtakte eingeordnet,98 sondern allenfalls als formell bzw. materiell fehlerhaft angesehen werden.99 4. Fehlerhafte Beleihung Einen weiteren Problemkreis der Nichtaktdogmatik, wenn nicht sogar einen Hauptaspekt derselben, stellt die Frage nach der Einordnung von Maßnahmen dar, die von fehlerhaft Beliehenen ausgehen. Schwierigkeiten ergeben sich bei dieser Konstellation −  neben der Qualifikation als sol­ cher  − insbesondere daraus, dass die Frage nach der Klassifizierung von Handlungen faktisch Beliehener, welche ebenfalls in Bezug auf Fragen des Nichtakts Probleme bereitet, ebenso im Dunstkreis dieser Diskussion ange­ siedelt ist. Diese beiden Varianten sind indes differenziert zu beurteilen,100 da sie unterschiedliche rechtliche Fragestellungen betreffen. Die zu dieser Thematik bisher ergangenen Entscheidungen, welche insbesondere das Auf­ stellen von Verkehrszeichen und den Erlass von Gebührenbescheiden betref­ fen, wirken zwar auf den ersten Blick äußerst disparat. Differenziert man 97  Vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 1 Rn. 230  f. Vgl. hierzu auch Rasch, Die staatliche Verwaltungsorganisation, S. 161 mit dem Beispiel, dass die von einem privaten Reisebüro, welches selbstständig ein „Paßamt“ eröffne, ausgestellten Pässe in Wahrheit Nichtakte seien. 98  Hintergrund hierfür ist, dass die Zurechnung nicht allein über die Zuständig­ keitsregelungen vorgenommen wird, vgl. hierzu E. 99  Vgl. OVG Bautzen, NJ 2004, S. 238 f. (238), welches die Zuständigkeit man­ gels wirksamer Gründung ablehnt und im konkreten Fall darüber hinaus auch mate­ rielle Fehler bejaht. 100  Vgl. Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), § 35 Rn. 249; Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (133 ff.).

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D. Nichtakt-Konstellationen

jedoch zwischen den genannten Konstellationen, lässt sich bei näherer Be­ trachtung erkennen, dass hiermit ein einheitliches Ergebnis erzielt wird. Die Abgrenzung der fehlerhaften von der faktischen Beleihung wie auch dem selbstständigen Verwaltungshelfer erweist sich als äußerst komplex.101 Verkompliziert wird die Problematik überdies dadurch, dass die Begriffe nicht immer einheitlich verstanden werden.102 Zudem können schon winzige Details einer Fallgestaltung die Einordnung erheblich beeinflussen.103 Dies führt zu Verwirrungen im Hinblick auf die Einordnung der jeweiligen Fall­ konstellationen, woraus sich wiederum Schwierigkeiten bei der Herausbil­ dung einer prägnanten und konformen Zurechnungsdogmatik ergeben. Eine präzise Bestimmung des Anwendungsbereichs des Nichtakts wird auf diese Weise verhindert. Der Zuordnung voranzustellen ist deshalb eine Definition, wie die Begrif­ fe der fehlerhaften und faktischen Beleihung im Folgenden verstanden werden, um auf dieser Grundlage analysieren zu können, unter welchen Voraussetzungen eine Handlung als Nichtakt zu klassifizieren ist. Dies führt auf die Unterscheidung zwischen Beliehenen und Verwaltungshelfern zurück. Betrachtet werden hierbei indes nicht die Grundkonstellationen, sondern die Fälle, in welchen die Abgrenzung verwischt. In ihren Grundaussagen sind die Figuren zwar stringent ausgeformt, an ihren Rändern verschwimmen jedoch ihre Grenzen. Dies betrifft insbesondere die Differenzierung zwi­ schen selbstständigen Verwaltungshelfern, zu Beleihenden sowie fehlerhaft Beliehenen.104 Derartige Konstellationen sind im Hinblick auf die Bestim­ mung des Anwendungsbereichs des Nichtakts besonders problematisch. 101  Vgl. Sellmann, NVwZ 2008, S. 817 ff. (818 ff.); Burgi, Funktionale Privatisie­ rung und Verwaltungshilfe, S. 145 ff. und 309 ff.; Nell, Beurteilungsspielraum zu­ gunsten Privater, S. 108 ff. und 115; zur Problematik der Abgrenzung siehe auch Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  239 f. 102  Teilweise wird die fehlerhafte Beleihung auch als faktische Beleihung be­ zeichnet, vgl. Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (122) unter Verweis auf Burgi. Zunächst versteht Burgi, Der Beliehene, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 581 ff. (586), zurückgehend auf Hoppe/Bleicher, NVwZ 1996, S. 421 ff. (423) und Steiner, DAR 1996, S. 272 ff. (274), unter einer faktischen Beleihung allerdings nur Fälle, in denen überhaupt keine Beleihung vorliegt, nicht aber solche, in denen der Beleihungsakt fehlerhaft ist. Von einer faktischen Beleihung spricht er, wenn einem Verwaltungshelfer eine Stellung eingeräumt wird, die der eines Beliehenen gleich­ kommt. Diese begriffliche Trennung gibt er anschließend auf S. 588 jedoch auf. Siehe zu dieser Problematik auch Sellmann, NVwZ 2008, S.  817 ff. (818 ff.) m. w. N. Siehe beispielhaft hierfür auch OVG Sachsen-Anhalt, DÖV 2003, S. 907. 103  So auch BVerwG, Beschluss vom 30.08.2006, – 10 B 38/06 –, juris Rn. 4. 104  Vgl. zu dieser Schwierigkeit auch Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), § 35 Rn. 65, insbesondere auch Fn. 294, und Rn. 60, insbesondere Fn. 272; Sell­ mann, NVwZ 2008, S. 817 ff. (818 ff.); Seidel, Privater Sachverstand, S. 31 ff.; Nell, Beurteilungsspielraum zugunsten Privater, S. 115, der darauf hinweist, dass Fragen



II. Fehlendes staatliches Handeln91

Eine Beleihung liegt vor, wenn einem Privaten die Wahrnehmung einer staatlichen Aufgabe „im eigenen Namen“ übertragen wird,105 was der Fall ist, wenn ihm hoheitliche Befugnisse verliehen werden.106 Diese Übertra­ gung muss „durch Gesetz“ oder „aufgrund eines Gesetzes“ erfolgen.107 Die Einräumung der Befugnis, staatliche Handlungsformen zu nutzen,108 unter­ liegt somit dem Gesetzesvorbehalt. An den Gesetzesvorbehalt selbst werden wiederum, abhängig von der jeweiligen Materie, unterschiedliche Bestimmt­ heitsanforderungen gestellt.109 Neben der gesetzlichen Grundlage bedarf es zudem in den meisten Fällen eines Übertragungsakts.110 Unter einer fehler­ haften Beleihung sind daher Fälle zu verstehen, in denen zwar der Versuch unternommen wurde, einem Privaten Hoheitsgewalt zu übertragen,111 die gesetzliche Grundlage oder aber der Übertragungsakt jedoch an Rechtsfeh­ lern leiden, die dazu führen, dass die Einräumung von Hoheitsgewalt schei­ tert.112 Mängel können somit sowohl auf Ebene der gesetzlichen Regelung als auch auf Ebene der Übertragung auf den konkret Beliehenen auftreten, welche entweder mittels Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder aber öf­ fentlich-rechtlichem Vertrag vorgenommen wird.113 Um eine fehlerhafte Beleihung annehmen zu können, genügt das Vorliegen eines Übertragungs­ akts. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine gesetzliche Grundlage existiert, hinsichtlich derer umstritten ist, ob sie eine Beleihung zulässt oder nicht. der Rechtmäßigkeit häufig als Abgrenzungskriterien verwendet werden, dies jedoch zu einem Zirkelschluss führt. 105  Vgl. etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 623. Teilweise wird, um den Anwendungsbereich nicht auf Verwaltungsakte zu beschränken, nicht auf das Handeln „im eigenen Namen“ abgestellt, sondern auf die Selbstständigkeit der Auf­ gabenwahrnehmung verwiesen, vgl. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwal­ tungshilfe, S.  153 f.; ders., Der Beliehene, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 581 ff. (586) und Nell, Beurteilungsspielraum zugunsten Privater, S. 109. Zum Streit, unter welchen Umständen von einer Beleihung zu sprechen ist, siehe auch Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 254 ff. 106  Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220  ff. (240); Klement, VerwArch 101 (2010), S.  112 ff. (118 f.). 107  BVerwG, DVBl 1970, S. 735 f. (736); Steiner, JuS 1969, S. 69 ff. (73), m. w. N. 108  Diese stellt das Kernelement der Beleihung dar, vgl. Burgi, Der Beliehene, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 581 ff. (585) sowie Nell, Beurteilungsspielraum zugunsten Privater, S.  112 f., m. w. N. 109  BVerwGE 137, 377 (383 f.); Sellmann, NVwZ 2008, S. 817 ff. (817). 110  Vgl. Burgi, Der Beliehene, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 581  ff. (589 f.); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 624. 111  Zum Begriff der Beleihung siehe Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (240); Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 80 f. 112  Vgl. zu diesem Begriffsverständnis auch Nell, Beurteilungsspielraum zuguns­ ten Privater, S. 113 ff. 113  Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S.  624 f.

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D. Nichtakt-Konstellationen

Eine faktische Beleihung liegt demgegenüber vor, wenn nicht intendiert war, dem Privaten die Befugnis einzuräumen, im eigenen Namen eigenstän­ dig Hoheitsrechte wahrzunehmen, die tatsächlich ausgeführten Aufgaben jedoch vom Grad der Selbstständigkeit oder aber ihrer Bedeutung denen eines Beliehenen gleichkommen.114 In diese Fällen soll der Private zwar lediglich als Verwaltungshelfer eingesetzt werden, tatsächlich nimmt er aber Aufgaben wahr, die ihm nur durch oder aufgrund eines Gesetzes übertragen werden können. Von der fehlenden Beleihung unterscheidet sich die fakti­ sche Beleihung somit insbesondere dadurch, dass der Private im Namen der Behörde handelt und nicht im eigenen Namen tätig wird. Als erster Anhaltspunkt für die Abgrenzung von Konstellationen der feh­ lerhaften und faktischen Beleihung kann somit der Umstand herangezogen werden, ob im eigenen oder im fremden Namen gehandelt wurde. Während der Verwaltungshelfer grundsätzlich im fremden Namen handelt, wird der Beliehene im eigenen Namen tätig.115 Bei einem Handeln im fremden Na­ men kann es nur um Fragen der faktischen Beleihung gehen, nicht aber um den Komplex der fehlerhaften bzw. fehlenden Beleihung. Kompliziert wird die Abgrenzung der Konstellationen voneinander aber insbesondere, wenn dem Akt selbst nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob er im eigenen oder fremden Namen ergangen ist. Bei Bescheiden ist die Einordnung, ob sie von einem Privaten oder einer Behörde stammen, im Grundsatz zwar unproble­ matisch. Sollten im Schreiben jedoch verschiedene Urheber benannt werden, können auch hier Schwierigkeiten auftreten.116 Das Aufstellen von Straßen­ verkehrsschildern durch Private ist ein weiteres Beispiel hierfür. Wohl auch aus diesem Grund divergiert die Auffassung in Literatur wie auch Recht­ sprechung darüber, ob das von einem Privaten aufgestellte Straßenverkehrs­ schild, für welches keine behördliche Anordnung im Einzelfall getroffen wurde, der Behörde als Verwaltungsakt zugerechnet werden kann. Während Bettermann die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, welches eine Zurech­ nung vornimmt,117 kritisiert,118 stimmt etwa Stelkens dieser Auffassung zu.119 114  Die Grenzen zum selbstständigen Verwaltungshelfer verfließen an dieser Stel­ le vielfach, vgl. Seidel, Privater Sachverstand, S. 31 ff. 115  So auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.01.2007, – 4 A 192/05 –, juris Rn.  23 ff.; Sellmann, NVwZ 2008, S. 817 ff. (820). 116  So lag der Fall in einer Entscheidung des VG Chemnitz, LKV 2000, S. 85. Das Gericht nahm insoweit eine Art Wahlfeststellung vor. 117  BVerwGE 35, 334 (343). 118  Bettermann, Zuständigkeitsfragen in der Rechtsprechung des Bundesverwal­ tungsgerichts zum Verwaltungsverfahrensrecht, in: Bachof (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe BVerwG, S. 61 ff. (67 f.). 119  Stelkens, NVwZ 2004, S. 304 ff. (308); ders., in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 65.



II. Fehlendes staatliches Handeln93

Auch die Rechtsprechung ordnet die Konstellation nicht ganz einheitlich ein.120 Dies ist − jedenfalls teilweise − aber auch darauf zurückzuführen, dass sich die verschiedenen Fälle in Bezug auf Teilaspekte leicht unterschei­ den. Allein die Betrachtung der Maßnahme selbst führt daher nicht in jeder Fallgestaltung weiter. Es lässt sich insbesondere bei Realakten nicht erken­ nen, ob diese im eigenen oder fremden Namen vorgenommen werden, so­ dass sich eine derartige Differenzierung zwischen der fehlerhaften und der faktischen Beleihung auch in dieser Hinsicht nicht eignet.121 Eine Abgrenzung kann aus diesem Grund letztlich lediglich anhand der Grundlage vorgenommen werden, aufgrund derer der Private tätig wird. Ist dieser zu entnehmen, dass bezweckt wurde, dem Privaten die Möglichkeit einzuräumen, öffentlich-rechtliche Befugnisse im eigenen Namen wahr­ zunehmen,122 also selbst hoheitliche Maßnahmen vornehmen zu können, liegt, sollte dies gescheitert sein, ein Fall der fehlerhaften Beleihung vor.123 Wenn hingegen davon ausgegangen wurde, dass der Private nur Anweisun­ gen ausführe und ihm durch die gewählte Ausgestaltung keine eigene Ent­ scheidung zukäme, kann allenfalls ein Fall der faktischen Beleihung vorlie­ gen.124 Diese ist gegeben, wenn der Private angesichts der ihm übertragenen Aufgaben doch beliehen werden müsste. Was aber unterscheidet diese beiden Varianten im Hinblick auf die Zu­ rechnung und damit die Nichtaktdogmatik? In beiden Konstellationen geht es zwar darum, zu beurteilen, ob die Maß­ nahmen von einer Behörde stammen. Sollte dies abzulehnen sein, handelt es sich um einen Nichtakt. Während die faktische Beleihung Fragen der Zurechnung von Handlungen zum Staat betrifft, geht es bei der fehlerhaften 120  Das Verkehrszeichen als Nichtakt einordnend VGH Baden-Württemberg, VBlBW 2010, S. 198 f.; VG Berlin, NZV 1990, S. 248; OLG Zweibrücken, Die Polizei 1977, S. 159. Als rechtswidrigen Verwaltungsakt ansehend BVerwGE 35, 334 (343); VGH München, NVwZ-RR 1992, S. 515 ff. (516); VG Gießen, Urteil vom 02.09.2004, – 10 E 2589/04 –, juris Rn. 28 ff.; VG Köln, Urteil vom 05.02.2009, – 20 K 3610/07 –, juris Rn. 25 ff., das allerdings, obwohl es annimmt, dass es sich um einen Verwaltungsakt handele, die Zurechnung ablehnt. 121  Auf diese Problematik hinweisend Burgi, Funktionale Privatisierung und Ver­ waltungshilfe, S.  153 f.; ders., Der Beliehene, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, S. 581 ff. (586); sich diesen Erwägungen anschließend Nell, Beurteilungsspielraum zugunsten Privater, S. 109. 122  Vgl. BGH, NJW 2000, S. 1042 f. (1042). 123  So wohl auch OVG Münster, NJW 1980, S. 1406 ff. (1408). 124  So lag der Fall bei der Entscheidung des VGH München, NVwZ-RR 1992, S. 515 ff. Zu den Kriterien, unter welchen Voraussetzungen jemand als Verwaltungs­ helfer zu qualifizieren ist, siehe Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungs­ hilfe, S.  152 ff.

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D. Nichtakt-Konstellationen

Beleihung jedoch nicht um die Zurechnung von Handlungen zu einer ande­ ren Person, sondern vielmehr darum, ob der Private im Hinblick auf seine Tätigkeit als Staatsorgan anzusehen ist, obwohl die Beleihung nicht wirk­ sam vorgenommen wurde. Die faktische Beleihung ruft somit Fragen nach der Zurechnung von einzelnen Handlungen auf, ähnlich wie die Vertre­ tung.125 Die fehlerhafte Beleihung betrifft demgegenüber die Frage, ob eine Person als solche dem Staat zuzuordnen und deshalb als Hoheitsträger an­ zusehen ist.126 Dies entspricht letztlich der Differenzierung zwischen Dele­ gation und Mandat.127 Zum Teil wird im Falle des Vorliegens einer fehlerhaften Beleihung an­ genommen, dass sich der Private der Handlungsformen des öffentlichen Rechts nicht wirksam habe bedienen können. Die rechtliche Möglichkeit, staatliche Befugnisse auszuüben, würde entfallen, wenn keine wirksame Beleihung vorliege.128 Sämtliche von fehlerhaft Beliehenen erlassenen Akte, die den Anschein der Staatlichkeit erwecken, wären dieser Ansicht zufolge als Nichtakt zu klassifizieren.129 Andernteils wird demgegenüber vertreten, dass, obwohl dem Privaten die Ausübung von Hoheitsgewalt nicht wirksam übertragen wurde, die von ihm Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (254 f.). auch Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 237 ff., der aus dieser Un­ terscheidung allerdings vollkommen andere Konsequenzen zieht und im Ergebnis aufgrund der Aufhängung der Problematik an der Zeichnungsbefugnis wohl doch Aspekte der faktischen Beleihung und fehlerhaften Beleihung miteinander vermischt. Zu dieser unterschiedlichen Form der Zurechnung im Sinne verschiedener Zurech­ nungsmodi siehe auch Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 32 Rn. 3 vor dem Hintergrund der Verpflichtungs- und Berechtigungssubjektivität. Die Begriffe der Zurechnung und Zuordnung werden auf diese Weise unterschieden, siehe hierzu auch Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 67. Vgl. auch E. III. und IV. 127  Vgl. Rasch, DVBl 1983, S. 617  ff. (619); Triepel, Delegation und Mandat, S. 29; Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (121). 128  So VG Saarland, Beschluss vom 13.06.2013, – 3 L 542/13 –, juris Rn. 5 ff. Ähnlich VGH Mannheim, VBlBW 2010, S. 198 f., jedenfalls im Falle der „völlig gesetzlosen Beleihung“ und OVG Münster, NJW 1980, S. 1406 ff. (1406 und 1408), wobei zwar hervorgehoben wird, dass mangels Behördeneigenschaft kein Verwal­ tungsakt erlassen werden könne. Dennoch ordnet das Gericht die Bescheide nur als rechtsfehlerhaft und daher aufzuheben ein. Siehe hierzu auch die Kritik v. Mutius, VerwArch 62 (1971), S. 300 ff. (304). 129  Vgl. Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (121 f.); Bettermann, Zustän­ digkeitsfragen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Verwal­ tungsverfahrensrecht, in: Bachof (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teil­ habe und Bindung, Festgabe BVerwG, S. 61 ff. (67 f.); v. Mutius, VerwArch 62 (1971), S. 300 ff. (304); Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 60; VGH Mannheim, VBlBW 2010, S. 198 f; VG Saarland, Beschluss vom 13.06.2013, – 3 L 542/13 –, juris Rn. 5 ff. 125  Vgl.

126  Ähnlich



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erlassenen Akte Hoheitsakte darstellen würden.130 Fehler bei der Beleihung, etwa weil das zugrunde liegende Gesetz unwirksam ist, sollen dennoch keine Auswirkungen auf die Qualifizierung des Handels als Ausübung von Staats­ gewalt haben.131 Die fehlerhafte Beleihung ist dieser Auffassung zufolge von der vollkommen fehlenden Beleihung zu unterscheiden.132 Der Fall der feh­ lerhaften Beleihung sei identisch wie der Fall der fehlerhaft errichteten Be­ hörde bzw. der fehlerhaft errichteten Person des Öffentlichen Rechts zu be­ handeln.133 Bei fehlender Beleihung und gleichzeitigem Tätigwerden des Privaten im eigenen Namen ginge es hingegen um eine ganz andere Konstella­ tion.134 Nur in diesem Fall wären die Handlungen als Nichtakt einzuordnen. Grund für die in diesem Rahmen scheinbar bestehenden Meinungsdiver­ genzen ist indes nicht, dass sich die beiden Auffassungen grundlegend un­ terscheiden würden. Es treten vielmehr einerseits Schwierigkeiten dabei auf, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen noch eine fehlerhafte Beleihung vorliegt und wann von einer gänzlich fehlenden Beleihung auszugehen ist.135 Andererseits werden die Begrifflichkeiten der „faktischen Beleihung“ und „fehlerhaften Beleihung“ vielfach divergierend verwendet, was dazu führt, dass Konstellationen scheinbar unterschiedlich behandelt werden, obwohl letztlich eigentlich dasselbe gemeint ist. Letzteres Missverständnis ist durch eine präzise Definition der verwendeten Begrifflichkeiten, wie sie vorliegend versucht wurde, auszuräumen. Für die Abgrenzung der fehlenden von der fehlerhaften Beleihung sind folgende Erwägungen entscheidend: Bei der Übertragung von Hoheitsgewalt können auf verschiedenen Ebenen rechtliche Fehler auftreten, die wiederum von ganz unterschiedlichem Ge­ wicht sein können. Zwar liegt generell, wenn die Intention der Übertragung von Hoheitsgewalt auf einen Privaten ersichtlich ist, ein Fall der fehlerhaf­ ten Beleihung vor. Im Falle schwerwiegender, offenkundiger Fehler des 130  So etwa VG Weimar, ThürVBl 2002, S. 165 f. (166); OVG Sachsen-Anhalt, DÖV 2003, S. 907, es sei denn, es liegt eine „völlig gesetzlose Beleihung“ vor. Ebenso OVG Münster, NJW 1980, S. 1406 ff. (1408), wobei die Ausführungen al­ lerdings etwas widersprüchlich erscheinen. Zunächst spricht das Gericht davon, dass mangels Behördeneigenschaft keine Verwaltungsakte erlassen werden könnten. Dar­ auf folgend qualifiziert es aber die Bescheide, ohne weitere Ausführungen hierzu zu machen, als rechtsfehlerhaft und daher aufhebbar. 131  Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 22; so auch Zuleeg, DÖV 1970, S. 627 ff. (627 f.); OVG Sachsen-Anhalt, DÖV 2003, S. 907. 132  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (122). So in der Tendenz auch OVG Sachsen-Anhalt, DÖV 2003, S. 907. 133  Stelkens, NVwZ 2004, S. 304 ff. (308). 134  Vgl. VGH Baden-Württemberg, DVBl 2010, S. 196 ff. (198). So letztlich auch BVerwGE 145, 245 (247 f.). 135  Dies zeigt sich insbesondere bei den Ausführungen des VGH Baden-Württem­ berg, VBlBW 2010, S. 198 f.

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D. Nichtakt-Konstellationen

konkreten Übertragungsakts wird teilweise aber vertreten, dass die in öffent­ lich-rechtlicher Form ergangenen Maßnahmen des fehlerhaft Beliehenen dennoch als Nichtakte einzuordnen wären. Begründet wird dies damit, dass der Beliehene angesichts der Offenkundigkeit des Fehlers nicht als Staats­ organ anzusehen sei.136 Die Rechtssicherheit wäre hierdurch angesichts der deutlichen Erkennbarkeit des Fehlers nicht gefährdet. Dem ist zuzustimmen. Selbiges gilt letztlich aber auch für die gesetzliche Grundlage des Übertra­ gungsakts. Angesichts der Abstraktheit der Rechtsfrage sind in diesem Rahmen allerdings höhere Anforderungen an die Offenkundigkeit des Feh­ lers zu stellen. Bei offenkundigen Fehlern gleicht die fehlerhafte Beleihung somit der fehlenden Beleihung. Folglich entstehen im Falle der fehlerhaften Beleihung, im Gegensatz zur fehlenden Beleihung, zwar grundsätzlich keine Nichtakte. Nähert sich die fehlerhafte Beleihung aufgrund der Offenkundig­ keit der entweder im Rahmen des konkreten Übertragungsakts oder der gesetzlichen Grundlage unterlaufenen rechtlichen Fehler der fehlenden Be­ leihung demgegenüber an, sind auch die Akte eines fehlerhaft Beliehenen als Nichtakte zu qualifizieren. 5. Faktische Beleihung − Grenzen der Verwaltungshilfe Trotz der vielfältigen bereits angesprochenen Fallgestaltungen, die dem Nichtakt zugeordnet werden, stellt nichtsdestotrotz das Handeln eines −  nicht mit Hoheitsgewalt ausgestatteten  − Privaten im Namen des Staates den eigentlichen Referenzfall der Figur dar.137 Um einen Nichtakt handelt es sich dabei allerdings nur, wenn die Maßnahme dem Staat nicht zuzurech­ nen ist. Das anlasslose Gerieren eines Privaten als Staatsträger ist ein ein­ deutiger Anwendungsfall des Nichtakts.138 Allein, dass der Anschein hoheit­ lichen Handelns hervorgerufen wird, genügt nicht, um dem Staat die Handlung zuzurechnen und ihn somit rechtlich hierfür einstehen zu lassen. Weniger eindeutig ist die Frage der Zurechnung hingegen, wenn ein Privater im Auftrag der Behörde handelt, dabei aber − ohne beliehen worden zu sein − wie ein Behördenvertreter agiert, also selbst inhaltliche Entscheidung trifft.139 136  Selbiger Aspekt wird auch im Falle der fehlerhaften Errichtung von Hoheits­ trägern diskutiert, vgl. D. II. 3. 137  Hierunter fällt auch der „Hauptmann von Köpenick“. Angesichts der vermehr­ ten Einbeziehung von Privaten in die staatliche Tätigkeit haben sich hierüber hin­ ausgehend aber weitere Konstellationen herausgebildet, in denen Private gegenüber Bürgern im Namen des Staates handeln. 138  Vgl. zur Wertung Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwaltungsrecht, S. 161. Im Übrigen siehe auch A. sowie D. II. 1. 139  Diese Problematik geht insbesondere aus den Ausführungen Wolffs hervor, vgl. Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 57, der bei den Rechtsfolgen einer nicht



II. Fehlendes staatliches Handeln97

Unter welchen Voraussetzungen derartige Handlungen zurechenbar sind, ist problematisch. Statt eines Verwaltungsakts der Behörde könnte ein „− nicht zurechenbarer − Nichtakt“ vorliegen.140 Mit dieser Fragestellung ist unter anderem die Konstellation der faktischen Beleihung angesprochen. Kern­ aspekt der Figur des Nichtakts ist somit die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit Handlungen Privater, die im Namen des Staates vorge­ nommen werden, diesem zuzurechnen sind. Eine von der Rechtsprechung bereits mehrfach zu beurteilende Konstel­ lation stellt diesbezüglich die Beteiligung von Privaten am Erlass von Ver­ waltungsakten dar. Mehrmals entschieden wurde diese Konstellation in Bezug auf den Erlass von Gebührenbescheiden.141 Diese Konstellation hat die Diskussion um die Nichtaktdogmatik neu entfacht. Das Problem stellt sich in gleicher Weise im Rahmen anderer Fallgestaltungen,142 anhand der vieldiskutierten Gebührenerhebung durch Private lässt sich die Zurech­ nungsproblematik indes paradigmatisch veranschaulichen: Beispielsweise werden im Rahmen der Erhebung von Abwassergebühren vielfach Private damit betraut, die notwendigen Daten zu erheben. Auf deren Grundlage sollen sie die Abgabenhöhe berechnen und über diese einen im Namen der Behörde ergehenden Bescheid an den Abgabenschuldner versenden.143 Der Private tritt dabei nicht im eigenen Namen nach außen auf, sondern handelt im Namen der Behörde. Er soll folglich als Verwaltungshelfer in die Abga­ benerhebung eingebunden werden. Aufgrund der notwendigen Schuldner­ rechtmäßigen Bestellung einer Person zum Organwalter im Rahmen der Zurechnung zwischen untauglichen Amtsanmaßungen, rechtsscheinerzeugenden Amtsanmaßun­ gen und fehlerhaften Besetzungen zu unterscheiden sucht. 140  So Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 295 und 301; ebenso wohl auch Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 237, der über die Brücke der Unwirksamkeit der dem Privaten eingeräumten Zeichnungsbefugnis zu dem Ergebnis gelangt, dass man­ gels Zurechnung ein Scheinakt vorliege. 141  In der Regel handelte es sich hierbei um Konstellationen der faktischen Be­ leihung. Eine Ausnahme bildet diesbezüglich VG Saarland, Beschluss vom 13.06.2013, – 3 L 542/13 –, juris Rn. 5 ff. In diesem Fall lag eine fehlerhafte Belei­ hung vor. 142  Vgl. ThürOVG, ThürVBl 2007, S. 16 f. Die Entscheidung betrifft den Erlass von Verwaltungsakten durch einen mittels zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsver­ hältnis betrauten Bevollmächtigten. 143  Vgl. zur Fallgestaltung OVG Sachsen-Anhalt, DÖV 2003, S. 907; VGH Kas­ sel, NVwZ 2010, S. 1254 f. (1255); OVG Schleswig, NordÖR 2006, S. 263 ff.; VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.01.2007, – 4 A 192/05 –, juris Rn. 26; VGH Kassel, NVwZ 2010, S. 1254 f.; OVG Sachsen, Beschluss vom 23.2.2012, – 5 A 331/10 –, juris Rn. 5; BVerwGE 145, 245 (247). Teilweise ging die Tätigkeit der privaten Geschäftsbesorger sogar noch hierüber hinaus und beinhaltete die Instandhaltung von Anlagen, die Erstellung von Satzun­ gen etc., vgl. ThürOVG, ThürVBl 2010, S. 63 ff. (63).

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D. Nichtakt-Konstellationen

auswahl, dem vollständig eigenständigen Tätigwerden, der selbstständigen Prüfung der Erlassvoraussetzungen sowie mangels irgendeiner eigenen Entscheidung der Behörde über die Gebührenerhebung überschreitet diese Tätigkeit jedoch die Aufgaben eines Verwaltungshelfers.144 Faktisch ent­ scheidet er gänzlich allein über den Erlass und den Inhalt des Verwaltungsakts. Eine Beteiligung der Behörde findet mit Ausnahme des internen Geschäfts­ besorgungsverhältnisses nicht statt. Teilweise wurde deshalb angenommen, dass mangels staatlicher Beteiligung am Erlass des Bescheids ein Nichtakt vorliege.145 Diese Auffassung ist jedoch nicht unwidersprochen geblieben. Zwar soll es sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts immer dann um einen Nichtakt handeln, wenn die Maßnahme allein von einer Privatperson getroffen wurde.146 In einer letztlich identischen Konstellation, wie der dargestellten, hielt das Gericht die Maßnahme aber dennoch für einen Verwaltungsakt und nicht für einen Nichtakt.147 Dieser Auffassung hat sich auch das Oberverwaltungsgericht Sachsen angeschlossen.148 Unter wel­ chen Voraussetzungen es sich um eine allein von einer Privatperson getrof­ fene Maßnahme handelt, ist somit zum einen angesichts der hierfür vom Bundesverwaltungsgericht gewählten Formulierung und zum anderen auf­ grund der scheinbar anderslautenden Entscheidung des Gerichts aus dem Jahr 2006 nicht eindeutig. Vor dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist in derartigen Konstellationen die Zurechnung jedoch häufig gar nicht erst thematisiert worden. Es wurde vielmehr wie selbstverständlich vom Vorliegen eines Verwaltungsakts ausgegangen.149 Der entspechende Verwaltungsakt wurde jedoch entweder als offensichtlich rechtswidrig und somit nichtig oder zu­ mindest rechtswidrig angesehen, weil die zuständige Behörde ihn nicht selbst erlassen habe.150 Eine Befugnis, für die Antragsgegnerin zu handeln, 144  ThürOVG,

ThürVBl 2010, S. 63 ff. (64). Beschluss vom 30.08.2006, – 10 B 38/06 –, juris Rn. 6; Wider­ sprüchlich diesbezüglich OVG Schleswig, NordÖR 2006, S. 263 ff. (264 f.) und VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.01.2007, – 4 A 192/05 –, juris Rn. 25 ff., welche die Zurechenbarkeit verneinen, im Anschluss trotzdem aber davon ausgehen, dass es sich um einen Verwaltungsakt handele. 146  BVerwGE 140, 245 (247); BVerwG, Beschluss vom 30.08.2006, – 10 B 38/06 –, juris Rn. 6 im Anschluss an OVG Schleswig, NordÖR 2006, S. 263 ff. (265). 147  BVerwGE 140, 245 (247 ff.). Trotz gegenteiliger Aussage scheint das B ­ VerwG sich insoweit von seiner im Beschluss vom 30.08.2006, – 10 B 38/08 –, juris Rn. 6 geäußerten Ansicht distanziert zu haben. 148  Vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 23.02.2012, – 5 A 331/10 –, juris Rn. 8 ff. 149  So etwa VGH München, NVwZ-RR 1992, S. 515 ff. (516). 150  VGH Kassel, NVwZ 2010, S. 1254 f. (1255); OVG Thüringen, ThürVBl 2007, S. 16 f. (17); OVG Schleswig, NordÖR 2006, S. 263 ff. (265). Grund für die Annahme 145  BVerwG,



II. Fehlendes staatliches Handeln99

hätte −  so die Argumentation der Gerichte  − nicht bestanden, da keine Be­ leihung vorgenommen worden wäre. Eine wirksame Vertretung durch einen mittels zivilrechtlicher Geschäftsbesorgung Beauftragten wäre nicht mög­ lich, da sonst die Voraussetzungen der Beleihung umgangen würden.151 Mangels Erwähnung der Zurechnungsproblematik ist allerdings davon aus­ zugehen, dass der als Vorfrage anzusehende Aspekt, ob überhaupt ein Ver­ waltungsakt vorliegt, wenn ein Privater im Namen der Behörde handelt, die Entscheidung aber eigenständig trifft, meist entweder übersehen oder aber nicht präzise von der Frage der Fehlerhaftigkeit abgegrenzt wurde. Dies zeigt sich auch daran, dass in derartigen Fällen andernteils die Zurechnung zwar ausdrücklich abgelehnt,152 die Maßnahme aber dennoch als Verwal­ tungsakt qualifiziert wurde.153 In einigen Fällen mag diese Beurteilung da­ rauf beruhen, dass auf eine spätere behördliche Einlassung abgestellt werden konnte. Regelmäßig sind die gerichtlichen Ausführungen in diesem Kontext aber einfach in sich widersprüchlich.154 Das Problembewusstsein hinsichtlich dieser Fragestellung hat in den letz­ ten Jahren jedoch zugenommen. Die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Anforderungen an die Zurechnung zu stellen sind, hat daher inzwi­ schen begonnen; sie ist trotz der Entscheidung des Bundesverwaltungsge­ richts zu dieser Thematik aber noch nicht abgeschlossen. Partiell wird als Zurechnungskriterium für ausreichend erachtet, dass die nach außen in Erscheinung tretende Behörde das Tätigwerden des Privaten veranlasst hat.155 Manchmal wird auch allein auf das äußere Erscheinungs­ bild des Akts abgestellt und auf dieser Grundlage eine „formale“ Zurech­ nung vorgenommen.156 Diese weite Zurechnungstheorie ist jedoch nicht unkritisiert geblieben.157 Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass es für die Zurechnung eines normativen Anknüpfungspunktes bedürfe.158 Als ge­ klärt anzusehen ist lediglich, dass −  egal welcher Rechtsschein auch immer der Rechtswidrigkeit ist häufig allerdings, dass die Gerichte darauf abstellen, dass sich die Behörde mit dem Widerspruchsbescheid die Auffassung zu eigen gemacht und ihr hierdurch den Charakter einer rein privaten Maßnahme genommen habe. 151  OVG Thüringen, ThürVBl 2007, S. 16 f. (17). 152  VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.01.2007, – 4 A 192/05 –, juris Rn. 25 f. Mit der Begründung, dass der Zurechnungszusammenhang unterbrochen wäre, weil die Maßnahme nur der Form nach im Namen der Behörde ergehe. 153  VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.01.2007, – 4 A 192/05 –, juris Rn. 27. 154  Hierauf ebenfalls hinweisend Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 299 f. 155  BVerwGE 140, 245 (247); OVG Sachsen, Beschluss vom 23.02.2012, – 5 A 331/10 –, juris Rn. 8 ff. 156  ThürOVG, ThürVBl 2010, S. 63 ff. (63). 157  Deutlich hierzu etwa Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 299 ff. 158  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (135 ff.).

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D. Nichtakt-Konstellationen

erzeugt worden sein mag  − keine Zurechnung vorgenommen werden kann, wenn der Verwaltungshelfer nach außen selbst als Entscheidungsträger auf­ getreten ist und nicht im Namen der Behörde gehandelt hat.159 Solche Maßnahmen sind als Nichtakt zu qualifizieren.160 Angesichts der ausdrücklichen Erklärung des Bundesverwaltungsgerichts, nicht von seiner früheren Auffassung abweichen zu wollen,161 müsste für die Zurechnung außerdem entscheidend sein, ob die Einbindung eines Pri­ vaten nach außen erkennbar geworden ist. Unter welchen Umständen von einer Erkennbarkeit auszugehen ist, bleibt jedoch unklar. Dies gilt insbeson­ dere deshalb, weil der diesbezüglich bestehende Unterschied zu der vom Bundesverwaltungsgericht zuvor entschiedenen Konstellation nicht deutlich wird. Mit der Erkennbarkeit kann jedenfalls nicht gemeint sein − wenn sich das Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf die Aufrechterhaltung sei­ ner Entscheidung von 2006 nicht in Widersprüche begeben will −, dass der Private im eigenen Namen gehandelt hat. Welche rechtlichen Voraussetzun­ gen vorliegen müssen, um eine Zurechnung vornehmen zu können, ist demnach weiterhin rechtlich nicht präzise ausgearbeitet. Die Konstruktion der Zurechnung von Handlungen zum Staat harrt einer näheren Analyse. Besieht man die in diesem Rahmen angestellten Überlegungen, ist aber festzustellen, dass sie der Abgrenzung von Stellvertretung und Botenschaft ähneln.162 Teilweise werden diese Konstellationen auch mit der Unterschei­ dung von Delegation und Mandat verglichen.163 Die Zurechnung wird der­ zeit an vielen Stellen durch Rechtsschutzgesichtspunkte in Gestalt des objektiven Empfängerhorizonts überformt.164 Angesichts der geforderten ­ staatlichen Veranlassung zum Tätigwerden wird aber nicht allein auf den Empfängerhorizont abgestellt, sondern auch die staatliche Sphäre im Blick behalten. Dies erscheint, da der Staat bei einer Zurechnung im Falle von Fehlern einzustehen hätte, im Grundsatz als sachangemessen, bedarf jedoch einer rechtlich tragfähigen Begründung. Andernfalls bliebe die Frage offen, ob das Kriterium der Veranlassung wirklich genügt, um Handlungen dem Staat zurechnen zu können. Unklar ist ferner, wie weit diese Veranlassung gehen muss und welche Abweichungen von staatlich veranlassten Handlun­ gen für die Zurechnung noch tragbar sind. 159  BVerwG,

Beschluss vom 30.08.2006, – 10 B 38/06 –, juris Rn. 6. Baden-Württemberg, DVBl 2010, S. 196 ff. (198). 161  BVerwGE 140, 245 (247); BVerwG, Beschluss vom 30.08.2006, – 10 B 38/06 –, juris Rn. 6. 162  Hierauf weist insbesondere Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 239 hin. 163  So ThürOVG, ThürVBl 2010, S. 63 ff. (64). 164  Vgl. ThürOVG, ThürVBl 2010, S. 63  ff. (63); Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (480); Will/Rathgeber, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058). 160  VGH



II. Fehlendes staatliches Handeln101

Grundsätzlich lässt sich gegen eine derartig weite Zurechnung außerdem einwenden, dass hierdurch die Zuständigkeitsordnung und die Forderung nach demokratischer Legitimation umgangen würde.165 Inwieweit eine wei­ te Zurechnungstheorie fähig ist, dies an anderer Stelle zu berücksichtigen, bedarf einer näheren Untersuchung. Beiden Aspekten könnte auch auf einer anderen Ebene Rechnung getragen werden. Anstatt die Zurechnung zu ver­ neinen, könnten die Forderungen als materielle Kriterien herangezogen werden.166 Aus dem Gedanken der Selbstorganschaft ließe sich als mate­ rielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen möglicherweise herleiten, dass die Entscheidung nicht nur formell, sondern auch inhaltlich von der zuständigen Behörde getroffen worden sein muss. Der Gedanke der Selbstorganschaft könnte insoweit die durch eine weite Zurechnungstheorie aufgeworfenen Probleme der demokratischen Legitimation kompensieren. Den Zuständig­ keitsregelungen wären in diesem Fall nur eine Abgrenzungsfunktion zwi­ schen den Zuständigkeitsbereichen verschiedener Staatsträger zuzuschreiben, Zurechnungsgesichtspunkte würden demgegenüber nicht mit ihnen verkop­ pelt. Aspekte der Zeichnungsbefugnis wären in Überlegungen der Veranlas­ sung und deren konkreter Reichweite aufzuspalten. Man hätte sie in diesem Fall jedoch weniger als Probleme der Zurechnung als vielmehr der materi­ ellen Rechtmäßigkeit anzusehen. Folgte man dieser Ansicht, würde das Anwendungsfeld des Nichtakts drastisch weiter reduziert.167 6. Überschreiten der Vertretungsmacht durch Behördenmitarbeiter Im Hinblick auf die Überschreitung der Vertretungsmacht von Behörden­ mitarbeitern wird ebenfalls diskutiert, ob dies dazu führe, dass es sich man­ gels Zurechenbarkeit nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen Nichtakt handele.168 Unter Hinweis auf die Zurechnungsregeln des Zivil­ rechts, insbesondere die der Prokura,169 sowie Vertrauensschutzgesichtspunk­ te, da die Befugnisüberschreitung nach außen nicht erkennbar sei, wird die Zurechenbarkeit der Handlung trotz Kompetenzverstoß letztlich jedoch größ­ 165  Dies

problematisierend auch ThürOVG, ThürVBl 2010, S. 63 ff. (64). BVerwGE 145, 245 (248 f.). 167  Vgl. hierzu E. III. 168  Siehe Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhält­ nis, S. 158; Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 325 ff. Parzeller, DStZ 1978, S.  430 ff. (430 f.). Auch Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 690 f. setzte sich bereits mit Überschreitungen von Organkompetenzen auseinander und lehnte in diesem Fall die Zurechenbarkeit der Handlung des Organs gegenüber der juristischen Person ab. 169  Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhältnis, S.  161 ff. 166  Vgl.

