Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007: Herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. 9783504382803

Die Gesellschaftsrechtliche Vereinigung – wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR) –

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German Pages 196 Year 2008

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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007: Herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung.
 9783504382803

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GesellschaftsrechtUche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007

Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (HrsgJ

Band 13

Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von

Prof. Dr: Gregor Bachmann Universitätsprofessor, Trier

Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Baums Universitätsprofessor, Frankfurt am Maln

Prof. Dr. Wulf Goette Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Dr. Christoph E. Hauschka Rechtsanwalt, München

Dr: Bernd Hirtz Rechtsanwalt, Köln

Prof. Dr. Carsten Schäfer Universitätsprofessor, Mannheim

2008

Verl~

Dr.ottoSchmidt Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

V erlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221193738-01, Fax 0221/93738-943 info@otto-schmidtde www.otto-schmidtde ISBN 978-3-504-62713-3 ©2008 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterongsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn Druck und Verarbeitung: Grosch. Eppelheim Printed in Germany

Inhalt* Seite

Prof. Dr. Wulf Goette, Karlsruhe Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht Verzeichnis der zitierten Entscheidungen ..................................

2

I. Ausblick auf die kommenden Monate ......................................

3

II. Rückblick ...................................................................................

5

Dr. Christian Horn, LL.M., Düsseldorf Bericht über die Diskussion des Referats Goette ...........................

47

Dr. Christoph E. Hauschka, München Compliance – Praktische Erfahrungen und Thesen I. Begriff und Bedeutung von Compliance ....................................

51

II. Rechtspraktische Notwendigkeit von Compliance ....................

55

III. Entwicklung eines Compliance-Modells ...................................

57

IV. Rechtsvergleichender Blick auf angelsächsische Standards ........

62

V. Thesen .......................................................................................

62

Prof. Dr. Gregor Bachmann, Trier Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen I. Einleitung ..................................................................................

66

II. Rechtspflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation? ........................................................

67

III. Inhalt einer Compliance-Organisationspflicht ..........................

80

* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse jeweils zu Beginn der Beiträge.

V

Inhalt

IV. Rechtsfolgen bei mangelhafter Compliance-Organisation ........

82

V. Sonderfragen .............................................................................

90

VI. Rechtspolitischer Ausblick ........................................................

99

VII. Zusammenfassende Thesen ..................................................... 100 Dr. Ulrike Unger, München Bericht über die Diskussion der Referate Hauschka und Bachmann ................................................................................. 103 Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Baums, Frankfurt Zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen – rechtspolitische Vorschläge I. Einführung ............................................................................... 109 II. Rechtstatsachen ........................................................................ 110 III. Nachteile eines „Klagegewerbes“ .............................................. 112 IV. Mindestanteilsbesitz für Anfechtungsklagen? („italienische Lösung“) ............................................................. 114 V. Umgestaltung des Freigabeverfahrens ...................................... 116 VI. Vergleichswert und „Vergleichsmehrwert“ ................................ 124 VII. Änderung des Spruchverfahrensrechts ..................................... 127 VIII. Thesen ...................................................................................... 130 Daniel Gajek, Frankfurt Bericht über die Diskussion des Referats Baums ........................... 131 Prof. Dr. Carsten Schäfer, Mannheim Nachschusspflichten bei Personengesellschaften I. Einführung ............................................................................... 137 II. Die aktuellen Entscheidungen des II. Zivilsenats ..................... 138 III. Kritik und Folgerungen ............................................................. 140 IV. Sonderproblem: Sanierung der Gesellschaft ............................. 146 V. Zusammenfassung in Thesen .................................................. 151

VI

Inhalt

Sabrina Kulenkamp, Düsseldorf Bericht über die Diskussion des Referats Schäfer .......................... 153 Dr. Bernd Hirtz, Köln Neuere Entwicklungen im Sozietätsrecht I. Begriff und Rechtsnatur – zugleich eine Einleitung .................. 157 II. Haftungsprobleme .................................................................... 159 III. Gewinnverteilungsregeln .......................................................... 166 IV. Ausscheiden .............................................................................. 169 V. Abfindung und Mandantenschutz ............................................

174

VI. Ergebnis .................................................................................... 178 Dr. iur. Dipl.-Kffr. Sorika Pluskat (LL.M. Eur.), Düsseldorf Bericht über die Diskussion des Referats Hirtz ............................. 181

Stichwortverzeichnis ........................................................................ 185

VII

VIII

Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht Prof. Dr. Wulf Goette Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Verzeichnis der zitierten Entscheidungen: . . . . . . . . . . . 1. Personengesellschaft . . . . . 2. GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . 3. AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verein . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 2 2 2 3

I. Ausblick auf die kommenden Monate . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen und Grenzen von Mehrheitsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . b) Beitragsvermehrung – Nachschusspfl ichten . . . . . . . . . . . . c) Nachschusspflichten und Beschlussmängelstreitigkeiten . . . . . . . . . d) Kündigungsfrist bei Freiberuflersozietät . . . . e) Hinauskündigungsverbot und Probezeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . a) Existenzvernichtungshaftung . . . . . . . . b) Insolvenz verschleppungshaftung und Massesicherungspfl icht . . . . . . . . . . . . . .

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11 12

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c) Kapitalaufbringung unter dem „Konzerndach“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) §§ 30, 31 GmbHG und Sicherheitenbestellung. . . . . 3. Aktienrecht. . . . . . . . . . . . . . . . a) Beratungsvertrag und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . b) Gemischte Sacheinlage und Sachübernahme . . . . . . c) Verschmelzung durch Aufnahme und Differenzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kostenparallelität bei der Anfechtungsklage . . . . . e) Keine „Nebeninterventionsbefugnis“ nach altem Recht . . . . . . . . . . . . . f) Verzinsung der Abfi ndung beim squeeze out . . . . . . . . . g) Weiterführung der Anfechtungsklage nach Freigabe der Verschmelzung – Standardrügen . . . . . 4. Vereinsrecht . . . . . . . . . . . . . . . a) Umlagepfl icht ohne Satzungsgrundlage und Sonderaustrittsrecht . . . . . . b) Ende der Beitragspfl icht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . c) Beschlussanfechtung, Parteifähigkeit des nicht rechtsfähigen Vereins . . . . .

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

Verzeichnis der zitierten Entscheidungen: 1. Personengesellschaft – Urt. v. 15. 1. 2007 – II ZR 245/05 („Otto“), ZIP 2007, 475 – Mehrheitsklausel – Urt. v. 5. 3. 2007 – II ZR 282/05, ZIP 2007, 766 – Nachschusspflicht – Urt. v. 19. 3. 2007 – II ZR 73/06, ZIP 2007, 872 – Nachschusspflicht – Urt. v. 21. 5. 2007 – II ZR 96/96, ZIP 2007, 1458 – Nachschusspflicht – Urt. v. 5. 11. 2007 – II ZR 230/06, ZIP 2007, 2413 – Nachschusspflicht – Urt. v. 18. 9. 2006 – II ZR 137/04, ZIP 2006, 2316 – Kündigungsfrist Freiberuflersozietät – Urt. v. 19. 3. 2007 – II ZR 300/05, ZIP 2007, 862 – Hinauskündigung – Urt. v. 7. 5. 2007 – II ZR 281/05, ZIP 2007, 1309 – Hinauskündigung

2. GmbH – Urt. v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04 („TRIHOTEL“), ZIP 2007, 1552 – Existenzvernichtungshaftung – Urt. v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 – Insolvenzverschleppungshaftung – Urt. v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 – Massesicherungspflicht – Urt. v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 – Massesicherungspflicht – Urt. v. 12. 2. 2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528 – Kapitalaufbringung unter dem „Konzerndach“ – Urt. v. 18. 6. 2007 – II ZR 86/06, ZIP 2007, 1705 – §§ 30, 31 GmbHG und Sicherheitenbestellung

3. AG – Urt. v. 28. 11. 2006 – II ZR 279/05, ZIP 2007, 22 – Beratungsvertrag Aufsichtsrat – Urt. v. 2. 4. 2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 – Beratungsvertrag Aufsichtsrat

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

– Urt. v. 20. 11. 2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178 – gemischte Sacheinlage und Sachübernahme – Urt. v. 9. 7. 2007 – II ZR 62/06 („LURGI“), ZIP 2007, 1751 – gemischte Sacheinlage und Sachübernahme – Urt. v. 12. 3. 2007 – II ZR 302/05, ZIP 2007, 1104 – Verschmelzung durch Aufnahme und Differenzhaftung – Beschl. v. 18. 6. 2007 – II ZB 23/06, ZIP 2007, 1337 – Kostenparallelität bei Anfechtungsklage – Beschl. v. 23. 4. 2007 – II ZB 29/05, ZIP 2007, 1528 – keine „Nebeninterventionsbefugnis“ nach altem Recht – Beschl. v. 21. 5. 2007 – II ZR 266/04, ZIP 2007, 1524 – Weiterführung der Anfechtungsklage nach Freigabe der Verschmelzung, Standardrügen

4. Verein – Urt. v. 2. 7. 2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 – Beschlussanfechtung, Parteifähigkeit des nicht rechtsfähigen Vereins – Beschl. v. 23. 4. 2007 – II ZR 190/06, ZIP 2007, 1462 – Ende der Beitragspflicht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens – Urt. v. 24. 9. 2007 – II ZR 91/06, ZIP 2007, 2264 – Umlage ohne Satzungsgrundlage, Austrittsrecht

I. Ausblick auf die kommenden Monate Wie in den beiden letzten Jahren will ich meinem Bericht über die entschiedenen Fälle einen kurzen Ausblick auf das voranstellen, was den Senat – und damit mit etwas Verzögerung – auch Sie in der näheren Zukunft erwartet. Nicht entscheiden dürfen wir das von dem OLG Stuttgart1 in einem Vorlagebeschluss an den Senat herangetragene seit DAT/Altana erörterte Problem des Beginns des bei der Ermittlung der Barabfindung maßgeblichen Zeitraums: Soll auf die Hauptversammlung oder auf die Bekanntgabe der Maßnahme abgestellt werden? Die Beschwerdeführer, die jedenfalls teilweise zu einer bestimmten Gruppe von Aktionären gehören, haben es vorgezogen, die Beschwerde zurückzunehmen, möglicherweise weil sie uns nicht über den Weg trauen. 1 20 W 6/06 = II ZB 7/07.

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

Fußballspieler2, Amateurhandballer3 und Mitglieder politischer Parteien4 werden uns mit vereinsrechtlichen Fragen im engeren und weiteren Sinn beschäftigen. Im Dezember steht außerdem der „Kolping-Konzern“5, über den schon manches im Schrifttum verlautbart worden ist, zur mündlichen Verhandlung an. An demselben Tag verhandelt der Senat auch über die Frage, ob die Anrechnung der Abfindungszinsen auf den Ausgleich in Jahresschritten oder saldiert für den gesamten in Frage stehenden Zeitraum vorzunehmen ist6 – eine Partei tritt für, die andere gegen die Rosinentheorie ein. Aktienrechtliche Fragen stehen im März an, wenn es um die Versteigerung der UMTS-Lizenzen7 und einen Fall geht, den man „Jenoptik II“8 nennen könnte; in dem zuletzt genannten Verfahren kommt der Kläger unserer Aufforderung, das Datum des Erwerbs seiner Aktien mitzuteilen, beharrlich nicht nach. Aus dem Schnittbereich von GmbH- und Kommanditgesellschaftsrecht wird Anfang Dezember die von drei Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortete Frage zu entscheiden sein, ob es den Kapitalschutzvorschriften widerspricht, wenn bei einer typisch organisierten GmbH & Co. KG die Komplementärin ihr Stammkapital als Darlehen an die Kommanditgesellschaft ausreicht9. Über die Auslegung der Übergangsregelung zu den Sonder-Verjährungsvorschriften des GmbHG10 werden wir im neuen Jahr ebenso zu entscheiden haben wie über die Anwendung der Regeln über die Existenzvernichtungshaftung auf eine Beschäftigungsgesellschaft11. Zur Verhandlung steht auch der Fall „Rhein-Möve“12 an, der aufmerksamen Lesern der FachZeitschriften schon aus vorab veröffentlichten Rechtsgutachten13 bekannt ist. Im Januar steht ein Fall14 zur Beratung an, in dem es abermals um die

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II ZR 276/06. II ZR 245/06. „Fall“ Hohmann ./. CDU, II ZR 296/06. II ZR 239/05. II ZR 199/06. II ZR 124/06. II ZR 45/06. II ZR 180/06, ZIP 2008, 174; vgl. ferner II ZR 272/06 (OLG Hamm); II ZR 143/07 (OLG Karlsruhe). II ZR 171/06, Verhandlungstermin 11. 2. 2008. II ZR 264/06, Verhandlungstermin 11. 2. 2008. II ZR 132/06 = 6 U 120/05 (OLG Koblenz, AG 2007, 242), Verhandlungstermin 18. 2. 2008. Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337. II ZR 290/06, Beratungstermin 28. 1. 2008, der Senat hat einen Hinweisbeschluss nach § 552a ZPO erlassen.

Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

Validität der sog. „Bedingungslehre“15 geht. Und die Informationsdeliktshaftung beschäftigt uns in Gestalt weiterer ComRoad-Fälle16 abermals Anfang Januar 2008. Zum Abschluss dieses Ausblicks will ich auf ein Revisionsverfahren hinweisen, das uns wieder in das Minenfeld von Sitztheorie, sog. „Wechselbalgtheorie“ und Gründungstheorie führt. Nach dem revisionsrechtlich als zutreffend zu unterstellenden Sachverhalt – in Wirklichkeit sind die entsprechenden Tatsachenbehauptungen der Beklagtenseite bestritten – hat eine in der Schweiz ordnungsgemäß gegründete Aktiengesellschaft ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. Sie hat dort ein Grundstück gekauft und ist in das Grundbuch eingetragen worden. Nunmehr verfolgt sie vor deutschen Gerichten Miet- oder Pachtzinsansprüche. Die Beklagte beruft sich auf die Sitztheorie und macht geltend, die Klägerin sei in Deutschland rechtlich nicht existent. Das Landgericht hat offen gelassen, ob die Klägerin ihren Sitz nach Deutschland verlegt gehabt habe, weil ihre Klage in jedem Fall zulässig sei, weil entweder das Schweizerische Recht mit seiner Gründungtheorie Platz greife oder aber die Klägerin in Deutschland nach der erwähnten Wechselbalgtheorie jedenfalls als OHG Aktivansprüche klageweise geltend machen könne. Das OLG Hamm17 hat die Gründungstheorie für anwendbar gehalten und deswegen die Klägerin als existent angesehen, mit Rücksicht auf die höchstrichterlich nicht geklärte Problematik aber die Revision zugelassen. Nachdem geklärt ist, dass der II. Zivilsenat nach unserem Geschäftsverteilungsplan der gesetzliche Richter ist, obwohl es materiell um miet- oder pachtrechtliche Ansprüche geht, werden wir über diese Sache in der ersten Hälfte des kommenden Jahres beraten und entscheiden18.

II. Rückblick 1. Personengesellschaftsrecht a) Voraussetzungen und Grenzen von Mehrheitsentscheidungen § 119 HGB enthält den das Personengesellschaftsrecht prägenden Grundsatz, dass Beschlüsse in Angelegenheiten der Gesellschaft einstimmig zu fassen sind. Er ist Ausprägung des Verständnisses dieser Gesell15 Vgl. BGHZ 9, 157; dazu Goette, FS Lutter, 2000, S. 399 ff.; Ulmer, FS Priester, 2007, S. 775 ff. 16 II ZR 229/05; II ZR 68/06, Verhandlungstermin 7. 1. 2008. 17 30 U 166/05, ZIP 2006, 1822; vgl. dazu Wachter, BB 2006, 2489. 18 II ZR 158/06.

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

schaftsformen als nicht – wie dies in der modernen Literatur19 vertreten wird – verbandsrechtlich verfasste Organisation, sondern als auf schuldrechtlichen Beziehungen beruhende Verbindung mehrerer Personen. Folgerungen ergeben sich aus diesem Verständnis auch für das später noch kurz zu beleuchtende Beschlussmängelrecht der Personengesellschaft. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Einstimmigkeitsregel natürlich das Interesse des einzelnen Gesellschafters, nicht von den anderen Mitgliedern „überrollt“ zu werden, in besonderer Weise schützt, dass sie aber auf der anderen Seite aus der Sicht der Mitgesellschafter eine Lähmungsgefahr darstellt und u. U. das Erfordernis hervorruft, den Lästigkeitswert eines widersprechenden Gesellschafters in sachlich nicht gerechtfertigter Weise honorieren zu müssen. Deswegen wird seit jeher das gesetzliche Einstimmigkeitsprinzip nicht lupenrein exekutiert. Antworten auf die Fragen der Voraussetzungen und der Grenzen für Mehrheitsentscheidungen oder – anders gewendet – des Ausgleichs zwischen Mehrheitsinteresse und Minderheitenschutz sind danach erforderlich. Ursprünglich hat man geglaubt, mit Klauseln helfen zu können, die nach Art einer katalogartigen Aufzählung die Beschlussgegenstände zusammengestellt haben, für die an Stelle des Einstimmigkeits- das Mehrheitsprinzip gelten sollte. Für diese Denkschule hatte sich als kennzeichnender Begriff der „Bestimmtheitsgrundsatz“20 eingebürgert, der von den Vertretern der Gegenposition, der sog. Kernbereichslehre21 auf das heftigste bekämpft worden ist: Die Bestimmtheitskataloge seien weder rechtssicher in der Abgrenzung, noch in der rechtlichen Würdigung hinreichend, weil es Fälle gebe, in denen die Gesellschafter schlechthin gehindert sind, sich einer Herrschaft der Mehrheit zu unterwerfen. Deswegen sei auf den Bestimmtheitsgrundsatz schlechthin zu verzichten, stattdessen solle man sogleich die inhaltliche Tragweite prüfen, ob also und ggfs. unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter es hinnehmen muss, dass die Mehrheit der Mitgesellschafter eine andere Regelung beschlossen hat, als sie dem einzelnen Gesellschafter vorschwebt. Die Rechtsprechung hatte in den letzten Jahren kein ganz klares Bild geliefert, in einer Entscheidung aus dem Jahr 199622 sogar doppelspurig ar19 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14. 20 Vgl. dazu m. w. N. Goette, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 32. Aufl. 2008, § 119 Rn. 49; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 47 V 2 b. 21 Für alle Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 709 Rn. 87 ff. 22 BGHZ 132, 263.

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

gumentiert. In dem am 15. Januar 2007 ergangenen „Otto“-Urteil23 hat sich der II. Zivilsenat erneut in die Diskussion eingeschaltet und – die ersten Reaktionen zeigen es – bei der einen Fraktion Jubel und bei der anderen Unmut ausgelöst. Unmut deswegen, weil der Senat den Bestimmtheitsgrundsatz nicht verworfen, sondern seine Berechtigung – ich betone: im Ansatz, nicht in der konkreten Ausgestaltung – herausgestellt hat; wir hätten dies noch deutlicher machen können, wenn wir in der Entscheidung diesen als Abbreviatur überkommenen Begriff in Anführungszeichen gesetzt hätten. Die gesetzliche Regelung in § 119 HGB erfordert also, dass die Gesellschafter vereinbaren, es solle nicht schlechthin das Einstimmigkeitsprinzip, sondern – in mehr oder weniger großem Umfang – das Mehrheitsprinzip gelten. In dieser Ermächtigung beschränkt sich die Bedeutung des sog. Bestimmtheitsgrundsatzes, um „ Zauberworte“ oder Kataloge geht es nicht. Die Gesellschafter können deswegen vereinbaren, dass schlechthin – „soweit rechtlich zulässig“ – das Mehrheitsprinzip gelten soll; sie können das natürlich auch damit kombinieren, dass für bestimmte Angelegenheiten am Einstimmigkeitsprinzip festgehalten wird; dagegen erscheint es weniger empfehlenswert – das ist ja das Zutreffende an den Einwänden gegen den Bestimmtheitsgrundsatz herkömmlichen Verständnisses – positive Kataloge aufzustellen, weil diese immer die Gefahr heraufbeschwören, dass der „Zauberwortkatalog“ lückenhaft ist und gerade den nach Jahr und Tag jetzt anstehenden Beschlussgegenstand nicht oder nicht ausdrücklich erfasst, was in der Praxis oftmals zu unvorhersehbaren Ergebnissen führt, wenn die Tatrichter zur Auslegung schreiten. Mit der Abbedingung des Einstimmigkeitsprinzips ist jedoch die Prüfung nicht beendet, jetzt folgt vielmehr die inhaltliche Prüfung auf der zweiten Stufe, ob also der betroffene Gesellschafter sich mit einer Unterwerfung unter eine solche Klausel „selbst entmündigt“ hat, anders gewendet ob der Beschlussgegenstand mehrheitsfest ist. Ins Leere gehen Mehrheitsklauseln – und seien sie noch so bestimmt –, wenn durch einen auf ihrer Grundlage gefassten Beschluss in schlechthin unverzichtbare oder wenn in relativ unentziehbare, also nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters disponible Mitgliedschaftsrechte eingegriffen werden soll. Zu den relativ unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten wird gleich noch im 23 II ZR 245/05, ZIP 2007, 475 m. dem Fall teilweise nicht gerecht werdender Anm. Wertenbruch, ZIP 2007, 798; Binz/Mayer, DB 2007, 1739; Döser, LMK 2007, 221554; vgl. auch Haar, NZG 2007, 601, mit der Erörterung vom II. Zivilsenat nicht behandelter weiterer Fragen; ferner Karsten Schmidt, ZGR 2008 Heft 1.

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

Zusammenhang mit den Nachschusspflichten (§ 707 BGB) zu handeln sein. Daneben unterliegen der gerichtlichen Kontrolle Klauseln, die einen mehrheitlichen Eingriff in Gesellschafterrechte aus wichtigem Grund zulassen; hier kommt es darauf an, ob die Gesellschaftermehrheit die inhaltlichen Grenzen der ihr erteilten Ermächtigung eingehalten und ob sie sich nicht etwa treupflichtwidrig über beachtenswerte Belange der Minderheit hinweggesetzt hat; letzteres darzulegen und notfalls zu beweisen, ist Sache des Gesellschafters, der den Beschluss nicht gegen sich gelten lassen will. Diese vorher schon im Schrifttum24 vorgestellte „Stufenlösung“ hat der II. Zivilsenat nun in dem genannten Otto-Urteil übernommen. Die Entscheidung ist aber noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Sie bricht mit der früher vertretenen Auffassung, dass die Feststellung des Jahresabschlusses einer Personengesellschaft, da sie ein sog. „Grundlagengeschäft“ ist, von den Gesellschaftern nur einstimmig getroffen werden kann25. Die Qualifi zierung als Grundlagengeschäft besagt – entgegen uns in unserem Entscheidungsmaterial immer wieder begegnenden Behauptungen – nichts darüber, mit welcher Mehrheit es beschlossen werden muss. Sie trifft eine Aussage allein darüber, in wessen Kompetenz, die der geschäftsführenden Gesellschafter oder die der Gesellschafterversammlung, die Entscheidung fällt. Daran, dass die Gesellschafter zur Feststellung des Jahresabschlusses berufen sind, hält der II. Zivilsenat natürlich fest; dass die Feststellung aber nicht mehrheitlich getroffen werden könne, vermag er nicht mehr anzuerkennen.

b) Beitragsvermehrung – Nachschusspflichten Ich erwähnte eben schon die relativ unentziehbaren Mitgliedschaftsrechte. Paradigma ist § 707 BGB, den der Senat26 im Anschluss an Wiedemann27 als „mitgliedschaftliches Grundrecht“ bezeichnet hat. Während des Bestehens einer Personengesellschaft können einem Gesellschafter ohne seine Zustimmung keine zusätzlichen Beitragspflichten auferlegt werden. Mehrheitsklauseln und entsprechende Gesellschafterbeschlüsse machen die Zustimmung des betroffenen Gesellschafters nicht überflüssig. Die offen24 Vgl. m. w. N. Goette, FS Sigle, 2000, S. 145 ff., und in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 32. Aufl. 2008, § 119 Rn. 53 ff. 25 BGHZ 132, 263. 26 Urt. v. 5. 3. 2007 – II ZR 282/05, ZIP 2007, 766; ferner v. 19. 3. 2007 – II ZR 73/06, ZIP 2007, 872. 27 Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 357 f., 393 f.

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

bar problematische Lage auf dem Mietimmobilienmarkt in Ballungsräumen – in besonderem Maße scheint dies für Berlin zu gelten – bringt manche Immobilienfondsgesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten, weil mit den spärlich fließenden Mieten die laufenden Kosten nicht gedeckt, vor allem die Bankverbindlichkeiten nicht bedient werden können. In den Vertragswerken, soweit in ihnen diese Probleme überhaupt vorausbedacht worden sind, finden sich öfter Regelungen über Kapitalerhöhungen, an denen die Gesellschafter sich beteiligen dürfen, ohne zu einer Teilnahme verpflichtet zu sein. Neben diesen rechtlich unproblematischen Regelungen finden sich Klauseln über Nachschusspflichten. Sie halten dann, wenn sie nach dem Gesellschaftsvertrag im Einzelfall durch Mehrheitsbeschluss begründet werden sollen, immer wieder der Kontrolle auf der oben angesprochenen 2. Stufe nicht stand. Es ist anerkannten Rechts, dass der Gesellschafter nicht nur im konkreten Einzelfall, sondern – und das ist für die Finanzplanung vor allem bei solchen großen Publikumsgesellschaften von großer Bedeutung – auch antizipiert zustimmen können. Das kann einmal in der Form einer sog. „gespaltenen Beitragspflicht“ (gesplittete Einlage) oder aber durch die Zulassung von Mehrheitsentscheidungen geschehen. In beiden Fällen ist das antizipiert erteilte Einverständnis wegen der Gefahr der Selbstentmündigung des Gesellschafters, der es zu begegnen gilt, aber nur dann wirksam, wenn eine Obergrenze im vorhinein festgelegt wird, aus welcher der Gesellschafter vorausschauend ersehen kann, worauf er sich einlässt. Nachdem wir dies in einer ganzen Reihe von Entscheidungen in jüngerer Zeit in Erinnerung haben rufen müssen28, wird – vornehmlich in Berlin – darum gestritten, wann die – grundsätzlich ausreichende – Bestimmbarkeit einer solchen Obergrenze angenommen werden kann und wann dies zu verneinen ist. Da es um die Voraussehbarkeit der künftig möglicherweise eintretenden zusätzlichen Belastung geht, sind Mehrheitsklauseln, dass Nachschüsse für Unterdeckungen schlechthin oder für nach einem aufzustellenden Wirtschaftsplan fehlende Beträge eingefordert werden dürfen, von dem Senat verworfen worden. Zu Beginn dieser Woche29 hat der Senat in einem solchen Berliner Fall dem KG attestieren müssen, dass sich eine solche Obergrenze bei einer gesplitteten Einlage auch aus der zum Vertragswerk gehörenden Beitrittserklärung ergeben kann. Nach unserer Interpretation war eine nicht ganz glücklich formu28 BGH, Urt. v. 4. 7. 2005 – II ZR 342/03, ZIP 2005, 1455; v. 23. 1. 2006 – II ZR 126/04, ZIP 2006, 754 und II ZR 306/04, ZIP 2006, 562; v. 19. 3. 2007 – II ZR 73/06, ZIP 2007, 872. 29 BGH, Urt. v. 5. 11. 2007 – II ZR 230/06, ZIP 2007, 2413.

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lierte Passage der Beitrittserklärung im Klartext so zu lesen, als stünde dort: „Der Gesellschafter schuldet einen festen Eigenkapitalbetrag von 120 500 zzgl. 5 % Agio sowie laufende Zahlungen bis zu einer Gesamthöhe von 223 786.“ Es liegt nahe, dass in diesen Situationen die geschäftsführenden Gesellschafter auf den Gedanken verfallen, die Gesellschafter seien aus Treupflichtgesichtspunkten zustimmungspflichtig und deswegen gehindert, sich auf die fehlende, auch antizipiert nicht wirksam erteile Zustimmung zu berufen. Auch das hat bisher keinen Erfolg gehabt, weil man natürlich einen Gesellschafter nicht auf Dauer in der Gesellschaft festhalten kann und ihm Jahr für Jahr ohne seine Zustimmung zusätzliche Beitraglasten aufbürden kann30. Für das Vereinsrecht hat der Senat übrigens gerade ähnlich judiziert31. Die Mitgliederversammlung eines Segelvereins hatte beschlossen, das von ihr bisher gepachtete Grundstück zu kaufen, um auf diesem Wege die Auflösung des seit Jahrzehnten bestehenden Vereins zu vermeiden. Vor Aufnahme der Kaufverhandlungen war beschlossen worden, dass die aktiven Mitglieder einen Finanzierungsbeitrag in Gestalt einer in der Satzung nicht vorgesehenen Umlage von je 1500 Euro zu leisten hatten. Dieser Umlagebetrag wurde im nachfolgenden Jahr zusammen mit der Billigung des inzwischen ausgehandelten Kaufvertrages von der Mitgliederversammlung bestätigt. Unser beklagtes Vereinsmitglied trat nach diesem bestätigenden Beschluss und nach Anforderung der Umlage aus dem Verein aus, und meinte, nunmehr nicht mehr zur Zahlung verpflichtet zu sein. Das hat der II. Zivilsenat nicht durchgehen lassen und ausgesprochen, dass in der hier gegebenen Lage ausnahmsweise eine Beitragsvermehrung auch ohne Zustimmung des betroffenen Mitglieds beschlossen werden kann, dass dieses Mitglied aber den Folgen dieser Entschließung durch einen – hier nicht gegebenen – unverzüglichen Austritt aus dem Verein entgehen kann. Auf diesem Wege werden – allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen folgend – die widerstreitenden Interessen von Mehrheit und Minderheit in Einklang gebracht. Das Argument schließlich, im Falle einer Auflösung der Gesellschaft müsse der Gesellschafter aufgrund seiner Verlustausgleichspflicht ohnehin zusätzliche Mittel bereitstellen, verfängt vielleicht als Wink mit dem Zaunpfahl im Verhandlungsstadium zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, es kann aber die Wirkung des § 707 BGB, der die lebende Gesellschaft betrifft, nicht aufheben. Ebensowenig kann man in dieselbe Richtung dahin30 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 19. 3. 2007 – II ZR 73/06, ZIP 2007, 872 Tz. 30. 31 BGH, Urt. v. 24. 9. 2007 – II ZR 91/06, ZIP 2007, 2264.

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gehend argumentieren, dass ein von einem Gesellschaftsgläubiger in Anspruch genommener Gesellschafter seine Mitgesellschafter auf dem Regresswege ebenfalls zu weiteren Zahlungen verpflichten könne. Denn eine solche Regressnahme kommt nur dann in Betracht, wenn der zahlende Gesellschafter von der Gesellschaft nichts erlangen kann, so dass die Haftung der Mitgesellschafter einer Vorwegnahme der bei der Auseinandersetzung vorzunehmenden Verlustverteilung gleichkommt.

c) Nachschusspflichten und Beschlussmängelstreitigkeiten Man kann – damit komme ich zu einem anderen Aspekt – die Wirkmacht des genannten mitgliedschaftlichen Grundrechts auch nicht auf verfahrensrechtlichem Wege aushebeln. Bekanntlich wird der Streit um die Gültigkeit von Gesellschafterbeschlüssen bei Personengesellschaften zwischen den Gesellschaftern ausgetragen32 . Die Dispositivität des Personengesellschaftsrechts lässt es aber zu, im Gesellschaftsvertrag eine völlige oder teilweise Adaption des kapitalgesellschaftsrechtlichen Modells der Behandlung von Beschlussmängeln zu vereinbaren. Wenn dann Beschlussmängel binnen einer bestimmten Frist geltend gemacht werden müssen, kann sich die Frage stellen, ob mit Ablauf der Anfechtungsfrist der Gesellschafter gehindert ist, sich auf seine fehlende Zustimmung zur Begründung von Nachschusspflichten zu berufen und die entsprechend angeforderten Zahlungen zu verweigern. In dem entschiedenen Fall33 ging es in einer KG um die Deckung der Verluste, die durch die Bezahlung einer Kartellbuße durch die Gesellschaft entstanden waren. Die Klägerin hatte ihre Zustimmung verweigert, die gesellschaftsvertragliche Anfechtungsfrist aber versäumt. Der II. Zivilsenat hat ihrer Feststellungsklage stattgegeben und ausgesprochen, dass der gefasste Beschluss – obwohl Nichtigkeitsgründe nicht vorgelegen haben und die Anfechtungsfrist verstrichen war – ihr gegenüber unwirksam ist. Im Urteil34 ist zu lesen: „… stellt die fehlende Zustimmung für eine Beitragserhöhung eine dritte Kategorie von Mängeln eines Beschlusses dar, die auch dann selbständige Bedeutung behält, wenn der gefasste Beschluss weder anfechtbar noch nichtig ist oder wenn die Anfech32 Goette, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 32. Aufl. 2008, § 119 Rn. 75 ff. m. w. N. zum Streitstand; a. A. namentlich Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 15 II 3. 33 Urt. v. 5. 3. 2007 – II ZR 282/05, ZIP 2007, 766; s. dazu Werner, GmbHR 2007, 536; Jickeli/Urban, LMK 2007, 222338; Segna, WuB II F § 707 BGB 1.07; Goette, DStR 2007, 773. 34 Urt. v. 5. 3. 2007 – II ZR 282/05, ZIP 2007, 766 Tz. 15.

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung tungsfrist abgelaufen ist. Ohne Zustimmung des Betroffenen ist auch der nicht (mehr) anfechtbare und nicht nichtige Beschluss – ihm gegenüber – unwirksam.“

Wollen die Mitgesellschafter nicht verpflichtet werden, wenn nicht sämtliche Gesellschafter zustimmen, dann muss dies durch eine entsprechende Konditionierung des Beschlusses sichergestellt werden.

d) Kündigungsfrist bei Freiberuflersozietät Einer der Streitpunkte bei typischen Freiberuflersozietäten hängt nicht nur mit den geänderten Verhältnissen auf dem einschlägigen Markt, sondern auch mit den demographischen Entwicklungen zusammen. Anwaltssozietäten z. B., die früher Versorgungsregelungen zugunsten der ausgeschiedenen Sozien und deren Witwen in ihre Gesellschaftsverträge aufgenommen haben, sehen sich vor dem Hintergrund der dramatischen Änderungen des Rechtsberatungs- und Rechtsbesorgungsmarktes, der Spezialisierung, der Internationalisierung und der zunehmenden – auch örtlichen – Flexibilität der Berufsträger vor die Schwierigkeit gestellt, das naturgemäß langfristig angelegte Konzept aufrecht zu erhalten. Das hat Folgerungen für die Wechselbereitschaft der jüngeren Sozien, führt aber auch dazu, dass die älteren Mitglieder sich nicht, wie vorgesehen, auf das Altenteil zurückziehen, sondern auch nach dem Ausscheiden aus der Gesellschaft und dem Einsetzen der Versorgungsregelung weiter tätig sein wollen und damit ihren bisherigen Partnern u. U. in die Quere kommen. Dies ist der Hintergrund, vor welchem sich der am 18. September 2006 entschiedene Fall35 abgespielt hat. Vier Rechtsanwälte haben sich 1989 zu einer Sozietät zusammengeschlossen. Die Frist für die ordentliche Kündigung betrug 30 Jahre; wurde die Kündigungsoption nicht ausgeübt, sollte sich die Sozietät jeweils um weitere 30 Jahre verlängern. Aus Altersgründen ausscheidende Sozien sollten eine Pension wie ein Oberstudienrat (A 14) erhalten, die von den bei Beginn der Sozietät bereits zurückgelegten und dann nicht mehr veränderbaren Dienstjahren abhängig sein sollte. Für den ältesten Sozius wurden 34, für die beiden anderen 22 bzw. 19 und für den jüngsten, den Kläger, 5 Dienstjahre festgelegt. Die Gesamthöhe aller Versorgungsleistungen durfte ein Drittel des Reinerlöses nicht überschreiten, der tätige Sozius hatte Anspruch auf einen Selbstbehalt in Höhe des Bruttogehalts der Besoldungsstufe B 1. Nach dem altersbedingten Ausscheiden des Seniors entstanden Spannungen zwischen den verbleibenden 35 II ZR 137/04, ZIP 2006, 2316; s. dazu Heussen, BGHReport 2007, 158; Jickeli/ Urban, LMK 2007, 212170; Römermann, NJW 2007, 297; Stöber, WuB II J § 723 BGB 1.07; Goette, DStR 2007, 36.

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Partnern über die Führung und die Modernisierung der Kanzlei. Im Jahr 2002 schließlich erhob der jüngste Partner, der im Alter von 30 Jahren, ohne eine Einlageleistung erbringen zu müssen, gleichberechtigter Gesellschafter geworden war, Klage auf Feststellung, dass der Ausschluss des Kündigungsrechts für 30 Jahre unwirksam sei und die Gesellschaft wie eine unbefristet geschlossene gekündigt werden dürfe. Das Landgericht hat diesem Begehren mit der Maßgabe entsprochen, dass die Gesellschaft mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr gekündigt werden könne. Daraufhin hat der Kläger gekündigt und betreibt nach der Trennung eine eigene Rechtsanwalts- und Steuerberaterpraxis am bisherigen Kanzleiort der Sozietät. Die Berufung der beiden Beklagten blieb erfolglos. Die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision hat der II. Zivilsenat zurückgewiesen. Wir haben anders als das Berufungsgericht offen gelassen, ob ein Sozietätsvertrag mit einer 30-jährigen Bindungsfrist eine sittenwidrige Knebelung im Sinne von § 138 BGB darstellt. Rechtlichen Bestand kann eine so lange Vertragsdauer – wohlgemerkt: bei einer Berufsausübungsgemeinschaft von Rechtsanwälten – schon deswegen nicht haben, weil sie eine Kündigungsbeschränkung enthält, die dem § 723 Abs. 3 BGB widerspricht, legt man ihn – wie geboten – im Lichte der durch Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit aus. Dabei hat der Senat nicht gesagt, eine wie lange Frist unter diesem Gesichtspunkt unproblematisch ist; er hat sich vielmehr an den beiden Eckpunkten des zu entscheidenden Falls orientiert: Danach ist eine 30-jährige Frist für eine solche Berufsträger-BGB-Gesellschaft zu lang, und eine Kündigung nach 14 Jahren wirksam. Das ist eine Abkehr von der früher36 allgemein gehegten Überzeugung, dass wegen § 724 BGB zwar eine auf die Lebenszeit eines Gesellschafters abstellende Dauer nicht in Betracht kommt, dass im übrigen aber – in den durch § 138 BGB gezogenen Grenzen – gesellschaftsrechtliche Bindungen zeitlich unbeschränkt eingegangen werden konnten. Das passt nach unserer Auffassung vielleicht für eine Lotto-Spiel-BGB-Gesellschaft, bei der es darum geht, den wöchentlichen Spieleinsatz gemeinschaftlich aufzubringen, wird den Besonderheiten einer Berufsträgergesellschaft indessen nicht gerecht. Denn sie führt hier zu einer zeitlich unüberschaubaren und die persönliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Partner unvertretbar einengenden Bindung, weil die betreffenden Personen bei Abschluss

36 Im Anschluss an BGHZ 10, 91, 98 z. B. A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, § 24 I 5; w. N. bei Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 723 Fn. 133.

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des Vertrages die Entwicklungen und deren Auswirkungen auf ihre persönliche Freiheit nicht überblicken können. Ausgehend von einer strengen Einzelfallbetrachtung hat der II. Zivilsenat eine solche unzulässige Bindung in dem zu beurteilenden Fall angenommen. Auch unter Berücksichtigung des Gesellschaftszwecks, der die Alterssicherung der ausgeschiedenen Senioren besonders hervorgehoben hat, greifen die vertraglichen Regelungen unzulässig in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit ein. Die grundrechtlichen Wertentscheidungen strahlen in das allgemeine Recht aus und sind, was die beiden verbliebenen Sozien nicht haben anerkennen wollen, bei der Auslegung der entsprechenden Normen zu beachten. Art. 12 GG schützt nicht nur die selbständige, sondern auch die unselbständige berufliche Tätigkeit. Zur Berufsausübungsfreiheit gehört es, sich mit anderen Berufsträgern zur gemeinsamen Berufsausübung zusammenzuschließen, aber ebenso das Recht, einen Arbeitsplatz nach eigener Wahl anzunehmen, beizubehalten oder aufzugeben. Und hier wirken sich die vorhin erwähnten dramatischen Änderungen des Markts für die Erbringung anwaltlicher Dienstleistungen aus, bei denen das überkommene, bis weit in die Geschichte der Bundesrepublik hineinreichende Bild anwaltlicher Berufsausübung nicht mehr stimmt, dass Anwälte, soweit sie nicht einzeln tätig waren, sich in überschaubarer Zahl auf lange Zeit, oft für ein ganzes Berufsleben zusammengeschlossen haben. Auf diese Veränderungen des Marktes reagieren zu dürfen und nicht in einer Art babylonischer Gefangenschaft gehalten zu werden, darf dem Rechtsanwalt im Hinblick auf Art. 12 GG nicht verwehrt werden. Und das hat bei der Auslegung des § 723 Abs. 3 BGB zur Folge, dass Vertragsklauseln, die wie die hier vereinbarte 30-jährige Kündigungsfrist einen Sozietätswechsel oder auch ein schlichtes Ausscheiden verhindern, als unzulässige Kündigungserschwerung qualifi ziert werden müssen. Betrachtet man die sehr einseitigen und drückenden Pensionsregelungen, denen der klagende jüngste Sozius ausgesetzt war, werden die Folgen einer überlangen vertraglichen Bindung in einer solchen Freiberuflersozietät plastisch vor Augen geführt. Das allerdings ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht natürlich die von dem Jungsozius vor Zeiten bei seinem Eintritt eingegangene Verpflichtung, für die Altersversorgung seiner Partner zu sorgen, die ja bei einer Gesamtbetrachtung der vertraglichen Regeln die Gegenleistung dafür gewesen sein wird, dass der Berufsanfänger von Anfang an gleichberechtigter, also auch voll am Gewinn beteiligter Gesellschafter war, obwohl er anders als seine Mitgesellschafter keine etablierte Kanzlei,

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sondern allein sein Können und seine Arbeitskraft eingebracht hat. Wenn dieser Aspekt zwar den Kündigungsausschluss nicht zu rechtfertigen vermag, muss er natürlich in die Auseinandersetzung der Sozietät nach der Kündigung einbezogen werden. Die überlange Bindungsfrist führt nicht zur Gesamtnichtigkeit des Gesellschaftsvertrages, sondern nur zur Unwirksamkeit der entsprechenden Vertragsklausel. Ehe man an deren Stelle das dispositive Recht heranzieht, ist zu fragen, ob die Parteien, wenn sie die Folgen ihrer Abrede bedacht hätten, nicht eine andere Regelung getroffen hätten, die rechtlich unbedenklich ist. Dafür spricht hier jedenfalls der Gesichtspunkt der der Altersversorgung der Altsozien und der Erleichterung des Berufseinstiegs des Jungsozius dienenden langanhaltenden Bindung. Dementsprechend ist der Vertrag anzupassen. So ist das Oberlandesgericht vorgegangen und hat in tatrichterlicher Würdigung angenommen, die Vertragsschließenden hätten hier jedenfalls eine Vertragsbindung, die über 14 Jahre hinaus geht – das ist der seit der Gründung bis zum Ausspruch der Kündigung verstrichene Zeitraum im entschiedenen Fall gewesen –, nicht vereinbart. Dagegen ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

e) Hinauskündigungsverbot und Probezeit Vor vielen Jahren hat der II. Zivilsenat den Rechtssatz aufgestellt, kein Gesellschafter einer Personengesellschaft dürfe der Gefahr der „Hinauskündigung“, also einer im freien Ermessen der anderen Mitglieder oder des Mehrheitsgesellschafters stehenden Ausschließung aus der Gesellschaft ausgesetzt sein37. Mit diesem auf § 138 BGB gestützten Verbot soll gewährleistet werden, dass jeder Gesellschafter ohne äußeren Druck und in freier Selbstverantwortung seine Rechte und Pflichten als Mitglied der Gesellschaft wahrnehmen kann und sich nicht etwa einem Diktat der Mehrheit beugen muss, weil er – wie der Senat bildhaft formuliert hat38 – sich von dem „Damoklesschwert“ der Ausschließung bedroht fühlen muss Später hat der II. Zivilsenat dies auch auf die GmbH39 übertragen und auch zugunsten der Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft40 angewandt. Der Senat hätte den Anwendungsbereich des „Hinauskündigungsverbots“ von vornherein beschränken und mit einer in Teilen des Schrifttums ver37 Vgl. dazu näher Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 737 Rn. 16 ff. 38 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 8. 3. 2004 – II ZR 165/02, ZIP 2004, 903; BGHZ 164, 98, 101 und BGH 164, 107, 111. 39 BGHZ 112, 103. 40 BGHZ 125, 74.

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breiteten Meinung, die in diesem Zusammenhang – in überspitzter Form – vom „Gesellschafter minderen Rechts“41 spricht, anerkennen können, dass es Gestaltungen gibt, in denen der Struktur des Verhältnisses der Beteiligten nach eine vertragliche Gestaltung nicht sittenwidrig ist, die zur Ausschließung eines Gesellschafters führt, ohne dass ein wichtiger Grund im klassischen Sinn vorhanden ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gelangt jedoch seit jeher zu demselben Ergebnis auf einem anderen konstruktiven Weg, indem sie Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot des „freien“ Ausschließungsrechts anerkennt. Das gilt z. B. für die Lebensgefährtin des Gesellschafters, der die Mehrheitsbeteiligung mit der – schuldrechtlich begründeten Pflicht der Rückübertragung – unentgeltlich überlassen worden ist42, oder für den neu in eine Praxisgemeinschaft von Ärzten aufgenommenen Gesellschafter, dem gegenüber sich die Altgesellschafter eine zeitlich begrenzte Möglichkeit offenhalten wollen, die allseitige Verträglichkeit zu prüfen43. Entsprechendes angenommen hatte der Senat für den Erben44 eines Gesellschafters, der – jedenfalls innerhalb überschaubarer Zeit nach dem Tod des Erblassers – auch ohne besonderen Grund ausgeschlossen werden kann. Der Gedanke, der die neuere Rechtsprechung auf diesem Feld prägt – ich verweise hier nur auf die bekannten Entscheidungen vom 19. September 200545 –, dass das Hinauskündigungsverbot sich am Vorhandensein eines rechtlich anzuerkennenden sachlichen Grundes – jedenfalls zeitlich begrenzt – bricht, hat auch in einem in jüngerer Zeit entschiedenen ebenfalls erbrechtlich geprägten Fall46 die Lösung des Senats bestimmt. Gestritten haben die Kommanditisten einer familiär geprägten KG mit dem Komplementär, ihrem Onkel, welcher ihnen gegenüber das Gesellschaftsverhältnis gekündigt hatte. Die KG betreibt ein Pfandleihunternehmen, das der Großvater der Kläger und Vater des Beklagten als Einzelunternehmen gegründet hatte und über dessen Fortführung nach seinem Tode er eine Reihe testamentarischer Anordnungen getroffen hatte. U. a. sollte das Unternehmen als KG fortgeführt werden, die Witwe und der Beklagte sollten Komplementäre wer41 Flume, NJW 1979, 902; ders., Allg. Teil (Fn. 3) § 10 III „minderberechtigter Gesellschafter“. 42 BGHZ 112, 103 ff. 43 BGH, Urt. v. 8. 3. 2004 – II ZR 165/02, ZIP 2004, 903. 44 BGHZ 105, 213 ff. 45 „Mitarbeiter“- und „Manager“-Modell – II ZR 342/03 und 173/04, BGHZ 164, 107 ff. und BGHZ 164, 98 ff. 46 Urt. v. 19. 3. 2007 – II ZR 300/05, ZIP 2007, 862; s. dazu Kleinert, GmbHR 2007, 646; Verse, DStR 2007, 1822; Marotzke/Dobler, EWiR 2007, 391; Langenfeld, ZEV 2007, 342; Bälz, WuB II F 723 BGB 1.07; Goette, DStR 2007, 916.

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den, die Tochter (Mutter der Kläger) sollte eine Kommanditistenstelle eingeräumt erhalten. Der Gesellschaftsvertrag durfte zu Lebzeiten der Witwe nicht gekündigt werden. Für die Zeit danach hatte der Gründer testamentarisch bestimmt, dass der Beklagte und sein Stamm nach dem Tode der Mutter Komplementäre der KG, die Schwester und ihr Stamm Kommanditisten sein sollten und dass der Gesellschaftsvertrag frühestens zum Ende des 11. Kalenderjahres nach dem Tode der Mutter ordentlich gekündigt werden durfte. Für den Beklagten und seinen Stamm war für den Fall der Kündigung – gleichgültig von wem sie ausgesprochen wurde – ein Übernahmerecht vorgesehen. Nachdem die Mutter 1990 gestorben war, haben der Beklagte und seine Schwester die testamentarischen Anordnungen durch buchstabengetreue Änderung des Gesellschaftsvertrages umgesetzt. Die Schwester ist im Jahr 2000 verstorben. Zum Ablauf des 11. Jahres nach dem Tode der Witwe des Gründers hat der Beklagte die Kündigung ausgesprochen, die seine Neffen unter Hinweis auf das Hinauskündigungsverbot für unwirksam halten. Darin hat ihnen des Oberlandesgericht Recht gegeben, wir haben die Revision des Beklagten zugelassen und die Klage hinsichtlich dieses Teils des Rechtsstreits – nachrangig ging es noch um die Wirksamkeit einer vertraglicher Abfindungsklausel – abgewiesen. Der Senat hat in den testamentarischen Anordnungen – im Ergebnis – einen die Kündigungsregelung rechtfertigenden Grund gesehen. Denn der Erblasser hat zulässigerweise sein Vermögen in der Weise seinen beiden Kindern zuwenden wollen, dass der Beklagte und sein Stamm auf Dauer die Unternehmensnachfolger sein sollten, während der Tochter und ihrer Familie, die andere berufliche Wege eingeschlagen hatten, eine an die Ausübung des nach einer Karenzzeit bestehenden Kündigungsrechts geknüpfte und darum nicht notwendig dauerhafte kapitalmäßige Beteiligung zugedacht war. Die Testierfreiheit des Erblassers, der seine Tochter auch viel stärker hätte „zurücksetzen“ können, ist der die Kündigungsbestimmung sachlich rechtfertigende Grund. Die Lösung des Berufungsgerichts hätte demgegenüber zur Folge, dass die KG – solange der Beklagte sich von ihr nicht trennen wollte – unauflöslich gewesen wäre, von der Möglichkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund einmal abgesehen. Diese gefestigten Grundsätze gelten natürlich auch für Freiberuflersozietäten. Auch hier kann sich – wie ich eben schon kurz erwähnt habe – das Bedürfnis ergeben, nach einer gewissen Prüfungszeit eine Trennung von einem neu aufgenommenen Gesellschafter zu ermöglichen, auch wenn kein eine fristlose Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund vorhanden ist. In der unter dem Kürzel „Laborärzte“-Fall47 in die Diskussion einge47 Urt. v. 8. 3. 2004 – II ZR 165/02, ZIP 2004, 903.

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gangenen Entscheidung war der Senat einer abschließenden Festlegung enthoben, wie lange denn jener Prüfungszeitraum bemessen sein darf, ohne dass einer entsprechenden Vertragsklausel die rechtliche Anerkennung im Hinblick auf das Hinauskündigungsverbot versagt werden muss. Denn damals ging es um eine Prüfungsfrist von zehn Jahren, zu der der Senat im Leitsatz der Entscheidung formuliert hat, sie überschreite den „anzuerkennenden Rahmen bei weitem“. Im Frühjahr haben wir über einen weiteren eine beendete Ärztesozietät betreffenden Fall48 zu entscheiden gehabt, bei dem die Prüfungsfrist für die vorinstanzlichen Gerichte entscheidungsrelevant gewesen ist. Die beiden Gesellschafter betrieben eine internistische und nephrologische Praxis, sie gehen nach einer nach Ablauf von dreieinhalb Jahren von dem älteren Partner, dem Beklagten, ausgesprochenen ordentlichen Kündigung getrennte Wege. Der Beklagte hat die Praxis, gestützt auf ein ihm – selbst für den Fall einer gegen ihn gerichteten fristlosen Kündigung – für die Dauer von zehn Jahren eingeräumtes Übernahmerecht allein fortgeführt. Die Klägerin will festgestellt wissen, dass diese ordentliche Kündigung einen Verstoß gegen das Hinauskündigungsverbot darstellt und deswegen unwirksam ist. Das Landgericht hat der Klägerin Recht gegeben, das Oberlandesgericht hat ihre Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei schon zweieinhalb Jahre nach Vertragsschluss von dem Beklagten informiert worden, dass er unter allen Umständen zum nächst zulässigen Termin ordentlich kündigen werde; damit sei für sie die „Damoklesschwert“-Situation aufgehoben gewesen, und eine zweieinhalbjährige Prüfungsfrist sei jedenfalls für gemeinschaftlich praktizierende Ärzte rechtlich nicht zu beanstanden. Wegen der Frage des zeitlichen Rahmens hatte das Oberlandesgericht die Revision zugelassen, der II. Zivilsenat hat das Rechtsmittel zurückgewiesen und dabei – nicht überraschend – bestätigt, dass die vertragliche Frist von zehn Jahren bei weitem zu lang ist, dass aber in Übereinstimmung mit den beiden Tatsachengerichten eine dreijährige Frist hinreichend lang für den aufnehmenden und hinnehmbar für den eintretenden Gesellschafter ist. Das bedeutet indessen nicht, dass für jedwede Freiberuflersozietät eine derart lange Frist rechtliche Anerkennung verdient. Der Senat hat vielmehr ausdrücklich auf den Einzelfall abgestellt und hervorgehoben, dass diese – unter dem Blickwinkel der Vermeidung von „Damoklesschwert“Situationen – schon recht lange Frist nur deswegen akzeptabel ist, weil nach dem für unsere Parteien maßgeblichen alten Zulassungsrecht – in48 Urt. v. 7. 5. 2007 – II ZR 281/05, ZIP 2007, 1309; s. dazu Verse, DStR 2007, 1822; Schodder, EWiR 2007, 489; Bieder, MDR 2007, 1049.

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zwischen haben sich hier die Verhältnisse geändert – eine längere Zusammenarbeit von niedergelassenen Ärzten mit einem im Angestelltenverhältnis tätigen Berufsträger berufsrechtlich nicht zugelassen war. Da deswegen für die Prüfung, ob eine tragfähige Basis für eine vertrauensvolle, den ethischen und persönlichen Anforderungen dieses Berufs entsprechende Zusammenarbeit besteht, zu wenig Zeit außerhalb einer auf Dauer angelegten Sozietätsbindung bestand, erschien es uns gerechtfertigt, den Prüfungszeitraum auf drei Jahre zu bemessen. Umgekehrt ergibt sich aus diesen Erwägungen, dass nach dem neuen Zulassungsrecht, welches nun eine längere Tätigkeit im Angestelltenverhältnis erlaubt, diese Frist kürzer sein kann; Entsprechendes gilt dann natürlich auch für die Angehörigen anderer freier Berufe – etwa von Rechtsanwälten –, bei denen kein Zwang besteht, umgehend eine Sozietät zu begründen, wenn man auf Dauer auf freiberuflicher Basis seinen Beruf ausüben will.