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D. Nichtakt-Konstellationen

tenteils bejaht.170 Eine Ausnahme hiervon wird verbreitet nur bei kollusivem Zusammenwirken mit dem Privaten oder offensichtlichem Missbrauch der Vertretungsmacht gemacht.171 Teilweise wird hierüber hinausgehend noch vertreten, dass der Amtswalter zumindest der Art nach einen solchen Verwal­ tungsakt erlassen dürfen müsse.172 Die Zurechnung wird somit nicht mit der Zuständigkeit verkoppelt.173 Der von einem unzuständigen, weil seine Vertre­ tungsmacht überschreitenden Mitarbeiter erlassene Akt ist daher kein Nicht­ akt. Die Handlungen eines Amtswalters sind dem Staat „bis zur Grenze der Amtsanmaßung“ immer zurechenbar,174 es sei denn, er ist der handelnden Behörde überhaupt nicht zugehörig.175 Die Abgrenzung zum Privathandeln bei Amtswaltern erfolgt somit erst, wenn erkennbar ist bzw. der Dritte positi­ ve Kenntnis davon hat, dass nicht für die Behörde gehandelt wurde. 7. Ultra-vires-Akte In Zusammenhang mit der Frage nach dem Vorliegen eines Nichtakts steht auch die Ultra-vires-Lehre. Grund hierfür ist, dass die Annahme der Teil- oder aber Vollrechtsfähigkeit von juristischen Personen des Öffentli­ chen Rechts Einfluss darauf hat, ob im Falle der Überschreitung des zuge­ wiesenen Kompetenzbereichs ein Nichtakt anzunehmen ist.176 Wären Perso­ 170  Zur Voraussetzung der Erkennbarkeit BVerwG, DöV 1966, S. 202 ff. (205). Vgl. darüber hinaus auch Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  241 ff. Auch Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 702 f. und Nothnagel, Die Bekanntgabe von Verwaltungs­ akten im Steuerrechtsverhältnis, S. 167  ff. sind dieser Auffassung. Im Ergebnis stimmt dem auch Parzeller, DStZA 1978, S. 430 ff. (431) zu. 171  BSG, Urteil vom 04.09.2013, – B 10 EG 7/12 R –, juris Rn. 22 f.; SchneiderDanwitz, SGb 2014, S. 271 ff. (273). 172  BVerwGE 3, 199 (203); 26, 31 (36). Vgl. hierzu auch Stelkens, Verwaltungs­ privatrecht, S.  242 f. 173  Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 332 ff. 174  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 393 f. 175  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 395. 176  Grundlegend zum Unterschied zwischen Teil- und Voll- bzw. Gesamtrechtsfä­ higkeit s. Bachof, AöR 83 (1958), S. 208 ff. (263 ff.), wobei Bachof ein anderes Verständnis als Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 17 ff. zugrunde zu legen scheint. Siehe zur Rechtsfähig­ keit auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 448, 452, 485, 506 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 32 Rn. 6 ff.; Klotz, DÖV 1984, S. 181 ff. (183 f.). Zum Zusammenhang zwischen Rechtsfähigkeit des Staates und Nichtaktdogmatik siehe Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und die Ultra-vires-Doktrin des öffentlichen Rechts, S.  66 ff.; ders., in: Krebs (Hrsg.), Liber amicorum Hans-Uwe Erichsen, S. 1 ff. (4); wie auch Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, S. 4 ff. Die Überlegun­ gen zur Teilrechtsfähigkeit gehen insbesondere auf Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 631 ff. zurück, der − obwohl Anhänger einer Organtheorie − der Auffassung war,



II. Fehlendes staatliches Handeln103

nen des Öffentlichen Rechts nur als teilrechtsfähig anzusehen, würde dies dazu führen, dass sie außerhalb des Gebiets, für welches ihnen Hoheitsbe­ fugnisse zugewiesen werden, nicht handlungsfähig wären.177 Ein Staatsakt könnte außerhalb dieses Rahmens mangels Zurechnungsendpunkt und damit möglicher Staatshandlung nicht entstehen.178 Sollte der Hoheitsträger außer­ halb seiner Verbandskompetenz nicht existieren, könnten ihm auch Hand­ lungen seiner Amtsträger, die die Verbandskompetenz überschreiten, nicht zugerechnet werden.179 Der Akt wäre im Falle der Überschreitung der Verbandskompetenz als Staatsakt daher inexistent.180 Anders als sonstige örtliche und sachliche Zuständigkeitsfehler würden Verstöße gegen die Ver­ bandskompetenz, ginge man von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Perso­ nen des Öffentlichen Rechts aus, deshalb nicht zur Rechtswidrigkeit oder aber zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts (§ 44 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 VwVfG) führen. Vielmehr würde es sich um Nichtakte handeln, weil kein staatliches Zurechnungssubjekt vorhanden wäre.181 dass außerhalb des zugewiesenen Aktionsgebiets keine Handlungen des Gemeinwe­ sens existieren können. „Wird trotzdem mit den Mitteln des Verbandes unter Über­ schreitung dieser Schranke gehandelt, so liegt jenseits derselben nicht blos eine rechtsunwirksame Körperschaftshandlung, sondern lediglich der Schein einer Kör­ perschaftshandlung vor“, Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 633. Als weiterer Ur­ spungspunkt der ultra-vires-Lehre im Öffentlichen Recht wird auch ein Gutachten Forsthoffs genannt, s. Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, S. 3 ff. Zum Zusam­ menhang zwischen der Lehre von der Teilrechtsfähigkeit und der ultra-vires-Lehre, vgl. Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, S. 101 ff. und Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 22 f. 177  Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffent­ lichen Rechts, S. 23 und 59 ff. 178  Vgl. hierzu Rossi, Extraterritorial geschlossene Verwaltungsverträge, Archiv des Völkerrechts 45 (2007), S. 115 ff. (133); Klotz, DÖV 1964, S. 181 ff. (183); an­ deutungsweise auch BVerfGE 63, 343 (372 ff.). 179  Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffent­ lichen Rechts, S. 66 f. 180  So Gurlit, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 780 f. Gurlit nimmt dogmatisch allerdings eine Einschränkung vor, indem sie durch analoge An­ wendung des § 44 VwVfG den Nicht-Vertrag wie einen nichtigen Vertrag behandelt wissen will. Dies., Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 413 ff. Vgl. hierzu auch Hau­ ser, Wirtschaftliche Betätigung von Kommunen, S. 158 und Nothnagel, Die Be­ kanntgabe von Verwaltungsakten im Steuerrechtsverhältnis, S. 130 f., der diese An­ sicht mit der Impermeabilitätslehre Labands in Verbindung bringt. A. A. BGHZ 20, 119 (125 f.); 52, 283 (286); 119, 237 (239) und Fuß, DÖV 1956, S. 566 ff. (566 f.), der ultra-vires-Akte für schwebend unwirksam hält. Der BGH ist hingegen der Auffassung, dass derartige Akte schlechthin unwirksam und deshalb nichtig seien. 181  Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffent­ lichen Rechts, S. 67 und 23, bezeichnet dies angesichts seiner weiten Kategorisie­ rung des Begriffs „Nichtakt“ auf S. 13 ff. als besondere Formen des Nichtakts.

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D. Nichtakt-Konstellationen

Zu diesem Ergebnis sind, obwohl die Teilrechtsfähigkeit von juristischen Personen des Öffentlichen Rechts durchaus vertreten wurde und wird, letzt­ lich aber weder die Rechtsprechung noch die Literatur gelangt.182 Wird die Frage, welche Folgen das Überschreiten der Verbandskompetenz nach sich zieht, überhaupt einmal gesondert diskutiert, werden die Kategorien der Zurechnung und Fehlerfolgenlehre meist zusammengeführt und als eine Rechtsfrage betrachtet. So nimmt beispielsweise das OVG Münster an, dass eine Maßnahme bei einer Überschreitung des Wirkungskreises nichtig sei. Derartige Handlungen entbehrten schlechthin der Rechtswirkung. Bemer­ kenswert hierbei ist allerdings, dass das Gericht die Erkennbarkeit der Kompetenzüberschreitung in diesem Rahmen nicht für maßgeblich hielt.183 Mangels Anknüpfung der Ausführungen an einer Norm wird indes nicht klar, ob das Gericht annimmt, dass ein Verwaltungsakt vorliege und auf § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG abstellt. Oder ob es angesichts der Überschrei­ tung des Wirkungskreises § 44 Abs. 1 VwVfG nur analog anwendet und hierbei auf die Offenkundigkeit der Überschreitung verzichtet. Ebenso gut könnte mit diesen Ausführungen auch auf die ultra-vires-Lehre rekurriert werden, das Gericht aber zwischen der Nichtigkeit eines Akts und einem Nichtakt nicht differenzieren. An anderer Stelle geht das OVG Münster bei einer Überschreitung der Verbandskompetenz demgegenüber aber ausdrück­ lich davon aus, dass die Maßnahme rechtswidrig sei.184 Der VGH München meint unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die „Ultra-Vires-Doktrin“ eben­ falls, dass bei ultra-vires-Akten von einer Nichtigkeit nur ausgegangen werden könne, wenn es auch keiner andere Behörde möglich wäre, einen derartigen Verwaltungsakt zu erlassen.185 Allgemein wird demzufolge ange­ nommen, dass ultra-vires-Akte rechtswidrig oder aber nichtig seien.186 Um Nichtakte soll es sich hingegen nicht handeln. Eine Rezeption der ultra-vi­ res-Lehre hat somit zwar etwa im Hinblick auf die Teilrechtsfähigkeit statt­ gefunden, die Rechtsfolgen dieser Konzeption sind jedoch nicht näher 182  Dies gilt, obwohl in der Literatur die Ultra-vires-Lehre sogar vermehrt ver­ treten wurde, vgl. hierzu Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, S. 97 f.; Ehlers, Die ­Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S.  31 ff. Zum Ergebnis, dass die unter Überschreitung der Verbandskompetenz erlassenen Akte weder von Literatur noch Rechtsprechung als Nichtakte eingeordnet werden siehe die folgenden Ausführungen, aber auch Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 414. 183  OVG Münster, DVBl 1976, S. 395 f. (396). 184  OVG Münster, NVwZ-RR 2010, S. 463. 185  VGH München, NVwZ-RR 2009, S. 202 ff. (204 f.). 186  BGHZ 20, 119 (125 f.); 52, 283 (286); 119, 237 (239); Oldiges, DÖV 1989, S.  873 ff. (882 ff.); Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechts­ norm, S. 321.



II. Fehlendes staatliches Handeln105

durchdacht worden.187 Eine Übertragung der Doktrin hat in dieser Hinsicht nicht stattgefunden.188 Blickt man allein auf die Konstruktion juristischer Personen, erscheint die Ansicht von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des Öffentlichen Rechts zwar in sich als logisch stringent.189 Vor dem Hintergrund der Aus­ gestaltung der deutschen Rechtsordnung, insbesondere dem Verständnis von Zuständigkeitsfehlern wie Gesichtspunkten des Rechtsstaatsprinzips erweist sie sich jedoch nicht als tragfähig.190 Die Gerichte sind −  ohne eine expli­ zite Auseinandersetzung mit derartigen dogmatischen Feinheiten  − zur An­ sicht gelangt, dass eine Überschreitung der Verbandskompetenz als Frage der Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit eines Akts zu behandeln sei und nicht als Aspekt der Handlungsfähigkeit respektive Zurechenbarkeit.191 Für die Zuordnung der Überschreitung der Verbandskompetenz zur Fehlerfolgenleh­ re gibt es gute Gründe, denn die ultra-vires-Lehre −  und somit auch die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des Öffentlichen Rechts  − ist nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar.192 Selbst Anhän­ ger der ultra-vires-Doktrin überspielen ihre Aussagen mit Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes.193 Der Hintergrund der Lehre, die Mitglieder der juristischen Person zu schützen sowie die Aufsichtsstrukturen sicherzu­ stellen,194 ist außerdem in gleicher Weise erreichbar, wenn man die Hand­ lungen der juristischen Person des Öffentlichen Rechts zurechnet und hier­ gegen Rechtsschutz ermöglicht. Betrachtet man die Ausgestaltung der Zu­ ständigkeiten, liegt es auch sehr viel näher, Verstöße, etwa gegen die Ver­ bandskompetenz, als Fehler einzuordnen, die zur formellen Rechtswidrigkeit 187  Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffent­ lichen Rechts, S. 36. 188  Vgl. zu diesem Befund auch Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 32 Rn. 9. 189  Sie ist aber selbst im Rahmen ihrer Entstehung durchaus nicht unumstritten gewesen, vgl. Bachof, AöR 83 (1958), S. 208 ff. (265 ff.); Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 485. 190  Zwar wird vielfach auf die besondere Bedeutung der Verbandskompetenz hingewiesen, weil in der Überschreitung der Kompetenz gleichzeitig ein Eingriff in die Zuständigkeit eines anderen Verbandes liege, dennoch wird meist nicht ange­ nommen, dass es sich hierbei um einen Nichtakt handele, sondern die Nichtigkeit bejaht, vgl. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 716 f. 191  OVG München, NVwZ 1982, S. 150  ff. (151); VGH München, NVwZ-RR 2009, S. 202 ff. (204 f.); OVG Münster, DVBl 1976, S. 395 f. (396); BVerwGE 115, 374 (384 f.); BGHZ 20, 119 (125 f.). 192  Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffent­ lichen Rechts, S. 68 ff. 193  So etwa Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, S. 115 ff. 194  Vgl. Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, S. 98 ff.

106

D. Nichtakt-Konstellationen

des Akts führen.195 Andernfalls müssten zum Beispiel die von § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG erfassten Anwendungsfälle teleologisch um die Verbandskom­ petenz reduziert werden.196 Ein weiterer Aspekt, der hinsichtlich der Beur­ teilung von ultra-vires-Akten zu berücksichtigen ist, ist die Problematik der kompetenziellen Beurteilung eines solchen Verstoßes.197 Die Kompetenz­ grenzen sind nicht hinsichtlich jeder Fragestellung absolut eindeutig und rational bestimmbar, vielmehr steht hinter ihnen die Frage nach der Kom­ petenz-Kompetenz, also der Befugnis über die Reichweite der Kompetenz zu entscheiden.198 Ginge mit der Feststellung der Überschreitung der Ver­ bandskompetenz eines Akts tatsächlich die Aussage einher, dass der Staat in diesem Kontext nicht existieren würde, hätte dies zur Folge, dass Gerichte als Teil des Staates entscheiden würden, in welchem Rahmen eine Existenz­ berechtigung ihres Trägers besteht. Sämtliche dieser Gesichtspunkte zeigen, dass die ultra-vires-Doktrin im deutschen Recht jedenfalls nicht dazu führen kann, dass man ultra-vires erlassene Akte als Nichtakte zu klassifizieren hat. 8. Zwischenergebnis: Alles eine Frage der Zurechnung Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf diese zweite Fallgruppe somit festhalten, dass die Nichtaktdogmatik ganz unterschiedliche Aspekte der Zurechnung betrifft. Zum einen geht es um die Zurechnung von Handlungen zum Staat, zum anderen darum, unter welchen Voraussetzungen juristische oder natürliche Personen als Staatsorgane bzw. Hoheitsträger einzuordnen sind. Letzterer Untergruppierung ist der Komplex um die fehlerhafte Errich­ tung von Hoheitsträgern bzw. Behörden sowie die fehlerhafte Beleihung zuzuordnen. Aber auch die im Hinblick auf das Beamtenrecht thematisierte Problematik, wie Akte zu qualifizieren sind, die von Personen erlassen wurden, deren Ernennung gescheitert ist, fällt hierunter.199 Sämtliche anderen angesprochenen Konstellationen betreffen demgegen­ über die Zurechnung einzelner Handlungen zu einem Staatsorgan. Diese kann aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten aufwerfen: entweder weil auf die Willensbildung des Amtswalters eingewirkt wurde oder dieser seine Vertretungsmacht überschritten hat. Hierüber hinausgehend sind aber auch Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 218. auch Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 69. 197  Siehe hierzu in Bezug auf den aktuellen Konflikt auf EU-Ebene Nettesheim, JZ 2014, S. 585 ff. (588 ff.). 198  Vgl. Nettesheim, JZ 2014, S. 585 ff. (588 ff.). 199  Siehe hierzu C. I. 195  So 196  So



III. Der Nichtakt als Kehrseite des „formellen Verwaltungsakts“?107

vor allem Fälle relevant, in denen ein Privater für und im Namen des Staa­ tes handelt, dabei aber nicht alle rechtlichen Voraussetzungen, die für eine wirksame Vertretung vorliegen müssen, erfüllt sind. Gemeinsamer Gesichtspunkt dieser beiden Komplexe ist jeweils die Fra­ ge, unter welchen Voraussetzungen ein Akt als staatlich anzusehen ist. Ausgangspunkt für die Entwicklung der Figur des Nichtakts waren zwar Fälle der Amtsanmaßung. Mittlerweile stellen diese aber nicht mehr den Hauptaspekt der von der Figur erfassten Rechtsfragen dar. Einhergehend mit der Zunahme des Privatisierungstrends hat sich auch die Zurechnungspro­ blematik weiterentwickelt. Fragen der Zurechenbarkeit eines Akts zum Staat spielen inzwischen in unterschiedlichsten Konstellationen eine erhebliche Rolle. Die Einbeziehung Privater in die staatliche Aufgabenerfüllung wirft verschiedene Zurechnungs- wie auch Zuordnungsprobleme auf, die insbe­ sondere auch die Figur des Nichtakts betreffen. Zu nennen sind hier vor allem Fälle der fehlerhaften oder aber faktischen Beleihung.200 Zwar sind Fragen der Zurechnung bereits mehrfach angesprochen worden, selbst in Bezug auf Handlungen von Amtsträgern ist jedoch nicht vollständig durch­ konstruiert worden, unter welchen Voraussetzungen die Zurechnung vorzu­ nehmen ist und auf welcher Grundlage sie erfolgt. Die Zurechnungstheorie stellt somit das Kernstück der von der Figur des Nichtakts erfassten recht­ lichen Fragestellungen dar. Ihr ist im Folgenden noch näher nachzugehen.201

III. Der Nichtakt als materielle Kehrseite des „formellen Verwaltungsakts“? Ein noch weiteres Anwendungsfeld der Figur des Nichtakts täte sich auf, verstünde man den Begriff „Nichtakt“ weit, nämlich als Auseinanderfallen von einerseits der Form einer Maßnahme und andererseits deren Gehalt.202 Bei einem solchen Verständnis der Figur ergäbe sich eine Nähe, vielleicht sogar Übereinstimmung, mit dem in prozessualer, teils aber auch in mate­ 200  Vgl.

hierzu D. II. 4 und 5. E. 202  Unter der Überschrift „Nicht-Verwaltungsakte“ wird von Janßen, in: Ober­ mayer (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 142 ausgeführt: „Keine VAe sind Handlungen, denen der Schein des VA anhaftet, obgleich ihnen ein Wesensmerkmal fehlt.“ Eben­ so Schäfer, in: Obermayer (Hrsg.), VwVfG, § 43 Rn. 33 und Lehmann, Allgemei­ nes  Verwaltungsrecht, S. 81.; Jäde, Verwaltungsverfahren − Widerspruchverfah­ ren – Verwaltungsprozess, S. 97 f. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl., S. 105 halten staatliche Akte, die nicht das enthalten, was sie zu beinhalten vorge­ ben, die aber andersartige verwaltungsrechtliche Erklärungen beinhalten, für „eine besondere Art des Nichtakts“. Ähnlich auch Koellreutter, Grundfragen des Verwal­ tungsrechts, S.  45 f. 201  Vgl.

108

D. Nichtakt-Konstellationen

rieller Hinsicht verwendeten Begriff des „formellen“ bzw. „formalen“ Ver­ waltungsakts.203 Angesichts der durch das Auseinanderfallen von äußerer Form und tat­ sächlichem Regelungsgehalt hervorgerufenen faktischen Wirkung wird vielfach zwischen der materiellen und prozessualen Beurteilung einer Maß­ nahme differenziert.204 Literatur und Rechtsprechung unterscheiden hin­ sichtlich der Voraussetzungen, die zu erfüllen sind, um eine Maßnahme als einen „Verwaltungsakt“ bezeichnen zu können, größtenteils danach, in welchem Kontext der Begriff − prozessual oder materiell − verwendet wird. Neben dem Begriff des „formellen Verwaltungsakts“ wird partiell aber auch ein „materieller“ Verwaltungsaktbegriff verwendet.205 Letztere Auffassung, welche reine Formverwaltungsakte auch materiell als Verwaltungsakte klas­ sifiziert, ist rechtlich indes noch problematischer als die Annahme eines „formellen Verwaltungsakts“.206 Mangels Relevanz für die Nichtaktdogma­ tik wird dieser Auffassung im Folgenden nicht vertieft nachgegangen. Wür­ de man dem Verständnis des materiellen Verwaltungsaktbegriffs folgen, bedürfte es der Figur des Nichtakts nicht, weil bereits der Anschein einer 203  So etwa Nolte, NordÖR 1999, S. 447 f. (447 und speziell Fn. 1), der den „for­ mellen“ bzw. „formalen Verwaltungsakt“ mit dem Schein- oder Nichtverwaltungsakt gleichsetzt. Ähnlich auch Kresser, Die Bedeutung der Form für Begriff und Rechts­ folgen des Verwaltungsakts, S. 44 und Ziekow, VwVfG, § 35 Rn. 10. Anderer An­ sicht wohl Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603), allerdings in Bezug auf den „Verwaltungsakt kraft Form“, dessen Definition dann allerdings wiederum mit der des formellen Verwaltungsakts gleichgestellt wird, jedoch ihrer Ansicht nach wohl nur den Fall erfassen soll, dass aufgrund der Form auch ein materieller Verwaltungs­ akt vorliegt. Der Unterschied zum Scheinakt soll sein, dass die Behörde bewusst eine Erklärung, die sonst keinen Verwaltungsakt darstellen würde, „in die Form ei­ nes Verwaltungsakts kleidet“. Borchert, NJW 1972, S. 854 f. (855), hebt hervor, dass der Scheinakt und der formelle bzw. formale Verwaltungsakt identisch sind, der Be­ griff Scheinakt aber die wirklichkeitsnähere und daher bessere Bezeichnung darstelle. 204  So insbesondere Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 16 f., m. w. N. auf die von ihm als „h. M.“ bezeichnete Ansicht. Vgl. aber auch Kopp/Ram­ sauer, VwVfG, § 35 Rn. 3a. Eine andere Auffassung differenziert hingegen nicht zwischen der prozessualen und materiellen Wirkung und nimmt bei Verwendung der Verwaltungsaktform auch materiell einen Verwaltungsakt an, so Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533 ff. (533, 534 Fn. 14); BFH, NVwZ 1987, S. 1118 ff. (1119); VGH München, BayVBl 1996, S. 660 ff. (661 f.); OVG Schleswig, NJW 2000, S. 1059 f. (1060). 205  Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 3 f. und 52 ff.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 16. Siehe hierzu auch Schenke, NVwZ 1990, S.  1009 ff. (1011 ff.) und Kresser, Die Bedeutung der Form für Begriff und Rechts­ folgen des Verwaltungsakts, S. 39 ff., jeweils m. w. N. 206  s. hierzu Kresser, Die Bedeutung der Form für Begriff und Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, S. 39 ff. m. w. N., der allerdings den Begriff des materiellen Ver­ waltungsakts noch als häufig vertreten ansieht.



III. Der Nichtakt als Kehrseite des „formellen Verwaltungsakts“?109

hoheitlichen Handlungsform immer zur Folge hätte, dass sie auch materiell als solche zu qualifizieren wäre. Diese Auffassung widerspricht jedoch dem ausdrücklichen Wortlaut des § 35 VwVfG.207 Den „formellen Verwaltungs­ akt“ wird man demgegenüber, unabhängig davon wie auch immer man ihn dogmatisch sehen mag,208 durchaus als anerkannt zu bezeichnen haben.209 Sowohl die VwGO, das VwVfG als auch die Landesverwaltungsverfah­ rensgesetze verwenden den Begriff des Verwaltungsakts. Nach vielfach ge­ äußerter Ansicht ist der Gehalt des Begriffs jedoch nicht einmal in der VwGO und dem VwVfG zwingend kongruent.210 Diese Annahme eines divergierenden Begriffsverständnisses im Rahmen der VwGO und des VwVfG überrascht allerdings − da es sich bei beiden um Bundesgesetze handelt − vor dem Hintergrund der „Einheit der Rechtsordnung“211 wie auch dem Gedanken der Spiegelbildlichkeit von Prozessrecht und materiel­ lem Recht.212 Dogmatisch ist das uneinheitliche Verständnis des Verwal­ tungsaktbegriffs mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Zurückführen lässt sich diese Divergenz jedoch darauf, dass es aus Rechtsschutzperspektive notwendig sein kann, eine Maßnahme aufgrund ihres gegenüber dem Bürger erzeugten Rechtsscheins allein von ihrer faktischen Wirkung, nicht aber ihrer rechtlichen Einordnung her, zu betrachten.213 Zwar mag es Fälle geben, in denen die Form der Maßnahme dazu führt, dass auch nach materieller Beurteilung ein Verwaltungsakt vorliegt.214 Die­ auch Schenke, NVwZ 1990, S. 1009 ff. (1016). Auseinanderfallen von formeller und materieller Beurteilung einer Maß­ nahme als Verwaltungsakt ist nicht unkritisiert geblieben, vgl. Schenke, NVwZ 1990, S.  1009 ff. (1013 f.); Pestalozza, „Formenmißbrauch“ des Staates, S. 136 ff., siehe insbesondere auch Fn. 15 und Erfmeyer, DöV 1996, S. 629 ff., der aus Überlegungen der Rechtsscheinshaftung konstatiert, dass Förmlichkeiten bei einem Verwaltungsakt, der gerade keiner besonderen Form genügen muss, nicht die Rechtsscheinsvoraus­ setzungen erfüllen könnten und deshalb ein formeller Verwaltungsaktbegriff nicht anzunehmen wäre. 209  Er wird sogar als „ganz herrschende Meinung bezeichnet, vgl. Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 16. Aber auch Schenke, NVwZ 1990, S. 1009 ff. (1016), der die Ansicht im Übrigen eher kritisiert, räumt ein, dass es sich um eine vielfach vertretene Auffassung handele. 210  So etwa Rusteberg, ZJS 2012, S.  449 ff. m. w. N. 211  Vgl. Rusteberg, ZJS 2012, S. 449 ff. 212  Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 42 Rn. 7; Rusteberg, ZJS 2012, S. 449 ff. (454). 213  BVerwG, BayVBl 1974, S. 500 f. (501); BVerwGE 18, 1 (4 ff.); 18; 154 (155); 29, 207; 78, 3 (5 f.); VGH Kassel, NuR 1990, S. 380; OVG Greifswald, NVwZ-RR 2000, S. 780; BVerwG, NVwZ-RR 2005, S. 343; OVG Schleswig, NJW 2000, S. 1059. 214  Vgl. hierzu Schenke, NVwZ 1990, S. 1009 ff. (1011). 207  So

208  Das

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D. Nichtakt-Konstellationen

se Konstellationen sind mit dem Begriff des formellen Verwaltungsakts in­ des nicht gemeint. Der Begriff des formellen Verwaltungsakts beinhaltet vielmehr gerade, dass die materiellen Anforderungen des Verwaltungsaktbe­ griffs (§ 35 VwVfG) nicht erfüllt sind.215 Selbst wenn man dies im Detail nicht so sehen sollte, sondern den Begriff „formeller Verwaltungsakt“ vor allem zur Vereinfachung bei der Bestimmung der Klageart heranzieht und die materiellen Voraussetzungen lediglich nicht vertieft prüft,216 erfüllen jedenfalls nicht sämtliche sogenannten formellen Verwaltungsakte die mate­ riellen Voraussetzungen des § 35 VwVfG oder der entsprechenden Landes­ verwaltungsverfahrensgesetze. Für den materiellen Verwaltungsakt sind die dort genannten Merkmale aber Wesensvoraussetzung.217 Dies hat zur Folge, dass − sollten die Voraussetzungen des § 35 VwVfG nicht vorliegen − auch das gesamte Regelungsregime aus Teil III des VwVfG nicht greift. Ein formeller Verwaltungsakt erzeugt somit nur den Rechtsschein, ein Verwal­ tungsakt zu sein. Er erfüllt aber nicht seine materiell-rechtlichen Vorausset­ zungen und zieht daher auch nicht seine Rechtsfolgen nach sich. Nur pro­ zessual wird er dem materiellen Verwaltungsakt gleichgestellt. Der Unterschied zwischen der prozessualer und materieller Beurteilung einer Maßnahme beruht darauf, dass die Notwendigkeit bestehen kann, die Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürger zu erweitern.218 Durch die Anerken­ nung des formellen Verwaltungsakts wird die Möglichkeit ausgedehnt, eine Anfechtungsklage zu erheben. Die Annahme eines formellen Verwaltungs­ akts vereinfacht jedoch nur den Kontrolleinstieg, determiniert aber nicht das Ergebnis.219 Die Notwendigkeit, die Rechtsschutzmöglichkeiten auszuwei­ ten, lässt sich darauf zurückführen, dass die Anfechtungsklage einen vom Prüfungsumfang und der Kompetenz des Gerichts her betrachtet weiterge­ henden Rechtsbehelf darstellt als etwa die Nichtigkeitsfeststellungsklage oder die allgemeine Feststellungsklage. Sie ist rechtsschutzintensiver. Da − ausgelöst durch den hervorgerufenen Rechtsschein − Unklarheiten über die Rechtssituation bestehen können, ist ein derart weites Verständnis weiter­ 215  So auch Alemann/Scheffczyk, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 37. 216  Hierauf hinweisend Schenke, NVwZ 1990, 1009 ff. (1011). 217  Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 17. 218  Vgl. Schröder, JA 2007, S. 1 ff. (4). Vielfach dürfte diese Erwägung allerdings noch auf die Zeit zurückgehen, in der die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs vom Vorliegen eines Verwaltungsakts abhing. 219  Für die Wahl der Handlungsform des Verwaltungsakts muss aber eine Rechts­ grundlage bestehen, weil bereits die Wahl der Form nachteilige Wirkungen hervor­ rufen kann. Diese wird als Verwaltungsaktbefugnis bezeichnet, vgl. Druschel, Die Verwaltungsaktbefugnis, S. 258 ff. Aus diesem Grund sind formelle Verwaltungsakte grundsätzlich rechtswidrig.



III. Der Nichtakt als Kehrseite des „formellen Verwaltungsakts“?111

führend. Zwar könnte diese Problematik dogmatisch auch anders gelöst werden – etwa durch eine Auslegung respektive Umdeutung des Antrags oder einen richterlichen Hinweis im Verfahren.220 Dieser Weg ist zum einen angesichts der hierdurch hervorgerufenen Probleme im Rahmen der Kosten­ verteilung, die dadurch verursacht werden, dass bei einer Klageänderung zu beurteilen ist, ob ein Minus zum vorherigen Begehr vorliegt oder der geän­ derte Antrag faktisch identisch ist, aber ebenso mit Schwierigkeiten behaftet. Auch diese Lösung sorgt somit für gewisse „Reibungen“ mit anderen Sys­ temvorgaben.221 Zum anderen ist aber die materielle Beurteilung, ob es sich um einen rechtswidrigen bzw. nichtigen Verwaltungsakt oder einen Nichtakt bzw. Realakt der Behörde handelt, teilweise mit komplexen tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen und Beweislasten verbunden, die angesichts der möglicherweise drohenden Bestandskraft dem Bürger nicht zugemutet werden können. Angesichts der Gefahr einer materiell-rechtlich nicht kor­ rekten Beurteilung wird der Akt daher prozessual als Verwaltungsakt aner­ kannt und erst im Rahmen der Begründetheit der Anfechtungsklage geklärt, ob auch nach materiell-rechtlicher Beurteilung ein Verwaltungsakt vorliegt. Rechtfertigen lässt sich die Annahme eines formellen Verwaltungsakts auch dadurch, dass die handelnde Behörde durch die Wahl der falschen Rechts­ form den Anschein des Vorliegens eines Verwaltungsakts verursacht hat und sich deshalb hieran festhalten lassen muss.222 Sämtliche dieser Erwägungen würden − verstünde man ihn in dem skiz­ zierten weiten Sinn  − auch für den Nichtakt gelten. Der Figur des Nicht­ akts könnten sämtliche Fälle, in denen nur der Anschein des Vorliegens eines Verwaltungsakts hervorgerufen wird, zuzuordnen sein. In diesem Fall würde der Nichtakt eine Art materiell-rechtliche Kehrseite des formellen Verwaltungsakts, der als rein prozessualer Begriff verwendet wird, darstel­ len.223

auch hinweisend M. Nolte, NordÖR 1999, S. 447 f. (448). besteht die Möglichkeit über § 155 Abs. 4 VwGO die Kosten dem Staat aufzuerlegen. Dies gilt unabhängig davon, ob man von einer Teilabweisung des Antrages oder einer Umstellung ausgeht. 222  Vgl. Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 17; A. Lübbe, BayVBl 1995, S. 97 ff. (99). 223  Eine vom Nichtakt gerade erfasste Fallgruppe wird aus dem im Übrigen wei­ ten Verständnis des formellen Verwaltungsakts allerdings teilweise ausgeschlossen. Wenn die Maßnahme nicht von einer Behörde erlassen wurde, könne sie nicht als formeller Verwaltungsakt qualifiziert werden, vgl. Kresser, Die Bedeutung der Form für den Begriff und die Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, S. 51. 220  Hierauf

221  Allerdings

112

D. Nichtakt-Konstellationen

IV. Systematisierung der Anwendungskonstellationen Die Analyse der dem Nichtakt zugeordneten Konstellationen hat gezeigt, dass der Anwendungsbereich der Figur derzeit äußerst disparat ist. Sie er­ fasst sehr unterschiedliche rechtliche Aspekte,224 die von aus verschiedens­ ten Gründen rechtsunerheblichen Handlungen der Staatsträger, über dem Staat nicht zurechenbare Akte bis hin zu Fehlern in der Rechtsformenwahl reichen. Teils liegt ein Fehlverhalten der Behörde vor, etwa weil sie eine falsche Rechtsform verwendet hat oder ihr Fehler bei der Bekanntgabe unterlaufen sind, die dazu geführt haben, dass der Akt nicht wirksam ge­ worden ist. Andernteils hat der Staat hingegen überhaupt nicht gehandelt, sondern es geht um Fälle der Amtsanmaßung oder aber um sonstige Kons­ tellationen, in denen das Handeln eines Privaten dem Staat nicht zugerech­ net werden kann. Zurückführen mag man den weit gefächerten Anwen­ dungsbereich darauf, dass sich die Bedeutung der Einordnung einer Hand­ lung als Verwaltungsakt mit der Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten verändert hat. Ein weiterer Grund hierfür ist, dass der Nichtakt gemeinsam mit der auf den Verwaltungsakt bezogenen Fehlerfolgenlehre entwickelt wurde und sich erst nach und nach hiervon gelöst hat wie auch, dass der Begriff „Nichtakt“ partiell als Begriff für sämtliche Akte, die keinen Ver­ waltungsakt darstellen, verwendet wird.225 Die Kenntnis dieser Gründe hilft dabei, sich den Anwendungsbereich und damit gleichzeitig das Begriffsver­ ständnis zu vergegenwärtigen. Wenn es darum geht, den Nichtakt als eigene dogmatische Figur zu erfassen, führt dies aber nur in begrenztem Umfang weiter. Notwendig erscheint demgegenüber die bereits in drei Gruppen unterteil­ ten, dem Nichtakt zugeordneten Konstellationen auf ihre jeweiligen Ge­ meinsamkeiten zurückzuführen und die Hintergründe offenzulegen, warum sie der Figur zugeordnet werden. Diese Lichtung der unübersichtlichen Einzelaspekte mittels Reduktion auf drei Gesichtspunkte hilft dabei, zu beurteilen, inwieweit die drei verschiedenen Fallgruppen rechtlich identisch zu behandeln und deshalb einer dogmatischen Figur zuzuordnen sind. Nur im Falle einer zumindest vergleichbaren juristischen Fragestellung, Rechts­ folge oder sonstiger Ähnlichkeit der Konstellationen kann dem Nichtakt eine dogmatische Funktion beigemessen werden. Denn Aufgabe der Dog­ matik ist es, eine Vielzahl von Fragestellungen, die zumindest ähnliche Rechtsprobleme aufwerfen, unter einem Rechtsbegriff zusammenzufassen.226 auch Nolte, NordÖR 1999, S. 447 ff. (447). hierzu B. I. 2. 226  Zu der Funktion von Dogmatik allgemein siehe Rüthers/Fischer/Birk, Rechts­ theorie, Rn. 321 ff. sowie Kersten, Rescriptum 2012, S. 67 ff. Speziell in Bezug auf 224  Vgl.

225  Siehe



IV. Systematisierung der Anwendungskonstellationen113

Im Falle zu starker Divergenzen zwischen den Fallgruppen sind die Kons­ tellationen in verschiedene Untergruppen aufzuspalten, um auf diese Weise zu ermöglichen, dass einer Figur einheitliche Rechtsfolgen sowohl prozes­ sualer als auch materieller Natur zugeordnet werden können.227 Sollte der Nichtakt diese Funktion angesichts seines derzeitigen weiten Anwendungs­ bereichs nicht erfüllen können, ist er folglich entweder neu zu bestimmen, indem die ihm zugeordneten Anwendungsfälle aufgeteilt und verschiedenen Rechtsbegriffen zugeordnet werden, oder aber nicht als dogmatische Figur zu begreifen. Der Nichtakt wäre in letzterem Fall eine bloße Auffangkate­ gorie für verschiedene Rechtsscheintatbestände. Ein hierüber hinausgehen­ der, eigenständiger dogmatischer Gehalt könnte der Figur dann nicht zuge­ schrieben werden. 1. Der Handlungsbegriff Der erste Komplex, der der Figur des Nichtakts zugeordnet wird, betrifft Fälle, in denen keine rechtserhebliche Handlung228 gegeben ist. Für diese Gruppe ist somit relevant, wann das Recht ein Verhalten als Handlung an­ sieht und unter welchen Voraussetzungen der Handlung beigemessen wird, rechtserheblich zu sein. Der Handlungsbegriff kann im Recht aus zwei unterschiedlichen Perspek­ tiven betrachtet werden: Grundlage des Handlungsbegriffs ist einerseits die Überlegung, dass durch das Recht menschliches Verhalten gesteuert werden soll.229 Aus diesem Grund werden nur Verhaltensweisen unter den Begriff der Handlung gefasst, die willensgelenkt sind.230 Auf dieser Erwägung be­ ruhen strafrechtliche und zivilrechtliche Handlungsbegriffe. Hierauf basiert etwa auch die Überlegung, dass in Fällen des fehlenden Handlungs- oder Erklärungswillens die Rechtserheblichkeit der Handlung zu verneinen ist. die Speicherfunktion vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533 ff. (533 ff.). Vgl. zu den unterschiedlichen Verständnisvarianten des Begriffs Dogmatik etwa Lepsius, Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof/Magen/Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, S.  39 ff. (40 ff.). 227  Die Grenzen, wann eine Differenzierung zu erfolgen hat und unter welchen Umständen weitere Differenzierungen die Dogmatik aushöhlen, dürften allerdings fließend sein. Zur Kritik an der Dogmatik aufgrund von „Rationalitätsverlusten durch Entdifferenzierung“ siehe beispielhaft Lepsius, Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof/‌Magen/‌Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, S. 39 ff. (54 ff.). 228  Zur Bedeutung des Handlungsbegriffs für das Rechtssystem siehe Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 23. 229  Vgl. Weinberger, Norm und Institution, S. 139. Dies kann man als die Adap­ tionsfolgen eines Rechtsbegriffs bezeichnen, vgl. Lübbe-Wolff, Rechts- und Realfol­ gen, S.  139 ff. 230  Weinberger, Norm und Institution, S. 139.

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D. Nichtakt-Konstellationen

Nicht willensgesteuerte Aktionen können nicht sinnvoll reglementiert wer­ den, wenn es darum geht, die Befolgung bestimmter Voraussetzungen si­ cherzustellen. Mit Ausnahme einiger Sonderkonstellationen − etwa der fehlerhaften Bekanntgabe231 wie auch den als Anwendungsfälle der Nicht­ aktdogmatik abgelehnten Konstellationen im Rahmen von fingierten Ver­ waltungsakten − kreisen sämtliche der Fälle, welche der ersten Konstella­ tion zugeordnet wurden, um die Erwägungen, ob überhaupt eine Handlung im Rechtssinne vorliegt. Letztere Fälle betreffen demgegenüber allein die Rechtserheblichkeit einer Handlung. Doch passt dieser insbesondere im Straf- und Zivilrecht entwickelte Ge­ danke der Willensgelenktheit ebenfalls als Voraussetzung für das Vorliegen eines Rechtsakts in Abgrenzung zum Nichtakt? Aspekte der Steuerung des Handelns können bei der Qualifikation als Rechtsakt jedenfalls keine gesteigerte Rolle spielen, sollte die Qualifikation als Nichtakt nicht zur Steuerung der Verwaltung, sondern als übergeordnete Kategorie dienen. Die Qualifikation eines Umstands als Rechtsakt kann nicht damit zusammenhängen, den Staat in seinem eigenen Handeln zu steuern.232 Diese Überlegung wäre zirkelschlüssig, da sie die Rechtserzeu­ gung selbst betrifft. Die rechtliche Steuerungsperspektive kann nicht der Frage vorgelagert sein, was als Rechtsnorm anzusehen ist. Die Wahl einer derartigen Steuerungsperspektive passt deshalb nur sehr eingeschränkt, wenn es darum geht, die Frage des Vorliegens eines Rechtsakts zu beant­ worten. Dieser Gesichtspunkt trägt die Anknüpfung an den straf- wie auch zivilrechtlich geprägten Handlungsbegriff demzufolge nicht. Es muss daher nach einem anderen Grund gesucht werden, um zu erläu­ tern, warum bestimmte nach außen den Anschein eines Rechtsakts erwe­ ckende staatliche Vorgänge nicht als Handlung qualifiziert werden sollen.233 Argument hierfür kann nur sein, dass der Willensbildungsprozess des Staa­ tes eines besonderen Schutzes bedarf. Warum dies jedoch auf der Ebene des Vorliegens einer Handlung angesiedelt werden sollte und nicht auf Ebene der Rechtmäßigkeit, bleibt unklar. Dies gilt umso mehr als dem Staat weite Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den Anschein seines Handelns zu be­ seitigen. Dieser Gesichtspunkt steht in Zusammenhang mit einem weiteren 231  In Bezug auf das Fehlen des Bekanntgabewillens und damit die Frage, ob überhaupt eine Bekanntgabe vorliegt, geht es aber gerade um eine parallele Kon­ struktion zum Zivilrecht und daher die Frage, ob überhaupt eine Handlung vorliegt. 232  Dazu, dass sich der Begriff der Handlung in unterschiedlichen Kontexten – nämlich als Quelle von Recht, als Gegenstand von Recht und als Anknüpfung von Recht – finden lässt, s. Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S.  23 ff. 233  Zur Relevanz des Willens und der Willensbildung der Verwaltung s. aber Ernst, Die Verwaltungserklärung, S.  136 ff.