2. GmbH-Recht a) Existenzvernichtungshaftung49 Mit dem „TRIHOTEL“-Urteil hat der II. Zivilsenat das Haftungsinstrument der sog. Existenzvernichtungshaftung auf eine neue Grundlage gestellt. Das Problem, das mit der sog. Existenzvernichtungshaftung gelöst werden soll, ist nicht neu, sondern beschäftigt Rechtwissenschaft und Rechtsprechung seit vielen Jahren. Wie der Senat in den Tz. 16 ff. näher ausgeführt hat, beruht es letztlich darauf, dass in bestimmten Fällen die Gesellschaftsgläubiger als durch die Kapitalerhaltungsvorschriften des Gesetzes (§§ 30, 31 GmbHG) nicht hinreichend geschützt gelten müssen. Unser Kapitalschutzsystem beruht – jedenfalls nach dem bisherigen Recht – auf der Vorstellung, dass man Haftungsbeschränkungen nur dann für sich in Anspruch nehmen kann, wenn man mit seinem Vertragspartner entsprechende Vereinbarungen trifft oder eine Gesellschaftsform wählt, bei welcher der Gläubiger gewiss sein kann, dass sich die handelnde Person nicht 49 BGH, Urt. v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04 „TRIHOTEL“, ZIP 2007, 1552; s. dazu Weller, ZIP 2007, 1681; Paefgen, DB 2007, 1907; Hölzle, DZWiR 2007, 397; Wilhelm, EWiR 2007, 557 (mit dem aus der Feder dieses Autors bemerkenswerten dictum, der II. Zivilsenat sei „zu rühmen“); Schröder, GmbHR 2007, 934; Schanze, NZG 2007, 681; Rubner, Der Konzern 2007, 635; Hopt, Handelsblatt v. 17. 10. 2007; Heitsch, ZInsO 2007, 961; Burg/Müller-Seitz, ZInsO 2007, 929; Leuring/Rubner, NJW-Spezial 2007, 363; Noack, LMK 2007, 240726; Theiselmann, GmbHR 2007, 934; Dauner-Lieb, in Kürze in ZGR 2008 Heft 1.

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ohne jede Gegenleistung unter den Schirm der Haftungsbeschränkung begibt. Der Kommanditist muss deswegen seine Hafteinlage leisten und darf sie sich nicht zurückgewähren lassen, wenn er sicher sein will, von den Gläubigern der KG nicht persönlich belangt zu werden (§§ 171, 172 HGB). Ähnlich verlangt der Gesetzgeber von dem Gesellschafter einer GmbH, dass er die versprochene Einlage ordnungsgemäß und endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführung leistet (Kapitalaufbringung als 1. Säule des Kapitalschutzsystems) und diese zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Einlage der Gesellschaft belässt (§§ 30, 31 GmbHG – Kapitalerhaltung als 2. Säule des Kapitalschutzsystems), bis die Gesellschaft nach den gesetzlichen Regeln abgewickelt worden ist (§§ 72, 73 GmbHG). Der durch die §§ 30, 31 GmbHG gewährte Schutz hat eine nur begrenzte Wirkung. Einmal schützen die genannten Vorschriften nicht vor einem Verlust des haftenden Kapitals im Rahmen der Geschäftsführung der Gesellschaft, sondern verbieten allein Zugriffe der Gesellschafter selbst. Zum anderen ist auch in dem zuletzt genannten Feld die Schutzwirkung eingeschränkt, weil im Rahmen der durch §§ 30, 31 GmbHG veranlassten Prüfung, ob das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen durch eine Auszahlung an den Gesellschafter angegriffen wird, eine bilanzielle Betrachtungsweise Platz greift, also solche Vermögensgegenstände von vornherein nicht erfasst werden, die – wie z. B. selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter – nicht bilanzierungsfähig sind. Werden sie den Gesellschaftern überlassen, sind danach die Kapitalerhaltungsvorschriften nicht verletzt, der wirtschaftliche Schaden kann aber so groß sein, dass die Gesellschaft anschließend nicht mehr lebensfähig ist. Neben diese systemimmanente Schutzlücke der §§ 30, 31 GmbHG tritt eine weitere Gefahr für den Fortbestand der GmbH, die der Senat als „Kollateralschaden“ bezeichnet; gemeint sind damit diejenigen Fälle, in denen auch die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs nach § 31 GmbHG den status quo ante nicht wieder her zu stellen vermag und die Gesellschaft insolvent bleibt. Dem so skizzierten Problem glaubten Rechtswissenschaft und höchstrichterliche Rechtsprechung früher mit der Figur der sog. qualifi ziert faktischen Konzernhaftung50 begegnen zu können. Ihr lag die Beobachtung zugrunde, dass gerade bei der GmbH, die den Gesellschaftern über das prinzipiell unbeschränkte Weisungsrecht an die Geschäftsführer große Gestaltungsmacht in die Hand gibt, faktische Konzernlagen dazu führen 50 Vgl. näher Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 9.

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können, dass der herrschende Gesellschafter im Interesse seiner anderweiten unternehmerischen Zielsetzungen in das Vermögen „seiner“ GmbH eingreift und dabei keine Rücksicht darauf nimmt, dass diese deswegen ihren Verbindlichkeiten gegenüber den eigenen Gläubigern nicht nachkommen kann. Die hierzu entwickelte Haftungskonstruktion zog eine Parallele zum aktienrechtlichen Vertragskonzern, für den in § 302 AktG die – intern – wirkende Pflicht des herrschenden Unternehmens niedergelegt ist, sämtliche am Jahresende entstandenen Verluste auszugleichen. Diese Regelung ist die Konsequenz der Erkenntnis, dass es die Beherrschungssituation regelmäßig unmöglich macht, bestimmte der abhängigen Gesellschaft entstandene Nachteile bestimmten Anordnungen des herrschenden Unternehmens zuzuordnen. Unter besonderen Voraussetzungen, kann diese grundsätzlich als Innenhaftung ausgestaltete Ausgleichspflicht in einen Sicherstellungsanspruch (§ 303 AktG) und dann letztlich in eine Außenhaftung umschlagen. Auf der Grundlage dieses Konzepts hat der II. Zivilsenat – nachdem er in der „TBB“-Entscheidung51 Übertreibungen, wie sie nach dem sog. „Video“Urteil52 in das allgemeine Bewusstsein getreten sind, beseitigt hat, bis in die erste Zeit nach der Jahrhundertwende judiziert53. Dem weitausgreifenden Beitrag von Röhricht in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs54 ist die zutreffende Erkenntnis zu verdanken, dass der Ansatz bei der Konzernlage – die gerichtliche Praxis war weitgehend von dem Streit der Parteien um das Vorhandensein einer solche Lage gekennzeichnet und lenkte damit oftmals von den eigentlichen Problemen ab – zu eng ist, dass sich vielmehr Gefahren für die Gesellschaftsgläubiger in gleicher Weise verwirklichen können, wenn der einzige herrschende Gesellschafter keine anderweiten unternehmerischen Interessen hat oder die mehreren Gesellschafter sich in ihrer Vorgehensweise einig sind. Seinen Vorschlag, von der bisherigen Linie abzugehen und auf eine allgemeiner gefasste Existenzvernichtungshaftung umzuschwenken, hat der Senat in dem sog. „Bremer Vulkan“-Urteil55 – hier ging es allerdings nicht um die unter dem Blickwinkel der qualifi ziert faktischen Konzernhaftung bzw. der Existenzvernichtungshaftung allein relevante Haftung der Gesellschafter, sondern um einen Fall von Managerhaftung – aufgegriffen. Seit51 BGHZ 122, 123; vgl. dazu auch Goette, DStR 1993, 568. 52 BGHZ 115, 187. 53 Vgl. die Beiträge in Sonderheft 70 der ZHR „Haftung im qualifi zierten faktischen GmbH-Konzern – Verbleibende Relevanz nach dem TBB-Urteil?“. 54 2001, S. 83 ff. 55 BGHZ 149, 10.

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her hat der II. Zivilsenat versucht, dem Haftungskonzept der Existenzvernichtungshaftung nähere Konturen zu geben, was nicht allein wegen der tatbestandlichen Seite, sondern vor allem deswegen erforderlich war, weil mit der Abkehr von der Anknüpfung an die Konzernlage auch die Vorschriften, aus denen bisher die Rechtsfolge für die Inanspruchnahme des Gesellschafters hergeleitet wurde (§§ 302, 303 AktG), entfallen war. Wie der Senat nun in den Tz. 20 ff. der „TRIHOTEL“-Entscheidung näher ausgeführt hat, ist die Weiterentwicklung der Existenzvernichtungshaftung in den seit „Bremer Vulkan“ entschiedenen Fällen von einer gewissen Inhomogenität und dogmatischen Unschärfe gekennzeichnet und führt – wie der Senat selbst hat erkennen müssen – in den Haftungsfolgen zu unangemessen harten Ergebnissen. Nach dem letzten vor „TRIHOTEL“ erlassenen Urteil56 sollten die durch die Durchgriffshaftung wegen „Missbrauchs der Rechtsform“ eintretenden harten Konsequenzen für die Gesellschafter – sie haften nach dem „KBV“-Urteil57 verschuldensunabhängig und unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen sämtlichen Gläubigern der in die Insolvenz geratenen GmbH – dadurch gemildert werden, dass dem in Anspruch genommenen Gesellschafter die Möglichkeit eröffnet wird nachzuweisen, bei ordnungsgemäßem Vorgehen, d. h. nach dem Kontext der Entscheidung: bei Beachtung der Liquidationsvorschriften wäre ein geringerer Schaden entstanden, auf dessen Ersatz sich die Haftung dann beschränkt. Das bisherige, nun verworfene Haftungskonzept setzt mit einer Innenhaftung nach Maßgabe der §§ 30, 31 GmbHG an, schlägt unter – bislang nicht eindeutig und rechtssicher definierten – Voraussetzungen in eine durchgriffsrechtlich strukturierte unbeschränkte Außenhaftung um, um dann auf entsprechenden Nachweis des beklagten Gesellschafters in eine verschuldensabhängige Schadenersatzaußenhaftung zu münden. Demgegenüber setzt das neue Haftungskonzept systematisch konsequent bei dem Verhalten des Gesellschafters an, der dem Sinn der Kapitalschutzvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG zuwider sich deren Schutzlücke in einer als sittenwidrig zu qualifi zierenden Weise – schlicht fahrlässiges Verhalten reicht also ausdrücklich nicht – zunutze macht und sich von den gegenüber seiner Gesellschaft eingegangenen Bindungen löst, indem er der GmbH Gegenstände entzieht („Eingriff“), die sie für ihr Überleben benötigt. Schutzobjekt ist danach das – allerdings beschränkte, nämlich nur gegen sittenwidrige Eingriffe des Gesellschafters gerichtete – Überlebens56 Urt. v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117 – „Autovertragshändler“. 57 BGHZ 151, 181.

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interesse der Gesellschaft. Deren Gläubiger werden nicht mehr unmittelbar, sondern über die auf dem Wege der Innenhaftung stattfindende Auffüllung des Gesellschaftsvermögens mittelbar, also reflexartig geschützt, wie dies in dem vom Senat als „Basisschutzkonzept“ bezeichneten §§ 30, 31 GmbHG selbstverständlich der Fall ist. Diese Innenhaftung korrespondiert ohne besondere Zwischenschritte mit der bisherigen Rechtsprechung, nach der im Falle eines eröffneten Insolvenzverfahrens die Ansprüche aus Existenzvernichtungshaftung nicht mehr von dem einzelnen Gläubiger, sondern von dem für die Masse handelnden Insolvenzverwalter entsprechend §§ 92, 93 InsO zu verfolgen waren. Mit dem neuen, bekannte und in der Rechtsprechung erprobte Kriterien verwendenden Haftungskonzept ist die Erwartung verbunden, dass die Praxis in Zukunft davon Abstand nimmt, aus der bloßen Tatsache, dass eine GmbH ihre Schulden nicht bezahlt, eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs herzuleiten und sich dabei auf einzelne Elemente des Leitsatzes der „KBV“-Entscheidung58 zu stützen. Der „Autovertragshändler“-Fall59 ist ein beredtes Beispiel für diese Fehlentwicklung, deren Fortsetzung die Gefahr heraufbeschworen hätte, ähnlich wie bei „Video“60 den GmbH-Gesellschaftern den Schutz des § 13 Abs. 2 GmbHG in weit über das vom Gesetz beabsichtigtem Maß hinaus zu entziehen. Das Berufungsgericht hatte dort die Existenzvernichtungshaftung allein deswegen für begründet erachtet, weil der Gesellschafter bei der – im übrigen ordnungsgemäß vorgenommenen – Abwicklung der Gesellschaft nicht sämtliche Schulden hat begleichen können; es hat gemeint, die gebotene angemessene Rücksichtnahme auf die Belange der Gesellschaft, ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können, hätte ihn verpflichtet, von der Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft Abstand zu nehmen und statt dessen nachhaltig in das Unternehmen zu investieren, obwohl dessen Überlebensaussichten alles andere als rosig waren. Dies verfehlt den tragenden Gedanken der Existenzvernichtungshaftung ebenso wie die Vorstellung, dass auch Fehler bei der Geschäftsführung einen Gesellschafter haftbar wegen existenzgefährdenden Eingriffs machen können61. Zusammengefasst: Es gilt, sich in das Bewusstsein zu rufen, dass die derart gestaltete Existenzvernichtungshaftung nicht leichthin bejaht werden darf, sondern absoluten Ausnahmecharakter besitzt, und dass damit den Wertentscheidungen des Gesetzes und seiner Systemgerechtigkeit folgend die 58 59 60 61

BGHZ 151, 181. Urt. v. 13. 12. 2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117. BGHZ 115, 187. Urt. v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250.

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Gewährleistung der Haftungskanalisierung auf die Gesellschaft nach § 13 Abs. 2 GmbHG die Regel zu sein hat. Erste Stellungnahmen im Schrifttum lassen indessen befürchten, dass der II. Zivilsenat noch mancherlei Arbeit wird leisten müssen, die Trümmer zu beseitigen, die überall aufgrund der früher gepflogenen Vorstellungen herumliegen und die der eine oder andere zum Umbau seines Hauses Existenzvernichtungshaftung verwenden will. Ich habe z. B. Zweifel, ob die Nichtwahrnehmung von Geschäftschancen eine Haftung des Gesellschafters nach den neustrukturierten Regeln auslösen kann oder ob man nicht dafür andere Instrumente aktivieren muss. Zu warnen ist auch vor der nach meiner Ansicht vorschnellen und allzu schlichten Schlussfolgerung, die Existenzvernichtungshaftung nach TRIHOTEL sei ohne weiteres auf EG-Gesellschaften übertragbar, weil ja das Deliktsrecht der Anknüpfungspunkt der Haftung ist. Immerhin sollte man nicht vergessen, dass die §§ 30, 31 GmbHG der Ausgangspunkt der Rechtsfigur sind und die deliktsrechtliche Einordnung nach unserem Konzept nur deswegen erforderlich ist, damit nicht jeder fahrlässige Verstoß gegen zur Insolvenz führende Gesellschafterpflichten zu einer Außerkraftsetzung des § 13 Abs. 2 GmbHG führt und damit man im übrigen auch die Gehilfen über § 830 BGB in die Haftung einbeziehen kann.

b) Insolvenzverschleppungshaftung62 und Massesicherungspflicht63 In seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 199464 hatte der II. Zivilsenat die Judikatur zur Insolvenzverschleppungshaftung neue geordnet. § 64 Abs. 1 GmbHG ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, Neugläubiger können ihre Ansprüche gegen den Geschäftsführer wegen verschleppter Insolvenzantragstellung außerhalb des Insolvenzverfahrens verfolgen und verlangen, so gestellt zu werden, als sei es zu dem nach dem maßgeblichen Zeitpunkt geschlossenen neuen Geschäft nicht mehr gekommen. 62 BGH, Urt. v. 5. 2. 2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; s. dazu Böcker, DZWiR 2007, 339; Haas/Reiche, EWiR 2007, 305. 63 BGH, Urt. v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006; s. dazu Bayer/Schmidt, WuB II G § 130a HGB 1.07; Eilmann, LMK 2007, 238122; Poertzgen, NZI 2007, 420; BGH, Urt. v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 528; s. dazu Altmeppen, NJW 2007, 2121; Poertzgen, DZWiR 2007, 429; Henkel/Mock, EWiR 2007, 495; Beck, EWiR 2007, 523; Schröder, GmbHR 2007, 759; Wilhelm, ZIP 2007, 1781; Spindler, WuB II A 92 AktG 1.07; Runkel, NZI 2007, 479; Goette, DStR 2007, 1176. 64 BGHZ 126, 181.

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Unabhängig davon haftet der Geschäftsführer der Gesellschaft – in der Rechtswirklichkeit macht regelmäßig der Insolvenzverwalter diesen Anspruch geltend – nach § 64 Abs. 2 GmbHG für alle der Massesicherungsund Masseerhaltungspflicht widersprechenden Zahlungen. Dieses Konzept ist nicht unangegriffen, der Senat hat es aber im Laufe der letzten Monate mehrfach bestätigt und im Zusammenhang mit § 130a HGB – er stellt eine Parallelvorschrift zu § 64 Abs. 2 GmbHG mit einer etwas anderen Formulierung dar – bekräftigt65. Auf diese Rechtsprechung zur Masseerhaltungspflicht wird noch zurückzukommen sein66, zunächst ein Blick auf eine neuere Entscheidung zur Insolvenzverschleppungshaftung: Eines der Probleme des Falles war die Abgrenzung zwischen Neu- und Altgläubigern. Letztere können allein ihren Quotenschaden, also die durch die verspätete Insolvenzantragstellung eintretende Verringerung der Insolvenzquote beanspruchen, sind aber in der Insolvenz gehindert, diesen Anspruch selbständig zu verfolgen; für sie handelt der Insolvenzverwalter. In dem Fall war darüber zu befinden, ob die Hausbank einer in die Insolvenz geratenen GmbH wegen ihrer Kontokorrentkreditforderungen Neu- oder Altgläubigerin war. Der Senat hat ersteres bejaht und dabei nicht darauf abgestellt, wann die entsprechenden Kreditabsprachen getroffen worden sind, sondern hat für entscheidend gehalten, dass erst nach dem Eintritt der Insolvenzreife jener zugesagte Kredit (wieder) in Anspruch genommen worden ist. Auf einige Korrekturen der zweitinstanzlichen Entscheidung, die das Erfordernis des Zusammentreffens von schuldhafter Verletzung der Antragspflicht und dem daraus entstehenden Schaden betreffen, will ich hier nur hinweisen. Zweierlei verdient jedoch noch hervorgehoben zu werden: Der Senat ändert seine Rechtsprechung zur Ermittlung des Schadens des Neugläubigers: Dieser kann den vollen Betrag verlangen und muss sich den Anspruch nicht um die auf ihn entfallende Insolvenzquote kürzen lassen. Außerdem hat der Senat für das neue Insolvenzrecht seine zur Konkursordnung entwickelte Judikatur betreffend den zweistufigen Überschuldungsbegriff67 mit Rücksicht auf die jetzige Fassung des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO aufgegeben. Das heißt: Bei positiver Fortbestehensprognose darf der Versilberungswert des Gesellschaftsvermögens, auf den allein es ja ankommt, anders ermittelt werden. Überwiegen dann die Passiva, ist der Gang zum Insolvenzgericht unausweichlich.

65 BGH, Urt. v. 26. 3. 2007 – II ZR 310/05; BGH, Beschl. v. 5. 2. 2007 – II ZR 51/06, DStR 2007, 1544; s. dazu Lindemann, GmbHR 2007, 938. 66 BGH, Urt. v. 14. 5. 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 528; s. auch Fn. 63. 67 Vgl. BGHZ 119, 201.

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Noch einmal zurück zu der bereits erwähnten Massesicherungspflicht. In dem Urteil vom 14. 5. 200768 hat der Senat sich einerseits von einer früher – obiter dictum – geäußerten Bewertung der Massesicherungspflicht abgewandt, andererseits Regeln aufgestellt, unter welchen – engen – Voraussetzungen ein Geschäftsleiter nicht schuldhaft handelt, der bei der ihm auferlegten Prüfung, ob die Gesellschaft insolvenzreif ist, nicht zeitnah saniert werden kann und deswegen in die Insolvenz geführt werden muss, Rechtsrat von außen einholt. Es ging um die in der gerichtlichen Praxis nicht selten auftretende Fallgestaltung, dass der Geschäftsleiter – in dem entschiedenen Fall handelte es sich um den Vorstand einer AG – im Stadium der Insolvenzreife dem nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen bestehenden und durch § 266a StGB strafbewehrten Gebot, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zum Fälligkeitszeitpunkt abzuführen, nicht nachkommt. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, dass § 266a StGB als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren ist, der organschaftliche Vertreter also der Sozialkasse gegenüber schadenersatzpflichtig ist, wenn er die auf die ausgezahlten Löhne entfallenen Arbeitnehmerbeiträge nicht zahlt. In der Insolvenzsituation der Gesellschaft steht dies in Konflikt mit dem Masseerhaltungsgebot, wie es sich für die GmbH paradigmatisch aus § 64 Abs. 2 GmbHG ergibt. Wie dieser Konflikt aufzulösen ist, war Gegenstand von Auseinandersetzungen u. a. zwischen dem früher für die Haftung wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen zuständigen VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs und dem 5. Strafsenat einerseits und dem II. Zivilsenat andererseits. Während die beiden zuerst genannten Spruchkörper schon aus dem Gesichtspunkt der Strafandrohung den Vorrang der Ansprüche der Sozialkassen hergeleitet haben, hat der II. Zivilsenat darauf abstellen wollen, dass das Gebot der Masseerhaltung und Massesicherung die vorrangige Pflicht des organschaftlichen Vertreters beschreibt, weil sie im Interesse aller Gläubiger der insolventen Gesellschaft angeordnet ist und nicht nur die partikulären, nach den durch die InsO neu gefassten Vorschriften keinen Vorrang mehr genießenden Belange bestimmter Gläubigergruppen, etwa der Sozialkassen wahren soll. Deswegen hat der II. Zivilsenat in – jeweils nicht tragenden – Erwägungen angedeutet, er neige dazu, die Pflichtenkollision, in der sich das Organ befindet, zugunsten der Erfüllung der Pflichten aus § 64 Abs. 2 GmbHG aufzulösen69. 68 II ZR 48/06, ZIP 2007, 528; s. auch Fn. 63. 69 Vgl. BGHZ 146, 264, 275; Urt. v. 18. 4. 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026 Tz. 11.

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Dem ist der 5. Strafsenat nicht – jedenfalls nicht generell – gefolgt, sondern erkennt einen Vorrang nur für die Zeitspanne an, während derer der Geschäftsführer oder Vorstand die Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft prüfen darf, ohne schon gegen die Insolvenzantragspflicht zu verstoßen. Ist diese Frist verstrichen, bewendet es nach der strafrechtlichen Rechtsprechung bei der Strafbarkeit des organschaftlichen Vertreters, der trotz bestehender Insolvenzreife die Arbeitnehmeranteile nicht abführt70. Diese Judikatur würde den II. Zivilsenat nicht unbedingt daran hindern, auf der rein schadensrechtlichen Ebene gleichwohl der Erfüllung der Massesicherungspflicht den Vorrang einzuräumen und den Geschäftsführer, der mit Rücksicht auf § 64 Abs. 2 GmbHG nicht an die Sozialkasse leistet, nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB haften zu lassen. Für den Geschäftsführer hätte dies zur Folge, dass er zwar zivilrechtlich nicht belangt werden könnte, diese „Wohltat“ aber dadurch zu erkaufen hätte, dass er wegen der Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt wäre. Mit Rücksicht hierauf ist der II. Zivilsenat, auch wenn gute zivilrechtliche Gründe für seine Gesetzesinterpretation sprechen, im Interesse der durch die bisherige Unsicherheit stark belasteten Organmitglieder umgeschwenkt und folgt der vor allem von dem 5. Strafsenat vorgezeichneten Linie. Das hat zur Voraussetzung, dass er sein bisheriges Verständnis über den Bezugspunkt des Verhaltens eines ordentlichen Geschäftsmanns im Rahmen des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG – es sollte von dem Zweck der Norm als Massesicherungsregelung bestimmt sein71 – aufgeben musste. Nunmehr handelt in einem weiteren Verständnis des Wortes „ordentlich“ auch der Geschäftsführer, der im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft seiner sozialrechtlich begründeten Pflicht zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nachkommt. Im Ergebnis führt dies allerdings dazu, dass entgegen den Intentionen der Verfasser der InsO „durch die Hintertür“ doch wieder eine Privilegierung einer bestimmten Gruppe von Gesellschaftsgläubigern eingeführt wird, ein Ziel, das von den entsprechenden Verbänden ohnehin mit Verve betrieben wird. Was für die Sozialkassen gesagt ist, soll nach dem Senatsurteil auch für die Ansprüche des Steuerfiskus gelten. Obwohl hier die Gesetzeslage etwas anders ist, vor allem eine dem § 266a StGB entsprechende Vorschrift fehlt,

70 Vgl. BGH, Beschl. v. 30. 7. 2003 – 5 StR 221/03, DStR 2004, 823; Beschl. v. 21. 9. 2005 – 5 StR 263/05, ZIP 2005, 1678 ff. 71 BGHZ 146, 264, 275.

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hält der Senat aus Gründen der Rechtssicherheit72 – aber auch, um erfolgversprechende Erörterungen zwischen Senaten des Bundesgerichtshofs und des Bundesfinanzhofs nicht zu stören – eine einheitliche Verfahrensweise für notwendig. Es ist künftig in die Hände der Insolvenzgerichte gelegt, bei der Anwendung der Insolvenzanfechtungsvorschriften dafür Sorge zu tragen, dass die besonderen Gläubigergruppen nicht die Wertentscheidungen des Gesetzgebers der InsO unterlaufen. Auch in einem weiteren Punkt schafft das Urteil größere Rechtssicherheit, indem es den organschaftlichen Vertretern die Möglichkeit eröffnet, sich bei der schwierigen Frage, ob ein Insolvenzantrag gestellt werden muss, des Rates eines seriösen Fachmanns zu versichern und damit dem Vorwurf zu entgehen, schuldhaft die Insolvenzantragspflicht verletzt zu haben. Allerdings reicht es nicht aus, irgend jemanden zu fragen und sich auf dessen Auskunft später zu berufen, eine Verhaltensweise, die in den einschlägigen Prozessen immer wieder auftritt. Vielmehr sind strenge Anforderungen zu stellen, insofern es sich um einen über jeden Zweifel erhabenen Fachmann handeln muss, der seinen Rat aufgrund eingehender Prüfung der ihm wahrheitsgemäß und vollständig unterbreiteten Tatsachen, aus der sich die Situation der Gesellschaft ablesen lässt, erteilt. Auch einer solcherart erteilten Auskunft darf der Geschäftsführer bzw. Vorstand nicht blind vertrauen, sondern hat dieselbe auf ihre Plausibilität – etwa, ob alle Informationen verwertet worden sind oder der Ratgeber aufgrund eines Missverständnisses von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist – hin zu prüfen. Der Sachverhalt, über den der Senat zu entscheiden hatte, belegt deutlich die Anforderungen, die in diesem Zusammenhang an das Organmitglied, das ja auch bei Einholung fachkundigen Rats aus seiner Verantwortung nicht entlassen ist, gestellt werden müssen.

c) Kapitalaufbringung unter dem „Konzerndach“73 Zur verdeckten Sacheinlage – der Gesetzgeber will ihr bekanntlich für die GmbH im Rahmen des MoMiG „die Zähne ziehen“ – hat sich in der gerichtlichen Praxis nach meinem Eindruck hier und da die Fehlvorstellung verfestigt, alle Formen des Hin- und Herzahlens seien Anwendungsfälle der genannten Rechtsfigur. In Wahrheit geht es nach unserer Rechtsprechung – jedenfalls wenn man die Klärungen aus den beiden letzten Jahren 72 Vgl. BFH, Urt. v. 27. 2. 2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604. 73 BGH, Urt. v. 12. 2. 2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528; s. dazu Laufersweiler, BB 2007, 1409; Pentz, BGHReport 2007, 456; Rohde, EWiR 2007, 331; Bork, NZG 2007, 375; Hennrichs/Petig, WuB II C § 19 GmbHG 1.07.

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zur Kenntnis nimmt74 – beim Hin- und Herzahlen nur um die Leistung zur endgültig freien Verfügung der Geschäftsleitung, was nicht ausschließt, dass im Einzelfall – ein prägnantes Beispiel ist das Urteil vom 16. Januar 200675 – obendrein nach Art eines „Doppelmangels“ auch noch die formstrengen Sacheinlagevorschriften verletzt sein können. Vor diesem Hintergrund des Fehlverständnisses der Judikatur des II. Zivilsenats erklärt sich das von dem OLG München erlassene Urteil zur Kapitalaufbringung unter dem Konzerndach. Vereinfacht ging es darum, dass in einem Konzern mit jeweils 100 %iger Beteiligung der einzelnen Gesellschaften eine Enkelgesellschaft bei ihrer Tochter – also aus der Sicht der Konzern-Muttergesellschaft an die Urenkelin – eine Barkapitalerhöhung durchführte und die auf diese Weise mit Barmitteln versehene Gesellschaft den Betrag dazu verwandte, von ihrer Großtante deren Gießereibetrieb zu kaufen und zu bezahlen. Anders als das Berufungsgericht, das in diesem Vorgang eine verdeckte Sacheinlage wegen verbotenen Hin- und Herzahlens gesehen hat, hat der II. Zivilsenat die Klage des Insolvenzverwalters der Urenkelin abgewiesen. Eine verdeckte Sacheinlage läge hier nur vor, wenn die bar eingelegten Mittel an die Inferentin (also die Enkelin) oder aber an die Muttergesellschaft zurückgeflossen wären. Daran fehlt es. Man kann auch nicht mit dem Umgehungsgedanken operieren. Denn eine wirksame Kapitalerhöhung im Konzern setzt nicht – wie das Berufungsgericht offenbar angenommen hat – voraus, dass nach dem Abschluss der Vorgänge die Gruppe reicher ist. Und schon gar nicht ist der Idee zu folgen, dass ausschließlich auf dem Wege der Sacheinlage der Vorgang hätte abgewickelt werden können, also die Großtante an die Muttergesellschaft und diese dann über ihre Tochter und Enkelin den Gießereibetrieb hernach an die Urenkelin übertragen hätte. Allerdings sollten die Betroffenen – erste Anzeichen in unserem Entscheidungsmaterial zeigen sich bereits76 – nun nicht meinen, dass jedwede Kapitalaufbringung im Konzern nach diesen erleichterten Regeln vonstatten gehen könne. Immer dann, wenn die Einlagemittel – sei es auch über abhängige Tochtergesellschaften – letztlich an den Inferenten zurückfließen, sind die Kapitalschutzvorschriften verletzt, die Einlagezahlung hat keine Tilgungswirkung, und wir haben es mit dem von uns neuerdings als kapitalaufbringungsrechtlichem „nullum“ qualifi zierten Tatbestand des Hin74 BGHZ 165, 113; BGHZ 165, 352; BGH, Urt. v. 12. 6. 2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633. 75 BGHZ 166, 8 ff. 76 Beschl. v. 15. 10. 2007 – II ZR 249/06, ZIP 2008, 26.

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und Herzahlens77 zu tun. Auch dieses will der MoMiG-RegE mit Rücksicht auf die etablierten cash pool-Systeme nun teilweise anders regeln, eine Vorgehensweise, die weder sachlich geboten ist – man kann den Kapitalaufbringungsvorgang ohne weiteres außerhalb des cash pools durchführen und die frischen Gelder sofort für Unternehmenszwecke einsetzen – noch dem selbst formulierten Ziel der Übersichtlichkeit und Entschlackung des GmbHG entspricht.

d) §§ 30, 31 GmbHG und Sicherheitenbestellung78 In einem gerade erst veröffentlichten Urteil ging es um eine Fallgestaltung, die nach Erörterungen im Schrifttum allenthalben vorkommt, den II. Zivilsenat – soweit ersichtlich – bislang aber nicht beschäftigt hatte. Zwei Mitgesellschafter einer GmbH veräußerten ihre Geschäftsanteile an den alleinigen Gesellschafter ihrer Mitgesellschafterin. Da der Kaufpreis nicht sofort entrichtet werden konnte, wurde die Abtretung der Anteile unter die aufschiebende Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung gestellt und zugleich vereinbart, dass die GmbH an die Verkäufer festverzinsliche Wertpapiere zur Sicherheit abtrete, die von einer Sparkasse verwaltet wurden. Die Sparkasse, die zugleich Kreditgeberin der GmbH war, kündigte daraufhin den Kredit, verwertete die Papiere und zahlte – nach Verrechnung mit ihren Kreditforderungen – den verbleibenden Betrag an die Veräußerer aus. Damit war der Kaufpreis nicht vollständig beglichen, es dauerte vielmehr noch fast zwei Jahre, bis die Forderungen ausgeglichen waren. Der Käufer trennte sich von seiner Beteiligung, und nunmehr ging die GmbH, gestützt auf eine bezogen auf den Auszahlungszeitpunkt des Erlöses aus dem Wertpapierverkauf erstellte Stichtagsbilanz gegen die Geschäftsanteilsverkäufer mit der Begründung vor, die Auszahlung habe gegen §§ 30, 31 GmbHG verstoßen. Das Berufungsgericht hat die Klage mit der überraschenden Begründung, einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagten könne die klagende GmbH erst dann verfolgen, wenn sie den Anteilserwerber erfolglos in Anspruch genommen habe, abgewiesen. Diesen Gedanken hat er II. Zivilsenat verworfen, allerdings mit anderer Begründung – Durchgreifen der Verjährungseinrede – das Berufungsurteil im Ergebnis gehalten. Der Senat hat angenommen, dass sowohl die ihre Geschäftsanteile veräußernden, wie der dieselben erwerbende mittelbare Gesellschaf77 BGHZ 165, 113; BGHZ 165, 352. 78 BGH, Urt. v. 18. 6. 2007 – II ZR 86/06, ZIP 2007, 1705; s. dazu Reese, BB 2007, 2198; Böcker, DZWiR 2008, 24; Bormann, GmbHR 2007, 1106; Goette, DStR 2007, 1878.

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ter Normadressaten des Kapitalerhaltungsgebots sind. Das hat – angesichts der revisionsrechtlichen Unterstellung, dass durch die Auszahlung des Erlöses aus dem Wertpapierverkauf zumindest eine Unterbilanz in Höhe des Auszahlungsbetrages entstanden ist – zur Folge, dass alle drei Beteiligten gesamtschuldnerisch auf Erstattung der entsprechenden Beträge haften: die beiden Verkäufer, weil im Stadium der Unterbilanz Geldvermögen der Gesellschaft an sie ausgezahlt worden ist und der Käufer, weil er in entsprechender Höhe von der ihn treffenden Kaufpreisverbindlichkeit befreit worden ist. Im Rahmen der Prüfung der Verjährungseinrede hat der II. Zivilsenat nicht auf den Zeitpunkt der Auskehr des Resterlöses abgestellt, sondern für maßgeblich erachtet, dass die Sparkasse die Papiere verwertet und gleichzeitig dem Notar mitgeteilt hat, sie werde die Sicherungsabtretung an die beklagten Verkäufer beachten. Aus diesem Grund musste der Senat hier nicht entscheiden, ob bei der Bestellung dinglicher – anders als bei der Einräumung anderer – Sicherheiten „Auszahlungszeitpunkt“ im Sinne von § 31 GmbHG schon die Gewährung der Sicherheit ist. Dass die spätere Auszahlung des Verwertungserlöses keine neue Verjährungsfrist in Lauf setzen kann, ist nur konsequent. In der gesamten Entscheidung wird das sog. „Novemberurteil“79 nicht erwähnt. Dies war, wenn der Senat sich nicht in Form eines obiter dictum in die laufende rechtspolitische und dogmatische Diskussion einschalten wollte, auch nicht veranlasst. Die Erklärung dafür findet sich in Tz. 25: Da der Freistellungsanspruch gegen den Gesellschafter K nicht werthaltig war, erübrigten sich alle Auseinandersetzungen mit den durch das damalige Urteil aufgeworfenen Fragen. Denn bei der im Rahmen der Anwendbarkeit von §§ 30, 31 GmbHG anzustellenden bilanziellen Betrachtungsweise konnte die durch die Verwertung entstehende Unterbilanz nicht durch einen vollwertigen Anspruch gegen den Gesellschafter K bilanziell ausgeglichen werden. Diesen Standpunkt nimmt – anders als der RefE zum MoMiG – nun auch der RegE zum MoMiG in seiner neuen Gestaltung des § 30 GmbHG ein.

79 Urt. v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, DStR 2004, 427.

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3. Aktienrecht a) Beratungsvertrag und Aufsichtsrat80 In zwei weiteren Urteilen vom 20. November 2006 und 2. April 2007 hat der Senat seine Rechtsprechung zu den engen inhaltlichen und formellen Grenzen, unter denen ein Aufsichtsratsmitglied einen honorierten Beratungsvertrag mit der Aktiengesellschaft schließen darf, unterstrichen. Die Restriktionen, die der unabhängigen Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe dienen sollen, finden nicht nur dann Anwendung, wenn das Aufsichtsratsmitglied selbst Partner des Beratungsvertrags ist, sondern beanspruchen Geltung auch in dem Fall, dass das Mitglied des Überwachungsgremiums nur indirekt, nämlich über eine Gesellschaft, dem es angehört, von den gezahlten Honoraren profitiert. Es kommt dabei – entgegen den Hoffnungen, die von manchen beratenden Aufsichtsräten gehegt worden sind – nicht darauf an, in welcher Höhe das Organmitglied an der beratenden Gesellschaft beteiligt ist, schon gar nicht, dass es beherrschenden Einfluss besitzt. Nur bei abstrakter Betrachtung als peanuts (nicht nach Ackermannschen Maßstäben) zu bewertende Leistungen oder im Vergleich zu der erzielten Aufsichtsratsvergütung geringfügige Entgelte fallen heraus. Entschieden worden ist zugleich, dass nicht das Bereicherungsrecht, sondern § 114 Abs. 2 AktG die Grundlage der Rückforderung ist. In dem späteren Urteil hat der Senat außerdem – auf dem Wege eines obiter dictum – die im Schrifttum kontrovers behandelte Frage der Beschlussfähigkeit eines dreiköpfigen Aufsichtsrates beantwortet, bei dem ein Mitglied von der Abstimmung ausgeschlossen ist. Auch solche Dreier-Gremien sind funktionsfähig, der Betroffene, der ja ohnehin trotz bestehenden Stimmverbots ein Teilnahmerecht besitzt und – ebenso wenig wie ein Gesellschafter etwa in der GmbH – nicht gehindert ist, seinen Standpunkt in der der Abstimmung vorangehenden Diskussion darzulegen, hat sich lediglich der Stimme zu enthalten.

80 BGH, Urt. v. 28. 11. 2006 – II ZR 279/05, ZIP 2007, 22; s. dazu Priester, AG 2007, 190; Thümmel, BB 2007, 232; Roth, LMK 2007, 213912; Bosse, NZG 2007, 172; Peltzer, ZIP 2007, 305; Rellermeyer, WuB II A § 114 AktG 1.07; Urt. v. 2. 4. 2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056; s. dazu Grunewald, AnwBl. 2007, 568; Döser, LMK 2007, 238683; Uwe H. Schneider, WuB II A § 108 AktG 1.07; Lutter, FS Westermann, 2008, S. 1171 ff.; Semler, NZG 2007, 881.

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b) Gemischte Sacheinlage und Sachübernahme81 Zweimal seit November vergangenen Jahres hat sich der II. Zivilsenat mit den Fragen auseinanderzusetzen gehabt, die auftreten, wenn im Rahmen der Kapitalaufbringung eine gemischte Sacheinlage mit einer Sachübernahme zusammentrifft. In dem ersten Fall hat er Senat entschieden, dass es bei der Gründung nicht schlechthin verboten ist, den Aufbringungsvorgang in eine Barzeichnung und eine Sachübernahme aufzuspalten, dass aber dann die besonderen Kapitalschutzregeln des § 27 AktG – Publizität – gewahrt werden müssen und dass ein Verfehlen dieser Formvorschriften die harten Rechtsfolgen des § 27 Abs. 3 AktG nach sich zieht, der Inferent also sein Einlageversprechen durch eine Bareinzahlung erfüllen muss. Entschieden worden ist dies in einem Fall, in dem bei Gründung einer Aktiengesellschaft eine Bareinlagepflicht übernommen wurde und zeitgleich ein den Gründern – mittelbar – gehörendes Warenlager als Ganzes, also in Gestalt eines unteilbaren Gegenstandes – gekauft wurde, wobei der Kaufpreis mehr als doppelt so hoch war wie die Einlageschuld. Die Vorstellung des Oberlandesgerichts, es habe sich wegen der beträchtlichen Wertdifferenz bei diesem Vorgang nicht um eine verdeckte Sacheinlage handeln können, vielmehr liege ein gewöhnliches Umsatzgeschäft vor, hat der II. Zivilsenat ebenso wie einige andere erstaunliche Argumente des Berufungsgerichts verworfen. Die umfangreichen Erörterungen der mit gewichtigen Gutachten munitionierten Parteien in dem zweiten, im Sommer entschiedenen Fall „LURGI“ lassen deutlich werden, dass auf diesem Feld Abgrenzungsprobleme zu den Nachgründungsvorschriften bestehen, die noch der Lösung harren. Der Senat jedenfalls hat gemeint, sie auch in dem LURGI-Fall nicht entscheiden zu müssen, sondern auf der Grundlage der etablierten, wenn auch im Schrifttum z. T. heftig attackierten Regeln über die Kapitalerhöhung auf dem Wege der Sacheinlage lösen zu können. Er hat nämlich – für den Fall der gemischten verdeckten Sacheinlage eines unteilbaren Gegenstandes, bei der die Gegenleistung der Gesellschaft teils in Aktien, teils in anderer Weise erbracht wird – § 27 AktG auch bei der Kapitalerhöhung für anwendbar erachtet, obwohl die Regeln der einfachen Sachübernahme dort

81 BGH, Urt. v. 20. 11. 2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178; s. dazu Lutter, DStR 2007, 543; Tilman Bezzenberger, JZ 2007, 943; Kort, LMK 2007, 213128; Rotheimer, NZG 2007, 256; Müller/Rieg, WuB II A § 27 AktG 1.07; BGH, Urt. v. 9. 7. 2007 – II ZR 62/06 – „Lurgi“, ZIP 2007, 1751; dazu krass ablehnend Martens, AG 2007, 732; anders aber Habersack, ZGR 2008 Heft 1.

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(§§ 183, 194, 205 AktG), anders als bei der Gründung nach ganz herrschender Meinung keinen Platz haben. Die vor allen Dingen von den Parteien gehegte Erwartung, der Senat werde nunmehr Grundsätzliches zu den aktienrechtlichen Nachgründungsvorschriften ausführen, hat sich nicht erfüllt, weil wir angenommen haben, dass selbst bei einer Anwendbarkeit von § 52 AktG der von dem Insolvenzverwalter geltend gemachte, auf § 62 AktG – weil § 52 AktG nicht beachtet worden sei – gestützte Klageanspruch unbegründet ist. Auch in diesem Verfahren ist übrigens die Ansicht mit Nachdruck vertreten worden, angesichts des Missverhältnisses zwischen Einlageschuld – es ging einschließlich Agio um gut 2 Mio. DM – zu dem Volumen des mit den Aktionären geschlossenen Werkvertrages (292 Mio. DM) könnten die Sacheinlagevorschriften nicht anwendbar sein. Dem ist der Senat auf der Grundlage seiner gefestigten Rechtsprechung unter Tz. 15 mit dürren Worten entgegengetreten; es kann ja – wenn man das Regime der Sacheinlageregeln nicht generell über Bord werfen will – nach dem Sinn der Kapitalschutzvorschriften auch schwerlich darauf ankommen, ob die Gefahr für die Gläubiger der Gesellschaft dadurch begründet wird, dass ein Geldbetrag nur in Höhe der geschuldeten Einlage oder in Höhe des Vielfachen davon an den Inferenten zurückfließt82 . Im LURGI-Fall hatte das zur Folge, dass wegen der Verfehlung der Formvorschriften über die Sacheinlage, der Einlageanspruch nicht erfüllt war, der Insolvenzverwalter also – Verjährungsfragen einmal außer Acht gelassen – die erneute Einzahlung der gut 2 Mio. DM fordern kann. Dieser Anspruch war aber – auch nicht etwa hilfsweise – Gegenstand des Rechtsstreits. vielmehr hat sich der klagende Insolvenzverwalter, gestützt auf die Idee, die Nachgründungsvorschriften seien nicht beachtet worden, darauf kapriziert, den gesamten gezahlten Werklohn nach § 62 AktG zurückfordern zu können. Diese Vorschrift ist indessen nach dem Revisionsurteil unanwendbar, weil sie keine allgemeine Regressvorschrift darstellt, sondern systematisch zu den Kapitalerhaltungsvorschriften gehört, die erst dann anwendbar sind, wenn der Kapitalaufbringungsvorgang ordnungsgemäß abgeschlossen ist. Fehlt es daran wie in dem Fall LURGI, vollzieht sich die Rückabwicklung des durchgeführten Leistungsaustauschs nach Bereicherungsrecht, d. h. unter Anwendung der Saldotheorie. Dem Insolvenzverwalter ist also versagt, isoliert die von der Schuldnerin erbrachten 82 Anders, gegenüber der Lösung des Senats völliges „Unverständnis“ artikulierend Martens, AG 2007, 732; im Wesentlichen zustimmend jedoch Habersack, ZGR 2008 Heft 1.

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Zahlungen zurückzufordern und die von dem Inferenten bewirkte Gegenleistung auszublenden, wie dies bei Anwendung des § 62 AktG der Fall wäre. Da sein Anspruch nur auf den Saldo geht, bedarf es entsprechender Darlegungen für die Klage, die jedenfalls in dem vom Kläger angestrengten Urkundenprozess nicht ohne weiteres mit dessen Mitteln belegt werden können. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist übrigens auch erörtert worden, ob der Insolvenzverwalter überhaupt zur Rückgabe der der Schuldnerin zugeflossenen Leistungen der beklagten Aktionäre noch in der Lage war, oder ob er die Fabrikanlagen nicht zwischenzeitlich veräußert hat. Diese Fragen können nun in der wieder eröffneten Berufungsverhandlung nach entsprechendem ergänzenden Vortrag geklärt werden. Noch einmal zur Klarstellung: Der offene Einlageanspruch ist selbstverständlich außerhalb dieses Ausgleichs nach der Saldotheorie zu erfüllen. Abschließend ein Wort zur Saldotheorie: Dass der Senat keine näheren Ausführungen zu ihrer Tragweite im Einzelfall hat machen müssen, ist durch die Besonderheiten der Prozesssituation in dem LURGI-Fall zu erklären. Es ging ja allein darum, dem Kläger vor Augen zu führen, dass sein prozessuales Vorgehen nicht erfolgreich sein konnte, er also mit einem anderen Ansatz an die Darlegung seiner Forderung heranzugehen hatte. Inwieweit § 818 Abs. 3 BGB jeweils überhaupt einschlägig ist, ob insbesondere eine verschärfte bereicherungsrechtliche Haftung wegen Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes eingreift, hängt von den Gegebenheiten des konkreten Falles ab, über den bei LURGI noch nichts Tragfähiges bekannt war.

c) Verschmelzung durch Aufnahme und Differenzhaftung83 Mit einem Sonderfall einer Umwandlung – zwei Aktiengesellschaften waren durch Aufnahme verschmolzen worden – hatte es der II. Zivilsenat in seiner Entscheidung von 12. 3. 2007 zu tun. Im Rahmen dieses Vorgang hatte die Beklagte, die an der übernommenen Gesellschaft bereits mit 476 800 Stückaktien, für die sie 21,5 Mio. DM gezahlt hatte, beteiligt gewesen war, eine entsprechend hohe Zahl von Aktien im Nennwert von je 1,00 Euro übertragen erhalten. Die Schuldnerin ist insolvent, es hat sich herausgestellt, dass die übernommene Gesellschaft in Wirklichkeit schon wertlos und überschuldet gewesen ist, als die Beklagte das Aktienpaket von deren Gründer erwarb. Der Insolvenzverwalter hat geglaubt, er könne die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der Differenzhaftung auf Zahlung

83 BGH, Urt. v. 12. 3. 2007 – II ZR 302/05, ZIP 2007, 1104.

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des Nennbetrages der ihr von der Schuldnerin im Zuge der Verschmelzung gewährten 476 800 Aktien in Anspruch nehmen. Diese Klage hatte vor dem Oberlandesgericht und dem II. Zivilsenat keinen Erfolg. Das wesentliche Argument dafür hat der Senat darin gesehen, dass bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften, wie sie hier stattgefunden hat, die Kapitaldeckungszusage der Aktionäre fehlt, die nach gefestigter Rechtsprechung die Grundlage für die Differenzhaftung des Sacheinlegers ist. Hier fehlt es an einer von den Aktionären übernommenen Leistungspflicht, Inferentin der Sacheinlage ist vielmehr der übertragende Rechtsträger, der den Verschmelzungsvertrag mit der übernehmenden Gesellschaft schließt. Für eine als Ersatz gedachte „Kapitaldeckungshaftung“ der Gesellschafter des übertragenden und mit der Verschmelzung untergehenden Rechtsträgers ist ohne eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung kein Raum.

d) Kostenparallelität bei der Anfechtungsklage84 Seit vielen Jahren beobachten wir Entwicklungen im Aktienrecht, bei denen die Frage entsteht, ob einzelne Aktionäre – in der Literatur hat sich für sie neben anderen krasser bewertenden Bezeichnungen der Sammelbegriff „Berufsaktionäre“ eingebürgert – von ihren mitgliedschaftlichen Kontrollrechten einen zweckwidrigen Gebrauch machen. Bekanntlich hat der Gesetzgeber vor nicht allzu langer Zeit den Versuch unternommen, der zahlenmäßig nicht großen aber effektiv vorgehenden Gruppe von immer wieder in Erscheinung tretenden Aktionären die Mittel aus der Hand zu nehmen, ihre Verhinderungsmacht zur Geltung zu bringen und zweckwidrig einzusetzen85. In jüngster Zeit wird zunehmend in Zweifel gezogen, dass ihm dies geglückt ist86. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung war mit diesem Problem in den zurückliegenden Jahren immer wieder befasst und ist ersten – damals noch plumpen – Versuchen von Aktionären, sich ihren „Lästigkeitswert“ abkaufen zu lassen energisch entgegengetreten. Erst jüngst87 hat er einem offenbar der Zeit weit hinterher hinkenden Aktionär attestiert, seine Anfechtungsklage sei rechtsmissbräuchlich. Dieser Aktionär, von Beruf 84 BGH, Beschl. v. 18. 6. 2007 – II ZB 23/07, ZIP 2007, 1337; s. dazu Wilsing, DB 2007, 1517; Waclawik, DStR 2007, 1257. 85 UMAG v. 22. 9. 2005, BGBl. I, S. 2802. 86 Vgl. nur die Untersuchung von Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629 ff., die vielfältiges Echo auch in der Tagespresse und in der Politik gefunden hat. 87 Beschl. v. 21. 5. 2007 – II ZR 266/04, ZIP 2007, 1524; s. dazu v. Rechenberg, BB 2007, 1980; Vossius, NotBZ 2007, 363.

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Rechtsanwalt, hatte kurz vor der Hauptversammlung Aktien der beklagten Gesellschaft erworben und dem Vorstand angesonnen, ihm ein umfassendes Beratungsmandat zu übertragen, das ihn zu anwaltlicher Verschwiegenheit verpflichte, damit auf diese Weise bestimmte – wie der betreffende Kläger gemeint hat – für die Gesellschaft nachteilige Tatsachen von ihm in der Hauptversammlung nicht offenbart werden dürften. Dass der von den betroffenen, offensichtlich genervten Gesellschaften immer wieder in den Rechtsstreitigkeiten – in zwei Beschlüssen vom 23. 4. 2007 hat der Senat in diesem Zusammenhang kritisch die Bewertung „formelhaft“ verwandt88 – erhobene Rechtsmissbrauchseinwand heute nur selten als durchgreifend beurteilt wird, hängt – betrachtet man die bereits erwähnte Studie von Baums, Keinath und Gajek und liest in den Gerichtsakten auch zwischen den Zeilen – nicht damit zusammen, dass es solche Versuche zweckwidriger Ausübung von aktienrechtlichen Mitgliedschaftsrechten nicht mehr gibt, sondern folgt aus einer vorsichtigeren Strategie der handelnden Personen. Eines der Mittel dabei scheint die Instrumentalisierung des prozessualen Rechtsinstituts der Nebenintervention zu sein, eines – wie wir vor einigen Monaten betont haben89 – ganz besonders wichtigen Schutzinstruments jedes einzelnen Aktionärs. In jüngerer Zeit haben wir zu beobachten, dass sich Aktionäre den Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen anderer Aktionäre anschließen, sie also nicht durch eine eigene Klage, sondern als Streithelfer unterstützt haben. Anders als bei einer Klage, bei der der Kläger dem Gericht den Sachverhalt unterbreiten und die streitigen Tatschen notfalls beweisen muss, kann sich der Streithelfer auf einen den Beitritt erklärenden Schriftsatz beschränken und wegen der inhaltlichen Aussagen auf die Schriftsätze des Klägers verweisen. Wenn die unterstützte Partei den Rechtsstreit gewinnt, muss die beklagte Gesellschaft auch die Kosten eines solchen Streithelfers tragen; je nach dem Streitwert des Verfahrens kann sich dadurch ein erheblicher Kostenerstattungsanspruch ergeben, der zu dem Aufwand des Streithelfers nicht unbedingt proportional ist. Dass auch diese Regelungen anfällig sind für eine nicht sinnentsprechende Anwendung wird im Falle der vergleichsweisen Erledigung solcher Anfechtungsverfahren deutlich. Nach dem UMAG müssen diese Vergleiche im Bundesanzeiger veröffentlicht werden und bieten Anlass nicht nur für Studien, wie die bereits er-

88 II ZB 29/05, ZIP 2007, 1528 (dazu Wilsing/Goslar, EWiR 2007, 641) und II ZB 13/06, DStR 2007, 1781. 89 II ZB 29/05, ZIP 2007, 1528 und II ZB 13/06, DStR 2007, 1781.

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wähnte von Baums, sondern auch zu kritischen Bemerkungen in der allgemeinen Presse und entsprechendem Echo im politischen Raum. Der Beschluss des II. Zivilsenats vom 18. 6. 200790 ist vor diesem Hintergrund zu lesen. Die Kläger haben sich mit der Gesellschaft geeinigt, welche darauf hin die Kosten der Kläger übernommen hat. Hiervon wollten auch die Nebenintervenienten profitieren, indem sie den in der Instanzrechtsprechung entwickelten Grundsatz der Kostenparallelität für sich reklamiert haben. Er besagt, dass die Streithelfer hinsichtlich der von ihnen zu tragenden oder ihnen zu erstattenden Kosten genau so zu behandeln sind wie die Hauptpartei. Das OLG hat hier im Sinne der Nebenintervenienten entschieden, dabei aber übersehen, dass der II. Zivilsenat schon vor mehr als zwanzig Jahren in einem ähnlichen Fall anders judiziert hat. Diese andere Sicht ist dadurch begründet, dass das Gesetz zwischen der einfachen Streitgenossenschaft, bei der der Streithelfer abhängig von der Hauptpartei ist, und der notwendigen Streitgenossenschaft, die dem Streithelfer eine viel stärkere Stellung verschafft, unterscheidet und dass sich dieser strukturell begründete Unterschied auch in dem Feld auswirken muss, in dem sich unmittelbare gesetzliche Bestimmungen für die Kosten der notwendigen Streitgenossenschaft nicht finden. Da die anfechtenden Aktionäre solche notwendigen Streitgenossen sind, können sie auf Kostenerstattung von der beklagten Gesellschaft nur hoffen, wenn die durch sie unterstützten Kläger im Rechtsstreit obsiegen. Geht der Rechtsstreit verloren oder nimmt der Kläger die Klage zurück, dann hat sein Streithelfer seine Kosten selbst zu tragen; kommt es zu einem Vergleich mit der Gesellschaft, richtet sich die Kostentragung für den Nebenintervenienten nicht nach den Regeln des Vergleichsschlusses, es sei denn er darf demselben beitreten und macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. In allen anderen Fällen hat eine nach den allgemeinen Regeln zu treffenden Kostenentscheidung zu ergehen. Es liegt auf der Hand, dass damit die Attraktivität für einen Aktionär, sich ohne großes eigenes Risiko an der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage eines anderen Aktionärs zu beteiligen – in den einschlägigen Kreisen wird insofern bereits von „Trittbrettfahrerei“ gesprochen – stark abnehmen muss.