IV. Systematisierung der Anwendungskonstellationen115

Aspekt, der auch den zivilrechtlichen Handlungsbegriff in weitem Umfang dominiert: Grundlage des Handlungsbegriffs ist in diesem Bereich nicht nur die Steuerungsperspektive, sondern sind insbesondere auch Überlegungen der Privatautonomie und Selbstverantwortung.234 Ob diese im Öffentlichen Recht wirklich in derselben Weise greifen, ist problematisch. Nicht der Willenscharakter prägt staatliche Akte vornehmlich,235 sondern Fragen der Rechtmäßigkeit.236 Der Wille des Staates wird auf andere Weise konstruiert als der einer natürlichen Person im Zivil- oder Strafrecht. Hierbei mag man zwar in der Auffassung nicht so weit gehen wie Kelsen und jegliche Wil­ lenskomponente in Bezug auf den Staat − mit Ausnahme von Rechtsnor­ men  − ablehnen.237 Seine Auffassung beruht vornehmlich ohnehin wohl darauf, dass er meint, es bedürfe im Rahmen der Verwaltung überhaupt keiner Willensbildung, da lediglich Gesetze umgesetzt würden. Nicht nur angesichts sprachtheoretischer Einsichten, sondern auch aufgrund des viel­ fach eröffneten Ermessens bzw. Beurteilungsspielraums überzeugt diese Überlegung nicht. Die heftige Kritik Kelsens an der Willenstheorie beleuch­ tet aber dennoch einen weiterführenden Aspekt, nämlich dass der Willens­ bildungsprozess des Staates ein anderer sein bzw. eine andere Bedeutung haben könnte als im Zivil- und Strafrecht.238 Möglicherweise muss im Öf­ fentlichen Recht der Willensbildungsprozess daher auf andere Weise ge­ schützt werden als über den Handlungsbegriff,239 sodass sich schon aus diesem Grund an der Einordnung der ersten Gruppe als Nichtakt generell zweifeln lässt. Hierüber hinausgehend ist aber außerdem festzuhalten, dass den fragli­ chen Fällen, die um die Problematik des Vorliegens einer rechtserheblichen hierzu Werba, Willenserklärung ohne Willen, S. 17 f. und 35 ff., m. w. N. auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 448; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 459 ff.; Bernatzik, Rechtskraft, S. 208 ff. Zu dieser Problematik siehe auch D. I. 2. 236  Aus diesem Grund wird auch die Stellvertretung nicht allein über den Willen, sondern vor allem die Organisation und deren Regelungen konstruiert, vgl. hierzu Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 78 ff. 237  Der folgende Auffassung vertritt: „der psychische Wille, den das Organ als Mensch produziert, (ist) für die Zurechnung völlig gleichgültig“, „der psychische Wille des Organs wird bei diesem Vorgange geradezu eliminiert, juristisch (wird) nur der äußere Tatbestand der Handlung erfaßt und dem Staate zugerechnet“, so Kelsen, Hauptprobleme des Staatsrechts, S. 461. 238  Dies kommt auch in der Zurechnungskonstruktion teils zum Tragen, vgl. Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 58. 239  Dies führt auf den Streit zur Konstruktion des Staatswillens und hierüber zur Staatsstruktur als solcher zurück, dem hier jedoch − um den Fokus nicht aus den Augen zu verlieren − nicht weiter nachgegangen werden kann. Zu diesem Hinter­ grund s. aber Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 79 ff. 234  Vgl. 235  So

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D. Nichtakt-Konstellationen

Handlung kreisen, jedenfalls ein staatliches Moment innewohnt. Selbst wenn das Verhalten entweder nicht als Handlung zu qualifizieren ist oder ihm keine Rechtserheblichkeit beigemessen wird, ist der erzeugte Rechts­ schein in sämtlichen Fällen240 dem Staat zuzuschreiben. Dies unterscheidet die erste Fallgruppe in jedem Fall von der zweiten, nunmehr zu erörternden Konstellation, dem Fehlen einer staatlichen Handlung. 2. Zurechnungsprobleme Bei der zweiten Gruppe, die unter die Figur des Nichtakts gefasst wird, handelt es sich um dem Staat nicht zurechenbare Handlungen.241 Zwar mö­ gen in diesen Konstellationen Private für und im Namen des Staates tätig werden, ihre Handlungen sind dem Staat jedoch nicht zurechenbar. Sie sind weder als staatliche Handlungen anzusehen, noch können sie aufgrund des erzeugten Anscheins der Staatlichkeit als rechtserhebliche Privatakte be­ trachtet werden. Sie entbehren daher jeglicher Rechtserheblichkeit und sind aus diesem Grund als Nichtakte zu klassifizieren. Der Staat hat mangels Zurechenbarkeit − versteht man die Zurechnung wie das Bundesverwal­ tungsgericht weit − weder auf Primärebene noch auf Sekundärebene für sie einzustehen.242 Er hat nicht einmal einen Anlass dafür geschaffen, dass ein Privater für ihn aufgetreten ist. 3. Auseinanderfallen von Form und Gehalt staatlicher Handlungen Die als dritte Gruppe bezeichnete Konstellation erfasst generell das Aus­ einanderfallen von Form und Gehalt einer staatlichen Handlung. Damit nimmt sie die beiden vorgenannten Gruppen grundsätzlich in sich auf, er­ weitert diese aber um die Wesensmerkmale der jeweils fraglichen öffentlich240  Die Bekanntgabefälle sind in dieser Hinsicht aufzuspalten, da in Bezug auf abhandengekommene Erklärungen Zurechnungsprobleme aktuell werden. Da in die­ sen Fällen jedoch eine Zurechnung zum Staat im Ergebnis vorzunehmen ist, weil die Erklärungen aus seinem Hoheitsbereich stammen, führt dies letztlich zu keinen Unterschieden. Siehe hierzu auch die Differenzierung in D. I. 1. 241  Zwar kann die Frage danach, ob eine Handlung vorliegt, auch als Zurech­ nungsaspekt begriffen werden, hierbei handelt es sich jedoch um eine andere Form der Zurechnung als die hier unter dem Begriff der Zurechnung verhandelte Frage, ob das Verhalten einer natürlichen Person dem Staat zuzurechnen ist. Vgl. zur Frage der Zurechnung von wahrnehmbaren Ereignissen zu einer Person Reimer, Zur ­Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 23 ff. A. A. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 298, der den Begriff der Zurechnung deutlich weiter versteht und auch die Bekanntgabefälle hierunter fasst. 242  Zur Zurechnung siehe E.



IV. Systematisierung der Anwendungskonstellationen117

rechtlichen Handlungsform. Im Hinblick auf Verwaltungsakte wäre ein Nichtakt somit nicht nur anzunehmen, wenn keine Behörde gehandelt hat, sondern auch, wenn die Maßnahme beispielsweise keine Außenwirkung hat oder aber keine Regelung trifft, obwohl sie äußerlich den Anschein erweckt, ein Verwaltungsakt zu sein. Unabhängig davon, ob die Handlung materiell möglicherweise als andere Handlungsform des Staates zu qualifizieren ist, handelt es sich dieser weiten Ansicht zufolge um einen Nichtakt, weil, obgleich formell betrachtet eine bestimmte Handlungsform gewählt wurde, diese materiell nicht gegeben ist. Mit der dritten der Figur des Nichtakts zugeordneten Variante werden somit sämtliche Rechtsscheinakte der Figur des Nichtakts zugeordnet. 4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Konstellationen Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede weisen diese drei unterschiedlichen Fallgruppen folglich auf? Als kleinster gemeinsamer Nenner der ersten beiden Konstellationen konnte ausgemacht werden, dass ihnen auf Primärebene keine Rechtsfolgen beigemessen werden. Insoweit ergibt sich eine Überschneidung zwischen rechtsunerheblichen Handlungen des Staates und dem Staat nicht zurechen­ baren Handlungen, die jedoch den Anschein der Staatlichkeit erwecken. Im Übrigen unterscheiden sich die Anwendungsfälle der zwei Kategorien aber erheblich. Bei der Frage des Handlungsbegriffs und der Zurechnung handelt es sich nicht um bloße Perspektivunterschiede auf das Problem nicht rechts­ erheblichen Handelns. Zwar führen sie beide im Ergebnis dazu, dass keine rechtserhebliche Maßnahme vorliegt. Dies beruht jedoch auf sehr unter­ schiedlichen Argumenten. Aus dogmatischer Sicht könnte es daher womög­ lich lohnend sein, nicht lediglich das Ergebnis der rechtlichen Bewertung auf Primärebene zu betrachten, sondern die verschiedenen Aspekte als ei­ genständige, divergierende Rechtsfragen wahrzunehmen. Mit der dritten Gruppe, welche Fehler in der Rechtsformenwahl des Staa­ tes erfasst und dafür sorgt, dass der Nichtakt weitestgehend mit den zu formellen Verwaltungsakten angestellten Erwägungen übereinstimmt, hat die zweite Fallgruppen noch weniger gemein. Zwar wird in den Fällen des dritten, dem Nichtakt zugeordneten Komplexes den Akten ebenfalls keine Rechtswirkung beigemessen, weil sie keinen Regelungscharakter im Außen­ verhältnis aufweisen.243 Es handelt sich jedoch um vom Staat inhaltlich so 243  Vgl. zum fehlenden Regelungscharakter dieser Fälle Remmert, Schlichtes Ver­ waltungshandeln, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 36 Rn. 1.

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D. Nichtakt-Konstellationen

intendierte Akte, die lediglich aufgrund ihrer Form Besonderheiten aufwei­ sen. Ein − neben den fehlenden Rechtswirkungen − weiteres einendes Moment sämtlicher Konstellationen ist überdies, dass der bloße Rechts­ schein einer bestimmten staatlichen Handlung erzeugt wird. Fasste man sämtliche der genannten Fälle unter den Begriff des Nicht­ akts, umfasste dieser demzufolge solche Akte, die lediglich dem Rechts­ schein nach eine bestimmte staatliche Handlungsform verkörpern, wodurch faktische Wirkungen hervorgerufen werden, die dem Akt tatsächlich indes nicht zukommen. Die Kategorie des Nichtakts wäre demnach zum einen darauf ausgerichtet, rechtliche Modi unter einem Begriff zusammenzufas­ sen, die sich darum drehen, wie mit Rechtsscheintatbeständen umzugehen ist. Dieser Aspekt der Figur weist eine eher prozessuale Prägung auf,244 da die materielle Beurteilung − sowohl was die Primär-, als auch die Sekun­ därebene angeht − stärker davon beeinflusst ist, aus welchen Gründen nur der Rechtsschein einer bestimmten Handlung hervorgerufen wird. Diese Faktoren legen es nahe, von einem „Scheinakt“ anstelle eines „Nichtakts“ zu sprechen. Zum anderen aber wäre, verstünde man die Figur in dieser Weise, sämt­ lichen der erfassten Akten ebenfalls gemein, dass sie keine unmittelbaren Rechtsfolgen hervorrufen. Dieser Aspekt betrifft eher die materiellen Fol­ gen, die der Figur zugeschrieben werden. Diese Wirkung entspricht insofern eher der mit dem Begriff „Nichtakt“ implizierten Aussage als mit dem Begriff des Rechtsakts generell verbunden wird, dass er Rechtsfolgen zei­ tigt. Die divergierende Begriffsverwendung von Nichtakt und Scheinakt erklärt sich demzufolge auch daraus, ob eher prozessuale Fragen oder ma­ terielle Aspekte in den Vordergrund gerückt werden. Ungeachtet der zunächst disparat erscheinenden Anwendungsfälle konn­ ten im Ergebnis somit zwei einende Gesichtspunkte der Konstellationen festgestellten werden. Trotz der möglichen Erklärung sowohl des Begriffs Nichtakt als auch der Bezeichnung Scheinakt sowie der zwischen den Kon­ stellationen herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten könnten die aufgezeigten Unterschiede der verschiedenen Fallkonstellationen aber nahe legen, dass zwar hinsichtlich des hervorgerufenen Rechtsscheins wie auch der Rechts­ folgen auf Primärebene gewisse Überschneidungen der Fallgruppen beste­ hen, es jedoch überzeugende Gründe dafür gibt, zwischen ihnen zu diffe­ renzieren.

244  Das Vorliegen einer prozessualen Prägung der Betrachtung legt die ausdrück­ liche Ausrichtung der wenigen Beiträge zu Nichtakten nahe, vgl. Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (602).

E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat Ein Nichtakt liegt nach dem bisher Gesagten insbesondere vor, wenn zwar der Anschein einer staatlichen Handlung erzeugt wird, die fragliche Handlung dem Staat aber nicht zurechenbar ist, sondern sich als Handlung eines Privaten darstellt.1 Für den Anwendungsbereich des Nichtakts ist des­ halb entscheidend, unter welchen Umständen Handlungen als Staatshand­ lungen anzusehen sind.2 Die allgemeine Aussage, dass Rechtsgründe dafür bestehen müssen, die Handlung dem Staat zuzurechnen, verbleibt in Bezug hierauf zu allgemein.3 Eine Zurechnungstheorie ist diesbezüglich zwar ins­ besondere von H. J. Wolff entwickelt worden,4 die genaue Reichweite der 1  Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 210; Kübler, Die Zeichnungsbe­ fugnis im öffentlichen Recht, S. 545 f. Dieser Anwendungsbereich des Nichtakts klingt bereits bei Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 228 an. Er verwendet aber nicht den Begriff Nichtakt und setzt sich auch nicht mit sämtlichen des Weiteren ihm zugeordneten Konstellationen auseinander. Die Zurechnungsfrage wird aber dezidiert angesprochen und darauf verwiesen, dass Handlungen von Pri­ vaten für die Verwaltung „grundsätzlich solange irrelevant [seien], als diese ihrer­ seits nichts dazu getan hat, derartigen Handlungen einen äußeren Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben.“ Ausgeprägter noch als bei Forsthoff wird dieser Anwen­ dungsbereich von Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, Ein Lehrbuch, § 21 Rn. 189 hervorgehoben: „Um einen Nichtakt handelt es sich, wenn eine Maßnahme unter keinem nur möglichen Blickwinkel einer Behörde zugerechnet werden kann.“ Im Rahmen der Fn. 225 relativiert Achterberg seine enge Bestimmung des Nichtakts allerdings dahingehend, dass auch behördliche Scherzerklärungen hierunter fielen. Diesen Anwendungsbereich hält er allerdings wohl für unmaßgeblich, sodass die Ergänzung in eine Fußnote verbannt wurde. Vielfach bleiben die positiven bzw. negativen Erwägungen, selbst wenn sie sich mit Zurechnungsfragen auseinandersetzen aber bei dieser oberflächlichen Differen­ zierung, vgl. hierzu Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwaltungsrecht, S. 158 f. 2  Die im Völkerrecht herrschende, weitergehende Zurechnungstheorie wird im Folgenden nicht untersucht, da im Völkerrecht einerseits aufgrund seiner Stoßrich­ tung und andererseits aufgrund der Überordnung gegenüber Nationalstaaten ein an­ deres Zurechnungsregime gilt. Zu deren Grundlagen siehe zusammenfassend Hof­ mann, Jura 2012, S. 349 ff., m. w. N. Bereits Kelsen, Über Staatsunrecht, Grünh. Zeitschr., Band 40 (1914), S. 1 ff. (95 ff.) hat auf die Divergenzen der Zurechnung im Völkerrecht hingewiesen. 3  Dies wurde jedoch einmal als allgemeinste über Staatshandlungen mögliche Aussage angesehen, vgl. Riemer, Der gegenwärtige Stand der Lehre vom fehlerhaf­ ten Staatsakt, S. 4. 4  Grundlegend Wolff, Organschaft und juristische Person, Band 1 und 2, passim.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

Zurechnung wurde vor allem in Bezug auf Rechtsscheingesichtspunkte al­ lerdings nicht absolut präzise und lückenlos herausgearbeitet.5 Hinsichtlich der Einbeziehung Privater in die Erfüllung staatlicher Aufgaben sind eben­ falls noch einige Fragen in Bezug auf die Zurechenbarkeit ihrer Handlungen bzw. deren Rechtsfolgen offen.6 Dies betrifft insbesondere die Figur des Verwaltungshelfers. Im ersten Schritt ist, wenn es darum geht sich über die Zurechnung von Handlungen zum Staat in Bezug auf den Nichtakt Gedanken zu machen, zu unterscheiden, ob die Maßnahme nach außen ein Staatsorgan als Entschei­ dungsträger ausweist oder ein Privatrechtssubjekt. Wenn ein Privatrechts­ subjekt in eigenem Namen handelt, kann die Handlung nur dann als Staats­ akt qualifiziert werden, wenn der Private beliehen wurde oder aber zumin­ dest beliehen werden sollte. Mit letzterem Gesichtspunkt sind die Fälle der fehlerhaften Beleihung angesprochen.7 Grund für diese Differenzierung ist, dass bei der Beleihung eine speziel­ le Form der Zurechnung vorzunehmen ist, da die Handlungen dem Staat nicht über weitere Organe zugerechnet werden, sondern sozusagen ein neu­ er staatlicher Akteur geschaffen und dem Staat angegliedert wird.8 Dies erfolgt durch die Übertragung von hoheitlichen Kompetenzen auf einen Privaten.9 Es geht bei der Beleihung deshalb um Zurechnung im Sinne von Zuordnung, also um die Frage, ob eine Person im Rahmen ihrer Handlung dem Staat zugehörig ist,10 nicht aber um die Zurechnung von Handlungen natürlicher Personen zum Staat, etwa auf der Grundlage von Vertretungser­ wägungen.11 Darüber hinausgehend ist eine Staatshandlung nur gegeben, wenn die Handlung einer natürlichen Person einem Staatsorgan und hierüber dem 5  Auf dieses Defizit und den Erkenntnisgewinn einer solchen Analyse hinwei­ send Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre, in: Becker-Schwarze/Köck/ Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 25 ff. (29); Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 195; im Hinblick auf die organisationsrechtliche Zurechnungskonstruktion bei Verwaltungshelfern Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 261 ff. 6  Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 260 ff. 7  Siehe hierzu auch D. II. 4. 8  Vgl. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S.  248  f.; Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (243). Ob überhaupt irgendeine Zurech­ nung zum Staat mit Ausnahme des Beleihungsakts stattfindet, ist umstritten, vgl. Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (116 f.). 9  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (115). 10  Vgl. zu den Begriffen der Zurechnung und Zuordnung Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 67. 11  Siehe zu dieser Unterscheidung auch Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (115); Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (241).



E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat121

Staat zuzurechnen ist.12 Eine Zurechnung liegt somit vor, wenn die „von einem Rechtssubjekt, dem Verhaltenssubjekt, gesetzten oder bei diesem vorhandenen jeweils rechtlich relevanten Umstände, der Zurechnungsgegen­ stand, auf ein Rechtssubjekt, das Zurechnungssubjekt, projiziert werden.“13 Hintergrund der Zurechnung sind daher Fragen der Vertretung im weiteren Sinne.14 Demnach geht es, sollte eine Handlung eine Behörde als Entschei­ dungsträger ausweisen, um Fragen der Zurechnung respektive Vertretung, während sich beim Tätigwerden einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts im eigenen Namen die Frage stellt, ob die Person dem Staat zuzuordnen ist.15 Inzident können sich aber auch hier Zurechnungsfra­ gen stellen, insbesondere, wenn es darum geht, ob die Handlung einer na­ türlichen Person wiederum einer beliehenen juristischen Person des Privat­ rechts zuzurechnen ist. Die Zurechnung einer Handlung zum Staat hängt nicht davon ab, wer die Maßnahme inhaltlich bestimmt hat, sondern ob sie letztendlich von einer Person ausgegangen ist, die dazu berechtigt ist, für und im Namen einer Behörde zu handeln.16 Es geht somit eher um formelle denn materielle Zuordnungsaspekte.17 Daher ist auf die letztverantwortlich handelnde natür­ liche Person hinsichtlich der Zurechnung abzustellen, nicht aber auf zuvor geleistete Teilbeiträge.18 Der Aspekt der Zurechnung ist eine Frage der Berechtigung, für und im Namen der Behörde zu handeln.19 Bezüglich der Berechtigung zum Handeln für und im Namen der Behör­ de ist zu unterscheiden, ob ein Amtsträger gehandelt hat oder aber ein 12  Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 146. Zu den Unterschieden dieser Zurech­ nungsmodi siehe auch Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 32 Rn. 3. 13  Reinhardt, Wissen und Wissenszurechnung im öffentlichen Recht, S. 40 f. Es geht somit um Erwägungen der Stellvertretung im weiteren Sinne, vgl. zu diesem Begriff und seinem rechtstheoretischen Hintergrund Wahl, Stellvertretung im Verfas­ sungsrecht, S.  64 ff. 14  Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 540. 15  Andeutungsweise so auch Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 271. Zu dieser Unterscheidung siehe auch die Differenzie­ rung zwischen der fehlerhaften und fehlenden Beleihung unter D. II. 4. 16  Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 53; Brohm, HStR II, 1. Aufl., § 36 Rn. 42. A. A. wohl Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 230 ff. und S. 254 ff. 17  Hierzu näher noch unter E. I. 2. und 3. sowie E. III. 5. 18  Zur Notwendigkeit eines fixierbaren Anknüpfungspunkts für die Zurechnung s.  Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 46; andeutungsweise auch Bryde, Zentrale wirtschaftspolitische Beratungsgremien in der parlamentari­ schen Verfassungsordnung, S.  140 f. A. A. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 299 ff. im Hinblick auf private Beiträge, die von „entscheidendem“ Einfluss sind. 19  Vgl. Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 33.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

­externer/„echter“20 Privater.21 Schon die Zurechnung der Handlungen von Amtsträgern wird im Verwaltungsorganisationsrecht selten vertieft behan­ delt.22 Insbesondere sind die Folgen von Überschreitungen der zugewiese­ nen Zuständigkeiten durch Amtsträger umstritten. In Bezug auf die Hand­ lungen Privater ist die Zurechnungstheorie zudem vor die komplexe Aufga­ be gestellt, die Vermischung von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre, zu der es durch die Aufgabenübertragung an externe Private gekommen ist, zu entzerren und Verantwortungsbereiche sachgemäß zuzuordnen. Dabei sind sogar drei Sphären im Blick zu behalten: Der Staat kann nicht für jede Handlung eines Privaten verantwortlich gemacht werden. Gleichzeitig sind aber sowohl die Person, die vom Staat veranlasst wurde, für ihn zu handeln, als auch vor allem der von der zumindest scheinbaren Staatshandlung Be­ troffene möglicherweise in ihrem Vertrauen darauf schutzwürdig, dass eine staatliche Handlung vorlag. Im Rahmen der Herausarbeitung von Zurech­ nungskriterien ist deshalb zu beachten, welche Auswirkungen die Annahme bzw. Ablehnung der Zurechnung der Handlung zum Staat auf der Primär-, aber auch auf der Sekundärebene hat. Insoweit erscheint eine Kombination von Maßstäben, die für die Zurechnung in unterschiedlichen Kontexten herangezogen werden, als angebracht.23 Die verschiedenen in Ansatz ge­ brachten Zurechnungskriterien sind aus diesem Grund hinsichtlich ihrer rechtsdogmatischen und rechtstheoretischen Begründung zu untersuchen. Die Zurechnung wird vor allem im Rahmen von Haftungsfragen als rele­ vant angesehen,24 weshalb sich in diesem Rahmen ausgearbeitetere Zurech­ nungsmodelle finden. Die Zurechnung von Handlungen bzw. deren recht­ lichen Wirkungen und damit gleichzeitig auch ihren Folgen zum Staat auf Primärebene25 hat zur Folge, dass der Staat im Falle ihrer Rechtswidrigkeit auf Sekundärebene möglicherweise haftet.26 Lehnt man die Zurechnung ei­ die Formulierung von Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (114). dieser Weise argumentierend Ossenbühl/Cornils, Staatshaftung, S. 26 f. und 29; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 271 und 340 ff. 22  Vgl. zu dieser Feststellung Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungs­ recht als Ordnungsidee, S. 241. 23  Dies fordert auch Hebeler, JuS 2012, S. 479 f. (480). 24  Vgl. zur Verknüpfung von Zurechnung und Haftung Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112  ff. (112, 118); Kümper, Risikoverteilung im Staatshaftungsrecht, S. 215 ff. so bereits auch E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Band, S. 681. 25  Allerdings wird von der Rechtsprechung im Staatshaftungsrecht auch bei der Verwaltungshilfe nicht die Handlung zugerechnet und deshalb eine Ausübung eines öffentlichen Amtes angenommen, sondern der Beamtenbegriff im haftungsrecht­ lichen Sinne bemüht, vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftung, S.  24 f. 26  Auf diesen Zusammenhang hinweisend auch E. R. Huber, Wirtschaftsverwal­ tungsrecht, 2. Band, S. 681 und Gierke, Genossenschaftstheorie, S.  749 ff. 20  So 21  In



E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat123

ner Handlung bzw. deren Rechtswirkungen zum Staat ab, ist hiermit seine Haftung auf Sekundärebene zwar nicht ausgeschlossen. Anknüpfungspunkt für die Haftung kann aber jedenfalls nicht die Handlung sein, die dem Staat gerade nicht zugerechnet wurde, sondern allenfalls ein Überwachungs- oder aber Auswahlverschulden.27 Sollte allerdings ein derartiges Verschulden bereits dazu führen, dass die Handlung dem Staat zuzurechnen ist, bestünde die Möglichkeit des Auseinanderfallens von Handlung und Haftung in die­ sem Kontext schon nicht.28 Das Spannungsfeld zwischen den Grenzen staatlicher Verantwortung einerseits und dem Schutz der Bürger andererseits ist daher im Rahmen der Zurechnung zu berücksichtigen. Hierbei ist zu reflektieren, welche Rechtsfolgen die Annahme bzw. Ablehnung eben dieser auf Primär- und Sekundärebene jeweils hervorrufen würde. Weiterhin ist im Rahmen einer Zurechnungstheorie zu beachten, dass durch eine weite Zurechnung nicht die aus insbesondere legitimatorischen Gründen folgende Forderung der staatlichen Letztentscheidung umgangen werden darf.29 Diese Forderung findet sich im Begriff der „Selbstorgan­ schaft“ verarbeitet, welche entweder aus der Zuständigkeitsordnung30 oder

27  Andeutungsweise Ossenbühl/Cornils, Staatshaftung, S. 22; Schenke, Staatliche Haftung für Fehlverhalten von Privaten, die in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen sind, in: Seok/Ziekow (Hrsg.), Die Einbeziehung Privater in die Erfül­ lung öffentlicher Aufgaben, S. 199 ff. (209). So im Ergebnis auch Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 260, die zunächst eine Di­ vergenz zwischen haftungs- und organisationsrechtlicher Zuordnung sieht, weil in den beiden Bereichen mit unterschiedlichen Zurechnungsbegriffen gearbeitet werden könne. Im Weiteren arbeitet Remmert auf S. 266 ff. aber deutlich heraus, dass dies angesichts der öffentlich-rechtlichen Zurechnungslogik nicht möglich sei. A. A. in Bezug auf das mögliche Auseinanderfallen von organisations- und amtshaftungs­ rechtlicher Zurechenbarkeit Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 62. Ebenfalls von der Möglichkeit unterschiedlicher Zurechnungskriterien hin­ sichtlich der Staatshaftung und „Wirksamkeit von Regelungsakten“ ausgehend Pau­ ly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre, in: Becker-Schwarze/Köck/Kupka/ v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 25 ff. (29). Zur allgemeinen Struktur des Überwachungsverschuldens s. Kümper, Risikoverteilung im Staatshaftungsrecht, S. 74 ff. 28  Die anderweitige Auffassung von Remmert, Private Dienstleistungen in staat­ lichen Verwaltungsverfahren, S. 260 dürfte insbesondere auch darauf beruhen, dass sie eine enge Zurechnungstheorie vertritt und ein Eintreten des Staates für die Fol­ gen der Handlung aus anderen Gesichtspunkten herleitet. 29  Vgl. Möllers, Staat als Argument, S.  291  ff.; Battis/Kersten, ZBR 2000, S.  145 ff. (148); dies., ZBR 2001, S. 309 ff. (313 f.); Burgi, Die Verwaltung 33 (2000), S.  183 ff. (190 ff.); Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 166. 30  So Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (153); Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S.  21 ff.; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsver­ fahren, S. 218 ff. und 322 ff.; Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  166 ff.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

aber dem Gedanken der demokratischen Legitimationsnotwendigkeit staat­ licher Entscheidungen hergeleitet wird. Eine weite Zurechnungstheorie darf nicht dazu führen, dass staatliche Entscheidungen ohne das Vorhandensein einer Rechtsgrundlage konse­ quenzlos ausgelagert werden können. Die Zurechnungstheorie darf somit nicht bewirken, dass ein Verwaltungsakt, angesichts der geringen an die Zurechnung zu stellenden Voraussetzungen, als von der zuständigen Behör­ de erlassen anzusehen und deshalb als rechtmäßig zu beurteilen ist, ob­ wohl sein Inhalt allein von einem nicht beliehenen Privaten determiniert wurde. Durch eine weite Zurechnungstheorie würde sonst der sowohl der demokratischen Legitimationsnotwendigkeit hoheitlichen Handelns inne­ wohnende als auch der in der Zuständigkeitsordnung enthaltene Gedanke, dass die inhaltliche Entscheidung dem hierfür zuständigen Staatsträger obliegt,31 de facto umgangen.32 Denkbar wäre es − wie bereits angedeutet wurde33 − womöglich jedoch, eine Art Kompensationskriterium auf anderer Ebene einzuführen. Die Maß­ gabe der Selbstentscheidung müsste im Falle einer weiten Zurechnung deshalb auf die Ebene der materiellen Rechtmäßigkeit verlagert werden. Hier könnte sie in Form des Kriteriums der Entscheidungsverantwortung bzw. der „Selbstorganschaft“34 eingeführt werden. Materielle und formale Zurechnung würden hierdurch entkoppelt.35 Welche Vor- und Nachteile so­ wie Folgen dies hat und wie eine solche Zurechnung rechtsdogmatisch zu begründen ist, bedarf einer näheren Erörterung. Das Bundesverwaltungsgericht hat hinsichtlich der Beteiligung Privater den Weg einer sehr weiten Zurechnungstheorie − man wird sie wohl als „Veranlassungstheorie“ bezeichnen können  − eingeschlagen, die sich haupt­ sächlich am objektiven Empfängerhorizont ausrichtet.36 Die rechtliche Kon­ struktion der Zurechnung aufgrund staatlicher Veranlassung hat es hierbei jedoch nicht ausdrücklich herausgearbeitet. Welche Kriterien für die Zurechnung den Ausschlag geben, ist somit bisher nicht präzise entwickelt worden. Insbesondere ist fraglich, ob es ei­ 31  Diese Überlegung wird sogar im Hinblick auf das zwischenbehördliche Man­ dat angestellt, gilt aber für die Einbeziehung Privater in gleicher Weise, vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 222 ff. und 393 ff. 32  Vgl. Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  168 ff. 33  Vgl. D. II. 5. 34  Zum Begriff der „Selbstorganschaft“ s. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S.  21 ff. 35  Vgl. Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (480). 36  Vgl. hierzu D. II. 5. und E. III. 4.



I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten125

nes normativen Anknüpfungspunkts für die Zurechnung bedarf oder ob diese eher wertend vorzunehmen ist.37 Über die Grundlagen der Zurechnung besteht demzufolge Unsicherheit. Während Zurechnung teilweise nur auf rechtlicher Grundlage als möglich angesehen wird,38 wird sie andernteils vielmehr als Frage der Bestimmung von Verantwortungsbereichen verstan­ den. Teils wird sie auch als eine soziale Tatsache angesehen, die durch eine empirische Erhebung der Anschauung belegt werden könne.39 Die Grundla­ gen der Zurechnung sind daher aufzuarbeiten, um zu beurteilen, wann Maßnahmen als staatlich und wann als privat zu qualifizieren sind. Diese Frage entscheidet über den Anwendungsbereich des Nichtakts.

I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten Um sich der Zurechnung der Handlungen Privater zum Staat zu nähern, ist zunächst zu klären, wie die Zurechnung von Handlungen im Öffentlichen Recht überhaupt erfolgt. Dabei ist es sachdienlich, der generellen Frage nachzugehen, welche Überlegungen der Zurechnung im Öffentlichen Recht zugrundeliegen. Im Ausgangspunkt ist daher die Zurechnung der Handlun­ gen von Amtswaltern zu untersuchen. Auch im Kontext des Handels von Behördenbediensteten geht es darum, das Handeln einer Person einem Organ und hierüber dem Staat zuzurech­ nen.40 Hierfür sind Zurechnungsketten zu konstruieren.41 Das Konstrukt „Organ“ und die Ausklammerung der Organperson im Rahmen der organi­ sationsrechtlichen Betrachtung dient dazu, die in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geforderte Legitimation zu wahren.42 Aber auch diese Konstruktion kommt nicht umhin miteinzubeziehen, dass sie trotz dieses organisatorischen Über­ 37  Vgl. Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (135), der eine wertende Zu­ ordnung kritisiert. 38  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (135). 39  Die wertende Zuordnung als soziale Tatsache verstehend Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 32. 40  Vgl. Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 32 f.; Remmert, Private Dienstleis­ tungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 218 und 251 ff.; Stelkens, Verwal­ tungsprivatrecht, S.  144 ff.; Jestaedt, in: Hoffmann-Riem/‌Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR I, § 14 Rn. 3; Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, S.  28 f.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 447. 41  Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 273. 42  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 201 ff.; Böckenförde, Organ, Organisa­ tion, Juristische Person, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S. 269 ff. (271 und 274 ff.).

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

baus auf ein personales Substrat verwiesen bleibt.43 Der Staat kann nur durch natürliche Personen handeln.44 Die Aufgabe der Zurechnungstheorie ist es daher, diese beiden Aspekte miteinander zu verknüpfen.45 Sie muss gewährleisten, dass die demokratische Legitimationseinheit nicht zerfällt, gleichzeitig darf die Abstraktion von der real handelnden Person aber eben­ so wenig dazu führen, dass es bei einem rein rechtlichen Konstrukt ohne Anknüpfung an der Wirklichkeit verbleibt.46 Die Forderung nach demokra­ tischer Legitimation würde sonst ihren Zweck verfehlen. Obwohl dieser letzte Schritt der Zurechnung häufig ausgeblendet und lediglich untersucht wird, ob das Handeln eines bestimmten Organs dem Rechtsträger zuzuordnen ist,47 finden sich insbesondere bei den Grundle­ gungen zum Verständnis des Staates und seiner Vertretung Überlegungen zu dieser Frage. Die Verknüpfung zwischen organisationsrechtlichem Konstrukt und real handelnder Person wird dabei wie folgt vorgenommen: Bei der Behörde wird, um sämtlichen Zuständigkeiten nachkommen zu können, die Gesamtzuständigkeit aufgespalten und auf immer kleiner werdende Unter­ einheiten so weiter verteilt, bis sie einem konkreten Amt48 zugeordnet sind.49 Diese Aufspaltung der Zuständigkeiten einer Behörde erfolgt meist 43  Vgl. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 19 ff., der die Vernachlässigung der Perspektive auf die konkret handelnde Person auf die Imper­ meabilitätslehre von Laband und Jellinek zurückführt, wobei sein Fokus allerdings stärker auf der Betrachtung der subjektiven Rechte des Organwalters liegt. Ebenso Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 206 ff.; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 32 f. und 39; ders., Organ, Organisation, Juristische Person, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S. 269 ff. (272 f.); Hufeld, Die Vertre­ tung der Behörde, S. 201 ff.; Jestaedt, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voß­ kuhle (Hrsg.), GVwR I, § 14 Rn. 34. 44  Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 55; Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, in: Meyer (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S.  269 ff. (286); Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfah­ ren, S. 218. 45  Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 442. 46  Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S. 269 ff. (286 f.). 47  Vgl. zu diesem Befund Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 198 ff.; Horn, NVwZ 1986, S. 808 ff. (808); Schenke, DöV 1985, S. 452 ff. (452); ders., VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (119); Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 206 ff.; Schwabe, DVBl 1974, S. 69 ff. (69); Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwaltungsrecht, S. 158; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 321 f. 48  Zum Hintergrund des Begriffs „Amt“ siehe Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 253 ff. Ein Amt ist „ein auf einen Menschen bezogener, institutionalisierter Inbe­ griff von Wahrnehmungszuständigkeiten“, Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 28. Der Begriff Amt wird somit vorliegend im organisationsrechtlichen Sinne verwendet. 49  Vgl. Groß, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR I, § 13 Rn. 49 f.; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfah­



I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten127

mittels eines Geschäftsverteilungsplans.50 Auf der Ebene des Amtes als kleinster Einheit erfolgt die Verknüpfung zwischen organisationsrechtlichem Überbau und der handelnden natürlichen Person.51 Diese Verknüpfung setzt sich einerseits aus einem Amtswalterverhältnis und andererseits einem Grundverhältnis zwischen der natürlichen Person und dem Staatsträger zu­ sammen, die das „Innenrechtsverhältnis“ bilden.52 Die natürliche Person muss also in einem Dienstverhältnis zur juristischen Person stehen, deren Aufgaben sie wahrnehmen soll. Zusätzlich zu diesem Dienstverhältnis muss ein so genanntes „Amtswalterverhältnis“ bestehen, welches durch Wahl oder Zuweisung begründet wird.53 Das „Amtswalterverhältnis“ besteht somit in der Zuordnung zu einem konkreten Amt.54 Die Zurechnung des Handelns eines Organwalters wird demnach in ver­ schiedene Gesichtspunkte aufgespalten. Bis zur untersten Stufe wird eine ab­ strakte Zuordnung von Zuständigkeiten und Befugnissen bis auf die Ebene eines einzelnen Amts vorgenommen.55 Hierdurch wird die Vertretungsmacht „unabhängig von der individuellen Persönlichkeit des Vertreters abstrakt (in­ stitutionell) als ‚Amt‘ begründet“56. Dies stellt das sachliche, abstrakte Be­ ren, S. 272 und 297 f.; T. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 174. 50  Vgl. Wolff, Organschaft und juristische Person, Theorie der Vertretung, S. 244 und Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 71. Bei der Geschäftsordnung handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift. Die Mandatierung muss allerdings durch Gesetz erfolgen, wenn die originäre gesetzliche Zuständigkeit nicht an der Behörde als solcher, sondern an einem konkreten Organ anknüpft. Vgl. hierzu Horn, NVwZ 1986, S. 808 ff. (809); T. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 173  ff.; Schenke, VerwArch 68 (1977), S.  118 ff. (151). 51  Vgl. Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S. 269 ff. (271); Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 442 f.; Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 29, bezeichnet dies als „Zurechnungspunkt“. Siehe zur Verkoppelung von Personenhan­ deln und Organhandeln auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 201 und Rem­ mert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 272. 52  Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 32 ff.; Hufeld, Die Vertretung der Be­ hörde, S. 324 nennt dies (abstrakte) Verstaatlichung und (konkrete) Beiordnung, ohne dass es hierdurch zu Unterschieden käme. Zum Innenrechtsverhältnis vgl. auch Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, S. 127 ff. 53  Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 35 f.; Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwaltungsrecht, S. 158; zu diesen zwei Komponenten s. auch Hufeld, Die Ver­ tretung der Behörde, S. 395. 54  Vgl. Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S.  298 f. 55  Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 273. 56  Wolff, Organschaft und juristische Person, Theorie der Vertretung, S. 354; Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 73.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

gründungselement der Zurechnung dar. Der natürlichen Person wachsen bei der Besetzung sämtliche Rechte und Pflichten des Amtes zu. Die Zuweisung beinhaltet demzufolge die konkrete Vollmachtserteilung zur Ausübung des Amtes. Sie enthält die subjektiv-konkrete Komponente der Zurechnung. Die Kombination von sachlicher Aufteilung und persönlicher Zuteilung beinhal­ tet dabei in gewisser Weise auch den sachlich-inhaltlichen und personellen Legitimationsstrang.57 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Hand­ lungen von Amtswaltern dem Organ und hierüber dem Staat zugerechnet werden, sind hierdurch aber noch nicht vollständig beantwortet. Wie die Zurechnung einer Handlung zur Behörde konstruiert wird, also durch wen eine Behörde handelt, zeigt sich etwa an der Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG. Diese bestimmt, dass eine Behörde durch ihre Leiter, deren Vertreter und Beauftragte handelt. Es kommen somit drei unterschied­ liche Personengruppen in Betracht, deren Handlungen dem Staat grundsätz­ lich zugerechnet werden können. Hieran wird hinsichtlich der Zurechnungs­ konstruktion vielfach angeknüpft. Konventionell wird hinsichtlich der Zurechnung von Handlungen zwischen Organwaltern im engeren und im weiteren Sinne unterschieden.58 Letztere werden des Öfteren auch als Amtswalter bezeichnet, wobei der Begriff aller­ dings nicht immer nur für Organwalter im weiteren Sinne verwendet wird.59 Diese Unterscheidung geht auf H. J. Wolff zurück, der sich erstmals tiefge­ hend mit der Konstruktion der juristischen Person „Staat“, seiner Organe und der Zurechnung von Handlungen auseinandergesetzt hat.60 In Zusammenhang mit dieser Unterscheidung steht unter anderem auch der Streit um die Rechtsnatur juristischer Personen im Öffentlichen Recht wie auch die Vertreter- und Organtheorie.61 Sieht man eine juristische Person als 57  Vgl. zu diesem Hintergrund Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominial­ verwaltung, S. 265 ff. und 330 ff., der allerdings die legitimatorische Wirkung des Amtes ambivalent sieht; Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 200 ff. 58  Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 30 und 55 ff.; Stelkens, Verwaltungspri­ vatrecht, S. 146 f. und 195 ff.; ders., in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 53. Auf diese Unterscheidung ebenfalls hinweisend Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S.  219 f. 59  Vgl. hierzu Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 48 f. 60  Wolff, Organschaft und juristische Person, 1. Band, Juristische Person und Staatsperson, S. 88 ff., 187 ff., passim. Angedeutet findet sich diese Unterscheidung auch bei Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 134 ff., der hin­ sichtlich der Mandatierung zwischen Aufträgen und Bevollmächtigungen unterschei­ det, was sich auch in der Differenzierung zwischen Organwaltern im engeren und weiteren Sinne widerspiegelt. Die Differenzierung Triepels unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten von der Konstruktion Wolffs. 61  Vgl. Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 32 ff.; Ernst, Die Verwaltungserklärung, S.  346 f.; Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwal­