90 II ZB 23/06, ZIP 2007, 1337, dazu Waclawik, DStR 2007, 1257; Lenenbach, WuB VII A, § 101 ZPO 1. 07.

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e) Keine „Nebeninterventionsbefugnis“ nach altem Recht91 Manchmal sind unsere Kollegen in den Tatsacheninstanzen aber auch etwas schnell bei der Hand, Aktionären die Möglichkeit einer Beteiligung an einem Anfechtungsverfahren zu versagen. In zwei Altfällen, die Fallgestaltungen vor Inkrafttreten des UMAG betreffen, wollen sich uns wohlbekannte Aktionäre als Nebenintervenienten an dem von Mitaktionären angestrengten Anfechtungsprozessen beteiligen. Das haben ihnen das Landgericht durch Zwischenurteil und das Oberlandesgericht im Verfahren der sofortigen Beschwerde versagen wollen. Auf die von dem Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde haben wir die Nebenintervention zugelassen. Zwei Gründe hat das Beschwerdegericht dafür angeführt, dass die Nebenintervention unzulässig sei: Es sei die für die Nebenintervention entsprechend geltende einmonatige Anfechtungsfrist nicht gewahrt worden, und außerdem habe der Nebenintervenient versäumt, Widerspruch zu Protokoll des amtierenden Notars zu erklären. Beide Gründe haben uns nicht überzeugt: Das Interventionsinteresse folgt aus dem Umstand, dass ein obsiegendes Urteil auch gegenüber dem nicht als Kläger beteiligten Aktionär nach § 248 AktG Rechtskraft- und Gestaltungswirkung hat und er – schon unter Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs – einen Anspruch darauf hat, als streitgenössischer Nebenintervenient seine Argumente in das Verfahren einzubringen. Nach früherem Recht war es zweifelsfrei, dass der Nebenintervenient in jeder Lage des Verfahrens dem Streit beitreten durfte. § 246 Abs. 1 AktG, der eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist enthält, lässt sich auf das prozessuale Institut der Nebenintervention nicht übertragen, das Beschwerdegericht ist hier Schalmeienklängen im Schrifttum zu Unrecht gefolgt, weil der Zweck der Ausschlussfrist – Schaffung von Rechtssicherheit binnen knapper Frist – überhaupt nicht betroffen ist, wenn der Nebenintervenient sich einer rechtzeitig erhobenen Anfechtungsklage anschließt. Ähnlich lässt sich auch aus § 245 Nr. 1 AktG eine prozessuale Einschränkung der Nebeninterventionsbefugnis nicht ableiten; die Nebenintervention ist eben etwas anderes als die Anfechtungsklage und zielt allein auf die im Hinblick auf Art. 103 GG erforderliche Beteiligung des Aktionärs an dem von einem Mitaktionär betriebenen Verfahren ab. Man kann auch nicht – im Sinne einer Rückwirkung des neuen Rechts – mit dem UMAG argumentieren. Dieses hat zwar eine Vorbesitzregelung mit dem Ziel, die Möglichkeit der Anfechtung einzuschränken, eingeführt. Nach einer Bemerkung in der Gesetzesbegründung – der Senat hat 91 Beschl. v. 23. 4. 2007 – II ZB 29/05, ZIP 2007, 1528; Beschl. v. 23. 4. 2007 – II ZB 13/06, DStR 2007, 1781.

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sie als „rechtlich verschwommen“ qualifi ziert – soll diese Voraussetzung selbstverständlich auch für den Nebenintervenienten gelten, weil – Palmström lässt grüßen – nicht ersichtlich sei, warum der Kläger in den Klagevoraussetzungen strengeren Regeln unterworfen sein solle als der Nebenintervenient. Diese Bemerkung verkennt den entscheidenden Unterschied zwischen Klage und Nebenintervention, ob sie für das neue Recht – ohne entsprechende Niederlegung im Gesetz – Geltung beanspruchen kann, hat der Senat offen gelassen. Keinesfalls könnte eine solche Rechtsänderung auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Streitbeitritt angewandt werden. Und dieses „Rückwirkungsverbot“ greift auch Platz gegenüber der Heranziehung der neuen Vorschrift des § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG, nach der der Streitbeitritt nur binnen eines Monats nach der Bekanntmachung der Klageerhebung zulässig ist. Diese neue Frist hat nicht materiellrechtlichen, sondern nur prozessualen Charakter mit der Folge, dass die Regeln des intertemporalen Zivilprozessrechts gelten.

f) Verzinsung der Abfindung beim squeeze out92 Ein bekannter Kläger war Aktionär einer AG und hat den squeeze out-Beschluss angefochten. Im Eilverfahren nach §§ 327a und 319 AktG wurde die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister angeordnet und vollzogen. Die Hauptaktionärin hat die Aktien des Kläger abholen lassen und die versprochene Abfindung gezahlt. Mit seiner Klage – Streitwert mehr als 111 000 Euro – verlangt der ausgeschlossene Aktionär neben der Abfindungszahlung die Erstattung der Kreditzinsen, welche er für die Finanzierung des Aktienerwerbs an seine Bank in der Zeit zwischen dem squeeze out-Beschluss und dem Empfang der Abfi ndung hat zahlen müssen. Er hat gemeint, Rechtsgrundlage dafür sei § 327b Abs. 2 AktG; zumindest aber gebiete eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Vorschriften eine Verzinsung für den genannten Zeitraum, weil ihn die durch die Verzögerung der Handelsregistereintragung eintretenden Verzögerungen nicht treffen dürften und er nach Fassung des squeeze outBeschlusses als Mitglied der Aktiengesellschaft weitgehend rechtlos gestellt sei. Der II. Zivilsenat hat der gegen das die Klageabweisung bestätigende Berufungsurteil gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde nicht entsprochen. Das AktG behandelt den von einem squeeze out-Beschluss betroffenen Minderheitsaktionär als „normales“ Mitglied der Gesellschaft mit allen

92 BGH, Beschl. v. 1. 10. 2007 – II ZR 228/06 n. v.

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Rechten und Pflichten. Ein solcher Aktionär bezieht in der Zwischenphase die Dividenden und ist nicht schlechter gestellt als vor dem für ihn einschneidenden Beschluss. Auch in dieser Zeit musste er die anfallenden Kreditzinsen aus den bezogenen Dividenden oder aus seinem sonstigen Vermögen bestreiten. Es trifft sicher zu, dass nach einem squeeze out-Beschluss der Aktionär von einer dann u. U. eintretenden positiven Entwicklung des Aktienkurses abgeschnitten wird, aufgewogen wird dieser potentielle Nachteil des Aktionärs aber dadurch, dass ihn auch negative Entwicklungen des Kurses nicht berühren. Man kann deswegen dem Gesetzgeber schwerlich vorwerfen, er habe eine willkürliche Gestaltung der Verzinsungsregelungen getroffen; dementsprechend hat auch das BVerfG93 keinen Anlass gesehen, die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen aus verfassungsrechtlicher Sicht zu verwerfen. Die Vorstellung des Klägers94, § 327b Abs. 2 Satz 2 AktG begründe ein besonderes Schuldverhältnis zwischen dem Minderheitsaktionär und seiner Gesellschaft steht mit der Systematik des Gesetzes nicht in Einklang.

g) Weiterführung der Anfechtungsklage nach Freigabe der Verschmelzung – Standardrügen95 In dem bereits oben im Zusammenhang mit einer – plump – rechtsmissbräuchlich erhobenen Klage erwähnten Fall, den der II. Zivilsenat durch einen Beschluss vom 29. Mai 2007 nach § 544 Abs. 7 ZPO96 abgeschlossen hat, war auch in weiterem Umfang mit dem Gebaren sog. Berufsaktionäre umzugehen. Wie öfter in den zurückliegenden Jahren hat sich auch hier erwiesen, dass auch solche Aktionäre durchaus – wenn vielleicht nicht mit diesem Willen vorgehend – Positives für die Klärung aktienrechtlicher Fragen beitragen und auch das Verantwortungsbewusstsein der Organe der Gesellschaften zu schärfen vermögen. In dem vom KG als Berufungsgericht entschiedenen Fall ging es u. a. um die Frage, ob bei der durchgeführten Verschmelzung das Umtauschverhältnis richtig ermittelt worden war; die Kläger hatten die von der Gesellschaft vorgelegten Bewertungsgutachten in vielfältiger Weise angegriffen und dazu ihrerseits Gutachten beigebracht. Das Berufungsgericht hat – ohne die eigene Sachkunde für die Beurteilung der sehr komplexen und schwierigen Bewertungsfragen 93 94 95 96

ZIP 2007, 1261 Tz. 26 ff. Vgl. in diesem Sinne auch Heidel/Lochner, AktG, 2. Aufl. 2007, § 327b Rn. 12. BGH, Beschl. v. 29. 5. 2007 – II ZR 266/04, ZIP 2007, 1524. Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache wegen eines entscheidungserheblichen Verstoßes gegen Art. 103 GG.

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darzulegen – die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens abgelehnt und sich allein auf die Gutachten der Gesellschaft gestützt. Das hat der II. Zivilsenat beanstandet und dem Berufungsgericht, das sich obendrein auch inhaltlich mit dem Klägervorbringen überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, die Verletzung des Anspruchs der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs attestiert. Zugleich hat er entschieden, dass auch nach der Eintragung einer Verschmelzung mit Kapitalerhöhung aufgrund einer Freigabeentscheidung beide Maßnahmen weiterhin im Hinblick auf die Schadenersatzpflicht nach § 16 Abs. 3 Satz 6 UmwG mit der Anfechtungsklage angegriffen werden können. Neben diesen durchaus berechtigten Angriffen gegen die Entschließungen der Hauptversammlung haben die Kläger aber nicht darauf verzichten können, eine Reihe von sog. Standardrügen vorzubringen, mit denen sie – vergeblich – versucht haben, die Beschlüsse zu Fall zu bringen. Dazu gehört die immer wieder vorgebrachte Beanstandung, der Prüfer sei nicht ordnungsgemäß vom Landgericht bestellt worden, die Prüfer seien unzulässiger weise parallel prüfend tätig geworden, WpHG-Meldungen seien nicht ordnungsgemäß abgegeben worden u. Ä. Diese Rügen hat der Senat nicht einzeln zu bescheiden gehabt, weil ihre fehlende Valenz bereits in anderen Verfahren geklärt worden ist97. Neu war dagegen der Vorwurf, der Verschmelzungsbericht entbehre der gesetzlichen Form, weil er nicht von sämtlichen Organmitgliedern unterzeichnet worden sei. Der Senat hat deutliche Sympathie für die Mindermeinung im Schrifttum deutlich erkennen lassen, nach der eine Unterzeichnung des Berichts durch eine vertretungsberechtigte Anzahl von Vorstandsmitgliedern dem Zweck des Gesetzes Genüge tut. Letztlich entscheiden musste er die Frage nicht, weil jedenfalls bei einem unterstellten Verstoß gegen das Schriftformgebot des § 8 UmwG die Relevanz98 des Formmangels fehlen würde: Kein vernünftig denkender Aktionär – auf ihn und nicht auf ein Gesellschaftsmitglied, das „ein Haar in der Suppe sucht“, stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung selbstverständlich ab – würde sich in der Entscheidung über die Wahrnehmung seiner Mitgliedschaftsrechte von einer fehlenden Unterzeichnung des Berichts durch sämtliche Vorstandsmitglieder beeinflussen lassen.

97 BGH, Urt. v. 18. 9. 2006 – II ZR 225/04, ZIP 2006, 2080; ferner BGHZ 135, 260. 98 Vgl. dazu BGHZ 153, 32; BGHZ 160, 385.

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4. Vereinsrecht a) Umlagepflicht ohne Satzungsgrundlage und Sonderaustrittsrecht99 Über die jüngere Entscheidung zum – unverzüglich – auszuübenden Sonderaustrittsrechts eines Vereinsmitgliedes, das einen in der Satzung nicht vorgesehenen, von ihm nicht konsentierten Umlagebeschluss aus übergeordneten Gesichtspunkten hinnehmen muss, habe ich schon im Zusammenhang mit der Nachschusspflicht bei den Personengesellschaften berichtet.

b) Ende der Beitragspflicht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens100 Für den nichtwirtschaftlichen Verein hatte der II. Zivilsenat schon vor vielen Jahren101 ausgesprochen, dass die Beitragspflicht der Mitglieder ihr Ende findet, wenn über das Vereinsvermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. In mehreren Fällen hat ein Insolvenzverwalter eines Vereins mit wirtschaftlicher Zielsetzung diese Rechtsprechung auf die Probe stellen wollen und erreicht, dass das Landgericht als Berufungsgericht die Revision zugelassen hat. Der Senat hat einen Hinweisbeschluss nach § 552a ZPO erlassen. woraufhin der Kläger seine Revision zurückgenommen hat. Wir haben gemeint, dass schon aus der damaligen Leitentscheidung herzuleiten sei, dass – soweit die Satzung nicht Gegenteiliges bestimmt – jeder eingetragene Verein mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Abwicklungsstadium tritt und die Beitragspflicht endet, weil nunmehr der Vereinszweck nicht mehr verwirklicht werden kann und die Mitglieder an den Vorteilen der Vereinstätigkeit nicht mehr teilhaben können. Die Versuche des Revisionsführers, aus einzelnen Aussagen des damaligen Urteils für den wirtschaftlichen Verein Abweichendes zu seinen Gunsten herzuleiten, haben den Senat nicht überzeugt, weil sie – wie dies nicht selten in unseren Verfahren, aber auch in der literarischen Aufarbeitung unserer Entscheidungen geschieht – auf einer Selektion der Aussagen beruhen und diese aus dem Gesamtzusammenhang reißen. Der Fall vom 23. 4. 2007102 ist ein schönes Beispiel hierfür: Wenn man die Aussagen der Leitentscheidung aus dem Jahr 1985103 zu den „wirtschaftlichen Personenvereinigun99 100 101 102 103

BGH, Urt. v. 24. 9. 2007 – II ZR 91/06, ZIP 2007, 2264. BGH, Beschl. v. 23. 4. 2007 – II ZR 190/06, ZIP 2007, 1462. BGHZ 96, 253. BGH, Beschl. v. 23. 4. 2007 – II ZR 190/06, ZIP 2007, 1462. BGHZ 96, 253, 256.

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gen“ richtig liest, dann wird dort gerade nicht – wie der Kläger gemeint hat – gesagt, der wirtschaftliche Verein sei genau so zu behandeln wie eine Personengesellschaft; vielmehr werden das Konzessionserfordernis einerseits und die Pflicht, Einlagen auch nach Beendigung der Gesellschaft zu leisten, selbständig nebeneinander gestellt und diesen beiden Formen der Wahrung von Gläubigerinteressen der Fall des Idealvereins gegenübergestellt.

c) Beschlussanfechtung, Parteifähigkeit des nicht rechtsfähigen Vereins104 Ein Berliner Sportverein mit mehr als 1000 Mitgliedern war in 18 einzelne Abteilungen untergliedert, wobei jede dieser Abteilungen eine gewisse Selbständigkeit unter dem Dach des Gesamtvereins besaß, u. a. auch ihre sportlichen und finanziellen Angelegenheiten selbständig regeln durfte, soweit nicht die Vereinssatzung anders bestimmte oder das Gesamtinteresse des Vereins betroffen war. Die Ruderabteilung bildet eine solche Untergliederung und klagte – neben ihr angehörenden Mitgliedern – gegen den Gesamtverein, weil dieser beschlossen hatte, das überwiegend von der Ruderabteilung genutzte Clubhaus mit den zugehörigen Parzellen und den Bootsstegen an einen anderen Ruderverein zu verkaufen und diesen Beschluss später umgesetzt hat. In diesem Zusammenhang ging es um die Frage, ob die Ruderabteilung als nicht rechtfähiger Verein unter dem Vereinsdach anzusehen war und in dieser Eigenschaft aktiv parteifähig ist. Das hat der Senat bejaht und dabei Anleihen bei der neueren Rechtsprechung zur BGB-Gesellschaft105 genommen. Gleichwohl darf die Untergliederung Beschlüsse der Mitgliederversammlung nicht anfechten, weil ihr die Grundvoraussetzung einer Beschlussmängelklage fehlt, Mitglied des Vereins zu sein; die gerichtliche Überprüfung von Vereinsbeschlüssen einleiten können deswegen allein die einzelnen Mitglieder der Ruderabteilung. Wie sonst im Beschlussmängelrecht gilt auch für die Beschlüsse der Mitgliederversammlung eines eingetragenen Vereins, dass sie u. a. auf die Wahrung der Einladungsformalitäten zu überprüfen sind. In dem entschiedenen Fall war die Mitteilung des Beschlussgegenstandes in der Einladung derart ungenau formuliert, dass die Mitglieder sich weder sachgerecht vorbereiten noch überhaupt verantwortungsvoll entscheiden konnten, ob sie an der Versammlung teilnehmen sollten. Auch wenn der von der Versammlung ungeachtet dessen gefasste Beschluss für nichtig erklärt 104 BGH, Urt. v. 2. 7. 2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942. 105 BGHZ 146, 341 – „ARGE Weißes Roß“.

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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung

worden ist, hat dies im Endergebnis den Mitgliedern der Ruderabteilung nicht geholfen, weil der Verein Eigentümer der Grundstücke war und durch den Vorstand bei der Veräußerung und Auflassung wirksam vertreten war, ohne dass dieser – wie das KG angenommen hat – durch eine Entschließung der Mitgliederversammlung im Innenverhältnis gebunden war: Der gefasste, zustimmende Beschluss war nichtig, damit war aber keinesfalls das Gegenteil beschlossen worden.

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Bericht über die Diskussion des Referats Goette Dr. Christian Horn, LL. M. Rechtsanwalt, Düsseldorf

I. Personengesellschaftsrecht In der von Altmeppen geleiteten Diskussion wurde aus dem Personengesellschaftsrecht die jüngste BGH-Rechtsprechung zum Beschlussmängelrecht1, zu Nachschusspflichten2, zur Kündigungsfrist bei einer Freiberuflersozietät3 und zur Hinauskündigung4 diskutiert. Eingangs warfen Hirtz und Karsten Schmidt die Frage nach den Auswirkungen der jüngsten Ausführungen des BGH zu Beschlussmängelstreitigkeiten auf das GmbHRecht auf. Dies blieb letztlich offen, jedoch wies Goette in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in Publikumspersonengesellschaften üblicherweise gesellschaftsvertraglich ein Beschlussmängelrecht in Anlehnung an das Recht der Kapitalgesellschaften vereinbart werde. Bei Gesellschaften mit einem kleinen Gesellschafterkreis reiche regelmäßig das personengesellschaftsrechtliche Beschlussmängelrecht. Ausgangspunkt der Rechtsprechung zu den Nachschusspflichten im Personengesellschaftsrecht sei § 707 BGB, der für eine Nachschusspflicht die positive Zustimmung des Gesellschafters voraussetze. Eine antizipierte Zustimmung sei möglich. Bei den ergangenen Entscheidungen müsse beachtet werden, dass der Beschluss zwar wirksam, aber nicht bindend für den nicht zustimmenden Gesellschafter war. K. Schmidt bemerkte, der BGH differenziere nicht zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, und warf auch die Frage auf, ob nicht im Personengesellschaftsrecht – wie im Kapitalgesellschaftsrecht – Beschlussmängelklagen gegen die Gesellschaft statt gegen die Mitgesellschafter zugelassen werden sollten. Dolf Weber kritisierte an der auch für Freiberuflersozietäten geltenden Rechtsprechung zur Hinauskündigung, dass die vom BGH dort festgelegte 1 BGH, Urt. v. 15. 1. 2007 – II ZR 245/05 „Otto“, ZIP 2007, 475. 2 BGH, Urt. v. 5. 3. 2007 – II ZR 282/05, ZIP 2007, 766; Urt. v. 19. 3. 2007 – II ZR 73/06, ZIP 2007, 812; Urt. v. 21. 5. 2007 – II ZR 96/06, ZIP 2007, 1458. 3 BGH, Urt. v. 18. 9. 2006 – II ZR 137/04, ZIP 2006, 2316. 4 BGH, Urt. v. 19. 3. 2007 – II ZR 300/05, ZIP 2007, 862; Urt. v. 7. 5. 2007 – II ZR 281/05, ZIP 2007, 1309.

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Dreijahresfrist für die Praxis häufig zu kurz sei. Unter Umständen seien gravierende Abweichungen von dieser Frist erforderlich. Zum einen näherten sich bestimmte Freiberuflersozietäten in ihrer Organisation Kapitalgesellschaften an. Zum anderen lasse auch die mitunter erhebliche Größe bestimmter Freiberuflersozietäten eine Anlehnung an das Kapitalgesellschaftsrecht sachgerechter erscheinen. Man müsse die großen Unterschiede in der Organisation verschiedener Freiberuflersozietäten beachten. Goette entgegnete, es sei stets eine Einzelfallbetrachtung geboten. Wenn im Prozess sachliche Gründe dargelegt werden, könne vom grundsätzlichen Verbot der Hinauskündigung und von der Dreijahresfrist abgewichen werden. Die vom BGH festgesetzte Frist diene lediglich als „Richtschnur“ im Interesse der Rechtssicherheit. Raeschke-Kessler wies darauf hin, dass die Verträge internationaler Freiberuflersozietäten zunehmend englischem Recht unterlägen, auf das die vom BGH herausgearbeiteten Grundsätze keine Anwendung fänden. D. Weber ergänzte, solche Verträge sähen ohnehin regelmäßig Schiedsklauseln vor.

II. GmbH-Recht Im Zentrum der Diskussion zum GmbH-Recht stand das sog. „TRIHOTEL“Urteil5 des BGH zur Existenzvernichtungshaftung. Einige Teilnehmer kritisierten die dogmatische Anknüpfung der Existenzvernichtungshaftung an § 826 BGB. So bezeichnete K. Schmidt die dogmatische Anknüpfung als einen Rückschritt im Vergleich zu dem bisherigen Ansatz, gerade für das Innenhaftungsmodell. Das restriktive Element des „TRIHOTEL“Urteils sei nachzuvollziehen, doch sei die Hürde des § 826 BGB sehr hoch. Hollweg äußerte die Befürchtung, durch die Rechtsprechung würden die Anforderungen an eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB herabgesetzt und dies könne auf die übrigen Fallgruppen des § 826 BGB ausstrahlen. Lutter begrüßte das Konzept der Innenhaftung, sah aber ein Problem darin, dass der Kläger im Prozess Sittenwidrigkeit und Vorsatz nachweisen müsse. Priester vertrat den Standpunkt, die Haftung sei gesellschaftsrechtlich, nicht deliktsrechtlich anzuknüpfen. Außerdem warf er die Frage auf, ob die Rechtsprechung auch auf die englische Ltd. anwendbar sei.

5 BGH, Urt. v. 16. 7. 2007 – II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552.

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Goette erläuterte, Ausgangspunkt der Rechtsprechung seien die Kapitalschutzvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG. Als eine Alternative zur Anknüpfung an § 826 BGB wäre die allgemeine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in Betracht gekommen. Daran sei aber der notwendige Abstand zur Haftung aus Fahrlässigkeit problematisch. Der Senat habe die Ziele Rechtssicherheit, Praxistauglichkeit und Orientierung am gesetzlichen Grundmodell angestrebt. Die Haftung knüpfe gerade an die Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten an. Die Praxis müsse zeigen, ob in Konzernsituationen neben § 826 BGB auch eine Anwendung des Konzernrechts geboten sei. Mit § 826 BGB habe der BGH ein bewährtes Rechtsinstitut verwendet. Eine entsprechende Anwendbarkeit auf die englische Ltd. sei jedenfalls nicht grundsätzlich auszuschließen. Möglicherweise sei hier eine Vorlage an den EuGH angezeigt. Das Nachweisproblem solle nicht überschätzt werden. Schließlich ließen bestimmte Tatsachen den Schluss auf Vorsatz zu. Ein größeres Problem könne dagegen die Ermittlung des ersatzfähigen Schadens darstellen. Veil wies darauf hin, dass ein modernes Verständnis der Sittenwidrigkeit Platz greifen müsse, nämlich die Schutzfunktion zum Ausgleich von Rechtsschutzdefi ziten. Daher sei die Entscheidung des BGH dogmatisch abgesichert. D. Weber konstatierte einen sehr vorsichtigen Umgang der Instanzgerichte mit § 826 BGB und plädierte für eine häufigere Anwendung der Norm. Altmeppen führte aus, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 826 BGB komme man in die Nähe zur strafrechtlichen Untreue, da der Vorsatz sich auf die Schädigung beziehen müsse. Eine Verurteilung wegen Existenzvernichtungshaftung lege daher Untreue nahe. Wolff fragte, warum die Haftung wegen Vermögensvermischung Durchgriffshaftung bleiben solle und nicht ebenfalls nach § 826 BGB zu lösen sei. Weitergehend warf Reuter die Frage auf, warum man § 826 BGB nicht auch für sämtliche anderen Fallgruppen der bisherigen Durchgriffshaftung anwenden könne.

III. Aktienrecht Im Aktienrecht wurde die Rechtsprechung des BGH zu Beratungsverträgen mit Aufsichtsräten6 diskutiert. Semler bemerkte dazu, dass auch die 6 BGH, Urt. v. 20. 11. 2006 – II ZR 279/05, ZIP 2007, 22; Urt. v. 2. 4. 2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056.

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indirekte Beteiligung (über eine Sozietät) in den Anwendungsbereich der BGH-Rechtsprechung fallen müsse. In diesem Zusammenhang sei das Verbot der Vorbefassung nach § 45 BRAO zu beachten. Außerdem sei einer „intellektuellen Abhängigkeit“ von dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied vorzubeugen. Sozietäten müssten sich zwischen Beratung und Überwachung des Mandanten entscheiden. Es sei unzulässig, dass in einer Sozietät zugleich Beratung und Überwachung geleistet werde. Goette entgegnete, der Senat werde die Anregungen aufnehmen. Die Annahme einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit zwischen Beratung und Überwachung durch eine Sozietät sei jedoch nicht differenziert genug. Beratung und Überwachung seien nebeneinander möglich, wenn die Mandatsverhältnisse entsprechend gestaltet werden.

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Compliance – Praktische Erfahrungen und Thesen – Dr. Christoph E. Hauschka Rechtsanwalt, München I. Begriff und Bedeutung von Compliance . . . . . . . . . . .

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III. Entwicklung eines Compliance-Modells . . . . . . .

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II. Rechtspraktische Notwendigkeit von Compliance. . . . . .

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IV. Rechtsvergleichender Blick auf angelsächsische Standards . . . .

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V. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Begriff und Bedeutung von Compliance Die einfachste und griffigste Umschreibung von Compliance hat Uwe H. Schneider gegeben. Seine Defi nition (ich setze dies in Anführungszeichen) war im vergangenen Jahr auf praktisch allen Compliance-Veranstaltungen zu hören. Sie lautete, dass man den Umstand, dass die Unternehmen die Gesetze einhalten müssten, nunmehr Compliance nennen würde1. Nun gibt es zwar noch immer keine Legaldefinition, jedoch wurde im Juni dieses Jahres der Begriff Compliance in den Deutschen Corporate Governance Kodex an drei Stellen eingefügt2 . Dort heißt es nun in Ziff. 4.1.3: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance).“

An zwei weiteren Stellen des Corporate Governance Kodex ist der Begriff Compliance ebenfalls erwähnt3.

1 Diese „Binsenweisheit“ hat Uwe H. Schneider nun noch einmal angesprochen in Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, Konzern-Compliance als Aufgabe der Unternehmensleitung, ZIP 2007, 2061. 2 Einschließlich der Ausführungen von Cromme nachzulesen auf der Homepage des DCGK unter www.corporate-governance-code.de. 3 Auf die dort enthaltene Abgrenzung zwischen Risikomanagement (Ziff. 3.4 Abs. 2), Risikocontrolling (Ziff. 4.1.4) und Compliance (etwa in Ziff. 5.3.2) kann hier nur hingewiesen werden. Nach gängiger Auffassung befasst sich Compliance mit rechtlichen Risiken berührt, damit im weitesten Sinne auch Risikomanagement und Risikocontrolling.

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Hauschka – Compliance, Praktische Erfahrungen und Thesen

Bei der Vorstellung der Neufassung des Corporate Governance Kodex am 6. Juni 2007 hat Cromme hierzu einige erklärende Worte gesagt. Er hat ausgeführt, dass Compliance zuvorderst eine Vorstandsaufgabe sei. Der Vorstand habe darauf zu achten, dass Verstöße gegen geltendes Recht – Cromme nannte als Beispiele Korruption, Kartell- und Insiderrecht – unterblieben. Der Corporate Governance Kodex wolle den Vorständen bei der Einrichtung eines entsprechenden Compliance-Systems einen weiten unternehmerischen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum einräumen. Daher werde darauf verzichtet, von den Unternehmen die Einrichtung konkreter oder spezifischer Compliance-Systeme zu verlangen. Auch der Aufsichtsrat und der Prüfungsausschuss müssten sich, so Cromme, in der Regel nicht mit Einzelheiten eines Compliance-Programmes oder mit bestimmten Compliance-Vorfällen befassen. Bei Vorliegen konkreter Verstöße oder Verdachtsmomente könne dies vielleicht anders sein. Ganz allgemein wolle der Corporate Governance Kodex aber nur die vorgefundene Gesetzeslage beschreiben. Damit haben wir zumindest eine handhabbare Definition dessen, was man unter Compliance verstehen kann. Es gibt eine ganze Reihe von Versuchen, den Begriff auszuweiten oder andere Schwerpunkte zu setzen. Da ist zunächst eine weitere Definition4, die in Art. 45 der Richtlinie Solvabilität 2 der EU-Kommission vorgeschlagen wird, welche nunmehr im Entwurf vorliegt. Hiernach umfasst Compliance: „… zumindest Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren, einen internen Kontrollrahmen, angemessene Meldevereinbarungen auf allen Unternehmensebenen und eine Funktion der Überwachung der ständigen Einhaltung der Anforderungen („Compliance“).“

Dies knüpft möglicherweise an einen Gedanken an, der Banken und Versicherungen wohl bekannt ist, an die Idee einer Compliance-Funktion, die überwiegend im öffentlichen Interesse ausgeübt wird. Dies ist für die an Kategorien von Haftung und Haftungsvermeidung ausgerichteten Industrieunternehmen vielleicht zu Unrecht weitgehend Neuland, um nicht zu sagen eine fremde Begrifflichkeit. Dort steht jedenfalls der Schutz des Unternehmens, der Organe und Mitarbeiter sowie generell der Stakeholder vor Schäden und Haftung klar im Vordergrund.

4 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II/ KOM [2007] 361) v. 10. 7. 2007.

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Hauschka – Compliance, Praktische Erfahrungen und Thesen

Weiter heißt es in dem genannten Richtlinien-Entwurf: „Zur letztgenannten Funktion zählt auch die Beratung des Verwaltungs- oder Managementorgans betreffend die Einhaltung der … Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Sie umfasst ebenfalls eine Bewertung der möglichen Auswirkungen von Änderungen des Rechtsumfelds auf die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens sowie die Identifi zierung und Bewertung des Risikos der Einhaltung der rechtlichen Vorgaben („Compliance“).“

Hier sind nun doch einige nicht ganz unwesentliche Abweichungen vom Deutschen Corporate Governance Kodex festzustellen. Anders als dort ist das interne Kontrollsystem und das Risikomanagement-System des Unternehmens ein Teil der Compliance-Funktion. Darüber hinaus geht es nicht nur um bloße Einhaltung von normativen Vorgaben, sondern auch um die Beratung des Managements zur Erreichung dieses Ziels. Übereinstimmung besteht jedoch darin, dass es nicht nur um rechtmäßiges Handeln der Leitungsorgane im Sinne des Legalitätsprinzips geht, sondern auch darum, eine große Zahl von Mitarbeitern (u. U. in verschiedenen Ländern) anzuhalten, sich ebenfalls normenkonform zu verhalten. Eine andere Formulierung enthielt die sogenannte Compliance-Richtlinie5 zu § 33 WpHG. Danach waren Unternehmen verpflichtet: „eine ihrer Struktur und Geschäftstätigkeit entsprechende Aufbau- und Ablauforganisation sowie die laufende Überwachung zur ordnungsgemäßen Durchführung… zu gewährleisten (Compliance).“

Die Praxis, insbesondere die Verlautbarungen der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und der Unternehmensberatungen verwenden noch wesentlich umfassendere Defi nitionen. So wurde kürzlich von einer der Big-Four Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als Begriff Compliance vorgeschlagen: „Ganzheitliches Organisationsmodell mit Prozessen und Systemen, das die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen, interner Standards sowie die Erfüllung wesentlicher Ansprüche der Stakeholder sicherstellt. Compliance trägt dazu bei, die Beständigkeit des Geschäftsmodells, das Ansehen in der Öffentlichkeit und die fi nanzielle Situation eines Unternehmens zu verbessern6.“

Letzteres geht weit über den Ansatz der Cromme-Kommission hinaus, beschreibt aber wohl zutreffend die Intention, die sich mit Compliance in 5 Art. 2.1. der Richtlinie zur Konkretisierung der Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen gem. § 33 Abs. 1 WpHG v. 25. 10. 1999, Bundesanzeiger Nr. 210 v. 6. 11. 1999, S. 18453 (erlassen noch vom BAWe). 6 So die WP-Gesellschaft PriceWaterhouseCoopers in dem Beitrag „Was kostet Compliance“, www.compliancemagazin.de/fact-beiträge/Kosten/pwc271006.html.

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den Unternehmen verbindet, wenn dort zunehmend Compliance-Abteilungen begründet und Compliance-Beauftragte bestellt werden. Dass hierbei inzwischen auch Zielsetzungen wie Effi zienzsteigerung und Prozessoptimierung mit Compliance in Verbindung gebracht werden, mag man aus juristischer Sicht kritisch betrachten. Noch weitergehend ist das Verständnis des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht7: „Compliance laws, rules and standards have various sources, including primary legislation, rules and standards issued by legislators and supervisors, market conventins, applicable to the staff members of the bank. For the reasons mentioned above, these are likely to go beyond what is legally binding and embrace broader standards of integrity and ethical conduct.“

Hier sind nun auch Integrität und Ethik einbezogen, ich komme hierauf zurück. Eine Emnid-Umfrage im Jahr 2007 hat jedenfalls ergeben, dass alle befragten DAX 30-Unternehmen und 95 % der befragten Unternehmen aus anderen Börsensegmenten antworteten, es gäbe in ihrem Unternehmen ein Compliance-Management8. Danach verfügte die Mehrheit der DAX 30-Unternehmen über eine separate Compliance-Abteilung, während die übrigen Unternehmen die Rechtsabteilung oder die interne Revision zumeist hiermit betrauten. Die Banken und Versicherungen rechnen inzwischen mit etwa 1 % ihrer gesamten Beschäftigten in der ComplianceFunktion. Zwei Dinge sollten damit bereits von Beginn an deutlich geworden sein: Compliance ist mehr als das althergebrachte Legalitätsprinzip des Vorstandes oder Geschäftsführers. Und Compliance ist eine Querschnittsaufgabe über alle Rechtsgebiete hinweg, welche die Praxis für mehr als nur eine vorübergehende Zeit beschäftigen wird.

7 Basel Committee on Banking Supervision, Compliance and the Compliance Function in Banks, April 2005, Introduction (5). 8 Melcher/Mattheus, Compliance-Management in Deutschland: Ergebnisse einer Emnid-Umfrage, Der Aufsichtsrat 2007, 122.

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II. Rechtspraktische Notwendigkeit von Compliance Dabei gibt es eine Reihe von guten Gründen, warum sich Unternehmen entsprechend verhalten und organisieren. Zu diesen Gründen gehören (ich kann dies hier nur beispielhaft auflisten): – die generelle Kriminalisierung unseres Wirtschaftsrechts, wie sie sich etwa in der regelmäßigen Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Aufsichtspflichtverletzungen manifestiert, wenn „aus dem Betrieb heraus“ Straftaten, etwa Kartellverstöße oder Korruptionsdelikte begangen werden9, bis hin zu einer „strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung“10; – die damit verbundene, weit verbreitete Praxis der Bruttowertabschöpfung11, welche unsere öffentlichen Kassen nicht ganz unmaßgeblich mit finanziert; – damit verbunden die rigorose Verhängung von Haft und U-Haft auch gegen Organmitglieder, wie es sie in vergangenen Jahrzehnten entweder nicht gegeben hat oder wie sie zumindest nicht bekannt geworden ist. Auf der zivilrechtlichen Seiten kommen hinzu: – der weitgehende Zwang der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen Organmitglieder, auch durch den Aufsichtsrat12; – die zunehmende Aufmerksamkeit von Wettbewerbern, Kunden, Anteilseignern und Mitarbeitern; – und das generelle Streben nach Vermarktung von Schadenersatzansprüchen, wie das im Kartellrecht mittlerweile sehr aggressiv betrieben wird13. Im Übrigen spielt die Globalisierung ihre Rolle, es werden nationale und internationale Vergabesperren über die Grenzen hinweg durchgesetzt und internationale Investoren durch globale Medien beeinflusst. 9 §§ 130, 30 OWiG. 10 Dazu Gebauer/Kleinert, in: Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 2007, S. 533 ff. 11 Dazu Wilhelm Schmidt, Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006. 12 Vor allem durch die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH, BGHZ 135, 244; dazu zuletzt Hauschka, Vom juristischen Balanceakt „Zivilprozeß gegen den (Ex-)Vorstand“, Der Aufsichtsrat 2007, 124. 13 Etwa durch die belgische „Cartel Damages S. A.“, die auch in Deutschland Sammelklagen organisiert.

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Nehmen Sie wiederum das Beispiel des Kartellrechts. Hier kann die EUKommission mittlerweile Bußgelder gegen Einzelpersonen und Unternehmen von bis zur 10 % des weltweiten Konzernumsatzes verhängen14. Das ist eine signifikant andere Zahl als die einigen 100 000 DM, die wir vom Bundeskartellamt aus früheren Zeiten kannten. Wir haben uns mittlerweile an dreistellige Millionenbeträge gewöhnt, zuletzt waren es bei ThyssenKrupp 480 Mio. Euro. Solche Beträge schlagen selbstverständlich bis in die Konzernspitze durch, die oftmals auch dafür verantwortlich gemacht wird, wenn Mitarbeiter in nachgeschalteten Unternehmen die Urheber der Verstöße waren. Wenn das Kartellrecht die Grenzen der juristischen Person ignoriert, müssen andere Rechtsgebiete reagieren, weil auch die Schäden auf die Konzernobergesellschaften durchschlagen. Sind erst einmal Bußgelder wegen Aufsichtspflichtverletzung gegen die Vorstände selbst verhängt, ist die Forderung der Aufsichtsräte nach Schadensersatz nur eine logische Folge. Wenn entsprechende Vorfälle sich wiederholen, wird auch die D&O Versicherung den Versuch unternehmen, eine Deckung zu verweigern, weil grob fahrlässig gehandelt worden sei, abgesehen davon, dass etwa Kartelldelikte ohnehin meist nicht von der Deckung umfasst sind. Dies mag andeuten, aus welcher Motivation heraus die Unternehmen so nachhaltig nach Compliance streben. Die Diskussion um Compliance ist also überwiegend haftungsgetrieben, von der Leitungsebene angestoßen und durch konkrete Anlässe bedingt: Die Situation in den Unternehmen, die bereits „ein Problem hatten“, ist eine grundlegend andere als dort, wo dies noch nicht der Fall war. Nun gibt es viele einschlägige Risikobereiche in den Unternehmen. Die rechtlichen Risiken sind dabei je nach Unternehmen zwangsläufig verschieden. Sie reichen von Korruptionsbekämpfung, Konzernrecht, Arbeitsstrafrecht, IT-Sicherheit, Kapitalmarktrecht, Produkthaftung, Umweltrecht, Geldwäsche oder Außenwirtschaftsrecht. Das ist eine beliebig verlängerbare Liste, die Bundesregierung hat kürzlich eine Datenbank ins Internet gestellt, welche allein 10 941 unternehmerische Informationspflichten listet15, die man selbstverständlich alle „non-compliant“ verletzen kann. Dabei sind die Schwerpunkte verschieden gesetzt. Im Schwerpunkt des Interesses der Banken stehen derzeit beispielsweise Geldwäsche und Politi14 Einzelheiten beispielsweise bei Kapp, Kartellrecht in der Unternehmenspraxis, 2005, S. 217 ff. 15 www.bundesregierung.de/informationspflichten.

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cally Exposed Persons. Ein Bauunternehmen wird sich mit Arbeitnehmerüberlassung, Umweltrecht und den rechtlichen Folgen des Einsatzes osteuropäischer Nachunternehmer befassen. Korruption, Kartellrecht und das Recht der IT-Sicherheit – wieder nur als Beispiele – werden in den meisten Unternehmen ein Thema sein.

III. Entwicklung eines Compliance-Modells Wenn man nun die Einzelheiten der Bemühungen der Unternehmen vor allem rechtsvergleichend ansieht16, kommt man insgesamt auf fünf wesentliche Merkmale eines Compliance-Modells. Jedes Streben nach Compliance in den Unternehmen fokussiert sich um die Begriffe Risikoanalyse, Commitment, Organisation, Kommunikation und Dokumentation. Im Einzelnen: Zunächst benötigt jedes Unternehmen Mechanismen, um seine spezifischen rechtliche Risiken zu erkennen. Das ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Vieles hat dabei mit Information und Informationsdefi ziten im Unternehmen zu tun17. Da gibt es den Vorstand, der seiner Werksfeuerwehr die Anschaffung eines neuen Feuerwehrfahrzeuges verweigert, schließlich sei ein solches Fahrzeug vorhanden. Das war auch richtig, doch war glücklicherweise ein aufmerksamer Compliance Manager am Werk, der den Dingen weiter nachging. Er stellte fest, dass im Werk mit neuen Kunststoffen gearbeitet wurde, die mit Wasser – und damit mit dem alten Feuerwehrfahrzeug – nicht mehr löschbar waren. Er stellte weiter fest, dass in den weitläufigen Werksanlagen der Produktion regelmäßig irgendwo kleinste Brände auftraten, wenn auch bislang ohne gravierende Folgen. Schließlich bemerkte er, dass bei der bestehenden Situation aufgrund des existierenden Versicherungsvertrages keine Deckung mehr bestand. All dies war dem Vorstand nicht gesagt worden, weil kein „Ruhmesblatt“ für die Antragsteller. Er war damit auch nicht umfassend informiert im Sinne der Business Judgment Rule. Und er wäre bei einem entsprechenden Vorfall voraussichtlich in der Haftung gewesen. Oder nehmen Sie die beiden Geschäftsführer, die kürzlich vor Gericht standen, als das Unternehmen aus verschiedenen Ländern Asiens zwei 16 Dazu gibt es bislang leider noch kaum Literatur, nur kurz und in Stichworten Hauschka, in: Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, 2007, S. 19 ff. 17 Dazu Buck-Heeb, in: Hauschka (Fn. 16), S. 27 ff.

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Briefe erhalten hatten, die vor Gefahren in der Produktion warnten. Zwei verschiedene Sachbearbeiter in zwei verschiedenen Abteilungen behandelten die Vorgänge und hefteten die Schreiben dort ab, weil sie das Problem für technisch unwahrscheinlich hielten. Sie hatten keine Kenntnis von dem jeweils anderen Vorgang, auch die Geschäftsleitung wurde nicht informiert. Als sich dann das Problem in Deutschland ein drittes Mal realisierte, kam ein junger Mann zu Tode. Die beiden Geschäftsführer standen wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Sie hatten ihr Reklamationsmanagement nicht hinreichend organisiert. Sie sehen, die Gefahrerkennung bei rechtlichen Risiken kann schwierig sein18. Dies gilt erst in besonderem Maße, wenn Sie das internationale Umfeld betrachten. Hier ist schon sehr fraglich, welche Informationen und damit Möglichkeiten der Risikoerkennung sich eine deutsche Muttergesellschaft über ihre weltweiten Aktivitäten verschaffen muss. Sehr viele deutsche Unternehmen haben Gesellschaften in schwierigen Ländern akquiriert. Wenn man beispielsweise die Liste der „Hochkorruptionsländer“, wie sie Transparency International jährlich herausgibt19, mit den Tätigkeitsländern deutscher Industrieunternehmen vergleicht, ergeben sich oftmals frappierende Überschneidungen. Muss nun der Vorstand der deutschen Muttergesellschaft im Detail der Frage nachgehen, warum seine Tochtergesellschaft in Kasachstan oder in Venezuela20 so profitabel ist? Was muss er dazu unternehmen, bis zu welchem Grade? Oder kann er sich auf die Due Diligence beim Erwerb verlassen? Welche Fragen müssen bei dieser Due Diligence im Hinblick auf Compliance gestellt werden? Muss die Leitung nicht zumindest Anstrengungen zur Schulung der dortigen Mitarbeiter unternehmen, über alle Grenzen hinweg? Es gibt immer noch Länder, in denen Kartellabsprachen nicht verboten sind. Ein deutscher Konzernvorstand wird kaum davon ausgehen können, dass in diesen Ländern bekannt ist, dass Kartellabsprachen immer dann Folgen haben können, wenn sie sich im Mutterland Deutschland oder in Europa „auswirken“21. Was also muss geschehen? Oder nehmen Sie das Beispiel der deutschen Großbank, die eben eine 10 %-Beteiligung an einer Bank in Vietnam erworben hat. Was wäre denn, wenn sich herausstellte, dass deutsche Rechtsvorstellungen etwa im Be18 Im Einzelnen zu diesem Fall Hauschka/Klindt, Eine Rechtspflicht zur Compliance im Reklamationsmanagement, NJW 2007, 2726. 19 www.transparency.de. 20 Beliebig herausgegriffene Beispiele, Platz 150 und 162 auf der bis Platz 179 (Somalia) reichenden Länderliste 2007. 21 Zum Auswirkungsprinzip nach deutschem Recht vgl. § 130 Abs. 2 GWB.

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reich der Geldwäsche dort nicht realisierbar sind? Hätte man überhaupt 10 % erwerben dürfen, wenn dies nach dortigem Gesellschaftsrecht nicht ausreicht, um die Compliance-Anforderungen des Mutterhauses gegen die Mehrheit der lokalen Mitgesellschafter durchzusetzen? Hier kommen Sie in sehr weit reichende Fragestellungen hinein, vor allem dann, wenn Sie noch ethische Probleme internationaler Produktion wie etwa Sklavenarbeit, Kinderarbeit oder menschenrechtsverletzende Produktionsbedingungen in Schwellenländern hinzunehmen. Hier fällt schwer zu glauben, die deutsche Muttergesellschaft könne sich darauf zurückziehen, die Tochtergesellschaft sei eine selbständige juristische Person und man habe die entsprechenden Risiken nicht in Erfahrung bringen müssen. Im Übrigen wird es zu bestandsgefährdenden Risiken im Sinne von § 91 Abs. 2 AktG für die Muttergesellschaft in Deutschland kommen können, wenn in der deutschen Presse erscheint, unter welchen Bedingungen etwa die Tochtergesellschaft in Ostasien produziert. Nur: Soll es für die Pflichten der Leitungsorgane wirklich darauf ankommen, ob dies in Deutschland in der Presse erscheint? Macht es einen Unterschied, wenn die Produktionsbedingungen nach dortigem Recht als legal angesehen werden?22 Neben der Risikoerkennung ist das zweite wesentliche Element jeder Compliance-Organisation das so genannte Commitment. Mit Commitment bezeichnet man allgemein die Verpflichtung und Bindung, sich uneingeschränkt einer Sache verpflichtet zu fühlen, bestimmte Dinge im Unternehmen nicht mehr dulden zu wollen. Dabei hat sich für entsprechende Verlautbarungen (meist) der Vorstandsvorsitzenden der Begriff „Mission Statement“ eingebürgert. Es besteht unter Praktikern weitgehende Einigkeit, dass mit der Glaubwürdigkeit eines solchen Mission Statement jede Compliance im Unternehmen steht und fällt. Ist ein Mitglied der Geschäftsleitung folglich zur Abgabe einer solchen Erklärung verpflichtet (oder erst dann, wenn sich Vorfälle ereignet haben)? Wenn man als Praktiker das Commitment der Leitung kritisch hinterfragt, stößt man nicht selten auf ein Problem, das indirekt mit der Altersstruktur der Vorstandsmitglieder zusammenhängt. Da gibt es junge „Newcomer“ im Vorstand, die auf rückhaltlose Aufklärung dringen. Dann gibt es ältere Vorstandsvorsitzende, die nicht von der Position abzubringen sind, sie sollten so wenig wie möglich über Details wissen, dann seien Ih-

22 Zu den Fragen der Compliance im Konzern Fleischer, Corporate Compliance im aktienrechtlichen Unternehmensverbund, Corporate Compliance Zeitschrift (CCZ) 2008, 1.

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nen diese nicht vorzuhalten23. Nun genügt oft ein Anruf des Vorstandsvorsitzenden beim Aufsichtsratsvorsitzenden, man habe das Vertrauen in den jungen Vorstandskollegen verloren, und dieser hat ein ernstes Problem. Sie werden nachvollziehen, dass einige dieser jungen Vorstände unruhige Zeiten durchmachen. Damit bin ich auch bei dem dritten Baustein von Compliance, den Veränderungen der Organisation im Unternehmen selbst. Dazu gehören beispielsweise die Einrichtung einer Compliance-Abteilung, die Bestellung von Compliance-Beauftragten, die Einrichtung von Hotlines, die Bestellung von Ombudsleuten, die Abfassung von Ethik-Richtlinien oder die Bestellung bestimmter externer Berater für bestimmte Aufgaben. Hier klingt in der Literatur gelegentlich an, dass alle Unternehmen entsprechende Verpflichtungen zu all diesen und möglicherweise noch weitergehenden Präventionsmaßnahmen hätten. Dies geht an der Praxis vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen, zumindest im Augenblick noch sehr weitgehend vorbei. Ich bin mir nicht sicher, ob wir deshalb davon ausgehen müssen, in einem Land der Rechtsverletzer zu leben. Die weiteren Elemente Kommunikation und Dokumentation kann ich nur kurz streifen. Wenn Sie davon ausgehen, dass ein über Grundkenntnisse hinausgehendes Rechtswissen im Unternehmen nicht „automatisch vorhanden“ ist, dann wird es (beispielsweise in den Auslandsunternehmen einer weltweit operierenden Organisation) erst einmal vermittelt werden müssen. Die Versendung von Richtlinien der Muttergesellschaft in alle Welt ist weithin wirkungslos24. Damit muss geschult, hinterfragt und dokumentiert werden. Dies setzt schon bei einigen 10 000 Mitarbeitern Systeme wie E-Learning voraus, ansonsten muss eine Compliance-Abteilung auf Jahre hinaus weltweit reisen und schulen. Auch hier stellt sich die Frage, welche Pflichten zur Kommunikation für Unternehmen und Leitung bestehen. Einen ganz anderen Compliance-Aspekt der Kommunikation, in diesem Fall gegenüber Investoren, beleuchtet der kürzlich veröffentlichte Börsenprospekt der Centrotherm Photovoltaics AG25. Dort ist unter der Rubrik „Risiken“ zu lesen, dass der Solaranlagenhersteller kein ausreichendes Compliance- und Überwachungssystem besitze, um Gesetzesverletzungen zu verhindern und aufzudecken. Laut Börsenprospekt bedient sich das 23 Dafür gibt es in der US-Terminologie den Begriff der „willful blindness“. 24 Das umschreiben die staatsanwaltlichen Ermittler gerne mit der Floskel „gelesen, gelacht, gelocht“. 25 www.centrotherm.de.

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Unternehmen in Südostasien und im arabischen Raum Vermittlern, über deren Aktivitäten das Unternehmen keine Kenntnis hätte. Dafür habe das Unternehmen in 2006 8,1 Mio. Euro, damit 7,5 % des Umsatzes gezahlt. Nach Materialkosten sei dies der zweithöchste Kostenfaktor gewesen. Vielleicht interessieren sich dafür auch andere Personen als die Kapitalanleger. Bei dem letzten Punkt, der Dokumentation, sind die Dinge verhältnismäßig einfach. Die Beweislastverteilung zu Lasten der Organe ist ungünstig26. Man wird im eigenem Interesse der Verantwortlichen eine sehr umfassende Dokumentation erwarten können, die in den Unternehmen derzeit alles andere als Realität ist. Abschließend stellt sich für alle fünf Elemente einer Compliance-Organisation die Frage, ob man dies wirklich im vollständigen Umfang allen Unternehmen als Rechtspflicht auferlegen will. Ich habe hier einmal einen dreistufigen Ansatz vorgeschlagen, der in der ersten Stufe, dem so genannten unternehmerischen Normalfall, nur Information und Klarstellung verlangt27. Bei besonders großen Unternehmen und risikobehaftetem Geschäftsgegenstand, besonderen Gefahren und Schadensneigung bedarf es der Zuordnung von Verantwortung an hierfür bestellte Beauftragte. Auf einer dritten Stufe, wenn konkrete Verdachtsmomente oder bereits vorliegende Erfahrungen mit Rechtsverstößen existieren, ist eine ComplianceOrganisation zu schaffen. Soweit ich sehe, hat sich dieses Modell noch nicht durchgesetzt, wir werden sehen, was die Gerichte eines Tages dazu sagen. Dem gegenüber sekundär erscheint mir die Frage, wie die Aufgaben in den Unternehmen nach einzelnen Abteilungen verteilt werden. Die Rechtsprechung hat gelegentlich die Existenz einer Revisionsabteilung verlangt. Ich halte dies für zu eng. Meines Erachtens kommt es darauf an, dass die wesentlichen, vorhandenen Rechtsrisiken erkannt und eine Organisation bereitgehalten wird, um sie zu bewältigen. Ob dies dann das Vorstandsreferat, die Rechtsabteilung, die Revision, das Controlling, das Risikomanagement, die Personalabteilung oder ein spezieller Beauftragter macht, hängt eben von den Risiken ab. Wenn eine Sparkasse vorwiegend mit Geldwäscherisiken zu tun hat, wäre es nicht sinnvoll, diese allein durch 26 Statt vieler Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 3. Aufl. 2003, S. 199 ff. 27 Hauschka, in: Hauschka (Fn. 16), S. 17; Hauschka, Compliance am Beispiel der Korruptionsbekämpfung – Eine Erwiderung aus der Praxis auf Uwe H. Schneiders Vorschläge, ZIP 2004, 877.

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die Revisionsabteilung nachträglich prüfen zu lassen. Da muss es eben schon kraft Gesetzes einen Geldwäschebeauftragten geben, der den jeweiligen Geschäften vorgeschaltet ist. Bei Korruptionsrisiken wird ein präventiv tätiges Controlling ebenfalls effi zienter sein als die traditionelle deutsche Revision. Aber dies ist, wie gesagt, in meinem Dafürhalten eine eher sekundäre Frage.

IV. Rechtsvergleichender Blick auf angelsächsische Standards Wenn man nun einmal ins Ausland sieht, wird man feststellen, dass sich eine Reihe von Ländern schon länger mit Compliance befassen als wir. Das gilt insbesondere für angelsächsische Länder, etwa für England, die USA und Australien. England hat Compliance-Richtlinien im Rahmen seines Wettbewerbsrechts. Die USA berücksichtigen Compliance im Rahmen der Strafzumessung in den Federal Sentencing Guidelines. In Australien gibt es ein Compliance-Regelwerk in einer Form, wie man sie bei uns DIN-Norm nennen würde. Letzteres ist ein sehr praktisches Werk, dessen Lektüre ich empfehle28.

V. Thesen 1. Selbstverständlich haben die Geschäftsleitungsorgane aller Gesellschaften im Rahmen ihrer Leitungspflicht und Leitungskompetenz dafür zu sorgen, dass geltendes Recht und interne Richtlinien eingehalten werden. Dies gilt ebenso selbstverständlich gleichermaßen für in- und ausländisches Recht. 2. Weil die Leitungsorgane nicht davon ausgehen können und dürfen, dass sich der Zustand der Rechtskonformität im Unternehmen überall und ganz von allein einstellt, schulden sie der Gesellschaft die Befassung mit dem Thema Compliance. 3. Das Ausmaß dieser Verpflichtung hängt davon ab, welche Schäden dem Unternehmen durch mögliche Compliance-Verstöße entstehen können.

28 Zum internationalen Vergleich gibt es leider noch kaum deutsche Literatur, nur kurz und in Stichworten Hauschka, in: Hauschka (Fn. 16), S. 19 ff.