I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten129

eigenen „Organismus“ an, der durch seine Organe handelt, ohne dass es einer Zurechnung im Sinne einer Vertretung bedarf, dann muss mindestens eine natürliche Person für das Organ handeln können, ohne dass hierfür Fragen der Vertretung eine Rolle spielen.62 Es genügt allein die Organstellung, um das Handeln, wenn es im Namen des Organs erfolgt, zuzurechnen.63 Demge­ genüber bedarf es bei der Konstruktion über eine Vertretung eines weiteren Anknüpfungspunktes für die Zurechnung. Während die Organtheorie eine Zurechnung eher auf sozialwissenschaftlicher Basis, angereichert um recht­ liche Konstruktionselemente,64 vornimmt, muss nach Ansicht der Vertreter­ theorie Zurechnung rein rechtlich verstanden werden, weshalb es eines nor­ mativen Anknüpfungspunkts bedarf.65 Die Grundlagen der Unterschiede zwi­ schen der Organismus- und Vertretertheorie spiegeln sich noch heute in den Unterschieden wider, wie bzw. unter welchen Voraussetzungen die Zurech­ nung des Handelns von Organwaltern im engeren Sinne im Gegensatz zu Organwaltern im weiteren Sinne begründet wird. 1. Organwalter im engeren Sinne Das Handeln der Organwalter im engeren Sinne wird dem Organ unver­ mittelt zugerechnet.66 Die Zurechnung erfolgt kraft Gesetzes. Organwalter im engeren Sinne repräsentieren den Staatsträger. Ihnen wird durch die gesetzliche Kompetenzordnung unmittelbar die Befugnis eingeräumt, für den Rechtsträger zu handeln. Insoweit erfolgt keine Zurechnung eines Ver­ tungsrecht, S.  169 ff.; Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 72 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, S. 449; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 450 ff. Diesen Ansatz gibt mittelbar auch Wolff zu erkennen, vgl. Wolff, Organschaft und juristische Person, Band 2, Theorie der Vertretung, S.  289 ff.; ders., Organschaft und juristische Person, Band 1, Juristische Person und Staatsperson, S.  207 ff. Während v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 5  ff. und 615 ff. die Organismustheorie geprägt hat, steht die Vertretertheorie in der Tradition der positivistische Staatsrechtslehre. Vgl. hierzu auch Böckenförde, Organ, Organi­ sation, Juristische Person, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S.  269 ff. (292 ff.). 62  Vgl. Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 32 ff.; Ernst, Die Verwaltungserklärung, S.  346 f. 63  BGHZ 142, 77 (83); Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 55; Stelkens, Ver­ waltungsprivatrecht, S. 150. 64  Vgl. Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, in: Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS Wolff, S. 269 ff. 65  Vgl. Wolff, Organschaft und juristische Person, 1. Band, Juristische Person und Staatsperson, S. 102 f. und 129 ff.; Reimer, Zur Theorie der Handlungsformen des Staates, S. 32 ff. 66  Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 55; Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 54; ders., Verwaltungsprivatrecht, S. 203.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

haltens für eine fremde Person, vielmehr „ist das Organwalterverhalten das ‚eigene‘ Verhalten der Juristischen Person“67. Organwalter im engeren Sinne sind beispielsweise die „Mitglieder einer Kollegialbehörde bzw. der Leiter einer monokratischen Behörde (Minister, Bürgermeister, Regierungspräsident) nebst seinem allgemeinen Vertreter (Staatssekretär, Beigeordneter).“68 Diese werden unmittelbar durch Gesetz − zwar nicht personen-, aber amtsbezogen − mit bestimmten Zuständigkei­ ten und Befugnissen ausgestattet; die Ämterbesetzung konkretisiert sodann die Person des Vertreters.69 Weiterer Voraussetzungen bedarf es für die Zurechnung nicht. Sie erfolgt für jedes Handeln des Organwalters im enge­ ren Sinne, „sofern er nur im Namen des Organs handelt“.70 2. Organwalter im weiteren Sinne Organwalter im weiteren Sinne sind demgegenüber Untervertreter des Behördenleiters bzw. seines Vertreters. Mangels unmittelbar gesetzlich vor­ gesehener Zurechnung bedarf es nach vielfach vertretener Ansicht einer Vertretungsbefugnis für die Behörde, damit ihr Handeln der Behörde und hierüber dem Staat zugerechnet werden kann.71 Diese Vertretungsbefugnis wird meist aus der Zeichnungsbefugnis, die teilweise auch innerbehördli­ ches Mandat genannt wird,72 hergeleitet.73 Die Zeichnungsbefugnis bzw. das 67  Wolff, Organschaft und juristische Person, Theorie der Vertretung, S. 297; ebenso Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 207 und Stelkens, Verwaltungsprivat­ recht, S. 151. 68  Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 54. 69  Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 544. 70  Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 150. 71  Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 151 und 225. 72  Vgl. etwa Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 151 f. und Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (148 f.). Diese Bezeichnung wird zwar des Öfteren verwendet, wohl um die Konstruktionsgleichheit zum Mandat zu zeigen. Sie ist jedoch ebenso kritisiert worden, weil sie den Blick des Mandats, welches beinhalte, dass ein „or­ ganisationsrechtlich bestimmtes Subjekt zur Wahrnehmung fremder […] Zuständig­ keiten“ beauftragt würde, verwische. Die Zuweisung von Wahrnehmungskompeten­ zen innerhalb einer Behörde käme andauernd vor und bedürfe nicht der Verwendung des Begriffs Mandat, vgl. Schwabe, DVBl 1974, S. 69 ff. (71)., der letztlich jedoch dennoch zum Begriff des innerbehördlichen Mandats auf S. 72 zurückkehrt. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass der Umfang des Mandats sehr unterschied­ lich verstanden wird, was die Zurechnung von Handlungen hierüber angeht. So findet sich etwa bei Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 198 ff. ein sehr weites Mandats­ verständnis, das letztlich zu einem Gleichlauf mit der Vertretung durch Organwalter i. e. S. führt. Dem ist zwar im Ergebnis zuzustimmen, der Begriff „Mandat“ wird häufig aber in einem sehr viel engeren Sinne, nämlich bezogen auf bzw. synonym mit der Zeichnungsbefugnis verwendet. Diese Unterscheidung spiegelt sich letztlich in



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innerbehördliche Mandat ermächtigen den Mandatar dazu, „Schriftstücke der Behörde in seinem Namen abschließend mit […] „Im Auftrag“ zu unterzeichnen“74. Die Einräumung der Befugnis, für den Staat zu handeln, bildet hiernach den Zurechnungsgrund.75 Die Zurechenbarkeit der Handlun­ gen von Organwaltern im weiteren Sinne wäre demzufolge gegenüber der von Organwaltern im engeren Sinne eingeschränkt, da sie von der Vertre­ tungsmacht abhängig ist.76 73

Die tatsächlich vorgenommene Zurechnung fällt mit dieser Art und Wei­ se, wie Zurechnung konstruiert wird, allerdings auseinander. Dies wird be­ sonders deutlich, betrachtet man, trotz welcher Abweichungen der Handlun­ gen der Amtswalter von der eingeräumten Vertretungsmacht diese dem Staat zugerechnet werden. Zwar kann die von den Gerichten praktizierte Zurech­ nung dem Konstruktionsansatz nicht generell entgegengehalten werden, da die Zurechnung aus den Vorgaben der Rechtsordnung zu extrahieren ist bzw. auf rechtstheoretischen Überlegungen beruhen muss. Dem kann die tatsächliche Anwendung nicht entgegengehalten werden. Die Divergenz zu der dargestellten Zurechnungslogik veranlasst jedoch diesem Aspekt näher nachzugehen. Im Grundsatz wird eine Zurechnung zum Träger der öffentlichen Verwal­ tung in Bezug auf jedes Verhalten seiner Amtswalter vorgenommen, das in amtlicher Eigenschaft ausgeübt wird.77 Dies gilt jedenfalls dann, wenn er­ der im Weiteren herauszuarbeitenden Trennung von Innen- und Außenperspektive wider. Während die Zeichnungsbefugnis die interne Vollmacht bezeichnet, wird bzw. sollte unter dem Mandat die extern unterstellte Vollmacht verstanden werden. 73  Kübler, Zeichnungsbefugnis, S.  21 ff.; Rasch, DVBl 1983, S. 617  ff. (619); ders., Verwaltungsorganisation, S.  177 ff.; Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (151); Horn, NVwZ 1986, S. 808 ff. (809); Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 39 und 55; Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  228 ff.; ders., in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 55; Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 198 ff., der allerdings im Ergebnis strikt zwischen Zeichnungsbefugnis, welche nach innen wirkt, und Mandat (Prokura) trennt, so auf S. 290. 74  T. Reinhardt, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, S. 173 f.; Horn, NVwZ 1986, S. 808 ff. (809); Rasch, DVBl 1983, S. 617 ff. (619). Organwalter i. e. S. zeichnen mit „In Vertretung“. Vielfach wird die Zeichnung mit „i. V.“ oder „i. A.“ zwar nicht mehr praktiziert, an der Art und Weise der Zurechnung ändern dies jedoch nichts. 75  Vgl. Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 55. 76  Diesen Schluss zieht ausdrücklich Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 220. 77  Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 6. Aufl., § 44 Rn. 13. Hinter­ grund hiervon mag sein, dass mit der Stellung als Amtsträger von Beginn an die Vorstellung verbunden war, dass die Person als Amtsträger grundsätzlich keine an­ deren Beweggründe oder Überlegungen leite, die dem Amt nicht sachdienlich wären. Zu persönlichen Auffassungen und Bestrebungen sei ein Amtswalter nicht fähig, vgl.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

kennbar im Namen der Behörde gehandelt wird.78 Mit dieser hier nur skiz­ zierten tatsächlichen Zurechnung, welche allein darüber vorgenommen wird, dass ein Amtswalter handelt, steht die dargestellte Konstruktion jedoch nicht in Einklang.79 Würde man die Zurechnung strikt an die Zeichnungsbefugnis koppeln, führte dies zu vollkommen anderen Ergebnissen.80 Gänzlich unumstritten ist die Zurechnung der Handlung im Falle der Überschreitung der Zeichnungsbefugnis zwar ebenfalls nicht.81 Teilweise wird eine Beschränkung der Zurechenbarkeit beispielsweise im Hinblick darauf vorgenommen, dass der handelnde Beamte auf der Rangstufe stehen müsse, auf der derartige Zuständigkeiten innerhalb der Behörde wahr­ genommen werden.82 Demnach müsste er zwar nicht konkret zuständig, jedoch mit vergleichbaren Aufgaben betraut sein. Überwiegend wird aus Vertrauensschutzgesichtspunkten jedoch gefordert, dass die Kompetenzab­ grenzungen für Außenstehende erkennbar sein müssten, um im Falle einer Befugnisüberschreitung eines Organwalters die Zurechnung verneinen zu können.83 Im Grundsatz wird eine Zurechnung daher unabhängig von der konkret erteilten Zeichnungsbefugnis vorgenommen. Dies geschieht − wie die Anknüpfung an der Erkennbarkeit der Befugnisüberschreitung erkennen lässt − aus Gründen des Vertrauensschutzes. Die dargestellte Zurechnungs­ konstruktion wird folglich vielfach von Vertrauensschutzgesichtspunkten überlagert.84 Im Falle des Handelns eines Organwalters im weiteren Sinne wären Zu­ ständigkeitsüberschreitungen, sollte allein die Zeichnungsbefugnis für die Zurechenbarkeit maßgeblich sein, sonst auch nicht denkbar.85 Wie hinsicht­ Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 266 ff. Zu den Ausnahmen von diesem Grundsatz siehe D. II. 6. 78  Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwaltungsrecht, S. 158 f.; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, S. 544 f. 79  Auf diese Problematik ebenfalls hinweisend Hufeld, Die Vertretung der Be­ hörde, S. 210. 80  Dies zeigt sich etwa bei Eyermann/Fröhler, VwGO, § 42 Rn. 64, die anneh­ men, dass „die Zeichnungsbefugnis nur so weit reiche, als für sie Unterschrift zu leisten ist“. Bei fehlender Zeichnungsbefugnis könne nicht zugerechnet werden. Dies hätte im Falle der Überschreitung zur Folge, dass es sich nicht um einen behörd­ lichen Akt, sondern um einen Nichtakt handeln würde. 81  Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 56. 82  BVerwGE 26, 31 (36). In BVerwGE 3, 199; (203 f.) wurde noch eine Ein­ schränkung statuiert, nach welcher der die Erklärung abgebende Beamte seiner Stellung nach befugt sein müsse, derartige Erklärungen abzugeben. 83  BVerwG, DÖV 1966, S. 202 ff. (205). 84  Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 540. 85  Ähnlich auch Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im Verwaltungsrecht, S. 166 und S. 472, der zu dem Ergebnis gelangt, dass die Frage, inwieweit eine Maßnah­



I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten133

lich der ultra-vires-Lehre bereits herausgearbeitet wurde, steht dies jedoch in Widerspruch zur Regelungssystematik der Rechtsordnung, die es als formellen Fehler qualifiziert, wenn eine Behörde in bestimmter Weise ge­ handelt hat, obwohl sie hierfür nicht zuständig war.86 Dieser Schluss ist zwar angesichts der Annahme, dass das Handeln von Organwaltern im en­ geren Sinne nicht derartigen Beschränkungen hinsichtlich der Zurechnung unterliegt, rechtslogisch nicht in gleicher Weise zwingend.87 Die Zeich­ nungsbefugnis bzw. das innerbehördliche Mandat mit einer Art Vertretungs­ macht gleichzusetzen, ist aber dennoch rechtlich problematisch, da die Fehlerfolgenregelungen jedenfalls in weiten Teilen hierdurch unterlaufen würden.88 Dieses scheinbare Auseinanderklaffen von Zurechnungslogik und prakti­ zierter Zurechnung begründet sich jedoch damit, dass die Zurechnung meist lediglich positiv für den Fall der Einhaltung konstruiert,89 nicht aber klar­ gestellt wird, dass auch andere Gesichtspunkte zum Tragen kommen kön­ nen, die eine Zurechnung begründen.90 Während die positive Konstruktion abstrakt verfährt und auf den Zusammenhalt der Einheit Staat sowie der Legitimation ausgerichtet ist,91 beinhalten andere Zurechnungsstränge eher me grundsätzlich zurechenbar ist, nicht mit der Zuständigkeit zusammenhängen kann. 86  Vgl. hierzu auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 220. 87  Auch in Bezug auf Organwalter im engeren Sinne ist dieser Gesichtspunkt allerdings nicht unproblematisch. Konstruiert man die Zurechnung über die gesetz­ liche Zuweisung von Zuständigkeiten, gelangt man bei Zuständigkeitsüberschreitun­ gen zu einem identischen Problem, da in diesen Fällen gerade keine Zurechnungs­ norm vorliegt. Dies zeigt sich etwa an den Ausführungen von Stelkens, Verwaltungs­ privatrecht, S. 203 ff., der die Zurechnung des Handelns von Organwaltern i. e. S. ebenfalls auf die durch die Bestellung begründete Vertretungsmacht begrenzt. Stel­ kens löst diese Problematik allein dadurch, dass er darauf hinweist, dass die Rechts­ ordnung die Möglichkeit zuständigkeitswidrigen Handelns voraussetze, weshalb eine Zurechnung vorzunehmen sei, vgl. Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  216 ff. 88  Dies ebenfalls ablehnend Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 290, auf Widersprüche im Rahmen dieser Konstruktion hinweisend bereits S. 211. 89  Hintergrund hiervon ist, dass die Konstruktion auf die generelle Legitimation von Staatsgewalt zugeschnitten ist. Sie ist abstrakt gedacht, Aussagen zu Fehlern im Einzelfall enthält sie demgegenüber nicht, vgl. zu diesen Überlegungen Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 32 ff. wie auch Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondomi­ nialverwaltung, S.  330 ff. 90  Hierauf am Rande allerdings hinweisend Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungs­ recht I, S. 540. 91  Zu dieser Funktion s. Böckenförde, Organisationsgewalt, S.  39 f.; Jestaedt, De­ mokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 345 ff. und 592. Die Abstraktion im Rahmen der Konstruktion der Zurechnung geht auf die Überlegungen Jellineks zum Staatswillen als solchem zurück, vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S.  17 ff. Darauf hinweisend, dass es sich um eine abstrahierende Methode,

134

E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

auf den Einzelfall bezogene Erwägungen,92 die im Falle des Abweichens von der positiven Zurechnungslogik zu greifen vermögen.93 Neben diesen konstruktiven Unterschieden der Zurechnung − je nachdem, ob man diese abstrakt-positiv oder konkret-fehlerbezogen betrachtet  − stellt einen weiteren Grund für die scheinbaren Zurechnungsdivergenzen dar, dass häufig bereits nicht klar genug hervorgehoben wird, inwieweit ein Verstoß gegen interne Begrenzungen überhaupt nach außen wirkt. Wie auch im Rahmen der Stellvertretung ist zwischen Innen- und Außenverhältnis zu differenzieren, weshalb Verstöße gegen die interne Geschäftsverteilung die Zurechnung nicht tangieren.94 Zurechnungskonstrukt für Handlungen von Behördenbediensteten ist zwar an sich die Zeichnungsbefugnis bzw. das Mandat.95 Letztlich bildet dies jedoch nur die bzw. eine „Konstruktions­ basis“ der Zurechnung.96 In Bezug auf die Zurechnung nach außen wird deshalb vielfach auf das aus dem Zivilrecht bekannte Zurechnungsmodell der Prokura verweisen.97 Das Auseinanderfallen der Zurechnungskonstruk­ tion über das Mandat und die tatsächlich weitergehende Zurechnung der Handlungen von Amtswaltern wird deshalb meist damit begründet, dass auch im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Vertretung durch Behördenbe­ dienstete zwischen dem Innen- und Außenverhältnis strikt zu unterscheiden insbesondere auch bei dem Zurechnungsmodell von Wolff handelt, Pollmann, Reprä­ sentation und Organschaft, S. 78 ff., insbesondere Fn. 253. 92  Dies hebt Wolff zwar nicht eindeutig hervor, stellt aber bei der konkreten Frage der Zurechnung auf den hervorgerufenen Rechtsschein ab, vgl. Wolff, Verwal­ tungsrecht II, 3. Aufl., S. 57. 93  Eine derartige Unterscheidung zwischen den Zurechnungssträngen trifft Wolff, der ebenfalls zu diesem Problem seiner Zurechnungskonstruktion gelangt allerdings nicht, vielmehr erklärt er: „Wie die Vertretungsmacht, so kann jedoch in besonderen Fällen auch die Zuständigkeit gewissermaßen über sich hinauswachsen und parado­ xerweise bestehen, obwohl sie fehlt“, Wolff, Organschaft und juristische Person, Theorie der Vertretung, S. 241. Diese Ausführungen sind allerdings selbst paradox. Die Problematik wird nur im Ansatz offengelegt. Auf diese Konstruktionsdefizite ebenfalls hinweisend Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im öffentlichen Recht, S. 500. Die folgenden Ausführungen Wolffs zur Zurechnung aufgrund des hervorgerufenen Rechtsscheins, der im Rahmen der Anfechtungsklage widerlegt werden könne, sind demgegenüber ein möglicher Anknüpfungspunkt und ungleich weniger paradox. Welche Auswirkungen dies auf eine Anfechtungsklage hätte, wird von ihm im Wei­ teren jedoch nicht herausgearbeitet. 94  Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S.  77; Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (149); Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 211, der das Mandat aber weiter als allgemein üblich versteht. 95  Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (148 f.). 96  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 208 ff. 97  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 216  ff.; Stelkens, Verwaltungsprivat­ recht, S.  243 ff.



I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten135

sei.98 Die innerbehördlich meist durch Verwaltungsvorschrift geregelte Zeichnungsbefugnis der Behördenbediensteten sei im Außenverhältnis nicht relevant. Ihre Durchbrechung führe deshalb nicht dazu, dass die Handlung nicht zurechenbar sei.99 Angereichert wird dies noch um das Argument, die Bürger besäßen nur ein Recht darauf, dass die zuständige Behörde handele, nicht aber der zuständige Verwaltungsbeamte.100 Letztere Überlegung ist allerdings weniger auf die Zurechnungslogik, als vielmehr auf Rechtmäßig­ keitsfragen hin zugeschnitten. Prinzipiell ist diesen Erwägungen zuzustimmen. Die Überlegungen zur Differenzierung zwischen Innen- und Außenverhältnis tragen die gegenüber der Zeichnungsbefugnis und dem innerbehördlichen Mandat weitergehende Zurechnungslogik jedoch nicht allein. Vielmehr verfügt die Konstruktion der Zurechnung − wie bereits angedeutet − noch über einen zweiten Strang. Die Zurechnung beruht nicht allein auf der dargestellten Zurechnungslogik, also der Aufspaltung der Zuständigkeiten auf kleinere Einheiten und Zuwei­ sung an konkrete Personen, sondern hinter ihr stehen Verantwortungserwä­ gungen. Es geht bei der Zurechnung von Handlungen um die Abgrenzung verschiedener Rechtssphären voneinander auf der Grundlage von Verant­ wortungszuweisungen.101 Dies zeigt sich insbesondere anhand der Kontroll­ überlegung, ob Zuständigkeitsfehler, so wie sie in der Rechtsordnung gere­ gelt sind, überhaupt möglich wären, wenn man allein den dargestellten Zurechnungslogiken folgen würde. Dies ist selbst bei einer präzisen Diffe­ renzierung zwischen Innen- und Außenverhältnis indes nicht der Fall. Selbst wenn man auf den Gedanken der Prokura rekurriert, wäre eine über die gesetzliche Zuständigkeits- und Befugniszuschreibung hinausgehende Zu­ rechnung nicht möglich,102 meint man, die Zurechnung könnte nur normativ über diese Regelungen erfolgen. Der Grund dafür, auch bei Überschreitungen der Zeichnungsbefugnis bzw. des Mandats eine Zurechnung vornehmen zu können, ist daher letzt­ 98  Schenke,

VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (149). Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 351 ff.; Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S.  65 f.; Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (151). 100  Rasch, DVBl 1983, S. 617 ff. (618). 101  Dieser Gedanke klingt scheinbar auch bei Kümper, Risikoverteilung im Staats­ haftungsrecht, S. 215 ff. an, wenn er von der Notwendigkeit spricht, Risikosphären voneinander abzugrenzen. Die Überlegungen sind hier jedoch auf Fragen der Dritt­ gerichtetheit von Amtspflichten bezogen und betreffen damit einen ähnlich, jedoch nicht identisch gelagerten Aspekt. 102  Die Übertragbarkeit des Gedankens der Prokura, welche im Hinblick auf zu irgendeinem Handelsgeschäft gehörige Tätigkeiten letztlich gesetzlich vorgibt, dass eine Anscheinsvollmacht besteht (vgl. §§ 49 ff. HGB), endet jedenfalls an den ge­ setzlichen Zuständigkeitsgrenzen einer Behörde. Der Anschein einer Vollmacht kann nicht über entgegenstehende gesetzliche Regelungen hinausgehen. 99  Vgl.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

lich weniger die Unterscheidung von Innen- und Außenverhältnis, als viel­ mehr, dass die Zurechenbarkeit einerseits den Grundsätzen der Rechtssi­ cherheit und andererseits dem Rechtsscheinprinzip genügen muss.103 Die Zurechnung ist daher aus dem Gedanken der Einheit in der Vielheit in Bezug auf Behördenstrukturen zu konstruieren und sowohl für geborene als auch für gekorene Amtswalter − unabhängig von ihrer Zeichnungsbe­ fugnis − zu bejahen.104 Dies folgt daraus, dass der Staat die Verantwortung für die ihm generell zugeordneten Personen zu tragen hat. Ihre Handlun­ gen entstammen der staatlichen Sphäre. Dies gilt unabhängig davon, ob die konkrete Person zu ihnen bevollmächtigt war. Das bedeutet, dass weniger eine Stellvertretungstheorie bei der Zurechnung des Handelns von Organ­ waltern zum Tragen kommt, sondern vielmehr auch in Bezug auf Organ­ walter im weiteren Sinne organschaftliche Erwägungen Anwendung fin­ den.105 Teilweise wird dies auch mit dem Begriff der Repräsentation um­ schrieben.106 Die weite Zurechnung im Falle des Handelns von Organwaltern erklärt sich aus ihrem organschaftlichen Verhältnis zum Staat, welches sich von der Vertretung im engeren Sinne dadurch unterscheidet, dass die Organe gegen­ über dem Träger nicht als reine Zweiheit, sondern als Einheit in der Zweiheit gedacht werden.107 Die Einbeziehung der Organwalter in den Staat, ihre Zu­ gehörigkeit zu ihm, wie auch die in diesem Umfeld vielerlei bestehenden Weisungsmöglichkeiten sorgen für ein Netz an staatlichen Einflüssen, denen der Organwalter ausgesetzt ist.108 Er steht dem Staat in seiner Funktion als Amtswalter daher nicht als fremder Dritter gegenüber, sondern ist in diesem Rahmen als Teil des Staates anzusehen.109 Es treten nicht nur die Rechtswir­ 103  Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 57. Darauf hinweisend, dass die Ver­ tretung und damit Zurechnung auf sehr unterschiedlichen Gründen basiert auch ak­ tuell noch Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 540. 104  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 206 ff, insbesondere S. 214; zum Ge­ danken der „Einheit in der Vielheit“ auch Pollmann, Repräsentation und Organ­ schaft, S.  76 ff. 105  Insoweit unterscheiden Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 544 ff. bei der Zurechnung der Handlungen von Organwaltern auch nicht zwischen Organwal­ tern im weiteren und engeren Sinne. Zu den Unterschieden zwischen Organschaft und Vertretung siehe bereits Laband, AcP 73 (1888), S. 161 ff. (187 f.). 106  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 206 ff, insbesondere S. 215 f. Kritisch zur Gleichsetzung von Organbegriff und Repräsentation Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 72 f. 107  Vgl. Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im öffentlichen Recht, S. 173 ff.; Poll­ mann, Repräsentation und Organschaft, S. 73 ff.; deutlich wird dieser Gedanke eben­ falls bereits bei Laband, AcP 73 (1888), S. 161 ff. (187 f.). 108  Zu den Rechtsbindungen siehe etwa Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 276 ff. und 303 ff.



I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten137

kungen der Handlungen einer fremden Person bei einem anderen ein, son­ dern die Handlung des Organwalters gilt als Handlung des Staates.110 Aus diesem Grund geht die Zurechnung der Handlungen von Organwaltern i. e. S. nicht weiter als die von Organwaltern i. w. S.111 Allein die innere Zurech­ nungskonstruktion unterscheidet sich um einen Zwischenschritt.112 109

Die Einbeziehung der Organwalter in den Staat,113 ihre Zugehörigkeit zur staatlichen Sphäre aufgrund der vielfältigen Rechtsbeziehungen zum Staat, stellt damit den Grund für die nach außen erfolgende Zurechnung dar.114 Insoweit handelt es sich bei der Unterscheidung zwischen Innen und Außen folglich doch um den entscheidenden Grund, warum eine Zurechnung zu erfolgen hat.115 Allerdings ist Bezugspunkt hierbei nicht die Prokura im Sinne einer geschriebenen Vertretungsmacht, abgeleitet aus den Zuständig­ 109  Vgl. hierzu Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsver­ fahren, S. 297 ff. Letztlich ebenfalls auf die Einbeziehung in den Staat abstellend Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im öffentlichen Recht, S. 472. 110  Dies stellt nach Laband den Hauptunterschied zwischen Vertretung und Or­ ganschaft dar, vgl. Laband, AcP 73 (1888), S. 161 ff. (187 f.): „Bei der Vertretung in Organschaft dagegen handelt die juristische Person selbst und unmittelbar; ihr Vor­ stand tritt nicht als ein von ihr verschiedenes Rechtssubjekt dem Dritten gegenüber, sondern die juristische Person handelt durch ihn, sie bedient sich desselben wie sich die physische Person des Mundes und der Hand zur Abgabe von Willenserklärungen bedient.“ Ebenso Wolff, Organschaft und juristische Person, Theorie der Stellvertre­ tung, S. 242 ff. und 280 ff., der allerdings nur die rechtlichen Wirkungen meint zu­ rechnen zu müssen und daher eine Vergleichbarkeit zwischen Organschaft und Stellvertretung annimmt. Als Unterschied macht Wolff lediglich die Quelle der Ver­ tretungsbefugnis aus. 111  So auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 216  ff.; Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 297 ff. A. A. demgegenüber Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  277 ff. 112  Zu diesem notwendigen Zwischenschritt Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S.  48 f. 113  Wolff, Organschaft und juristische Person, Theorie der Vertretung, S. 296  f. spricht, obwohl er zuvor die Organschaft der Vertretung immer weiter annähert, davon, dass „die Organwalter […] in die die Juristische Person bildende Organisa­ tion eingegliedert [seien]“. Die Hervorhebung ist durch die Verfasserin erfolgt. Dies als besonderes Legitimationsmodell insbesondere im Hinblick auf die Weisungsbe­ fugnisse herausarbeitend Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S.  345 ff. Jestaedt spricht insoweit von drei verschiedenen Legitimationskomponen­ ten: der Bestellung, Normgeltung und Weisung- sowie Gehorsamsebene. 114  Vgl. Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im öffentlichen Recht, S. 502 f.; Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 221. 115  So auch Wolff, Organschaft und juristische Person, Theorie der Stellvertre­ tung, S. 301 ff., der im Ergebnis zwei Perspektiven unterscheidet: Im Staatsinneren geht es um Fragen der Vertretung, wobei diese der gesetzlichen Vertretung stark angenähert ist, nach außen, wenn ein Organwalter für den Staat auftritt, wählt er eine Zurechnungskonstruktion über den Gedanken der Organschaft. Dies erklärt sich

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

keitsregelungen und einer hieraus wiederum deduzierten Vermutung der Vertretungsmacht der Organwalter im engeren Sinne, sondern der entschei­ dende Grund ist das bestehende organschaftliche Verhältnis.116 3. Besonderheiten gegenüber anderen Vertretungskonstellationen Analysiert man, wie die Zurechnung insbesondere in Bezug auf das Han­ deln von Organwaltern im weiteren Sinne konstruiert wird, zeigt sich somit zwar eine gewisse Ähnlichkeit, jedenfalls was die Zurechnung von Willens­ erklärungen angeht, zur Stellvertretung.117 Eine Besonderheit ergibt sich im Hinblick auf die Zurechnung bei Amtswaltern aber in Bezug darauf, dass sie Teil der von ihnen vertretenen juristischen Person sind, sodass es sich nicht um ein reines Zwei-Personen-Verhältnis handelt.118 Gleichzeitig wird aber dennoch das Handeln einer Person, die ebenso fähig ist, für sich selbst zu agieren, einer anderen zugeordnet. Diese Besonderheit wird vom Begriff der Organschaft erfasst.119 Da auch die Organwalter und nicht nur die Kon­ struktion des Organs selbst einer besonderen Zurechnungslogik unterliegen, ist näher herauszuarbeiten, welche Besonderheiten in diesem Kontext beste­ hen, um die in Bezug hierauf angestellten Erwägungen mit den Zurech­ nungsüberlegungen im Kontext der Handlungen von extern hinzugezogenen Privaten abzugleichen. Die Besonderheiten zeigen sich etwa in der Diskussion um die Frage, ob durch das Mandat die Zuständigkeitsordnung verändert würde. Einesteils wird dies verneint,120 andernteils bejaht.121 Hintergrund hiervon ist die Fra­ aus dem besonderen Verhältnis zwischen Organ- bzw. Amtswalter und Staat. Ähn­ lich auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 210 ff. 116  Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 216 ff. ist insoweit nur den Begrifflich­ keiten nach anderer Auffassung. Das Problem seiner Prokura-Konstruktion ergibt sich daraus, dass die Prokura die Vermutung eines bestimmten Umfanges der Ver­ tretungsmacht gesetzlich regelt. Dies ist im öffentlichen Recht aber gerade nicht der Fall. Aus diesem Grund leitet auch Hufeld die Zurechnung aus dem „Handeln des Mandatars [als] Organhandeln und [damit] Eigenhandeln des Staates“ her. Ähnlich auch Schwabe, DVBl 1974, S. 69 ff. (72). Auf die Perspektive wird hier hingewiesen, weil im Rahmen der internen Kom­ petenzabgrenzungen der verschiedenen Organe untereinander anderes gilt. 117  Hieraus hinweisend Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 64. 118  Vgl. Horn, NVwZ 1986, S. 808 ff. (809); Rasch, DVBl 1983, S. 617 ff. (620); Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 64 bezeichnet dies als Problematik der juristischen Person und des Rechtscharakters seiner Organe. 119  Vgl. hierzu Wahl, Stellvertretung im Verfassungsrecht, S. 65, der den Organ­ begriff als Zurechnungsbegriff herausstellt. Zum Wesen der Organschaft und der Begriffsgeschichte siehe auch Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 45 ff. 120  BVerwGE 63, 258 (259 f.); T. Reinhardt, Delegation und Mandat im Öffent­ lichen Recht, S. 174; Schwabe, DVBl 1974, S. 69 ff. (70).



I. Zurechnung von Handlungen der eigenen Behördenbediensteten139

ge, ob ein eher formell oder materiell geprägter Zuständigkeitsbegriff Ver­ wendung findet.122 Während im Falle der Zugrundelegung eines eher for­ mellen Zuständigkeitsverständnisses keine Zuständigkeitsverlagerungen an­ zunehmen sind, weil allein auf das Bestehen einer Vertretungsbefugnis ab­ gestellt und hierüber eine Zurechnung zum zuständigen Organ vorgenommen wird, ist bei einer materiellen Auffassung der Zuständigkeitsordnung, welche auf die tatsächliche Entscheidungsherrschaft abstellt, eine derartige Verlage­ rung problematisch. Im Hinblick auf die inhaltliche Prägung der Maßnahme wird die Zuständigkeitsordnung preisgegeben, da nur nach formeller Be­ trachtung der für die Entscheidung Zuständige gehandelt hat.123 121

Dieser Streit wurde vom Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf Amts­ walter dahingehend gelöst, dass angesichts der engen Bindung zwischen dem Amtswalter, Organ und Rechtsträger − also der bestehenden Besonder­ heit, dass die Organwalter gleichzeitig auch Teil des Zurechnungssubjekts sind − eine materielle Zurechnung ebenfalls vorgenommen werden könne.124 Dieser inzwischen in Bezug auf Organ- bzw. Amtswalter nicht mehr stritti­ ge Gesichtspunkt, der in der Unterscheidung von innerbehördlichem und organisationsrechtlichem Mandat auch begrifflich rezipiert wurde, könnte jedoch im Rahmen der Zurechnung von durch Verwaltungshelfer bzw. fak­ tisch Beliehene vorgenommene Handlungen neue Aktualität gewinnen. In­ soweit könnte sich eine Parallele zum zwischenbehördlichen Mandat erge­ ben. Auch in diesem Kontext wird die Problematik erörtert, inwieweit auf fremde Untereinheiten zurückgegriffen werden kann, ohne die Zuständig­ keitszuweisung zu unterlaufen.125 Die vom Bundesverwaltungsgericht ver­ tretene weite Zurechnungstheorie und die Aufspaltung von Zuständigkeit als eher formell gedachtem Kriterium in Kombination mit einer weiten Zurech­ nung und der Einführung des Gedankens der Selbstorganschaft als materi­ ellem Rechtmäßigkeitskriterium könnte eben diese Problematik beinhalten und sie womöglich durch Verlagerung auf die Ebene der materiellen Recht­ mäßigkeit lösen. 121  Schenke, DöV 1985, S. 452 ff. (452) und Horn, NVwZ 1986, S. 808 ff. (811), allerdings nicht für das innerbehördliche, sondern das organisationsrechtliche bzw. zwischenbehördliche Mandat. 122  Diesen Zusammenhang ebenfalls andeutend Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (121 und 153). Deutlicher findet sich diese Überlegung herausgearbeitet bei Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 322 ff. 123  Horn, NVwZ 1986, S. 808 ff. (811); vgl. auch Schwabe, DVBl 1974, S. 69 ff. (73), Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (153 f.), allerdings allesamt bezogen auf das organisationsrechtliche Mandat. 124  BVerwGE 63, 258 (260). 125  Siehe hierzu Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsver­ fahren, S.  322 ff.

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

II. Zurechnung der Handlungen fremder Behördenbediensteter Eine weitere Zurechnungskonstellation tut sich auf, wenn Amtswalter für eine andere Behörde handeln als für die, der sie zugewiesen sind. Auch ein Handeln eines Amtswalters, der einer anderen Behörde oder sogar einem anderen Rechtsträger zugeordnet ist, kann dem Staat zugerechnet werden.126 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass ein zwischenbehördliches Mandat besteht.127 Dieses weist gegenüber dem innerbehördlichen Mandat einige Besonderheiten auf, da der Amtswalter nicht organisatorischer Bestandteil der Einheit ist, die er vertritt.128 Um ein zwischenbehördliches Mandat zu schaffen, bedarf es daher einer gesetzlichen Grundlage.129 Diese ist dazu gedacht, die durch die fehlende Zuordnung zur zuständigen Behörde zu­ rückgenommene organisations- wie auch personalrechtliche Steuerung zu kompensieren.130 Grund hierfür ist, dass die Zuständigkeitsordnung nicht nur eine formale Komponente beinhaltet, von welchem Rechtsträger bzw. seinen Organen eine Maßnahme vorzunehmen ist, sondern auch eine mate­ rielle Seite aufweist, nach welcher ein Angehöriger der zuständigen Behör­ de die Entscheidung inhaltlich treffen soll.131 Möglich ist die Zurechnung des Handelns fremder Behördenbediensteter aber dennoch. Die in Bezug auf Organ- bzw. Amtswalter gewählte Zurechnungskonstruktion unterscheidet sich nur dahingehend, dass für die inhaltliche Zurechnung weitere Anforde­ rungen gestellt werden. Im Übrigen gleichen sich die Überlegungen, da auch im Falle des zwischenbehördlichen Mandats eine dem Staat generell zugeordnete Person tätig wird. Die an das zwischenbehördliche Mandat zu stellenden Anforderungen sind deshalb als eine Frage der materiellen Recht­ mäßigkeit, nicht aber der grundsätzlichen Zurechenbarkeit anzusehen.132 Selbst im Falle des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage wird aus diesem Grund eine Zurechnung vorgenommen, materiell-rechtlich sind die Akte in diesem Fall jedoch als rechtswidrig anzusehen.133 hierzu s. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 222 ff. wird auch vorgeschlagen, den Begriff „externes Mandat“ zu ver­ wenden, so Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (149). 128  Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 317. 129  BDiszG, DöV 1985, S. 450 ff. (451); Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 59a; A. A. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 226 ff. 130  Näher zu dieser Frage Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Ver­ waltungsverfahren, S. 324 ff. und Schwabe, DVBl 1974, S. 69 ff. (73). 131  Vgl. Schenke, DöV 1995, S. 452 ff. (452); Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 322 ff.; Schwabe, DVBl 1974, S. 69 ff. (73). 132  So auch Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 59a unter Verweis auf Verkehrsschutzgründe. 126  Näher

127  Teilweise



III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater141

III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater Betrachtet man diese schrittweise Einbeziehung immer weiter vom Staat bzw. der Behörde entfernter Personen − also von Konstellationen, in denen die Einheit des Staates scheinbar bricht und sich durch die Einbeziehung von Privaten der Zweiheit öffnet − ist im nächsten Schritt zu klären, unter wel­ chen Voraussetzungen die Handlungen derartiger Privater, insbesondere von Verwaltungshelfern und faktisch Beliehenen, dem Staat zuzurechnen sind.134 133

Die Zurechnungsmodi des Zivilrechts sind auf das Öffentliche Recht in Bezug auf das Verwaltungspersonal der Behörden nur sehr eingeschränkt übertragen worden. Sie werden von der Zuständigkeitsordnung der Behör­ den und deren Geschäftsverteilungen überlagert.135 Die Zugehörigkeit der Amtswalter zum Staat führt dazu, dass die im Öffentlichen Recht über den Organbegriff erfolgende Zurechnung gegenüber zivilrechtlichen Zurech­ nungskonstruktionen in nicht unerheblicher Weise modifiziert wird.136 An­ deres könnte allerdings gelten, wenn die Behörde Private zur staatlichen Aufgabenerfüllung einbezieht. Sollte die Zurechnung nicht über das Mandat bzw. die Zeichnungsbefugnis etc. erfolgen können, sondern andersartig vorgenommen werden müssen, bedürfte es, um dennoch eine Zurechnung der Handlung zum Hoheitsträger vornehmen zu können, einer anderen Grundlage. Insoweit könnte eine Rückbesinnung auf zivilrechtliche Maßga­ ben für die Zurechnung von Willenserklärungen und Realhandlungen wei­ terführend sein. Generell erfolgt eine Zurechnung mittels Überleitungsnormen. Im Verwal­ tungsrecht existieren derartige Zurechnungsnormen jedoch nicht ausdrück­ lich,137 sie werden vielmehr aus den Organisationsstrukturen des Staates über die Organstellung hergeleitet. In Bezug auf die Zurechnung von tatsächlichen Handlungen wie auch Erklärungen Privater ist daher gegebenenfalls daran zu 133  Eine Ausnahme besteht, wenn ein Amtswalter eigenmächtig für eine andere Behörde handelt, vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 290 ff. und 396, wobei Hufeld allerdings im Falle der fehlgeschlagenen Mandatierung beim zwischenbe­ hördlichen Mandat ebenfalls vertritt, dass keine Zurechnung stattfinden könne. Dies wird hier anders beurteilt. 134  Ausgeklammert von diesen Überlegungen sollen zunächst Beliehene bleiben, da sie − wie bereits erwähnt wurde − einer anderen Zurechnungslogik unterfallen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beleihung rechtswirksam ist. Zur fehlerhaften Beleihung siehe D. II. 4. 135  Koll, VR 1998, S. 414 f. 136  Hierzu bereits näher unter E. I. 2. 137  Dies gilt auch für § 839 BGB iVm Art. 34 GG, da mittels dieser Normen nicht Handlungen, sondern Folgen zugerechnet werden, vgl. E. III. 3. a).

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

denken, die Zurechnungsnormen des Zivilrechts heranzuziehen.138 Dies gilt jedenfalls, wenn die Delegation und das Mandat als Zurechnungsfiguren des Öffentlichen Rechts, welche für die Handlungen von Amtswaltern konzipiert wurden, auf die Einbeziehung Privater nicht uneingeschränkt übertragen wer­ den können sollten.139 Vor der Analyse der Übertragbarkeit zivilrechtlich ge­ prägter Zurechnungsmodi ist jedoch zunächst genauer zu analysieren, welche Änderungen sich in Bezug auf die Einbeziehung Privater ergeben, die eine Anwendung der Mandatstheorie ausschließen. Zum Teil wird der Amtsbegriff als auf Verwaltungshelfer erweiterungsfähig angesehen,140 sodass die Zu­ rechnung durch die Einbeziehung von Verwaltungshelfern womöglich über­ haupt nicht verändert wird. 1. Keine Zurechnung bei anlasslosen Handlungen Privater Sollte der Staat in keinerlei Weise Anlass dafür geschaffen haben, dass ein Privater in seinem Namen tätig wird, gibt es keinerlei Grundlage dafür, die Handlung dem Staat zuzurechnen. Es besteht kein besonderes Verhältnis zwischen dem Staat und dem Privaten, welches einen Grund dafür darstel­ len könnte, für das Verhalten des Privaten auf Primär- oder Sekundärebene einstehen zu müssen. 2. Keine Zurechnung bei Indienstnahme Im Falle der Indienstnahme von Privaten findet ebenso keine Zurechnung ihrer Handlungen zum Staat statt. Eine Indienstnahme liegt vor, wenn sich der Staat mittels Auferlegung besonderer Pflichten der Fähigkeiten eines Privaten bedient.141 Zwar dient die Tätigkeit des Privaten auch in diesen Fällen der staatlichen Aufgabenwahrnehmung, der Private erfüllt jedoch lediglich eine ihm staatlich auferlegte Pflicht. Dies tut er nicht für den auch Koll, VR 1998, S. 414 f. der Beleihung wird teilweise angenommen, dass es sich um eine Delegation handele, so T. Reinhardt, Delegation und Mandat, S. 109, die Überlegung des Mandats auf den Verwaltungshelfer zu übertragen, lehnt er aufgrund dessen Stellung jedoch ab, S. 231. 140  Diese Überlegung anstellend Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 340 ff. Ein Ansatz für eine derartige Überlegung findet sich auch in den Ausführungen Wollfs zum Amtsbegriff, vgl. Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 36. Und auch Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (254 f.) erwähnt am Rande, dass es sich bei der Verwaltungshilfe um ein atypisches Amtswalterver­ hältnis handele. 141  Nell, Beurteilungsspielraum zugunsten Privater, S. 116; Jestaedt, Demokra­ tieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 60. 138  So

139  Hinsichtlich



III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater143

Staat, sondern um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen. Derartige Handlun­ gen sind dem Staat nicht zurechenbar, selbst wenn der Staat die entspre­ chenden Handlungen durch die Auferlegung einer Pflicht veranlasst haben mag. Die Indienstnahme ist von der Verwaltungshilfe anhand des Kriteriums der Freiwilligkeit abzugrenzen.142 Es kommt somit darauf an, wie das Ver­ hältnis zwischen dem Privaten und dem Staat ausgestaltet ist. 3. Verwaltungshelfer Wie die Zurechnung des Handelns eines Verwaltungshelfers zur Behörde erfolgt, ist organisationsrechtlich kaum näher untersucht worden.143 Statt­ dessen wurde zumindest anfangs − vielfach aber auch noch heute − ohne weiteres angenommen, dass die Handlungen eines Verwaltungshelfers dem Staat zuzurechnen seien.144 Dies dürfte insbesondere darauf zurückzuführen sein, dass Verwaltungs­ helfer meist interne Teilbeiträge erbringen, nicht aber nach außen −  insbe­ sondere nicht dem Bürger gegenüber  − in Erscheinung treten.145 Eines or­ ganisationsrechtlichen Zurechnungsmodells für seine Handlungen bedurfte es deshalb nicht. Die staatliche Letztentscheidungsverantwortung war ange­ sichts der Art, wie die Figur des Verwaltungshelfers verstanden wurde, ge­ sichert.146 Durch den Akt des Zueigenmachens im Rahmen der Letztent­ scheidung konnte eine Zurechnung der erbrachten Teilbeiträge des Verwal­ tungshelfers erfolgen, ohne zu demokratieprinzipiellen Schwierigkeiten oder einer Aushöhlung des Prinzips der Selbstorganschaft zu gelangen.147 Die Zurechnung ist vor dem Hintergrund der Eigenentscheidung der Be­ hörde somit generell als unproblematisch angesehen worden, solange die Boten- bzw. Gehilfenstellung, welche häufig immer noch als Qualifika­ tionsmerkmal des Verwaltungshelfers betrachtet wird, nicht überschritten 142  Vgl.

Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (255). Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren,

143  Remmert,

S.  261 ff. 144  Siehe hierzu Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungs­ verfahren, S.  261 ff. m. w. N. 145  Hierauf abstellend etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 626; Stel­ kens, JZ 2004, S. 656 ff. (656). 146  Vgl. Stelkens, JZ 2004, S. 656 ff. (656). 147  Zum Zusammenhang von Letztverantwortung und Demokratieprinzip s. etwa Möllers, Staat als Argument, S. 292 ff. Diesen Aspekt mit der Entscheidungskompe­ tenz des Behördenmitarbeiters und der Selbstorganschaft in Zusammenhang brin­ gend Stelkens, JZ 2004, S. 656 ff. (656). Zur Problematik der Mitentscheidung und den hierauf beruhenden Legitimationsproblemen s. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 255 ff. und 389 ff.

144

E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

wird.148 Die Figur der Verwaltungshilfe ist angesichts dieses Verständnisses sogar selbst mit Zurechnungserwägungen identifiziert worden: Es gehe bei ihr um eine wertende Zuordnung eines Handelns sowie dessen Folgen an­ hand von tatsächlichen Umständen.149 Mit der Veränderung der Figur des Verwaltungshelfers, der zunehmenden Selbstständigkeit der Aufgabenwahrnehmung durch Verwaltungshelfer, die sogar in den Begriff des „selbstständigen Verwaltungshelfers“ mündete, begannen indes erste Zweifel an der Zurechnungskonstruktion zu gären.150 So wird etwa gefordert, dass die Zurechnung, da diese im Falle des Verwal­ tungshelfers nicht an Normen, sondern Tatsachen anknüpfe, entfallen solle, wenn die Behörde faktisch nicht das Maß an Einfluss ausübe, das für eine Verwaltungshilfe erforderlich sei.151 Die Anerkennung eines weitgehend selbstständig agierenden Verwal­ tungshelfers wird im Rahmen der Zurechnungskonstruktion demzufolge als problematisch angesehen. Hierbei wird unter anderem darauf verwiesen, dass die divergierende Behandlung, vergleiche man das Handeln eines Ver­ waltungshelfers mit dem Fall der Organisationsprivatisierung, bei welcher gerade keine Zurechnung erfolge, überraschend sei.152 Klement etwa fordert aus diesem Grund, dem Staat nur Handlungen von Beliehenen und Amtsträ­ gern zuzurechnen,153 nicht aber die Handlungen von Verwaltungshelfern. Die faktische Beleihung154 stellt einen in gleicher Weise komplizierten Fall der Zurechnung dar, sodass die bereits in Bezug auf selbstständige Verwaltungshelfer, deren Beiträge allerdings meist im internen Bereich verbleiben,155 geäußerte Kritik für diesen Fall mindestens in gleicher Weise greift. Wenn kein Organwalter letztverantwortlich handelt, sondern ein Pri­ vater, spitzt sich die Problematik der fehlenden Zurechnungskonstruktion für das Handeln von Verwaltungshelfern weiter zu.156 Als Zurechnungs­ grundlage verbleibt allein das interne Verhältnis zwischen Staat und Verwal­ 148  Vgl. Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (155); Stelkens, in: ders./Bonk/ Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 61. 149  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112  ff. (129); Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (254). 150  Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 263 f. Dies lässt sich ebenfalls an der Änderung der Zurechnungskonstruktion des BGH erkennen, vgl. hierzu E. III. 3. a). 151  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (133). 152  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (136). 153  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (137 f.). 154  Zur Verwendung des Begriffs siehe D. II. 4. 155  In Bezug auf Realhandlungen ist diese Äußerung allerdings einzuschränken. 156  Darauf hinweisend, dass die Zurechnung in diesem Fall besonders umstritten ist Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 60.



III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater145

tungshelfer. Doch genügt dies, um die Handlung dem Staat zurechnen zu können? Ein Anlass dazu, die faktische Beleihung zwar als rechtswidrig anzuse­ hen, eine Zurechnung aber dennoch für möglich zu halten, könnte sich aus der Überlegung ergeben, dass sich der Staat nicht aufgrund eigener Fehler seiner Haftung entledigen können darf.157 Dass letzteres Argument tatsächlich den Ausschlag dafür geben kann, die Handlungen von faktisch Beliehenen respektive selbstständigen Verwal­ tungshelfern dem Staat zuzurechnen, ist allerdings bereits unter Hinweis darauf bezweifelt worden, dass die organisationsrechtliche und amtshaf­ tungsrechtliche Zurechnung auseinanderfallen könne.158 Außerdem wäre es möglich, an einem Auswahl- oder Überwachungsverschulden anzuknüpfen und − rechnete man die Handlung nicht zu − hieraus eine Haftung zu konstruieren,159 weshalb es einer weitgehenden Zurechnungslogik nicht bedürfe. Sollte dies rechtlich zutreffend sein, würde sich die Problematik der Haftungsverlagerung nicht stellen und dies somit nicht als Argument für eine weite Zurechnungstheorie herangezogen werden können. Das Haf­ tungsrecht würde unter diesen Umständen für die Überlegungen der Zurech­ nung eine sehr viel geringere Rolle als zunächst gedacht spielen. Die von Klement im Hinblick auf die Zurechnung des Handelns eines Verwaltungshelfers aufgeworfene Problematik, dass es für die Zurechnung einer normativen Anknüpfung − geschriebener oder ungeschriebener Art − bedürfe,160 lässt sich jedoch möglicherweise entweder über öffentlichrechtliche oder aber zivilrechtliche Zurechnungskonstruktionen, wie etwa die Stellvertretung oder aber Botenschaft bei Erklärungen bzw. die Gehil­ fenstellung bei tatsächlichen Handlungen, lösen. Überdies ist nicht derart offensichtlich, warum die Zurechnungslogik im Falle des Handelns von 157  Diese Argumentation ist in Bezug auf die Verwaltungshilfe vielfach vorge­ bracht worden, sie stellte außerdem den Grund dafür dar, die Zurechnung bei selbst­ ständigen Verwaltungshelfern zu erweitern. Diskutiert wird diese Problematik eben­ falls unter dem Topos der „Flucht ins Privatrecht“. 158  So Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 260 ff., allerdings ohne den Hintergrund hiervon näher zu erläutern. Ein Auseinander­ fallen der haftungsrechtlichen und organisationsrechtlichen Zurechnung ist indes nur denkbar, wenn die Zurechnung unterschiedliche Anknüpfungspunkte beträfe: im Haf­ tungsrecht könnte zwar nicht die Handlung, wohl aber der Schaden dem Staat zuzurech­ nen sein, vgl. Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (114). Ob ein derartiges Ausei­ nanderfallen möglich ist, wird im Folgenden noch näher untersucht werden. 159  Hierauf hinweisend auch Schenke, Staatliche Haftung für Fehlverhalten von Privaten, die in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen sind, in: Seok/Ziekow (Hrsg.), Die Einbeziehung Privater in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 199 ff. (207) und Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (137). 160  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (135).

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

Verwaltungshelfern eine andere sein sollte als bei Handlungen von Organ­ waltern im weiteren Sinne. Es ist daher ferner der Frage nachzugehen, ob nicht auch Verwaltungshelfer als Amtswalter angesehen werden können.161 a) Amtshaftungsrechtliche Perspektive Dass ein Blick auf die amtshaftungsrechtliche Konstruktion der Zurech­ nung weiterzuführen vermag, ist − wenn auch eher indirekt − bereits be­ zweifelt worden, da der Zurechnungsbegriff im Kontext des Amtshaftungs­ rechts anders gebraucht werden könne als im organisationsrechtlichen Sin­ ne.162 Diese zunächst einmal einleuchtende Begründung ist angesichts der Konstruktionsweise der Amtshaftung jedoch problematisch. Zwar stimmen die in § 839 BGB iVm Art. 34 GG geregelten Vorausset­ zungen des Amtshaftungsrechts hinsichtlich ihres gedanklichen Ausgangs­ punktes nicht mit der öffentlich-rechtlichen Zurechnungsdogmatik überein. § 839 BGB iVm Art.  34 GG regelt eine Haftungsüberleitung −  vom Ansatz der Regelungen her betrachtet, wird somit dem Grunde nach auf ein eigenes Handeln des Amtswalters abgestellt. Nach der öffentlich-rechtlichen Kon­ zeption liegt ein solches eigenes Handeln des Amtswalters angesichts der Zurechnung seines Verhaltens zum Staat aber gerade nicht vor.163 Dies spricht zunächst dagegen, aus dem Amtshaftungsrecht bekannte Zurech­ nungskonzeptionen zu übertragen. Diese Schwierigkeit, die nahe legt, dass die Zurechnung im Amtshaf­ tungsrecht anders gedacht wird als im öffentlichen Recht, ist gleichzeitig aber auch der Grund dafür, doch von einer „Übertragbarkeit“ der im Amts­ haftungsrecht ausgearbeiteten Zurechnungskonstruktion auszugehen. Denn die im Rahmen des Amtshaftungsrechts in Bezug auf Verwaltungshelfer 161  Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., S. 36 hält, ohne dass dies weiter rezipiert worden wäre, ein Amtswalterverhältnis mit einer Zivilperson für möglich. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 76 stellt im Hinblick auf das Innenverhältnis ebenfalls fest, dass sich das Dienstverhältnis strukturell nicht we­ sentlich von anderen Arbeitsverhältnissen unterscheide. Remmert, Private Dienstleis­ tungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 340 ff. hält das Amt und seine Zu­ rechnungsfunktion mit Verwaltungshelfern für vereinbar. A. A. wohl Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 325, der meint, dass eine Gleichstellung nicht erfolgen könne, weil die formale Statusbegründung eine Besonderheit darstelle, weshalb der Anschein nicht ausreiche. Es könnte allerdings sein, dass sich seine Aussage bzgl. des Anscheins nur auf anlassloses Verhalten bezieht und nicht auf das Überschreiten der Vertretungsmacht. 162  Vgl. Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 260. 163  Hierauf im Ansatz ebenfalls hinweisend Petersen, Jura 2006, S. 411 ff. (413); Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 267.



III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater147

konstruierte Zurechnung stellt eigentlich keine amtshaftungsrechtliche, son­ dern vielmehr eine organisationsrechtliche Zurechnung dar.164 Damit die Voraussetzung des Vorliegens eines öffentlich-rechtlichen Handelns durch einen Verwaltungshelfer überhaupt erfüllt werden kann, muss zunächst eine organisationsrechtliche Zurechnung vorgenommen werden.165 Ohne die Vor­ nahme dieser Zurechnung lägen die Voraussetzungen der Amtshaftung nicht vor, weil der private Verwaltungshelfer überhaupt nicht öffentlich-rechtlich handeln könnte.166 Die Betrachtung der Zurechnung im Amtshaftungsrecht ist in Bezug auf Verwaltungshelfer aus diesem Grund weiterführend, unab­ hängig davon, dass grundsätzlich gewisse Unterschiede im logischen Ansatz bestehen mögen. Im Kontext der Amtshaftung ist die Zurechnung des Handelns von Ver­ waltungshelfern zunächst vor allem über die „Werkzeugtheorie“167 konstru­ iert worden.168 Aufgrund des weitreichenden Einflusses des Staates auf den Verwaltungshelfer wird die Handlung nicht als seine, sondern als die des Staates angesehen. Der Staat steuert den Verwaltungshelfer im Hintergrund so weitgehend, dass sein Agieren als das des Staates erscheint. Verbildlicht wird diese Überlegung mit der Bezeichnung des „verlängerten Arms“. Im Falle des selbstständigen Verwaltungshelfers wie auch eines faktisch Be­ liehenen wäre nach diesen Kriterien allerdings keine Zurechnung vorzu­ nehmen.169 Diese relativ strikten Zurechnungskriterien sind jedoch mit Zunahme des Einsatzes von Verwaltungshelfern, die diese Voraussetzungen nicht erfül­ len, weil ihnen staatlicherseits ermöglicht wird, weitgehend selbstständig tätig zu werden, aufgeweicht worden. Hintergrund hiervon war der Gedan­ ke, den geschädtigten Privaten einen möglichst solventen Schuldner im Falle einer Rechtsverletzung zur Verfügung zu stellen.170 Hierfür wurde 164  Hierauf weist auch Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwal­ tungsverfahren, S. 267 hin. 165  Vgl. Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 266. 166  So auch Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfah­ ren, S. 266. 167  Als Hintergrund der Werkzeugtheorie wird die deliktsrechtliche Norm des § 831 BGB angesehen, der auf § 839 BGB übertragen würde, vgl. Petersen, Jura 2006, S. 411 ff. (413). 168  BGHZ 48, 98 (103); BGH NJW 1971, S. 2220 f. (2221); BGH, NJW 1980 S. 1679; BGH, NVwZ 1984, S. 677; vgl. Petersen, Jura 2006, S. 411 ff. (411 f.); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftung, S.  23 ff.; Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 267. 169  Vgl. Stelkens, JZ 2004, S. 656 ff. (658). 170  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (112).

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E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

unter anderem darauf abgestellt, inwieweit ein Bezug zu staatlichen Auf­ gaben vorliegt.171 Als weiteres − in Bezug auf den Nichtakt besonders her­ vorzuhebendes Kriterium − wurde hinsichtlich der Zurechnung außerdem für relevant gehalten, inwieweit die Maßnahme hoheitlichen Charakter hat.172 Diese Überlegung ist anschließend von der Literatur aufgegriffen und in einen gemeinsamen Kontext mit der Frage gebracht worden, inwie­ weit dem Bürger mit Mitteln „spezifisch staatlicher Macht“ gegenübergetre­ ten werde,173 der er sich nicht in gleicher Weise erwehren könne, wie wenn er mit einem Privaten konfrontiert würde. Der durch die Verwendung staat­ licher Handlungsformen hervorgerufene Anschein der Staatlichkeit wird so­ mit in Bezug auf die Zurechnung für besonders bedeutsam gehalten. Nach Ansicht der Rechtsprechung genügt es − mangels Bestimmbarkeit des Vorliegens einer staatlichen Aufgabe, wie auch der weiteren in Ansatz gebrachten Kriterien −, um eine Handlung eines Verwaltungshelfers dem Staat zurechnen zu können, im Ergebnis letztlich, dass eine staatliche Ver­ anlassung für das Tätigwerden des Privaten vorlag.174 Dies gilt jedenfalls, wenn dieser sich staatlicher Handlungsformen bedient bzw. Hoheitsgewalt ausübt. Die Amtshaftung ginge nach dieser Auffassung für das Verhalten von Verwaltungshelfern − jedenfalls bei Erweckung des Anscheins der Staatlichkeit − somit ebenso weit wie für das Verhalten von Amtswaltern.175 Wie die Zurechnung in diesem Rahmen genau konstruiert sein soll, bleibt jedoch unklar; sie wird argumentativ vor allem vom Ergebnis aus betrachtet hergeleitet, nicht aber normativ abgesichert.176 b) Anscheins- und Duldungsvollmacht Betrachtet man diese im Kontext der Amtshaftung angestellten Erwägun­ gen, so ist vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung aus den § 278 BGB und 171  Sog. Kombinationsformel vgl. BGHZ 121, 161 (164 ff.); BGH, NJW 1996, S. 2431 f. (2432); teilweise wird dies auch als funktionale Aufgabenabgrenzung be­ zeichnet, vgl. Petersen, Jura 2006, S. 411 ff. (412); ähnlich auch Ossenbühl/Cornils, Staathaftungsrecht, S.  26 f., m. w. N. 172  BGHZ 121, 161 (165 f.). 173  Ossenbühl, DÖV 1971, S. 513 ff. (522 f.); ders./Cornils, Staatshaftungsrecht, S.  25 ff.; Meysen, JuS 1998, S. 404 ff. (407). 174  Vgl. Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (133). 175  Ossenbühl/Cornils, Staathaftungsrecht, S. 27. 176  Zum Teil wird in diesem Rahmen allerdings auf § 278 BGB bzw. § 831 BGB verwiesen, vgl. Stelkens, JZ 2004, S. 656 ff. (658). Insbesondere im Hinblick auf § 278 BGB finden sich diesbezüglich jedoch einige kritische Stimmen, vgl. vor­ nehmlich Burgi, Funktionale Privatisierung, S. 151 ff. und 402 ff.



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§ 831 BGB zugrunde liegenden Erwägungen festzustellen,177 dass vor allem die Zurechnung von Realhandlungen herausgearbeitet, nicht aber auf die Zurechnung von Willenserklärungen abgestellt wurde, wie sie, sollten zivil­ rechtliche Zurechnungsmaßgaben den Ausschlag geben, im Rahmen der fak­ tischen Beleihung − also bei dem Erlass von Verwaltungsakten durch Private im Namen einer Behörde − relevant wären. Die Anscheins- und Duldungs­ vollmacht könnte − sollte man der Meinung sein, dass dem faktisch Beliehe­ nen keine wirksame Vollmacht erteilt wurde und daher § 164 BGB nicht für einschlägig halten − in diesem Bereich jedoch herangezogen werden.178 Dies hätte zur Folge, dass man in weitem Rahmen ebenfalls zur Zurechenbarkeit der von faktisch Beliehenen abgegebenen Erklärungen käme. c) Der Verwaltungshelfer als atypischer Amtswalter Möglicherweise könnten zivilrechtliche Zurechnungserwägungen im Rah­ men der organisationsrechtlichen Zurechnung jedoch generell nicht aus­ schlaggebend sein. Eines Rekurses auf die zivilrechtlichen Zurechnungskon­ struktionen bedürfte es im Rahmen der Zurechnung nicht, wenn der Verwal­ tungshelfer als atypischer Amtswalter anzusehen und die Zurechnung da­ her – parallel zu der dargestellten Zurechnung des Handelns von Organ- bzw. Amtswaltern – über das Mandat konstruierbar sein sollte.179 Die teilweise vertretene Auffassung, dass der Verwaltungshelfer als aty­ pischer Amtswalter anzusehen sei,180 dürfte wohl vor allem darin begründet liegen, dass sein Verhalten der Verwaltung als eigenes zugerechnet wird. Die Zurechnungslogik des Zivilrechts, nach welcher nicht Handlungen zu­ gerechnet werden, sondern nur ihre Wirkungen,181 passt aus diesem Grund nicht für das öffentliche Recht, weil die Möglichkeit hoheitlichen Handelns nur dem Staat, nicht aber Privatpersonen eröffnet ist. Die Handlung wird erst durch die Zurechnung zu einer öffentlich-rechtlichen Maßnahme, wes­ 177  In Bezug auf die Zurechnung über § 278 und § 831 BGB siehe Stelkens, JZ 2004, S. 656 ff. (658 ff.), der allerdings ebenfalls darauf verweist, dass die zivilrecht­ lichen Normen aufgrund der besonderen Notwendigkeit, Bürger vor der öffentlichen Gewalt zu schützen, ausgeweitet werden. 178  Siehe hierzu Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  252 ff. 179  Vgl. hierzu E. I. 180  Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 ff. (254); Remmert, Private Dienstleis­ tungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 340 ff. So, wenn auch nicht ausdrück­ lich, jedoch jedenfalls im Ergebnis auch Stelkens, JZ 2004, S. 656 ff. (657). 181  Zu diesem Unterschied siehe bereits E. III. 3. a). Dass lediglich die Wirkung bzw. das Verschulden, nicht aber die Erklärung oder aber Handlung zugerechnet wird, geht für Willenserklärungen aus § 164 BGB und für Realhandlungen aus § 278 BGB wie auch § 831 BGB bereits aus dem Wortlaut hervor.

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halb nicht lediglich deren Wirkungen zugerechnet werden können. Handelt eine Person daher nicht als Staat bzw. Teil von ihm, kann es sich nicht um eine hoheitliche Maßnahme handeln. Die Übertragbarkeit zivilrechtlicher Zurechnungskonstruktionen auf das Öffentliche Recht ist aus diesem Grund problematisch. Vorrangig zu dieser Notwendigkeit, die Zurechnung nach öffentlichrechtlicher Logik zu konzipieren, ist jedoch die Frage, ob überhaupt Gründe dafür bestehen, eine Zurechnung vorzunehmen und die Handlung als öffent­ lich-rechtlich anzusehen. Dies wäre parallel der Zurechnungslogik, die in Bezug auf Organwalter im weiteren Sinne entwickelt wurde, möglich, soll­ te die Einbindung von Verwaltungshelfern sich mit den Erwägungen zum Amtswalterverhältnis parallelisieren lassen.182 Ruft man sich in Erinnerung, auf welchen Grundlagen die Zurechnung der Handlungen von Amtswaltern beruht, erscheint ein Gleichlauf der Zu­ rechnung nicht als fernliegend.183 Ein Grundverhältnis liegt bei dem Ver­ waltungshelfer ebenfalls vor, welches hierneben gleichzeitig auch die Auf­ gabenzuweisung beinhaltet. Es erfolgt somit zwar keine Aufspaltung in ein Grund- und Amtswalterverhältnis, hierüber hinausgehend sind bezüglich des Innenverhältnisses, was die Kompetenzzuteilung wie Befugniserteilung an­ geht, jedoch nur geringe Unterschiede erkennbar, zumal ohnehin als fraglich erscheint, inwieweit das Innenverhältnis für das Vorliegen eines Mandats ausschlaggebend sein kann.184 Des Weiteren müsste aber nicht nur hinsicht­ lich der konkreten Person, sondern auch abstrakt ein Zurechnungsstrang bestehen. Dies wäre der Fall, wenn die Aufgabenzuweisung mittels eines Amtes erfolgen würde. Hieran lässt sich angesichts der häufig nur zeitwei­ ligen und geringfügigeren Einbeziehung von Verwaltungshelfern zweifeln.185 Zwar wäre es denkbar, das Amt atypisch zuzuschneiden und hierüber eine Zurechnung zu konstruieren.186 Dies würde jedoch den Gedanken der staat­ 182  Teilweise wird das Mandat für auf Boten- und Gehilfentätigkeiten nicht für anwendbar gehalten, vgl. Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (148). Auf diese Frage wird im weiteren nicht näher eingegangen, da im Falle einer Boten- bzw. Gehilfentätigkeit des Verwaltungshelfers sein Handeln in jedem Fall dem Staat zu­ zurechnen wäre. 183  Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 340 ff. buchstabiert dies als einzige genau aus und vergleicht insbesondere das Amtswalterverhältnis mit dem staatlichen Verhältnis zum privaten Dienstleister. Eine Parallelisierung bzw. ein Vergleich mit dem zwischenbehördlichen Mandat und den diesbezüglich bestehenden Unterschieden gegenüber der Vertretung durch eigene Behördenmitarbeiter nimmt sie demgegenüber nicht vor. 184  Dies etwa ablehnend Schenke, VerwArch 68 (1977), S. 118 ff. (149). 185  So auch Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfah­ ren, S. 341.



III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater151

lichen Organisationsstruktur grundlegend verändern. Dies mag nicht die Entpersonalisierungsfunktion des Amtes betreffen, die Einbeziehung eines Verwaltungshelfers als externem Privaten ist aber dem Amtswalterverhältnis dennoch nicht gleichzustellen. Hintergrund hiervon ist nicht etwa die gene­ relle Unveränderbarkeit des Amtszuschnittes oder aber der „Ausgestaltung der rechtlichen Beziehungen zwischen Amt und Amtswalter“.187 Auch sind im Rahmen des zwischenbehördlichen Mandats einige Komponenten, wel­ che die Einbeziehung des Amtswalters in den Staat begründen, herunterge­ fahren. Dies betrifft im Falle des Verwaltungshelfers jedoch andere Aspekte als im Rahmen des zwischenbehördlichen Mandats. Die Verwaltungshilfe ist dadurch gekennzeichnet, dass Private − sei es mittels zivil- oder aber öf­ fentlich-rechtlichem Vertrag − beauftragt werden, einen bestimmten Aufga­ benbereich für den Staat wahrzunehmen. Diesbezüglich liegt eine Ähnlich­ keit zur Struktur des Amtswalterverhältnisses vor. Im Übrigen bleiben die Verwaltungshelfer jedoch Externe. Sie sind dem Staat im Rahmen ihrer Tätigkeit nicht zugehörig und unterliegen nicht den gleichen Weisungs- und Hierarchiestrukturen wie Amtswalter, weshalb die Zurechnung nicht iden­ tisch konstruierbar ist.188 Nicht nur der personelle Legitimations- und damit Zurechnungsstrang ist reduziert, sondern auch der materielle, da die Einwir­ kungsmöglichkeiten auf den Verwaltungshelfer nicht in gleicher Weise ge­ geben sind wie es bei Amtswaltern der Fall ist.189 Wäre dies anders zu beurteilen, stellte die Verwaltungshilfe im Übrigen auch keine Form der Privatisierung dar, da der Verwaltungshelfer in die Verwaltung eingegliedert würde. Auf ein atypisches Mandat kann für die Zurechnung daher nicht abgestellt werden. 186

186  Dieser Meinung ist Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwal­ tungsverfahren, S.  342 ff. 187  Hierauf stützt sich Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwal­ tungsverfahren, S. 344, um zu begründen, dass auch private Dienstleister letztlich als Amtswalter anzusehen seien. 188  A. A. Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 345. 189  Vgl. hierzu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 381 ff., der herausarbeitet, dass hinsichtlich des Bestellungsakts selbst kein Unterschied zu staatlichen Organwaltern vorliege, im Hinblick auf die strikte „dienst- und damit disziplinarrechtlichen Einbindung“ jedoch Defizite bestünden, S. 394 ff. In materiellrechtlicher Hinsicht arbeitet Jestaedt des Weiteren heraus, dass das Fehlen einer Einzelweisungsbefugnis von staatlich übergeordneten Institutionen eine Reduktion der materiell-demokratischen Legitimationsstrukturen bewirke, S. 404 ff. Diese Re­ duktion ist im Falle weitgehend selbstständig agierender Verwaltungshelfer ebenfalls festzustellen.

152

E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

4. Veranlassungstheorie des Bundesverwaltungsgerichts Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts genügt es − selbst wenn der Private vollkommen selbstständig gehandelt hat −, um die Handlung dem Staat zurechnen zu können, dass „die nach außen in Erscheinung tretende Behörde das Tätigwerden des Privaten als Geschäftsbesorger ver­ anlasst hat“.190 Einzige Voraussetzungen für die Zurechnung wären demzu­ folge: eine staatliche Veranlassung des Privaten, für den Staat in dem frag­ lichen Bereich tätig zu werden, sowie die fehlende Erkennbarkeit, dass ein Privater für den Staat gehandelt hat.191 Hinsichtlich der Veranlassung soll hierbei das Tätigwerden mit Wissen und Wollen der Behörde genügen,192 auf die Kenntnis wie auch Billigung der Art und Weise der Aufgabenwahr­ nehmung im Einzelfall oder die inhaltliche Beeinflussungsmöglichkeit komme es demgegenüber nicht an.193 Allerdings müsse die interne Veran­ lassung, was das Tätigkeitsfeld angeht, ausreichend bestimmt sein, um feststellen zu können, ob sich die fragliche Handlung im Rahmen des Tä­ tigkeitsbereichs bewegte, zu welcher der Private veranlasst worden sei.194 Eine „Blanko-Veranlassung“ wäre demnach keine ausreichende Zurech­ nungsgrundlage. Im Übrigen hält das Bundesverwaltungsgericht die formale Zurechnung aber von der materiellen Zurechnung/Verantwortung generell für entkop­ pelbar.195 Wer den Akt inhaltlich tatsächlich bestimmt habe, sei allein für die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit entscheidend. Angesichts des staat­licherseits gesetzten Anlasses, in behördlichem Namen aufzutreten, sei formal von einer staatlichen Handlung auszugehen. Als Zurechnungsgrund wird hierbei ausdrücklich allerdings lediglich die Auslegungsregel des § 133 BGB genannt,196 nicht aber eine weitergehende Begründung ange­ boten. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich somit letztlich der schon des Län­ geren im Kontext der Amtshaftung praktizierten weitgehenden Zurechnung der Handlungen von Verwaltungshelfern auch im organisationsrechtlichen Kontext angeschlossen. Als Grundlage der Zurechnung wird aber weder auf die im Amtshaftungsrecht herangezogenen Überlegungen der Werkzeug­ 190  BVerwGE

140, 245 (245, 1. Leitsatz). hierzu bereits unter D. II. 5. 192  BVerwGE 140, 245 (246). 193  So auch Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (480). 194  BVerwGE 140, 245 (246). 195  BVerwGE 140, 245 (247  f.); hierauf hinweisend auch Hebeler, JA 2012, S.  479 f. (480). 196  BVerwGE 140, 245 (247). 191  Siehe



III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater153

theorie bzw. der Kombinationsformel197 abgestellt, noch hat es das Mandat als Basis der Zurechnung herangezogen. Stattdessen wendet das Bundesver­ waltungsgericht eine Auslegungsmethode an, um die Zurechnung zu begrün­ den.198 Dogmatisch ist die Heranziehung einer Norm, welche sich auf die Ausle­ gung des Inhalts einer Erklärung bezieht, in Bezug auf die Frage, wem die Erklärung zuzurechnen ist, bereits nicht unproblematisch.199 Dies ließe sich jedoch noch dergestalt lösen, dass an den in § 133 BGB zur Geltung kom­ menden allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes des Rechtsver­ kehrs − der allerdings § 157 BGB noch stärker zugrunde liegt als § 133 BGB200 − angeknüpft werden könnte. Des Weiteren beinhaltet diese Erwä­ gung aber das vom Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich betonte Moment der Veranlassung ebenfalls nicht. Die rechtlichen Grundlagen der Zurech­ nung werden folglich entweder nicht offengelegt oder aber nicht präzise ausgearbeitet. Der Verweis auf § 133 BGB deutet aber − klammert man die dogmati­ schen Probleme der Anwendung aus − darauf hin, dass Erwägungen des Verkehrs- und Vertrauensschutzes den Ausschlag geben, wenn aufgrund der staatlichen Veranlassung zum Handeln zumindest abstrakt die vorherige Möglichkeit bestanden hat, die Handlungen des Privaten zu beeinflussen. Man könnte folglich davon ausgehen, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinen Vorgaben versucht, die Verantwortungssphären von Staat, betrof­ fenem Bürger und handelndem Verwaltungshelfer abzuschichten.201 Dies erscheint als sachgerecht, denn ohne das Vorliegen einer staatlichen Veran­ lassung stellt es das private Risiko eines jeden Einzelnen dar, auf einen „Betrüger“ reinzufallen, weshalb staatlicherseits weder Vertrauens- noch Verkehrsschutz zu garantieren ist. Liegt demgegenüber eine staatliche Ein­ mischung in den Rechtsverkehr dadurch vor, dass der Staat einen Privaten veranlasst hat, für ihn in einem bestimmten Aufgabenbereich tätig zu wer­ den, verlagert sich die Verantwortung − jedenfalls was das Verhältnis zum Bürger betrifft − auf den Staat. 197  Die Kombinationsformel könnte man allenfalls in der Forderung verkörpert sehen, dass die Tätigkeit eines Privaten nach außen nicht erkennbar gewesen ist. Auf diese Erwägung wird aber jedenfalls nicht ausdrücklich Rekurs genommen. 198  Hierauf ebenfalls hinweisend, dies aber nicht als problematisch ansehend ­Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (480). 199  Allerdings wird § 133 BGB nach allgemeiner Auffassung beispielsweise auch angewendet, um zu bestimmen, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, vgl. Busche, in: Säcker/Rixecker (Hrsg), MüKo BGB, § 133 Rn. 50. 200  Wahrscheinlich nimmt das Bundesverwaltungsgericht gedanklich auch auf bei­ de Normen Bezug, da sie generell in einem gemeinsamen Kontext gelesen werden. 201  So andeutungsweise auch Hebeler, JA 2012, S. 479 f. (480).

154

E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

Dies ist nicht nur auf Sekundärebene gerechtfertigt, sondern auch auf Primärebene. Zwar mag die staatliche Verantwortung nicht den Inhalt der Maßnahme vollumfänglich erfassen. Der Akt stammt jedoch aus seiner Rechtssphäre, sodass der Staat im positiven wie negativen für ihn einzuste­ hen hat. Allein die mögliche Überlagerung bzw. Auslagerung von Zustän­ digkeiten und damit des legitimatorischen Grundgerüsts erscheint im Falle einer derart weiten Zurechnungstheorie als problematisch. 5. Sicherstellung der materiellen Entscheidungshoheit Das bereits in Bezug auf Amtswalter angeklungene Problem der sowohl formellen als auch materiellen Komponente der Zurechnung wie auch von Zuständigkeitsregelungen wird von der Frage,202 ob überhaupt ein staatli­ cher Akt vorliegt, somit wegverlagert und als Frage der materiellen Recht­ mäßigkeit verstanden. Dass die Willensbildung durch legitimierte Hoheits­ träger erfolgt, wird demnach auf Ebene der materiellen Rechtmäßigkeit si­ chergestellt, nicht aber auf Zurechnungsebene. Das Kriterium der Selbstor­ ganschaft kann hierbei entweder als gänzlich eigenständiges Kriterium in die Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit einer Maßnahme eingespeist werden oder aber nur wirken, wenn es darauf ankommt, dass ein Hoheits­ träger eigene Wertungen vorgenommen hat − es könnte also etwa bei Beur­ teilungsspielräumen bzw. dem Vorliegen eines Ermessens herangezogen werden. Wie auch immer die Berücksichtigung der Selbstorganschaft auf Ebene der materiellen Rechtmäßigkeit konkret erfolgen kann, hat die Verlagerung von der Zurechnungsebene auf einen Aspekt der materiellen Rechtmäßigkeit dennoch Konsequenzen dafür, welcher Stellenwert der Selbstorganschaft und damit auch der demokratischen Legitimation eingeräumt wird. Zu be­ achten ist nämlich, dass die Verschiebung des Fokus von der Zurechnung auf die Rechtmäßigkeit nicht nur positive Folgen hat. Zwar lässt sich die Sicherheit des Rechtsverkehrs wie auch der Vertrauensschutz des Bürgers hierdurch einfacher garantieren. Dies zeigt sich etwa daran, dass die Zu­ rechnung der Maßnahme zum Staat dazu führt, dass zum Beispiel die Schutzwirkungen des § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2–4 VwVfG Geltung entfalten. Im Falle des Vorliegens eines Verwaltungsakts führt dies jedoch gleichfalls dazu, dass die staatlicherseits kaum beeinflusste Maßnahme bestandskräftig werden kann und Geltung entfaltet, obwohl der Staat sie konkret inhaltlich nicht verantwortet hat. Dies kann man zwar unter Hinweis darauf, dass der Staat auch nach Bestandskraft noch über § 48 VwVfG Abhilfe zu schaffen vermag, mögli­ 202  Vgl.

hierzu E. I. 3.



III. Zurechnung von Handlungen nicht beliehener Privater155

cherweise kompensieren. Ferner besteht diese spezifische Problematik auch nur in Bezug auf Verwaltungsakte, nicht aber bei anderen staatlichen Maß­ nahmen. Gewisse, wenn auch geringe Abschleifungstendenzen in Bezug auf die Legitimation staatlicher Entscheidungen wird man einer weiten Zurech­ nungstheorie dennoch nicht absprechen können, selbst wenn diese aus Gründen des Schutzes des Rechtsverkehrs und des Vertrauens des Einzelnen zu rechtfertigen sein mögen. 6. Zwischenergebnis Betrachtet man die inzwischen an die Zurechnung von Handlungen zum Staat gestellten Voraussetzungen ist festzustellen, dass Fälle der Verwal­ tungshilfe bzw. faktischen Beleihung fast genauso behandelt werden, wie wenn ein Organwalter im weiteren Sinne tätig geworden wäre.203 Teilwei­ se wird aus diesem Grund die Unterscheidung zwischen Externen und Or­ ganwaltern im weiteren Sinne vollständig negiert, wenn der Externe im Namen der Behörde tätig wird.204 Dem ist, was die Zurechnung angeht, zwar im Ergebnis − allerdings auch hier nicht uneingeschränkt − zuzustim­ men. Zu einer Gleichstellung von Verwaltungshelfern sowie faktisch Belie­ henen mit Organwaltern im weiteren Sinne kommt es hierdurch jedoch nicht. Grund hierfür ist, dass sich die Basis der Zurechnungskonstruktion unter­ scheidet: Während bei Amtswaltern die Erwägung Vorrang hat, dass sie generell dem Staat zugehörig sind, weshalb der Staat grundsätzlich für ihr Tun einzustehen hat, prägt die Zurechnungslogik bei Privaten nicht eine organschaftliche Überlegung, sondern vielmehr allein Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Verantwortung. Dies führt zwar letztlich zu identischen Ergebnissen. Gleichgestellt wird der Verwaltungshelfer dem Amtswalter hierdurch jedoch nicht. Außerdem besteht eine Einschränkung der Zurechnung in Bezug darauf, dass nicht erkennbar sein darf, dass ein Verwaltungshelfer bzw. faktisch Beliehener gehandelt hat. Es bedarf somit eines besonderen staatlichen An­ scheins, um eine Zurechnung vorzunehmen. Dies ist bei Amtswaltern dem­ gegenüber nicht der Fall. Nur wenn diese ausdrücklich nicht im Namen des Staates handeln oder aber erkennbar ist, dass sie ihre Zuständigkeiten bzw. Befugnisse überschreiten, scheitert die Zurechnung. Insoweit spielen Rechts­ scheingesichtspunkte − da diese den Anknüpfungspunkt der Zurechnung 203  Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 27; Remmert, Private Dienst­ leistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 269; Burgi, Funktionale Privatisie­ rung, S. 404 ff., der diese Art der Zurechnung allerdings kritisiert. 204  So Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 241; ders. JZ 2004, S. 656 ff. (657).

156

E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

darstellen − im Falle des Tätigwerdens eines Privaten eine andere Rolle, als dies bei Organwaltern im weiteren Sinne der Fall ist.

IV. Zurechnung im Falle wirksamer oder fehlerhafter Beleihung Im Ergebnis ähnlich, konstruktiv jedoch anders, funktioniert die Zurech­ nung zum Staat im Falle von Beliehenen wie auch fehlerhaft Beliehenen. Der Beliehene wird aufgrund der ihm eingeräumten Berechtigung zum Einsatz öffentlich-rechtlicher Instrumente, der Befugnis zum Handeln in den öffentlich-rechtlichen Handlungsformen, selbst zum Staatsträger.205 Es geht damit nicht um die Zurechnung seiner Tätigkeit zu einem Staatsorgan,206 sondern vielmehr um die Einordnung seiner Handlungen als solcher − dar­ um, ob diese öffentlich-rechtlicher Natur sind. Der Beliehene nimmt nicht eine Aufgabe für die Behörde in deren Namen wahr, sondern die Aufgabe wird an ihn delegiert und zwar so, dass er in Bezug auf sie als Staatsorgan fungiert. Durch Beleihung wird der Private selbst zum Hoheitsträger.207 Im Falle der Beleihung einer juristischen Person, sind ihre Bediensteten als Amtsträger anzusehen.208 Dennoch unterliegt die Einordnung der Tätigkeit von Beliehenen der Logik der Zurechnung − jedenfalls der Zurechnung im weiteren Sinne, die hier als Zuordnung bezeichnet wird.209 Die Zuordnung des Beliehenen zum Staat erfolgt im Grundsatz über die gesetzliche Grundlage der Beleihung sowie den konkreten Übertragungsakt. Sollte entweder die gesetzliche Grundlage oder aber der Übertragungsakt unwirksam sein, bedeutet dies jedoch nicht, dass der Akt als nicht öffentlichrechtlicher Natur anzusehen ist. Die Zuordnung ist nur auf einer anderen Grundlage vorzunehmen.210 Auch hier spielen Vertrauensschutzgesichts­ punkte eine entscheidende Rolle. Ebenso wie im Rahmen der Verwaltungs­ hilfe liegt mit dem Versuch, eine Beleihung vorzunehmen, eine staatliche Veranlassung vor. Zweifel an der Zurechnung können demnach nur durch die Besonderheit hervorgerufen werden, dass der nicht wirksam beliehene 205  Burgi,

Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 80. Baden-Württemberg, VBlBW 2010, S. 198 f.; Burgi, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 24; Jestaedt, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR I, § 14 Rn. 31. 207  Vgl. Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (119). 208  Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (119 f.). 209  Vgl. Remmert, Private Dienstleistungen im staatlichen Verwaltungsverfahren, S.  256 f. und Klement, VerwArch 101 (2010), S. 112 ff. (114 f.), die allerdings diese begriffliche Einschränkung nicht vornehmen. 210  Vgl. hierzu D. II. 3 und 4. 206  VGH



V. Zurechnung im Falle staatlicher Veranlassung157

Private im eigenen Namen und nicht im Namen des Staates handelt. Teil­ weise wird die Zurechnung ihres Handelns zum Staat deshalb abgelehnt.211 Betrachtet man, dass der Beliehene sich ebenfalls hoheitlicher Handlungs­ formen bedient und wie ein Staatsträger auftritt, ist jedoch nicht ersichtlich, warum in seinem Fall − anders etwa als bei einem nicht wirksam ernannten Beamten oder einer nicht wirksam errichteten Behörde bzw. juristischen Person des Öffentlichen Rechts − keine Zurechnung erfolgen soll. Dies gilt jedenfalls, wenn der Anschein gesetzt wird, dass eine staatliche Maßnahme vorliegt und eine Veranlassung des Privaten seitens des Staates, in diesem Bereich mit hoheitlichen Befugnissen aufzutreten, ebenfalls besteht.212 Auch im Falle der Beleihung überlagern daher Vertrauensschutzgesichtspunkte die in positiver Hinsicht fehlende Zurechnungsgrundlage.