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4. Jedes Modell einer Compliance-Organisation zentriert sich um die Begriffe Risikoanalyse, Commitment, Organisation, Kommunikation und Dokumentation. 5. Alle Rechtsrisiken, die aus vorhersehbaren Compliance-Verstößen im Unternehmen resultieren können, sind nach Art und Umfang festzustellen. Nur zutreffend erkannte und quantifi zierte Rechtsrisiken sind für ein Unternehmen beherrschbar. 6. Die Unternehmensleitung schuldet der Gesellschaft ein klares und nach außen hin unmissverständlich kommuniziertes Commitment, im Unternehmen keine Rechtsverstöße zu tolerieren, die dem Unternehmen in welcher Form auch immer Schaden zufügen können. 7. Zur Realisierung dieses Zieles hat die Unternehmensleitung das notwendige Rechtswissen an alle Mitarbeiter zu vermitteln, wo dies nicht als vorhanden vorausgesetzt werden kann. 8. Zur Risikoverringerung können auch organisatorische Maßnahmen wie die Einrichtung einer Compliance-Abteilung, eine Hotline, die Bestellung von Ombudsleuten und andere Maßnahmen erforderlich sein. Als Maßstab für die Erforderlichkeit ist der als Folge eines Compliance-Verstoßes möglicherweise dem Unternehmen entstehende Schaden heranzuziehen. 9. Es ist auch die Rechtmäßigkeit des Handelns der selbstständigen Tochtergesellschaft im In- und Ausland zu gewährleisten. Hierzu sind geeignete Überprüfungsmaßnahmen durchzuführen. Ist Compliance in einer ausländischen Tochtergesellschaft nicht durchsetzbar und droht der Muttergesellschaft hierdurch ein erheblicher Schaden, muss die Muttergesellschaft geeignete Maßnahmen zur Abwendung ergreifen. 10. Ein Einschreiten des Gesetzgebers scheint nach derzeitigem Stand zur Verbesserung der Compliance-Situation weder geboten noch hilfreich. Etwas anderes mag gelten, wenn außerrechtliche, ethisch geprägte Ziele zum Gegenstand von Compliance-Überlegungen gemacht werden.

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Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – Prof. Dr. Gregor Bachmann Universität Trier I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtspfl icht zur Einrichtung einer ComplianceOrganisation? . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . a) Relativität der Compliance-Pfl icht. . . . b) Normspezifische Compliance-Pfl ichten. . . . . . aa) Vertraglich geschuldete Compliance. . . . . . . bb) Compliance-relevante Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . cc) Aktienrechtliche Compliance-Vorgaben . . . . . . . . . . . dd) Rechtsfortbildung und Verrechtlichung . . . . . . . . . . . c) Das sog. Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . d) Die Zumutbarkeitsgrenze . . . . . . . . . . . . . . e) Fazit: Zwei Compliance-Perspektiven . . .

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III. Inhalt einer Compliance-Organisationspfl icht . . . . . . . . . . . . 80 1. Hergebrachte Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Moderne Maßnahmen . . . 81

IV. Rechtsfolgen bei mangelhafter Compliance-Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftungsrisiken . . . . . . . a) Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . b) Compliance als safe harbour? . . . . . . . aa) Hergebrachte Entlastungsregeln . . . bb) Beweislastumkehr? . . . . . . . . . . cc) Business Judgement Rule? . dd) Strafbonus? . . . . . 2. Wissenszurechnung . . . . 3. Sonstige Rechtsfolgen . . .

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V. Sonderfragen . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . a) Schranken der Compliance . . . . . . . . b) Umsetzung von Compliance . . . . . . . . c) Anreize für Compliance . . . . . . . . 2. Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . 4. Konzern . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausland . . . . . . . . . . . . . . a) Direktgeschäft . . . . . . b) Konzerntochter . . . . .

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VI. Rechtspolitischer Ausblick . . . .

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VII. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

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I. Einleitung Als wir vor einem Jahr über die Rolle des Insolvenzverwalters diskutierten1, merkte Karsten Schmidt an, dieser müsse im Grunde genommen ein „juristischer Supermann“ sein, werde von ihm doch nicht nur die Beherrschung des Insolvenzrechts, sondern auch die des Gesellschafts-, Prozess-, Arbeits-, Bilanzrechts etc. verlangt. Um wie viel mehr muss dies für den Compliance-Officer gelten, der nicht nur über umfassende Rechtskenntnisse zu verfügen hat, sondern – so das „Manager Magazin“ – auch noch die Qualitäten eines Detektivs, Managers und Seelsorgers in sich zu vereinen habe2 . Da der Verfasser diese „Supermann“-Eigenschaften nur begrenzt aufzuweisen hat, wird sich der nachfolgende Beitrag auf die rechtlichen Aspekte der Compliance-Problematik beschränken. Mit Blick auf die Zeit ist dabei eine weitere Einschränkung vonnöten: Von vornherein ausgeklammert lasse ich die Einzelfragen der Compliance-Organisation in speziellen Branchen, namentlich dem Wertpapier- und Kreditgewerbe. Sie sind in minutiösen Regelwerken niedergelegt, in langjähriger Praxis erprobt und oft genug dargestellt worden3; ihr Referat ist nicht Gegenstand der heutigen Tagung. Konzentrieren möchte ich mich vielmehr darauf, ob auch außerhalb des Bankensektors eine Rechtspflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation besteht und welche Folgen die Vernachlässigung einer solchen Pflicht gegebenenfalls nach sich zieht. Aus Zeitgründen nur zu streifen, in ihrer praktischen Bedeutung aber nicht zu unterschätzen sind die anschließenden Fragen, wie sich Compliance aus arbeitsrechtlicher Sicht darstellt, ob die Compliance-Organisation auch Personengesellschaften und Unternehmensverbindungen betrifft und inwiefern dabei die Einhaltung ausländischer Rechtsnormen zu garantieren ist. Zum Inhalt von Compli1 Die einschlägigen Referate von Hirte und Rattunde nebst dem Diskussionsbericht von Lambrecht sind abgedruckt in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006, 2007, S. 147–212. 2 Endres/Werle, Im Auftrag des Herrn, Manager Magazin 10/2007, 159, 160. 3 Vgl. aus der umfassenden Spezialliteratur nur Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 16.656–750; Gebauer, in: Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, 2007, § 31; ders./Kleiner, in: Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 2007, § 19; Bauer/Brinkmann/Meierhöfer/Schäfer, Compliance in der Kreditwirtschaft, 2004; Grohnert, Rechtliche Grundlagen einer Compliance-Organisation und ausgewählte Fragen der Umsetzung, 1999; Lösler, Compliance im Wertpapierkonzern, 2003; ders., NZG 2005, 104; zu den MiFiDNeuerungen Spindler/Kasten, AG 2006, 785. S. ferner die Nachweise unter www. jura.uni-augsburg.de/de/prof/moellers/materialien/6_Compliance.

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ance-Programmen werde ich nur kurz Stellung nehmen; hierzu hat Herr Dr. Hauschka schon das Nötige gesagt.

II. Rechtspflicht zur Einrichtung einer ComplianceOrganisation? 1. Meinungsstand In der Literatur sind die Ansichten darüber geteilt, ob es eine allgemeine, d. h. branchenunabhängige Rechtspflicht gibt, eine Compliance-Organisation einzurichten4. Während eine nicht unbeträchtliche Zahl von Autoren die Frage zumindest mit Blick auf die Aktiengesellschaft bejaht5, wird sie von anderen eher verneint6, während wieder andere sie offen lassen7. Für ein Offenlassen spricht der Umstand, dass es ungeachtet des Bestehens einer Rechtspflicht ein schlichtes Gebot der Vernunft ist, für die Einhaltung zumindest solcher Rechtsnormen Sorge zu tragen, deren Verletzung nachteilige Folgen für das Unternehmen hat8. Dennoch darf die Frage nicht un4 Zur Terminologie: Zu unterscheiden ist die Compliance-Pfl icht (im engeren Sinne der Pfl icht zur Beachtung rechtlicher Gebote) von der Pfl icht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation. Während erstere selbstverständlich ist (s. unten II.2.c.), ist letztere streitig. Der sprachlichen Einfachheit halber wird nachfolgend auch letztere nur als „Compliance-Pflicht“ bezeichnet. 5 Besonders deutlich Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645, 648: „Die Verpflichtung zur Einrichtung einer Compliance-Organisation besteht … für alle Unternehmen. Und sie erstreckt sich auf alle gesetzlichen Verpfl ichtungen“; s. auch schon ders., ZGR 1996, 224, 230; ders., DB 1993, 1909, 1911; zust. Lösler, WM 2007, 676, 681 (andere Akzentuierung aber noch bei dems. [Fn. 3], S. 161); für den AG-Vorstand Bürkle, BB 2005, 565, 568 f.; ders., BB 2007, 1797, 1798; für das Schweizer Recht Buff, Compliance, Diss. Zürich 2000, Rn. 19, 111, 124; relativierend Kiethe, GmbHR 2007, 393, 397 („wenigstens bei Erreichen eines gewissen Risikogrades“); Fleischer, in: Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts (HbVorstR), 2006, § 7 Rn. 42 u. § 8 Rn. 43; ders., AG 2003, 291, 299; ders., in: Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, 2007, § 91 Rn. 43 („bei entsprechendem Gefahrenpotential“); Spindler, in: MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008 (im Erscheinen), § 91 Rn. 36. 6 Bachmann/Prüfer, ZRP 2005, 109, 111; Hauschka, in: Hauschka (Fn. 3), § 1 Rn. 23; ders., ZIP 2004, 877, 878; ders./Klindt, NJW 2007, 2726, 2728; Sieg/Zeidler, in: Hauschka (Fn. 3), § 3 Rn. 24; Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Aufl. 2005, Rn. 624; im Ausgangspunkt auch Sven H. Schneider, Informationspflichten und Informationssystemeinrichtungspfl ichten im Aktienkonzern, 2006, S. 274. 7 Rodewald/Unger, BB 2006, 113, 117; Lampert, in: Hauschka (Fn. 3), § 9 Rn. 1; mit Blick auf den AG-Vorstand auch Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 292. 8 Von einer „faktischen“ bzw. „praktischen“ Pfl icht sprechen daher K. Wolf, DStR 2006, 1995; Kiethe, GmbHR 2007, 393, 400; Rodewald/Unger, BB 2007, 1629.

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beantwortet bleiben. Spätestens bei den Detailfragen – etwa nach den Rechtsfolgen versäumter Compliance – muss man sich Gewissheit über den normativen Hintergrund verschaffen, will man zu seriösen Antworten imstande sein.

2. Stellungnahme a) Relativität der Compliance-Pflicht Betrachtet man jüngste Publikationen, wird ein Zusammenrücken der Positionen erkennbar. So gestehen die Befürworter einer allgemeinen Compliance-Pflicht ein, dass „nicht das gesamte Unternehmen wahllos mit einem dichten Compliance-Netz überzogen werden“ muss9. Umgekehrt geben die Kritiker zu, dass „ein Grundstock bzw. ein Minimum an Prävention in allen Unternehmen rechtlich erforderlich“ sei10. Ein Unterschied besteht danach nur darin, dass nach letzterer Sicht auch eine Reduktion der Compliance-Pflicht auf Null begründbar ist. In der Tat ist nicht einzusehen, warum jeder Kleingewerbetreibende zur Bestellung eines Compliance Officers o. Ä. verpflichtet sein sollte. Doch auch Befürworter einer allgemeinen Compliance-Pflicht sinnen ihm das nicht ernsthaft an11. In der Sache geht es also weniger um das (überwiegend und zu Recht bejahte) Bestehen einer Compliance-Pflicht, als um die (überwiegend und zu Recht verneinte) Frage, ob diese zwingend dem Muster der §§ 25a KWG, 33 WpHG zu folgen hat. Richtig ist daher, dass Compliance-Pflichten – ungeachtet ihrer noch zu betrachtenden Rechtsgrundlagen – zum Fundus der Organisationspflichten gehören, jedoch relativer Natur sind12 . Das bedeutet, dass sie nur dann und in dem Maße akut werden, wenn und soweit das betreffende Unternehmen eine bestimmte „Risikoklasse“ erreicht. In der Compliance-Debatte fällt das bisweilen unter den Tisch, weil diese auf große (i. e. börsennotierte) Aktiengesellschaften und die Vermeidung krimineller Taten (Korruption) fi xiert ist. Diese Perspektivenverengung darf aber nicht das nuancierte Bild der Compliance-Pflichten verzerren.

9 Bürkle, BB 2007, 1797, 1798. 10 Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 166. 11 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061: Anforderungen nicht überziehen; dies., GmbHR 2005, 1229, 1231: Besondere Compliance-Organisation (nur?) bei größeren Unternehmen geboten. 12 So die passende Begriffswahl bei Scharpf, Corporate Governance, Compliance und Chinese Walls, 2000, S. 202.

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b) Normspezifische Compliance-Pflichten Unstreitig fordern bestimmte Rechtsnormen Unternehmen und/oder deren Leiter auf, durch organisatorische Vorkehrung die Einhaltung von Rechtsvorschriften sicherzustellen. Dahinter mag man einen allgemeinen Rechtsgedanken erblicken13. Eine allgemeine, sich auf alle Unternehmen und alle Rechtsvorschriften beziehende Pflicht lässt sich daraus nicht ableiten.

aa) Vertraglich geschuldete Compliance Die Pflicht zum Ergreifen von Compliance-Maßnahmen kann sich nicht nur aus Gesetzen, sondern auch auf rechtsgeschäftlicher Grundlage ergeben14. In vielen Verträgen finden sich etwa Formulierungen, wonach eine Vertragspartei das Erreichen positiver oder die Vermeidung negativer Ziele „sicherzustellen“ hat. Das legt den Keim für Streitigkeiten, wenn die erforderlichen Maßnahmen nicht spezifi ziert werden. Denkbar ist aber auch die aus § 241 Abs. 2 BGB oder § 242 BGB folgende Nebenpflicht zur Ergreifung bestimmter Vollzugssicherungsmaßnahmen. Ein Beispiel liefert die Spielsperre-Entscheidung des BGH, wonach die Spielbank, die sich einem Spielsüchtigen gegenüber zur Sperre verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Überwachungsmaßnahmen zu treffen hat, um den versprochenen Erfolg herbeizuführen15. Die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann den Verpflichteten teuer zu stehen kommen, weil er im Wege der Naturalrestitution verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bei ordnungsgemäßer Überwachung bestanden hätte16. Unzulängliches Vertragsmanagement wird damit zum Haftungsrisiko für den Geschäftsleiter.

bb) Compliance-relevante Rechtsnormen Paradenorm der Compliance ist § 25a Abs. 1 KWG, der eine „ordnungsgemäße Organisation“ zur „Einhaltung der vom Institut zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen“ vorschreibt und über den Verweis in § 33 Abs. 1 WpHG auch für alle Wertpapierdienstleistungsunternehmen gilt17. Beide Normen, die durch pedantische Ausführungsbestimmungen kon13 14 15 16 17

So namentlich Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645, 648. Angedeutet bei Grohnert (Fn. 3), S. 26. Vgl. BGHZ 165, 276, 280 ff. BGHZ 165, 276, 282. Eine entsprechende Vorschrift wird jetzt mit § 64a VAG für die Versicherungswirtschaft geschaffen, eingefügt durch die vom Bundestag am 17. 11. 2007 beschlossene 9. VAG-Novelle (s. BR-Drucks. 599/07).

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kretisiert werden18, sind streng branchenbezogen konzipiert, wie nicht zuletzt die ansonsten überflüssige Verweisung in § 33 Abs. 1 Satz 1 WpHG zeigt. Entsprechend eng muss ihr Anwendungsbereich bleiben19. Eine ausdehnende Anwendung kann sich allenfalls auf vergleichbar regulierte Industrien – etwa die Versicherungen – erstrecken20. Im Übrigen steht ihr der Umstand entgegen, dass es sich um öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen handelt, für die zwar nicht das strikte Analogieverbot des Strafrechts gilt, die aber ähnlich restriktiv zu handhaben sind21. Wenn man der Norm gleichwohl eine „Schrittmacherfunktion“ zuschreibt22, so handelt es sich dabei zunächst um einen rechtstatsächlichen Befund; normative Rückwirkungen auf das Verbandsrecht müssen jedenfalls auf die Finanzwirtschaft beschränkt bleiben23. Eine branchenunabhängige Organisationspflicht normiert dagegen § 130 OWiG, der durch die Compliance-Debatte in ein ungewohntes Rampenlicht gerückt ist24. Danach handelt ein Unternehmensinhaber ordnungswidrig, wenn er schuldhaft diejenigen Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die zur Abwendung von Rechtsverstößen im Unternehmen erforderlich sind. Ist der Inhaber eine juristische Person, hat diese gem. § 30 OWiG auch für betriebsbezogene Taten ihrer Vertreter gerade zu stehen. Aus § 130 OWiG ergibt sich in der Tat die (relative) Rechtspflicht zur Einrichtung einer Compliance-Struktur25, doch bleibt deren Wirkungskreis beschränkt. Zu gewährleisten ist zum einen nur die Einhaltung von Pflich18 Dazu Spindler/Kasten, AG 2006, 785 ff., die mit Recht von einem „Normengestrüpp“ sprechen. 19 Bürkle, BB 2005, 565, 567; Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 91 Rn. 31; Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 292. 20 So VG Frankfurt WM 2004, 2157, 2160, welches – im Ergebnis plausibel – die Anforderungen des § 25a KWG über § 34 Abs. 2 VAG, § 91 Abs. 2 AktG auf Versicherungsunternehmen erstreckt. Dieser Umweg ist nach Inkrafttreten der 9. VAG-Novelle nicht mehr nötig, s. Fn. 17. 21 Vgl. nur Sachs/Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl. 2007, Art. 20 Rn. 113. 22 Wortprägend Fleischer, ZIP 2003, 1, 10; im Anschluss daran Preußner, NZG 2004, 57, 60; Binder, ZGR 2007, 745, 752; Spindler, in: HbVorstR (Fn. 5), § 19 Rn. 19. 23 Richtig Hüffer, NZG 2007, 47, 49; ders., AktG, 7. Aufl. 2006, § 91 Rn. 8 a. E.; Bürkle, WM 2005, 1496, 1497 f.; ders., BB 2005, 565, 567. Weitergehend Preußner, NZG 2004, 303, 305, der die „Schrittmacherfunktion“ auch für andere Branchen annimmt, dies aber nicht näher begründet. 24 Zur Bedeutung der Norm im hiesigen Kontext s. Spindler, in: HbVorstR (Fn. 5), § 15 Rn. 94 ff.; Fleischer, AG 2003, 291, 294 f.; Pelz, in: Hauschka (Fn. 3), § 6 (S. 97–108); Wilsing, in: Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 3), § 25 Rn. 10 f. 25 Spindler, in: HbVorstR (Fn. 5), § 15 Rn. 94. Zu Sanktionsnormen als Quelle von Verhaltenspfl ichten s. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. 2001, 193 f.

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ten, „die den Inhaber als solchen treffen“ (also z. B. Steuer- und Sozialabgabepflichten), nicht dagegen die Beachtung sämtlicher Vorschriften26. Zum anderen betrifft die Verhinderungspflicht nur buß- oder strafbewehrte Taten, deren Zahl nicht gering sein mag, die aber jedenfalls nicht allumfassend ist. Mögen §§ 30, 130 OWiG dem Zivilisten unvertraut sein, so bringen sie ihm doch wenig Neues, denn ihrer Funktion, Struktur und Auslegung nach entsprechen sie den geläufigen §§ 31, 831 BGB. Sämtliche Normen fußen auf der Überlegung, dass den durch arbeitsteiliges Wirken verursachten Risiken eine besondere Organisationsverantwortlichkeit korrespondiert27. § 130 OWiG ist dabei insofern enger als § 831 BGB, als sein Adressatenkreis (Unternehmen und Betriebe) ebenso wie die erfassten Rechtsverstöße (buß- oder strafbewehrt) begrenzt ist. Er reicht jedoch auch weiter, weil sein Eingreifen nicht den Eintritt eines Schadens voraussetzt. Die unterschiedliche Formulierung der Normen, welche die Beachtung der Aufsichtspflicht bei § 130 OWiG prominent im Tatbestand, bei § 831 BGB dagegen versteckt als Einwendung platziert, beruht allein auf der den Eigenheiten der beiden Rechtsgebiete geschuldeten abweichenden Beweislastverteilung. Inhaltlich weist die Rechtsprechung zu § 130 OWiG sichtbare Parallelen zu § 831 BGB auf28. Die dabei bisweilen erkennbare Tendenz, den Unternehmen in Details ihrer Überwachungsstruktur hineinzureden29, wird im Schrifttum mit Recht kritisiert30. Bekanntlich ist die Rechtsprechung nicht bei § 831 BGB stehengeblieben, sondern hat im Rahmen des § 823 BGB organisationsbezogene Verkehrspflichten („Organisationspflichten“) entwickelt, die sich den Besonderheiten der jeweiligen Branche geschmeidig anpassen31. Diese Pflichten wer26 Anders freilich die h. M., die §§ 30, 130 OWiG auch bei „betriebsbezogenen Delikten“ (z. B. Untreue im Vermögensverwaltungsunternehmen) zur Anwendung bringt, s. BGHZ 125, 366, 373 f.; mit Blick auf § 3 OWiG (Bestimmtheitsgrundsatz) ist diese Lesart nicht unproblematisch, krit. zu Recht Ransiek, ZGR 1992, 203, 212 f.; Rogall, in: KarlsruherKomm.OWiG, 3. Aufl. 2006, § 130 Rn. 12 ff., 17, 80, 84 ff. 27 Vgl. nur BGHZ 125, 366, 373 f.; Spindler, in: HbVorstR (Fn. 5), § 15 Rn. 95. 28 Vgl. im Einzelnen Spindler, in: HbVorstR (Fn. 5), § 15 Rn. 105–119 (Ähnlichkeit „frappierend“). 29 Vgl. z. B. BayObLG, NJW 2002, 766, 767. 30 Vgl. Hauschka, ZIP 2004, 877, 878; Spindler, in: HbVorstR (Fn. 5), § 15 Rn. 97, 120, der mit Blick auf die durch Art. 12, 14 GG geschützte Organisationsfreiheit für eine einschränkende Auslegung plädiert. 31 Vgl. zuletzt nur BGHZ 169, 365, 367 ff. (betr. Arzthaftung); ferner Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 831 Rn. 2; eingehend Spindler, Unternehmensorganisationspfl ichten, 2001, S. 689 ff., 760 ff.

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den auf das Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht erstreckt32 . Ähnlich verfährt das Strafrecht, wenn es z. B. Geschäftsleitern im Rahmen von Garantenpflichten aufgibt, für den effektiven Rückruf gesundheitsschädlicher Produkte zu sorgen33. Diese Organisationspflichten bestehen nicht um ihrer selbst willen, sondern haben eine dienende Funktion, weil sie die Einhaltung der primären, d. h. unmittelbar rechtsgutschützenden Verkehrspflichten gewährleisten sollen34. Daraus folgt, dass bei der Vorgabe einer bestimmten Organisationsstruktur Zurückhaltung am Platze ist. Eine Organisationspflicht zur Vermeidung von Rechtsverstößen ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn ein solcher Verstoß geeignet ist, ein deliktisch geschütztes Rechtsgut zu versehren. Dass danach durchaus bestimmte Vorkehrungen getroffen werden müssen, um z. B. die naheliegende Verletzung fremden Eigentums durch Unternehmensangehörige zu vermeiden, ist selbstverständlich35.

cc) Aktienrechtliche Compliance-Vorgaben Aus aktienrechtlicher Sicht kommen als Quelle für Compliance-Pflichten vor allem zwei Normen in Betracht: Zunächst Ziff. 4.1.3. des Deutschen Corporate Governance Kodex, wonach der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen hat und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinwirkt. Der Diktion des Kodex entsprechend handelt es sich dabei nicht um eine bloße Anregung oder Empfehlung, sondern um die Wiedergabe geltenden Rechts. Weil der Kodex selbst solches Recht nicht setzen kann, muss dessen Quelle andernorts gesucht werden. Damit rückt § 91 Abs. 2 AktG (i. V. m. § 317 Abs. 4 HGB) ins Blickfeld, der dem Vorstand die Einrichtung eines sog. Frühwarnsystems gebietet. Wiewohl dieses auch gewisse Compliance-Maßnahmen beinhaltet36, lässt sich 32 Grundsätzlich BGH v. 12. 7. 2007 – I ZR 18/04, WM 2007, 1812 Rz. 22, 36 (betr. Verkehrspfl ichten von Internetplattformen – ebay): Gebot zumutbarer Vorkehrungen, um Rechtsverletzungen zu verhindern. 33 Leading case ist die Ledersprayentscheidung, BGHSt 37, 106, s. dazu nur Beulke/ Bachmann, JuS 1992, 737; aus zivilistischer Sicht Hirte, JZ 1992, 257; eingehend Spindler (Fn. 31), S. 877 ff., der dadurch die Gefahr einer übermäßigen Organaußenhaftung gem. § 823 Abs. 2 BGB heraufbeschworen sieht, weil die Verletzung strafrechtlicher Schutzgesetze ihrerseits mit der Verletzung zivilrechtlicher Organisationspfl ichten begründet werde („juristischer Zirkel“). 34 Spindler (Fn. 31), S. 761. 35 Vgl. nur BGHZ 109, 297, 304 f.; Lutter, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998, 1999, S. 87, 96. 36 Angeraten werden „unmissverständliche Zuständigkeiten, engmaschiges Berichtswesen und Dokumentation“, s. Hüffer (Fn. 23), § 91 Rn. 8.

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aus der Norm in ihrer gegenwärtigen Fassung eine Compliance-Pflicht nicht ableiten37. Denn sie befiehlt weder die Einrichtung eines allumfassenden Risikomanagementsystems38 noch führt jeder Rechtsverstoß zu einer Bestandsgefährdung39. Anders ließe sich nur nach dem Muster einer „Domino-“ oder „Schneeballtheorie“ argumentieren, weil die unerkannte oder unbeanstandete Übertretung auf Dauer Anreiz oder Keim für gravierendere Verstöße sein kann40. Eine solche Theorie schwebte dem Gesetzgeber bei der Einführung des § 91 Abs. 2 AktG aber ersichtlich nicht vor41. Die überwiegende Ansicht begründet die Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Systems denn auch nicht mit speziellen Normen, sondern stützt sich ganz allgemein auf die durch § 93 Abs. 1 AktG konkretisierte Leitungsverantwortung des Vorstands (§ 76 AktG)42 . Dazu werden eine weit verstandene Legalitätspflicht und die Organisationsverantwortung miteinander verkoppelt: Weil die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ sowohl die Einhaltung der Gesetze (sog. Legalitätsprinzip)43 als auch eine effektive Unternehmensorganisation44 umfasse, der Umfang der einzuhaltenden Normen aber unüberschaubar und die mit ihrer Missachtung verbundenen Risiken gravierender geworden seien, könne der gebotenen Sorgfalt nur durch Einrichtung eines Com-

37 Zu möglichen Erweiterungen im Gefolge jüngerer EU-Richtlinien s. unten Fn. 52. 38 So die ganz h. M. im juristischen Schrifttum, vgl. nur Hüffer (Fn. 23), § 91 Rn. 9; Spindler, in: HbVorstR (Fn. 5), § 19 Rn. 57, jew. m. w. N.; eingehend Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 261 ff.; anders, aber wegen des versicherungsspezifischen Bezugs (oben Fn. 20) nicht verallgemeinerungsfähig VG Frankfurt, WM 2004, 2158, 2160 f.; weitergehend unter Hinweis auf die „Prüfungspraxis der Abschlussprüfer“ Berg, AG 2007, 271, 275; dazu auch Binder, ZGR 2007, 745, 748 ff. 39 Bachmann/Prüfer, ZRP 2005, 109, 110 f. 40 In diese Richtung Bürkle, BB 2005, 565, 569 („Kumulrisiken“), der die Pfl icht zur Compliance-Organisation aber letztlich nicht aus § 91 Abs. 2 AktG, sondern aus dem Legalitätsprinzip ableitet; s. auch Berg, AG 2007, 271, 276 m. w. N. 41 Zu den Vorstellungen der Gesetzesverfasser Seibert, in: FS Bezzenberger, 2000, S. 427 ff. 42 Im Ansatz bereits Mertens, in: KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 93 Rn. 30, 34; aus der jüngsten Literatur Krieger, in: Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 3), § 3 Rn. 5; E. Vetter, DB 2007, 1963, 1964. 43 Unstr., vgl. nur BGHZ 133, 370, 375; BGHZ 125, 366, 370, 372 (beide betr. GmbH); Lutter (Fn. 35), S. 87, 90; Hüffer (Fn. 23), § 93 Rn. 4 a. E.; Mertens (Fn. 42), § 93 Rn. 34. 44 Ebenfalls unstr., vgl. nur Lutter (Fn. 35), S. 87, 95 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz (Fn. 5), § 93 Rn. 52.

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pliance-Systems genüge getan werden45. Diese Argumentation, die sich durch rechtsvergleichende Seitenblicke46 absichern lässt, ist stichhaltig. Für sie streitet nicht zuletzt, dass die Pflicht zur Einrichtung einer internen Revision schon seit längerem anerkannt ist, diese aber zunehmend auch auf die Erfassung von Rechtsverstößen zielt47. Unter dem Vorbehalt, dass daraus weder eine Pflicht zur Vermeidung aller Rechtsverstöße (s. oben II.2.a) noch zur Einrichtung eines bestimmten Compliance-Systems folgt (unten II.2.c.), ist ihr daher zu folgen.

dd) Rechtsfortbildung und Verrechtlichung Weiter gehen Autoren, die sich nicht mit einer Konkretisierung des § 93 AktG begnügen, sondern eine Rechts- oder Gesamtanalogie zu den oben diskutieren Spezialnormen (z. B. § 25a KWG, § 130 OWiG, § 91 Abs. 2 AktG) befürworten48. Ihnen ist zuzugeben, dass den genannten Vorschriften ein verwandter Gedanke zugrunde liegt, der eine vorsichtige Einzelanalogie tragen mag49. Dennoch scheitert die – nur unter strengen Voraussetzungen zulässige – Gesamtanalogie daran, dass der Gesetzgeber mit § 25a KWG, § 33 WpHG, § 64a VAG offensichtlich branchenbezogene Regelungen treffen wollte und die tangierten Rechtsgebiete unterschiedli45 So oder ähnlich Fleischer, AG 2003, 291, 299; ders., in: HbVorstR (Fn. 5), § 8 Rn. 43; Fleischer, in: Spindler/Stilz (Fn. 5), § 93 Rn. 52, 86, 98; Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 91 Rn. 3, 35; ders., in: HbVorstR (Fn. 5), § 19 Rn. 60; Bürkle, BB 2005, 565, 569; Grohnert (Fn. 3), S. 66 ff., 87 (Ergebnis); für die Schweiz Buff (Fn. 5), Rn. 110 ff.; s. auch Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 181 f. und – mit Blick auf „Informationssystemeinrichtungspfl ichten“ – Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 244 ff., 301, 329. 46 Als leading case des US-amerikanischen Rechts gilt die Caremark-Entscheidung des Delaware Court of Chancery (698 A. 2d 959, 971), vgl. Fleischer, AG 2003, 291, 295 ff.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061, 2062; Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 285 ff.; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im marktoffenen Verband, 2007, S. 149; M. Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, S. 115. Zur aus § 716a Abs. 1 Nr. 5 OR abgeleiteten Compliance-Pflicht im Schweizer Recht s. Buff (Fn. 5), Rn. 116 ff. 47 Vgl. nur Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung der Schmalenbach-Gesellschaft (AKEIÜ), BB 2007, 2129, 2132 („Fraud Prevention“); Jahn, FAZ v. 13. 10. 2007 („Die Ärmelschoner haben ausgedient“). 48 So Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645, 649; ders., ZGR 1996, 225, 230; für eine „Verbreiterung“ der bereichsspezifischen Normen auch Fleischer, in: HbVorstR (Fn. 5), § 8 Rn. 43 (mit Fn. 188); ders., AG 2003, 291, 299, der die CompliancePfl icht aber letztlich aus § 93 AktG ableitet; wohl auch Preußner, NZG 2004, 57 ff. 49 Vgl. VG Berlin, WM 2004, 2158, 2160 (Anwendung des § 25a KWG auf Versicherungsunternehmen).

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chen Zielen verpflichtet sind50. Die dahinter stehende Zweiteilung in regulierte und nicht-regulierte Industriebereiche sollte nicht im Wege einer gebietsübergreifenden Totalanalogie eingerissen werden: Strikte Compliance ist das Charakteristikum des regulierten Sektors (Finanzbranche), relative Compliance prägt den flexiblen Rahmen der Jedermann-Pflichten. Für börsennotierte Aktiengesellschaften ist allerdings zunehmend eine Gleichschaltung mit den regulierten Bereichen zu diagnostizieren. Neuere – vom deutschen Gesetzgeber noch umzusetzende51 – EU-Richtlinien geben ihnen die Einrichtung eines sog. Internen Kontrollsystems (IKS), eines Risikomanagementsystems und wohl auch einer Internen Revision (IR) auf52 . Über den Inhalt solcher Systeme schweigen sich die Richtlinien aus, fußen jedoch offenbar auf der Annahme, dass davon auch die Eindämmung des „Risikos von Vorschriftenverstößen“ umfasst sei53, was sich mit dem extensiven Selbstverständnis dieser Steuerungsmodelle deckt54. Der Rechnungslegungskontext, in dem die besagten Richtlinien stehen, legt zwar den Schluss nahe, dass damit vor allem Bilanzstandards gemeint sind55. Zwingend ist das aber nicht56. Weil Controlling, Interne Revision, Risikomanagement und letztlich auch Compliance Hand in Hand gehen, wird man den Richtlinien vielmehr einen Fingerzeig in Richtung Compli50 Die (Gesamt-)Analogie wird daher ganz überwiegend abgelehnt, s. Bachmann/ Prüfer, ZRP 2005, 109, 111; Bürkle, BB 2005, 565, 567; Hauschka, ZIP 2004, 877, 878; Grohnert (Fn. 3), S. 47; Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 292; Lösler (Fn. 3), S. 124 f. 51 Vgl. dazu jetzt den am 8. 11. 2007 veröffentlichten Entwurf eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG), dazu Hommelhoff/Mattheus, BB 2007, 2787 ff. 52 Vgl. Art. 46a der Richtlinie 78/660/EWG (Jahresabschluss), eingefügt durch Richtlinie 2006/46/EG v. 14. 6. 2006 (ABl. Nr. L 224/1 v. 16. 8. 2006) und Art. 41 der Richtlinie 2006/43/EG v. 17. 5. 2006 (Abschlussprüfung), ABl. Nr. L 157/87 v. 9. 6. 2006. 53 So Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2006/43/EG; ähnlich Anhang I, Zif. 4.2, zweiter Spiegelstrich der Kommissionsempfehlung 2005/162/EG v. 15. 2. 2005 zu den Aufgaben von Aufsichtsratsmitgliedern: „Beachtung der geltenden Rechtsund Verwaltungsvorschriften“. 54 Zum expandierenden Verständnis von Controlling, interner Revision und Risikomanagement s. AKEIÜ (Fn. 47), BB 2007, 2129, 2131 f. (Thesen 9–11); ferner die Beiträge von Pampel/Glage, Pampel/Krolake, Obermayr und Greeve, in: Hauschka (Fn. 3), § 5 (Risikomanagement), § 15 (Controlling), § 16 (Revision), § 24 Rn. 69 (IKS); konzerndimensional Löbbe (Fn. 45), S. 197–218. 55 Davon geht offenbar auch der Gesetzgeber des BilMoG (Fn. 51) aus. 56 Weitergehend etwa AKEIÜ (Fn. 47), BB 2007, 2129, 2132: Zielsetzung des IKS „wird nur erreicht, wenn das IKS nicht ausschließlich auf die Rechnungslegung bezogen wird“.

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ance-Verpflichtung entnehmen können57. Das bestätigt diejenigen, die dem mit derartigen Systemeinrichtungspflichten vorausgeeilten Bankrecht eine „Schrittmacherfunktion“ zuerkennen wollen58. Dennoch ist Skepsis geboten. Denn es ist nicht zu verkennen, dass eine derartige Verbetriebswirtschaftlichung des Organisationsrechts die rechtsstaatlich gebotenen Konturen unternehmerischer Pflichten verschwimmen lässt und zugleich den Prüfungsverbänden eine beträchtliche Definitionsmacht einräumt59. Die Unbestimmtheit der kaum noch subsumtionsfähigen Standards des modernen Bankaufsichts- und Kapitalmarktrechts60 mag sich durch behördliche Auslegungshilfen auffangen lassen; für das allgemeine Verbandsrecht kann Vergleichbares nicht gesagt werden. Muss sich die börsennotierte AG, die öffentlich Gelder einsammelt, daher in punkto Compliance auch eine Gleichschaltung mit Banken und Versicherungen gefallen lassen, so sollte die börsenfreie AG vom standardisierten Compliance-Regime verschont bleiben. Aus diesem Grunde ist davor zu warnen, betriebswirtschaftliche Handreichungen zur Risikokontrolle – so erbeten und hilfreich sie sind – vorschnell als Grundsätze ordnungsgemäßer Risikoüberwachung (GoR) zu verrechtlichen61. Ansonsten gerät die Schrittmacherdiagnose zur „self-fulfilling-prophecy“62 .

c) Das sog. Legalitätsprinzip In diesem Zusammenhang sei auch eine kritische Bemerkung zum Legalitätsprinzip gestattet, dass – wie gesehen – ein wichtiges Glied in der Begründungskette der Compliance-Pflichten darstellt. So selbstverständlich die allseits betonte, gar zum „1. Gebot“ erhobene Pflicht der Geschäftsleitung zur Einhaltung des Gesetzes ist63, so wenig ergibt sich daraus mit Notwendigkeit die Pflicht, alles zur Vermeidung von Gesetzesverstößen Erforderliche zu tun. Zum einen ist das Legalitätsprinzip durchaus nicht 57 So auch Bürkle, BB 2007, 1797, 1800; E. Vetter, DB 2007, 1963, 1964. 58 S. o., Fn. 22. Andere sprechen – mit kritischem Unterton – von einer „Überformung“ oder „Überlagerung“ des Gesellschaftsrechts , so Dreher, AG 2006, 213 und Uwe H. Schneider, DB 1993, 1909; ders., ZGR 1996, 225 ff. 59 Kritisch auch Koch, ZGR 2006, 769, 789; Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 111 Rn. 23; Löbbe (Fn. 45), S. 192 ff. m. w. N.; deutlich positiver jetzt Binder, ZGR 2007, 745, 752 f., 779 f. („ebenso wünschenswert wie unvermeidlich“). 60 Kritisch mit Recht Ekkenga, BB 2007, Heft 40 (Editorial). 61 So aber Huth, BB 2007, 2167 ff.; s. dazu noch unten bei Fn. 94. 62 Treffend (in haftungsrechtlichem Kontext) Buchta, DB 2006, 1939. 63 Vgl. Lutter (Fn. 35), S. 90; weitere Nachweise oben (Fn. 43); rechtsvergleichend Möslein (Fn. 46), S. 139 ff.

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so strikt anzuwenden, wie es gelehrt wird64. Es ist dem Vorstand im Unternehmensinteresse auferlegt, das mit dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung aller Gesetze nicht (mehr) deckungsgleich ist65. Vorsätzlich oder grob fahrlässig begangene, rechtswidrige Verstöße gegen zentrale, insbesondere strafbewehrte Normen sind selbstverständlich tabu; harmlose Normverstöße (Standardbeispiel: Parkverbotsverletzung) sollten dagegen dann keine Binnenhaftung auslösen, wenn sie in der Gesamtbetrachtung tolerabel erscheinen66. Wenn die h. M. dieser Differenzierung nur schamhaft zustimmen mag, hat sie gute pädagogische Gründe für sich67. Auch der „harmlose“ Gesetzesbruch kann ernsthafte Folgen haben68. Soll der Vorstand daher für jeden Rechtsverstoß verantwortlich bleiben, so folgt daraus jedoch nicht, dass er auch zur Verhütung jeglichen Rechtsverstoßes durch die Unternehmensangehörigen verpflichtet wäre. Denn es ist eins, den Verstoß gegen eine bekannte Norm zu unterlassen, und ein anderes, Vorkehrungen gegen jedwede Begehensweise aller möglichen Rechtsverstöße zu treffen69. Weil 64 Relativierend zu Recht Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 25, der zwischen strikten und abwägungsoffenen Legalitätspfl ichten unterscheidet; ähnlich Sieg/Zeidler (Fn. 6), § 3 Rn. 20 ff.; exponiert M. Roth (Fn. 46), S. 131: „Eine (…) generelle Pflicht zur Befolgung von Recht und Gesetz läßt sich dem Aktienrecht (…) nicht entnehmen“; differenzierend zwischen öffentlich-rechtlichen Ge- und Verboten einerseits, öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpfl ichtungen andererseits jetzt Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 1033, 1037. 65 Zum Unternehmensinteresse nur Hüffer (Fn. 23), § 93 Rn. 12 m. w. N. Nach dem AktG 1937 war die Wahrung öffentlicher Belange dem Vorstand dagegen noch explizit aufgegeben und konnte vom Staatsanwalt (!) theoretisch durchgesetzt werden (vgl. § 77 Abs. 3 AktG 1937). 66 In diesem Sinne M. Roth (Fn. 46), S. 132; Paefgen (Fn. 64), S. 25; Sieg/Zeidler (Fn. 6), § 3 Rn. 21; im Ergebnis auch Ihrig, WM 2004, 2098, 2104 (kein Business Judgement, aber gleichwohl haftungsfrei); anders die h. M., plakativ Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 93 Rn. 44: „Rechtsnormen zweiter Klasse gibt es nicht“ (s. aber auch dens., Fn. 67). 67 Gegen den „profitablen Gesetzesbruch“ insbes. Fleischer, in: HbVorstR (Fn. 5), § 7 Rn. 22 ff.; ders., ZIP 2005, 141, 146 ff., der in einschlägigen Fällen (Parkverstoß etc.) mit einem „Schuss Pragmatismus“ helfen will; i. E. ebenso Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 93 Rn. 70, der „unbedeutende Formalverstöße“ ausklammert. 68 Zu erinnern ist an den Fall eines US-amerikanischen Pizza-Service, der den Kunden die Lieferung binnen fi xer Zeit garantiert hatte. Die dadurch provozierten Geschwindigkeitsübertretungen der unter Druck gesetzten Fahrer führten in einigen Fällen zu schweren Verkehrsunfällen. 69 Zutreffend Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung und unternehmerisches Ermessen, 2001, S. 223–226; s. auch Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 274.

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letzteres dem Normadressaten – sei er Organmitglied, sei er jedermann – weitaus mehr zumutet, kann es folgerichtig nur unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit akzeptiert werden (näher sogleich unten, d.). Dafür streitet übrigens auch der Blick in das Strafprozessrecht, dem das Legalitätsprinzip verbal entlehnt ist. Dort wird es bei minderwichtigen Verstößen durch das Opportunitätsprinzip verdrängt. Die dafür streitenden Gründe – u. a. Ressourcenschonung und Vermeidung kontraproduktiver Vielstraferei70 – beanspruchen mutatis mutandis Beachtung im Verbandsrecht. Pointiert gesprochen: Der Vorstand ist kein Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft und sollte es auch nicht werden71.

d) Die Zumutbarkeitsgrenze Im Schrifttum wird die Pflicht zur Errichtung einer Compliance-Organisation unter den ausdrücklichen Vorbehalt der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit gestellt72 . Während die Erforderlichkeit unproblematisch ist (was nicht erforderlich ist, kann nicht geboten sein), verlangt die Zumutbarkeitsgrenze nach einer Begründung. Diese fällt schwer, wenn man der – hier abgelehnten – Analogie zu § 25a KWG, § 33 WpHG folgt, weil die genannten Normen dafür kaum Raum lassen. Es bleibt dann nur der Hinweis auf das verfassungs- bzw. europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches überstrenge Organisationsanforderungen im Zaume hält73. Findet man sich damit ab, dass es nach deutschem Recht keine allgemeine Compliance-Pflicht, sondern nur normspezifische Compliance-Pflichten gibt (oben II.2.b.), bereitet die Begründung keine Probleme. Denn dem zivil- und strafrechtlichen Sanktionssystem liegt gleichermaßen der als solcher nicht ausgesprochene Gedanke zugrunde, dass dem Bürger nur solche erzwingbaren Verhaltenspflichten angesonnen werden können, denen er mit zumutbaren Anstrengungen gerecht werden kann. Er findet Ausdruck in einzelnen Normen des BGB (vgl. § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB; ferner §§ 275 Abs. 3, 313 Abs. 1 BGB) und des StGB (§ 323c StGB), wird von Rechtspre-

70 Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Band 2, 2. Aufl. 2006, Rn. 411. 71 Anders liegt es im regulierten Sektor (oben II.2.b. dd.), in dem der Gesetzgeber bewusst „Bausteine der Aufsicht in die Unternehmen verlagert“, so Sethe, in: Uwe H. Schneider/Assmann, WpHG, 4. Aufl. 2006, § 15b Rn. 2. 72 Fleischer, AG 2003, 291, 300; Dreher, ZWeR 2004, 74, 94; Bürkle, BB 2005, 565, 569. 73 So (zum Bankrecht) Jerusalem, Die Regelung der Mitarbeitergeschäfte im Bankrecht durch Compliance, 1996, S. 167 f.; Scharpf (Fn. 12), S. 32.

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chung und Lehre aber auch darüber hinaus als Rechtsgrundsatz anerkannt74. Ob Zumutbarkeit gegeben ist, ist eine Abwägungsfrage, bei der die Kosten der Normeinhaltung mit deren Nutzen zu vergleichen und der Saldo unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Normadressaten zu beurteilen ist75. In diese Rechnung müssen auch die negativen Auswirkungen übertriebener Compliance eingehen. Neben Vertrauensverlusten und der Trübung des Betriebsklimas76 rechnen dazu die Innovationshemmung aufgrund von Bürokratisierung77, Abstumpfung und falsches In-Sicherheit-Wiegen („leaning back“)78 sowie das Entstehen einer Abhakmentalität („ticking the box“). Im Ergebnis bestätigt sich damit die o. g. Zweiteilung: Risikoanfälligen Branchen wird durch Wirtschaftsrecht eine strikte Compliance angesonnen. Wer sich das nicht zumuten will oder kann, ist von der Ausübung der betreffenden Tätigkeit ausgeschlossen. In allen anderen Branchen gilt der Zumutbarkeitsmaßstab, wonach das Maß der gebotenen Compliance von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen kann.

e) Fazit: Zwei Compliance-Perspektiven Compliance-Pflichten sprießen aus einer Vielzahl von Rechtsquellen und richten sich an verschiedene Adressaten. Insofern sind sie normspezifisch. Die daraus abgeleiteten Organisationsanforderungen sind jedoch oft deckungsgleich. Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Compliance-Perspektiven: Der Rechtsanwender (Richter, Staatsanwalt, Prüfer, Aufsichtsbeamter) kann keine allgemeinen Compliance-Vorgaben machen oder deren Nichteinhaltung sanktionieren, sondern muss stets unter eine bestimmte Compliance-relevante Rechtsnorm subsumieren. Unternehmen, ihre Leiter und Berater sind dagegen schon aus Praktikabilitätsgründen gehalten, einheitliche Compliance-Standards zu entwickeln, die die Summe aller einschlägigen Compliance-Normen widerspiegeln und deren Einhal74 Vgl. nochmals BGHZ 165, 276, 80 f. – Spielsperre („nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren“); BGH, WM 2007, 1812 Rz. 36 („im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren“); zur Zumutbarkeit als Grenze strafrechtlicher Sorgfalts- und Handlungspfl ichten nur Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737, 741. 75 Vgl. BGH, WM 2007, 1812 Rz. 38; Möslein (Fn. 46), S. 150; Palandt/Bassenge (Fn. 31), § 906 Rn. 23; Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 27. Aufl. 2006, § 323c Rn. 20. 76 LAG Hessen v. 18. 1. 2007, AiB 2007, 663; Möslein (Fn. 46), S. 152. 77 Sethe, in: Uwe H. Schneider/Assmann (Fn. 71), § 15b Rn. 2; Spindler (Fn. 31), S. 1041; Binder, ZGR 2007, 745, 785; s. auch M. Roth (Fn. 46), S. 23. 78 Weber-Rey, AG 2006, 406, 410.

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tung die Kongruenz mit diesen Normen garantiert. Vergleichsweise leicht ist diese Aufgabe in der Finanzbranche zu bewältigen, die über detaillierte Handlungsanweisungen verfügt79. Daran mag sich orientieren, wer die „sichere Seite“ sucht; eine Rechtspflicht dazu besteht außerhalb dieser Branchen nicht. Wenn die zunehmende Compliance-Sensibilität aber generell zu einer Schärfung des Rechtsbewusstseins (und damit zu einer Aufwertung der Rechtsabteilung) führt, ist dies aus Sicht des Kunden und Verbrauchers nicht zu beklagen.

III. Inhalt einer Compliance-Organisationspflicht Während hinsichtlich des „ob“ der Compliance-Pflicht verbale Meinungsunterschiede existieren, besteht hinsichtlich des „wie“ kein Streit. Alle Autoren sind sich darüber einig, dass es kein uniformes Compliance-Modell gibt, vielmehr Art und Umfang der zu treffenden Vorkehrungen von der Größe, Branche und den Umständen des Einzelfalls abhängig seien80. Selbst die bankrechtlichen Vorgaben fordern nur eine der „Struktur und Geschäftstätigkeit entsprechende“ Compliance-Organisation81. Bei deren Ausgestaltung kommt den Geschäftsleitern also ein breites Ermessen zu82. Nicht jeder Geschäftsführer wird über diese Auskunft glücklich sein, wünscht er sich doch konkrete Handlungsanweisungen. Ihm wird man Folgendes sagen können:

1. Hergebrachte Grundsätze In jedem Fall zu beherzigen sind Regeln, welche Rechtsprechung und Literatur in Konkretisierung allgemeiner Organisationspflichten seit jeher auf-

79 Nachweise oben Fn. 3. 80 Vgl. nur Bürkle, BB 2007, 1797, 1798 („hängt entscheidend von den individuellen Verhältnissen ab“); Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645, 646 f., 649 („von der Branche, der Größe und der nationalen oder internationalen Ausrichtung des Unternehmens abhängig“); Fleischer, AG 2003, 291, 299 f. („kommt auf die Größe des Unternehmens, die Vielfalt und Bedeutung der von ihm einzuhaltenden Vorschriften sowie frühere Mißstände und Unregelmäßigkeiten an“); Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 91 Rn. 36. 81 So die sog. Compliance-Richtlinie der BaFin. Strenger im Gefolge der MiFiD aber jetzt § 12 Wertpapierdienstleistungs-, Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV) v. 20. 7. 2007, BGBl. I, S. 1432, 1439. 82 Bürkle, BB 2005, 565, 569; Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 91 Rn. 36; Lösler (Fn. 3), S. 161.

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gestellt haben und wie sie letztlich dem common sense entsprechen83. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit rechnen hierzu die Pflicht, sich um eine vernünftige Auswahl, Einweisung, Ausstattung und Überwachung der Mitarbeiter zu kümmern, die Sorge für klare Zuständigkeiten und Verantwortungen im Unternehmen84, die Durchführung stichprobenartiger Kontrollen85, die ausreichende Informationsversorgung, die Verfolgung von Verdachtsfällen und – jedenfalls ab einer gewissen Größe – die Einrichtung einer internen Revision86. Soweit diese Grundsätze zu §§ 823 ff. BGB oder § 130 OWiG entwickelt wurden, werden sie über das Legalitätsprinzip auch in das aktienrechtliche Pflichtenprogramm transponiert.

2. Moderne Maßnahmen Weitergehend ist den Unternehmen abzufordern, sich über das Thema Compliance überhaupt erst Gedanken zu machen. Dazu gehört die Einschätzung der eigenen „Risikoklasse“ nach Branche, Größe, Vorkommnissen etc. und die Aufarbeitung des einschlägigen Normenmaterials87. Stellt sich dabei heraus, dass bestimmte Rechtsnormen zwingend eine konkrete Organisationsmaßnahme verlangen (z. B. Geldwäschebeauftragter), ist diese selbstverständlich zu treffen. Soweit das nicht der Fall ist, sollten im zweiten Schritt die in der Praxis entwickelten Handreichungen („best practice“)88 zur Kenntnis genommen und die Übernahme geeignet erscheinender Elemente für das eigene Unternehmen erwogen werden. Diese sind zwar rechtlich unverbindlich, dürfen jedoch in dem Maße, in dem sie sich als von der Natur der Sache geboten und/oder marktüblich (vgl. § 346 HGB) erweisen, nicht völlig ignoriert werden. Handelt es sich dagegen um Maßnahmen, deren Nutzen und/oder rechtliche Zulässigkeit zweifelhaft geblieben sind (wie etwa die Einrichtung einer „Whistleblower-Hotline“89), steht deren Übernahme im freien Belieben. Zusammengestellt bei Fleischer, in: HbVorstR (Fn. 5), § 8 Rn. 5 ff., 26 ff. Vgl. Göhler/König, OWiG, 14. Aufl. 2006, § 130 Rn. 14. BayObLG, NJW 2002, 766, 767. KG, WuW/E 1981, OLG 2330. Vgl. Uwe H. Schneider (oben Fn. 5). An einschlägigen Darstellungen herrscht kein Mangel, vgl. neben den in Fn. 3–6 Genannten nur Lampert, in: Hauschka (Fn. 3), § 9; Kremer/Klahold, in: Krieger/ Uwe H. Schneider (Fn. 3), § 18 Rn. 12 ff.; Dieners, in: Dölling (Hrsg.), Handbuch der Korruptionsprävention, 2007, Kap. 4 Rn. 83 ff. Muster angelsächsisch geprägter Kodizes und Formblätter bei Buff (Fn. 5), 563–601. 89 Diese wird zunehmend kritischer gesehen, vgl. etwa LAG Hessen v. 18. 1. 2007, AiB 2007, 663: „Die Offenheit im Umgang miteinander, die Unbefangenheit des Zusammenwirkens und Zusammenlebens in einem Betrieb werden durch eine 83 84 85 86 87 88

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Im Übrigen ist der Kosten-Nutzen-Vergleich entscheidend90. Bei entsprechendem Aufwand kann jeder Rechtsverstoß verhindert werden, doch wird Compliance um jeden Preis gerade nicht geschuldet. Maßnahmen, die ohne großen Aufwand zu implementieren sind und vergleichsweise großen Ertrag bringen (d. h. gravierende Verstöße verhindern), sind am ehesten zu fordern. Hierzu rechnet neben dem Bekenntnis zur Rechtstreue („mission statement“) die bereits erwähnte Schaffung klarer Verantwortlichkeiten und die Einrichtung zuverlässiger Informations- und Kommunikationsströme91. Die Durchführung aufwändiger Schulungs- und Auditprogramme, das Erstellen von (oftmals aufgeblähten) Ethik-Richtlinien oder die Abordnung unabhängiger Compliance-Officer sind dagegen sicher nicht von jedem Unternehmen zu leisten92 . Irgendeine Form der Dokumentation empfiehlt sich schon mit Blick auf etwaige Prüfungen oder Klagen. Ansonsten gilt auch hier, dass das betriebswirtschaftlich Gewünschte nicht notwendig das rechtlich Gesollte ist93.

IV. Rechtsfolgen bei mangelhafter Compliance-Organisation Compliance wird weithin als Instrument der Haftungsvermeidung angesehen. Neben der Haftung können aber auch andere unerwünschte Folgen abgewehrt werden.

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‚Whistleblower-Pfl icht‘ im Kern getroffen“; zurückhaltend auch Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 172 f. S. oben II.2.d. (betr. Zumutbarkeit). Die Informations- und Kommunikationsorganisation gilt gemeinhin als prioritäre Compliance-Pfl icht, vgl. Kiethe, GmbHR 2007, 393, 395 („Dreh- und Angelpunkt“); Rodewald/Unger, BB 2007, 1629 ff.: „Schlüssel zu guter Compliance“ (mit ausführlicher Darstellung eines Informations- und Kommunikationssystems); Löbbe (Fn. 45), S. 197 („Rückgrat der Unternehmenskontrolle“); für eine Informationssystemeinrichtungspfl icht Sven H. Schneider (Fn. 6 ), S. 244 ff.; anerkennend Peltzer, AG 2007, 459 f. („gut begründet“). Ebenso Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 91 Rn. 38. Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz (Fn. 5), § 93 Rn. 46; Spindler, in: MünchKomm. AktG (Fn. 5), § 93 Rn. 29; Hommelhoff/Schwab, Zfbf 1996, Sonderheft 36, S. 149, 168 ff.; Löbbe (Fn. 45), S. 196: Nur wenn „gesicherte Erkenntnis“, „praktisch bewährt“ und „konkret erforderlich“.