V. Zurechnung im Falle staatlicher Veranlassung − Eine Sphärentheorie Im Ergebnis ist somit auf formaler Ebene aufgrund der besonderen Wir­ kungen, die von dem Einsatz hoheitlicher Handlungsformen ausgehen, eine weite Zurechnung zum Staat vorzunehmen. Ergänzt wird diese weite Zu­ rechnungstheorie auf formaler Seite um eine auf der Ebene der materiellen Rechtmäßigkeit angesiedelte Komponente. Dies ermöglicht einerseits si­ cherzustellen, dass der Private aufgrund der erfolgenden Zurechnung in seinem Vertrauen ausreichend geschützt sowie der Rechtsverkehr gewähr­ leistet wird. Andererseits berücksichtigt diese Lösung aber zugleich, dass die Zuständigkeitsordnung − da sie einen Part des Legitimationsmodells darstellt − durch eine Verschiebung der inhaltlichen Entscheidung nicht ausgehöhlt werden darf. Gewisse Reduktionen sind zwar im Hinblick auf den Schutz der inhalt­ lichen Entscheidungsverantwortung im Falle einer weiten Zurechnung fest­ zustellen. Da die staatliche Veranlassung jedoch nur die formelle Ebene betrifft und nicht dazu führt, dass die Maßnahme dem Staat auch materiell zugeordnet werden kann, erscheint diese Abschleifung als im Vergleich zum Fall des rechtswidrigen Handelns eines Amtsträgers nur marginal wei­ tergehend. Der rechtswidrig handelnde Amtsträger weicht, wenn auch nicht in personeller, so aber doch in materieller Hinsicht ebenso von den Vorga­ ben ab, welche die sachlich-inhaltliche Legitimation seiner Maßnahme si­ cherstellen. Legitimationsaspekte werden demzufolge auch sonst auf Ebene der Rechtmäßigkeit verortet, nicht aber der Zurechnungsebene zugeschrie­ 211  So

Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 60. zu dieser Argumentation bereits D. II. 3. und 4.

212  Siehe

158

E. Nichtakt bei fehlender Zurechnung des Handelns zum Staat

ben. Warum der personelle Aspekt daher zwingend auf einer vorgelagerten Ebene, nicht aber auf Ebene der materiellen Rechtmäßigkeit einzuordnen sein soll, bedarf daher einer stringenten Begründung. Angesichts der Nach­ teile einer engen Zurechnungstheorie in Bezug auf den Schutz des Rechts­ verkehrs in genereller Hinsicht wie auch den Schutz des Vertrauens im Einzelfall erscheint es nicht als sinnvoll, den Weg einer strikt normativ geprägten Zurechnung, die von Zuständigkeitserwägungen ausgeht, zu ge­ hen. Die festzustellenden Reduktionen des Legitimationsmodells lassen die generelle Konstruktion der Zurechnung außerdem weder entfallen noch führen sie dazu, dass die staatliche Entscheidungsverantwortung folgenlos ausgelagert werden kann. Eine aus Vertrauens- und Rechtsverkehrsschutz­ erwägungen erfolgende Zurechnung im Einzelfall tangiert nicht die abs­ trakte Zurechnungskonstruktion, welche vor dem Hintergrund der demokra­ tischen Legitimationsnotwendigkeit entwickelt wurde. Das Rechtsstaats­ prinzip vermag das Demokratieprinzip, insbesondere wenn es um Einzel­ fallbeurteilungen geht, zu überlagern. Es besteht ein ganzes Netz von Zurechnungssträngen. Die Zuständigkeitsregelungen und die hierüber kon­ struierten Zurechnungserwägungen bilden nur einen Strang hiervon. Der Veranlassungstheorie des Bundesverwaltungsgerichts ist daher zuzustim­ men. Das Kriterium der Selbstorganschaft ist aus diesem Grund nicht als Aspekt der Zurechnung und damit als der Zuständigkeit vorgelagerte Frage zu verstehen, sondern es stellt ein Kriterium der Rechtmäßigkeit einer staatlichen Maßnahme dar. Dies ermöglicht eine adäquate Abgrenzung zwi­ schen der staatlichen und der privaten Risikosphäre. Für die Figur des Nichtakts hat dies folgende Auswirkungen: Der Anwen­ dungsbereich des Nichtakts wird durch eine weite Zurechnungstheorie stark reduziert. Die Ausklammerung der dem Scheinakt zugeordneten Konstella­ tionen führt in Kombination mit einer weiten Zurechnungstheorie dazu, dass von der Figur des Nichtakts nur noch Fälle erfasst werden, in denen das Handeln eines Privaten entweder staatlich nicht veranlasst wurde oder aber der Private als Privater nach außen in Erscheinung getreten ist, ohne dass ein Fall der fehlerhaften Beleihung vorliegt. Ein Amtswalter, der seine Be­ fugnisse in einer Weise überschreitet, dass seine Handlung erkennbar nicht seinem Amt zuzuordnen ist, handelt ebenfalls als Privater, weshalb seine mit staatlichem Anschein erfolgten Handlungen als Nichtakte anzusehen sind. Sämtliche anderen Konstellationen sind entweder als Scheinakte ein­ zuordnen oder stellen rechtswidrige staatliche Akte einer beliebigen Hand­ lungsform dar. Der Nichtakt hat demgegenüber nur einen engen Anwen­ dungsbereich. Als Grenzkategorie bleibt die Figur des Nichtakts trotz ihres durch die erfolgte Präzisierung begrenzten Anwendungsbereichs aber dennoch sinn­ voll. Anhand der Figur des Nichtakts wird nicht nur die Vollrechtsfähigkeit



V. Zurechnung im Falle staatlicher Veranlassung159

der juristischen Person des Öffentlichen Rechts deutlich.213 Vielmehr wird angesichts der Anerkennung der Figur eine Zurechnungstheorie notwendig, welche mit Fragen des Verwaltungspersonenrechts, der Strukturierung der Legitima­tionseinheit Staat, Aspekten der Vertretungsmacht sowie des Ver­ trauens- und Rechtsverkehrsschutzes zusammenhängt.214 Der dogmatische Wert des Nichtakts besteht folglich nicht allein darin, dass aus dem Vorlie­ gen eines Nichtakts bestimmte Rechtsfolgen herzuleiten sind, sondern liegt insbesondere auch in der notwendigen Reflexion verschiedenster Rechts­ fragen.

213  Vgl. Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 67; Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 394. 214  Zur Relevanz der Figur in Bezug auf Fragen der Zurechnung und vor allem das Verwaltungspersonenrechts Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 393 ff.

F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“ − Scheinakte und Nichtakte − Die dogmatische Funktion, wie sie etwa Handlungsformen ausüben und sie auch sonstigen dogmatischen Figuren, Rechtsbegriffen respektive Insti­ tuten1 zugeschrieben wird, besteht vor allen Dingen darin, Rechtsphänome­ ne, die gemeinsame Folgen aufweisen, zu bündeln.2 Ihre Zusammenfassung unter einem Begriff basiert darauf, dass die Konstellationen einer vergleich­ baren Logik unterfallen − insoweit ist sowohl bei den Handlungsformen, dogmatischen Figuren bzw. Instituten wie auch ihren Untergruppen vielfach eine gewisse Folgenorientierung zu verzeichnen. Die Adäquanz der einer Handlungsform oder einer Figur zugeschriebenen Rechtsfolgen ist demzu­ folge für die Herausbildung ihrer dogmatischen Speicherfunktion von be­ sonderer Relevanz.3 Es besteht insoweit ein interdependentes Verhältnis zwischen der Ausarbeitung einer Figur einerseits und ihrer Rechtsfolgenbe­ trachtung andererseits.4 Letztere hängt wiederum von den Rechtsfragen ab, welche der Figur zugeordnet werden, wobei die Vermutung dafür spricht, dass ähnlich gelagerten Rechtsfragen vergleichbare Rechtsfolgen zuzu­ schreiben sind. Um zu beurteilen, ob die erörterten Konstellationen dazu geeignet sind, unter einer Rechtsfigur zusammengefasst zu werden, bedarf es folglich einer Analyse, die die verschiedenen betroffenen Rechtsfragen im Blick behält, gleichzeitig die hierdurch hervorgerufenen Rechtsfolgen reflektiert und dies 1  Zum Begriff der Figur s. G. II. Als Institut werden thematisch „zusammen­ hängende Sätze des objektiven Rechts“ bezeichnet, vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 62. Institute dienen dazu, zusammengehörige Normen von den anderen zu trennen und somit eine Sortierung nach Sachzusammenhängen vorzuneh­ men. Mangels Anknüpfung an geschriebene Normen handelt es sich bei dem Nicht­ akt selbst nicht um ein Institut. 2  Di Fabio, Handlungsformen und Fehlerfolgenlehre, in: Becker-Schwarze/ Köck/Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentli­ chen Recht, S. 47 ff. (51); Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533 ff. (534). Zu der Bildung von Rechtsbegriffen aufgrund einer folgenorientierten Betrachtung siehe grundlegend Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, S. 44 ff. und 84 ff. 3  Vgl. Schmidt-Aßmann, DVBl 1989, S. 533  ff. (533 ff.); Lübbe-Wolff, Rechts­ folgen und Realfolgen, S. 84 ff. 4  Vgl. Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, S. 44 ff.



I. Schwierigkeiten im Umgang mit Nichtakten161

auf die Ausformung der Figur rückbezieht. Die bereits herausgearbeiteten Unterschiede und Gemeinsamkeiten der dem Nichtakt derzeit zugeordneten Fallkonstellationen sind aus diesem Grund besonders bedeutsam. Obwohl sich der Blick zunächst auf die in Bezug auf die Fehlerfolgenlehre ausge­ arbeiteten Erwägungen der Wirksamkeit bzw. Rechtswirkungen einer Maß­ nahme richtet, sind nicht nur diese als relevant anzusehen. Vielmehr müssen ebenfalls die prozessualen wie auch sekundärrechtlichen Folgen in die Be­ trachtung miteinbezogen werden. Naheliegende Realfolgen5 sind ebenfalls zu beachten. Die dem Nichtakt zugeordneten Konstellationen wurden hinsichtlich der von ihnen erfassten Rechtsfragen bereits auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersucht.6 Die prozessualen Folgen wie auch der ma­ teriell-rechtliche Umgang mit Nichtakten bedürfen noch einer näheren Be­ trachtung. Sinn und Zweck der einzelnen Analysen ist es, jeweils festzustel­ len, ob die verschiedenen Divergenzen, die in Bezug auf den Umgang mit Nichtakten im Allgemeinen wie auch die verschiedenen Nichtaktkonstella­ tionen im Besonderen bestehen, auf kategoriale Unterschiede zwischen den verschiedenen Nichtaktkonstellationen zurückzuführen sind. Ziel der Aus­ führungen ist zu beurteilen, ob der Anteil ihrer Gemeinsamkeiten hoch ge­ nug ist, um sie unter einer Rechtsfigur sinnvoll zusammenfassen zu können.

I. Prozessuale und materielle Schwierigkeiten im Umgang mit Nichtakten Der Umgang mit Nichtakten ist sowohl in prozessualer als auch in mate­ riell-rechtlicher Hinsicht umstritten.7 Einigkeit besteht nur darüber, dass aus Gründen der Rechtssicherheit auf irgendeine Art und Weise festgestellt werden können muss, dass lediglich der Rechtsschein des Vorliegens eines bestimmten Rechtsakts besteht. Im Übrigen divergieren die Ansichten so­ wohl innerhalb der Rechtsprechung als auch innerhalb der Literatur darin, wie mit Nichtakten genau zu verfahren ist. Einesteils wird erwogen, sämtliche Vorschriften zu Verwaltungsakten ana­ log anzuwenden.8 Andernteils wird vertreten, dass dies nur bei Scheinakten, nicht aber Nichtakten notwendig wäre, weil sich letztere von nichtigen Ver­ 5  Lübbe-Wolff,

Rechtsfolgen und Realfolgen, S. 137 ff. D. 7  In prozessualer Hinsicht wird der einstweilige Rechtsschutz hier nicht weiter diskutiert, für ihn gelten jedoch dieselben Erwägungen wie für die Klagen in der Hauptsache, vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1991, S. 1195. 8  Will/Rathgeber, JuS 2012, S. 1057  ff. (1058); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn.  49 f. 6  Vgl.

162

F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

waltungsakten wesentlich unterschieden.9 Zum Teil wird eine analoge Anwen­ dung der Vorschriften aber auch generell abgelehnt.10 Hierbei wird die Befür­ wortung bzw. Ablehnung der analogen Anwendung in Bezug auf die prozes­ sualen und materiell-rechtlichen Regelungen allerdings wiederum nicht ein­ heitlich gehandhabt. Vielmehr wird hinsichtlich des Rechtsschutzes sehr viel häufiger als in materieller Hinsicht befürwortet, die auf Verwaltungsakte zu­ geschnittenen Regelungen analog anzuwenden. Auf materieller Ebene wird die Frage der analogen Anwendbarkeit zwar ebenfalls intensiv diskutiert,11 sie wird jedoch öfter als auf prozessualer Ebene verneint. Das Bedürfnis Nichtak­ te und Verwaltungsakte identisch zu behandeln, scheint demnach auf prozes­ sualer Ebene größer zu sein als auf materiell-rechtlicher Ebene. Prozessual ist insbesondere umstritten, ob der Nichtakt mittels einer ­ nfechtungsklage bzw. einer Nichtigkeitsfeststellungsklage12 angegriffen A werden kann oder ob mittels einer allgemeinen Feststellungsklage13 gerich­ tet auf das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses vorgegangen werden muss.14 Teilweise wird auch ein Wahlrecht befürwortet.15 Begründet wird die Annahme einer Anfechtungsklage insbesondere damit, dass dem Rechts­ schein nach ein Verwaltungsakt vorliege, weshalb dem Bürger einzuräumen sei, sich dieses Rechtsschutzmittels zu bedienen. Selbiges Argument wird für die Nichtigkeitsfeststellungsklage vorgebracht. Eine ähnliche Argumen­ tation findet sich auch bei denjenigen wieder, die für ein Wahlrecht der Betroffenen eintreten. Aus dem Rechtsgedanken des effektiven Rechtsschut­ zes und dem „Grundgedanken der Meistbegünstigung“ wird angesichts der durch den Rechtsschein hervorgerufenen Unklarheiten vertreten, dass es dem Bürger frei stünde, welche Art des Rechtsschutzes er wähle.16 Das 9  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (605 ff.). Auch E. R. Huber, Wirtschafts­ verwaltungsrecht, 2. Band, S. 681 ist der Auffassung, dass der „Nicht-Akt“ nicht mit den gegen nichtige Verwaltungsakte möglichen Rechtsbehelfen angegriffen werden könne. Diese Möglichkeit bestünde nur, wenn es sich um einen rechtserheblichen, dem Staat zuzurechnenden Akt handele. 10  Will/Rathgeber, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058). 11  Nolte, NordÖR 1999, S. 447 f. (447); so auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 49 f. und § 44 Rn. 6. 12  So BFH, BStBl 1976 II, S. 606. 13  So die Mehrzahl der Gerichte, etwa VGH Mannheim, NVwZ 1991, S. 1195 ff. (1195 f.); BVerwG, NVwZ 1987, S. 330 f. (330 f.); BFH, Beschluss vom 01.07.1987, – II B 204/86 –, juris Rn. 10. Dies ebenfalls bejahend Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 62; Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 41 Rn. 70; BVerwG, DStZ 1987, S. 623. 14  Vgl. Rößler, DStZ 1987, S. 623 f. (624). 15  BFHE 119, 36, (40); BFH, Beschluss vom 16.09.2004, – VII B 20/04 –, juris Rn. 7; Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (603 und 607). 16  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (606).



I. Schwierigkeiten im Umgang mit Nichtakten163

Risiko, das falsche Rechtsschutzmittel einzulegen, welches durch die Falschbezeichnung hervorgerufen werde, sei der Verwaltung aufzuerlegen.17 Der Grund für diese „Gefahrtragung“ der Verwaltung wird zwar nicht aus­ drücklich genannt, die angeführten Beispiele zeigen jedoch, dass die Verur­ sachung des Rechtsscheins durch die Verwaltung hierfür als ausschlagge­ bend angesehen wird. Dies überzeugt zwar im Grundsatz. Das Argument greift jedoch nicht bei sämtlichen, dem Nichtakt zugeordneten Fallkonstel­ lationen, da bei fehlender Zurechenbarkeit gerade kein staatlicher Anlass für den Rechtsschein geschaffen wurde. Teilweise wird in Bezug darauf, ob die Voraussetzungen einer analogen Anwendung der Anfechtungsklage vorlie­ gen, deshalb ausdrücklich danach differenziert, welche von der Figur des Nichtakts erfasste Konstellation gegeben ist.18 Bei einem behördlicherseits erzeugten Rechtsschein wird die analoge Anwendbarkeit angenommen, an­ dernfalls wird sie hingegen abgelehnt.19 Diese Auffassung ist ein erster Hinweis darauf, dass es zu präferieren sein könnte, mit den verschiedenen derzeit als Nichtakt bezeichneten Konstellationen in unterschiedlicher Weise umzugehen. Eine für sämtliche Nichtaktvarianten tragbare Lösung könnte jedoch dar­ in bestehen, sie generell als mit der allgemeinen Feststellungsklage angreif­ bar zu erachten. Begründbar wäre dies unter anderem damit, dass die Vor­ aussetzungen einer analogen Anwendung der Anfechtungs- und Nichtig­ keitsfeststellungsklage nicht vorlägen: Angesichts des fehlenden Verwal­ tungsaktcharakters könnte sowohl die Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage als auch einer Nichtigkeitsfeststellungsklage abzulehnen sein.20 Mangels Verwaltungsaktcharakters des Nichtakts wird deshalb vertreten, dass nur die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses in Betracht kä­ me.21 Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung der Anfechtungsund Nichtigkeitsfeststellungsklage lägen nicht vor. Es bestehe schon keine Regelungslücke, weil die allgemeine Feststellungsklage als Auffangmög­ lichkeit zur Verfügung stehe.22 Des Weiteren handele es sich auch nicht um einen vergleichbaren Anwendungsfall. Die weiteren Voraussetzungen der allgemeinen Feststellungklage werden im Übrigen fast einstimmig für gege­ ben gehalten, ohne dass deren weitere Thematisierung als notwendig erach­ 17  Blunk/Schroeder,

JuS 2005, S. 602 ff. (606). Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 4. 19  So Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 4. 20  In diesem Fall wäre die allgemeine Feststellungsklage nicht als subsidiär an­ zusehen, vgl. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO. 21  BVerwG, NVwZ 1987, S. 330 ff. (330). 22  Dieses Argumentationsmuster des Fehlens einer Regelungslücke ist aus ande­ ren Konstellationen bekannt. Insbesondere wird dies in der Diskussion um die ana­ loge Anwendung der Fortsetzungsfeststellungsklage vorgebracht. 18  So

164

F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

tet wird. Die allgemeine Feststellungsklage könnte daher das adäquate Rechtsschutzmittel gegen sämtliche Varianten des Nichtakts sein. Einige der für die analoge Anwendung – insbesondere der Anfechtungskla­ ge – vorgebrachten Argumente lassen sich durch einen Rückgriff auf die all­ gemeine Feststellungsklage jedoch nicht entkräften. Beispielsweise kann, da es für den Bürger nicht erkennbar ist, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, nicht ausgeschlossen werden, dass unverschuldet die falsche Klageart gewählt wird. Der Bürger trüge folglich das Risiko, die Sach- und Rechtslage falsch zu beurteilen. Diese Schwierigkeit könnte zwar noch mit einer Auslegung des Klageantrags respektive einer Umdeutung der Klage oder aber einem Hilfs­ antrag gelöst werden, wobei in diesem Fall der Problematik möglicher, durch die weitergehende Klage ausgelöster zusätzlicher Kosten über § 155 Abs. 4 VwGO beizukommen wäre.23 Abgesehen von diesen Erwägungen, erscheint des Weiteren aber als problematisch, ob die allgemeinen Voraussetzungen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes wirklich bei jeder Fallvariante, die als Nichtakt bezeichnet wird, unproblematisch vorliegen. Kaum diskutiert wird beispielsweise, ob der Verwaltungsrechtsweg über­ haupt in sämtlichen Fällen, die dem Nichtakt konventionell zugeordnet werden, eröffnet ist.24 In Konstellationen, in denen der Akt dem Staat nicht zugerechnet werden kann, ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs aber alles andere als offensichtlich. Wenn gerade keine staatliche Maßnahme vorliegt, über die gestritten wird, könnte bereits das Vorliegen einer öffent­ lich-rechtlichen Streitigkeit abzulehnen sein. Schwierigkeiten ergeben sich des Weiteren in Bezug darauf, gegen wen im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens überhaupt geltend zu ma­ chen ist, dass es sich um einen Nichtakt handelt. Tatsächlich stammt der Akt im Falle fehlender Zurechenbarkeit schließlich nicht von dem Staatsträ­ ger, der ihn dem Rechtsschein nach erlassen hat. Warum also sollte, mit entsprechender Kostenlast für den Rechtsträger, zu seinen Lasten festgestellt werden können, dass das Rechtsverhältnis nicht besteht? Dies käme allen­ falls in Betracht, wenn er einen Anlass für den Rechtsakt oder zumindest den Glauben des Bürgers an den Rechtsschein geschaffen hätte. Dieser Gesichtspunkt geht über den Aspekt der durch eine Umdeutung möglicher­ weise hervorgerufenen zusätzlichen Verfahrenskosten, welche insbesondere 23  Diese Argumente sind in Bezug auf formelle Verwaltungsakte näher ausgear­ beitet worden, vgl. hierzu D. III. 24  Darauf hinweisend, dass sich die Problematik des Rechtsschutzes gegen „Nicht-Verwaltungsakte“ bereits vor der Diskussion um die Klageart im Rahmen der Rechtswegseröffnung stellt Frotscher, Jura 1980, S. 1 ff. (2 f.), allerdings bezogen auf nach der heutigen Dogmatik teilweise nicht mehr dem Nichtakt zuzuordnende Konstellationen (Realakte) sowie vor dem Hintergrund eines auf Verwaltungsakte zugeschnittenen Rechtsschutzsystems auf Ebene der Rechtswegeröffnung.



I. Schwierigkeiten im Umgang mit Nichtakten165

der Diskussion um die Statthaftigkeit von Anfechtungsklage, Nichtigkeits­ feststellungsklage und allgemeiner Feststellungsklage zugrunde liegt, hinaus. Es ist daher noch vor der sonst häufig diskutierten Frage, welche Klage­ art für Nichtaktkonstellationen am geeignetsten ist, zu problematisieren, ob überhaupt auf dem Verwaltungsrechtsweg vorzugehen ist.25 Überdies ist äußerst schwierig zu bestimmen, gegen wen bei Vorliegen eines Nichtakts mit Erfolg ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Diese Frage kann nicht hinsichtlich jeder Nichtaktkonstellation zufriedenstellend gelöst werden, selbst wenn man mit einer alternativen Auferlegung der Prozesskosten nach § 155 Abs. 4 VwVfG arbeitet.26 Bei fehlender Zurechenbarkeit zum Staat trägt dieser ebenso wenig die Verantwortung für den Akt wie auch der be­ troffene Bürger. Hinsichtlich des prozessualen Umgangs mit Nichtakten zeigt sich demzu­ folge, dass es Probleme bereitet, dem Staat zurechenbare Akte, die in der falschen Rechtsform ergangen sind, oder die aus verschiedenen Gründen keine Rechtsfolgen hervorrufen, identisch mit Konstellationen zu behandeln, in denen der Staat an der einen staatlichen Anschein hervorrufenden Maß­ nahme vollkommen unbeteiligt ist. Dies weist darauf hin, dass an diesem Punkt eine Schnittstelle für eine Differenzierung zwischen den verschiede­ nen Konstellationen liegen könnte. In materiell-rechtlicher Hinsicht wird in Bezug auf Nichtakte insbesonde­ re diskutiert, ob die Regelungen des § 44 VwVfG sowie § 48 VwVfG auf ihn analog anwendbar sind. Für § 44 Abs. 1 und Abs. 5 VwVfG wird dies, da sie einen allgemeinen Rechtsgedanken enthielten, vielfach bejaht.27 An­ dernteils wird die analoge Anwendung abgelehnt, weil ein wesentlicher Unterschied zwischen nichtigen Verwaltungsakten und Nichtakten bestehe.28 Ähnliches gilt auch für die Diskussion um die Anwendbarkeit von § 48 VwVfG. Angesichts der in faktischer Hinsicht einem Verwaltungsakt ähnli­ chen Bindungswirkung nehmen Teile der Literatur an, dass § 48 VwVfG analog anzuwenden sei.29 Beschränkt wird dies − selbst von denjenigen, die die analoge Anwendung grundsätzlich befürworten − allerdings vielfach in Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im öffentlichen Recht, S. 549. Abs. 4 VwVfG ermöglicht es nur einem der Beteiligten die Kosten im Falle seines Verschuldens aufzuerlegen. Sollte ein Dritter den Rechtsschein verur­ sacht haben, ist dieser am Rechtsstreit jedoch nicht beteiligt, sodass die Kosten­ auferlegung scheitert. 27  Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 44 Rn. 6; Schwemmer, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK zum VwVfG, § 44 Rn. 6. 28  Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058); Peuker, in: Knack/Henneke (Hrsg.), VwVfG, § 44 Rn. 14. Vgl. hierzu auch F. III. 2. 29  Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 23; Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (605), weisen zusätzlich noch darauf hin, dass die Aufhebung streng genommen ein 25  Vgl.

26  § 155

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F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

Bezug auf die verschiedenen vom Nichtakt erfassten Fallgruppen: Eine analoge Anwendung soll nur bei Nichtakten erfolgen, die einer Behörde zuzurechnen sind und bei denen nicht ohne weiteres erkennbar ist, dass es sich nicht um einen Verwaltungsakt handelt.30 Auch diese Differenzierung zeigt wiederum, dass ein vom Staat nicht verursachter Rechtsschein andere Probleme aufwirft als dem Staat zurechenbare Akte, denen keine Rechtswir­ kung zugeschrieben wird, weil sie in der falschen Rechtsform ergangen sind oder aber beispielsweise nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben wurden. Des Weiteren wird erwogen, inwieweit die Möglichkeit einer Heilung in Bezug auf Nichtakte besteht. Mit Heilung kann in diesem Kontext aller­ dings nur gemeint sein, dass es durch die Wahrnehmung der gebotenen Handlungen ex tunc zu einem Verwaltungsakt kommt. Zum Teil wird aus diesem Grund die Verwendung des Begriffs „Heilung“ generell abgelehnt.31 Von einer anderen Auffassung wird lediglich die Begrifflichkeit für un­ glücklich gehalten und darauf verwiesen, dass der Begriff „Heilung“ im untechnischen Sinne zu verstehen sei.32 Der generellen Überlegung, dass eine Heilung durch die Vornahme einer Handlung erfolgen könne, wird aber durchaus zugestimmt. Dies gilt beispielsweise für den Fall der fehlerhaften Bekanntgabe:33 Durch eine ordnungsgemäß vorgenommene Bekanntgabe soll eine Heilung eintreten.34 Auch im Kontext der Diskussion um die Heilung ist indes auffällig, dass die angestellten Erwägungen für die ver­ schiedenen Nichtaktkonstellationen nicht in gleicher Weise passen. Während bei nicht ordnungsgemäß bekanntgegebenen Verwaltungsakten die Wieder­ holung der Bekanntgabe den in § 45 VwVfG geregelten Situationen, wie schon § 8 VwZG zeigt, durchaus nahekommt, gilt dies nicht in gleicher Weise, wenn es um Maßnahmen geht, die in keinerlei Weise staatlich ver­ anlasst wurden. Das Zueigenmachen einer Maßnahme ist sehr viel proble­ matischer als beispielsweise die Wiederholung der Bekanntgabe. Auch in Bezug hierauf wird zwar teilweise eine Art „Heilung“ vertreten.35 Diese Ansicht ist jedoch − zu Recht − deutlicher Kritik ausgesetzt.36 „Mehr“ darstelle. Siehe ferner BFHE 119, 36 (40); BFH, Beschluss vom 16.09.2004, – VII B 20/04 –, juris Rn. 7. 30  Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 23. 31  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (605 ff.) lehnen dies demgegenüber, al­ lerdings ohne weitere Begründung, ab. 32  So Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 189. 33  Vgl. Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 41 Rn. 69 f. 34  Dies gilt nur für die Fälle, in denen nicht bereits etwa gemäß § 8 VwZG eine Heilung erfolgt ist. Die zeitliche Komponente der Heilung, ob ex nunc vom Vorlie­ gen eines Verwaltungsakts auszugehen ist oder erst ex tunc, wird hierbei nicht wei­ ter diskutiert. 35  Vgl. etwa BVerwGE 35, 334 (342 ff.).



I. Schwierigkeiten im Umgang mit Nichtakten167

Betrachtet man die unterschiedlichen Rechtsauffassungen näher, ist zu bemerken, dass die vorgetragenen Argumente der verschiedenen Ansichten insbesondere dann überzeugen, wenn man sie auf eine bestimmte Nichtakt­ konstellation bezieht. Wendet man sie indessen auf eine andere dem Nicht­ akt ebenfalls zugeordnete Fallgruppe an, ist ihre Überzeugungskraft weniger stark. Die entgegengesetzte Ansicht gewinnt in diesen Fallgruppen deutlich an Überzeugungskraft. Doch sind Grund hierfür das Argumentationsgeschick sowie die Vor- und Nachteile der jeweiligen Lösungsansätze oder ist nicht vielmehr eine nicht ausreichende Differenzierung zwischen den Konstella­ tionen die eigentliche Erklärung für diese Problematik? 36

Dass letzterer Gesichtspunkt ausschlaggebend ist, liegt angesichts dessen nahe, dass jeweils an derselben Stelle Divergenzen in der jeweiligen Beur­ teilung auftreten, wie mit Nichtakten umzugehen ist. Nicht zurechenbare Nichtakte werden im Allgemeinen anders behandelt als Nichtakte, bei denen zwar dem Akt aus irgendeinem Grund keine Rechtswirkung beigemessen bzw. ihm nur der Rechtsschein einer bestimmten öffentlich-rechtlichen Handlungsform zugeschrieben wird. Dieser Punkt könnte folglich die Schnittstelle darstellen, an der anzusetzen ist, um die dem Nichtakt zuge­ ordneten Konstellationen aufzutrennen und neu zuzuteilen. Die Konstella­ tionen der mangelnden rechtserheblichen Handlung und des formellen Verwaltungsakts,37 die durch den staatlicherseits hervorgerufenen Rechts­ schein besonders geprägt sind, könnten als Scheinakte, dem Staat nicht zurechenbare Maßnahmen hingegen als Nichtakte bezeichnet werden. Zwi­ schen Nichtakten und Scheinakten ließe sich auf diese Weise differenzieren. Dass eine solche Differenzierung sinnvoll ist, bestätigt ferner auch ein Blick auf die Rechtsfolgen auf Sekundärrechtsebene. Während bei dem Staat zurechenbaren Maßnahmen eine Amtshaftung in Frage kommt, ist dies, wenn die Maßnahme dem Staat nicht zuzurechnen sein sollte, nicht in gleicher Weise der Fall. Der Staat hat in diesen Fällen, wie an den Voraus­ setzungen der weiten Zurechnungstheorie erkennbar ist,38 nicht einmal eine Veranlassung für eine derartige Handlung geschaffen. Allenfalls aus dem Gedanken des Aufopferungsgewohnheitsrechts könnte in derartigen Kons­ tellationen ein Anspruch gegen den Staat hergeleitet werden. Auch insoweit unterscheiden sich demnach die Fälle, in denen ein dem Staat zurechenbares 36  Bettermann, Zuständigkeitsfragen in der Rechtsprechung des Bundesverwal­ tungsgerichts zum Verwaltungsverfahrensrecht, in: Bachof (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe BVerwG, S. 61 ff. (67 f.). 37  Hierbei handelt es sich um die Fälle der fehlenden Rechtswirkung – insbeson­ dere mangels Bekanntgabe – und des sogenannten Formverwaltungsakts. Vgl. hierzu D. I. und III. 38  Vgl. hierzu E., insbesondere die Zusammenfassung unter E. V.

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F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

Handeln vorliegt, von den Fallvarianten, in denen ein Privater gehandelt und hierbei den Rechtsschein einer staatlichen Maßnahme verursacht hat.

II. Differenzierung zwischen Scheinakten und Nichtakten Wie die verschiedenen der Figur des Nichtakts derzeit zugeordneten Fall­ konstellationen, aber auch der divergierende prozessuale und materiellrechtliche Umgang mit Nichtakten erkennen ließ, könnte es angebracht sein, zwischen den verschiedenen Nichtaktkonstellationen zu differenzieren: Die problematische Gruppe der mangelnden Zurechenbarkeit könnte herausge­ löst und als eigene Kategorie verstanden werden. Hierfür böte es sich an, zwischen Scheinakten und Nichtakten zu differenzieren, sie folglich als verschiedene Rechtsfiguren zu verstehen. Bei rechtlich unterschiedlichen Folgen wird − etwa im Rahmen der Hand­ lungsformenlehre − die Herausbildung einer neuen Systematisierung gefor­ dert,39 damit die Strukturierungsleistung der Systematisierung erhalten bleibt. Gleichzeitig ist aber auch Zurückhaltung bei der Entwicklung bzw. Ausdiffe­ renzierung von weiteren Unterscheidungsstufen geboten. Sollte jegliche sich aus den Besonderheiten verschiedener Materien ergebende Abweichung dazu veranlassen, neue Systematisierungsformen zu entwickeln, hätte dies zur Fol­ ge, dass der Systematisierungsansatz fehlschlüge. Die Abstraktionsleistung würde verfehlt.40 Die Herausbildung von Handlungsformen wie auch dogma­ tischer Figuren hat daher auf der einen Seite von den Einzelfallgestaltungen zu abstrahieren, um eine ausreichende Flexibilität und Ordnung sicherzustel­ len, auf der anderen Seite aber ebenfalls zu beachten, dass noch ausreichend Übereinstimmungen zwischen den Konstellationen vorliegen. Inwieweit dies im Rahmen der Figur des Nichtakts gelingt bzw. gelingen kann, ist daher auf der Basis der herausgearbeiteten Fallkonstellationen, der Entstehungsge­ schichte der Figur sowie der hervorgehobenen Begriffsunterschiede − der teilweisen Bezeichnung als Nichtakt und andernteils gebräuchlichen Be­ zeichnung des Scheinakts − zu reflektieren. Dass zwischen Nichtakten und Scheinakten zu differenzieren ist, wurde bereits verschiedentlich − mehr oder weniger ausdrücklich − vorgeschlagen. Insbesondere Blunk und Schroeder haben eine Unterscheidung zwischen 39  Di Fabio, System der Handlungsformen und Fehlerfolgenlehre, in: BeckerSchwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 47 ff. (61). 40  Vor einer Fülle von „undifferenziert eingeführten Handlungsformen“ daher warnend Di Fabio, System der Handlungsformen und Fehlerfolgenlehre, in: BeckerSchwarze/Köck/Kupka/v. Schwanenflügel (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, S. 47 ff. (65).



II. Differenzierung zwischen Scheinakten und Nichtakten169

Nichtakten und Scheinakten gefordert.41 Ihr Vorstoß basiert allerdings auf einer etwas anderen Erwägung als den bereits angestellten und im Folgen­ den zu vertiefenden Überlegungen. Die Kernaussage von Blunk und Schroe­ der ist, dass „die Bezeichnung des Scheinverwaltungsakts als Nichtakt […] unzutreffend“ sei, da zwar die Rechtsfolgen des § 35 VwVfG nicht eintreten würden, der Scheinakt − als „äußere Hülle“ − aber gleichwohl existent sei.42 Anders als ein Verwaltungsakt, würde ein Scheinverwaltungsakt im Einzelfall „äußerst reale Wirkungen“ entfalten, weshalb dieser „eher einem nichtigen Verwaltungsakt als einem Realakt“ gleichkäme.43 Angesichts der herausgearbeiteten Fallgruppen und der Notwendigkeit, dass an irgendeinem äußeren Anschein auch hinsichtlich der durch Nicht­ akte hervorgerufenen faktischen Wirkung angeknüpft werden muss, ist eine derartige Differenzierung zwischen Nichtakten und Scheinakten jedoch ab­ zulehnen. Welche Probleme im Rahmen der Differenzierung auftreten und welche Rechtsfragen hierdurch tangiert werden, machen die Ausführungen jedoch deutlich, sodass in genereller Hinsicht an sie angeknüpft wird. Weniger demonstrativ, aber dafür in der Differenzierung präziser, ist der Umgang von Henneke mit den Begriffen „Nichtakt“ und „Scheinakt“: Zwar weist Henneke nicht explizit darauf hin, dass die Bezeichnungen „Nichtakt“ und „Scheinakt“ vielfach synonym verwendet werden und welche Gründe dafür bzw. dagegen sprechen, zwischen ihnen zu differenzieren.44 Er selbst unterscheidet aber zwischen den Termini „Nichtakt“ und „Scheinakt“. Beide grenzt Henneke vom Begriff des Verwaltungsakts ab.45 Während er nicht zurechenbare Akte als Nichtakte bezeichnet, versteht er unter Scheinakten Verwaltungsmaßnahmen, die von einer Behörde nicht nur in Form eines Verwaltungsakts, sondern auch mit dem Willen, einen Verwaltungsakt zu erlassen, getroffen wurden.46 Betrachtet man die Unterscheidung von Hen­ neke genauer − insbesondere seine für Scheinakte angeführten Beispiele47 − zeigt sich jedoch, dass seine gewählte Definition von Scheinakten droht, mit rechtswidrigen Verwaltungsakten zu verschmelzen. Blendet man diese 41  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (607), erklären ausdrücklich: „Der Schein­ verwaltungsakt ist kein Nichtakt“. 42  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604). 43  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604 f.). 44  In der neuesten Auflage hebt Henneke, in: Knack/ders., VwVfG, § 35 Rn. 165 inzwischen hervor, dass im Einzelnen manches unklar sei, „zumal die Terminologie nicht einheitlich verwendet wird“. 45  Henneke, in: Knack/ders., VwVfG, § 35 Rn. 164 f. 46  Henneke, in: Knack/ders., VwVfG, § 35 Rn. 164 f. 47  Henneke führt etwa aus, dass ein Scheinakt vorliege, wenn die staatliche Forstverwaltung ein Verkehrszeichen anbringt, wozu sie weder sachlich noch örtlich zuständig ist, vgl. Henneke, in: Knack/ders., VwVfG, § 35 Rn. 165.

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F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

Beispiele aus und betrachtet lediglich den Definitionsansatz, dürfte man hiernach wohl formelle Verwaltungsakte als Anwendungsbereich des Schein­ akts begreifen. Die Einordnung von noch nicht oder nicht ordnungsgemäß bekanntgegebenen Verwaltungsakten − die Problematik des fehlenden Han­ delns − bleibt demgegenüber unklar. Im Übrigen knüpft Henneke in seiner kurzen, aber präzisen Unterscheidung an einen Gesichtspunkt an, der auch hier bereits als Schnittstelle herausgearbeitet wurde: der Zurechenbarkeit von Maßnahmen zum Staat. 1. Die Figur des Scheinakts − Eine Kategorie des Rechtsformenmissbrauchs Der Scheinakt könnte demzufolge als eine eigene Figur aufgefasst wer­ den, die auf prozessualer Ebene mit den unter dem Begriff des Formverwal­ tungsakts oder formellen Verwaltungsakts diskutierten Gesichtspunkten korrespondiert.48 Ein Scheinakt wäre unter dieser Voraussetzung immer dann anzunehmen, wenn staatlicherseits in irgendeiner Weise eine Maßnah­ me veranlasst wurde, die von der Form her zwar den Anschein einer be­ stimmten öffentlich-rechtlichen Handlungsform erzeugt, nach materiellrechtlicher Beurteilung die Voraussetzungen dieser Maßnahme jedoch nicht erfüllt. Zwar handelt es sich um eine staatliche Handlung, diese erzeugt jedoch nach materiell-rechtlicher Bewertung nicht die Rechtswirkungen, welche sie vorgibt und gegebenenfalls aufgrund ihrer Form sogar real her­ vorzurufen vermag. Allein der Rechtsschein einer anderen Handlungsform bewirkt, dass die Real- und Rechtsfolgen auseinanderfallen. Diese Proble­ matik vermag der Scheinakt sowohl begrifflich zu erfassen als auch die verschiedenen Fälle einer einheitlichen Lösung zuzuführen. Im Falle des Auseinanderfallens von Rechtsform und materiell-rechtlicher Beurteilung einer gleichwohl staatlichen Handlung sind jeweils identische Erwägungen anzustellen, unabhängig davon, welcher konkrete Rechtsschein erzeugt wurde und wie die staatliche Handlung materiell tatsächlich zu qualifizieren ist. Die Problematik bleibt auf prozessualer wie auch materiellrechtlicher Ebene − sowohl was die Primär- als auch die Sekundärebene angeht − dieselbe, da jeweils der Staat den Rechtsschein verursacht hat. Zwar mögen die Klagearten je nach Art des hervorgerufenen Rechtsscheins divergieren und auch die materiell-rechtlich anzuwendenden Regelungen auseinanderfallen; die Grunderwägung, dass der Staat sich an dem hervor­ 48  Vgl. hierzu D. III. Insoweit wäre auch die teilweise angenommene Inkongru­ enz zwischen formellen Verwaltungsakten und Scheinakten beseitigt. Kresser, Die Bedeutung der Form für den Begriff und die Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, S. 51 nimmt nämlich an, dass dem Staat nicht zurechenbare Maßnahmen nicht als formelle Verwaltungsakte zu qualifizieren seien.