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1. Haftungsrisiken a) Haftungsvoraussetzungen Solange es zu keinen Rechtsverletzungen im Unternehmen kommt, ist es aus haftungsrechtlicher Sicht unerheblich, ob Compliance-Maßnahmen getroffen wurden oder nicht. Gleiches gilt, wenn das Gesetz eine strikte Haftung (Gefährdungshaftung) anordnet, bei welcher der bloße Verletzungserfolg haftungsauslösend ist, ohne dass es auf eine nachweisbare (Compliance-)Pflichtverletzung ankommt94. Die hier diskutierten Haftungsnormen setzen sowohl einen Rechtsverstoß als auch eine dafür ursächliche Pflichtverletzung voraus. Tritt ein Rechtsverstoß ein, stellt sich die Frage, ob das Unternehmen und seine Leiter wegen mangelnder Compliance dafür einzustehen haben (dazu sogleich) oder ob umgekehrt eine Haftung ausscheidet oder abgemildert wird, weil zumindest ComplianceAnstrengungen unternommen wurden (dazu unter b.). Bei Beantwortung der Frage, ob die getroffenen Compliance-Maßnahmen hinreichend waren, besteht die Gefahr, vom erfolgten Rechtsverstoß ohne weiteres auf die Unzulänglichkeit der Compliance und damit auf die erforderliche Pflichtverletzung zu schließen95. Richtigerweise muss die Frage nach der gebotenen Compliance aus einer ex-ante-Perspektive, d. h. unter Ausblendung des eingetretenen Normverstoßes erfolgen96. Stellt sich danach die Compliance als unzureichend heraus – z. B. weil zurückliegende Verstöße Anlass zu verstärkter Überwachung gaben97 – muss zusätzlich die Kausalität zwischen der unterlassenen Compliance und dem eingetretenen Rechtsverstoß nachgewiesen werden, was nicht immer leicht fallen dürfte98. Beweiserleichterungen greifen allerdings, wenn anerkannte Überwachungsmaßstäbe ignoriert oder überhaupt keine Compliance-Anstrengungen unternommen wurden, weil dann die tatsächliche Vermutung 94 Klassisches Beispiel ist die Haftung für Luxustiere (§ 833 Abs. 1 BGB), die den Halter ungeachtet der Frage trifft, ob er Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat oder nicht. In der rechtsökonomischen Literatur wird diese Haftung als effi zient angesehen, weil sie dem Adressaten kein Präventionskorsett vorgibt, sondern ihn im eigenen Interesse zum gesamtwirtschaftlich optimalen Haftungsvermeidungsaufwand anhält, vgl. Wagner, in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, Vor § 823 Rn. 43. 95 Vgl. z.B. BGH, NZG 2005, 562, 563; Pampel, BB 2007, 1636, 1639. 96 Fleischer, AG 2003, 291, 300; Sieg/Zeidler (Fn. 6), § 3 Rn. 3; zum Parallelproblem bei der Existenzvernichtungshaftung J. Vetter, BB 2007, 1965, 1966. 97 Zur gesteigerten Überwachungspflicht nach Verdachtsfällen nur Fleischer, AG 2003, 291, 295. 98 Vgl. Binder, ZGR 2007, 745, 781.

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greift, dass der Pflichtverstoß für den eingetretenen Erfolg kausal war99. Dass der Verstoß auch bei pflichtgemäßer Compliance-Organisation eingetreten wäre, hat der Vorstand zu beweisen100, soweit ihm nach dem Schutzzweck der Norm dieser Einwand überhaupt gestattet wird101.

b) Compliance als safe harbour? Wurden Compliance-Anstrengungen unternommen, die den Rechtsverstoß nicht verhindert haben, stellt sich die Frage, ob dies zu einer Haftungsmilderung führt.

aa) Hergebrachte Entlastungsregeln Waren die getroffenen Maßnahmen ex-ante betrachtet ausreichend, fehlt es nach dem Gesagten bereits an einer Organisationspflichtverletzung, so dass eine diesbezügliche Haftung schon deshalb ausscheidet. Selbst die Gefährdungshaftung kann bisweilen abgewendet werden, wenn der Verantwortliche die Einhaltung gewisser Vorsichtsmaßregeln nachweisen kann102 . Bedeutung erlangen insoweit auch die traditionellen Entlastungsregeln, die hier nicht vertieft werden müssen. Zu erwähnen ist nur die Möglichkeit der Delegation von Organisationspflichten, die den Delegenten bei ordnungsgemäßer Überwachung des Delegatars entlastet103. Auch die Überwachungspflicht selbst kann in bestimmten Grenzen auf andere verlagert und dadurch eine gewisse Entlastung herbeigeführt werden („dezentraler Entlastungsbeweis“)104. In diesen Kontext gehört auch der sog. Vertrauensgrundsatz, wonach der Delegent sich grundsätzlich darauf verlassen darf, dass der Delegatar seiner Aufgabe auch nachkommt105.

99 Vgl. BGHZ 152, 280, 284; BGH, WM 1980, 1190; Hüffer (Fn. 23), § 93 Rn. 16 u. 17; Palandt/Heinrichs (Fn. 31), Vor § 249 Rn. 167 u. § 823 Rn. 80. 100 Vgl. BGHZ 152, 280. 101 Vgl. Fleischer, in: HbVorstR (Fn. 5), § 11 Rn. 65 m. w. N. 102 Beispiele: Zuverlässige Dokumentation der Produktausgangskontrolle (BGHZ 104, 323); Beachtung der „besonderen Betriebspflichten“ (§ 6 Abs. 2 Satz 2 UmweltHG); Vorkehrungen gegen unbefugte „Schwarzfahrten“ (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 StVG). 103 Statt vieler Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, GmbHR 2005, 1229, 1230 f.; eingehend Schmidt-Husson, in: Hauschka (Fn. 3), § 7 (S. 109–126). 104 Vgl. nur Palandt/Thomas (Fn. 31), § 831 Rn. 15; Fleischer, in: Spindler/Stilz (Fn. 5), § 93 Rn. 88 ff. 105 Vgl. nur BGHZ 169, 364, 368 Rz. 10; Fleischer, AG 2003, 291, 295.

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bb) Beweislastumkehr? Während das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht die Beweislast für schuldhafte Organisationspflichtverletzungen ohnehin dem Ankläger aufbürdet, gewährt das Zivilrecht verschiedentlich Beweiserleichterungen zugunsten des Klägers, weil dieser in den Organisationsbereich des Beklagten vielfach nicht hineinblicken kann. Zu fragen ist daher, ob sich die Beweislast wieder zurück verschiebt, wenn der Organisationsverpflichtete dartun kann, dass er zumindest gewisse organisatorische Anstrengungen unternommen hat. Nach dem Gesagten ist das mit Bezug zu CompliancePflichten jedenfalls insoweit der Fall, als die Kausalität zwischen der Vernachlässigung der Compliance-Pflicht und dem Rechtsverstoß dann vom Anspruchsteller darzutun ist (oben IV.1.a.). Weitergehend könnte erwogen werden, den Nachweis eines Pflichtverstoßes – hier also: der ungenügenden Compliance-Organisation – dem Kläger aufzubürden, wenn der Beklagte die gebotenen Compliance-Maßnahmen auf dem Papier nachweisen kann. Weil zumindest der unternehmensexterne Kläger aber i. d. R. nicht wird nachweisen können, ob das Papier auch „gelebt“ wurde, tut die Unternehmensleitung gut daran, Personen zu benennen, die das bezeugen können.

cc) Business Judgement Rule? In der Literatur herrscht Einigkeit, dass der Vorstand hinsichtlich der Frage, ob die von ihm getroffenen Compliance-Vorkehrungen genügend waren, den Schutz der sog. Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) genießt106. Hat er sich also angemessen über die zu treffenden ComplianceVorkehrungen informiert, dann liegt selbst dann keine Pflichtverletzung vor, wenn sich die getroffenen Maßnahmen später als unzureichend darstellen. Dieser Schutz ist erläuterungsbedürftig, wenn man sich den Zusammenhang zwischen Compliance-Pflicht und Legalitätsprinzip in Erinnerung ruft (oben II.1.b.bb.). Denn Voraussetzung für das Eingreifen der Business Judgement Rule ist das Vorliegen einer „unternehmerischen Entscheidung“, die im Bereich des Legalitätsprinzips gerade nicht vorliegen soll107. Vergegenwärtigt man sich jedoch, dass das – streng genommen überflüssige108 – Tatbestandsmerkmal alle Maßnahmen erfassen soll, die 106 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz (Fn. 5), § 91 Rn. 43; Spindler, in: MünchKomm. AktG (Fn. 5), § 91 Rn. 36; Bürkle, BB 2005, 565, 568 f. 107 Vgl. nur Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 93 Rn. 44. 108 Zutreffende, aber vom Gesetzgeber unerhörte Kritik bei Hauschka, ZRP 2004, 65, 66 und Gehb/Heckelmann, ZRP 2005, 145, 146.

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dem Vorstand ein Handlungsermessen einräumen, und dass zumindest hinsichtlich des „wie“ der Compliance ein solches Ermessen besteht (s. oben III.), wird klar, warum zumindest in diesem Umfang in der Tat ein privilegiertes Business Judgement anzunehmen ist. Wegen der Relativität der Compliance-Pflichten (oben II.2.a.) kann aber auch bei der Frage des „ob“ von Compliance-Maßnahmen im Einzelfall ein Beurteilungsspielraum bestehen. Nur wenn der Vorstand sich gar keine oder offenkundig unzureichende Gedanken zum Thema Compliance gemacht hat, wird ihm der Schirm des Business Judgement entzogen.

dd) Strafbonus? Im Kartellrecht wird die Frage diskutiert, ob Unternehmen, die sich durch Compliance-Programme bemüht haben, den rechtlichen Vorgaben gerecht zu werden, im Falle eines gleichwohl erfolgten Wettbewerbsverstoßes in den Genuss einer Bußgeldmilderung kommen sollen109. Die einschlägigen Normen sehen das nicht vor, und auch die Kartellbehörden lehnen eine entsprechende Milderung ab110, ja nehmen die Verletzung von Compliance-Programmen bisweilen zum Anlass zur Verschärfung der Bußen111. In der Literatur wird das kritisiert, weil den Unternehmen dadurch der Anreiz genommen werde, entsprechende Compliance-Programme einzurichten112. Die Antwort auf die Frage sollte nicht von der dogmatischen Konstruktion des § 30 OWiG abhängig gemacht werden113, sondern von den Folgen einer derartigen Bußpraxis. Insofern ist festzuhalten, dass die Versagung eines Bonus nicht dazu führen wird, dass die Betroffenen überhaupt keine Compliance-Anstrengungen mehr unternehmen werden. Wie die ökonomische 109 Vgl. Lampert, BB 2002, 2243; eingehend Dreher, ZWeR 2004, 75 ff. 110 Vgl. KOMM. v. 26. 5. 2004 – Rs. Comp/C-3/37.980, Rn. 187 „Souris-Topps“; anders noch ältere Entscheidungen der Kommission, Nachweise bei Lampert, BB 2002, 2237, 2243 Fn. 28. 111 Vgl. KOMM. v. 14. 10. 1998, ABl. Nr. L 76/1 v. 1999 Rn. 208 ff. „British Sugar“; krit. dazu Weitbrecht/Tepe, EWS 2001, 220, 228; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG/Teil 2, 4. Aufl. 2007, Art. 23 VO 1/2003, Rn. 163 („kontraproduktiv“). 112 Vgl. Dannecker/Biermann (Fn. 111), Rn. 163, 178; ausf. Dreher, ZWeR 2004, 75, 82 ff. 113 So aber Pampel, BB 2007, 1636, 1639: Weil die Tat dem Verband als eigene zugerechnet werde („Theorie von der organschaftlichen Verbandstäterschaft“), bleibe kein Raum für eine Berücksichtigung vorbeugender Maßnahmen. Das ist m. E. deshalb nicht überzeugend, weil auch der natürlichen Person im Rahmen der Strafzumessung zugute gehalten werden darf, dass sie zumindest versucht hat, ihr kriminelles Potenzial im Zaume zu halten.

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Analyse der Gefährdungshaftung zeigt, werden sie ihre Präventionsanstrengungen vielmehr solange steigern, bis die Grenzkosten zusätzlicher Compliance-Maßnahmen deren Grenznutzen übersteigen114. Ob ein Strafbonus einen (noch) effi zienteren Zustand herstellen kann, ist eine Rechenaufgabe, die hier nicht gelöst werden kann. Weil Compliance mit volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist115, erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass die geltende Praxis ökonomisch sinnvoll ist. Abgesehen davon sind Compliance-Programme heute so verbreitet, dass die Strafmilderung praktisch jedem Unternehmen zu gewähren wäre. Mit Blick auf sog. Hardcore-Absprachen setzte das die falschen Signale116.

2. Wissenszurechnung In gefestigter Rechtsprechung legt der Bundesgerichtshof den Unternehmen eine Informationsorganisationspflicht auf, deren Verletzung zur Wissenszurechnung an den Unternehmensträger führt117. Der Inhalt dieser Pflicht besteht darin, einmal im Unternehmen erlangtes Wissen verfügbar zu halten, indem relevante Informationen gespeichert, weitergeleitet und abgefragt werden. Wissen, das „typischerweise aktenmäßig festgehalten“ wird, ist der juristischen Person danach auch dann zuzurechnen, wenn die handelnde Person im konkreten Fall über die Information nicht (mehr) verfügt. Zur Begründung wird das „Gleichstellungsargument“ herangezogen, wonach der Vertragspartner einer juristischen Person nicht schlechter gestellt sein soll als derjenige einer natürlichen Person118. Weil andererseits aber auch keine Besserstellung bezweckt ist, wird die Wissenszurechnung auf Fälle beschränkt, in denen die Speicherung einer Information zum Zeitpunkt der Wissenserlangung geboten erschien und ihre Abfrage zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich veranlasst war119. Es ist leicht zu sehen, dass eine derartige Wissenszurechnung weit über das gesetzliche Konzept des § 166 BGB hinausragt. Trotz der einschränkenden Kriterien wird sie daher in der Literatur nicht uneingeschränkt gebilligt. Kritische Stimmen verweisen insbesondere darauf, dass die Wissenszurechnung als Sanktion einer Informationsorganisationspflicht ver114 115 116 117

Vgl. oben Fn. 94. S. oben II.2.d. Insofern überzeugend Pampel, BB 2007, 1636, 1639 f. Grundsätzlich BGHZ 132, 30, 34 ff. Näher m. w. N. Buck, in: Hauschka (Fn. 3), § 2 Rn. 14 ff. 118 Vgl. BGHZ 132, 30, 36 f. 119 BGH ebd. (verneinend für die Ablagerung von Abfällen, die zum fraglichen Zeitpunkt – hier: vor 1955 – als unbedenklich galt).

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letzung die Trennung von Wissen und Wissenmüssen (i. S. v. fahrlässigem Nichtwissen, vgl. § 122 Abs. 2 BGB) überspiele und damit die Wissenszurechnung in unzulässiger Weise mit Verschuldenselementen vermenge120. Obwohl dieser Vorwurf nicht von der Hand zu weisen ist, sprechen doch gute Gründe für die Position der Rechtsprechung. Zwar ist das Gleichstellungsargument, wie es auch dem § 31 BGB zugrunde liegt, nicht unproblematisch, weil es die spezifischen Vorteile des Kontraktes mit einer juristischen Person auszublenden droht121. Dennoch gilt, dass der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts die besonderen, mit dem arbeitsteiligen Zusammenwirken in Großorganisationen einhergehenden Risiken im individualistisch angelegten BGB nicht wirklich bedacht hat und eine rechtsfortbildende Wissenszurechnung daher nicht nur legitim, sondern auch geboten erscheint. Im Ergebnis bestätigt sich damit die in der modernen Compliance-Debatte mit Recht hervorgehobene Bedeutung der Organisation von Kommunikations- und Informationsströmen122 . Wird das missachtet, können die Rechtsfolgen gravierend sein, denn die Zurechnung von Wissen wirkt sich nicht nur bei der Anfechtung123 oder beim gutgläubigen Erwerb aus, sondern kommt bei vielen Tatbeständen des Zivilrechts zum Tragen124. Insbesondere beschafft sie das für Vorsatz wie Fahrlässigkeit gleichermaßen erforderliche kognitive Element und kann damit beträchtliche Haftungsfolgen auslösen.

3. Sonstige Rechtsfolgen Unzulängliche Compliance kann negative Governance-Ratings, unangenehme Aktionärsfragen und andere soziale Folgen zeitigen. Schaut man nur auf die rechtlichen Folgen, kommt vor allem eine Versagung oder Einschränkung des Prüfervermerks in Betracht. Zwar bezieht sich die Prüfung nur auf die Einrichtung von Risikomanagementsystemen (§ 317 Abs. 4 HGB) und – künftig – auf interne Kontrollsysteme sowie die interne Revision125. Das schon jetzt recht extensive Verständnis des § 91 Abs. 2 120 Vgl. insbes. Buck, Wissen und juristische Person, 2001, S. 439 ff. 121 Eingehend Koller, JZ 1998, 75, 77 ff.; Buck (Fn. 120), S. 320–323; im haftungsrechtlichen Kontext auch Bachmann, in: Bachmann/Casper/Schäfer/Veil (Hrsg.), Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2007, S. 101, 149. 122 S. oben Fn. 91. 123 Vgl. §§ 122 Abs. 2, 123 Abs. 2, 142 Abs. 2 BGB. 124 Zusammenstellung bei Buck (Fn. 120), S. 20–24. 125 S. oben II.2.b.dd.

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AktG durch Prüferverbände und Betriebswirte und die vorliegenden Stellungnahmen lassen jedoch erwarten, dass die Prüfer sich auch als zur Prüfung von Compliance-Maßnahmen berufen ansehen werden. Aus Sicht der Praxis kommt man daher kaum an der Empfehlung vorbei, sich im Zweifel nach den Standards der Prüfer zu richten126. Den Gerichten muss gleichwohl die Mahnung auf den Weg gegeben werden, dass Prüferstandards kein Recht darstellen und daher nicht blind rezipiert werden dürfen127. Schließlich kann eine mangelhafte Compliance-Organisation die Versagung der Entlastung rechtfertigen bzw. – falls dennoch entlastet wurde – Grund zur Anfechtung des Entlastungsbeschlusses geben. So erklärte das Landgericht München einen Entlastungsbeschluss für nichtig, weil das vom Vorstand nach § 91 Abs. 2 AktG einzurichtende Frühwarnsystem nicht schriftlich dokumentiert worden sei, was vom Gesetz zwar nicht explizit verlangt werde, mit Blick auf die unternehmensinterne Kommunikation und die nach § 317 Abs. 4 HGB vorgeschriebene Prüfung aber geboten sei128. Regulierte Unternehmen (Banken, Versicherungen u. ä.) müssen darüber hinaus mit einer Vielfalt von Maßnahmen rechnen, zu deren Vornahme die BaFin nach den insoweit gleichlautenden Generalklauseln der betreffenden Gesetze (§ 6 Abs. 3 KWG, § 4 Abs. 1 WpHG, § 81 Abs. 2 VAG) ermächtigt ist. In Betracht kommen etwa das Verlangen der Abberufung von Geschäftsleitern129, Tätigkeitsverbote, die Aufhebung oder Einschränkung der Geschäftserlaubnis oder die Einsetzung eines Sonderbeauftragten130. Unternehmen, die nicht der Beaufsichtigung durch die BaFin (oder anderen einschlägig ermächtigten Behörden) unterliegen, sind solchen Maßnahmen selbst dann nicht ausgesetzt, wenn man eine analoge Anwendung von § 25a KWG befürworten wollte.

126 127 128 129 130

So explizit Berg, AG 2007, 271, 275. Vgl. nur Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 330 ff. m. w. N. LG München I, AG 2007, 417 f. Vgl. VG Frankfurt, WM 2004, 2158. Vgl. §§ 35 f. KWG, §§ 83a, 87 VAG.

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V. Sonderfragen 1. Arbeitsrecht Compliance berührt eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Fragen, die hier nur angerissen werden können131. Für den Gesellschaftsrechtler genügt es, sich bei Bedarf arbeitsrechtlichen Sachverstandes zu vergewissern. Unterlässt er dies, kann das Compliance-Programm allerdings selbst zum Compliance-Risiko werden.

a) Schranken der Compliance Dass die Ignoranz arbeitsrechtlicher Vorgaben fatale Konsequenzen haben kann, illustrierte die Wal-Mart-Entscheidung des LAG Düsseldorf, in der der deutschen Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen Konzerns die Durchführung sog. Ethik-Richtlinien unter Androhung eines Ordnungsgeldes teilweise untersagt wurde132 . Von besonderer Bedeutung ist zunächst das zwingende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Fragen der betrieblichen Ordnung (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und bei der Einführung bestimmter Kontrollverfahren (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Virulent wird es bei der Etablierung von Ethik-Richtlinien, die von den Beschäftigten eine über das gesetzliche Maß hinausgehende Korrektheit verlangen (z. B. Anzeigepflichten)133. Wird es missachtet, ist die getroffene Maßnahme schon deshalb unwirksam. Materielle Schranken ziehen die Grundrechte der Beschäftigten, die überzogene Ethik-Verpflichtungen zur Nichtigkeit verdammen134. Schließlich ist das Datenschutzrecht zu beachten, welches die konzerninterne Weitergabe personenbezogener Daten insbesondere ins Nicht-EU-Ausland bremst135.

131 Eingehend Mengel/Hagemeister, BB 2006, 2466; dies., BB 2007, 1386; Maschmann, in: Dölling (Fn. 88), Kap. 3 (S. 87–165); monografisch Mahnhold, Compliance und Arbeitsrecht, 2004; mit Blick auf Compliance im Wertpapiersektor schon Jerusalem (Fn. 73), S. 221 ff. und Grohnert (Fn. 3), S. 98 ff. 132 LAG Düsseldorf, ZIP 2006, 436; die dagegen zugelassene Revision zum BAG wurde zurückgenommen. 133 Vgl. LAG Hessen (Fn. 76); LAG Düsseldorf, ZIP 2006, 436 (beide betr. einen Ethik-Kodex nach US-amerikanischen Sarbanes-Oxley-Vorgaben); zur kollisionsrechtlichen Dimension Schlachter, in: FS Richardi, 2007, S. 1067 ff. 134 Vgl. LAG Düsseldorf, ZIP 2006, 436 (Verbot privater Beziehungen). 135 Vgl. nur Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1389.

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b) Umsetzung von Compliance Sorgsames Vorgehen ist ferner bei der Transponierung zulässiger Compliance-Vorgaben in das konkrete Arbeitsverhältnis gefragt136. Hier bietet sich das einseitig auszuübende Direktionsrecht (§ 106 GewO) an, das jedoch weder außerdienstliches Verhalten erfassen noch die Grundlagen des Arbeitsvertrages ändern kann137. Jenseits seiner Grenzen ist eine arbeitsvertragliche Regelung geboten, welche im Falle der gängigen Musterverträge der AGB-Kontrolle unterworfen ist (vgl. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB). Anschwärzungs- und Selbstbezichtigungsklauseln können danach durchaus problematisch sein138. Bestehende Arbeitsverträge müssen notfalls durch Einsatz der Änderungskündigung angepasst werden, für die der Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung gilt (§ 2 KSchG). Alternativ empfiehlt sich der Abschluss einer Betriebsvereinbarung, die für alle im Betrieb Beschäftigten verbindlich ist (§ 77 Abs. 3 BetrVG), ihrerseits jedoch Schranken unterliegt und daher für die Implementierung eines umfassenden Compliance-Systems alleine nicht ausreicht139. Bei den für Compliance-Verstöße vorgesehenen Sanktionen („Null-Toleranz-Politik“) darf schließlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht übersehen werden, demzufolge die Kündigung immer nur ultima-ratio ist.

c) Anreize für Compliance Das Arbeitsrecht bereitet der Compliance jedoch nicht nur Hürden, sondern fördert sie auch, ja verlangt sie sogar. Wie kein anderes ziviles Rechtsgebiet ist es durch eine Fülle zwingender Vorgaben geprägt, deren Einhaltung zu sichern zum Bestandteil eines umfassenden Compliance-Programms gehört140. Beispiele sind die Vorschriften zum Arbeitsschutz, zur Arbeitnehmerüberlassung, zur Arbeitszeit, zur Sozialversicherung etc. Besondere Erwähnung verdient das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das den Arbeitgeber explizit dazu auffordert, vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung zu treffen und zur entsprechenden Schulung der Mitarbeiter anhält (vgl. § 12 AGG). Kaum erörtert, aber wohl zu bejahen ist die Frage, ob nicht schon die allgemeine Fürsorgepflicht es dem Arbeitgeber 136 Dazu bereits Jerusalem (Fn. 73), S. 221 ff. (betr. Bankensektor). 137 Eingehend Grohnert (Fn. 3), S. 98 ff. (betr. Bankensektor). 138 Vgl. Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1389 f., die allgemeine Whistleblowerund Hotline-Regelungen jedoch für zulässig halten. 139 Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1391. 140 Näher Mengel/Hagemeister, BB 2006, 2466, 2468 ff.; Pelz/Steffek, in: Hauschka (Fn. 3), S. 402 ff.

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gebietet, zum Schutz seiner Mitarbeiter vor Strafrisiken entsprechende Compliance-Maßnahmen zu treffen141. Hat der Arbeitgeber ein Compliance-System installiert, kann ihm das im Kündigungsschutzprozess zugute kommen, weil die grundsätzlich vor einer Kündigung auszusprechende Abmahnung dann als entbehrlich angesehen wird, wenn dem Arbeitnehmer die Bedeutung der Compliance-Regeln und die Intoleranz des Arbeitgebers gegenüber Verstößen eindeutig vor Augen geführt wurden142.

2. Personengesellschaften Während man für die GmbH ebenso wie für die GmbH & Co. KG die aus § 93 AktG abgeleitete Compliance-Pflicht mit der Parallelnorm des § 43 GmbHG begründen kann143, stellt sich für Personengesellschaften die Rechtslage anders dar. Hier wird nicht die strenge Umsicht des „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“, sondern nur die „Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten“ geschuldet (§ 708 BGB)144. Entsprechend rigide Organisationspflichten wie im Aktienrecht werden den geschäftsführenden Gesellschaftern daher nicht angesonnen. Für die Compliance-Pflichten bedeutet das, dass sie im Binnenverhältnis in weitaus geringerem Umfang geschuldet werden. Extern gelten selbstverständlich § 831 BGB ebenso wie § 130 OWiG, aus denen sich Organisationspflichten auch für die Personengesellschafter ergeben. Allenfalls im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung wird man hier Zugeständnisse an die u. U. geringere Professionalität des Managements machen können. Im Übrigen sollte die persönliche Gesellschafterhaftung von sich aus für ein Mindestmaß an Compliance bürgen. Weitergehende Compliance-Anforderungen ergeben sich nur dann, wenn die betreffende Gesellschaft in Bereichen tätig ist, für die das Gesetz besondere Organisationsgebote bereit hält (z. B. KWG).

3. Aufsichtsrat Besondere Beachtung verdient die Rolle des Aufsichtsrats145. Als gesetzlich installiertes Überwachungsgremium scheint er das geborene ComplianceOrgan der AG zu sein. Allerdings ist Gegenstand seiner Kontrolle nur das 141 Angesprochen von Assmann, AG 1994, 237, 255 f. 142 So jedenfalls Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1392 f.; zurückhaltend Jerusalem (Fn. 73), S. 252: Frage des Einzelfalles. 143 Explizit Scholz/Uwe H. Schneider, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rn. 361. 144 Statt aller Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 109 Rn. 5. 145 Darauf hat Marcus Lutter in der Diskussion mit Recht aufmerksam gemacht. Die nachstehenden Ausführungen können die Problematik nur umreißen.

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Handeln des Vorstands, nicht das der sonstigen Mitarbeiter. Damit beschränkt sich seine Aufgabe darauf, die vom Vorstand getroffenen Compliance-Maßnahmen auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen146. Dementsprechend empfiehlt der Kodex, dass sich der – für börsennotierte AGs zur Pflicht gewordene147 – Prüfungsausschuss mit Fragen der Compliance zu befassen hat (Ziff. 5.3.2). Weitergehend wird man verlangen müssen, dass der Aufsichtsrat auch seine eigene Compliance überwacht (ComplianceCompliance)148. Schwierigkeiten bereitet die Informationsversorgung, denn der Aufsichtsrat und seine Ausschüsse können die Wirksamkeit von Compliance nur feststellen, wenn sie über hinreichende Informationen aus dem Unternehmen verfügen, die sie sich nach h. M. aber nur über den Vorstand beschaffen können149. Ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem Compliance-Officer und dem Aufsichtsrat ist damit ausgeschlossen. Rechtspolitisch ist das unbefriedigend, nicht zuletzt weil ein unmittelbarer Kontakt zum Abschlussprüfer erlaubt ist. Das gibt Anlass dazu, die sog. Informationshoheit des Vorstands wenigstens in diesem Punkt zu überdenken150. Dabei muss auch die verwandte Frage gestellt werden, ob sich offenbarungswillige Mitarbeiter unmittelbar an den Aufsichtsrat wenden dürfen. Jedenfalls beim Verdacht schwerer Straftaten ist das zu bejahen151.

4. Konzern Laut DCGK hat der Vorstand auf die Beachtung der gesetzlichen Vorgaben durch die Konzernunternehmen hinzuwirken (Ziff. 4.1.3). Der Kodex geht also von einer konzernweiten Compliance-Verantwortung aus und befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Literatur, die sich durchweg

146 Vgl. E. Vetter, DB 2007, 1963, 1966; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 116. 147 Vgl. Art. 41 der Richtlinie 2006/43/EG (Abschlussprüfer); s. dazu § 289 Abs. 5 HGB i. d. F. des BilMoG (Fn. 51). 148 So zutreffend Bürkle, BB 2007, 1797, 1800; in diesem Sinne (Selbstevaluation des Aufsichtsrats) auch die Kommissionsempfehlung 2005/162/EG (Fn. 53), Zif. 8. 149 Statt aller Hüffer (Fn. 23), § 90 Rn. 11; Lutter (Fn. 146), Rn. 319. 150 Eine vordringende Ansicht hält Direktkontakte zwischen Aufsichtsrat und Angestellten schon nach geltendem Recht für zulässig, vgl. näher Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 191 ff.; Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 106 f. m. w. N.; kritisch aber Lutter (Fn. 146), Rn. 320; zurückhaltend Fleischer, in: Spindler/Stilz (Fn. 5), § 90 Rn. 44. 151 Lutter (Fn. 146), Rn. 319.

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im nämlichen Sinne äußert152 . Zwar wird eine extensive Konzernleitungspflicht heute überwiegend abgelehnt, doch ist man sich darüber einig, dass den Leiter des herrschenden Unternehmens zumindest eine Konzernkontrollpflicht trifft153. Dieser darf sich also grundsätzlich nicht auf eine Beteiligungsverwaltung beschränken, sondern muss auch die Vorgänge in den nachgeordneten Gesellschaften (einschließlich der Achtung des Legalitätsprinzips) im Blick halten. Wie weit die Kontrollpflicht im Einzelnen reicht, hängt von den rechtlichen Möglichkeiten zur Einwirkung auf das abhängige Unternehmen ab, aber auch von der konkreten Konzernstruktur154. Die Einrichtung einer zentralen Compliance-Stelle („Group Compliance Officer“) ist empfehlenswert, aber nur bei einheitlicher Leitung (§ 18 AktG) geschuldet155. Die Konzernkontrollpflicht folgt aus §§ 76, 93 Abs. 1 AktG. Sie besteht nach h. M. nicht gegenüber dem abhängigen, sondern nur gegenüber dem herrschenden Unternehmen156. Fraglich ist, ob auch die sonstigen Compliance-relevanten Rechtsnormen einer konzerndimensionalen Ausdehnung zugänglich sind. Einzelne aufsichtsrechtliche Normen sehen eine Verantwortung der Konzernspitze für das gesetzmäßige Verhalten abhängiger Gesellschaften explizit vor (z. B. § 15 GwG, § 10a Abs. 8 KWG) Aus den bereits genannten Gründen sind sie jedoch nicht auf andere Sachverhalte übertragbar157. Was die haftungsrechtlichen Tatbestände (§ 823 ff. BGB, § 130 OWiG) betrifft, weisen einige Gerichtsentscheidungen einen Kon152 Wegweisend Uwe H. Schneider, ZGR 1996, 225, 242–245; seither Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, AG 2005, 57, 58 f.; dies., ZIP 2007, 2061, 2063; Sven H. Schneider, in: Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 3), § 8 Rn. 17 u. 19; Kremer/Klahold, in: Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 3), § 18 Rn. 8; Bürkle, in: Hauschka (Fn. 3), § 8 Rn. 39; ders., BB 2007, 1797, 1799; Scharpf (Fn. 12), S. 190 ff.; Grohnert (Fn. 3), S. 97; Lösler (Fn. 3), S. 294 ff.; für das Schweizer Recht Buff (Fn. 5), Rn. 137. 153 Vgl. nur Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. 2008, § 311 Rn. 87; dies., Konzernrecht, 8. Aufl. 2005, S. 369; Löbbe (Fn. 45), S. 74 ff., 103 (Ergebnis); Fleischer, in: HbVorstR (Fn. 5), § 18 Rn. 21 ff.; ders., DB 2005, 759, 763; vertiefend Götz, ZGR 1998, 524 ff. 154 Vertiefend Fleischer, in: HbVorstR (Fn. 5), § 18 Rn. 24 ff.; Löbbe (Fn. 45), S. 104 ff.; Beispiele aus der Bankenpraxis bei Grohnert (Fn. 3), S. 153–156. 155 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061, 2065 (Ermessenssache); Emmerich/Habersack (Fn. 153), S. 369 a. E. (konzernweites Controlling bei Übergang zu einheitlicher Leitung erforderlich); weitergehend (stets erforderlich) Lösler (Fn. 3), S. 301 (betr. Wertpapierbereich). 156 In der Diskussion klargestellt von Habersack (s. Diskussionsbericht); abweichend Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061, 2065 m. w. N. 157 Vgl. oben II.2.b.dd. Anders folgerichtig Uwe H. Schneider, ZGR 1996, 225, 242 f.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061, 2063.

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zernbezug auf, ohne jedoch eine klare Linie vorzugeben158. In der Literatur artikulieren sich einzelne Stimmen, die – z. T. unter Hinweis auf die kartellamtliche Bußpraxis159 – für eine weitreichende deliktische bzw. strafrechtliche Organisationsverantwortung der Konzernspitze eintreten160. Dagegen wird mit Recht eingewandt, dass ein derartiger Ansatz die fehlende Rechtspersönlichkeit des Konzerns überspielt, das gesellschaftsrechtliche Schutz- und Ausgleichssystem ausblendet und die Konzernspitze zur intensiven Einmischung nötigt161. Vorzugswürdig ist ein differenzierter Ansatz, der grundsätzlich beim Adressaten der verletzten Norm (also bei der einzelnen Konzerngesellschaft) ansetzt und den Umstand seiner Konzerneinbindung je nach Art und Umfang der konzerninternen Aufgabenverteilung berücksichtigt162 . Auch danach bleibt ein Mindestmaß an Konzern-Compliance geschuldet. Einzelheiten – etwa zum konzerninternen Informationsaustausch – sind noch diskussionsbedürftig163.

5. Ausland Pikant ist die Frage, inwieweit eine pflichtgemäße Compliance-Organisation auch auf Auslandssachverhalte zu erstrecken ist. In der ComplianceLiteratur wird sie meist pauschal bejaht164. Aus der oben angesprochenen Beraterperspektive mag das plausibel sein, weil man damit „auf Nummer Sicher“ geht. Die juristische Analyse muss aber differenzieren: Weil es keine allgemeine Compliance-Pflicht, sondern nur normspezifische Compli158 Vgl. z. B. BGHZ 99, 167, 171 („Honda“): Erhöhte Produktbeobachtungspfl icht der zum Herstellerverbund gehörenden Vertriebsgesellschaft; BGH, VersR 1960, 866: Zurechnung des Produktrisikowissens an Muttergesellschaft wegen Doppelmandat; zu § 130 OWiG Göhler/König (Fn. 84), § 130 Rn. 5a: „Von einer Klärung weit entfernt“. 159 Die Kartellbehörden behandeln den Konzern unter bestimmten Voraussetzungen als „wirtschaftliche Einheit“, vgl. dazu nur Kremer/Klahold, in: Krieger/ Uwe H. Schneider (Fn. 3), § 18 Rn. 9; eingehend Dannecker/Biermann (Fn. 111), Rn. 78 ff. 160 Vgl. z. B. Oehler, ZIP 1990, 1445 ff.; Ransiek, ZGR 1999, 613, 628 ff.; Rogall, in: KölnKomm.OWiG (Fn. 26), § 130 Rn. 25 ff. 161 Spindler (Fn. 31), S. 948–955; ders., in: HbVorstR (Fn. 5), § 13 Rn. 94 ff., § 15 Rn. 124 ff.; ablehnend auch Göhler/König (Fn. 84), § 130 Rn. 5a. 162 So Spindler (Fn. 31), S. 955–958; ders., in: HbVorstR (Fn. 5), § 13 Rn. 107–112. 163 Vgl. dazu Diskussionsbericht; weiterführend Sven H. Schneider (Fn. 6), S. 310 ff.; Lutter (Fn. 146), Rn. 148 ff. 164 Vgl. Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061, 2064 („gilt weltweit“); Bürkle, BB 2007, 1797, 1799; ders., in: Hauschka (Fn. 3), § 8 Rn. 39; Hauschka, AG 2004, 461, 470; Grohnert (Fn. 3), S. 56; zu Recht differenzierend aber Riegger/Götze, in: Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 3), § 24 Rn. 39–50.

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ance-Pflichten gibt (oben II.2.b.), kommt es zunächst auf die Aussagen der jeweiligen Compliance-Vorschrift an. Diese kann ihrerseits ausländischen Ursprungs sein (z. B. Sarbanes-Oxley-Act) und ist dann nach den Grundsätzen ihrer Heimatrechtsordnung zu interpretieren. Danach wird sich häufig die Pflicht zur Einhaltung der Rechtsnormen eben dieser Rechtsordnung ergeben. Voraussetzung dafür ist freilich, dass die ausländische Compliance-Norm auf deutsche Unternehmen überhaupt anwendbar ist. Nach kollisionsrechtlichen Grundsätzen ist das nur der Fall, wenn ein hinreichender Kontakt zu dieser Rechtsordnung besteht, was etwa bei der Börsennotierung in den USA, aber auch schon beim grenzüberschreitenden Produktvertrieb gegeben sein kann165.

a) Direktgeschäft Konzentrieren wir uns hier auf die inländischen Compliance-Normen, so schulden deutsche Unternehmen danach jedenfalls die Einhaltung deutscher Rechtsnormen. Daran ändert sich nichts, wenn die betreffende Norm einen Auslandssachverhalt erfasst. Das oft gebrachte Beispiel der Bestechung ausländischer Amtsträger166 – strafbar gem. § 334 StGB i. V. m. Art. 2 § 2 IntBestG – ist also schon deshalb Compliance-relevant, weil es dabei um die Einhaltung inländischer Normen geht. Ob auch die Einhaltung ausländischer Normen sicherzustellen ist, richtet sich nach den – gegebenenfalls auslegungsbedürftigen – Vorgaben der betreffenden Compliance-Norm. § 25a KWG etwa spricht schlicht von den „zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen“, womit auch ausländische Normen erfasst sein dürften, soweit sie nach deutschem Kollisionsrecht anwendbar (und damit „zu beachten“) sind. Dagegen stehen die deliktischen Organisationspflichten in dienender Stellung zu den durch sie zu sichernden primären Sorgfaltsgeboten (oben II.2.b.bb.) und erwarten daher nur die Vollzugssicherung deutscher Verkehrspflichten167. Gleiches gilt für §§ 30, 130 OWiG, die die Vermeidung straf- oder bußgeldbewehrter Anknüpfungstaten bezwecken und damit nur solche des deutschen Rechts meinen können168. 165 Zu letzterem Heller, NZG 2007, 851 ff. 166 Vgl. z. B. Fleischer, in: Spindler/Stilz (Fn. 5), § 93 Rn. 26 f.; Möslein (Fn. 46), S. 144; Berg, AG 2007, 271, 273; vertiefend Riegger/Götze (Fn. 164), Rn. 40–46; Möhrenschlager, in: Dölling (Fn. 88), S. 532 ff. 167 Beispiel: Missachtet ein deutsches Unternehmen Überwachungspflichten des deutschen Deliktsrechts und wird dadurch eine US-amerikanische, jedoch keine deutsche Verkehrspfl icht verletzt, kommt eine Haftung nach §§ 823, 831 BGB nicht in Betracht. 168 Deutsche Gerichte wenden keine ausländischen Strafnormen an, vgl. nur Schönke/Schröder/Lenckner (Fn. 75), Vorbem. §§ 3–7 Rn. 2.

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Weiter reicht die aus § 93 AktG abgeleitete Compliance-Pflicht (oben II.2.b.cc.), weil sie generell auf die Abwehr von Nachteilen für das Unternehmen zielt. Solche Nachteile können sich auch daraus ergeben, dass eine ausländische Rechtsnorm missachtet wurde. So wird im Wirtschaftskollisionsrecht i. d. R. an den betroffenen Markt angeknüpft, womit im Inland vorgenommene Handlungen, die sich im Ausland auswirken, ausländisches Marktordnungsrecht verletzen können. Standardbeispiel ist der Verstoß gegen fremdes Kartellrecht169. In neuerer Zeit ist an die Verletzung fremden Rechts durch Internetpublikationen zu erinnern170. Weil auch solche Verstöße sich nachteilig auf Ruf, Umsatz oder (im Ausland belegenes) Vermögen auswirken können, muss ein Compliance-System auch sie im Auge behalten. Das gilt selbst dann, wenn die Anwendung ausländischen Rechts durch fremde Behörden oder Gerichte aus unserer Sicht eine Rechtsanmaßung darstellt, weil sie deutschen oder internationalen Kollisionsgrundsätzen (z. B. ordre public) widerspricht171. Denn auch die Rechtsanmaßung kann für das Unternehmen Nachteile bringen (z. B. Beschlagnahme ausländischen Vermögens, Ausschluss von Aufträgen), die abzuwenden der Vorstand verpflichtet ist172 . Allerdings wird man dem Vorstand hier einen großzügigen Beurteilungsspielraum einräumen müssen173. Insbesondere sollte er die Freiheit haben, sich im Einzelfall unter Abwägung der Vor- und Nachteile auf den Stand des deutschen (Kollisions-)Rechts zu stellen und nur die Einhaltung solcher Normen zu gewährleisten, die nach unserem Rechtsverständnis auch wirklich anwendbar sind. Andernfalls würde das Unternehmen erpressbar, weil jedes Land unter Behauptung irgendwelcher Rechtsverstöße den Vorstand zum Einlenken zwingen könnte. Abgesehen davon gilt, dass kein Unternehmen alle potenziell einschlägigen (oder sich für einschlägig erklärenden) fremden Normen kennen kann, weshalb jedenfalls im Rahmen der Zumutbarkeit Abstriche an die Compliance-Anforderungen zu machen sind. Ob daran festgehalten werden kann, dass die Einhaltung ausländischer Normen, die in ihrer Heimat nur auf dem Papier stehen, auch

169 Vgl. nur Glöckner/Tautpheus, AG 2001, 344, 345. 170 Vgl. nur den Fall Yahoo! v. La Ligue Contre Le Racisme: Einstweilige Verfügung gegen US-Unternehmen wegen Zugänglichmachen rechtsradikalen Materials in Frankreich, dazu Wilhelmi, IPRax 2007, 232. 171 Vgl. nur Heller, NZG 2007, 851 (betr. punitive damages). 172 Hier lässt sich eine Parallele zu den Zahlungen an erpresserische Aktionäre ziehen, die ebenfalls für zulässig gehalten werden, vgl. näher Riegger/Götze (Fn. 164), § 24 Rn. 62 ff. 173 Ebenso Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 93 Rn. 78, 80.

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für deutsche Unternehmen nicht geboten ist174, muss mit Blick auf jüngste Entwicklungen mit einem Fragezeichen versehen werden175.

b) Konzerntochter Häufig wird das Auslandsgeschäft nicht direkt, sondern über ausländische Konzerntöchter abgewickelt. Inwieweit diese zu Legalität und Compliance verpflichtet sind, ist eine Frage, die nach der – möglicherweise laxeren, möglicherweise strengeren – Heimatrechtsordnung zu beantworten ist. Aus deutscher Sicht kommt es darauf an, ob die deutsche Mutter ihrerseits einer Überwachungspflicht unterliegt. Nach dem Gesagten ist der Vorstand der Obergesellschaft jedenfalls im Verhältnis zu dieser zur Konzernüberwachung verpflichtet, weil Risiken, die sich in den Töchtern realisieren, auf die Konzernmutter „durchschlagen“ können (oben, V.3.). Möglicherweise fordert auch das ausländische Gesellschafts- oder Haftungsrecht der deutschen Mutter eine solche Überwachung ab176. Der Vorstand wird daher jedenfalls nicht die Augen verschließen dürfen, sondern muss sich – wiederum abhängig von Größe, Lage, Branche etc. – darüber kundig machen, welche Compliance-Pflichten vor Ort bestehen und ob diese eingehalten werden. Erneut sind dabei Abstriche unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zu machen. Strikte Legalität wird der Tochter dann nicht abverlangt werden müssen, wenn diese vor Ort nicht erwartet oder praktiziert wird177. Internationale Verhaltenskodizes mögen anderes vorgeben, doch ist deren Einhaltung nur dann rechtlich geboten, wenn das betroffene Unternehmen sie verbindlich versprochen oder ihre Missachtung gravierende Konsequenzen (z. B. Abkehr wichtiger Investoren) hat. Nur am Rande sei daran erinnert, dass die Etablierung deutscher (oder internationaler) Ethik-Standards in ausländischen Töchtern oder Niederlassungen mit dor-

174 So noch Mertens, in: KölnKomm.AktG (Fn. 42), § 93 Rn. 36; Spindler, in: MünchKomm.AktG (Fn. 5), § 93 Rn. 81. 175 Meinem Ko-Referenten verdanke ich den Hinweis, dass „Papiernormen“ dann gerne zum Leben erweckt werden, wenn damit ausländische Investoren belangt werden können. Vgl. auch FAZ v. 7. 12. 2007, S. 16: Nigeria schließt Siemens wegen Bestechung von weiteren Aufträgen aus. 176 Angedeutet bei Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645, 647: Ausstrahlung der Erwartungen ausländischer Rechtsordnungen auf das herrschende Unternehmen im Inland. 177 Vgl. aber nochmals Fn. 174.

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tigen Rechtsvorschriften oder Werten kollidieren mag, weshalb dabei mit dem nötigen Fingerspitzengefühl vorzugehen ist178.

VI. Rechtspolitischer Ausblick Die aktienrechtliche Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation ist eben erst durch den Kodex verdeutlicht worden (oben II.2.b.bb). Ihre Aufnahme in einen neuen, dritten Absatz des § 91 AktG würde dessen Überschrift („Organisation“) mit Leben füllen179, drohte aber, die Relativität der Compliance-Pflichten (oben II.2.a.) unter den Tisch zu kehren. Sie sollte daher jedenfalls so lange unterbleiben, wie sie nicht durch EU-Recht geboten ist180. Aus demselben Grund ist davon Abstand zu nehmen, eine allgemeine Compliance-Pflicht nach dem Muster des § 25a KWG für alle Unternehmen, gleich welcher Branche, Größe und „Gefahrenklasse“, einzuführen. Sie wäre nur tragbar, wenn das Gesetz ausdrücklich eine entsprechende Abstufung zuließe. Eine solche im Gesetz selbst vorzunehmen, schüfe Rechtssicherheit, würde aber kaum der Vielgestalt der Rechtswirklichkeit gerecht. Entsprechendes gilt für Vorgaben dazu, welche Elemente ein sachgerechtes Compliance-System zu enthalten hätte181. Sie gehören allenfalls in den Kodex182 . In der Literatur ist daher der Vorschlag unterbreitet worden, von der Regulierung des Compliance-Wesens (jenseits der schon vorhandenen Regeln) abzusehen und statt dessen auf die Entwicklung einer „best practice“ zu setzen, die sich z. B. in Diskussionsforen, Fachpublikationen u. a. artikulieren könnte183. Dieser Vorschlag verdient grundsätzlich Zustimmung, weil er Raum für die Sammlung unverzichtbarer Erfahrungen lässt und gleichzeitig eine Überregulierung vermeidet. Compliance-Elemente, die sich in diesem evolutorischen Normungsprozess als wichtig oder unabdingbar herauskristallisiert haben, könnten immer noch in einen halbamtlichen Kodex oder 178 Wie es der Wal-Mart-Konzern vermissen ließ, s. oben Fn. 132 ff. 179 Die jetzige Norm wird nicht zu Unrecht als „Etikettenschwindel“ bezeichnet, weil sie außer dem Frühwarnsystem und der Buchhaltungspflicht keinerlei organisatorische Vorgaben enthält, diese vielmehr aus § 93 Abs. 1 AktG herausgelesen werden müssen, vgl. Bürkle, BB 2005, 565, 567. 180 Der Entwurf des BilMoG (Fn. 51) sieht denn auch keine entsprechende Ergänzung des § 91 AktG vor. 181 Ablehnend auch Peltzer, AG 2007, 459, 460. 182 In diesem Sinne z. B. Campos Nave, BB 2007, Heft 31, Seite I: Unabhängigkeit des Compliance-Officers im Kodex festschreiben. 183 Hauschka, ZRP 2005, 65 ff.

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eine EU-Empfehlung als unverbindliche Anregung übernommen werden. Der Gesetzgeber wäre damit nicht zur Passivität verurteilt, sondern könnte nach dem Vorbild des Unternehmensregisters ein amtliches Zentralforum schaffen, in dem etablierte Compliance-Praktiken abrufbar wären. In besonders hartnäckigen Bereichen, etwa der Korruptionsbekämpfung, wird man es dabei nicht belassen können, sondern eine Unternehmenssanktion einführen müssen, die nicht vom Nachweis einer individuell zurechenbaren Anknüpfungstat abhängt184. Das sollte den Unternehmen und ihren Eignern genügend Anlass geben, von sich aus zu präventiven Maßnahmen zu greifen. Je dosierter der Gesetzgeber derartige Anreize setzt, desto mehr können sich die Unternehmen darauf konzentrieren, die Einhaltung der für das Gemeinwohl wirklich bedeutsamen Normen zu gewährleisten. Dass eine „best practice“ völlig ohne staatlichen Anschub das gewünschte Ergebnis liefert, steht mit Blick auf einschlägige Erfahrungen (Insiderhandel, Doping, etc.) allerdings nicht zu erwarten.

VII. Zusammenfassende Thesen 1. Den Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft trifft bei Erreichen gewisser Risikoschwellen die Pflicht zur Einrichtung einer ComplianceOrganisation. Sie ist Teil seiner Organisationsverantwortung und folgt aus § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG. 2. Alle Unternehmen sind darüber hinaus verpflichtet, bei Bedarf Mindestvorkehrungen gegen die Verletzung bestimmter Rechtsgüter durch Unternehmensangehörige zu treffen. Diese Pflicht ergibt sich aus allgemeinen Haftungstatbeständen (§ 130 OWiG; § 831 BGB). 3. Eine weitergehende Compliance-Organisationspflicht, die jedem Unternehmen ungeachtet seiner „Risikoklasse“ die Vermeidung jedweden Rechtsbruchs aufgibt, ist nicht anzuerkennen. 4. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Compliance-Organisation steht den Geschäftsleitern ein weites Ermessen zu. Dabei genießen sie den Schutz der Business Judgement Rule. Welche Maßnahmen konkret zu treffen sind, bestimmt sich nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. 184 Bachmann/Prüfer, ZRP 2005, 109, 113 ff. m. w. N.; vgl. auch Uwe H. Schneider, EuZW 2007, 553 (zum neuen britischen „Corporate Manslaughter and Corporate Homicide Act 2007“). In Deutschland behilft man sich einstweilen mit einer extensiven Interpretation der §§ 30, 130 OWiG (s. oben Fn. 26), vgl. dazu FAZ v. 6. 10. 2007 (zum Fall Siemens).

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5. Das Unterlassen von Compliance-Maßnahmen kann zur Haftung führen, wenn die Maßnahmen ex-ante erforderlich und zumutbar waren und den Normverstoß nachweislich verhindert hätten. Beweiserleichterungen zu Lasten des Verpflichteten greifen, wenn anerkannte Compliance-Standards ignoriert wurden. 6. Als negative Konsequenzen unterlassener Compliance-Maßnahmen kommen ferner die Verweigerung der Entlastung und die Einschränkung des Prüfervermerks in Betracht. Um dem zu begegnen, sollten Compliance-Maßnahmen dokumentiert werden. 7. Der Aufsichtsrat ist zur Kontrolle der Compliance-Organisation berufen. Er ist aber kein „Super-Compliance-Organ“. 8. Personengesellschaften sind im Außenverhältnis denselben Compliance-Anforderungen unterworfen wie Kapitalgesellschaften. Im Binnenverhältnis gelten u. U. weniger strenge Organisationsvorgaben (vgl. § 708 BGB). 9. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind die betriebliche Mitbestimmung und die Grundrechte der Arbeitnehmer zu beachten. Zur Umsetzung von Compliance-Programmen ist der kombinierte Einsatz von Direktionsrecht, rechtsgeschäftlichen Instrumenten und Betriebsvereinbarung zu empfehlen. 10. Der Konzern als solcher ist nicht Adressat von Compliance-Pflichten. Im Rahmen seiner Konzernleitungsverantwortung trifft den Leiter des herrschenden Unternehmens aber die Pflicht, konzernweite Compliance-Vorkehrungen zu treffen. Das gilt mit Abstrichen auch für ausländische Töchter. 11. Auslandssachverhalte sind Compliance-relevant, soweit das deutsche Recht dies befiehlt. Im Übrigen ist die Einhaltung ausländischer Normen nur zu gewährleisten, wenn diese nach kollisionsrechtlichen Maßstäben anwendbar sind und/oder ihre Durchsetzung zu erwarten ist. 12. Die ausdrückliche Aufnahme der Compliance-Organisationspflicht in das Aktienrecht ist entbehrlich. Zumindest die inhaltliche Ausgestaltung von Compliance-Programmen sollte nicht gesetzlich vorgeschrieben werden.

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Bericht über die Diskussion der Referate Hauschka und Bachmann Dr. Ulrike Unger Rechtsanwältin, München

I. Die Diskussion im Anschluss an die Referate von Hauschka und Bachmann wurde von Hommelhoff geleitet. Dieser führte in die Diskussion unter dem Hinweis ein, dass Compliance als neue Fragestellung aus dem außerrechtlichen in den juristischen Bereich vorgedrungen sei. Die Hauptpunkte der Diskussion bildeten folgende Fragenkomplexe: Die Definition und gesetzliche Grundlage von Compliance (II.), die Stellung des Compliance-Officers (III.), die Rolle des Aufsichtsrates (IV.) sowie Konzern- bzw. Auslandssachverhalte (V.). Sonstige im Rahmen der Diskussion aufgeworfene Punkte werden im Folgenden unter Ziffer VI. zusammengefasst.