II. Differenzierung zwischen Scheinakten und Nichtakten171

gerufenen Rechtsschein festhalten lassen muss, dass das vom Bürger in die Maßnahme gesetzte Vertrauen gegenüber dem Staat schutzwürdig ist sowie dass dem Bürger das Recht einzuräumen ist, gegen die Maßnahme ihrer materiell-rechtlichen Qualifizierung gemäß vorzugehen, bleibt jedoch gleich. Im Hinblick auf die prozessualen Aspekte ist diese Problematik bereits diskutiert worden,49 weshalb diesem Aspekt an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen wird. Unabhängig davon, ob man im Ergebnis eine Anfech­ tungsklage bzw. Nichtigkeitsfeststellungsklage oder aber eine allgemeine Feststellungsklage befürwortet, ist jedenfalls ein stringenter Umgang mit der Erscheinungsform des Scheinakts, versteht man diesen wie vorgeschlagen eng, gewährleistet. Die Fallgruppe der dem Staat nicht zurechenbaren Maßnahmen wird demgegenüber aus der Kategorie des Scheinakts − so wie es teils auch beim formellen Verwaltungsakt gehandhabt wird50 − herausgelöst und als Sonder­ fall behandelt. Hinsichtlich dieser Konstellation wird vorgeschlagen, die Bezeichnung Nichtakt zu verwenden. Begrifflich erfolgt die Zuordnung somit dergestalt: Unter den Begriff „Nichtakt“ werden sämtliche dem Staat nicht zurechenbaren Maßnahmen gefasst, die dennoch den Anschein der Staatlichkeit erzeugen. Unter einem Scheinakt wird nur ein dem Staat zurechenbarer Rechtsschein verstanden, der den Anschein erweckt, dass eine bestimmte staatliche Handlung gege­ ben ist. Hierunter fallen folglich sämtliche Akte im falschen Gewand wie auch Rechtsscheintatbestände, die womöglich nicht einmal als rechtliche Handlung zu qualifizieren sind. Diese Zuordnung der beiden Figuren entspricht auch den mit den Begrif­ fen verbundenen Konnotationen: Während mit der Bezeichnung Scheinakt Rechtsscheingesichtspunkte besonders betont werden, steht bei Nichtakten das Problem im Vordergrund, dass überhaupt keine staatliche Handlung − kein staatlicher Akt − vorliegt. Die Einteilung kommt demzufolge der ein­ gangs betonten Bedeutungskonnotationen der Termini nahe.51 Dieses in begrifflicher Hinsicht stärker differenzierende Zuordnungsange­ bot beantwortet jedoch noch nicht, in welchem Verhältnis Nichtakte und Scheinakte nach dieser Unterscheidung zueinander stehen. Nach der Auffas­ sung von Blunk und Schroeder ist der Scheinakt bisher als Unterfall des Nichtakts verstanden worden. Dass ein solches Verständnis tatsächlich vorherrscht, mag man bereits bezweifeln können. Unabhängig von der bis­ 49  Siehe

hierzu F. I. Kresser, Die Bedeutung der Form für den Begriff und die Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, S. 51. 51  Vgl. B. II. 50  Vgl.

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F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

her herrschenden Anschauung ist aber jedenfalls für den vorliegend unter­ breiteten Vorschlag darzulegen, wie das Verhältnis der beiden Figuren zuei­ nander hiernach aussähe. 2. Der Nichtakt − Eigene Kategorie oder Unterfall des Scheinakts? Der Nichtakt ließe sich entweder als ein Unterfall des Scheinakts anse­ hen, beide Figuren könnten Untergruppen einer übergeordneten Kategorie von Rechtsscheinerwägungen darstellen oder aber als gänzlich eigenständige Figuren aufzufassen sein. Betrachtet man die in Bezug auf das Vorliegen eines Rechtsscheins beste­ henden Ähnlichkeiten zwischen den Konstellationen, spricht einiges dafür, den Nichtakt nicht als vollständig eigenständig gegenüber den sonstigen Fi­ guren, die Fragen des Rechtsscheins berühren, anzusehen. Eine gänzliche gedankliche Trennung von Überlegungen, die um die Frage kreisen, wie mit Rechtsscheintatbeständen umzugehen ist, erscheint nicht als sinnvoll. Es liegt daher nahe, den Nichtakt entweder als einen Unterfall des Scheinakts anzuse­ hen oder aber beide als einer gemeinsamen Oberkategorie angehörig zu be­ trachten. Da sowohl Nichtakte als auch Scheinakte aufgrund ihres Rechtsscheins Folgen in tatsächlicher Hinsicht erzeugen, die ihnen rechtlich betrachtet nicht zukommen, liegt es nahe, dass Nichtakt und Scheinakt in einem Be­ ziehungsverhältnis zueinander stehen. Dieses Beziehungsverhältnis kann sich − mit der Mengenlehre ausgedrückt − auf folgende Weise darstellen: Der Nichtakt respektive der Scheinakt könnten jeweils eine Teilmenge des anderen sein, sie könnten eine Schnittmenge aufweisen oder beide könnten eigenständige Elemente einer gemeinsamen Menge darstellen, unter welche sämtliche Rechtsbegriffe und Figuren zusammengefasst werden, die Rechts­ scheintatbestände betreffen. Den Nichtakt als die Menge anzusehen, in welcher der Scheinakt enthal­ ten ist, widerspricht dem hier angesichts der begrifflichen Konnotationen und Begriffsgeschichte gewählten Zuschnitt der beiden Begriffe. Dem Staat nicht zurechenbare Akte weisen gegenüber einem vom Staat hervorgerufe­ nen Rechtsschein zusätzliche Besonderheiten auf, weshalb ein derartiges Zuordnungsverhältnis der beiden Begriffe ausscheidet. Der Nichtakt könnte jedoch als Spezial- bzw. Unterfall des Scheinakts anzusehen sein. In diesem Fall müsste der Scheinakt als Oberkategorie zum Nichtakt sämtliche Fallgruppen erfassen, die auch dem Nichtakt zugeordnet werden. Mathematisch gesprochen, wäre der Nichtakt in diesem Fall als Teilmenge der Figur des Scheinakts anzusehen. Mangels Zurechenbarkeit der Maßnahme zum Staat trennen den Nichtakt − wie dargestellt wurde −



III. Folgen der Differenzierung für den Umgang mit Nichtakten173

jedoch einige Gesichtspunkte vom Scheinakt. Finden sich zwar einige ge­ meinsame Elemente, jedoch auch trennende Aspekte erscheint es allenfalls als möglich, den Nichtakt und Scheinakt als einer ihnen nochmals überge­ ordneten Kategorie angehörig anzusehen. Aufgrund seiner besonderen Ausprägung, der fehlenden Zurechenbarkeit zum Staat und den hierdurch bedingten Unterschieden im rechtlichen Um­ gang mit Nichtakten gegenüber Scheinakten, ist der Nichtakt als eigenstän­ dige Figur zu entwickeln. Sähe man ihn nun als einen Unterfall des Schein­ akts an, hätte dies zur Folge, dass er mit dem Scheinakt im Grundsatz doch übereinstimmen würde und lediglich in Einzelheiten einige Besonderheiten aufwiese. Der Scheinakt würde die Konstellationen des Nichtakts mit um­ fassen. Um eine Oberkategorie darstellen zu können, dürfte der Scheinakt nicht nur eine Schnittmenge oder aber ähnliche Erwägungen aufweisen, vielmehr müsste der Nichtakt eine Teilmenge des Scheinakts darstellen, also von ihm umfasst werden. Dies ist jedoch, wie die Ausführungen zum prozessualen und materiellen Umgang mit den jeweiligen Fallvarianten ge­ zeigt haben, nicht der Fall. Nichtakte und Scheinakte haben zwar den As­ pekt des Rechtscheins gemein, im Übrigen unterscheidet sich der Umgang mit ihnen aber erheblich. Dem Staat nicht zurechenbare Akte, die den An­ schein der Staatlichkeit erwecken, weisen nicht nur einige Detailbesonder­ heiten auf, sondern sie sind fast in jeder Hinsicht − prozessual und mate­ riell-rechtlich − anders zu behandeln als Scheinakte. Allein, dass aufgrund des bestehenden Rechtsscheins gewisse Zugeständnisse an die Rechtsschutz­ suchenden gemacht werden müssen, ist den beiden Varianten gemein. Wür­ de man den Scheinakt als Oberkategorie gegenüber dem Nichtakt verstehen, wäre die Problematik, dass unterschiedlich gelagerte Rechtsfragen in einer Figur kumulieren, nicht gelöst, sondern lediglich verschoben. Weder Nicht­ akt noch Scheinakt stellen daher eine Ober- bzw. Unterkategorie voneinan­ der dar. Schnittmengen weisen sie − wie die erfolgte Aufspaltung der Fallgruppen zeigt52 − ebenso wenig auf. Aufgrund der ihnen in Bezug auf den Umgang mit Rechtsscheintatbeständen zugrundeliegenden, vergleichbar gelagerten Probleme, sind Nichtakte und Scheinakte jedoch als einer ge­ meinsamen Oberkategorie (Menge) zugehörig anzusehen, der sie beide als Rechtsfiguren (Elemente) zuzuordnen sind.

III. Folgen der Differenzierung für den prozessualen und materiell-rechtlichen Umgang mit Nichtakten Die erfolgte Ausklammerung sämtlicher vom Staat hervorgerufener Rechtsscheintatbestände aus dem Anwendungsbereich der Figur des Nicht­ 52  Siehe

hierzu C.

174

F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

akts bewirkt hinsichtlich des prozessualen wie auch materiell-rechtlichen Umgangs mit Nichtakten folgendes: 1. Prozessualer Umgang mit Nichtakten Die angesprochenen Rechtsfragen der Rechtswegeröffnung, des richtigen Klagegegners sowie des Bestehens eines Feststellungsinteresses können aufgelöst werden, indem relativ formal vorgegangen wird: Zwar ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs mangels Vorliegen eines staatlichen Akts problematisch. Ist die Klage jedoch gerade darauf gerichtet, festzustellen, dass kein staatlicher Akt vorliegt, ergibt sich hieraus bereits ein Element, an welches angeknüpft werden kann. Hintergrund des Rechtsstreits ist die Frage, ob zwischen dem Kläger und Beklagten ein öf­ fentlich-rechtliches Rechtsverhältnis besteht. Diese Möglichkeit ist ange­ sichts des bestehenden Rechtsscheins nicht von vornherein ausgeschlossen, sodass aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Akts von einer öffent­ lich-rechtlichen Streitigkeit auszugehen ist.53 Für die Klärung des Bestehens respektive Nichtbestehens eines öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses ist die allgemeine Feststellungsklage, da bei Nichtakten kein staatlich in irgendeiner Form veranlasster Akt vorliegt, die statthafte Klageart. Staatlich nicht veranlasste Rechtsscheintatbestände sind nicht mit Verwaltungsakten vergleichbar. Ein Anlass dafür, festzustellen, ob ein Rechtsverhältnis zwischen Staat und dem Rechtsscheinbetroffenen be­ steht, liegt indes im Grundsatz vor. Wie bereits im Zivilrecht näher ausgear­ beitet wurde, muss es jedoch einen Anlass geben, feststellen zu lassen, dass zwischen den Parteien kein Rechtsverhältnis besteht,54 da ansonsten anlasslos ein Prozess gegen eine Person, hier den Staat, geführt werden könnte, wel­ chen diese in der Sache verlöre, obwohl kein Grund für eine Klageerhebung bestand. Diese Problematik lässt sich im Falle einer Feststellungsklage, welche auf das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist, wie folgt lösen: Im Rahmen des Feststellungsinteresses ist zu fordern, dass sich der Beklagte eines Rechtsverhältnisses gegenüber dem Kläger berühmt und hierdurch Anlass zur Klage geboten haben muss.55 Zwar könnte dieser Schwierigkeit auch über ein sofortiges Anerkenntnis mit entsprechender Kostenlast gemäß § 156 VwGO generell beigekommen werden.56 Die hinter auch Kübler, Die Zeichnungsbefugnis im öffentlichen Recht, S. 550. Foerste, in: Musielak, ZPO, § 256 Rn. 10. 55  Vgl. Foerste, in: Musielak, ZPO, § 256 Rn. 10. Zu den Voraussetzungen an das „Berühmen“ siehe etwa BGH, NJW 1977, S. 1637 ff. (1639) und Saenger, in: ders., ZPO, § 256 Rn. 11. 56  Siehe hierzu etwa Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 156 Rn. 1 und 7 ff. 53  Ähnlich 54  Vgl.



III. Folgen der Differenzierung für den Umgang mit Nichtakten175

dem sofortigen Anerkenntnis stehende Rechtsvorstellung passt jedoch in Bezug auf Nichtakte nicht in gleicher Weise, da dieses eher auf positive denn negative Feststellungen gerichtet ist. Selbst wenn dies nicht zu fal­ schen Anreizstrukturen führen mag, erscheint die Lösung über die Forde­ rung eines besonders gelagerten Feststellungsinteresses als eleganter. Gang­ bar sind im Grundsatz aber beide hier aufgezeigten Möglichkeiten. Für Nichtakte hat dies im Ergebnis zur Folge, dass von Betroffenen der Verwaltungsrechtsweg gegen den Rechtsträger, welcher dem Rechtsschein nach den Nichtakt erlassen hat, beschritten werden kann. Erfolg hat dies jedoch nur, wenn sich der Rechtsträger eines auf dem Nichtakt beruhenden Rechtsverhältnisses berühmt hat. Sollte dies nicht der Fall sein, ist die Kla­ ge als unzulässig abzuweisen und dem Kläger sind die Kosten aufzuerlegen. Dies erscheint angesichts der Möglichkeit, sich vor Beschreiten des Rechts­ wegs an den dem Rechtsschein nach verantwortlichen Hoheitsträger zu wenden, nicht unbillig. 2. Unterscheidung von Nichtakten und nichtigen Akten Als besonders komplex in dem ohnehin verwirrenden Geflecht des An­ wendungsbereichs von Nichtakten und Scheinakten wird die Abgrenzung zu rechtswidrigen und nichtigen Verwaltungsakten angesehen.57 Angesichts dessen, dass der nichtige Verwaltungsakt ebenfalls nur den Anschein er­ zeugt, wirksam zu sein, und deshalb gleichfalls faktische Auswirkungen haben kann, die er rechtlich nicht haben dürfte (§ 43 Abs. 3 VwVfG), ist zu klären, welche Unterschiede zwischen einem nichtigen Verwaltungsakt und einem Nichtakt bestehen, die eine unterschiedliche dogmatische Einord­ nung rechtfertigen. Als Unterschied zwischen dem Nichtakt und dem nichtigen Verwaltungs­ akt wird des Öfteren genannt, dass der Nichtakt als Verwaltungsakt über­ haupt nicht existent sei, während ein nichtiger Verwaltungsakt zumindest faktisch existiere.58 Inwieweit die faktische Existenz ein geeignetes Abgren­ zungskriterium zwischen nichtigen Verwaltungsakten und Nichtakten dar­ 57  Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602  ff. (603); M. Will/Rathgeber, JuS 2012, S.  1057 ff. (1057). 58  Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 36; Bender, DVBl 1953, S. 33 ff. (33); Koell­ reutter, Grundfragen des Verwaltungsrechts, S. 45; Turegg/Kraus, Lehrbuch des Ver­ waltungsrechts, S: 139; Schiedeck, Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten nach § 44 Abs. 1 VwVfG, S. 45; im Anschluss hieran auch Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, S. 158. Ähnlich auch Pietzner, in: Diehaus/ders., Einführung in das Allgemeine Verwaltungsrecht, S. 117. Dies führt auf den im Zivilrecht bereits seit spätestens 1919 proklamierten Unterschied zwischen nichtigen Urteilen und Nichtur­ teilen zurück, vgl. zu letzterem Saurer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 437 ff.

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F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

stellt, erscheint indes − jedenfalls solange diese Bemerkung auf das konven­ tionell weite Verständnis der Figur des Nichtakts gemünzt ist − zweifelhaft.59 Dies liegt unter anderem daran, dass in Bezug auf dieses Krite­rium zu klären wäre, worauf sich die faktische Existenz eigentlich bezieht. Geht es um das Vorliegen einer Hülle, die einen Rechtsschein erzeugt,60 oder um die Exis­ tenz eines staatlichen Akts, welchem lediglich angesichts der bestehenden rechtlichen Fehler abgesprochen wird, Rechtswirkungen zu entfalten? Betrachtet man allein die Wirkung der Maßnahme, wird der Nichtakt, was die vielfach befürwortete analoge Anwendung der Regelungen zur Nichtig­ keit auf Nichtakte zeigt, durchaus mit nichtigen Verwaltungsakten gleichge­ setzt. Und selbst im Falle der Ablehnung der analogen Anwendung, werden zumindest die Rechtsfolgen der Nichtigkeit im Wege eines Erst-rechtSchlusses häufig auf den Nichtakt übertragen.61 Trotz der im Hinblick auf die faktische Existenz des Nichtakts geäußerten Zweifel werden Nichtakte und nichtige Akte faktisch häufig identisch behandelt. Der Unterschied zwischen diesen verschiedenen Auffassungen besteht vor allem darin, in­ wieweit die gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG geforderte Evidenz des Fehlers für auf Nichtakte übertragbar erachtet wird.62 Untersucht man auch diese Auffassungen genauer, ist jedoch auch hier zu bemerken, dass die analoge Anwendung von Nichtigkeitsregelungen aus­ drücklich vor allem in Bezug auf vorliegend als Scheinakte bezeichnete Kon­ stellationen gefordert wird. Ein rechtlich nicht existent gewordener Bescheid, der herkömmlicher Weise als Nichtakt eingeordnet wird, soll hinsichtlich sei­ ner rechtlichen Unwirksamkeit einem nichtigen Verwaltungsakt gleichen.63 In Bezug auf diesen Fall könnte man die identische Wirkung sogar anhand der Betrachtung des § 43 VwVfG und der hier in Bezug auf die rechtliche Wirkung erfolgenden Gleichstellung von nicht bekanntgemachten und nichti­ gen Verwaltungsakten normativ festmachen. Vielfach wird die analoge An­ wendung der auf nichtige Verwaltungsakte zugeschnittenen Regelungen so­ mit angesichts der Vergleichbarkeit der Konstellationen in Bezug auf das Auseinanderfallen von Rechts- und Realfolgen befürwortet.64 59  Aus diesem Grund wird teilweise mit dem Begriff der Existenz in Bezug auf § 43 Abs. 1 VwVfG generell gehadert, vgl. Schmidt-De Caluwe, VerwArch 1999, S.  49 ff. (54 ff.). 60  So die Auffassung von Blunk/Schroeder, JuS 2005, S. 602 ff. (604 f.). 61  Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, S.  320; ­Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 129. 62  Vgl. Brühl, Verwaltungsrecht für die Fallbearbeitung, S. 107. 63  BVerwG, DStZ 1987, S. 623; so auch Kersten, Die Verwaltung 46 (2013), S. 87 ff. (102), der die Differenzierung zwischen Nichtakten und nichtigen Verwal­ tungsakten als vor allem symbolischer Natur ansieht. 64  Vgl. Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058), der diese Position jedoch ablehnt.



III. Folgen der Differenzierung für den Umgang mit Nichtakten177

Dies stellt letztlich auch den Grund dafür dar, warum die Differenzie­ rung zwischen Nichtakten und nichtigen Verwaltungsakten teils grundsätz­ lich für fragwürdig erachtet und sogar die Existenzberechtigung des Nicht­ akts insgesamt angezweifelt wird.65 Schon früher ist der Nichtakt als eine „qualitative Differenzierung“ im Rahmen der Nichtigkeit angesehen und nicht als eigene Figur verstanden worden.66 Seine frühere Verortung im Rahmen der Fehlerfolgenlehre scheint der Nichtakt somit noch nicht voll­ ständig abgeschüttelt zu haben. Die analoge Anwendung der Nichtigkeits­ regelungen zeigt die vielfach noch immer vorherrschende Überzeugung, dass ein nichtiger Akt und ein Nichtakt vergleichbar −  im Sinne von: ei­ nander ähnlich  − wären. Wird eine analoge Anwendung der Nichtigkeitsregelungen abgelehnt, begründen die hiergegen eingewendeten Aspekte meist nur, warum eine direkte Anwendung des § 44 VwVfG scheitert. Es wird darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen des § 44 VwVfG nicht vorlägen, weil kein Ver­ waltungsakt gegeben sei.67 Hierüber hinausgehend werden nur selten Grün­ de vorgebracht, die eine analoge Anwendung ausschließen. Die hinsichtlich der Abgrenzung vom nichtigen Verwaltungsakt bestehenden Untersicherhei­ ten, welche wohl vor allem darauf fußen, dass die rechtlichen Folgen als identisch angesehen werden, müssen jedoch überwunden werden, möchte man der Figur des Nichtakts einen eigenen dogmatischen Gehalt zuschrei­ ben. Hierfür ist daran anzusetzen, warum zwischen Nichtakten und nichti­ gen Akten im Grundsatz differenziert wird. Anders als nichtige Akte sind Nichtakte „nicht nur rechtlich, sondern auch natürlich als Staatsakte nicht vorhanden“68. Versteht man Nichtakte in dem vorgeschlagenen begrenzten Sinne und unterscheidet zwischen Schein­ akten und Nichtakten, werden die Unterschiede zwischen nichtigen Akten und Nichtakten sogleich deutlich. Von einem nichtigen Akt kann nur ge­ sprochen werden, wenn überhaupt ein staatliches Handeln vorliegt. Dies ist aber bei Nichtakten mangels Zurechenbarkeit nicht der Fall, was zu erheb­ lichen Unterschieden − insbesondere auch in haftungsrechtlicher Hinsicht  − führt.69 Zwar mögen nichtige Akte ebenfalls rechtlich inexistent sein. Es verbleibt aber ein staatliches Zurechnungssubjekt, das für die Handlungen 65  Schweickhardt/Vondung (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 129; Brühl, Verwaltungsrecht für die Fallbearbeitung, S. 106 f. 66  Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 36 f. 67  So auch Will, JuS 2012, S. 1057 ff. (1058). 68  E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 680. 69  Diese Ansicht wird auch im österreichischen Rechtssystem vertreten, vgl. Binder/Trauner, Öffentliches Recht − Grundlagen, S. 146.

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F. Kategoriale Unterschiede oder „symbolische Distanzierung“

„in die Pflicht genommen werden kann“70.71 Eine staatliche Verantwor­ tungsübernahme scheitert demgegenüber bei fehlender Zurechenbarkeit der Handlung.72 Der Staat distanziert sich durch die Ausgrenzung von Nichtak­ ten aus der Rechtsordnung, anders als im Falle von Scheinakten, nicht le­ diglich symbolisch von ihnen. Er hat vielmehr keinerlei Verhältnis zu Nichtakten. Während ein nichtiger Akt dennoch ein Staatsakt bleibt, liegt bei einem Nichtakt ein Privatakt vor, der lediglich den Anschein der Staat­ lichkeit erzeugt. Die Zurechenbarkeit einer Handlung zum Staat stellt ein geeignetes Abgrenzungskriterium zwischen fehlerhaften Staatsakten und nicht zurechenbaren Nichtakten dar.73 Bei Scheinakten, insbesondere der fehlenden oder fehlerhaften Bekanntgabe sowie formellen Verwaltungsak­ ten, liegt dies anders. Sie können, wie sonstige staatliche Akte auch, als nichtig anzusehen sein, denn es liegt eine staatliche Handlung vor, der aus rechtlichen Gesichtspunkten keine Wirkung beizumessen ist. Auch in Bezug auf die Unterscheidung von nichtigen Akten führt die Differenzierung zwi­ schen Scheinakten und Nichtakten daher weiter. 3. Materiell-rechtliche Bewertung Die im Hinblick auf den materiell-rechtlichen Umgang skizzierten Mei­ nungsdivergenzen lassen sich durch die vorgeschlagene Differenzierung ebenfalls auflösen: In den allermeisten Nichtaktkonstellationen ist bereits die Klage gegen den Nichtakt unzulässig, weshalb keine materiell-rechtliche Bewertung vor­ zunehmen ist. Nur wenn eine Behörde, nachdem ein Privater anlasslos einen staatlichen Rechtsschein hervorgerufen hat, sich auf diesen Rechtsschein beruft oder zumindest den Anschein erweckt, an diesen Akt anzuknüpfen, kann überhaupt im Wege der allgemeinen Feststellungsklage gerichtet auf das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses vorgegangen werden. Materiellrechtlich sind hier jedoch weder § 44 noch § 48 VwVfG oder aber sonstige auf staatliche Handlungsformen zugeschnittene rechtliche Regelungen anzu­ wenden. Vielmehr ist allein zu beurteilen, ob der fragliche Akt dazu geführt hat, dass ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien entstanden ist. Hierbei 70  Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffent­ lichen Rechts und die Ultra-vires-Doktrin des öffentlichen Rechts, S. 67. 71  Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 297. 72  Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffent­ lichen Rechts und die Ultra-vires-Doktrin des öffentlichen Rechts, S. 67, bemerkt dies und stellt deshalb die Frage, ob besondere Nichtakte existierten, allerdings ohne diesem Aspekt weiter nachzugehen. 73  So ebenfalls Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 298, der allerdings vor der Bekanntgabe eines Akts ebenfalls die Zurechenbarkeit ablehnt.



III. Folgen der Differenzierung für den Umgang mit Nichtakten179

kommt es in erster Linie auf die vorliegend entwickelte Zurechenbarkeit des Akts zum Staat an.74 Sollte es an einer Zurechenbarkeit fehlen und folglich ein Nichtakt vorliegen, ist kein Rechtsverhältnis entstanden. Einer weiteren materiell-rechtlichen Beurteilung der Folgen bedarf es im Rahmen des Öf­ fentlichen Rechts in Bezug auf Nichtakte nicht. Auf haftungsrechtlicher Ebene kann im Falle des Vorliegens eines Nicht­ akts, wie bereits dargelegt wurde, lediglich ein Anspruch gegen den Staat daraus hergeleitet werden, dass dem Privaten andernfalls ein Sonderopfer auferlegt würde, welches ihm nicht zuzumuten sei. Mit der Begründung von Ansprüchen aus Aufopferungsgewohnheitsrecht ist jedoch zurückhaltend umzugehen. Der Staat hat nicht jede Sonderlast zu tragen, weshalb allenfalls bei besonderen Rechtsgütern ein solcher Anspruch anzunehmen sein kann. Im Grundsatz bestehen keine Ansprüche gegen den Staat, sondern der Rechtsscheinveranlasser ist gemäß § 823 Abs. 2 iVm § 132 StGB in An­ spruch zu nehmen. Demzufolge wird der Nichtakt, was die materiell-rechtliche Bewertung angeht, darauf zurückgeführt, was ihn eigentlich ausmacht: Er fällt aus dem rechtlichen Betrachtungsrahmen des Öffentlichen Rechts heraus. Es bedarf lediglich der Möglichkeit, staatlicherseits zu beurteilen, dass es sich um einen Nichtakt handelt sowie der für den Bürger verbindlichen Feststellung dieser Tatsache. Hierüber hinausgehend wird der Nichtakt rechtlich − jeden­ falls aus öffentlich-rechtlicher Sicht − nicht weiter bewertet. Er gibt allein Anlass dazu, eine Zurechnungstheorie zu entwickeln, um seinen Anwen­ dungsbereich zu bestimmen. Einer hierüber hinausgehenden öffentlichrechtlichen Beurteilung des Akts bedarf es nicht. Im Falle der Differenzierung von Nichtakten und Scheinakten ergibt sich folglich ein geschlossenes Bild, sowohl was den prozessualen als auch den materiell-rechtlichen Umgang mit den beiden Figuren angeht.

74  Vgl.

hierzu E.

G. Die dogmatische Figur des Nichtakts Der Nichtakt stellt demzufolge eine Abgrenzungskategorie zum Privat­ handeln in öffentlich-rechtlicher Handlungsform dar, welche erfordert, sich – verknüpft mit einer Betrachtung der verwaltungspersonenrechtlichen Rechtsfragen – Gedanken über Aspekte der Zurechnung von Handlungen zum Staat zu machen.1 Dies ist in der bisherigen Darstellung vor allem auf den Verwaltungsakt bezogen erfolgt. Um die dogmatische Funktion des Nichtakts vollumfänglich zu erfassen, bedarf es indes einer Perspektiverwei­ terung auf andere öffentlich-rechtliche Handlungsformen. Angesichts der auch im Rahmen anderer Handlungsformen bestehenden Notwendigkeit, dem Staat Handlungen von natürlichen Personen zuzurechnen, erscheint es naheliegend, dass die Figur des Nichtakts Rechtsfragen erfasst, die sämtli­ che öffentlich-rechtlichen Handlungsformen betreffen. Neben dieser möglichen Ausdehnung der Nichtaktdogmatik auf andere Handlungsformen, ist ferner zum Abschluss der Analyse die dogmatische Figur des Nichtakts in ihrer Funktionsweise zu erläutern. Hierdurch wird der dogmatische Mehrwert herausgearbeitet und ein Vorschlag vorgelegt, in welcher Weise die Figur dogmatisch sinnvoll verwendet werden könnte.

I. Der Nichtakt als übergeordnete Kategorie Angesichts der dem Nichtakt zugeordneten rechtlichen Aspekte spricht vieles dafür, dass der Nichtakt eine übergeordnete Kategorie darstellt, die nicht allein auf die Handlungsform des Verwaltungsakts beschränkt ist. Es bedarf nicht einmal einer „Übertragung“ der Figur auf andere Handlungsfor­ men,2 da der Nichtakt keine Handlungsformabhängigkeit aufweist. Er erfasst Zurechnungsfragen, die sich hinsichtlich jeglicher staatlichen Handlung als anwendbar erweisen. Der Nichtakt ist eine Kategorie der Rechtslogik, die nicht auf ein Rechtsgebiet oder eine Handlungsform beschränkt ist.3 Aus diesem Grund ist der Nichtakt bereits frühzeitig −  begrifflich allerdings meist in Kombination mit der jeweils fraglichen Handlungsform  − auf an­ dere Bereiche ausgeweitet worden. So findet sich etwa der Begriff des zu dieser Feststellung auch Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 393 ff. aber Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, S. 158. 3  Vgl. Zepos, Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, in: Constantopoulos/Eustathiades/ Fragistas (Hrsg.), FS Spiropoulos, S. 461 ff. (463 f. und 470). 1  Vgl. 2  So



I. Der Nichtakt als übergeordnete Kategorie181

Nicht-Befehls, der für Befehle von Nichtvorgesetzten oder bei Anordnungen des Vorgesetzten in Privatsachen gebraucht wird.4 Weiterhin werden als Unterformen des Nichtakts vornehmlich Nicht-Urteile und Nicht-Rechtsver­ ordnungen diskutiert. Einer Ausweitung auf Nicht-Gesetze, obgleich dieser Fall eher rein theoretischer Natur sein dürfte,5 wie auch auf Nicht-Verträge steht ebenfalls nichts entgegen, weshalb diese Ausdehnung bereits verschie­ dentlich angedacht worden ist. Hierbei ist allerdings jeweils zu überprüfen, ob eine andere Rechtsform möglicherweise eine andere Zurechnungslogik hervorruft. 1. Nicht-Urteil/Nicht-Beschluss/Nicht-Entscheidung Einen besonders prominenten Unterfall des Nichtakts stellt sicherlich das Nicht-Urteil dar.6 Dies ist zum einen deshalb zu konstatieren, weil die Überlegungen zum Nicht-Staatsakt −  soweit ersichtlich − erstmals anhand des Nicht-Urteils exemplifiziert wurden.7 Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass das Nicht-Urteil einen der meist diskutiertesten Anwendungsfälle des Nichtakts darstellt.8 Zum anderen ist die Bedeutung des Nicht-Urteils aber auch dadurch „geadelt“ worden, dass sich sogar das Bundesverfas­ sungsgericht seiner annehmen musste.9 Das Vorliegen eines Nicht-Urteils wird angenommen, wenn ein Urteil überhaupt nicht existiert und daher auch nicht verbindlich sein kann.10 Als Beispielsfälle hierfür werden aufgezählt: Entscheidungen von Nichtgerich­ 4  M. E. Mayer, Der rechtswidrige Befehl des Vorgesetzten, in: Festschrift Paul Laband, S. 117 ff. (153). Mayer verweist dabei ausdrücklich auf einen Fall im Herbst 1906, der sich in Köpenick abgespielt habe, und bei dem ein Nichtvorgesetzter einen widerrechtlichen Befehl im Übrigen ordnungsgemäß erteilte. 5  Vgl. Hufeld, Die Vertretung der Behörde, S. 290  f. Angesichts der geringen Relevanz dieser Unterkategorie − was darauf zurückzuführen ist, dass eine Veröf­ fentlichung im Gesetzblatt schwerfallen dürfte − und identischen Funktionsweise wird das Nicht-Gesetz im Folgenden nicht weiter erörtert. 6  Siehe hierzu Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S.  60 ff.; Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, S. 3 f.; Wurzer, Nichturteil und Nich­ tiges Urteil, S. 21 ff.; Holtz, Nichturteil und nichtiges Urteil im Strafverfahren, S.  8 ff.; Hein, Das wirkungslose Urteil, S. 21 ff.; Lüke, JuS 1985, S. 767 ff. 7  Dies erfolgte durch Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S.  60 ff. 8  Es finden sich einige Monographien die sich allein mit Nicht-Urteilen be­ schäftigen. 9  Vgl. BVerfG, NJW 1985, S. 788. 10  Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 10; Michel, Absolute Nichtigkeit von Zi­ vil- und Strafurteilen, S. 61 f.; Holtz, Nichturteil und nichtiges Urteil im Strafverfah­ ren, S.  8 ff.; Wurzer, Nichturteil und Nichtiges Urteil, S. 21 ff.; Jauernig, Das fehler­ hafte Zivilurteil, S. 4; Hein, Das wirkungslose Urteil, S. 21 ff. und 107 ff.

182

G. Die dogmatische Figur des Nichtakts

ten, die fehlende Verkündung der Entscheidung, Entscheidungen ohne Inhalt oder in der falschen Sache.11 Bedingung für das Vorliegen eines Nicht-Urteils soll sein, dass die fragliche Äußerung ein Urteil zu sein scheint oder zu sein vorgibt, tatsächlich aber der Tatbestand eines Urteils nicht erfüllt wird.12 Trotz der durchaus bemerkenswert häufigen Verwendung des Begriffs „Nicht-Urteil“ ist allerdings zu bemerken, dass sich auch in diesem Rahmen kritische Stimmen im Hinblick auf die Differenzierung zwischen einem Nicht-Urteil und einem absolut nichtigen Urteil finden. So wurde bemän­ gelt, dass die Differenzierung eine „mehr oder weniger willkürliche Unter­ scheidung“ zwischen verschiedenen Mängeln darstelle.13 Dennoch hat es das Nicht-Urteil sogar geschafft, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit ihm auseinanderzusetzen hatte. Auslöser hierfür war ein von lediglich zwei Richtern unterschriebener „Beschluss“ des VGH München. Das BVerfG vertrat in Bezug hierauf, dass es sich um eine Nicht-Entscheidung handele, da die zwei Richter nicht zu zweit entscheiden wollten, sondern davon ausgingen, dass vor dem Zustandekommen noch ein dritter Richter mitwirken würde. Aus diesem Grund sei der ohne dritte Unterschrift zuge­ stellte Entwurf dem Gericht nicht als Entscheidung zuzurechnen.14 Es han­ dele sich bei der Zustellung um keinen zurechenbaren Rechtsschein, weil die Zustellung auf einem Versehen der Geschäftsstelle beruhe.15 Es liege daher eine Schein- bzw. Nichtentscheidung16 vor und keine fehlerhafte Ent­ scheidung. Grundsätzlich bejaht das BVerfG wie auch die Literatur aber, dass, solan­ ge ein Rechtsschein bestehe, die Möglichkeit eines Rechtsmittels gegeben sein müsse.17 Zwar sind hinsichtlich des Umgangs mit Nicht-Urteilen eben­ falls verschiedene Fragen umstritten,18 diese sind jedoch nicht anders gela­ gert als allgemein in Bezug auf Nichtakte bereits herausgearbeitet wurde. Das Nicht-Urteil wie auch der Nicht-Beschluss bzw. die Nicht-Entscheidung 11  Michel, Absolute Nichtigkeit von Zivil- und Strafurteilen, S. 60 ff.; E. R. Hu­ ber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 2, S. 707; Reimer, Die Unabhängigkeit von Rechtswirksamkeit und Rechtmäßigkeit, S. 22 des Manuskripts. 12  Lüke, JuS 1985, S. 767 ff. (778). 13  Imboden, Der nichtige Staatsakt, S. 10 f. 14  BVerfG, NJW 1985, S. 788 f. (788). 15  BVerfG, NJW 1985, S. 788 f. (788). 16  BVerfG, NJW 1985, S. 788 f. (788). 17  BVerfG, NJW 1985, S. 788  f. (788); Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, S.  88 ff.; Lüke, JuS 1985, S. 767 ff. (769); Becker-Eberhard, in: Rauscher/Krüger (Hrsg.), MüKo ZPO, § 256 Rn. 17; Reimer, Die Unabhängigkeit von Rechtswirk­ samkeit und Rechtmäßigkeit, S. 22 des Manuskripts. 18  Vgl. etwa Jauering, Das fehlerhafte Zivilurteil, S. 87 ff. und Wurzer, Nichtur­ teil und Nichtiges Urteil, S. 186 ff.



I. Der Nichtakt als übergeordnete Kategorie183

stellen insofern auf eine besondere Handlungsform bezogene Formen des Nichtakts dar. Sie rufen aber keine hierüber hinausgehenden Besonderheiten in Bezug auf die Zurechenbarkeit hervor, weshalb die vorangestellten Erwä­ gungen großteils auf sie übertragen werden können. Auch in diesem Rahmen wird derzeit zwischen Nicht-Urteilen und Schei­ nurteilen nicht differenziert, was die vorliegend herausgearbeiteten Proble­ me hervorruft und dem durch ein modifiziertes Verständnis der Figuren abgeholfen werden könnte. 2. Nicht-Rechtsverordnung/Nicht-Satzung Des Weiteren findet sich in der Literatur auch der Begriff der NichtRechtsverordnung. Eine Nicht-Rechtsverordnung soll insbesondere vorlie­ gen, wenn diese von einer Privatperson erlassen oder mit vis absoluta ab­ genötigt wurde. Aber auch Rechtsverordnungen, die sich noch im Entwurfs­ stadium befinden bzw. noch nicht ausgefertigt und verkündet wurden, werden teilweise als Nicht-Rechtsverordnung angesehen.19 Zum Teil wird diese Problematik auch direkt unter der Bezeichnung Nichtakt diskutiert.20 Häufig werden, insbesondere von der Rechtsprechung, Aspekte, welche nach der herkömmlichen Dogmatik dazu führen würden, dass ein Nichtakt vorliegt, allerdings auch unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeit themati­ siert.21 Andernteils wird der weite Begriff der Unwirksamkeit verwendet.22 In prozessualer Hinsicht findet sich ebenfalls eine identische Diskussion, wie sie auch in Bezug auf den Anschein eines Verwaltungsakts hervorrufen­ de Nichtakte geführt wird − sie bezieht sich anstatt auf die Anfechtungskla­ ge nur auf die Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO.23 Auch in Bezug auf Rechtsverordnungen und Satzungen wird somit mit dem Problem der Ab­ grenzung zu Nichtakten laviert. Die sich in diesem Kontext stellenden Rechtsfragen unterscheiden sich nicht von der in Bezug auf den Verwal­ tungsakt entwickelten Fragestellung, unter welchen Umständen von einem Verwaltungsakt und wann von einem Scheinakt bzw. Nichtakt zu sprechen ist. Die entwickelte Zurechnungstheorie gilt für Rechtsverordnungen und 19  Schnelle, Eine Fehlerfolgenlehre für Rechtsverordnungen, S. 304 f.; a. A. Geis, Kommunalrecht, S. 68, der nicht nur bei Fehlern im Rahmen der Bekanntgabe, son­ dern auch im Falle der fehlenden Bekanntgabe von der Nichtigkeit einer Satzung ausgeht. 20  OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Oktober 2011, – 2 K 10/10 –, juris Rn. 61. 21  OVG Weimar, LKV 2003, S.  237  ff. (238  f.); OVG Weimar, LKV 2003, S. 432 ff. (433 f.); OVG Frankfurt (Oder), LKV 1998, S. 197 ff. (198 f.); OVG Baut­ zen, LKV 1997, S. 418 ff. (420); OVG Bautzen, LKV 1999, S. 61 ff. (61). 22  OVG Frankfurt (Oder), LKV 1997, S. 460 ff. (461). 23  Vgl. etwa OVG Weimar, LKV 2003, S. 237 ff. (238 f.).