II. Zur Definition von Compliance im weitesten Sinne wurde von Eberhard Vetter hervorgehoben, dass im Bereich des Kapitalmarktrechts bereits vereinzelt Compliance-Aufgaben gesetzlich geregelt seien. Er wies dabei auf die Verpflichtung zur Führung von Insiderverzeichnissen nach § 15b WpHG mit der dazu gehörenden Verordnung hin wie auch auf die Regelung der Directors Dealings nach § 15a WpHG. Die Beachtung der beiden Vorschriften setze zwangsläufig entsprechende unternehmensinterne organisatorische Vorkehrungen voraus. Ergänzend hierzu merkte Veil an, dass das Kapitalmarktrecht Ausgangspunkt der gesamten ComplianceDiskussion gewesen sei. Insbesondere die MiFID trage wesentlich zur Compliance-Debatte bei. Hierzu erwiderte Bachmann, dass dieser Bereich von ihm bewusst ausgeblendet worden sei, da es hierzu minutiöse Regelungen gebe, deren Darstellung weniger interessant sei als die Betrachtung der ungeregelten Bereiche. Jedenfalls sollten die Unterschiede zwischen regulierten und nichtregulierten Bereichen nicht durch Gesamtanalogien verwischt werden. Weber-Rey wies zusätzlich auf die Verbindung von Com-

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pliance und Aufsichtsrecht hin und betonte die Vorreiterrolle des Versicherungsrechts. Insbesondere der (zwischenzeitlich Gesetz gewordene) Regierungsentwurf zu § 64a VAG bezüglich der Anforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen und das Risikomanagement sei hier zu beachten. Hauschka kommentierte diese Bemerkungen damit, dass das Versicherungsrecht in Teilen durchaus Vorbildfunktion für die Compliance-Diskussion habe, aber die Regelungen auf „normale“ Industrieunternehmen nicht analog anwendbar seien. Eberhard Vetter war entgegen der Ausführungen von Hauschka nicht der Auffassung, dass der gebildete Fall über eine deutsche Großbank, die eine 10%ige Beteiligung an einer Bank in Vietnam erworben habe, ein typischer Fall von Compliance sei. Dies stelle möglicherweise ein missglücktes Investment der deutschen Bank dar, wenn beim Erwerb besondere Risiken übersehen worden seien. Unter dem Gesichtspunkt Compliance sei dieser Fall lediglich dann zu beurteilen, wenn (hypothetischer Fall) an dieser Bank für den Erwerber erkennbar etwa chinesische Triaden beteiligt seien, die mit Hilfe der Bank illegale Geschäfte (z. B. Geldwäsche) betreiben würden. Hauschka gab zu diesem Beitrag zu bedenken, dass es sich insbesondere bei einer etwaigen Rückabwicklung durchaus um eine Haftungskonstellation – weil um einen vermeidbaren Schaden – und damit auch um eine Compliance-Frage handle. Die weitere Frage von E. Vetter, ob eine gesetzliche Grundlage für Compliance erforderlich sei, wurde von Bachmann unter Hinweis auf die jüngste Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex verneint, dessen Regelung er vorerst für ausreichend erachte. Veil warf zu diesem Themenkomplex noch die Frage auf, ob nicht schon die Baustoff-Entscheidung des BGH als Compliance-Fall zu begreifen sei. Dies wurde von Hauschka bejaht und durch Bachmann dahingehend ergänzt, dass der Baustofffall in der Tat die Basis-Organisationspflichten zum Ausdruck gebracht habe. Lutter stimmte mit der These von Hauschka überein, dass die Entwicklung von Standards erforderlich sei und es nicht ein einziges ComplianceModell geben könne.

III. Zur Stellung des Compliance-Officers gab Veil zu bedenken, dass dieser den Unternehmensinteressen und zugleich auch den öffentlichen Interessen diene. Das Gesellschaftsrecht enthalte hierfür keine zwingenden Vorgaben. Insbesondere seien Problembereiche wie etwa das Recht zur unmit-

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telbaren Kontaktaufnahme mit der BaFin sowie das eigenständige Anzeigerecht des Compliance-Officers zu klären: Solche Konstellationen stellen nach Auffassung von Veil neue Herausforderungen an das Gesellschaftsrecht. Bachmann stimmte dem ausdrücklich zu. Findeisen wandte sich zum einen mit der Frage an Hauschka, ob sich für Querschnittsaufgaben die Einrichtung eines Compliance Committee anbiete. Zum anderen erkundigte er sich bei diesem nach der Erforderlichkeit eines Ombudsmannes und bejahendenfalls, ob dieser zwingend extern eingerichtet werden müsse. Hauschka antwortete darauf, dass die Beantwortung beider Fragestellungen von der Risikosituation im Unternehmen abhänge. Vorteile eines Ombudsmannes seien, dass das Unternehmen Informationen schneller erhalte und damit einen Handlungsspielraum erhalte. Dies sei allemal besser, als wenn der Mitarbeiter sich direkt an die Staatsanwaltschaft wende. Für die Auslagerung an einen externen Beauftragten spreche die höhere Akzeptanz bei den Mitarbeitern des Unternehmens.

IV. Ein Schwerpunkt der Diskussion betraf die Rolle des Aufsichtsrates. Lutter war der Ansicht, dass dies in beiden Referaten zu kurz gekommen sei. In das compliancerelevante Risikomanagement müsse der Aufsichtsrat einbezogen werden. Hauschka bemerkte, dass in vielen Unternehmen die Sorge bestehe, dass sich der Aufsichtsrat nach der Abschlussprüfer-Richtlinie nun unmittelbar engagieren soll. Dies sei tatsächlich mit dem traditionellen Rollenverständnis des Aufsichtsrates nur noch schwer zu vereinbaren. Mit der Umsetzung der Richtlinie müsse der Compliance-Officer direkt an die Aufsichtsratsausschüsse berichten, was durchaus problematisch sei. Bachmann fügte hinzu, dass der Aufsichtsrat dadurch noch weiter professionalisiert würde, was wünschenswert sein möge, aber mit seiner traditionell ehrenamtlichen Funktion nicht mehr in Einklang zu bringen sei.

V. Einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion bildeten die noch ungeklärten Unternehmenspflichten bei Konzernsachverhalten auch mit Auslandsbezug. Veil verwies diesbezüglich auf § 25a KWG und merkte gleichzeitig

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an, dass die hierdurch aufgestellten Informationspflichten mit §§ 311 ff. AktG nicht vereinbar seien. Bachmann erklärte dazu, dass die jüngere Literatur sich zunehmend einer funktionalen Argumentation bediene, indem sie von der Aufgabe auf die dazu gehörige Befugnis schließe und damit das geschriebene Recht zum Teil verdränge. Dieser Ansatz werde vor allem in rechtsvergleichenden Arbeiten zum angelsächsischen Recht sichtbar. Habersack fragte im Hinblick auf das Referat von Bachmann, ob die Konzernkontrollpflichten auch gegenüber den Tochtergesellschaften bestünden, oder ob sie sich nicht vielmehr nur daraus ergäben, dass die Obergesellschaft aus Rechtsverstößen der Tochtergesellschaft eigene Vermögensnachteile erleide. Hauschka beantwortete die Frage im letztgenannten Sinne, gab aber zu bedenken, dass dies im Einzelfall in der Praxis schwer zu trennen sei. Bachmann pflichtete dem bei und stellte klar, dass er mit seinem Referat keine neue Konzernrechtsdoktrin habe aufstellen wollen, seine Darstellung allerdings verkürzt ausgefallen sei. Johannes Semler stimmte mit Habersack darin überein, dass das Konzernrecht und nicht Compliance maßgeblich sei. Man müsse in den Strukturen des Aktienrechts bleiben, wenn über Compliance gesprochen werde. Das Recht werde nicht neu erfunden, die Vorgaben des bestehenden Rechts seien zu beachten. Für Konzernstrukturen müsse hohe Sensibilität bestehen. Insgesamt gäbe es hierzu einen konsolidierten Meinungsstand. Ein weiterer Diskussionsteilnehmer fragte nach dem Inhalt der Konzernpfl icht auch im Hinblick auf ausländische Tochtergesellschaften und erwähnte den Fall Siemens. Darauf erwiderte Hauschka, auch Auslandskorruption sei seit 1999 strafbar. Bachmann wiederholte seine bereits im Referat ausgeführte Ansicht, wonach in Deutschland keine Compliance-Anforderungen bestünden, wenn etwas im Ausland nicht strafbar sei oder dort tatsächlich nicht verfolgt werde. Dies gelte solange der deutsche Gesetzgeber nicht befehle, dass alle ausländischen Gesetze einzuhalten seien.

VI. Lutter merkte an, dass Compliance nicht zugleich der Effizienzsteigerung des Unternehmens dienen sowie Teil des Risikomanagements sein könne. Eine solche Verbindung sei überaus problematisch, weil unterschiedliche Zielrichtungen betroffen und damit strikt voneinander zu trennen seien. Hauschka stimmte Lutter insoweit zu, dass Effi zienzsteigerung kein Teil

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juristischer Compliance sei. Compliance sei eine Querschnittsaufgabe, mit der sich unter anderem das Controlling, Revision und Risikomanagement befassen würden. Bachmann ergänzte, dass ein Herausdrängen der Juristen aus den mit Compliance verbundenen Aufgaben in jedem Fall zu vermeiden sei. Mattheus trat der Kritik an dem Selbstverständnis von Wirtschaftsprüfern und Betriebswirten im Referat von Bachmann entgegen. Nach Art. 41 der Abschlussprüfer-Richtlinie müsse der Prüfungsausschuss das Risikomanagementsystem bezüglich Rechnungslegungsfragen überwachen. In der Richtlinie würde wiederum auf eine Empfehlung Bezug genommen, welche ausdrücklich die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften anspreche. Daraus könne geschlossen werden, dass auch die Überwachung der Compliance-Organisation zu den Aufgaben der Prüfer gehöre. Hierzu bemerkte Bachmann, dass es sich um eine Frage der systematischen Auslegung handle. Der Rechnungslegungskontext, in dem die fraglichen Richtlinien stünden, lege aus seiner Sicht ein eher engeres Verständnis nahe.

VII. Das Schlusswort zur Diskussion hatte Hommelhoff mit der Feststellung, dass es sich bei Compliance um ein neues Aufgabengebiet mit Aufgaben für Juristen handle.

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Zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen – rechtspolitische Vorschläge* Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Baums Institute for Law and Finance Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Rechtstatsachen . . . . . . . . . . . 110 III. Nachteile eines „Klagegewerbes“ . . . . . . . . . . . 112 IV. Mindestanteilsbesitz für Anfechtungsklagen? („italienische Lösung“) . . . . . . 114 V. Umgestaltung des Freigabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Per se – Freigabe bei Fehlen eines Mindestanteilsbesitzes? („spanische Lösung“). . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Änderung der Interessenabwägungsklausel . . . . . . . 117

3. Beschleunigung des Freigabeverfahrens . . . . . a) Zustellungshindernisse . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung auf eine Instanz . . . . . . . c) Zuständigkeit des Oberlandesgerichts . . . . . . . . . . .

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VI. Vergleichswert und „Vergleichsmehrwert“ . . . . . 124 VII. Änderung des Spruchverfahrensrechts . . . 127 VIII. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . 130

I. Einführung Der Gesetzgeber hat mit dem am 1. 11. 2005 in Kraft getretenen „Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG)“ eine Reform der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen im Aktienrecht eingeleitet. Eine empirische Studie zu den praktischen Auswirkungen des UMAG hat ergeben, dass der Gesetzgeber wichtige Schritte unternommen hat, dass aber nicht alle Ziele erreicht werden konnten, sondern weiterer dringlicher Reformbedarf besteht, der sich im Wesentlichen erst in jüngerer Zeit, nach dem Abschluss der Beratungen zum UMAG, entwickelt und gezeigt hat1. Danach ist nämlich nicht nur die Anzahl der Beschlussmängelklagen gegen Hauptversammlungsbe* Der nachfolgende Beitrag basiert auf einer eingehenderen Studie, die in Zusammenarbeit mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Florian Drinhausen, Frankfurt am Main, entstanden ist (veröffentlicht in ZIP 2008, 145 ff.). 1 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629 ff.

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schlüsse nochmals absolut und relativ, im Verhältnis zur gewachsenen Anzahl der Aktiengesellschaften, deutlich gestiegen, sondern insbesondere auch das bereits seit langem bekannte „Klagegewerbe“ nach 2002, nach dem Abschwung des Aktienmarktes, kräftig aufgeblüht. Inzwischen besteht die Gruppe der sogenannten „Berufskläger“ aus mehr als 40 Personen. Die von dieser Gruppe erhobenen Klagen stehen für 450 und damit für 72 % der 619 untersuchten Klagen. Mehr als die Hälfte der 619 Klagen ist von nur 11 Klägern bzw. ihren Prozessführungsgesellschaften erhoben worden. Das Bundesministerium der Justiz hat inzwischen angekündigt, dass weitere gesetzliche Maßnahmen vor allem gegen die zunehmende Flut von Beschlussmängelklagen durch „Berufskläger“ erwogen werden sollen2 . Die folgenden Überlegungen wollen zu dieser Diskussion beitragen.

II. Rechtstatsachen Aus der Gruppe der Anfechtungskläger haben wir in der empirischen Studie für eine nähere Untersuchung die „Top 20“-Kläger herausgegriffen (vgl. die Tabelle auf S. 111). Nahezu alle Klagen dieser Klägergruppe richten sich gegen eintragungsbedürftige Beschlüsse, entfalten also entsprechende „Hebelwirkung“, und enden durch Vergleich. Die Vergleichsquote in Anfechtungsprozessen liegt infolgedessen um mehr als das Doppelte höher als in gewöhnlichen Zivilprozessen. In den meisten Fällen liegt der Vergleichswert höher, zum Teil deutlich höher, als der Höchststreitwert für Beschlussmängelklagen (500 000 Euro) gem. § 247 Abs. 1 AktG. In allen Fällen hat die beklagte Gesellschaft ungeachtet der Erfolgsaussichten der Klagen die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Gegenseite mit übernommen. In hierfür untersuchten 13 Verfahren hat sich gezeigt, dass die von den Klägern vereinnahmten Kostenerstattungen ein Vielfaches ihres Aktienbesitzes ausmachen, der nicht selten nur aus einigen wenigen Aktien besteht. Der durchschnittliche Anteilsbesitz der Anfechtungskläger in den von uns darauf untersuchten Verfahren lag bei 0,01 % (0,1 Promille)3.

2 Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries auf der 6. Konferenz Deutscher Corporate Governance Kodex am 5. 7. 2007 in Berlin; vgl. auch BT-Drucks. 16/6845, S. 4 sowie Seibert, NZG 2007, 841, 845 f. 3 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1634 re. Sp.

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Baums – Zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen Tabelle „Top 20“ Kläger – Anzahl der Beschlussmängelklagen, Anzahl der Klagen mit „Hebelwirkung“ und mit Beendigung durch Vergleich; Vergleichswerte

Name des Klägers4 Peter Eck Jörg-Christian Rehling Frank Scheunert Axel Sartingen JKK Beteiligungs-GmbH Metropol Vermögensverwaltungs- und Grundstücks-GmbH Pomoschnik Rabotajet GmbH Caterina Steeg Ulrich Lüdemann Klaus E. H. Zapf Leasing und Handelsservice Heinrich GmbH Carthago Value Invest AG [verschmolzen auf die Carthago Value Invest SE am 4. 7. 2006] Horizont Holding AG EO Investors GmbH OCP Obay Capital Pool Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH Protagon Capital GmbH Dr. Tammo Seemann Arno Menzel Ulpian GmbH Claus Deininger

Anzahl Anzahl Klagen Klagen5 mit „Hebelwirkung“6 27 27 23 23 22 22 20 20 18 18 17 16

Beendigung durch Vergleich; in Klammern: Kostenübernahme durch beklagte Gesellschaft 25 (25) 22 (22) 21 (21) 19 (19) 17 (17) 15 (15)

Vergleichswert höher als 500 000 Euro7 Anzahl

k. A.

19 16 15 13 10 12

0 1 1 0 1 2

17

16

14 (14)

9

0

16 15 15 14

16 15 13 13

15 (15) 14 (14) 11 (11) 14 (14)

9 12 7 12

1 1 0 0

14

14

13 (13)

9

2

13 12 12

13 11 11

12 (12) 11 (11) 11 (11)

10 11 9

0 1 1

12 11 11 10 10

11 11 11 8 10

11 (11) 10 (10) 10 (10) 9 (9) 10 (10)

9 6 9 3 8

1 0 0 1 0

Quelle: Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1644, 1645, Tab. 13 und 15

4 Zur Verflechtung der in der Tabelle genannten Prozessführungsgesellschaften mit anderen Gesellschaften und natürlichen Personen (Gesellschafter, Geschäftsführer), die gleichfalls im eigenen Namen Beschlussmängelklagen erheben, Baums/ Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1636. 5 Berücksichtigt sind sämtliche (97) zwischen dem 1. 11. 2005 und dem 30. 6. 2007 4 5 vollbeendeten Verfahren. 6 Erfasst sind Klagen gegen (die eintragungsbedürftigen) Beschlüsse zu Squeeze 6 7 outs, Kapitalmaßnahmen, Umwandlungen und Unternehmensverträgen. 7 Der hier angegebene „Vergleichswert“ setzt sich aus dem Streitwert des Anfechtungsprozesses (Höchstwert im Regelfall gem. § 247 Abs. 1 AktG: 500 000 Euro) und dem „Vergleichsmehrwert“ (dazu eingehend unten VI.) zusammen.

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III. Nachteile eines „Klagegewerbes“ Aus dem Umstand allein, dass eine Reihe von Personen und ihnen zuzurechnender Gesellschaften eine Vielzahl von Anfechtungsklagen erhebt, lässt sich freilich weder schließen, dass sich hier ein nachteilig zu beurteilendes „Klagegewerbe“ entwickelt hat, noch gar, dass diesen Personen und Gesellschaften individueller Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden kann. Dem individuellen Rechtsmissbrauch, der in älteren Gerichtsentscheidungen zu Anfechtungsklagen durchaus eine praktisch bedeutsame Rolle gespielt hat8, kommt heute durchweg keine entscheidungserhebliche Bedeutung mehr zu9. Unter „Missbrauch des Anfechtungsrechts“ ist neben dem individuellen aber auch der institutionelle Rechtsmissbrauch10, das gewerbliche Erheben von Anfechtungsklagen durch „Berufskläger“ zu verstehen, die mit dieser Tätigkeit unter Ausnutzen der institutionellen Besonderheiten dieses Verfahrens Geld verdienen, ohne dass es darauf ankäme, ob die Anfechtungsklage Aussicht auf Erfolg hat oder nicht. Zwar ist die Tätigkeit als Wächter auch der Interessen der übrigen Aktionäre in Anbetracht der bekannten Kollektivhandlungsprobleme („rationale Apathie“; „Trittbrettfahren“) insbesondere in der Publikumsgesellschaft nicht zu beanstanden und nicht aus bloßem Altruismus zu erwarten. Das Institut der Anfechtungsklage wird aber missbraucht, wenn es bei seinem Einsatz gar nicht darum geht, Fehler des Hauptversammlungsbeschlusses zu sanktionieren und damit auch präventiv zu bekämpfen. Vielmehr geht es um das gehäufte Erheben solcher Klagen, deren Begründetheit von den Gerichten nicht geprüft wird und nicht geprüft werden kann, weil sie zuvor, wie geplant, durch gerichtlichen Vergleich oder aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs erledigt werden, und von vorneherein aufgrund der institutionellen Gegebenheiten (Registersperre; Dauer von Freigabeverfahren und Beschlussmängelprozessen) eine gute Aussicht besteht, die unter Zeitdruck stehende Gesellschaft zu einem solchen Vergleich zu bewegen. Klageziel ist in den hier interessierenden Fällen, über den Ersatz von Aufwendungen hinaus und ungeachtet der Erfolgsaussichten der Klage, des Ob und der Höhe individueller Schäden, gravierender Rechtsbeeinträchtigungen oder der Vorteile für die anderen Aktionäre sowie der Nachteile für die 8 Vgl. dazu Baums/Vogel/Tacheva, ZIP 2000, 1649, 1655. 9 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1642; aus der Rechtsprechung dazu jüngst LG Frankfurt/Main, AG 2007, 824 f. 10 Zum institutionellen Rechtsmissbrauch etwa Esser/E. Schmidt, Schuldrecht, Bd. I/1, Allg. Teil, 8. Aufl. 1995, § 10 III. 1.; grundlegend L. Raiser, in: Summum ius summa iniuria, Tübinger Ringvorlesung, 1963, S. 145, 151 ff.

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Gesellschaft und die übrigen Aktionäre durch den Abschluss eines Vergleichs Geld zu verdienen. Hier soll gar nicht bestritten werden, dass die erhobenen Klagen nicht selten auch begründet sein dürften, also ein Anfechtungsgrund tatsächlich gegeben ist, und dass andere „außenstehende“ Aktionäre durchaus auch in Einzelfällen in den Genuss der Vergleiche kommen, z. B. wenn in Squeeze out – Fällen für alle abfindungsberechtigten Aktionäre erhöhte Abfindungen festgelegt werden. Das Nachgeben der Gesellschaft in einem Vergleich und das Gewähren finanzieller Vorteile über den Schaden und den Aufwand des Klägers hinaus11 beruht aber nicht darauf, dass Kläger in aktienrechtlichen Beschlussmängelprozessen systematisch nahezu ausnahmslos gute Erfolgsaussichten hätten12, sondern (zumindest auch) darauf, dass die Gesellschaften durch die Dauer der Freigabeverfahren und Beschlussmängelprozesse unter Zeitdruck geraten: Anders lässt sich nicht plausibel erklären, weshalb die hier in Rede stehenden Verfahren fast ausschließlich durch Vergleich oder aufgrund eines Vergleichs, in denen die Gesellschaften regelmäßig Zahlungsverpflichtungen übernehmen, beendet werden. Infolgedessen kann zugleich der wichtige Negativanreiz für jeden Kläger, im Unterliegensfall die Verfahrenskosten einschließlich sämtlicher Anwaltskosten tragen zu müssen, keine hinreichende Wirksamkeit entfalten, weil die professionellen Anfechtungskläger mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen können, das Verfahren ungeachtet seiner Erfolgsaussichten im Wege eines Vergleichs zu beenden und die beklagte Gesellschaft in jedem Fall die Kosten tragen zu lassen. Solche Aktivitäten 11 Vor allem durch die Erstattung außergerichtlicher, nach § 91 ZPO nicht erstattungsfähiger Kosten, durch die Festsetzung des Vergleichswertes jenseits des gem. § 247 Abs. 1 AktG für eine Beschlussmängelklage maßgebenden Streitwerts und durch die Vereinbarung eines „Vergleichsmehrwerts“, wobei Vergleichswert und „Vergleichsmehrwert“ dann als Grundlage für die Anwaltsgebührenberechnung dienen. Dieser Betrag lässt sich verdoppeln, wenn sowohl der Berufskläger als auch seine Prozessführungsgesellschaft klagen. Mit der Einbeziehung von Abfi ndungen oder Ausgleichszahlungen in den Vergleich („Vergleichsmehrwert“) lassen sich die Vorschriften des Spruchverfahrensgesetzes (§ 15 Abs. 1) und des RVG (§ 31) über die Deckelung der Gerichtskosten und Anwaltsgebühren sowie die Regel (§ 15 Abs. 4 SpruchG) umgehen, dass die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers nur dann der Gesellschaft auferlegt werden sollen, wenn das Gericht dies aus Gründen der Billigkeit so angeordnet hat. Eingehend zum Ganzen Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1642 ff. 12 Angaben zur Vergleichshäufigkeit im „normalen“ Zivilprozess einerseits und bei aktienrechtlichen Beschlussmängelklagen andererseits Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1643, Text zu Tabelle 11; zur durchschnittlichen „Erfolgsquote“ in streitigen Urteilen in Beschlussmängelprozessen dies., a. a. O. Fn. 114.

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entfalten weder eine sinnvolle präventive Wirkung ex ante noch eine gerechtfertigte Rechtsschutzwirkung ex post, sondern führen im Gegenteil zu nachteiliger Ressourcenvergeudung. Für die Gesellschaften und die hinter dem Beschluss stehenden Aktionäre führen solche Verfahren nicht nur zu Belastungen mit den Kosten des Verfahrens und sonstigen im Vergleich übernommenen Verpflichtungen, sondern auch zur Ungewissheit über die Dauer des Schwebezustands, bis die Eintragung strukturändernder Maßnahmen schließlich erreicht werden kann; ferner zu während der Dauer solcher Verfahren entgangenen Vorteilen, und in geeigneten Fällen auch zur Wahl teurer Auswegkonstruktionen. Weil die hier betrachteten Verfahren in der Regel durch gerichtlich protokollierten Vergleich oder auf der Grundlage eines außergerichtlichen Vergleichs, nicht durch Endurteil, beendet werden, können die Gerichte nur an Einzelpunkten korrigierend eingreifen13, den dargestellten institutionellen Rechtsmissbrauch aber nicht abstellen14. Im Folgenden (unten IV. – VII.) wird deshalb zu prüfen sein, ob diese institutionellen Besonderheiten, die das Erheben von Anfechtungsklagen zu einem einträglichen Gewerbe machen, und die Anreize, solche Klagen funktionswidrig einzusetzen, de lege ferenda so verändert werden können, dass einerseits der gebotene Anlegerschutz nicht über Gebühr beschnitten wird, andererseits aber dieses Geschäftsmodell sein Ende findet.

IV. Mindestanteilsbesitz für Anfechtungsklagen? („italienische Lösung“) Ein alter und häufig wiederholter Vorschlag lautet, für Anfechtungsklagen einen Mindestanteilsbesitz zu fordern15. Eine solche Regelung findet sich im italienischen Recht16. Der Codice civile fordert in börsennotierten Gesellschaften einen Mindestanteilsbesitz von 0,1 % aller Aktien, in nichtbörsenno13 S. dazu zuletzt BGH, NZG 2007, 587 (keine Geltung des Grundsatzes der Kostenparallelität bei Nebenintervention). 14 Gegen eine Berücksichtigung institutionellen Rechtsmissbrauchs der Anfechtungsklage durch die Gerichte ausdrücklich BGHZ 107, 296, 310; abweichend etwa Korte, Zur mißbräuchlichen Wahrnehmung der aktienrechtlichen Anfechtungsbefugnis, 2002. 15 Nachweise bei Baums, Gutachten, in: Verhandlungen des 63. DJT Leipzig 2000, Band I, S. F 103 Fn. 245; seither Hüffer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2001, § 243 Rn. 10 ff.; Waclawik, DStR 2006, 2177, 2183; Noack, BB 2007, Heft 32, Die erste Seite; von Falkenhausen, Börsen-Zeitung v. 31. 10. 2007, S. 2. 16 Art. 2377 italien. C. c.

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tierten Gesellschaften 5 % Anteilsbesitz für Anfechtungsklagen. Die Satzung kann auf dieses Quorum aber auch verzichten, es besteht Satzungsfreiheit. In einem speziellen Fall, nämlich für Klagen gegen Gewinnverwendungsbeschlüsse, kennt auch das deutsche Recht ein Mindestquorum: Zu einer Anfechtung wegen übermäßiger Thesaurierung sind Aktionäre nach § 254 Abs. 2 AktG nur befugt, wenn ihre Anteile zusammen 5 % des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 500 000 Euro erreichen. Für ein Mindestquorum lassen sich bedenkenswerte Gründe anführen: – Wird das Mindestquorum hinreichend hoch angesetzt, dann lassen sich damit missbräuchliche Anfechtungsklagen erledigen. Die Kosten für die Vermeidung von Anfechtungsklagen, also die teure Begleitung durch externen Rechtsrat bei der Vorbereitung und der Durchführung der Hauptversammlung, sinken, und die Kosten für die Prozessführung einschließlich der Kosten von Vergleichen zur Beendigung solcher Verfahren, fallen weg. Für die Gesellschaften folgt daraus ferner eine erheblich größere Planungssicherheit und Schnelligkeit der Durchführung von Strukturmaßnahmen. Das sind schwerwiegende Gründe, die für ein Mindestquorum sprechen. – Ein weiterer Vorteil eines Mindestquorums besteht in der Entlastung der Gerichte: Die Zahl der Klagen und Freigabeverfahren dürfte deutlich zurückgehen. Gegen ein Mindestquorum sprechen aber gleichfalls gewichtige Gründe: – Ein Klagequorum arbeitet nach dem „Rasenmäherprinzip“: Berechtigte wie missbräuchliche Klagen werden gleichermaßen abgeschnitten. Die Anfechtungsklage ist aber nicht nur, wie z. B. das Verfolgungsrecht nach § 148 AktG, eine Funktionärsklage im Interesse Dritter, sondern zunächst einmal Instrument des individuellen Rechtsschutzes gegen Eingriffe der Mehrheit in die eigene Rechtsposition. – Dieser individuelle Rechtsschutz kann nicht allein durch Schadensersatzansprüche gewährleistet werden („dulde, aber liquidiere“). Schadensersatzansprüche helfen über zahlreiche Beschlussmängel, die der Anleger mit Splitterbesitz ohne Anfechtungsrecht hinzunehmen hätte, nicht hinweg (Berichts- und Auskunftspflichten, Ladungsmängel u. a. m.). Der Verstoß gegen diese Normen bliebe dann künftig weitgehend ohne Sanktionen, auch bei gravierenden oder gezielten Verstößen. Das ist rechtspolitisch, wenn nicht gar verfassungsrechtlich problematisch17. 17 Eingehender zur verfassungsrechtlichen Problematik eines Mindestbesitzerfordernisses für Anfechtungsklagen Baums/Drinhausen, ZIP 2008, 145, 148 f.

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– Ein Klagequorum kann je nach Höhe und Ausgestaltung u. U. doch übersprungen werden, zum Beispiel durch Zusammenwirken mehrerer Kläger, auch mit Hedge Fonds, oder durch Wertpapierleihe18. – Es ist sicher ein legitimes Anliegen, das Interesse der Gesellschaft und der hinter ihr stehenden Beschlussmehrheit am raschen Vollzug einer beschlossenen Maßnahme im Regelfall dem Interesse des Anteilsinhabers mit Splitterbesitz, im Grenzfall mit nur einer Aktie, voranzustellen, solange es sich um mindere, hinnehmbare Rechtsverletzungen handelt, und die Nachteile aus einem Aufschub die denkbaren Schäden des Klägers aus einem Vollzug überwiegen. Diesem Gedanken ist aber nicht mit einer pauschalen Beschränkung der Klagebefugnis Rechnung zu tragen, sondern im Rahmen des Freigabeverfahrens, das allerdings geändert werden sollte. Darauf ist im Folgenden einzugehen.

V. Umgestaltung des Freigabeverfahrens 1. Per se – Freigabe bei Fehlen eines Mindestanteilsbesitzes? („spanische Lösung“) Das spanische Recht macht nicht die Erhebung der Anfechtungsklage, sondern die Aussetzung der Registereintragung von einem Mindestanteilsbesitz (1 % bei börsennotierten Gesellschaften, 5 % bei nichtbörsennotierten Gesellschaften) abhängig19. Wollte man diese Regelung ins deutsche Recht übernehmen, dann müsste festgelegt werden, dass der Registerrichter ein Eintragungsverfahren gem. § 127 FGG unter Hinweis auf einen drohenden oder schwebenden Anfechtungsprozess nur aussetzen darf, wenn der Anfechtungskläger das betreffende Quorum erreicht. Anderenfalls wäre einzutragen, sofern die Eintragungsvoraussetzungen im Übrigen erfüllt sind. Ein von der Gesellschaft vor dem Prozessgericht zu betreibendes Freigabeverfahren würde sich in einem solchen Fall erübrigen. Ein praktischer Nachteil dieser Lösung besteht darin, dass in einem solchen Fall Eintragungen ins Handelsregister vorzunehmen wären, die später, bei Obsiegen des Klägers im Anfechtungsprozess, wieder gelöscht werden müssten. Um dies zu vermeiden, könnte man das spanische Modell in das Freigabeverfahren einpassen; in diese Richtung geht ein Vorschlag, den

18 Antwort der BReg, BT-Drucks. 16/6845, S. 4. 19 Art. 120 (span.) Ley Sociedades Anónimas.

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das DAI vorgelegt hat20. In den Fällen, in denen das Gesetz kein Freigabeverfahren vorsieht, also bei allen „einfachen“ Satzungsänderungen, würde es bei der bisherigen Regelung bleiben, wonach der Registerrichter in aller Regel ein Eintragungsverfahren aussetzt, wenn eine Anfechtungsklage erhoben oder angekündigt worden ist. In den Fällen der bedeutsamen „Strukturänderungen“ dagegen, d. h. bei Kapitalmaßnahmen, Squeeze outs, Konzernverträgen und Umwandlungen, für die das Gesetz ein Freigabeverfahren auf Antrag der Gesellschaft vor dem Prozessgericht vorsieht, hätte das Prozessgericht den Freigabebeschluss ohne weitere Prüfung zu erlassen, wenn der Kläger oder die Kläger das relevante Mindestquorum nicht erreichen. Der Eintragung ins Handelsregister käme materielle Bestandskraft auch für den Fall zu, dass später ein Aufhebungsurteil ergeht (vgl. §§ 246a Abs. 4 Satz 2, 242 Abs. 2 Satz 5 AktG, 16 Abs. 3 Satz 6, 20 Abs. 2 UmwG). – Aber auch hiergegen bestehen gewichtige Bedenken. Es leuchtet nicht ein, dass bei „strukturändernden“ Beschlüssen, wenn der oder die Anfechtungskläger das gesetzte Mindestquorum nicht erreichen, das Vollzugsinteresse der Gesellschaft ungeachtet der Bedeutung der verletzten Norm und der Schwere der Rechtsverletzung per se bejaht werden sollte, bei „einfachen“ eintragungsbedürftigen Beschlüssen dagegen nicht. Auch bei „strukturändernden“ Vorgängen erscheint nicht hinnehmbar, ohne Abwägung des Vollzugsinteresses der Gesellschaft und der Nachteile für den Kläger und ohne jede Berücksichtigung der Schwere der vom Anfechtungskläger geltend gemachten Rechtsverletzung ohne weiteres dem von der Mehrheit gefassten Beschluss zur Bestandskraft zu verhelfen, wenn ein Aktionär mit Kleinstanteilsbesitz Anfechtungsklage erhebt. Vorzugswürdig erscheint deshalb nicht die Einführung eines Mindestquorums, sondern eine restriktivere Fassung der Interessenabwägungsklausel, die den im vorliegenden Zusammenhang zu beachtenden Gesichtspunkten überzeugender als bisher und überzeugender als ein pauschales Mindestquorum Rechnung trägt.

2. Änderung der Interessenabwägungsklausel Die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs des UMAG enthält eine weittragende Klarstellung, wie die „Interessenabwägungsklausel“ künftig zu verstehen und zu handhaben sei; und dieser Klarstellung soll nach dem Willen der Verfasser des Entwurfs auch Bedeutung für die Auslegung und Anwendung der bereits bestehenden Freigabevorschriften bei Umwandlungen, 20 Deutsches Aktieninstitut, Squeeze Out. Recht und Praxis, 2007, S. 88 f.; ebenso D. Schwintowski, DB 2007, 2695, 2698.

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Squeeze outs usw. zukommen. Danach ist bei der Anwendung der Interessenabwägungsklausel die Begründetheit der Anfechtungsklage zugunsten des Anfechtungsklägers zu unterstellen. Davon ausgehend sind nicht nur die Nachteile für die Gesellschaft in die Interessenabwägung einzubeziehen, die sich aus dem Aufschub der Eintragung bis zum Abschluss des Anfechtungsprozesses ergeben, sondern auch die Nachteile, die der Gesellschaft bei einem Erfolg der Anfechtungsklage entstehen. Eine Eintragung soll also mit anderen Worten auch dann möglich sein, wenn bei begründeter, auch bei zweifelsfrei begründeter, Anfechtungsklage die der Gesellschaft durch eine Versagung der Eintragung insgesamt drohenden Nachteile den Schaden überwiegen, der dem Anfechtungskläger (nicht: sonstigen Aktionären!) durch eine Eintragung und Durchführung des rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlusses entsteht. Das soll nur dann nicht gelten, wenn die besondere Schwere der Rechtsverletzung eine abweichende Entscheidung zugunsten des Anfechtungsklägers erfordert. Da die bloße Abwägung der wirtschaftlichen Nachteile beider Seiten in der Regel zugunsten der Gesellschaft ausfallen dürfte, scheidet danach eine Freigabe zugunsten der Gesellschaft nur mehr dann aus, wenn die besondere Schwere der vom Anfechtungskläger behaupteten Rechtsverletzung (die Entwurfsbegründung spricht von „massiver Verletzung elementarer Aktionärsrechte“)21 verbietet, den angefochtenen Beschluss bestandskräftig werden zu lassen. „Einfache“ Gesetzes- oder Satzungsverstöße sollen demnach von einem Anfechtungskläger im Regelfall nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg durch eine Anfechtungsklage mit dem Ziel der Aufhebung der angefochtenen Maßnahme angegriffen werden können, wenn die Gesellschaft den Weg des Freigabeverfahrens beschreitet. Erfolgt die Eintragung, dann bleibt als Sanktion das Urteil gem. § 248 AktG, 21 Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BT-Drucks. 15/5092, Begründung, II. Besonderer Teil, S. 29. – Zur Auslegung des Begriffs der „Schwere der mit der Klage geltend gemachten Rechtsverletzungen“ de lege lata s. etwa Bork, in: Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 22 ff.; Fuhrmann/Linnerz, ZIP 2004, 2306 ff.; je m. w. N. Danach ist die Bedeutung der verletzten Norm ebenso in Betracht zu ziehen wie das Ausmaß der Normverletzung. Was die Bedeutung der verletzten Norm betrifft, nimmt der Gesetzgeber bereits selbst mit der Unterscheidung zwischen nichtigen, anfechtbaren, durch Eintragung heilbaren und bestätigungsfähigen Beschlüssen (§§ 241, 242 Abs. 1, 243, 244 AktG) eine Bewertung vor. Was das Ausmaß der hinzunehmenden Rechtsverletzung betrifft, kommt es maßgeblich darauf an, ob es sich um einen gezielten Verstoß handelt, der den Kläger im Vergleich zur hinter dem Beschluss stehenden Mehrheit in nicht hinzunehmender Weise ungleich trifft, oder ob der Beschluss ihm schwerwiegende Nachteile zufügt, die nicht auf andere Weise, insbesondere durch einen Schadensersatzanspruch, wirtschaftlich ausgeglichen werden können.

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das aber an den durch die Eintragung herbeigeführten Rechtswirkungen nichts mehr zu ändern vermag, da die Eintragung aufgrund Freigabebeschlusses ja zur Bestandskraft der eingetragenen Maßnahme führt, und es bleibt u. U. ein Schadensersatzanspruch des klagenden Aktionärs (vgl. § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG). Die empirische Studie hat nun ergeben, dass die Gerichte die Interessenabwägungsklausel zwar im neuen Verfahren des § 246a AktG durchweg so auslegen und handhaben, wie sich dies die Verfasser der Begründung des Regierungsentwurfs des UMAG vorgestellt haben, obwohl der Gesetzgeber den Wortlaut der Freigabevorschriften selbst nicht geändert hat, nicht dagegen in den überkommenen Freigabeverfahren22 . Der Gesetzgeber sollte daher durch eine Änderung des Textes der Freigabevoraussetzungen selbst klarstellen, wie diese Voraussetzungen von den Gerichten zu verstehen und anzuwenden sind. In der Sache überzeugt das Konzept des Gesetzgebers. Anders als bei Einführung eines Klagequorums wird in dem vom Gesetzgeber des UMAG verfolgten Konzept nicht ungeachtet der Schwere der mit der Klage geltend gemachten Rechtsverletzung und ohne Abwägung der Nachteile für den Kläger und die Gesellschaft bei Eintragung bzw. Aussetzung per se ein vorrangiges Vollzugs- und Bestandsinteresse der Gesellschaft und der hinter ihr stehenden Mehrheit angenommen. Der Gesetzgeber erkennt vielmehr bei den hier in Rede stehenden strukturändernden Beschlüssen ein vorrangiges Vollzugsinteresse nur an, wenn die der Gesellschaft durch eine Versagung der Eintragung insgesamt drohenden Nachteile die Nachteile überwiegen, die dem oder den Anfechtungsklägern durch eine Eintragung und Durchführung des rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlusses entstehen, und dies auch nur mit der weiteren Einschränkung, dass nicht die besondere Schwere der Rechtsverletzung eine abweichende Entscheidung zugunsten des Anfechtungsklägers erfordert. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird in einem kontradiktorischen Verfahren mit rechtlichem Gehör des Antragsgegners und Anfechtungsklägers geprüft. Zwar werden damit bei strukturändernden Beschlüssen „einfache“ Gesetzes- und Satzungsverstöße künftig im Regelfall ohne die Sanktion der Aufhebung und Beseitigung der eingetragenen Maßnahme bleiben. Auf der anderen Seite ist aber zu bedenken, dass es sich bei dem Freigabeverfahren um ein Eilverfahren handelt, in dem den behaupteten Gesetzes- oder Satzungsverstößen nicht im Einzelnen nachgegangen werden kann und soll, es sei denn, dass solche Verstöße ungeachtet der überwiegenden Nachteile der 22 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1649.

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Aussetzung der Eintragung für die Gesellschaft und die hinter ihr stehenden Aktionäre nicht hinnehmbar sind. Die Abgrenzung zwischen nicht hinnehmbaren und „einfachen“ Rechtsverletzungen im Einzelfall obliegt wie bereits nach der bisherigen Rechtslage23 den Gerichten. „Einfache“, zum Beispiel wegen ihrer Kompensationsfähigkeit durch einen Schadensersatzanspruch hinnehmbare Gesetzes- und Satzungsverletzungen sind im Übrigen auch nach erfolgter Eintragung nicht gänzlich sanktionslos. Sondern es bleibt bei dem Urteil gem. § 248 AktG, das allerdings wegen des Bestandsschutzes der einmal eingetragenen Maßnahme nur mehr eingeschränkte Wirkung entfaltet, und gegebenenfalls einem ergänzenden Schadenersatzanspruch. Insgesamt stellt dieses Konzept einen sachgerechten Kompromiss zwischen dem Interesse der Gesellschaft an schneller und rechtssicherer Klärung und den berechtigten Interessen der Anfechtungskläger dar. Deren berechtigte Interessen werden entweder durch eine Aussetzung der Eintragung (sofern das Anfechtungsurteil nach Bestandskraft der eingetragenen Maßnahme und der individuelle Schadensersatzanspruch nach Eintragung keinen hinreichenden Rechtsschutz gewähren würden) geschützt oder eben durch die trotz Eintragung verbleibende Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der beschlossenen Maßnahme feststellen zu lassen und für die erlittenen Vermögenseinbußen Schadensersatz fordern zu können. Neben dem Schutz des Anfechtungsklägers und Antragsgegners im Freigabeverfahren bedürfen die Interessen der nicht am Anfechtungsprozess und Freigabeverfahren beteiligten Anleger einer gesonderten Betrachtung. Nach geltendem Recht wird ihre durch einen Hauptversammlungsbeschluss beeinträchtigte Rechtsposition entweder durch Kompensationsleistungen geschützt, die im Spruchverfahren durchzusetzen sind (vgl. § 1 SpruchG) und für deren Durchsetzung ihnen ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden kann (§ 6 SpruchG). Oder die durch einen einzelnen Anfechtungskläger erhobene Klage wirkt sich, wenn sie Erfolg hat, für und gegen jedermann (§ 248 Abs. 1 AktG) und damit gegebenenfalls auch zu ihren Gunsten aus; man denke nur an eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss, die darauf abzielt, die Besitzquote des Mehrheitsaktionärs zu erhöhen, ohne dass der Minderheit hierfür auch nur ein fairer Ausgleich geboten würde. Wenn nun künftig im Freigabeverfahren nur mehr auf die wirtschaftliche Beteiligung des Antragsgegners und Anfechtungsklägers abzustellen ist, und es bei der Abwägung der wirtschaftlichen Nachteile im Fall einer Eintragung und Bestandskraft der Kapitalerhöhung 23 Vgl. Fn. 21.

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nicht mehr darauf ankommt, ob auch andere Aktionäre hiervon betroffen sind, dann entfällt dieser Rechtsschutz, sofern nicht die Gerichte im Einzelfall eine nicht hinnehmbare Rechtsverletzung annehmen und deshalb einen Freigabebeschluss ablehnen. Gegenüber dieser nicht zu leugnenden Einschränkung des Anlegerschutzes darf freilich auf Folgendes hingewiesen werden. Zum einen weist der geschilderte „privatisierte“ Anlegerschutz durch Anfechtungsklagen Einzelner mit Drittwirkung ohnehin charakteristische Schwächen auf: Der Rechtsschutz der passiven Anleger, die ihrerseits keine Klagen erheben, hängt nahezu völlig vom Belieben des klagenden Aktionärs ab, der sich z. B. vergleichen oder die Klage zurücknehmen kann oder auch seine Anfechtungsbefugnis missbrauchen mag, um gesellschaftsfremde Sondervorteile für sich zu erlangen24. Wer als Anleger seine Rechtsposition gegenüber gesetz- oder satzungswidrigen Maßnahmen effektiv verteidigen will, muss also ohnedies eine eigene Klage erheben bzw. sich einer erhobenen Klage als Streithelfer anschließen. Zum anderen – und das ist gegenüber dem Alternativvorschlag eines Mindestquorums für Anfechtungsklagen25 zu bedenken – bleibt es jedem Einzelaktionär nach dem vom Gesetzgeber des UMAG verfolgten und auch hier befürworteten Konzept ungeachtet seiner Beteiligungsquote unbenommen, selbst seine Rechte durch Anfechtungsklage zu verteidigen und durchzusetzen. Kommt es gleichwohl zur Eintragung, etwa in dem angeführten Beispiel eines Kapitalerhöhungsbeschlusses mit Bezugsrechtsausschluss, bleibt die Möglichkeit, nach Maßgabe der §§ 246a Abs. 4, 248, 242 Abs. 2 Satz 5 AktG die Rechtswidrigkeit der beschlossenen Maßnahme feststellen zu lassen und Schadensersatz zu verlangen. Diesen Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft auf alle vom Bezugsrechtsausschluss betroffenen Anleger zu erstrecken ungeachtet dessen, ob sie sich am Anfechtungsprozess und Freigabeverfahren beteiligt haben, hat bereits die Regierungskommission Corporate Governance abgelehnt26; darauf kann hier verwiesen werden. In dem erwähnten Beispiel wäre überdies eine unmittelbare Haftung des Mehrheitsaktionärs wegen Treupflichtverletzung in Betracht zu ziehen, die keine Beteiligung 24 Eingehend zu den Vor- und Nachteilen des privatisierten Anlegerschutzes durch Aktionärsklagen mit drittschützender Wirkung Baums, DJT-Gutachten (Fn. 15), S. F 18 ff. 25 Dazu oben III. 26 Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“ Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts, BT-Drucks. 14/7515, S. 78 (= Abdruck bei Baums [Hrsg], Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rn. 153).

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an einem zuvor geführten Anfechtungsprozess voraussetzt. Überzeugend erscheint ferner, den Rechtsschutz der Anleger dort, wo er durch Kompensationsleistungen vermögensmäßiger Art seitens der Gesellschaft selbst (Geldzahlungen oder Ausgleich in Aktien) sichergestellt werden kann, in das Spruchverfahren zu verlagern27, sofern dieses überzeugender ausgestaltet wird als bisher28.

3. Beschleunigung des Freigabeverfahrens Abgesehen von der Änderung der materiellen Freigabevoraussetzungen sollte auch das Freigabeverfahren geändert werden. Die rechtliche oder faktische Registersperre und damit die Dauer des Freigabeverfahrens sind die entscheidenden Hebel, mittels deren die Gesellschaft unter Zeitdruck gesetzt und zu Vergleichen gezwungen werden kann. Drei Vorschläge sollten hier erwogen werden: Die Beseitigung von Zustellungshindernissen, die Beschränkung des Freigabeverfahrens auf eine Instanz und die sachliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für das Freigabeverfahren.

a) Zustellungshindernisse Praktisch setzt ein Freigabeantrag der Gesellschaft voraus, dass die Anfechtungsklage der Gesellschaft bereits zugestellt ist und sie die geltend gemachten Anfechtungsgründe kennt. Die Anfechtungsfrist beträgt einen Monat nach Beschlussfassung (§ 246 Abs. 1 AktG). Für die Wahrung dieser Frist genügt das rechtzeitige Einreichen der Klageschrift, sofern die Zustellung „demnächst“ erfolgt (§ 167 ZPO). Hier können weitere Wochen ins Land gehen, bevor die Zustellung erfolgen kann, da zunächst der Prozesskostenvorschuss angefordert und vom Anfechtungskläger eingezahlt sein muss. Erst danach kann die Begründung des Freigabeantrages ausgearbeitet und beim Prozessgericht eingereicht werden, und erst nach dem Eingang des Freigabeantrags beginnt die Drei-Monats-Frist, binnen derer der Freigabeantrag erlassen werden „soll“. Die empirische Studie hat zwar gezeigt, dass die Gerichte sich an diese Sollvorschrift halten29. Aus den angedeuteten Gründen ist freilich ein Freigabebeschluss regelmäßig frühestens vier Monate nach der 27 Vgl. insofern auch den Vorschlag des DAV-Handelsrechtsausschusses (Gesetzgebungsvorschlag des Deutschen Anwaltvereins durch den Handelsrechtsausschuss zum Spruchverfahren bei Umwandlung und Sachkapitalerhöhung und zur Erfüllung des Ausgleichsanspruchs durch Aktien [Stellungnahme Nr. 27/07], Abdruck in NZG 2007, 497 ff.) zum Rechtsschutz der Anleger bei Sachkapitalerhöhung und in der aufnehmenden Gesellschaft bei Verschmelzung. 28 S. dazu noch unten VII. 29 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1649.

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Hauptversammlung, eher später, zu erwarten. Noch viel länger dauert es, wenn eine Zustellungsadresse im Ausland angegeben wird, was in der Praxis durchaus vorkommt. Die Zustellung auf diplomatischem Wege mit Übersetzungen kann Monate dauern, bis das eigentliche Freigabeverfahren beginnen kann. Das DAI schlägt hier vor, ausdrücklich vorzusehen, dass die Zustellung des Freigabeantrags auch an den Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners im Anfechtungsprozess erfolgen kann30. Dem sollte gefolgt werden, wenn sich nicht die Linie des Landgerichts Münster durchsetzt, dass § 82 ZPO in einem solchen Fall analog anzuwenden ist31.

b) Beschränkung auf eine Instanz Eine weitere Neuerung des UMAG bestand darin, für den Erlass eines Freigabebeschlusses eine Zeitvorgabe von drei Monaten ab dem Antrag vorzusehen; der Freigabebeschluss „soll“ binnen dieser Frist erlassen werden (§ 246a Abs. 3 Satz 5 AktG). Diese Dreimonatsfrist gilt für jede Instanz gesondert. Die empirische Studie hat gezeigt, dass die Gerichte diese Dreimonatsfrist in allen untersuchten Fällen eingehalten haben32. Inzwischen hat der Gesetzgeber eine dem § 246a Abs. 3 Satz 5 AktG entsprechende Soll-Vorgabe für die gerichtlichen Entscheidungen in den alten Freigabeverfahren nach Umwandlungsgesetz usw. (§ 16 Abs. 3 Satz 4 UmwG; § 319 Abs. 6 Satz 4 AktG) eingefügt. Es darf erwartet werden, dass die Gerichte sich auch in diesen Verfahren, die bisher wesentlich länger dauerten, an die Sollvorgabe halten werden. Trotz dieser erfreulichen Beschleunigung des Freigabeverfahrens bleibt es aber dabei, dass bis zu sechs Monate ab Einreichen des Freigabeantrags verstreichen, ehe ein Beschluss eingetragen wird und wirksam werden kann, auch wenn die Klage des Aktionärs unzulässig oder ersichtlich unbegründet ist oder ein vorrangiges Vollzugsinteresse der Gesellschaft und der hinter dem Beschluss stehenden Aktionäre besteht. Hinzu kommen in der Regel, wie erwähnt, die Wochen und zum Teil Monate, die nach der Hauptversammlung verstreichen, bis die Anfechtungsklage zugestellt ist und ausgewertet werden konnte. Selbst wichtige Strukturentscheidungen werden damit in Deutschland in der Regel ohne einen teuren Vergleich mit den Anfechtungsklägern nicht unter einem halben Jahr und länger nach dem Beschluss der Hauptversammlung wirksam. Hier sollte erwogen werden, das Freigabeverfahren auf eine Instanz und damit auf eine Dauer von höchstens drei Monaten nach Stellen des Freiga30 Deutsches Aktieninstitut, Squeeze Out. Recht und Praxis, 2007, S. 94. 31 LG Münster v. 27. 6. 2006 – 21 O 57/06, NZG 2006, 833. 32 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1649.

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beantrags zu verkürzen. Faktisch ergeben sich dann immer noch mehr als vier Monate nach der Hauptversammlung, bis eine Freigabeentscheidung ergehen wird. Verfassungsrechtlich garantiert ist ein aus mehreren Instanzen bestehender Instanzenzug nicht. In seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 327a ff. AktG vom 30. Mai 2007 hat das Bundesverfassungsgericht sogar ausdrücklich betont: „Das Grundgesetz verlangt auch im Freigabeverfahren weder eine mündliche Verhandlung noch einen Instanzenzug“33. Außerdem kommt im vorliegenden Zusammenhang hinzu, dass eine vollinhaltliche Prüfung der Berechtigung der Anfechtungsklage mit der Möglichkeit der weiteren Überprüfung in der Berufungs- und Revisionsinstanz ja gewährleistet bliebe.

c) Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Es bleibt die Frage, vor welchem Gericht das Freigabeverfahren künftig stattfinden sollte. Sollte diese Entscheidung dem Prozessgericht, das sich auch in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage zu befassen hat, überlassen werden, also in der Regel den mit einem Berufsrichter und zwei Laien besetzten Kammern für Handelssachen? Dagegen spricht, dass diese Kammern häufig weder hinsichtlich der Ausbildung der Richter noch hinsichtlich der Ausstattung mit einschlägiger Literatur hierfür gerüstet sind. Hinzu kommt, dass in der Kammer für Handelssachen die Möglichkeit des Rechtsgesprächs über die nicht selten schwierigen und komplexen aktien- und umwandlungsrechtlichen Verfahren fehlt. Bereits in der Diskussion vor Erlass des UMAG ist deshalb befürwortet worden, das Freigabeverfahren statt beim Landgericht beim Oberlandesgericht beginnen zu lassen34. Das ist eine bedenkenswerte Empfehlung.

VI. Vergleichswert und „Vergleichsmehrwert“ Die Vergütung der Anwälte der Berufskläger und mutmaßlich der Berufskläger selbst erfolgt über die hohen Streitwerte und „Vergleichsmehrwerte“, die die Grundlage der Kostenerstattung der einschlägig tätigen Anwälte bilden. Die von uns untersuchten Vergleichsvereinbarungen 33 BVerfG, AG 2007, 544, 547 li. Spalte. 34 Z. B. Schiessl, Die Kontrollfunktion der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999, 2000, S. 57, 74; eingehend in diesem Sinne Waclawik, ZIP 2006, 1428, 1432. Für erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte auch für die Beschlussmängelklagen Gesetzesantrag der Bundesländer Baden-Württemberg und Sachsen, BR-Drucks. 901/07.

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der Gruppe der „TOP 20“-Kläger sahen nahezu ohne Ausnahme einen Gesamtvergleichswert (= Streitwert der Klage plus „Vergleichsmehrwert“) von mehr als 500 000 Euro vor, in Einzelfällen über 25 Mio. Euro und 30 Mio. Euro35. In diesen Fällen wird durchweg der höchste Regelstreitwert für den Anfechtungsprozess gem. § 247 Abs. 1 AktG gewählt (500 000,- Euro); der Vergleichsmehrwert bestimmt sich nach dem angenommenen Wert der weiteren in dem betreffenden Vergleich getroffenen Absprachen, etwa über eine Erhöhung der Abfindung der ausgeschlossenen Aktionäre oder darüber, dass der am Vergleich beteiligte Großaktionär sich verpfl ichtet, bestimmte denkbare nachteilige Maßnahmen zu unterlassen. Infolgedessen konnten zum Beispiel in einem Fall die Kläger, die jeweils nur zwei Aktien im Wert von 619 Euro besaßen, einen Kostenerstattungsanspruch von jeweils knapp 37 000 Euro pro Person durchsetzen, und belief sich in 13 hierauf untersuchten Verfahren der dem Anwalt des Anfechtungsklägers zugeflossene Betrag auf durchschnittlich 73 000 Euro36. Die Frage ist, ob diese Verdienstmöglichkeiten der Berufskläger unmittelbar an ihrer Quelle, der Vereinbarung über die Kostentragung einschließlich der Festlegung des Vergleichswerts, ausgetrocknet werden können. Insofern ist eine Anmerkung de lege lata und eine rechtspolitische Erwägung angebracht. De lege lata darf die Frage gestellt werden, ob Gerichte sich mit der gesetzlichen Wertung des § 247 Abs. 1 AktG in Einklang befinden, wenn sie die Vereinbarungen der Parteien zum Vergleichswert ohne nähere Prüfung hinnehmen. Der Gesetzgeber des Aktiengesetzes 1965 hat mit der Vorschrift des § 247 Abs. 1 AktG die Bewertung getroffen, dass das Interesse der beklagten Gesellschaft und der hinter ihr stehenden, an der Aufrechterhaltung des Hauptversammlungsbeschlusses interessierten Aktionäre höchstens mit 500 000 Euro angesetzt werden soll, es sei denn, dass die Bedeutung der Sache für den Kläger höher anzusetzen ist. Bei dieser Vorschrift zur Ermittlung des Streitwerts von Beschlussmängelklagen handelt es sich nicht nur um eine Schutzvorschrift zugunsten des Klägers, sondern sie ist zugunsten beider Parteien gegenüber den sich bei höheren Streitwerten ergebenden Gebührenforderungen der Anwälte und des Gerichts eingeführt worden37. Dieser Höchstbetrag von 500 000 Euro wird 35 Vgl. bereits oben II. 36 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1647. 37 Vgl. Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 334: „Diese Regelung (sc. des AktG 1937, wonach abweichend von § 3 ZPO der Streitwert auch am Interesse der beklagten Gesellschaft an der Aufrechterhaltung des Beschlusses zu orientieren war; d. Verf.) hat dazu geführt, dass praktisch von Kleinaktionären kaum Anfechtungsklagen

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aber üblicherweise in Beschlussmängelprozessen bei weitem nicht erreicht38. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb etwa der Klägeranwalt im Gegensatz zu einem streitigen Urteil bei einem Prozessvergleich trotz gleichen Anteilsbesitzes und damit unveränderter Bedeutung der Sache für den Kläger über die Vergleichsgebühr hinaus insgesamt höhere Gebühren vereinnahmen können sollte, nur weil die unter Zeitdruck stehende Gesellschaft sich damit einverstanden erklärt. Ähnliche Erwägungen gelten in Fällen, in denen in den Prozessvergleich Vereinbarungen über Forderungen einbezogen werden, die bei streitiger Verfolgung nach dem Spruchverfahrensgesetz durchzusetzen wären. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG ist der für die Berechnung der Gerichtskosten, aber auch für die Anwaltsgebühren (vgl. § 31 Abs. 1 RVG) maßgebliche Geschäftswert bei 7,5 Mio. Euro gedeckelt. Die Kappung soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Interesse beider Beteiligten an einem überschaubaren Kostenrisiko entgegenkommen39. Dieser gesetzlichen Bewertung, die sowohl dem Schutz des Antragstellers im Spruchverfahren als auch dem Schutz der Antragsgegnerin vor exorbitanten Kosten- und Gebührenforderungen dienen soll, ist auch in einem vom Prozessgericht protokollierten und von ihm auf Gesetzesverstöße zu prüfenden Prozessvergleich40 Rechnung zu tragen. Darüber hinausgehende gesetzliche Änderungen, etwa die zwingende Festlegung eines niedrigen Vergleichswerts41 und/oder ein Verbot, neben die Beendigung des Anfechtungsprozesses weitere Vereinbarungen, die nicht mit dem Anfechtungsprozess und den Gründen hierfür in Zusammenhang stehen, in den Vergleich aufzunehmen, um dadurch das Anfechtungsgewerbe weniger attraktiv zu machen42, empfehlen sich jedoch nicht. Solche Einschränkungen würden mutmaßlich nur dazu führen, dass die Anfechtungskläger und die unter Handlungsdruck stehende Gesellschaft oder ihr Großaktionär auf außergerichtliche Vereinbarungen ausweichen

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erhoben werden. Das Kostenwagnis ist für sie zu groß. Auch für die Gesellschaften sind die hohen Streitwerte nachteilig“ (Hervorhebung d. Verf.). Vgl. Baums/Vogel/Tacheva, ZIP 2000, 1649, 1655. Fritzsche/Dreier/Verfürth, SpruchG, 2004, § 15 Rn. 12 unter Hinweis auf die Gesetzesmotive. S. dazu nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, Anh. § 307 Rn. 4; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 794 Rn. 15; Musielak/ Lachmann, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 794 Rn. 18. Dafür etwa Deutsches Aktieninstitut, Squeeze Out. Recht und Praxis, 2007, S. 89. In diese Richtung Linnerz, NZG 2004, 307, 310 (für Vergleiche über Haftungsklagen); für summenmäßige Begrenzung von „Vergleichsmehrwerten“ D. Schwintowski, DB 2007, 2695, 2700.

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würden, die notfalls sogar fremdem Recht unterstellt werden könnten. Deren Inhalt ist sehr viel weniger beeinflussbar als ein Prozessvergleich. Hinzu kommt, dass es davon unabhängig ein berechtigtes Interesse beider Parteien eines Anfechtungsprozesses geben kann, in einen Vergleich weitere streitige Materien einzubeziehen, so dass ein entsprechendes Verbot schon aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.

VII. Änderung des Spruchverfahrensrechts Besonders häufig werden mit Anfechtungsklagen Strukturmaßnahmen angegriffen, die mit Ausgleichs- oder Abfindungszahlungen, Zuzahlungen oder sonstigen Kompensationen (Umtausch von Anteilen) verbunden sind43, obwohl das Gesetz die Anfechtungsklage zwecks Überprüfung der Angemessenheit einer solchen Zahlung durchgehend ausschließt und den Streit um die Angemessenheit der Kompensation in das Spruchverfahrensgesetz verweist. Ausgesprochener Wille des Gesetzgebers war es, mit der Einrichtung dieses besonderen Verfahrens sicherzustellen, dass Strukturmaßnahmen nicht durch Anfechtungsklagen von Minderheitsaktionären blockiert werden sollten, die sich mit ihrer Klage letzten Endes gar nicht gegen die beschlossene Strukturmaßnahme an sich, sondern nur gegen das angebotene Umtauschverhältnis bzw. gegen die angebotene Zahlung wenden44. Da die Anfechtungsklage also nicht mit der Unangemessenheit der angebotenen Zahlung bzw. eines Umtauschverhältnisses oder der Unzulänglichkeit der sich darauf beziehenden Informationen (vgl. § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG) begründet werden kann, werden im Anfechtungsprozess andere Anfechtungsgründe herangezogen. In die vergleichsweise Erledigung des Anfechtungsprozesses wird dann aber häufig auch der Streit um die Erhöhung der Abfindung, des Ausgleichs usw. einbezogen, ja, die vergleichsweise Erledigung des Streits um die Kompensation bildet den wesentlichen Kern des Vergleichs. Neben dem Vergleichswert für die Erledigung des Anfechtungsprozesses wird im Hinblick auf die Erhöhung der Abfindung bzw. des Ausgleichs regelmäßig ein „Vergleichsmehrwert“ festgelegt, der häufig ein Vielfaches des Vergleichswerts beträgt, und nach dem

43 Vgl. Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1639 f. (Tabelle 9). Ausgleichs- bzw. Abfi ndungszahlungen sieht das Gesetz vor in den §§ 304, 305, 320b, 327a AktG, 15, 29, 122h, 122i, 125, 176 ff., 184, 196, 207 UmwG, 6 f., 9, 11 f. SEAG. Hinzu kommt die Abfi ndung im Fall eines Delisting börsennotierter Aktien. 44 Begr. RegE des SpruchG, BT-Drucks. 15/371, S. 11.

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sich dann die Anwaltsgebühren richten45. Im Ergebnis wird die Anfechtungsklage damit entgegen dem Willen des Gesetzgebers funktionswidrig dazu eingesetzt, eine Erhöhung des Ausgleichs, der Abfindung usw. im Wege des Anfechtungsprozesses durchzusetzen. Dadurch wird zugleich die Anwendbarkeit der Vorschriften der §§ 15 Abs. 1 SpruchG, 31 RVG über die Deckelung der Gerichtskosten und Anwaltsgebühren sowie die Regel umgangen, dass die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers nur dann der Gesellschaft auferlegt werden sollen, wenn das Gericht dies aus Gründen der Billigkeit so angeordnet hat (§ 15 Abs. 4 SpruchG). Wenn dies nachhaltig geändert werden soll, müssen die Fehlanreize beseitigt werden, die sich nach wie vor aus der Regulierung der Spruchverfahren, trotz der Reform des Spruchverfahrensrechts durch das SpruchG 2003, ergeben. Auf der einen Seite ist empirisch wohl belegt, dass die Minderheitsaktionären zunächst angebotenen Kompensationsleistungen (Ausgleich, Abfindung usw.) systematisch zu niedrig ausfallen46, so dass infolgedessen die Rechtsbehelfe hiergegen (Anfechtungsklage; Spruchverfahren) geradezu herausgefordert werden. Auf der anderen Seite ist insbesondere die Dauer der Spruchverfahren47 nicht dazu angetan, für die Aufbesserung der Kompensationsleistungen (Abfindungen usw.) gerade diesen Weg zu wählen. Hier ist nicht der Ort, insoweit Vorschläge zu unterbreiten. Kritisiert wird namentlich die Auffassung, auch bei individuell und unter „Gleichen“ ausgehandelten Unternehmensbewertungen sei es Sache der Gerichte, diese Bewertung unter Anwendung betriebswirtschaftlicher Theorien in vollem 45 Einzelheiten bei Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1644 ff.; dazu bereits oben V. 46 Aus der umfangreichen Literatur dazu etwa Dörfler/Gahler/Unterstraßer/Wirichs, BB 1994, 156 ff.; Wenger/Hecker/Knoesel, Abfi ndungsregeln und Minderheitenschutz bei börsennotierten Kapitalgesellschaften, in: Gahlen/Hesse/Ramser (Hrsg.), Finanzmärkte (Schriftenreihe des wirtschaftswiss. Seminars Ottobeuren Bd. 26), 1997, S. 93 ff.; R. Hecker, Regulierung von Unternehmensübernahmen und Konzernrecht – Teil 1: Empirische Analyse des aktienrechtlichen Minderheitenschutzes im Vertragskonzern, 2000; W. Baums, Der Ausgleich nach § 304 AktG. Eine ökonomische Analyse, 2007; vgl. auch Graf v. Bassewitz/Krüger, Börsen-Zeitung v. 23. 2. 2005, S. 2 (Bericht über eine empirische Studie der Deutschen Bank über abgeschlossene Spruchverfahren zu Squeeze out-Beschlüssen: Durchschnittliche Aufbesserung des ursprünglichen Abfi ndungsangebots um 76 % im Spruchverfahren) sowie Jonas, WPg 2007, 835, 842 f. 47 Dazu etwa W. Baums (Fn. 46), S. 191 ff. und Anhang 7 (S. 351 ff). Danach liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Streitigkeiten um den Ausgleich nach § 304 AktG bei 10,8 Jahren (!); die Einführung des SpruchG scheint nicht zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer geführt zu haben.

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Umfang zu überprüfen und ggfs. zu korrigieren48; bemängelt wird die fehlende Berücksichtigung marktlicher Elemente bei der Bemessung von Kompensationen etwa entsprechend der Regelung beim übernahmerechtlichen Squeeze out49; kritisiert wird ferner, dass anders als in anderen Rechtsordnungen nach deutschem Recht bei der Bewertung börsennotierter Unternehmen nicht grundsätzlich auf den Börsenkurs abgestellt wird50; und gerügt wird neben anderem, dass die von der allgemeinen Regel für Prozesszinsen (§ 291 BGB) abweichende gesetzliche Verzinsungsregelung für Ausgleichs- und Abfindungszahlungen51 geradezu dazu einlade, zunächst zu niedrige Leistungen anzubieten und dann die Entscheidung im Spruchverfahren hinauszuzögern52 . Die dadurch begründeten Anreize für Minderheitsaktionäre, funktionswidrig Anfechtungsklagen zu erheben und dadurch auf schnellerem Wege, nämlich durch Vergleich im Anfechtungsprozess, zu den beanspruchten Kompensationsleistungen zu kommen, sollte der Gesetzgeber beseitigen. Nur wenn diesen Defi ziten abgeholfen wird, kann auch die vorgeschlagene Ausdehnung des Spruchverfahrensrechts auf Fälle der Sachkapitalerhöhung und Verschmelzung auf Seiten der aufnehmenden Gesellschaft53 rechtspolitisch überzeugen.

48 Dazu kritisch J. Vetter, ZHR 168 (2004), 8, 26 f.; Martens, in: FS Röhricht, 2005, S. 987 ff. 49 Nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ist die im Rahmen des Übernahme- oder Pfl ichtangebots gewährte Gegenleistung ohne weiteres als angemessene Abfindung anzusehen, wenn der Bieter aufgrund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 Prozent des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat. 50 Dazu zuletzt aus ökonomischer Sicht W. Baums (Fn. 46), S. 112 ff.; vgl. auch Decher, Börsen-Zeitung v. 5. 9. 2007, S. 2; rechtsvergleichend Kiem, ZGR 2007, 542 ff., 554 ff. 51 Vgl. §§ 305 Abs. 3 Satz 3, 320b Abs. 1 Satz 6, 327b Abs. 2 AktG, 15 Abs. 2, 30 Abs. 1 Satz 2, 125, 196 Satz 3, 208 UmwG: Abfi ndungen etc. sind ab der Eintragung des abfi ndungsauslösenden Vorgangs im Handelsregister (oder der Bekanntmachung, § 327b AktG) mit 2 % über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen. Keine Verzinsungspfl icht soll dagegen im Fall der Erhöhung der Ausgleichszahlung gem. § 304 AktG bestehen; vgl. OLG Düsseldorf, AG 1990, 397, 399; LG Frankfurt/M., AG 1996, 187, 190; LG Berlin, AG 2000, 284, 287. 52 Schutzgemeinschaft der Kleinanleger e. V., Pressemitteilung am 26. 7. 2007: „Ist eine Reform des Aktienrechts notwendig?“ 53 Vgl. den Vorschlag des DAV-Handelsrechtsausschusses (oben Fn. 27).

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VIII. Thesen 1. Es sind weitere gesetzliche Maßnahmen gegen die zunehmende Anzahl von Beschlussmängelklagen durch Berufskläger erforderlich. 2. Gegen das Erfordernis eines pauschalen Mindestanteilsbesitzes als Voraussetzung der Beschlussmängelklage bestehen rechtliche und praktische Bedenken. 3. Das Freigabeverfahren sollte umgestaltet werden: – Bei den materiellen Freigabevoraussetzungen sollte die sog. Interessenabwägungsklausel im Gesetz entsprechend der Regierungsbegründung zum UMAG gefasst werden, so dass im praktischen Ergebnis die Eintragung eines angefochtenen strukturändernden Beschlusses in aller Regel vorzunehmen ist, wenn nicht im Einzelfall die Schwere der mit der Klage geltend gemachten Rechtsverletzung dies ausschließt. – Das Freigabeverfahren sollte auf eine Instanz beschränkt und hierfür die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts vorgesehen werden. – Entsprechend § 82 ZPO sollte die Prozessvollmacht für den Anfechtungsprozess auf die Vertretung im Freigabeverfahren erstreckt werden, sofern sich die analoge Anwendung dieser Vorschrift nicht ohnedies in der Gerichtspraxis durchsetzt. 4. Die Anreize für Aktionäre, Beschlussmängelklagen zu erheben, um sich nicht den Nachteilen – insbesondere der überlangen Dauer – eines Spruchverfahrens aussetzen zu müssen, sollten beseitigt werden.

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Bericht über die Diskussion des Referats Baums Daniel Gajek Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Frankfurt Die lebhafte Diskussion unter der Leitung von Krieger befasste sich mit den Vorschlägen des Referenten und zahlreichen weiteren Anregungen dazu, wie missbräuchliche Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse einzudämmen seien. Im Vordergrund der Diskussion standen Fragen zur Einführung eines Mindestanteilsbesitzes (I.), Änderungen des Freigabeverfahrens (II.) sowie zur Einschränkung von Anfechtungsgründen (III.). Zu Beginn der Debatte analysierte Hans Norbert Götz die gegenwärtige Anfechtungspraxis aus ökonomischer Sicht. Nicht nur der regulatorische Rahmen, sondern auch die öffentliche Debatte führten zu einer vermehrten „Nachfrage“ von Anfechtungsklagen. Die ständige Anprangerung der Anfechtungskläger in der Presse mache geradezu Werbung für Anfechtungsklagen. Durch zunehmendes Ausweichen auf Vergleiche werde zu missbräuchlichen Anfechtungsklagen eingeladen. Die durch die Neuregelung des § 246a AktG für beherrschende Großaktionäre eröffneten „Plünderungschancen“ hätten zugleich zu einem stark vermehrten „Angebot“ an Klagesituationen geführt. Bei dieser Sachlage, verstärkter Nachfrage und verstärktem Angebot, entspreche es nur einem ökonomischen Gesetz, dass sich Angebot und Nachfrage nunmehr auf einem erhöhten Mengenniveau ausgleichen. Der Referent räumte in seiner Antwort in Bezug auf den zuletzt genannten, allerdings außerhalb seines Referats liegenden Aspekt, Defi zite des geltenden Rechts ein. In Bewertungsfragen gebe es für die Gesellschaft Anreize, Abfindungen systematisch zu niedrig anzusetzen. Zudem gebe es im Spruchverfahren keine „reformatio in peius“, was dazu beitrage, dass die Gerichte Abfindungen in den Spruchverfahren in der Regel heraufsetzten.

I. Die Mehrheit der Teilnehmer sprach sich mit dem Referenten gegen einen Mindestanteilsbesitz als Klagevoraussetzung aus. Niemeier machte darauf aufmerksam, dass die Einführung einheitlicher Schwellenwerte schon

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deshalb problematisch sei, weil die Quoten des Anteilsbesitzes je nach Gesellschaft sehr unterschiedlich ausfielen. Aus diesem Grund sei es schwierig, eine bestimmte Höhe für ein Quorum festzulegen. Bei Einführung des § 148 AktG sei der Schwellenwert willkürlich hoch angesetzt worden. Es sei kein Fall bekannt, in dem ein Ersatzanspruch nach § 148 AktG geltend gemacht wurde. Deshalb könne man die Gefahr nicht von der Hand weisen, dass ein Quorum zu stark in den Rechtsschutz des Aktionärs eingreife. Einige Teilnehmer machten Vorschläge für ein modifi ziertes Quorum. Vereinzelt Zustimmung fand der Vorschlag von Puszkajler, dass nach dem Vorbild der spanischen Lösung eine Anfechtungsklage die Eintragung nur blockieren solle, wenn die Klage durch ein bestimmtes Quorum von Aktionären erhoben werde. Auch das Spruchverfahren könne von einer Mehrheitsentscheidung innerhalb der Minderheit in der Weise abhängig gemacht werden, dass ein Spruchverfahren ausscheide, wenn eine qualifi zierte Mehrheit der auszuschließenden Minderheit dem Abfindungsangebot zustimme. Eine solche „Marktlösung“ sei gegenüber einem allgemeinen Mindestanteilsbesitz vorzugswürdig. Von Mettenheim sprach sich für eine „modifi zierte italienische Lösung“ aus. Nur der Abschluss eines Vergleichs solle unter den Vorbehalt einer Mehrheitsentscheidung gestellt werden. In diesen Fällen sei es zwar möglich, dass sich eine Mehrheit für den Vergleich finde; ein Erpressungspotenzial der Anfechtungskläger bestehe bei einer solchen Lösung dagegen nicht. Vor dem Hintergrund, dass sich die Vorschläge des Referenten gegen einen Mindestanteilsbesitz wenden, wurde von Waclawik die Frage gestellt, ob auch § 254 Abs. 2 AktG abzuschaffen sei. Nach der Auffassung von Baums regelt § 254 Abs. 2 AktG eine Sondersituation. Ihm sei kein Urteil bekannt, das sich mit diesem Quorum befasse. Eines Quorums bedarf es an dieser Stelle nach Ansicht von Baums daher gleichfalls nicht. Die Frage habe aber keine praktische Bedeutung.

II. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob statt der Aussetzungsentscheidung im Freigabeverfahren ein einstweiliges Verfügungsverfahren eingeführt werden sollte. Auch in anderen Rechtsgebieten trete eine Blockadewirkung nur dann ein, wenn der Betreffende seinen Anspruch glaubhaft

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Gajek – Bericht über die Diskussion

machen könne. Baums wies darauf hin, dass das deutsche Recht in § 16 Abs. 2 HGB bereits einstweilige Verfügungen des Prozessgerichts kenne, die sich in der Sache an den Registerrichter wenden, obwohl sie im Verfahren zwischen Aktionär und Gesellschaft ergingen. Das entscheidende praktische Argument gegen ein einstweiliges Verfügungsverfahren liegt nach Baums in der Gefährdungshaftung nach § 945 ZPO begründet, die die Aktionäre in der Regel davon abhalten werde, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Ein weiterer Nachteil des einstweiligen Verfügungsverfahrens sei, dass im Fall der Eintragung infolge einer erfolgreichen Verfügungsentscheidung keine Bestandskraft des eingetragenen Beschlusses wie im Fall eines erfolgreich durchgeführten Freigabeverfahrens eintrete. Der Sache nach handele es sich bei dem Freigabeverfahren um ein für den vorliegenden Zusammenhang fortentwickeltes Verfügungsverfahren. Auf die Vorschläge von Niemeier, eine Pflicht zur Sicherheitsleistung für den klagenden Aktionär oder aber einen Schadensersatzanspruch bei leichtfertig erhobenen Anfechtungsklagen einzuführen, stellte Baums die Frage, ob sich die Sicherheitsleistung nur auf die Kosten der Klage selbst beziehen müsse oder ob sie sich auch auf eine eventuelle Haftung wegen Schadensersatz für eine leichtfertig erhobene Anfechtungsklage erstrecken solle. Zum anderen werde der Rechtsschutz des Anfechtungsklägers in fragwürdiger Weise verkürzt, wenn ihm stets eine Haftung für leichtfertig erhobene Anfechtungsklagen drohe. Es müsse überdies gesehen werden, dass auch die von den Berufsklägern erhobenen Klagen häufig nicht unbegründet seien, sondern Anfechtungsgründe auch leicht provoziert werden könnten, ohne dass dem Anfechtungskläger Leichtfertigkeit vorzuhalten sei. Gegenstand der Diskussion war sodann die Zuständigkeit der Gerichte für das Freigabeverfahren. Nach Ansicht von Puszkajler sei gegen eine Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen bei den Landgerichten dann nichts einzuwenden, wenn die Bundesländer von der Möglichkeit einer Konzentration auf bestimmte Landgerichte Gebrauch machen würden. Überdies sei die Besetzung der Kammer für Handelssachen zu ändern. Die Besetzung der Handelskammern in Amsterdam oder in Zürich seien dafür gute Vorbilder. Dort würden die Richter nach besonderen Sachkenntnissen ausgewählt. Über solche Auswahlkriterien müsse man auch im deutschen Recht nachdenken. Eine Konzentration auf fünf Handelskammern in Deutschland reicht nach Ansicht von Puszkajler aus. Gegen den Vorschlag von Baums, dass ein Freigabeverfahren künftig vor dem Oberlandesgericht stattfinden sollte, wurde angeführt, dass es sinn-

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voll sei, wenn das Gericht des Anfechtungsprozesses auch gleichzeitig über das Freigabeverfahren entscheide. Andernfalls werde unnötiger Arbeitsaufwand betrieben. Dagegen gab Baums zu bedenken, dass umgekehrt auch die Anfechtungsprozesse in erster Instanz vor den Oberlandesgerichten durchgeführt werden könnten. Bedenken wurden ferner gegen die von Baums erwogene Änderung der Interessenabwägungsklausel geäußert. Nach Harry Schmidt soll der Wille der Minderheit im Freigabeverfahren stärker berücksichtigt werden. Für den Fall, dass die Mehrheit des Streubesitzes für die Strukturmaßnahme stimme, solle im Rahmen der Interessenabwägung stets ein überwiegendes Vollzugsinteresse vorliegen. Martens merkte kritisch an, dass sich die Vorschläge des Referenten in einen Widerspruch zu seinen Ausführungen setzten, mit denen er sich ausdrücklich gegen das Erfordernis eines Mindestanteilsbesitzes gewendet habe. Die von Baums vorgeschlagene Änderung der Interessenabwägungsklausel des § 246a AktG führe zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes für den Aktionär. Wenn man im Rahmen der Interessenabwägung ausschließlich auf die Nachteile für den klagenden Aktionär abstelle, führe dies im Ergebnis immer dazu, dass angefochtene Beschlüsse eingetragen würden. Man dürfe aber nicht außer Betracht lassen, dass es sich beim Freigabeverfahren nicht um ein Hauptsacheverfahren handele. Wegen der Bestandskraft nach Eintragung des entsprechenden Beschlusses seien die Folgen für den Aktionär gleichwohl einschneidend. Die vorgeschlagenen Änderungen der Interessenabwägungsklausel könnten dazu führen, dass der Aktionärsschutz ausgehöhlt werde. Viel effektiver lasse sich das Problem der missbräuchlichen Anfechtungsklagen durch eine Deregulierung und Vereinfachung materieller Vorschriften des Aktienrechts erreichen. Es sei auch problematisch, im Rahmen der Interessenabwägung ausschließlich auf das Interesse des klagenden Aktionärs abzustellen und nicht auf das Interesse aller überstimmten Mitaktionäre. Wegen der inter-omnes Wirkung des Anfechtungsurteils lasse sich auch vertreten, das Interesse der anderen Aktionäre mit in die Abwägung einzubeziehen. Baums unterstrich in der Antwort hierauf die individualrechtliche Komponente der Anfechtungsklage und stellte die Frage, ob der Aktionär mit einer Aktie wirklich noch als Hüter der Gesamtheit anzusehen sei oder ob nicht zumindest hier, im Freigabeverfahren, eine Abkehr vom hergebrachten Verständnis der Anfechtungsklage als einer Funktionärsklage mit drittschützender Wirkung angebracht sei. Außerdem handele es sich beim Freigabeverfahren um ein kontradiktorisches Verfahren mit rechtlichem

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Gehör des einzelnen Aktionärs. Anders als bei dem Vorschlag eines Mindestbesitzerfordernisses bleibe der Rechtsschutz jedes einzelnen Aktionärs bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen unangetastet. Bei den übrigen Rechtsverletzungen gehe das Vollzugsinteresse der Mehrheit vor, aber es bleibe die Möglichkeit eines Feststellungsurteils und darüber hinaus eines Schadensersatzanspruchs. Insgesamt handele es sich um ein abgestuftes interessengerechtes Schutzsystem, dessen Grundlinien bereits vom Gesetzgeber des UMAG überzeugend vorgezeichnet worden seien. Anschließend wurden Zustellungsprobleme im Freigabeverfahren diskutiert. H. Schmidt bemerkte hierzu, dass sich das Problem in der Praxis weitgehend erledigt habe, da die Gerichte § 82 ZPO analog anwenden, so dass Schriftsätze auch im Freigabeverfahren dem Prozessbevollmächtigten des Hauptsacheverfahrens zugestellt werden könnten.

III. In der Debatte wurde ferner die Frage aufgeworfen, ob nicht die Anfechtungsgründe für Aktionärsklagen stärker beschränkt werden sollten. Dem Vorschlag von Eberhard Vetter, vermehrt materiell-rechtliche Vorschriften in den Blickpunkt zu rücken, wurde mehrheitlich zugestimmt. Eine Einschränkung von Anfechtungsgründen lasse sich nach Ansicht von E. Vetter beispielsweise durch eine Ausweitung der Erleichterung von Berichtspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung erreichen, indem neben den §§ 175 Abs. 2 Satz 4 AktG oder 124 Abs. 2 Satz 2 AktG entsprechende Vorschriften auch für Strukturmaßnahmen der Gesellschaft eingeführt würden. Zudem könne die scharfe Rechtsfolge des Rechtsverlusts nach § 28 WpHG wegen Verletzung von Mitteilungspflichten nach § 21 WpHG dahin modifi ziert werden, eine Anfechtung künftig nur noch bei leichtfertig unterlassenen Stimmrechtsmitteilungen zuzulassen. E. Vetter sah insoweit die Gefahr, dass durch die im Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes vorgesehene Erweiterung der Zurechnungsvorschriften funktionswidrige Anfechtungsklagen eher noch begünstigt würden. Baums sah in diesem Bereich ebenfalls Reformbedarf und führte an, dass § 28 WpHG mittlerweile zu einem der häufigsten Anfechtungsgründe zähle. In diesem Zusammenhang wies er auf ein neueres, seines Erachtens allerdings falsches Urteil des Landgerichts Köln hin, wonach Hauptversammlungsbeschlüsse, die unter Verstoß gegen die §§ 21 ff. WpHG zustandegekommen seien, nicht bestätigt werden könnten. Diese zusätzliche

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Unsicherheit müsse durch ein obergerichtliches Urteil schnell behoben werden. Auf die Frage von Puszkajler, ob Entlastungsbeschlüsse weiterhin anfechtbar sein sollten, obschon diese keine materiell-rechtliche Wirkung entfalten, gab Baums zu bedenken, dass diese Beschlüsse zwar häufig gewissermaßen im Wege einer Generalabrechnung von den Anfechtungsklägern mit angefochten würden, aber für die Gesellschaft kein Erpressungspotenzial enthielten. Bei nicht eintragungsbedürftigen Beschlüssen bestehe für die Anfechtungskläger keine Hebelwirkung, so dass ein Anfechtungsprozess auch „schweben“ könne. Insofern sehe er keinen dringenden Reformbedarf. Diskutiert wurde schließlich, ob von Schadensersatzansprüchen nach § 826 BGB oder wegen Verletzung von Treuepflichten eine Eindämmung missbräuchlicher Anfechtungsklagen zu erwarten sei. Angesprochen wurde ein kürzlich ergangenes Urteil des Landgerichts Frankfurt, in dem das Gericht einen Anfechtungskläger zu Schadensersatz nach § 826 BGB verurteilt hat. In seiner Stellungnahme machte der Referent deutlich, dass sich diese Entscheidung mit individuellem Rechtsmissbrauch befasse und sich nicht auf die heute im Vordergrund des Interesses stehenden Fälle des institutionellen Rechtsmissbrauchs übertragen lasse. Anders als in dem vom Landgericht Frankfurt zu beurteilenden Sachverhalt achteten die Berufskläger im Regelfall darauf, nicht offensichtlich Sondervorteile zu fordern. Ein Schadensersatzanspruch helfe an dieser Stelle daher nicht weiter.

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Nachschusspflichten bei Personengesellschaften Prof. Dr. Carsten Schäfer Universität Mannheim I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Die aktuellen Entscheidungen des II. Zivilsenats . . . . . . 138 III. Kritik und Folgerungen . . . . . 1. Ausgangspunkt zu § 707 BGB . . . . . . . . . . . . . 2. Dispositiver Charakter des § 707 BGB? . . . . . . . . . 3. „Antizipierte“ Ausübung des Zustimmungsrechts? . .

4. Folgen einer fehlenden Zustimmung?. . . . . . . . . . 145

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IV. Sonderproblem: Sanierung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . 146 1. Einführung und Meinungsstand . . . . . . . . . . . . 146 2. Stellungnahme (eigener Ansatz) . . . . . . . . . . . . . . . 148

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V. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

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I. Einführung Das Thema der Nachschusspflichten im Personengesellschaftsrecht ist ein Klassiker, aber gewissermaßen ein schlafender, der vom Bundesgerichtshof erst wieder zu Leben erweckt werden musste, und zwar mit einer schönen Kette von Urteilen, etwa seit 2005, die ganz überwiegend die Publikumsgesellschaft betrafen, meist sog. Fondsgesellschaften1. Es ist nun gewiss ein beklagenswerter Zustand, dass viele Anleger sich des Umstands kaum bewusst werden, dass sie durch ihre Investition zu Gesellschaftern werden, meist einer KG oder GbR. Schaut man sich indes die Fälle an, die der II. Zivilsenat zu entscheiden hatte, so muss man konstatieren, dass offenbar auch den Schöpfern der Gesellschaftsverträge nicht immer bewusst war, mit welchen Regeln sie es zu tun haben. Insofern gebührt den Entscheidungen des II. Zivilsenat das Verdienst, Grundlagen des Personengesellschaftsrechts in einem 1 BGH v. 4. 7. 2005 – II ZR 354/03 (KG Berlin), NZG 2005, 753 = ZIP 2005, 1455 = WM 2005, 1608; BGH v. 23. 1. 2006 – II ZR 306/04 (LG Berlin), WM 2006, 577; BGH v. 23. 1. 2006 – II ZR 126/04 (OLG München), WM 2006, 774 = ZIP 2006, 754 = NZG 2006, 379; BGH v. 5. 3. 2007 – II ZR 282/05 (KG Berlin), DStR 2007, 771 = NZG 2007, 381; BGH v. 19. 3. 2007 – II ZR 73/06 (LG Berlin), NZG 2007, 382 = WM 2007, 835; BGH v. 26. 3. 2007 – II ZR 22/06 (OLG Celle), DStR 2007, 1313 = WM 2007, 1333; BGH v. 21. 5. 2007 – II ZR 96/06 (LG Berlin), DStR 2007, 1263; neuestens BGH v. 5. 11. 2007 – II ZR 230/06 (LG Berlin), DStR 2007, 2078 = DB 2007, 2828 = WM 2007, 2381.

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nicht unwesentlichen Bereich wieder ins allgemeine Bewusstsein gerufen zu haben. Noch dazu vermögen die Urteile auch in ihren Ergebnissen durchweg zu überzeugen. Im Kern geht es um ein im Ansatz leicht einsehbares Prinzip, das auch als ein „Grundrecht“2 des Gesellschaftsrechts gilt und das § 707 BGB in die schlichten Worte fasst: Zur Erhöhung des vereinbarten Beitrags oder zur Ergänzung der durch Verlust verminderten Einlage ist ein Gesellschafter nicht verpfl ichtet. Bevor hieraus im Einzelnen die Konsequenzen gezogen werden, seien aber zur Veranschaulichung der Problematik zunächst die in den letzten Jahren ergangenen Urteile zusammenfassend vorgestellt und einer Kritik unterworfen, und zwar sowohl hinsichtlich des vom Senat gewählten Ansatzes wie auch der einzelnen hieraus abgeleiteten Folgerungen. Abschließend soll die Frage diskutiert werden, mit welchen Mitteln das Problem der Sanierung krisenhafter Fondsgesellschaften zu lösen ist, wenn nicht alle Gesellschafter bereit sind, sich an der Überwindung der Krise zu beteiligen.

II. Die aktuellen Entscheidungen des II. Zivilsenats In den sieben Fällen, die der II. Senat zwischen 2005 und 2007 entschieden hat3, sahen die Verträge, soweit sie sich auf Immobilienfonds bezogen, einerseits ein bestimmtes Gesellschaftskapital vor, andererseits die unterschiedlich ausgestaltete Befugnis der Gesellschafterversammlung, über Nachschusspflichten mit Mehrheit zu beschließen. Meist wurde dies als Kompetenz der Gesellschafter bemäntelt, einem von der Geschäftsführung für das jeweils folgende Geschäftsjahr aufgestellten „Wirtschaftsplan“ zuzustimmen, der zugleich die „erforderlichen Nachschussbeträge“ benannte. In einem Fall sollte auch ein Beirat über die einzufordernden Beiträge beschließen. Gelegentlich verpflichtete der Vertrag die Gesellschafter auch zusätzlich, nach Aufforderung der Geschäftsführer sog. „Unterdeckungen“ anteilig auszugleichen, die bei der „laufenden Bewirtschaftung“ des Grundstücks auftreten. Durchweg sollten die Geschäftsführer dafür zuständig sein, die Nachschüsse einzufordern bzw. laufende Vorschüsse darauf zu verlangen. Gelegentlich war in den Verträgen auch der projektierte, aus Eigen- und Fremdmitteln aufzubringende Gesamtaufwand des Investitionsvorhabens beziffert. Dieser konnte jedoch stets durch Mehrheitsbeschluss erhöht 2 Nachw. unten in Fn. 8. 3 Gemeint sind die bis November 2007 veröffentlichten Urteile.

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werden. In einem Fall (Nr. 5) war das Eigenkapital zunächst recht niedrig festgesetzt worden, sollte dann aber wiederum mehrheitlich auf ein Vielfaches heraufgesetzt werden können, was auch geschah. In zwei Fällen (Nrn. 4, 6) wurde zusätzlich darum gestritten, ob die Gesellschafter mit ihrer Mängelrüge präkludiert waren, obwohl sie zwar der Erhöhung ihrer Beiträge nicht zugestimmt, dies aber nicht innerhalb einer gesellschaftsvertraglichen Anfechtungsfrist geltend gemacht hatten. Schließlich hatte der Senat über die Frage zu entscheiden, ob eine Nachschussklausel nachträglich mit vertragsändernder Mehrheit beschlossen werden konnte. In allen Fällen verneinte der II. Zivilsenat die wirksame Begründung der Nachschusspflicht. Ich gebe die Argumentation mit den folgenden – von mir formulierten – Leitsätzen wieder: 1. In allen Fällen handelt es sich deshalb um eine nachträgliche Beitragserhöhung, weil die bestrittenen Leistungen durch den ursprünglichen Vertrag noch nicht ausreichend bestimmt waren, sondern erst noch einer konkretisierenden Festsetzung durch Gesellschafter- bzw. Beiratsbeschluss bedurften4. 2. Aus diesem Grund ist das Bestehen der Beitragspflicht nach § 707 BGB zu entscheiden, so dass die Erhöhung der ursprünglichen Beiträge zu Lasten des einzelnen Gesellschafters nur mit dessen Zustimmung wirksam wird. 3. Dies gilt nicht nur für die Beschlussfassung im Einzelfall, sondern auch für die spätere Einführung einer gesellschaftsvertraglichen Nachschussklausel im Wege der Vertragsänderung. 4. Zwar ist § 707 BGB insoweit „abdingbar“, als die erforderliche Zustimmung auch im Voraus, namentlich schon im Gesellschaftsvertrag, erteilt werden kann. Hierfür müssen jedoch Art und Ausmaß der möglichen zusätzlichen Belastung eindeutig erkennbar sein5. 5. Erforderlich ist deshalb die Angabe einer Obergrenze oder sonstiger Kriterien, die das Erhöhungsrisiko eingrenzen6. Die Bezugnahme auf „Unterdeckungen“ aufgrund der „laufenden Bewirtschaftung“ erfüllt diese Voraussetzungen offensichtlich nicht. 4 So in sämtlichen der entschiedenen Fälle, vgl. die Nachw. in Fn. 1. 5 Dazu schon BGHZ 132, 263, 268 = NJW 1996, 1678, worauf der Senat immer wieder Bezug nimmt. 6 BGH v. 4. 7. 2005 – II ZR 354/03 (KG Berlin), WM 2005, 1608 = NZG 2005, 753.

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6. An eine treupflichtgestützte Zustimmungspflicht ist selbst bei akuter Sanierungsbedürftigkeit der Gesellschaft nicht zu denken. 7. Die Nichtbeachtung einer gesellschaftsvertraglichen Anfechtungsfrist bewirkt keine Zustimmung; denn solche Klauseln erfassen allein Beschlussmängel. Wie bei § 53 GmbHG oder § 180 AktG ist die fehlende Zustimmung demgegenüber Wirksamkeitsvoraussetzung des Beschlusses.

III. Kritik und Folgerungen 1. Ausgangspunkt zu § 707 BGB Treffen diese Leitsätze das Richtige? – Nach Ansicht des Verf. ist den Entscheidungen des II. Senats durchweg im Ergebnis und ganz überwiegend auch in der Begründung zuzustimmen. Sie entsprechen überdies im Ansatz eindeutig weithin anerkannten Grundsätzen, so dass man sich fragen mag, wie die Instanzgerichte teilweise geradezu entgegengesetzt hatten entscheiden können. Lediglich in einem Aspekt seiner Begründung ist der Senat missverständlich geblieben, und zwar mit seiner Rede vom – angeblich – dispositiven Charakter des § 707 BGB (dazu sogleich unter 2.). Doch zunächst sei der Vorschrift ein etwas genauerer Blick gewidmet: § 707 BGB, der bekanntlich für alle Personengesellschaften gilt, beschäftigt sich mit Beitragserhöhungen und betont insofern, dass der einzelne Gesellschafter hierzu nicht verpflichtet ist. Die ursprüngliche Höhe der Beiträge ergibt sich bekanntlich aus dem Gesellschaftsvertrag. Es bedarf daher jedenfalls einer Vertragsänderung, wenn die Beiträge nachträglich erhöht werden sollen. Aufgrund der allgemeinen Abgrenzung zwischen Geschäftsführungs- und Grundlagenbereich fällt diese Entscheidung in die Kompetenz der – d. h. prinzipiell aller – Gesellschafter, was aber mit § 707 im engeren Sinne noch nichts zu tun hat. Demgemäß ist es, ganz unabhängig von dieser Vorschrift, nicht möglich, die Entscheidung über die Erhöhung der Beiträge etwa auf die Geschäftsführer zu delegieren; lediglich die Einforderung vereinbarter Beiträge kann ihnen überlassen werden. Auch auf einen Beirat können Vertragsänderungen im Übrigen nicht unbeschränkt delegiert werden7. Sodann ist es in erster Linie Sache des Gesellschaftsvertrages zu bestimmen, wie, namentlich mit welcher Mehrheit, die Gesellschafter über Vertragsänderungen entscheiden, und 7 S. nur Ulmer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 1988, § 109 Rn. 54 f.

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bekanntlich enthalten die meisten Personengesellschaftsverträge eine auch auf Vertragsänderungen erstreckte Mehrheitsklausel. Nur soweit der Vertrag insofern keinerlei Regelung trifft, gilt das Konsensprinzip, wie man § 709 Abs. 1 BGB bzw. § 119 Abs. 1 HGB entnehmen kann. Dies ist aber immer noch nicht das Thema des § 707 BGB, der eigenständige Bedeutung vielmehr erst dann gewinnt, wenn der Gesellschaftsvertrag vom erwähnten Konsensprinzip abweicht und auch Vertragsänderungen einer Mehrheitsentscheidung unterwirft. Dann kommt § 707 BGB ins Spiel, der als personengesellschaftsrechtliche Ausprägung des schon erwähnten allgemeinen verbandsrechtlichen „Grundrechts“ zu verstehen ist8, das sich im Recht der Kapitalgesellschaft in § 53 Abs. 3 GmbHG und § 180 Abs. 1 AktG wiederfindet9. Dieses Recht dient nicht dem Minderheiten-, sondern dem Individualschutz, und zwar vor einer unabsehbaren Belastung10. Verwirklicht wird es durch ein Zustimmungsrecht des einzelnen Gesellschafters; denn § 707 BGB schließt selbstverständlich nicht aus, dass die Gesellschafter freiwillig höhere Beiträge leisten als ihren im Gesellschaftsvertrag festgelegten Pflichten entspricht. Die Zustimmung ist, wie der II. Zivilsenat zutreffend herausgestellt hat, dogmatisch als Wirksamkeitsvoraussetzung des Erhöhungsbeschlusses gegenüber dem einzelnen Gesellschafter einzuordnen, von der Stimmabgabe also deutlich abzugrenzen. Wie im Recht der Kapitalgesellschaften hat man deshalb im Ansatz zu unterscheiden zwischen dem vertragsändernden Beschluss zur Erhöhung der Beiträge auf der einen Seite – insbes. also der Kapitalerhöhung, und der individuellen Verpflichtung des einzelnen Gesellschafters auf der anderen Seite – sie entspricht gewissermaßen der Zeichnungserklärung des Gesellschafters bei der Kapitalerhöhung in GmbH oder AG. Aus diesen Grundsätzen lassen sich unmittelbar die folgenden Konsequenzen für das Thema ableiten:

2. Dispositiver Charakter des § 707 BGB? Aufgrund seines Individualschutzzwecks ist § 707 BGB nicht dispositiv; das hieraus abzuleitende Zustimmungsrecht ist vielmehr unverzichtbar. Insofern kann nichts anderes gelten als für die Parallelvorschriften des 8 So treffend Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 7 IV 1 a. 9 Vgl. dazu nur C. Schäfer, Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997, S. 162 ff., speziell zur Wertungsgleichheit von Leistungsvermehrung und Rechtsverkürzung S. 171 f. 10 Prägnant etwa BGH, WM 2006, 577, 578 und 774, 775 (jeder Gesellschafter soll das Maß seiner durch die Mitgliedschaft eingegangenen Belastung sicher abschätzen können).

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§ 53 Abs. 3 GmbHG und des § 180 Abs. 1 AktG allgemein anerkannt wird11. Zwar ist die gegenteilige Behauptung verbreitet12, und sie findet sich sogar noch in der neuen Rechtsprechung des BGH13, doch beruht das Schutzkonzept des Senats in Wahrheit auf der Prämisse der Unverzichtbarkeit des Zustimmungsrechts. Wäre nämlich die Vorschrift wirklich abdingbar, müsste eine Vertragsklausel, die sie schlicht für unanwendbar erklärt – die also etwa lautet: „§ 707 BGB ist unanwendbar“ – den Schutz ins Leere laufen lassen können. Demgegenüber ignorierte der Senat in einem der von ihm jüngst entschiedenen Fälle14 eine auf die Abbedingung des § 707 BGB gerichtete Klausel schlicht und brachte seine zu § 707 entwickelten Regeln gleichwohl zur Anwendung. In Wahrheit geht es ihm – und den meisten Autoren – mit der Rede vom dispositiven Charakter denn auch um etwas anderes, nämlich um die Frage, ob die nach § 707 BGB erforderliche Zustimmung zur Beitragserhöhung im Voraus, namentlich bereits im Gesellschaftsvertrag, erklärt werden kann. Nicht der Bestand des Zustimmungsrechts, sondern dessen Ausübung steht also in Frage. Bei der (angeblichen) Dispositivität handelt es sich somit lediglich um eine terminologische Ungenauigkeit. Indessen sollte das Thema der Unverzichtbarkeit eines Rechts schon aus Gründen dogmatischer Klarheit und zur Vermeidung von Missverständnissen15 deutlich von der Frage unterschieden werden, ob das Recht im Voraus ausgeübt werden kann16. Im Übrigen ergibt sich die zwingende Geltung des § 707 BGB unmittelbar aus dem Schutzcharakter des daraus abgeleiteten Zustimmungsrechts als eines individuellen „Grundrechts“ im beschriebenen Sinne. Man mag sich angesichts der Vielfalt der realen Gestaltungsformen der GbR fragen, ob die Unverzichtbarkeit des Zustimmungsrechts wirklich in allen Fällen das Richtige trifft17. Doch dürfte man bei Sonderformen wie der Beitragsgesell11 Zur zwingenden Geltung s. nur Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 53 Rn. 74 m. w. N.; auch C. Schäfer, Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997, S. 162 f. 12 Vgl. etwa Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 707 Rn. 6 m. w. N., wo die Dispositivität als „einhM“ bezeichnet wird, womit aber ebenfalls allein begründet werden soll, dass eine antizipierte Zustimmung zulässig ist; auch Ulmer hält die schlichte Abbedingung gerade nicht für zulässig. 13 BGH v. 7. 4. 2005 – II ZR 354/03 (KG Berlin), WM 2005, 1608 = ZIP 2005, 1455; BGH v. 23. 1. 2006 – II ZR 306/04 (LG Berlin), WM 2006, 577. 14 BGH v. 21. 5. 2007 – II ZR 96/06 (LG Berlin), DStR 2007, 1263. 15 Vgl. etwa Wagner, WM 2006, 1273. 16 S. schon C. Schäfer, Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997, S. 163 f. 17 Karsten Schmidt hat in der Diskussion das Beispiel einer in der Form einer GbR geführten Partenreederei sowie den Fall der Beitragsgesellschaft erwähnt; auch das Beispiel der ARGE wurde genannt.

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schaft in der Regel schon dadurch zu angemessenen Ergebnissen gelangen, dass man die erforderliche Bestimmbarkeit bei der Formulierung der (ursprünglichen) Beitragspflicht etwas großzügiger handhabt18. Im Übrigen vermögen solche Sonderformen an der Überzeugungskraft des Grundsatzes nichts zu ändern; zumal dieser den Wertungsgrund für die besonderen Anforderungen bildet, die von der ganz h. M. – mit Recht – an das Vorliegen einer „antizipierten“ Zustimmung gestellt werden und die sich anderenfalls kaum konsistent begründen ließen (dazu sogleich unter 3.). Im Ansatz sollte zudem deutlich unterschieden werden zwischen der Frage, ob § 707 BGB wirklich für alle Gesellschaften passt, und der Frage seiner zwingenden Geltung in Fällen, in denen er zweifellos passt. Besonders deutlich wird all dies in den – vom Senat entschiedenen – Fällen einer klaren Bezifferung der ursprünglich geschuldeten Einlage. Die zwingende Geltung steht auch nicht im Widerspruch zur persönlichen Gesellschafterhaftung. Diese kann zwar in der Tat indirekt zu einer zusätzlichen Beitragspflicht führen, soweit nämlich ein Gesellschafter unmittelbar auf die Haftung in Anspruch genommen wird und mit seinem Regressanspruch gegen die Gesellschaft ausfällt bzw. seine Mitgesellschafter nur pro rata in Regress nehmen kann19. Doch hat der BGH zu Recht genau umgekehrt argumentiert: Wegen § 707 BGB überschreite der Geschäftsführer seine Befugnisse, wenn er Belastungen eingehe, die erkennbar nicht mehr vom Gesellschaftsvermögen (oder bereits konsentierten Nachschüssen) gedeckt seien20. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber, obwohl er selbstverständlich von der persönlichen Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten ausging, gleichwohl das generelle Verbot unfreiwilliger Beitragserhöhungen verhängt hat, das gerade nicht bloß für solche Gesellschafter gilt, die keiner persönlichen Haftung ausgesetzt sind. Diese Differenzierung ist auch zutreffend, weil die Haftung, wie gesehen, eben keineswegs selbstverständlich zu einer (mittelbaren) Beitragserhöhung führt, und umgekehrt Beitragserhöhungen auch ohne jeglichen Bezug zu einer „Haftungssituation“ in Betracht kommen. Die persönliche Haftung eines

18 Dazu nur Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 707 Rn. 2, der speziell auf die nicht bezifferten Einlagen hinweist; vgl. auch den Hinweis auf die aufschiebend bedingte Beitragspfl icht etwa in BGH v. 4. 7. 2005 – II ZR 354/03 (KG Berlin), NZG 2005, 753 = ZIP 2005, 1455 = WM 2005, 1608. 19 Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 707 Rn. 4; Wertenbruch, DStR 2007, 1680, 1683. 20 So BGH v. 2. 7. 1979 – II ZR 132/78, NJW 1980, 339, 340; in diesem Sinne auch Ulmer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 1999, § 116 Rn. 13; Karsten Schmidt, in: MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 116 Rn. 13; Wertenbruch, DStR 2007, 1680, 1683.

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Gesellschafters steht also in keinem Wertungswiderspruch zur zwingenden Geltung des § 707 BGB. Demnach sprechen die besseren Gründe für die zwingende Geltung des § 707 BGB; sie bildet letztlich den Wertungsgrund für das von § 707 BGB verfolgte Individualschutzkonzept. Es wäre daher wünschenswert, auf die missverständliche Rede vom dispositiven Charakter ganz zu verzichten, zumal sie für manche Fehlvorstellung der (Kautelar-)Praxis im Zusammenhang mit Nachschusspflichten verantwortlich sein dürfte.

3. „Antizipierte“ Ausübung des Zustimmungsrechts? Damit sind wir bei der Frage angelangt, ob das unverzichtbare Zustimmungsrecht schon im Voraus ausgeübt werden, der Gesellschafter namentlich schon im Gesellschaftsvertrag sein Einverständnis zu späteren Beitragserhöhungen erklären kann. Bekanntlich nennt das Bürgerliche Recht solche im Voraus abgegebene Zustimmung „Einwilligung“ (s. § 183 BGB), was schon impliziert, dass es offenbar keine grundsätzlichen Bedenken hegt. Diese Einwilligung braucht sich auch nicht notwendigerweise auf ein bestimmtes Geschäft zu beziehen; das Bürgerliche Recht kennt vielmehr auch (zulässige) Generaleinwilligungen21, etwa eine – allerdings zwingend widerrufliche – Generalvollmacht oder die Einwilligung der Eltern in eine bestimmte Art von Geschäften ihrer minderjährigen Kinder (§§ 112 f. BGB). Andererseits erlaubt das Kapitalgesellschaftsrecht nur sehr eingeschränkt die „antizipierte“ Zeichnung von Aktien oder GmbH-Anteilen für den Fall einer späteren Kapitalerhöhung – bei der Zeichnung handelt es sich ja, wie erwähnt, um das kapitalgesellschaftsrechtliche Pendant zur Zustimmung nach § 707 BGB. Sie kann nach h. M. vielmehr nur in Hinblick auf eine konkrete Kapitalerhöhung sowie frühestens dann erfolgen, wenn der Termin des Erhöhungsbeschlusses feststeht22. Ganz so strikt braucht man zwar im Personengesellschaftsrecht vielleicht nicht zu sein. Auf der anderen Seite ist aber gewiss, dass eine unbeschränkte Generaleinwilligung dem Schutzzweck des § 707 BGB klar widerspräche. Es ist daher in der Tat völlig ausgeschlossen, in einer allgemein auf Vertragsänderungen bezogenen Mehrheitsklausel zugleich die Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters zu später mehrheitlich beschlossenen Beitrags21 Etwa bei § 107 BGB (dazu J. Schmitt, in: MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 107 Rn. 13 f.) und bei der Vollmacht (dazu Schramm, in: MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 167 Rn. 82 f.). 22 S. nur Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 185 Rn. 6 sowie Zöllner, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 55 Rn. 39.

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erhöhungen zu sehen. Erforderlich ist vielmehr, dass die Klausel als Spezialeinwilligung des einzelnen Gesellschafters in die Beitragserhöhung interpretiert werden kann. Hierfür verlangt der II. Senat, wie erwähnt (Leitsatz Nr. 5), neben der eindeutigen Einbeziehung der Beitragserhöhung in den Anwendungsbereich der Mehrheitsklausel23 auch die Angabe einer Obergrenze für die geschuldeten Nachschüsse, damit dem Gesellschafter von vornherein vor Augen geführt wird, mit welchem Betrag er höchstens zu rechnen hat24. Es sollen somit ähnliche Grundsätze gelten wie im Falle des § 26 GmbHG, also der GmbH-rechtlichen Nachschusspflicht, wonach ebenfalls die Angabe eines bestimmten Betrages erforderlich ist. – Dem ist angesichts des allgemeinen verbandsrechtlichen Charakters des § 707 BGB unbedingt zuzustimmen25, und zwar auch für Publikumsgesellschaften26. Es bedarf daher stets einer absoluten Obergrenze der zusätzlichen Belastung, was aber selbstverständlich nicht ausschließt, dass die Nachschüsse nicht auf einmal, sondern in Teilbeträgen durch die Geschäftsführer eingefordert werden. Selbstverständlich ist andererseits aber, dass auch eine ausreichend konkrete Zustimmungsklausel nicht nachträglich im Wege einer mehrheitlich beschlossenen Vertragsänderung in den Vertrag eingeführt werden kann (Fall 6); insofern bedarf es vielmehr der aktuellen Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters, damit die Klausel auch im Verhältnis zu ihm eine erhöhte Beitragspflicht bewirkt.

4. Folgen einer fehlenden Zustimmung? In zwei der erwähnten Entscheidungen hat den Senat die Frage beschäftigt, ob der Gesellschafter eine mehrheitlich beschlossene Nachschusspflicht etwa deshalb gegen sich gelten lassen muss, weil er es versäumt hat, innerhalb einer gesellschaftsvertraglichen Anfechtungsfrist gegen den Be23 Näher zu den Voraussetzungen einer wirksamen Einbeziehung spezieller Vertragsänderungen in die Mehrheitsklausel Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 709 Rn. 84 ff. 24 Prägnant BGH v. 23. 1. 2006 – II ZR 306/04, WM 2006, 577, 578 und II ZR 126/04, WM 2006, 774, 775; vgl. ferner Abram, MDR 2006, 7, 8 f.; Barfuß, DB 1977, 571, 572; Wagner, WM 2006, 1273, 1274; Wiedemann, ZGR 1977, 690, 692; Leenen, FS Larenz, 1983, S. 371, 386; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 16 III 3 b dd und die Kommentierungen zu § 707 BGB. 25 Vgl. C. Schäfer, EWiR § 707 BGB 1/06, 302 sowie näher ders. (Fn. 9), S. 264 ff.; ebenso Abram, MDR 2006, 7, 8. 26 BGH, WM 2007, 835 f.; WM 2006, 577, 578 und 774, 775 (mit Anm. C. Schäfer, EWiR § 707 BGB 1/06, 301); WM 2005, 1608, 1609 = ZIP 2005, 1445; überholt demgemäß BGH, NJW 1975, 958, 959. Vgl. zur neueren Rechtsprechung auch Abram, MDR 2006, 7; Wagner, WM 2006, 1273.