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G. Die dogmatische Figur des Nichtakts

Satzungen in derselben Weise wie auch für Verwaltungsakte. Angesichts der formellen Anforderungen, die an Rechtsverordnungen und Satzungen meist gestellt werden, dürften nach der hier vorgeschlagenen Differenzierung al­ lerdings vornehmlich Schein-Rechtsverordnungen bzw. Schein-Satzungen rechtlich relevant werden, nicht aber Nicht-Rechtsverordnungen/-Satzungen. 3. Nicht-Vertrag Nicht nur bei Verwaltungsakten, sondern auch hinsichtlich des öffentlichrechtlichen Vertrages wird diskutiert, inwieweit es dazu kommen kann, dass statt eines öffentlich-rechtlichen Vertrages ein Nichtakt entsteht. Ausdrück­ lich angenommen wurde ein Fall des Nichtakts im Hinblick auf die Hand­ lungsform des öffentlich-rechtlichen Vertrages durch die Rechtsprechung bisher zwar nicht. Gurlit überträgt im Grundsatz aber die in Bezug auf den Verwaltungsakt herausgearbeiteten Erwägungen, wie dieser von einem Nichtakt abzugrenzen ist, auf den öffentlich-rechtlichen Vertrag.24 Aus­ drücklich konstruiert sie ihre Überlegungen allerdings nur in Bezug auf die Überschreitung der Verbandskompetenz und somit die im Hinblick auf ultravires-Akte diskutierten Rechtsfragen.25 Eine Einschränkung auf diese Rechtsfrage nimmt sie jedoch nicht vor, sodass die Ausführungen als exem­ plarisch anzusehen sind. Zu den im Übrigen herausgearbeiteten Vorgaben zur Entstehung eines Nichtakts hinzukommend fordert Gurlit allerdings das Vorliegen einer weiteren Voraussetzung. Sie ist der Auffassung, dass es aus Vertrauensschutzgesichtspunkten zumindest notwendig sei, die Überschrei­ tung der Verbandskompetenz objektiv erkennen zu können, um das Vorlie­ gen eines Nichtakts anzunehmen.26 Diese Erwägungen erscheinen vor dem Hintergrund der bereits angestellten Überlegungen zur Bedeutung der Über­ schreitung von Verbandskompetenzen sowie der Gründe, die dazu führen, dass ein Nichtakt entsteht, allerdings nicht als überzeugend. Grundsätzlich sind die hinter der Figur des Nichtakts stehenden Erwägungen aber in iden­ tischer Weise auch auf öffentlich-rechtliche Verträge anzuwenden. Es spre­ chen keine Erwägungen dagegen, im Falle der für die Entstehung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages notwendigen Willenserklärung einer Behör­ de andere Zurechnungskriterien zu entwickeln, als sie im Hinblick auf Verwaltungsakte erörtert wurden.27 24  Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 413  ff.; dies., in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 31 Rn. 5. 25  Siehe hierzu unter D. II. 7. 26  Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 416, wohl in Anlehnung an BVerwG, DÖV 1966, S. 202 ff. (205). 27  Auch der Verweis des § 62 S. 2 VwVfG auf das Zivilrecht führt nicht dazu, dass die zivilrechtlichen Zurechnungsregeln, insbesondere § 164 BGB, im Kontext



II. Die Funktion von Rechtsfiguren185

4. Zwischenergebnis Der Nichtakt, welcher paradigmatisch vor allem in Bezug auf die Hand­ lungsform des Verwaltungsakts untersucht wurde, ist folglich eine hand­ lungsformübergreifende Kategorie. Die Zurechnung von Handlungen zum Staat hat hinsichtlich jeglicher Handlungsform in gleicher Weise zu erfol­ gen. Die vorliegend herausgearbeiteten Gesichtspunkte − insbesondere der Vorschlag zur Differenzierung zwischen Scheinakten und Nichtakten − greift insoweit bezüglich jeglicher öffentlich-rechtlichen Handlungsform.

II. Die Funktion von Rechtsfiguren Der Begriff „Rechtsfigur“28, als welche sowohl der Nichtakt als auch der Scheinakt im Rahmen der bisherigen Ausführungen bezeichnet wurden, findet sich sowohl in der Literatur als auch der Rechtsprechung immer wieder. Meist wird hierbei die Frage, was eine Rechtsfigur genau ist, wie sie sich von Rechtsinsituten bzw. Rechtsbegriffen unterscheidet und welche Funktion ihr zukommt, nicht weiter aufgeworfen. Um die dogmatische Funktion des Nichakts zu klären, ist der Begriff der Rechtsfigur indes näher zu erläutern. Der dogmatische Ansatz, welcher hinter der vorliegend entwi­ ckelten Figur des Nichtakts steht, lässt sich hierdurch weiter präzisieren. Geht man dem Begriff der „Rechtsfigur“ nach, stößt man auf das Prob­ lem, dass die Bezeichnung zwar des Öfteren verwendet wird, eine Defini­ tion oder aber wenigstens Umschreibung, welche Funktion einer Rechtsfigur zugeschrieben wird, meist jedoch fehlt.29 Um zu erläutern, was mit einer Rechtsfigur und deren Funktion vorliegend gemeint ist, soll daher die Rechtsfigur von ähnlich gelagerten Begriffen wie dem Institut sowie dem öffentlich-rechtlicher Verträge anwendbar wären. Die Verweisung auf das Zivilrecht bezieht sich insbesondere auf vertragliche Besonderheiten. Die öffentlich-rechtliche Zurechnung wird nicht unanwendbar, weil es sich um in Vertragsform getroffene Regelungen handelt. Die gegenüber zivilrechtlichen Regelungen erweiterte Zurech­ nung im öffentlichen Recht hat ihren Grund in der besonderen Verbindung zu den Amtswaltern wie dem in besonderem Maße zu gewährenden Vertrauensschutz. Die­ se Gründe gelten ebenfalls für öffentlich-rechtliche Verträge. Dies zeigt auch die vorrangige Anwendbarkeitserklärung der sonstigen Regelungen des VwVfG gegen­ über der subsidiären Anwendbarkeit des BGB, vgl. hierzu auch Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 62 Rn. 11. 28  Laut Jhering, Scherz und Ernst in der Juristprudenz, S. 8 Fn. 1 stammt dieser Ausdruck von Kuntze, der die Rechtsfigur als Organisationsbegriff verwendet, wel­ cher sich über das betrachtete Objekt erhebt. Eine Rechtsfigur ist ein Begriff, der kein wahrnehmbares Substrat beinhaltet, dem aber ein bestimmter Rechtssinn zuge­ schrieben wird, vgl. Kuntze, Die Obligation und die Singularsuccession, S. 86 f. 29  Vgl. hierzu aber Bumke, JZ 2014, S. 641 ff. (645).

186

G. Die dogmatische Figur des Nichtakts

Rechtsbegriff im engeren und im weiteren Sinne abgegrenzt werden. Hier­ durch lässt sich die Funktion, die einer Rechtsfigur im vorliegend gegebe­ nen Kontext zugeschrieben wird, verdeutlichen, ohne in Anspruch nehmen zu wollen, eine abschließende Umschreibung der dogmatischen Funktion von Rechtsfiguren zu liefern. Unter einem Institut versteht man generell eine organisatorische Einheit oder aber eine gemeinsame Aufgabe.30 Des Weiteren wird hervorgehoben, dass ein Institut einen aus einer Vielzahl von Rechtsregelungen extrahierba­ ren Kern darstelle, der eine Mehrzahl von Grundgedanken bündele.31 Wen­ det man diese Überlegungen auf den herausgearbeiteten Anwendungsbereich des Nichtakts an, zeigen sich zwar gewisse Überschneidungen zum Institut, es ergeben sich jedoch auch weitreichende Unterschiede, die dazu führen, dass der Nichtakt nicht als Institut eingeordnet werden kann: Der Nichtakt kann nicht aus einem Zusammenhang von geschriebenen Normen und ei­ nem ihnen zugrundeliegenden System abstrahiert werden. Er stellt sich vielmehr als eine Abgrenzungskategorie in Bezug darauf dar, wann über­ haupt eine Rechtshandlung des Staates vorliegt. Dies geht jedoch weder aus den geschriebenen Normen eindeutig hervor, noch kann der Nicht­akt aus einem systematischen Verständnis heraus konstruiert werden. Den dem Ins­ titut zugrundeliegenden Gedanken erfüllt der Nichtakt folglich nicht. Ebenso wenig führt es weiter, den Nichtakt als Rechtsbegriff zu bezeich­ nen − auch wenn dies den verschiedentlich verwendeten Definitionen des Begriffs „Rechtsbegriff“ zufolge möglich wäre. Da die Funktion des Nicht­ akts über die konventionell dem Begriff des Rechtsbegriffs zugeschriebene Bedeutung hinausgeht,32 erscheint es nicht als weiterführend, ihn als solchen einzuordnen. Dem Hauptaspekt des Nichtakts, ein außerrechtliches, fakti­ sches Phänomen ins Recht zu integrieren, würde hierdurch nicht ausreichend Rechnung getragen. Zwar ist der Begriff „Nichtakt“, insofern als an sein Vorliegen oder aber Nichtvorliegen bestimmte Rechtsfolgen geknüpft wer­ den, auch ein Rechtsbegriff.33 Er stellt aber keinen Rechtsbegriff im engeren Sinne dar, da die Bezeichnung „Nicht­akt“ in keinem Normsatz enthalten ist. Mager, Einrichtungsgarantien, S. 16 ff. Siehe hierzu auch E. I. zum Begriff des Instituts Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 62; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 408. 32  Vgl. zur Funktion des Rechtsbegriffs Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 99 ff. Vgl. ebenso Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfol­ gen, S. 40 ff., die allerdings ein etwas weiteres Verständnis des Begriffs „Rechtsbe­ griff“ zugrunde legt. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 54 ff. un­ terscheidet zwischen „gesetzlichen“ und „wissenschaftlichen“ Rechtsbegriffen, auch wenn er beide Formen als Rechtsbegriffe anerkennt. 33  So das Verständnis des Rechtsbegriffs bei Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und ­Realfolgen, S.  40. 30  Vgl. 31  Vgl.



II. Die Funktion von Rechtsfiguren187

Inwieweit der Nichtakt als Rechtsbegriff im weiteren Sinne bezeichnet werden kann, weil ihm eine heuristische Funktion zukommt,34 kann offen bleiben. Zwar ließe sich nach den für heuristische Rechtsbegriffe genann­ ten Voraussetzungen auch der Nichtakt als solcher bezeichnen. Heuristi­ sche Begriffe stellen eine Suchhilfe dar, sie sind begriffliche Platzhalter für eine Reihe an Rechtsfragen, die unter einem gemeinsamen Oberbegriff, welcher die Stoßrichtung der Untersuchung vorgibt, zusammengefasst wer­ den.35 Der Nichtakt ist „ein Hilfsmittel zum Auffinden von Fragen und zur Annäherung an Lösungen“36. Er dient dazu, eine bestehende rechtliche Leerstelle sowohl zu bezeichnen als auch zu füllen. Überdies wird das Vorliegen einer juristischen Leerstelle in Bezug auf den Nichtakt − da bestimmt werden muss, wann überhaupt von einem Akt gesprochen wer­ den kann, an welchen anknüpfend die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht überhaupt erst anzusetzen vermag − nur durch eine Betrachtung der faktischen Wirkungen einer Handlung erkennbar. Insofern ist die heu­ ristische Funktion des Nichtakts nicht zu verleugnen. Sie steht jedoch nicht im Vordergrund. Angesichts seines ihm vorliegend zugeschriebenen An­ wendungsbereichs − als Abgrenzungskategorie zu staatlichem Handeln so­ wie einer hieran ansetzenden Zurechnungstheorie − ist der Nichtakt vorlie­ gend nicht als heuristischer Rechtsbegriff und somit nicht als Rechtsbegriff im weiteren Sinne entwickelt worden. Er ist kein Sammelbecken für unter einem Begriff zusammengefasste Rechtsphänomene, welche assoziativ vor dem Hintergrund einer rechtlichen Entwicklung oder aber einer Beobach­ tung von Rechtsstrukturen miteinander verbunden sind. Ebenso wenig ist der Nichtakt ein extern an das Recht herangetragener Begriff, dessen Be­ deutung rechtlich zu reflektieren wäre.37 Der Nichtakt fordert vielmehr da­ zu auf, eine strenge dogmatische Trennlinie zwischen den dem öffentlichrechtlichen Rechtssystem zugehörigen Akten und außerhalb dieses Systems liegenden Phänomenen zu konstruieren. Die dogmatische Funktion des Nichtakts ist es insoweit − biologisch gesprochen − eine Membran zu bil­ den, welche unter bestimmten Voraussetzungen Handlungen dem Subsys­ tem des Öffentlichen Rechts zuführt und andere von ihm ausschließt. Die öffentlich-rechtliche Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht knüpft 34  Vgl. zum Begriff des Rechtsbegriffs Klement, Verantwortung, S. 34  ff. und Ingold, Das Recht der Oppositionen, S. 164 ff. des Manuskripts. 35  Vgl. Klement, Verantwortung, S. 47  ff. Sich hieran begrifflich anschließend Ingold, Das Recht der Oppositionen, S. 174 ff. des Manuskripts, der die heuristische Funktion eines Rechtsbegriffs, jedenfalls in Bezug auf die Opposition, allerdings noch stärker faktisch-empirisch verortet als dies bei Klement der Fall ist. 36  Klement, Verantwortung, S. 47. 37  Vgl. zur Notwendigkeit der juristischen Rezeption und Transformation derar­ tiger heuristischer Begriffe Ingold, Das Recht der Oppositionen, S. 175 ff. des Ma­ nuskripts.

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G. Die dogmatische Figur des Nichtakts

nur an Staatsakte, nicht aber Privathandlungen an. Letztere sind aus dem System ausgeschlossen. Dies zeigt, dass die Funktion des Nichtakts vor­ nehmlich dogmatischer, nicht aber heuristischer Natur ist. Dies mag vor allem an dem vorliegend propagierten Zuschnitt des Nichtakts liegen, wes­ halb man der Analyse vorwerfen könnte, den Nichtakt seiner heuristischen Funktion beraubt zu haben. Die Verwendung der Bezeichnung Rechtsfigur für den Nichtakt erklärt sich jedoch hieraus. Eine Rechtsfigur beinhaltet somit über den Rechtsbegriff im weiteren Sinne hinausgehend eine weitere Bedeutungsebene: Während Rechtsbegrif­ fe, die heuristischer Natur sind, Rechtsphänomene beobachten und bestimm­ ten Entwicklungen einen Namen geben, verlassen Rechtsfiguren diese Be­ obachtungsebene. Rechtsfiguren sind konstruktive Gebilde, die zwar nicht direkt an einer Rechtsnorm ansetzen, jedoch aus einer Analyse von den Rechtsnormen vorausliegenden Fragen zu gewinnen sind, welche durch rechtliche Regelungen aber durchaus beeinflusst werden.38 Mit Rechtsfigu­ ren wird demnach ein Kreis von abstrakten Rechtsfragen auf einen Begriff gebracht. Rechtsfiguren besitzen jedoch keine rein heuristische Funktion, sondern beinhalten dogmatische Aussagen.39 Eine Rechtsfigur ist demnach ein Rechtsbegriff, der verwendet wird, um bestimmte juristische Fragen miteinander aus Ordnungsgründen zu verbin­ den, die nicht eindeutig normativ verortet werden können,40 die aber dog­ matisch von unmittelbarer Relevanz sind. Insoweit geht die Rechtsfigur über das geschriebene Recht hinaus, wird jedoch auf seiner Basis entwickelt und entspringt der juristischen Logik.41 Beim Nichtakt handelt es sich um einen dogmatisch unmittelbar relevan­ ten Begriff, der aber dennoch kein Rechtsbegriff im engeren Sinne ist. Der Nichtakt ist folglich weder ein externer Begriff, der an das Rechtssystem herangetragen wird, noch ein interner Rechtsbegriff, im Sinne eines unmit­ telbar aus einer Rechtsnorm gewonnenen Terminus. Die Rechtsfigur er­ scheint aus diesem Grund als eine für Nichtakte passende Bezeichnung, da sie beinhaltet, dass es sich nicht um einen Rechtsbegriff im engeren Sinne handelt, die unmittelbare dogmatische Relevanz aber dennoch hervorgeho­ ben wird. 38  Vgl. Bors, Die Figur der Rechtsfigur, in: Gauch/Pichonnaz (Hrsg.), K(l)eine Festschrift für Pierre Tercier, S. 219 ff. (238). 39  Zwar wird „heuristischen Rechtsbegriffen“ bzw. Rechtsbegriffen im weiteren Sinne ebenfalls ein dogmatischer Wert zugeschrieben, vgl. Klement, Verantwortung, S. 47 ff. Die dogmatische Funktion von Rechtsfiguren geht jedoch hierüber hinaus. 40  Bors, Die Figur der Rechtsfigur, in: Gauch/Pichonnaz (Hrsg.), K(l)eine Fest­ schrift für Pierre Tercier, S. 219 ff. (235). 41  Bors, Die Figur der Rechtsfigur, in: Gauch/Pichonnaz (Hrsg.), K(l)eine Fest­ schrift für Pierre Tercier, S. 219 ff. (238).



II. Die Funktion von Rechtsfiguren189

1. Strukturierungsleistung Wie die Handlungsformenlehre sollen dogmatische Figuren zur Struktu­ rierung von Rechtsfragen mittels Distanz − also durch Abstraktion − führen. Sie ordnen unterschiedliche Fälle, wie etwa das Aufstellen eines Verkehrs­ schilds oder aber die Gebührenerhebung durch einen Privaten im Namen des Staates, welche allesamt die Problematik der Zurechenbarkeit der Hand­ lung zum Staat aufwerfen, einer gemeinsamen rechtlichen Fragestellung zu. Mittels Herausarbeitung dieser Fragestellung wird die Problematik verdeut­ licht und ein Ansatz entwickelt, wie mit diesen Rechtsfragen umzugehen ist. Die Figur des Nichtakts strukturiert daher den Umgang mit im Einzelfall divergierenden, aber auf eine allgemeine Rechtsfrage zurückführbaren Pro­ blemen. 2. Integrationsleistung Die Integrationsleistung der Figur des Nichtakts liegt darin, ein an sich dem öffentlich-rechtlichen Rechtssystem nicht zugehöriges Phänomen so­ weit wie notwendig in die rechtliche Bewertung „aufzunehmen“. Auf diese Weise werden die Realfolgen eines Nichtakts rechtlich bewertbar gemacht und hierdurch die Problematik gelöst, dass ein staatlicher Anschein hervor­ gerufen wird, mangels Zurechenbarkeit dieses Anscheins eine rechtliche Bewertung jedoch eigentlich scheitert. Die Figur ist somit ein Hebel, aus dem Rechtssystem herausfallende faktische Wirkungen einer rechtlichen Beurteilung zuzuführen. 3. Perspektiverweiterung Hiermit einhergehend führt die Anerkennung der Figur des Nichtakts zu einer Perspektiverweiterung im Hinblick auf die Frage, unter welchen Vor­ aussetzungen überhaupt eine staatliche Handlung vorliegt. Die Entwicklung einer präzisen Zurechnungstheorie in Bezug darauf, wann von einer staatli­ chen Handlung gesprochen werden kann und muss, basiert darauf, dass ein Nichtakt anders zu behandeln ist als ein staatlicherseits verursachter Rechts­ schein. 4. Zuordnungsaspekt − Exklusionswirkung Der Nichtakt integriert bestimmte faktische Phänomene jedoch nicht le­ diglich in das Rechtssystem bzw. in das Subsystem des öffentlichen Rechts, sondern er exkludiert sie im selben Atemzug auch wieder. Zwar stellt die Zuordnung der außerhalb der Rechtsordnung auftretenden faktischen Wir­

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G. Die dogmatische Figur des Nichtakts

kungen zu einer Figur den Schlüssel für eine rechtliche Beurteilung dieser dar. In der Beurteilung und Einordnung als Nichtakt liegt jedoch gleichzei­ tig deren Exklusion aus dem System des Öffentlichen Rechts. Die Feststel­ lung, dass es sich um einen Nichtakt handelt, beinhaltet, dass dem Akt rechtlich keine Bedeutung zuzumessen ist, weshalb der Bürger ihn ignorie­ ren kann. Dem Nichtakt wird somit der staatliche Anschein genommen, wodurch seine faktische Wirkungsmöglichkeit beseitigt wird. Die Beurtei­ lung einer Maßnahme als Nichtakt führt nicht dazu, dass hieran weitere Rechtsfolgen geknüpft werden, sondern die Qualifikation beendet die wei­ tere rechtliche Beurteilung. Mit der Figur des Nichtakts werden daher Rechtsfragen strukturiert, die durch einen Rechtsschein hervorgerufene faktische Wirkung in das Rechts­ system integriert, um das Phänomen unter Klarstellung der fehlenden recht­ lichen Wirkung der Maßnahme sogleich wieder aus dem Rechtssystem zu exkludieren.

III. Fazit: Der dogmatische Mehrwert der Figur des Nichtakts Ein dogmatischer Mehrwert ist einer Figur bzw. einem Begriff dann zu­ zusprechen, wenn ihm eine eigenständige dogmatische Funktion zukommt. Sinn und Zweck der Dogmatik ist es insbesondere, eine Ordnungs- und Speicherungsfunktion auszuüben. Angesichts der dem Nichtakt − bei dem hier vorgeschlagenen engen Verständnis der Figur − zugeschriebenen Funk­ tionen: Rechtsfragen zu strukturieren, außerhalb der Rechtsordnung liegende Probleme in die rechtliche Bewertung zu integrieren, sowie die Perspektive in Bezug darauf zu erweitern, unter welchen Voraussetzungen eine Maßnah­ me als staatliche Handlung anzusehen ist, ist der Figur zuzuerkennen, dog­ matisch weiterzuführen. Sie stellt den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer konzisen Zurechnungstheorie dar und grenzt ferner das Öffentliche Recht von außerhalb seiner Bewertung liegenden Phänomenen ab. An die Einordnung einer Maßnahme als Nichtakt kann rechtlich sowohl prozessual als auch materiell angeknüpft werden. Die Klassifikation ruft einheitliche Rechtfolgen hervor. Somit übt der Nichtakt sowohl eine Ordnungs- als auch Speicherfunktion aus. Der Nichtakt ist folglich als eine dogmatische Figur anzusehen. Der Figur kommt ein derartiger dogmatischer Mehrwert jedoch nur zu, wenn man in der vorgeschlagenen Weise zwischen Nichtakten und Schein­ akten differenziert.42 Die unpräzise Verwendung der beiden Begrifflichkeiten 42  Vgl.

hierzu F. II.



III. Fazit: Der dogmatische Mehrwert der Figur des Nichtakts191

− die teils synonyme Verwendung, andernteils erfolgende Abgrenzung − wie auch die Unklarheiten, die hinsichtlich des Verhältnisses der beiden Figuren zueinander bestehen,43 müssen überwunden werden, um die verschiedenen Rechtsfragen konzise einordnen zu können. Allein, dass ein Rechtsschein vorliegt, führt nicht dazu, dass die Rechtsscheintatbestände auch identisch zu behandeln sind. Staatlicherseits veranlasste Rechtsscheintatbestände ru­ fen andere Folgen auf prozessualer wie auch materieller Ebene hervor als ein privat gesetzter Rechtsschein.44 Schon die Existenz unterschiedlicher Begrifflichkeiten, der des Scheinakts und der des Nichtakts, legt nahe, dass es bei den Konstellationen um unterschiedliche Figuren geht. Die begriffli­ chen Bedeutungskonnotationen wie auch die Ursprünge der Figuren weisen darauf hin, dass die Zurechnung eine geeignete Schnittstelle für eine Diffe­ renzierung zwischen den beiden Systematisierungsformen bildet.45 Die Analyse, wie mit den verschiedenen Konstellationen rechtlich umzugehen ist, wenn man zwischen den beiden Figuren anhand des Gesichtspunkts der Zurechenbarkeit zum Staat differenziert, hat gezeigt, dass die Unterschei­ dung zwischen Nichtakten und Scheinakten zu einem systematisch stimmi­ gen Ergebnis führt.46 Nichtakte und Scheinakte rufen jeweils für sich be­ trachtet einheitliche Rechtsfolgen hervor. Während Nichtakte die Frage be­ treffen, ob eine Handlung dem Staat zuzurechnen ist,47 sind dem Scheinakt die Fragen des Vorliegens einer Handlung und die Wahl der richtigen Rechtsform zuzuordnen.48 Die nähere Betrachtung, unter welchen Voraussetzungen dem Staat Hand­ lungen Privater zuzurechnen sind,49 hat gezeigt, dass die Ausgestaltung der Rechtsordnung dafür spricht, keine engen Voraussetzungen für die Zurech­ nung aufzustellen, sondern auf formaler Ebene eine weite Zurechnung zu­ zulassen. Auf materieller Ebene kann die in legitimationsrechtlicher Hinsicht hierdurch erfolgende Abschleifung kompensiert werden, indem das Kriteri­ um der Selbstorganschaft als materielle Rechtmäßigkeitsbedingung angese­ hen wird.50 Der faktische Anwendungsbereich des Nichtakts ist vor diesem Hintergrund äußerst reduziert; dies entspricht jedoch dem in Bezug auf die Figur des Nichtakts insgesamt zu beobachtenden Trend. Sowohl die Legis­ lative als auch die Judikative sind gewillt, den Anwendungsbereich der Fi­ 43  Vgl.

hierzu B. II. hierzu F. 45  Vgl. hierzu D. IV. 46  Vgl. hierzu F. III. 47  Zur Zurechnung näher unter E. Hinsichtlich der Konstellationen, die Probleme in Bezug darauf aufwerfen, ob ein Nichtakt vorliegt, vgl. auch D. II. 48  Vgl. hierzu D. I., III. und IV. 49  Vgl. hierzu E. III.–V. 50  Vgl. hierzu E. IV. und V. 44  Vgl.

192

G. Die dogmatische Figur des Nichtakts

gur zu reduzieren.51 Der Nichtakt ruft somit die Notwendigkeit der Ausar­ beitung bestimmter Rechtsfragen hervor − im Ergebnis greift die Figur je­ doch selten durch. Ihren dogmatischen Mehrwert tangiert dies jedoch nicht.

IV. Zusammenfassung Obwohl der Begriff „Nichtakt“ von Literatur und Rechtsprechung in ver­ schiedenen Rechtsgebieten52 wiederkehrend verwendet wird, sind seine Funktion sowie Konturen bisher nicht näher herausgearbeitet worden. Man­ gels näherer dogmatischer Analyse der Figur werden unter dem Begriff „Nichtakt“ vielerlei Fallgestaltungen zusammengefasst. Systematisiert man diese, ist festzustellen, dass von der Figur derzeit drei verschiedene Kons­ tellationen erfasst werden: das Fehlen einer staatlichen Handlung, dem Staat nicht zurechenbare Handlungen sowie Handlungen, die in der falschen Rechtsform ergangen sind.53 Gemein ist sämtlichen dieser Fälle, dass den Handlungen keine Rechtsfolgen beigemessen werden. Neben dieser Ge­ meinsamkeit hat das weite Verständnis der Figur jedoch vor allem zur Folge, dass sich die Konstellationen in nicht unerheblicher Weise voneinan­ der unterscheiden:54 Während im Falle von Handlungen in der falschen Rechtsform bzw. noch nicht wirksamen Akten, die aufgrund eines behörden­ internen Fehlers bereits nach außen gedrungen sind, die von dem Rechts­ scheintatbestand ausgehende faktische Wirkung auf einem Verschulden des Staates beruht, ist dies bei Handlungen, die dem Staat nicht zurechenbar sind, gerade nicht der Fall. Dieser Unterschied hat, wie die Diskussion um den prozessualen wie auch materiell-rechtlichen Umgang mit Nichtakten paradigmatisch zeigt,55 bedeutsame Auswirkungen. Die für die eine oder andere Art des Umgangs mit Nichtakten vorgebrachten Argumente entfalten ihre Überzeugungskraft jeweils nur für eine der beiden Konstellationen. Sie greifen entweder im Hinblick auf Fallgestaltungen, in denen die Behörde die Entstehung des Rechtsscheins verschuldet hat, oder überzeugen in Be­ zug auf Konstellationen, in denen sie keinerlei Anlass für die Entstehung des Rechtsscheins geschaffen hat.56 Dies legt nahe, dass die zwischen den Konstellationen bestehenden Unterschiede Folgen in Bezug auf den rechtli­ chen Umgang nach sich ziehen. Warum die verschiedenen Fallkonstellatio­ 51  Vgl.

hierzu C. I. und II. C. 53  Ausführlich dazu, welche Fallgestaltungen als Nichtakte bezeichnet werden, unter D. 54  Vgl. D. IV. 4. 55  Vgl. F. I. 56  Vgl. F. I. 52  Vgl.



IV. Zusammenfassung193

nen rechtlich identisch behandelt werden sollten, lässt sich dogmatisch nicht überzeugend erklären. Dass neben dem Begriff „Nichtakt“ auch der Begriff „Scheinakt“ verwendet wird, ist vielmehr als weiterer Hinweis darauf zu sehen, dass die Konstellationen unterschiedliche Rechtsscheintatbestände darstellen.57 Nichtakte und Scheinakte sind nicht verschiedene Bezeichnun­ gen für dasselbe Phänomen, zwischen ihnen ist vielmehr zu differenzieren. Prüft man diese These, indem man die Konstellationen aufspaltet und zwischen vom Staat veranlassten und ihm nicht zurechenbaren Rechts­ scheintatbeständen differenziert, zeigt sich, dass mit den sodann herausge­ bildeten Fallgruppen sowohl prozessual als auch materiell-rechtlich kohärent umgegangen werden kann.58 Es liegt daher dogmatisch nahe, die verschie­ denen Konstellationen getrennt voneinander zu betrachten und sie als unter­ schiedlichen Figuren zugehörig zu begreifen.59 Hierfür können die bisher teils synonym verstandenen Begriffe „Nichtakt“ und „Scheinakt“ herange­ zogen werden. Differenziert man demzufolge zwischen Nichtakten und Scheinakten, in­ dem man die ihnen bisher gemeinsam zugeordneten Konstellationen auf­ spaltet und neu zuordnet, lässt sich das Verständnis der beiden Figuren präzisieren und ein einheitlicher und schlüssiger Umgang erreichen.60 Im Ergebnis sind folglich lediglich dem Staat nicht zurechenbare Rechtsschein­ tatbestände als Nichtakte anzusehen.61 Sämtliche andere vom Staat veran­ lasste Rechtsscheintatbestände, welche aus den unterschiedlichsten Gründen keine staatlichen Handlungen darstellen oder aber nur ihrer Form nach die Voraussetzungen einer bestimmten staatlichen Handlungsform erfüllen, sind demgegenüber als Scheinakte einzuordnen.62 Beide Figuren betreffen den Umgang mit Rechtsscheintatbeständen, Überschneidungen weisen sie sonst aber nicht auf.63 Dass die Figur des Nichtakts sehr viel enger als bisher verstanden werden sollte, stützt ferner auch ihre Entstehungsgeschichte.64 Verfolgt man die Verwendung des Begriffs zurück bis hin zum erstmaligen Gebrauch der Bezeichnung im Zivilrecht65 und analysiert seine Übernahme ins Öffent­ liche Recht sowie seine gemeinsame Entwicklung mit der Fehlerfolgen­ 57  Zur

Verwendung der beiden Begriffe vgl. B. II. F. III. 59  Vgl. F. II. 60  Vgl. hierzu F. III. 61  Vgl. F. II. und G. III. 62  Vgl. F. II. und G. III. 63  Zum Verhältnis der Figuren zueinander s. F. II. 2. 64  Vgl. hierzu B. I. 65  Näher hierzu unter B. I. 1. 58  Vgl.

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G. Die dogmatische Figur des Nichtakts

lehre66, zeigt sich, dass der Begriff „Nichtakt“ zwar auch zu Beginn nicht präzise herausgearbeitet wurde. Insbesondere ein Blick auf die Verwendung des Begriffs im Rahmen der Ausarbeitung der Fehlerfolgenlehre lässt jedoch erkennen, dass für die Bewertung der rechtlichen Wirkungen von Akten entscheidend ist, ob die Handlungen dem Staat zuzurechnen sind.67 In Bezug auf diese Fragestellung ist der Begriff „Nichtakt“ geprägt worden. Ausschlaggebend dafür, wann die Figur des Nichtakts zur Anwendung gelangt, ist folglich, unter welchen Voraussetzungen eine Handlung dem Staat zuzurechnen ist.68 Ausgehend von den aus der Rechtsordnung unmit­ telbar ableitbaren Grenzen der Zurechnung sowie einer Bewertung der ultravires-Lehre kann rekonstruiert werden, unter welchen Voraussetzungen Handlungen von Amtswaltern69 sowie Handlungen von in die öffentliche Aufgabenerfüllung einbezogenen Privaten −  von Beliehenen70 und Verwal­ tungshelfern71  − dem Staat zuzurechnen sind. Anhand der Grenzen der Zurechnung bestimmt sich der Anwendungsbereich der Figur des Nichtakts. Die vermehrte Einbeziehung Privater hat im Hinblick auf den Nichtakt zwar dazu geführt, dass die Figur als Abgrenzungskategorie immer wieder heran­ zuziehen ist.72 Eine Renaissance in dem Sinne, dass sich der Anwendungs­ bereich der Figur erweitern würde, erlebt der Nichtakt hierdurch jedoch nicht. Der Nichtakt verbleibt eine Abgrenzungskategorie. Seine dogmatische Rekonstruktion macht dies aber nicht entbehrlich.

66  Vgl.

hierzu B. I. 2. B. I. 3. 68  Hierzu ausführlich unter D. 69  Vgl. D. II. 7. und E. I. 70  Vgl. E. IV. 71  Vgl. E. III. 72  Vg. D. II. 4. und 5. sowie E. III. 67  Vgl.

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Personen- und Sachwortverzeichnis Abgrenzungsfunktion / -kategorie  18, 101, 180, 186 ff. absolute Nichtigkeit  38, 41 allgemeine Feststellungsklage  110, 162 ff., 174 Amt  126 ff., 150 f., 158 Amtsanmaßung  54, 70, 82, 87 ff., 102, 107, 112 Amtshaftung  146, 148 ff., 167 Amtswalter  56, 60, 78, 102, 128, 131 f., 136, 139, 140 f., 149 ff., 154 f., 158 Anfechtungsklage  110 f., 162 ff., 171, 183 Anscheinsvollmacht  135, 148 f. atto inesistente  23 atypischer Amtswalter  142, 149 ff. Aufopferungsgewohnheitsrecht  167, 179 Außenwirkung  66, 117 äußere Wirksamkeit  73 Auswahlverschulden  123, 145 Befugnisüberschreitung  43 f., 60, 62, 70, 101, 132 Bekanntgabe  17, 39, 72 ff., 114 ff., 166, 178 –– Bekanntgabefehler  77, 114, 166 –– Bekanntgabewille  76 f., 78, 114 Beleihung  22, 70, 89 ff., 106 f., 120, 143, 156 ff. –– faktische Beleihung  70, 90 ff., 96 ff., 144 f., 149, 155 –– fehlerhafte Beleihung  70, 89 ff., 120, 156 ff. Bestandskraft  80, 87, 111, 154 Botenschaft  100, 143, 145, 150

Delegation  94, 100, 142 demokratische Legitimation  101, 124, 126, 154, 158 dogmatischer Mehrwert  11, 47, 180, 190, 192 Duldungsvollmacht  86, 148 f. Entscheidungsherrschaft  139 Entscheidungsverantwortung  124, 143, 157 f. Entstehungsgeschichte  20, 31, 46, 168, 193 Entwicklungsgeschichte  22, 31 Entwurf  59, 64, 182 f. Erklärungswille  76 f., 113 Erscheinungsform  19, 47, 171 essentialia negotii  24 Existenz  30, 32, 63 ff., 72 ff., 83 ff., 175 ff., 191 faktische Wirkung  16, 19, 42, 53, 71, 118, 189 f., 192 Fehleranfälligkeit  57, 68 Fehlerfolgenlehre / Fehlerkalkül  16 ff., 20, 30 ff., 37 ff., 41, 44, 46, 63, 68, 104 f., 112, 161, 177, 194 fehlerhafte Errichtung  84 f., 106 fehlerhafter Staatsakt  32 Feststellungsinteresse  174 f. Feststellungsklage  38, 110, 162 ff., 171, 174, 178 fiktiver / fingierter Verwaltungsakt  71, 79 ff., 114 formeller Verwaltungsakt  109 ff. Gebührenbescheid  89, 97 Geschäftsbesorgung  97 ff., 152 geschäftsunfähig  78

210

Personen- und Sachwortverzeichnis

Geschäftsverteilung  59, 127, 134, 141 Gültigkeitsvermutung  64 Haftung  26, 122 ff., 145 ff., 152, 167, 177, 179 Handlung  16 ff., 21, 29, 34 ff., 37, 42 ff., 49 ff., 59 f., 63, 68 ff., 76, 78, 83 ff., 90, 93 ff., 101 ff., 112, 113 ff., 117 ff., 142 ff., 171, 187 f., 190 ff. Handlungsformen  13 f., 16 ff., 21, 29, 42, 45 f., 48 ff., 82, 91, 109, 157, 160, 168 ff., 180 ff., 193 handlungsformübergreifend  49 Handlungswille  24 f. Hauptmann von Köpenick  11, 12, 22, 30, 36, 38, 41, 82, 87, 96 Heilung  87, 106 heuristische Funktion  187 ff. Hoheitsträger  70, 84 f., 94, 103, 106, 141, 154, 156, 175 Indienstnahme  142 f. Inexistenz  63 ff., 72, 84 Institut  160, 185 ff. Jellinek, Walter  11, 22, 37 ff. Kelsen, Hans  11, 17, 20, 32 ff., 37 ff., 43 ff., 115, 119, 129 kollusives Zusammenwirken  60, 102 Kombinationsformel  148, 153 Kormann, Karl  12, 20, 22, 30, 37 ff., 78, 83 Kostenrisiko  66 Leerstelle  44, 187 Letztentscheidungsverantwortung  123, 143 Mandat  94, 100, 127, 130 ff., 138, 141 ff., 150 ff. –– innerbehördliches Mandat  131, 133 ff., 140 –– organisationsrechtliches Mandat  139 –– zwischenbehördliches Mandat  124, 139, 140, 150 f.

materieller Verwaltungsakt  108 Mayer, Otto  37 ff. Meistbegünstigung  29, 162 Merkl, Adolf  17, 31, 34 ff. Michel, Artur  23, 27 f., 38, 181 f. Mindestvoraussetzungen  16, 23, 36, 67 Nicht-Befehl  181 Nichternennung  56 f. Nichtigkeit  12, 20, 23, 25 ff., 30 ff., 42 ff., 57 f., 62 ff., 68 ff., 78, 83 ff., 98, 103 ff., 161, 165, 169, 175 ff., 182 ff. Nichtigkeitsfeststellungsklage  110, 162 ff., 171 Nicht-Rechtsgeschäft  23 ff. Nicht-Rechtsverordnung  181, 183 f. Nicht-Satzung  183 f. Nicht-Staatsakt     20, 28, 31, 32 ff., 44, 181 Nicht-Urteil  23, 26, 27 ff., 40, 181 ff. Nicht-Vertrag  103, 181, 184 Nicht-Verwaltungsakt  12, 15, 45, 47 f., 52, 81, 107, 164 Noch-Nicht-Verwaltungsakt  72 nullité  22 Offenkundigkeit  64 ff., 88, 95 f., 104 Organisationsprivatisierung  144 organische Staatstheorie / Organismus­ theorie  45, 129 Organschaft  136, 138 ff., 155 Organwalter  70, 83, 127 ff., 136 ff., 144, 150, 155 –– Organwalter im engeren Sinne  128, 129 ff. –– Organwalter im weiteren Sinne  128 f., 130 ff., 136, 146, 150, 155 f. Platzhalter  187 Privatautonomie  115 Privathandeln  50, 60, 102, 180 Prokura  101, 131, 134 ff. publizistische Kraft  40 Realfolgen  161, 176, 189 rechtliches Nullum  15, 53, 56, 72



Personen- und Sachwortverzeichnis211

Rechtsbegriff  112 f., 160, 172, 185 ff. –– Rechtsbegriff im engeren Sinne  185 ff. –– Rechtsbegriff im weiteren Sinne  185 ff. Rechtsbindungswille  24 f., 51, 77 Rechtsfigur  12, 23, 160 f., 168, 173, 185 ff. Rechtsfolgen  12, 38, 62, 77, 104, 110, 112 f., 117 ff., 159, 160 Rechtsform  52, 54, 71, 111, 112, 117, 165 f., 170, 181, 191 f. Rechtsformenmissbrauch  71, 170 ff. Rechtspositivismus  32 ff. Rechtsschein  18 ff., 29, 42, 45, 49 ff., 71, 76, 99, 109 f., 116, 118 ff., 155, 161 ff., 170 ff., 178, 182, 189 ff., 192 ff. Rechtsscheintatbestand  18, 81, 113, 171 ff., 174, 191 f. Rechtsschutz  54, 66, 74 f., 100, 105, 109 f., 112, 162 ff., 173 Rechtsschutzinteresse  66 Rechtssicherheit  65, 68, 87 f., 96, 135, 161 Rechtssphäre  135, 154 Rechtswegeröffnung  164, 170 Rechtswidrigkeit  20, 28, 36, 37 ff., 58, 64, 80, 87, 98, 103 ff., 111, 122, 140, 145, 157 f., 169, 175 Referenzgebiet  55 Risikosphäre  135, 158 Scheinakte  12 f., 15, 19 f., 27, 35 f., 47 ff., 52 ff., 63, 69, 81, 97, 108, 117 f., 158, 160 ff., 168 ff., 185, 190 ff. Scheingeschäft  23, 27 Scherzerklärung  11, 12, 27, 51, 69 ff., 77, 119 Schnittmenge  172 f. Selbstorganschaft  101, 123 f., 139, 143, 154, 158, 191 Speicherfunktion  13, 54, 113, 160, 190 Staatsorgan  28, 94, 96, 106, 120, 156

Stellvertretung  43, 100, 121, 134, 136, 138, 145 Synonyme  13, 15, 20, 48 ff., 65, 169, 191, 193 Teilrechtsfähigkeit  102 ff. Überdogmatisierung  54 Übertragungsakt  91, 96, 156 Überwachungsverschulden  123, 145 ultra-vires-Akte  69, 102 ff. ultra-vires-Lehre  11, 54, 69, 102 ff., 133 Unterfall  48, 171, 172 ff., 181 Veranlassung  99 ff., 122, 124, 131, 143, 148, 152 ff., 157 ff., 166 f., 168, 174, 191 ff. Verantwortung  67, 79, 88, 115, 122 ff., 135 f., 143, 152 ff., 155, 157 f., 165, 178 Verbandskompetenz  103 ff., 184 Vernichtbarkeit  35, 37, 39 Vertrauensschutz  24, 101, 105, 132, 153 f., 155 ff., 184 Vertretertheorie  129 Vertretung  18, 43 f., 60 ff., 68, 76, 99 f., 101 ff., 106 f., 120 f., 126, 130 ff., 145 Vertretungsmacht  60 ff., 101 ff., 106, 127, 130 f., 133, 159 Verwaltungshelfer  59, 90 ff., 96 ff., 120, 139, 141, 143 ff., 152 f., 155, 194 –– selbstständiger Verwaltungshelfer  90, 147 Verwaltungsrechtsverhältnis  73 Verwaltungsrechtsweg  164 f., 174 f. vis absoluta  83 ff., 183 vis compulsiva  83 ff. Vollrechtsfähigkeit  102, 158 Werkzeugtheorie  147 Willenserklärung  24 ff., 56, 62, 76, 136 f., 138, 141, 149 Willenstheorie  58, 115

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Personen- und Sachwortverzeichnis

Wirksamkeitshindernisse  53, 71 ff. Zeichnungsbefugnis  94, 101, 130 ff., 141 Zivilrecht  22 ff., 41 ff., 51, 63, 77, 78 f., 86, 99, 101, 113 f., 141 f., 149 f., 174, 193 Zugang  39, 72 ff. Zuordnung  94, 107, 120 f., 156

Zurechnung  14, 18 ff., 29, 33 ff., 70, 81 ff., 106 ff., 116 ff., 119 ff., 125 ff., 140 ff., 156 ff. Zustandekommen  25, 67, 182 Zuständigkeit  39, 44, 58 ff., 64, 68, 101 ff., 122 ff., 154 ff., 157 ff. Zuständigkeitsordnung  101, 122 ff., 138 ff. Zweckverband  84 ff.