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schluss vorzugehen. Der Senat hat dies verneint, weil sich eine solche „Anfechtungsfrist“ nur auf Beschlussmängel, nicht aber auf die Unwirksamkeit des Beschlusses gegenüber dem einzelnen Gesellschafter beziehe. Dem ist zuzustimmen. Zwar lässt man es auch im Personengesellschaftsrecht zu, dass die Gesellschafter für Beschlussmängelklagen in ihrer Gesellschaft Klageerfordernis und Frist vereinbaren27. Doch erscheint es mir selbstverständlich, dass auf diese Weise nicht in höherem Maße Bestandsschutz geschaffen werden kann als selbst im Kapitalgesellschaftsrecht. Dort würde wohl niemand auf die Idee kommen, einen Aktionär, der keine Zeichnungserklärung abgegeben hat, deshalb zur Einlagenleistung für verpflichtet zu halten, weil er den Kapitalerhöhungsbeschluss nicht rechtzeitig angefochten hat. Vielmehr ist es dogmatisch geradezu umgekehrt: Der Erhöhungsbeschluss ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zeichnung; nur sie bildet im Übrigen den rechtsgeschäftlichen Tatbestand im Sinne der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft28. Es trifft deshalb auch zu, dass der Erhöhungsbeschluss als solcher gar nicht mangelhaft ist, wenn einzelne Gesellschafter nicht zugestimmt haben. Gegenüber den zustimmenden Gesellschaftern treten seine bestimmungsgemäßen Wirkungen allemal ein – und zwar bei der Personengesellschaft auch ohne die Beschränkungen des Kapitalgesellschaftsrechts, das grundsätzlich die vollständige Zeichnung des erhöhten Kapitals verlangt. Mag der Gesellschafter also mit dem Vorbringen von Beschlussmängeln aufgrund von Vertragsklauseln präkludiert sein, seine fehlende Zustimmung kann auf diese Weise gewiss nicht ersetzt werden.

IV. Sonderproblem: Sanierung der Gesellschaft 1. Einführung und Meinungsstand Schließlich ist der durchaus intrikaten Frage nachzugehen, wie die Interessen zwischen sanierungswilligen und widerstrebenden Gesellschaftern auszugleichen sind, wenn die Gesellschaft, um zu überleben, dringend auf neues (Eigen-)Kapital angewiesen und wenigstens ein Teil der Gesellschafter auch leistungsbereit ist. Man kann sich hier verschiedene Lösungsansätze vorstellen: (1) Die Gesellschafter sind in diesem Falle ausnahmsweise doch verpflichtet, mehr Geld zu geben. 27 Ulmer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 1999, § 119 Rn. 94 f. 28 Eingehend C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 322 ff., 326 f.

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(2) Die Gesellschafter können wählen, ob sie aus der Gesellschaft gegen Abfindung ausscheiden oder sich zu neuen Beiträgen verpflichten wollen. (3) Die Gesellschafter können in der Gesellschaft auch ohne Übernahme neuer Beiträge verbleiben, müssen dann aber eine Verwässerung ihrer Mitgliedschaft hinnehmen. Die Haltung des BGH zu dieser Frage ist zwar einstweilen lediglich aus obiter dicta ablesbar, weil über eine auf Zustimmung zur Beitragserhöhung gerichtete Klage noch nicht zu entscheiden war und eine fehlende Zustimmung jedenfalls bei Eingriffen in die Mitgliedschaft nicht kurzerhand durch die Annahme einer Zustimmungspfl icht ersetzt werden kann29. Doch erscheint die Position des II. Senats bereits hinreichend klar vorgezeichnet, um feststellen zu können, dass er die Gesellschafter selbst dann nicht kraft ihrer Treupfl icht zur Erbringung zusätzlicher Leistungen für verpfl ichtet hält, wenn die Gesellschaft sanierungsbedürftig ist und ohne frisches Kapital Insolvenz anmelden müsste30. Außerdem brauchen sie sich nicht auf die Möglichkeit verweisen zu lassen, gegen Kündigung und Abfi ndung aus der Gesellschaft auszuschließen31. In der Literatur wird das Thema nur vergleichsweise spärlich erörtert. Die erwähnte mögliche Position, den Gesellschafter zwischen den Alternativen „Bleiben und Zahlen“ auf der einen, „Ausscheiden und Liquidieren“ auf der anderen Seite entscheiden zu lassen, ist zwar in den 1980er Jahren von der Insolvenzrechtskommission vorgeschlagen worden32, hat sich aber nicht durchzusetzen vermocht 33. Überwiegend wird betont, dass sich der Gesellschafter aufgrund seiner Treupfl icht zwar nicht gegen eine von den anderen Gesellschaftern gewünschte und aussichtsreiche Sanierung sperren dürfe, sofern es auf seine Stimme ankomme. 29 Vgl. Ulmer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 1999, § 119 Rn. 44; Sester, Treupfl ichtverletzung bei Widerspruch und Zustimmungsverweigerung im Recht der Personenhandelsgesellschaften, 1996, S. 77 ff., 134 ff.; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 37; C. Schäfer, Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997, S. 54 ff.; a. A. aber offenbar BGH, NJW 1995, 194, 195 (freilich ohne Diskussion der Problematik). 30 BGH v. 23. 1. 2006 – II ZR 126/04 (OLG München), ZIP 2006, 754 = WM 2006, 774. 31 BGH 19. 3. 2007 – II ZR 73/06 (LG Berlin), NZG 2007, 382, 383; in diesem Sinne in der Literatur auch Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 707 Rn. 6; ähnlich auch K. J. Müller, DB 2005, 95, 96. 32 Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, Leitsatz 2.4.9.5. 33 S. nur Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 5 IV 5 b, S. 135 m. N.

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Dies bedeute aber keineswegs, dass er in einer Sanierungssituation zu eigenen Nachschüssen verpflichtet sei; er müsse vielmehr lediglich hinnehmen, dass seine Kapitalquote künftig geringer sei34. Neuerdings ist aus der Praxis aber wieder die deutlich weitergehende Forderung zu vernehmen, die sanierungswilligen Gesellschafter müssten jeden Mitgesellschafter, der sich nicht beteiligen wolle, aus wichtigem Grund ausschließen dürfen35.

2. Stellungnahme (eigener Ansatz) Die zuletzt erwähnte Position ist auf der Grundlage des geltenden Rechts ebenso wenig haltbar wie eine Pflicht zu weiteren Beiträgen36. Besteht nämlich keine Pfl icht zur Zustimmung37, so kann ihre Verweigerung auch kein wichtiger Grund für einen Ausschluss sein. Der hierdurch ausgelöste Nachschussdruck wäre mit dem Schutzzweck des § 707 BGB unvereinbar; erst recht wenn der Gesellschaftsvertrag, wie häufig, zusätzlich eine Abfindungsbeschränkung vorsieht. Wer von seinem „Bezugsrecht“ keinen Gebrauch macht, muss zwar hinnehmen, dass seine Kapitalquote herabsinkt, kann aber deshalb nicht aus der Gesellschaft gedrängt werden38. Es geht auch keineswegs um die Alternativen „Sanierung oder Liquidation“, weil eine Sanierung ja nicht schon dadurch ausgeschlossen wird, dass die nicht beitragswilligen Gesellschafter in der Gesellschaft verbleiben. Ein Ausschluss aus wichtigem Grund ist deshalb allenfalls denkbar, wenn ein Gesellschafter, auf dessen Stimme es ankommt, verhindert, dass die übrigen, zu Nachschüssen bereiten Gesellschafter das feste Kapital der Gesellschaft unter Verringerung seiner Quote anheben wollen39. Dennoch verbirgt sich hinter dem Ruf nach einem Ausschlussrecht der sanierungswilligen Gesellschafter ein partiell berechtigtes Anliegen: Denn es gilt zu verhindern, dass diejenigen ungerechtfertigt privilegiert werden, die zwar kein weiteres Risiko einzugehen bereit sind, gleichwohl aber an 34 Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 707 Rn. 6; K. J. Müller, DB 2005, 95, 96; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 5 IV 5 b, S. 134 f. (Gesellschafter müsse überlegen, ob er von seinem Bezugsrecht Gebrauch mache oder sich künftig mit einer geringeren Kapitalquote begnüge). 35 Wagner, WM 2006, 1273, 1276 f. 36 Vgl. die Nachw. in Fn. 34. 37 Hiervon ist schon der Gesetzgeber bei Beratung des BGB ausgegangen, vgl. Mugdan, Motive, Bd. 2, 1899, S. 333; dazu auch Wertenbruch, DStR 2007, 1680 mit weit. Hinweisen. 38 Treffend etwa Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 5 IV 5 a, S. 134. 39 K. J. Müller, DB 2005, 95, 96.

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einem Erfolg der Sanierung partizipieren würden. – Die Lösung kann freilich nicht in einem Hinausdrängen der nicht zahlungsbereiten Gesellschafter liegen. Vielmehr reicht es vollkommen aus, wenn sich der (feste) Kapitalanteil dieser Gesellschafter im Verhältnis zum Grundkapital der Gesellschaft verringert. Richten sich nämlich, wie in der Regel, Gewinnund Verlustverteilung sowie das Stimmrecht nach dem Verhältnis des einzelnen Kapitalanteils zum „Grundkapital“ der Gesellschaft, das zugleich die Summe der festen Kapitalkonten bildet, so zieht eine Kapitalerhöhung, die nicht von allen Gesellschaftern nach dem Verhältnis ihrer Kapitalanteile getragen wird, automatisch eine Korrektur der ursprünglich vereinbarten Kapitalanteile nach sich40. Es bedarf also lediglich der Anpassung der Beteiligungsquoten. Dies ist recht einfach zu bewerkstelligen, sofern die Gesellschaft im Zeitpunkt der Erhöhung noch über so viel Vermögen verfügt, dass ihr „Festkapital“ mindestens abgedeckt wird. Dann braucht diese Anpassung lediglich die Summe der von den einzelnen Gesellschaftern geleisteten Einlagen zum erhöhten „Grundkapital“ in Bezug zu setzen und daraus den neuen Kapitalanteil abzuleiten. Hierbei können die ursprünglich geleisteten Einlagen mit ihrem vollen Nominalbetrag berücksichtigt werden. Etwas schwieriger ist die Situation, wenn das Vermögen der Gesellschaft geringer ist als ihr „Festkapital“, die festen Kapitalkonten also rechnerisch durch Verlustbeiträge gemindert sind und die sanierungsbereiten Gesellschafter deshalb auf eine stärkere Verminderung der Kapitalquote der übrigen bestehen als bei der eben erörterten Variante. Im Kapitalgesellschaftsrecht ist eine solche Unterbilanz- bzw. Überschuldungssituation bekanntlich die Stunde des Kapitalschnitts. Soll die Gesellschaft hier saniert werden, so sind – bezogen auf die AG – Grundkapital und Nennwert der Aktien zunächst im Wege der vereinfachten Kapitalherabsetzung verhältnismäßig zu vermindern, damit das Grundkapital sodann im Wege einer effektiven Kapitalerhöhung wieder heraufgesetzt werden kann. Auf diese Weise lässt sich ein ungerechtfertigter und sanierungsfeindlicher Vermögenstransfer von den sanierungsbereiten zu den sanierungsunwilligen Aktionären wirksam verhindern. Die Technik ist im Kapitalgesellschaftsrecht naturgemäß verschieden; das zu lösende Sachproblem jedoch das Gleiche. Hier wie dort gilt es nämlich, die ungerechtfertigte Aufwertung der Altanteile zu Lasten der Zeichner neuer Anteile zu verhindern, die eine Sanierung unattraktiv machen würde. Um diesen Kapitalschnitt 40 So etwa schon Karsten Schmidt, ZGR 1982, 519 ff.; ferner Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 707 Rn. 10.

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im Personengesellschaftsrecht abzubilden, müssen zunächst das Festkapital der Gesellschaft und parallel die darauf entfallenden ursprünglichen Einlagen auf den Betrag des tatsächlich vorhandenen Gesellschaftsvermögens vermindert werden. Sodann wird das Festkapital um die Summe der konsentierten Nachschussbeiträge erhöht und auf den Betrag des neuen Festkapitals werden die Einlageleistungen des einzelnen Gesellschafters bezogen. Hierbei rechnen die neuen Einlageleistungen zum Nominalbetrag, die alten zum reduzierten Betrag, wie er dem Verhältnis zwischen Vermögen und Festkapital entspricht. Die Summe der Einlageleistungen bildet sodann den neuen festen Kapitalanteil der Gesellschafter. Auf diese Weise kann wirksam verhindert werden, dass die sanierungsunwilligen Gesellschafter an einem Sanierungserfolg in höherem Umfang partizipieren, als ihrem Beitrag zur Sanierung entspricht. Zwar bedürfen sowohl eine solche „Herabsetzung“ des Festkapitals wie auch dessen anschließende Heraufsetzung – als Änderung des Gesellschaftsvertrages – jeweils eines Gesellschafterbeschlusses. Beide sind jedoch einer Mehrheitsentscheidung zugänglich. Und da sie überdies der Durchsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, sind widerstrebende Gesellschafter ggf. verpflichtet, diesem Konzept – und damit einer Verringerung ihrer Beteiligungsquote – zuzustimmen, sollte es denn zur Erreichung des Quorums auf ihre Stimme ankommen. Da somit die widerstreitenden Interessen am besten durch eine Anpassung der Beteiligungsquoten ausgeglichen werden können, bestätigt sich, dass weder eine Verpflichtung zum Nachschuss noch die Ausschließung der sanierungsunwilligen Gesellschafter als sachgerechte Lösung des Problems angesehen werden können. Es sei aber betont, dass der im Ansatz kompliziertere Weg des „Kapitalschnitts“ im Personengesellschaftsrecht selbstverständlich nicht zwingend ist. Auch wenn also das Vermögen der Gesellschaft (möglicherweise) unterhalb ihres Festkapitals liegt, sind die sanierungsbereiten Gesellschafter nicht gezwungen, Festkapital und ursprüngliche Einlagen zunächst herabzusetzen, bevor die Beiträge wieder erhöht werden können. Da dies lediglich ihrem Schutz dient, können sie ebenso gut darauf verzichten. Der „Kapitalschnitt“ markiert somit die Grenze dessen, was die nicht nachschussbereiten Gesellschafter hinzunehmen haben.

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V. Zusammenfassung in Thesen 1. Sollen die Leistungspflichten nachträglich erhöht werden, bedarf es einer Vertragsänderung, die in die Kompetenz aller Gesellschafter fällt. Eine Delegation auf die Geschäftsführer kommt nicht in Betracht. 2. Mit welcher Mehrheit über eine Beitragserhöhung zu entscheiden ist, ist Sache des Gesellschaftsvertrages. § 707 BGB gewinnt eigenständige Bedeutung dann, wenn der Gesellschaftsvertrag auch Vertragsänderungen und speziell Beitragserhöhungen einer Mehrheitsentscheidung unterwirft. 3. In diesem Falle wirkt das „Grundrecht“ des § 707 BGB als Individualschutz vor unabsehbarer Belastung, das dem einzelnen Gesellschafter ein Zustimmungsrecht gewährt; im Verhältnis zu jedem einzelnen Gesellschafter entfaltet der Erhöhungsbeschluss nur Wirkung, sofern der Gesellschafter zugestimmt hat (Pendant zur Anteilszeichnung). 4. Aufgrund seines Individualschutzzwecks ist § 707 BGB zwingender Natur; die schlichte Abbedingung im Gesellschaftsvertrag bleibt damit wirkungslos. 5. Möglich ist aber die „antizipierte“ Ausübung des Zustimmungsrechts; das bürgerliche Recht nennt sie „Einwilligung“ (§ 183 BGB). 6. Zwar braucht sich eine Einwilligung nach bürgerlichem Recht nicht notwendig auf ein bestimmtes Geschäft zu beziehen; eine unbeschränkte Generaleinwilligung wäre aber mit dem Schutzzweck des § 707 BGB unvereinbar. Erforderlich ist vielmehr eine Spezialeinwilligung des einzelnen Gesellschafters in die Beitragserhöhung. 7. Eine Klausel, welche die Mehrheit zur Konkretisierung einer Nachschusspflicht berechtigt, muss daher zwingend eine Obergrenze für die insgesamt geschuldeten Nachschüsse nennen, damit der Gesellschafter weiß, mit welcher Belastung er maximal zu rechnen hat (Parallele zu § 26 GmbHG). 8. Auch eine ausreichend konkrete Zustimmungsklausel kann nachträglich nicht von der Mehrheit im Wege der Vertragsänderung beschlossen werden; es bedarf vielmehr der Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters, damit die Klausel auch im Verhältnis zu ihm eine Beitragserhöhung bewirkt. 9. Der einzelne Gesellschafter braucht eine mehrheitlich beschlossene Nachschusspflicht auch dann nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn

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er eine gesellschaftsvertragliche Anfechtungsfrist versäumt; ein Beschlussmangel steht insofern nicht in Frage. 10. Auch bei Sanierungsbedarf ist kein Gesellschafter verpflichtet, Nachschüsse zu leisten; die Weigerung kann demgemäß auch kein wichtiger Grund für eine Ausschließung sein. 11. Die angemessene Rechtsfolge liegt vielmehr in der Anpassung der Beteiligungsquoten, damit die sanierungsunwilligen Gesellschafter nicht ungerechtfertigt begünstigt werden: a) Sofern das Vermögen der Gesellschaft im Zeitpunkt der Erhöhung noch ihr „Festkapital“ deckt, braucht diese Anpassung lediglich die Summe der von den einzelnen Gesellschaftern geleisteten Einlagen zum erhöhten „Grundkapital“ in Bezug zu setzen und daraus den neuen Kapitalanteil abzuleiten. b) Wird das Festkapital hingegen nicht mehr voll abgedeckt, haben die nicht nachschussbereiten Gesellschafter ggf. einen „Kapitalschnitt“ (in seiner personengesellschaftsrechtlichen Abbildung) hinzunehmen, um die ungerechtfertigte Aufwertung der „Alteinlagen“ zu Lasten der Erbringer neuer Einlagen zu verhindern. Ein Zwang zu diesem Weg besteht aber im Personengesellschaftsrecht naturgemäß nicht; die nachschussbereiten Gesellschafter können also ohne Weiteres auf diesen etwas komplizierteren Weg zur (weiteren) Herabsetzung der Beteiligungsquoten verzichten.

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Bericht über die Diskussion des Referats Schäfer Sabrina Kulenkamp Rechtsreferendarin, Düsseldorf In der von Habersack geleiteten Diskussion im Anschluss an das Referat von Schäfer wurde den Ausführungen des Referenten in weiten Teilen uneingeschränkt zugestimmt. Uneinigkeit bestand im Wesentlichen lediglich in Bezug auf zwei Thesen: zum einen wurde vielfach der vom Referenten angenommene zwingende Charakter der Vorschrift des § 707 BGB bezweifelt (dazu I); des Weiteren bestand keine Einigkeit bezüglich der von Schäfer für den Sanierungsfall vorgeschlagenen Möglichkeit, die Beteiligungsquoten der sanierungsunwilligen Gesellschafter im Wege der Durchführung einer Art „Kapitalschnitts“ anzupassen (dazu II).

I. Während Schäfer im Hinblick auf seine These 4 betreffend den zwingenden Charakter des § 707 BGB mit Goette Zustimmung aus den Reihen des II. Zivilsenats des BGH fand, bezweifelten mehrere Diskutanten die Richtigkeit dieser These. So bekräftigte Harry Schmidt zwar, dass die Immobilienfonds-Fälle in der Tat im Sinne der Indisponibilität des § 707 BGB zu lösen seien. Doch handelt es sich seiner Meinung nach hierbei um Sonderfälle. Bei vielen Gesellschaftsformen passe der zwingende Charakter nicht, so etwa bei Arbeitsgemeinschaften. Karsten Schmidt stimmte ihm zu. Er machte ferner auf die Partenreederei aufmerksam, die als eine Schwestergesellschaft der GbR eine Nachschusspflicht schon kraft Gesetzes kenne. Dies hielt Schäfer indessen für keinen überzeugenden Ansatz. Er bekräftigte erneut, dass die Indisponibilität bezüglich § 707 BGB keineswegs bedeute, dass die Gesellschafter nicht einer Beitragserhöhung zustimmen könnten, wenn sie dies denn wollten. Im Übrigen biete die Auslegung des Vertrages hinsichtlich der ursprünglich vereinbarten Beiträge genug Spielraum, um besonderen Einzelfällen Rechnung zu tragen. Ein Diskutant gab ferner den Unterschied zwischen Einlage- und Beitragspflichten zu bedenken und wies darauf hin, § 707 BGB spreche von Beiträgen und Einlagen. Demgegenüber hob Goette hervor, dass bei den vom BGH entschiedenen Fällen die Beitragspflicht gerade exakt festgelegt sei, es also nicht um Gestaltungen gegangen sei, bei denen die Gesellschafter sich verpflichten,

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schlechthin den Gesellschaftszweck durch Beiträge zu fördern. Nur dann, wenn vorher die Beiträge wie in den entschiedenen Fällen der Höhe nach bestimmt worden seien, stelle sich überhaupt das den Gegenstand der Diskussion bildende Problem der Beitragserhöhung. Er bekräftigte, dass § 707 BGB, wie vom Referenten ausgeführt, ein gesellschaftsrechtliches Grundrecht sei, an dem man nicht vorbeikomme. Die in den einschlägigen Entscheidungen des II. Zivilsenats des BGH genannten Parallelen zu §§ 53 Abs. 3 GmbHG; 180 AktG seien durchaus ernst gemeint und die Formulierung zu § 707 BGB folglich ein „Lapsus“. Weiterhin merkte Heidinger an, dass die zur Nachschusspflicht ergangenen Entscheidungen im Lichte der Otto-Entscheidung des BGH1 zu sehen seien. Der Redner berief sich auf eine an anderer Stelle vorgeschlagene Dreiteilung bezüglich der Mehrheitsklauseln im Personengesellschaftsrecht. Auf einer ersten Stufe stünden die gewöhnlichen Geschäfte der Gesellschaft, über die Beschluss auf Grund einer einfachen Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag gefasst werden kann. Auf der dritten Stufe seien Maßnahmen anzutreffen, die zu den schlechthin unentziehbaren Gesellschafterrechten gehören. Auf der mittleren Stufe schließlich stünden Grundlagenentscheidungen, für die allein keine Mehrheitsentscheidung genügt, sondern zusätzliche Voraussetzungen wie z. B. die Zustimmung aller Betroffenen verlangt werden. Dieser mittleren (zweiten) Stufe ordnete der Redner auch die Nachschusspflicht zu. Schließlich wurde das Augenmerk auf das Verhältnis des bezweifelten zwingenden Charakters zur unbeschränkten Gesellschafterhaftung bei Personengesellschaften gelenkt. Martens merkte an, der zwingende Charakter des § 707 BGB könne nicht bei unbeschränkt haftenden Gesellschaftern gelten. Die Beitragspflicht und die unbeschränkte Haftung seien in vielen Fällen austauschbar. Daher sei es schwierig, von einem „Grundrecht“ zu sprechen. Nach seiner Auffassung müsse ein Beschluss über die Beitragserhöhung gegenüber einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter leichter herbeizuführen sein als bei einem beschränkt haftenden Gesellschafter. Schäfer räumte ein, dass das angesprochene Verhältnis nicht unproblematisch sei. Er stellte dennoch zunächst die uneingeschränkte Geltung des Grundsatzes gemäß § 707 BGB für sowohl beschränkt als auch unbeschränkt haftende Gesellschafter fest. Es sei eher umgekehrt anzunehmen, dass Geschäftsführer wegen § 707 BGB gehindert seien, Gesellschaftsverbindlichkeiten einzugehen, bei denen von vornherein absehbar sei, dass der Regressanspruch des Gesellschafters gegen die Gesell1 ZIP 2007, 475.

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Kulenkamp – Bericht über die Diskussion

schaft wegen Inanspruchnahme auf die Gesellschafterhaftung nicht durchsetzbar sein werde. Jedenfalls handele es sich bei Haftung und Nachschuss um verschiedene Themen, die zwar bei der konkreten Rechtsanwendung im Einzelfall aufeinander abzustimmen seien, die sich aber nicht prinzipiell beeinflussten; anderenfalls wäre die Entscheidung des Gesetzgebers nicht nachvollziehbar, der von der unbeschränkten Gesellschafterhaftung als selbstverständlich ausgegangen sei, gleichwohl aber § 707 BGB mit generellem, d. h. für alle GbR-Formen gültigen Rechtsanwendungsbefehl versehen habe.

II. Die Praxistauglichkeit des eigenen Ansatzes (Thesen 10, 11) Schäfers zur Sanierung von Personengesellschaften ohne den Ausschluss sanierungsunwilliger Gesellschafter wurde überwiegend in Zweifel gezogen. Goette stellte fest, der Referent eröffne mit seinem Vorschlag, die Beteiligungsquoten sanierungsunwilliger Gesellschafter absenken zu können, um deren anderenfalls im Falle erfolgreicher Sanierung ungerechtfertigte Begünstigung abzusenken, „neue Schlachtfelder“. Karsten Schmidt teilte die Zweifel seines Vorredners. Er hielt den Ansatz Schäfers für zu kompliziert. Überdies stimmten nach seiner Auffassung die mit dem Ansatz zum Kapitalgesellschaftsrecht gezogenen Parallelen nicht. So sei auch dort bei Vorliegen einer Unterbilanz niemandem der Kapitalschnitt zuzumuten. Im Übrigen wandte sich der Redner gegen These 10 des Referenten. Er halte die fehlende durchsetzbare Nachschusspflicht bei gleichzeitigem Anpassungszwang zur Sanierung sowie Hinausdrängung des Gesellschafters im Falle einer Weigerung keineswegs für unlogisch. Der Vorschlag Schäfers stieß indes auch auf Zustimmung. Timmann befand ihn für eine „gute Idee“. Er gab darüber hinaus zu Bedenken, zwischen Verwaltungs- und Vermögensrechten zu differenzieren und die sanierungsunwilligen Gesellschafter lediglich in ihren Vermögensrechten einzuschränken, die Stimmrechte hingegen unberührt bestehen zu lassen. Dolf Weber wies auf die „evidente“ Durchsetzbarkeit der These 11 hin. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht greife auch bei Beschlüssen, die der Einstimmigkeit bedürften, wenn sie zur Abwendung von Krisensituationen notwendig seien. § 707 BGB sei dabei insoweit als Schranke zu verstehen, als der sanierungsunwillige Gesellschafter zwar nicht verpflichtet werden könne, er sich aber dem Willen anderer nach Nachschüssen auch nicht verschließen könne. Er berichtete ferner aus der Kautelarpraxis, die

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es sich etwas einfacher mache. Dort werde mit Hybridkapital der Gesellschafter gearbeitet. Darlehen würden mit Präferenzen, wie etwa Beibehaltung des Stimmrechts, ausgestattet. Schäfer freute sich über die Zustimmung der beiden letztgenannten Teilnehmer und stellte zur Ausräumung von Missverständnissen klar, dass zu einem „Kapitalschnitt“ keinerlei Zwang bestehe, dieser vielmehr nur die Grenze bezeichne, bis zu derer die unwilligen Gesellschafter eine Verringerung ihrer Beteiligungsquote hinzunehmen hätten. Ob das Sanierungskonzept diesen Weg beschreiten wolle, sei allein Sache der sanierungswilligen Gesellschafter. Der „Kapitalschnitt“ sei lediglich eine mögliche Verfahrensweise für den Fall, dass die sanierungswilligen Gesellschafter die Gesellschaft nicht alleine sanieren wollten. Überdies betonte er, dass er es für nicht vertretbar halte, sanierungsunwillige Gesellschafter aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft zu drängen, nur weil diese ihr Bezugsrecht nicht ausübten. Der Austritt sei vielmehr nur dann zu rechtfertigen, wenn der Gesellschaftsanteil aktuell keinerlei Vermögenswert mehr repräsentiere – genau diese Folge werde aber bei Durchführung des vorgeschlagenen Kapitalschnitts erreicht, wonach das Festkapital der Gesellschaft auch auf Null herabgesetzt werden könne, wenn diese „überschuldet“ sei.

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Neuere Entwicklungen im Sozietätsrecht Dr. Bernd Hirtz Rechtsanwalt, Köln I. Begriff und Rechtsnatur – zugleich eine Einleitung . . . . . 157 II. Haftungsprobleme . . . . . . . . . 1. Vertragspartner . . . . . . . . . 2. Vertragshaftung. . . . . . . . . 3. Zurechnung. . . . . . . . . . . . 4. Außervertragliche Haftung der Sozien . . . . . . . . . 5. Haftung neu eintretender Gesellschafter . . . . . . . . . . 6. Haftung gem. § 28 HGB analog? . . . . . . . . . . . . . . .

159 159 160 162 162 163 164

III. Gewinnverteilungsregeln . . . . 166 1. Vertragsgestaltung . . . . . . . 166

2. Anpassungsbedarf . . . . . . . 167 IV. Ausscheiden . . . . . . . . . . . . . . 1. Mindestdauer der Sozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinauskündigung . . . . . . . 3. Kollektivkündigung . . . . .

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V. Abfi ndung und Mandantenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Wettbewerbsverbote . . . . . 174 2. Wechselwirkung zwischen Abfi ndungsregelungen und Wettbewerbsverboten . . . . . . . . . . . . . . 175 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

I. Begriff und Rechtsnatur – zugleich eine Einleitung Der Begriff „Sozietät“ ist schillernd. Er wird hier verwendet für BGB-Gesellschaften, deren Gesellschafter einen freien Beruf ausüben, also z. B. Rechtsanwälte (§ 59a BRAO), Steuerberater (§ 56 StBerG), Wirtschaftsprüfer (§ 44b WPO), wohl auch Anwaltsnotare1. Der Blick wird auch die Partnerschaftsgesellschaft erfassen. Die Frage, ob § 59a Abs. 2 BRAO nur BGBGesellschaften und – allenfalls noch – die Partnerschaftsgesellschaft meint2, oder ob „Sozietät“ heute als rechtsformneutraler Begriff für freiberufliche Gesellschaften verwendet werden sollte3, soll hier unerörtert bleiben. Das Recht der BGB-Gesellschaft ist nicht oft Gegenstand der Erörterungen auf diesen Jahrestagungen, sieht man von den Überblicken über die aktu1 BVerfG, NJW 1998, 2269. 2 Dafür mit Gründen: Michalski/Römermann, in: Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, Rn. B8. 3 So Peres/Depping, in: Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 1 Rn. 2 f. mit dem selbstbezüglichen Argument, die beiden Handbücher zum „Sozietätsrecht“ behandelten alle zulässigen freiberuflichen Organisationsformen.

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elle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH ab. Da bedurfte es schon eines Donnerschlages, nämlich der Weißes Ross-Entscheidung4, um im Jahre 2001 der BGB-Gesellschaft die Ehre zu geben, durch Dauner-Lieb und Gummert zum Gegenstand dieser Tagung zu werden5. Welche Wirkungen solch ein Donnerschlag haben kann, zeigt eine Entscheidung des OLG München6. Danach soll es heute bereits einen Verstoß gegen den ordre public darstellen, wenn ein Schiedsgericht in seiner Abschlussentscheidung anstelle der BGB-Gesellschaft, gegen die sich die Schiedsklage richtete, deren einzelne – ebenfalls in der Schiedsklage namentlich aufgeführte – Gesellschafter als Beklagte aufführt und deren Zahlungspflicht tituliert. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Derjenige, der mit der bis ins Jahr 2001 herrschenden Meinung und Auffassung des BGH eine Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft verneint, einen entsprechenden Klageantrag dahingehend auslegt, dass die Gesellschafter in ihrer Verbundenheit Beklagte sind und entsprechend die Gesellschafter verurteilt, soll nunmehr schon gegen den ordre public verstoßen! Und nun also: Neuere Entwicklungen im Sozietätsrecht!? Was ist der Anlass für die Befassung? Wer hörte einen Donnerschlag? Oder hat sich etwa in der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung des BGH die Vorstellung von der Sozietät als einer „Sonderform der BGB-Gesellschaft“7 oder einer Sonderform freiberuflicher Zusammenarbeit nach und nach etabliert? In der Tat gibt es solche Tendenzen. Sie sind – um ein Ergebnis vorweg zu nehmen – zu fordern und zu begrüßen. Denn immerhin hat der Gesetzgeber mit Sonderregeln für eine Gesellschaftsform, die nur Freiberuflern zur Verfügung steht, nämlich mit der Partnerschaftsgesellschaft, einen solchen Sondertypus – stillschweigend – anerkannt. Es mag nicht die Aufgabe des BGH sein, bei jeder Einzelfallentscheidung die Typizität der freiberuflichen Zusammenarbeit (insbesondere im Rahmen einer BGB-Gesellschaft) zu betonen. Immerhin spricht der Vorsitzende des II. Zivilsenats in seinen Beiträgen gelegentlich von Besonderheiten „bei einer Berufsausübungsgemeinschaft von Rechtsanwälten“8 oder davon, „dass bei einer Freiberuflersozietät die Aufteilung der Sachwerte und die rechtlich unbeschränkte Möglichkeit, um die Mandanten, Klienten oder Patienten der Praxis zu 4 BGH v. 29. 1. 2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff. = NJW 2001, 1056 ff. 5 In: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001, 2002, III. Abteilung, S. 117 ff. 6 OLG München, NZG 2007, 543. 7 Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801 ff. 8 Goette, AnwBl 2007, 637, 641.

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werben, die natürliche Form der Auseinandersetzung“9ist. Es ist Aufgabe von Wissenschaft und Praxis, zugleich unter Betrachtung forensischer und vertragsgestaltender Besonderheiten solche Typizitäten wahrzunehmen. Dieser Wahrnehmungsstand ist erreicht, sodass es durchaus denkbar ist, dass sich im Bereich von Sozietät und sonstiger freiberuflicher Gesellschaftsform auf Dauer ein „Topos“ herausbildet, der alsdann so viel Abgrenzungspotential in sich trägt, dass an eine Sonderform zu denken wäre.

II. Haftungsprobleme Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft musste zu neuen Anknüpfungen bei Haftungsfragen führen. Ob deshalb mit Karsten Schmidt formuliert werden sollte, dass sich das Außenrecht der Sozietäten in seinem Kern verändert hat10, mag zweifelhaft sein, da sich vielfach nur Begründungswege, nicht aber Ergebnisse geändert haben. Neuland ist aber im Bereich der Haftung des Beitretenden betreten. Viele Zweifelsfragen können auf Basis der neuen BGH-Rechtsprechung jetzt recht zuverlässig beantwortet werden; die neueste Rechtsprechung des für Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenats wirft aber erhebliche Fragen auf.

1. Vertragspartner Vertragspartner des Mandanten ist im Zweifel die Sozietät; es sind nicht die einzelnen Anwälte11. Der IX. Zivilsenat des BGH hat jüngst seine frühere Rechtsprechung bestätigt, nach der der Mandant, der eine Sozietät beauftragt, sich in der Regel die Vorteile zunutze machen will, die die Gesellschaft im Hinblick auf Organisation, Arbeitsteilung und die Möglichkeit der Beratung der ihr angehörenden Anwälte untereinander bietet12 . Das schließt es nicht aus, dass bei Besonderheiten der Mandatierung (etwa bei interprofessionellen Sozietäten) die Auslegung der zum Vertrag führenden Willenserklärungen ergibt, das nur die persönliche Haftung des Sachbearbeiters vereinbart ist13. Wird aber lediglich die Betreuung durch einen 9 Goette, AnwBl 2007, 637, 643. 10 Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2804. 11 Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2805; Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Rn. 877 ff. 12 BGH, Urt. v. 3. 5. 2007 – IX ZR 218/05, NJW 2007, 2490, 2492, unter Hinweis auf BGHZ 56, 355, 360 = NJW 1971, 1801. 13 Vgl. Zugehör/Sieg, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. 2006, Rn. 354 ff.

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bestimmten Anwalt vereinbart, dürfte darin in der Regel nicht eine konkludente Einzelmandatsabrede zu sehen sein. Denn der Umstand, dass Dienste höchstpersönlich zu erbringen sind, kann auch beim Abschluss mit einer Gesellschaft zum Vertragsinhalt gemacht werden14.

2. Vertragshaftung Die persönliche Haftung aller BGB-Gesellschafter folgt – nach Auffassung des BGH und der überwiegenden Meinung – unmittelbar aus einer analogen Anwendung des § 128 HGB15. Für die Partnerschaftsgesellschaft ordnet § 8 Abs. 1 Satz 1 PartGG die Haftung an. Fraglich ist allerdings, ob das in § 128 HGB zum Ausdruck kommende Haftungsprinzip auf die berufshaftungsrechtlichen Verbindlichkeiten der Gesellschaft überhaupt passt. Während der II. Zivilsenat dies offen gelassen hat16, hat der IX. Zivilsenat die Frage bejaht17. Eine eigentliche Begründung ist er indessen schuldig geblieben. Denn seine Erwägung, wenn im Allgemeinen ein Gesellschafter für ein fremdes Delikt einstehen müsse, sei „nicht einzusehen, weshalb dies bei einem anwaltlichen Sozius anders sein soll“18, weicht der Frage nach berufshaftungsrechtlichen Besonderheiten gerade aus. Der Gesetzgeber hat, wie die Bestimmung des § 8 Abs. 2 PartGG zeigt, diese Besonderheiten in eine besondere Haftungsregelung einfließen lassen: „Waren nur einzelne Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst, so haften nur sie gem. Abs. 1 für berufliche Fehler neben der Partnerschaft; ausgenommen sind Bearbeitungsbeiträge von untergeordneter Bedeutung.“

Eine ähnliche Überlegung liegt den §§ 51a Abs. 2 BRAO, 67a Abs. 2 WPO, 54a Abs. 2 StBerG zugrunde. § 51a Abs. 2 BRAO lautet: „Die Mitglieder einer Sozietät haften aus dem zwischen ihr und dem Auftraggeber bestehenden Vertragsverhältnis als Gesamtschuldner. Die persönliche Haftung auf Schadenersatz kann auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen beschränkt werden auf einzelne Mitglieder einer Sozietät, die das Mandat im Rahmen ihrer ei14 Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2805. 15 Neuestens BGH, NJW 2007, 2490, 2492; BGHZ 142, 315, 318 = NJW 1999, 3483; BGHZ 146, 341, 358 = NJW 2001, 1056; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2006, 707, 708; ebenso z. B. Palandt/Sprau, BGB, 67. Aufl. 2008, § 714 Rn. 13; Erman/Westermann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 714 Rn. 22; anders: Altmeppen, NJW 2003, 1553, 1554; Canaris, ZGR 2004, 69, 109 ff. 16 BGHZ 154, 370, 377 = NJW 2003, 1803; NJW 2006, 765. 17 BGH, NJW 2007, 2490, 2492, 2493. 18 BGH, NJW 2007, 2490, 2493.

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Hirtz – Neuere Entwicklungen im Sozietätsrecht genen berufl ichen Befugnisse bearbeiten und namentlich bezeichnet sind. Die Zustimmungserklärung zu einer solchen Beschränkung darf keine anderen Erklärungen enthalten und muss vom Auftraggeber unterschrieben sein.“

§ 8 Abs. 2 PartGG könnte nun so verstanden werden, dass speziell für die Partnerschaftsgesellschaft ein entsprechendes Haftungsprivileg geschaffen werden sollte19. Dieses Verständnis ließe sich durch die Formulierung in § 51a Abs. 2 BRAO untermauern, der ja immerhin von einer Haftung der Sozien als Gesamtschuldner spricht. Indessen greift eine solche Argumentation zu kurz. § 51a Abs. 2 BRAO will kein eigenständiges Haftungsprinzip begründen, sondern lediglich mit der Formulierung der Haftung als Gesamtschuldner einen Anknüpfungspunkt für eine sogar durch vorformulierte Vertragsbedingungen zulässige Haftungsbeschränkung schaffen. Hintergrund dieser Möglichkeit sind die Vorstellungen der Mandanten, die nicht zwingend die Haftung jedes einzelnen Gesellschafters erwarten. Eben diese Erwartung ist es, die zu § 8 Abs. 2 PartGG führte. Die Gesetzesbegründung20 weist zutreffend auf die Erwartung des Rechtsverkehrs bei mehrgliedrigen Partnerschaften hin, keine persönliche Haftung aller Partner vor allem dann zu erwarten, wenn diese aus verschiedenen Berufen stammen. Aus der weiteren Erwägung, dass mit der Partnerschaftsgesellschaft eine Alternative zur kapitalgesellschaftlichen Organisationsform geschaffen werden sollte, ergibt sich nicht, dass nur im Rahmen dieser Organisationsform ein Haftungsprivileg geschaffen werden sollte, zumal die Änderungen der Haftungsverfassung innerhalb der traditionellen BGB-Gesellschaftssozietät für den Gesetzgeber nicht absehbar waren. All das spricht, wenn man nicht schon einer Analogie zu § 8 Abs. 2 PartGG das Wort reden will21, für eine Übertragung des in § 8 Abs. 2 PartGG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens. Dieser Vorschrift liegt die Überlegung zugrunde, dass im Zweifel Vertragspartner des Mandanten die Gesellschaft ist. Wenn die persönliche Bearbeitung durch einen oder einige Gesellschafter vereinbart wird, soll dies zunächst nichts an der Vertragspartnerschaft der Sozietät ändern, wohl aber am Haftungsregiment. Auf eine solch differenzierte Betrachtung passt § 128 HGB nicht. Entgegen der Auffassung des IX. Zivilsenats sollte § 128 HGB also auf berufshaftungsrechtliche Verbindlichkeiten nicht angewandt werden. Hof19 So Grunewald, JZ 2004, 684; Weinbeer, AnwBl 2007, 711, 713. 20 BT-Drucks. 13/9820, S. 21. 21 Vgl. Zacharias, AnwBl 2003, 679, 680; Sassenbach, AnwBl 2006, 304, 308; Sieg, WM 2002, 1432, 1435; dagegen Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2806.

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fentlich wird der II. Zivilsenat Gelegenheit haben, seine nachvollziehbaren Bedenken insoweit zu konkretisieren.

3. Zurechnung Für das deliktische Handeln eines BGB-Gesellschafters haftet die Gesellschaft entsprechend § 31 BGB; ein zum Schadenersatz verpflichtendes Handeln ihres geschäftsführenden Gesellschafters muss sich die Gesellschaft also zurechnen lassen22 . Zweifelhaft ist, ob dies auch für berufshaftungsrechtliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft gilt. Der IX. Zivilsenat hat dies bejaht23. Insoweit ist der Entscheidung des IX. Zivilsenats des BGH jedenfalls beizutreten. Bei Anwendung des weiten Begriffs des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ im Sinne des § 31 BGB genügt es, dass dem einzelnen Sozius die selbständige und eigenverantwortliche Bearbeitung von Mandaten überlassen worden ist. Das führt aber, wie vorstehend ausgeführt, analog § 31 BGB nur zur Haftung der Sozietät (und entgegen der Auffassung des IX. Zivilsenats des BGH nicht automatisch zur Haftung aller Gesellschafter). Auch der „Scheinsozius“ kann danach Vertreter im Sinne von § 31 BGB sein24. Und umgekehrt haftet der Scheinsozius für die Fehler der anderen, wenn die übrigen Haftungsvoraussetzungen vorliegen25.

4. Außervertragliche Haftung der Sozien Der Grundsatz der analogen Anwendung des § 128 HGB hat zur Folge, dass die Gesellschafter für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, unabhängig davon, ob sie rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher Natur sind, wie etwa Ansprüche aus cic, Bereicherungsrecht, Delikt- oder auch Steuerschulden 26. Für berufshaftungsrechtliche Verbindlichkeiten gelten die vorstehenden Ausführungen zur Vertragshaftung entsprechend.

22 BGHZ 154, 88, 93 = NJW 2003, 1445; BGHZ 155, 205, 210 = NJW 2003, 2984; BGH, NJW 2007, 2490, 2491. 23 BGH, NJW 2007, 2490, 2491. 24 BGH, NJW 2490, 2492. 25 Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2809. 26 BGH, NJW 2003, 1803; NJW 2006, 765.

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5. Haftung neu eintretender Gesellschafter Der II. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass der in eine Sozietät eintretende Rechtsanwalt für Altschulden analog § 130 HGB haftet27, wobei er offen gelassen hat, ob dies auch für Verbindlichkeiten aus beruflichen Haftungsfällen zutrifft. Auch wenn es bereits gute Gründe gegen eine analoge Anwendung des § 130 HGB überhaupt gibt28, hat sich die Praxis auf diese Rechtsprechung, die jetzt auch der herrschenden Meinung entspricht, einzurichten. Für die Partnerschaftsgesellschaft sieht § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG die analoge Anwendung von § 130 HGB ausdrücklich vor. Gerade bei der Anwendung von § 130 HGB wird besonders deutlich, dass es erforderlich ist, für berufliche Haftungsfälle eine Ausnahme zu machen. Denn auf das Haftungspotential eines neu eintretenden Gesellschafters hat der Mandant, der die Sozietät nur wegen eines bestimmten Anwalts oder einiger Anwälte beauftragt hat, nicht vertraut. Für den beitretenden Rechtsanwalt besteht die Gefahr einer Deckungslücke für die Berufshaftpflichtversicherung29. Wer – mit dem BGH30 – annimmt, dass § 130 HGB einer im Verkehrsschutzinteresse zu Ende gedachten Akzessorietät genügen will, kann wegen der berufshaftungsrechtlichen Besonderheiten in solchen Fällen ein Schutzbedürfnis nicht mehr ausmachen. Zweifelhaft ist darüber hinaus, ob die Haftung des § 130 HGB auch für den Scheinsozius gilt. Das wird – mit dem OLG Saarbrücken – zu verneinen sein31. Vertrauensschutzgesichtspunkte sind in Bezug auf einen später „eintretenden“ Scheingesellschafter ohnehin nicht anzuführen. Und auch der Gedanke, dass die Haftung des § 130 HGB das Korrelat zu den Zugriffsmöglichkeiten auf das bereits vorhandene Gesellschaftsvermögen ist, scheidet aus, wenn nur der Anschein einer Gesellschafterstellung erweckt wird32 . Im Einzelfall mag es indessen zu einer Haftung nach Rechtsscheinsgrundsätzen kommen können. Der BGH hatte seine Rechtsprechungsänderung zur analogen Anwendung von § 130 HGB mit einem Vertrauensschutz zu Gunsten derjenigen Gesellschafter versehen, die vor der Rechtsprechungsänderung beigetreten 27 BGHZ 154, 370, 373 = NJW 2003, 1803; NJW 2006, 765. 28 Vgl. z. B. Baumann/Rößler, NZG 2002, 713; Beuthien, JZ 2003, 969; DaunerLieb, FS Ulmer, 2003, S. 73 ff.; Wiedemann, JZ 2001, 664. 29 Zugehör/Sieg, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. 2006, Rn. 357. 30 BGHZ 154, 373. 31 OLG Saarbrücken, NZG 2006, 619. 32 OLG Saarbrücken, NZG 2006, 619.

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waren33. Die Grenzen dieses Vertrauensschutzes hat der BGH –in einer Art teleologischer Reduktion des Vertrauensschutzes- dort gezogen, wo der Gesellschafter mit entsprechenden Verbindlichkeiten (z. B. Stromlieferung) rechnen musste34.

6. Haftung gem. § 28 HGB analog? Schon vom Grundsatz her umstritten ist, ob § 28 HGB analog auf eine GbR anwendbar ist35. Der IX. Zivilsenat des BGH hat die Grundsatzfrage offen gelassen und – zu Recht – eine analoge Anwendung für den Fall abgelehnt, dass sich ein Rechtsanwalt mit einem bisher als Einzelanwalt tätigen anderen Rechtsanwalt zu einer gemeinsamen Berufsausübung zusammenschließt36. Bemerkungen zu diesen Streitfragen stehen vor der Schwierigkeit, dass schon die Grundfrage heillos umstritten ist, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass der Leitgedanke des § 28 HGB – ähnlich wie bei der Parallelnorm des § 25 HGB – völlig streitig ist37. Diejenigen, die schon dem Grunde nach eine analoge Anwendung des § 28 HGB auf BGB-Gesellschaften ablehnen38, lehnen auch die Anwendung auf eine Sozietät ab. Indes sind es gerade die Besonderheiten der anwaltlichen Tätigkeit, die – unabhängig von der Lösung der Grundfrage – die Entscheidung des XI. Zivilsenats tragen39. Bei einer Einzelkanzlei fehlt es im Sinne von § 28 HGB am „Geschäft eines Einzelkaufmanns“, das die persönliche Bindung so überlagert, dass der Kontakt zu dem „Geschäft“ Anknüpfungspunkt für die Fortsetzung der Haftung durch die Gesellschafter der Sozietät werden könnte. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Anwaltstätigkeit in erster Linie durch die persönliche und eigenverantwortliche Dienstleistung geprägt wird, wie der IX. Senat zutreffend ausgeführt hat40. Das gilt erst recht für die Haftungsanknüpfung. Alle zu § 28 HGB vertretenen Schutzzwecke sind nicht berührt. Weder gibt es einen Anknüp33 BGHZ 154, 370 ff. 34 BGH, NJW 2006, 765. 35 Nachweise zum Streitstand bei BGH, NJW 2004, 836 ff.; Baumbach/Hopt, HGB, 33 Aufl. 2008, § 28 Rn. 2; Lieb, in: MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2005, § 28 Rn. 10. 36 BGHZ 157, 361, 365 ff. = NJW 2004, 836 ff.; dagegen Grunewald, JZ 2004, 683. 37 Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 28 Rn. 1. 38 Vgl. nur Zimmer/Scheffel, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 31. Aufl. 2000, § 28 Rn. 16; Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl. 1995, § 28 Rn. 29. 39 So insbesondere Henssler, LMK 2004, 118. 40 BGHZ 157, 361 = NJW 2004, 836, 837.

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fungspunkt für eine etwa typisierte Rechtsscheinhaftung, noch kann eine typisierte Erklärung zur Schuldübernahme fingiert werden. Allenfalls das Haftungsfonds-Prinzip könnte bemüht werden, weil der neu aufgenommene Sozius (der aber nicht Scheinsozius sein dürfte) am Vermögen beteiligt wird; das prägt aber nicht, da der Haftungsfonds durch die Aufnahme eines Gesellschafters nicht geschmälert wird. Nachvollziehbar ist auch das zweite Argument des IX. Senats, dass eine von § 28 Abs. 1 HGB abweichende Vereinbarung mangels Register nicht im Sinne von § 28 Abs. 2 HGB öffentlich gemacht werden könne41. Bei Licht besehen handelt es sich insoweit allerdings nicht um ein anwaltsspezifisches Argument, sondern um ein Argument gegen die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 28 HGB auf BGB-Gesellschaften. Dennoch wird gerade bei der Anwaltshaftung die Tragfähigkeit dieses Argumentes deutlich: Mit dem Hinweis auf das Handelsregister macht das Gesetz deutlich, dass es sich im Rahmen von § 28 HGB um eine durch Publizität begründete Haftung handelt, die allerdings individuell und durch Publizität ausgeschlossen werden kann. Beim Eintritt eines Anwalts in eine bestehende Anwaltskanzlei fehlt es aber im Hinblick auf die begründeten Vertragsbeziehungen mit dem Einzelanwalt an einem solchen über die Person hinausgehenden Publizitätseffekt. Deshalb kann es auch kein sinnvolles Korrelat im Sinne von § 28 Abs. 2 HGB geben. Die insoweit von den Befürwortern der analogen Anwendung auf die entstehende Anwaltssozietät vorgebrachten Hinweise, immerhin die Partnerschaftsgesellschaft könne ja einen Haftungsbeschränkungsvermerk in das Partnerschaftsregister eintragen42 bzw. Anwälte hätten die Möglichkeit, eine entsprechende Haftungsbegrenzung nach Außen formlos zu verlautbaren43, führt entweder zum Zwang in die Partnerschaftsgesellschaft oder aber zur Annahme völlig lebensfremder Korrespondenz mit allen Mandanten und Vertragspartnern der früheren Einzelkanzlei. Für Berufshaftungsfälle ist daher eine analoge Anwendung des § 28 HGB grundsätzlich abzulehnen. Anders strukturiert ist die Argumentation im übrigen Bereich der Haftung für bereits begründete Verbindlichkeiten: Insoweit muss Farbe zur Grundfrage bekannt werden, ob für BGB-Gesellschaften eine analoge Anwendung des § 28 HGB in Betracht kommt.

41 BGHZ 157, 361 = NJW 2004, 836, 838. 42 Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2807. 43 Knöfel, AnwBl 2006, 373, 375.

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III. Gewinnverteilungsregeln 1. Vertragsgestaltung Höchstrichterliche Rechtsprechung zu Problemen der Gewinnverteilung ist selten. Das bedeutet aber nicht, dass Auseinandersetzungen über die Gewinnverteilung selten wären. Gestritten wird aber über den Inhalt der zu vereinbarenden Vertragsregelungen, nicht über deren Wirksamkeit. Auffällig ist, dass in den verfügbaren Veröffentlichungen zum Sozietätsrecht Vorschläge zur Gewinnverteilung recht zurückhaltend gemacht werden44. Wenn es in einer Neuauflage zum Sozietätsrecht45 heißt, die Verteilung von Gewinn und Verlust der Sozietät orientiere sich im allgemeinen an der Beteiligung der Partner am Gesellschaftsvermögen, so ist dieser Satz nach meiner – allerdings nicht repräsentativen – Kenntnis deutscher Sozietätsverträge schlicht falsch. Es ist allenfalls umgekehrt: Regelungen zur Beteiligung am Gesellschaftsvermögen fehlen häufig; allenfalls lässt sich aus den prozentualen Angaben zur Gewinnverteilung ein Rückschluss auf die Vermögensbeteiligung ziehen46. Heussen hat zuletzt überzeugend darauf hingewiesen47, dass die Erarbeitung der Gewinnverteilung abhängt von der Gesamtstruktur der Praxis, ihrer Strategie und der Unternehmenskultur der Sozietät. Mindestens fünf verschiedene Typen werden in der Vertragspraxis vorgefunden48: – Typ 1: Gewinnverteilung abhängig vom individuellen Beitragsergebnis (Merit Based) – Typ 2: Verteilung des Gewinns nach Köpfen und/oder Alter/Unternehmenszugehörigkeit – Typ 3: Gewinnverteilung nach Zahl der Gesellschaftsanteile (ähnlich wie bei der GmbH) – Typ 4: Kombinationen aus den Typen 1 bis 3

44 Zu Gewinnverteilungsmodellen Michalski/Römermann, in: Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, Rn. 216 ff. 45 Kunz, in: Sozietätsrecht, Handbuch für Rechts-, Steuer- und Wirtschaftsberatende Gesellschaften, 2. Aufl. 2006, § 4 Rn. 35. 46 Vgl. insoweit auch Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2802. 47 Heussen, AnwBl 2007, 169 ff. 48 Heussen, AnwBl 2007, 169, 171 im Anschluss an eine Studie von Vaagt & Partner (www.Vaagt&Partner.de).

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– Typ 5: Reines Lockstep-System (schrittweises Aufrücken innerhalb definierter Punktzahlen und ebenso schrittweises Abschmelzen nach Erreichen eines bestimmten Lebensalters). Mehr und mehr setzt sich die Auffassung durch, dass bei ergebnisorientierter Gewinnverteilung nicht nur der Umsatz ein wesentliches Parameter ist, sondern dass Wissensmanagement, Akquisition und allgemeines Management eine wesentliche Rolle spielen können49. Zu den neueren Entwicklungen des Sozietätsrechts gehören also durchaus neuere Überlegungen zu den Gewinnverteilungsregeln, auch wenn deren Haltbarkeit durch neuere Rechtsprechung noch nicht überprüft worden ist.

2. Anpassungsbedarf Zuweilen halten Sozien die im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Gewinnverteilungsregelungen nicht mehr für angemessen, ohne dass sie mit ihren Veränderungswünschen – ganz oder teilweise – durchdringen. Vor Schiedsgerichten oder ordentlichen Gerichten wird dann ein Anspruch auf Anpassung der bisherigen Gewinnverteilungsregeln geltend gemacht. Ähnliche Versuche sind noch häufiger im Zusammenhang mit Ruhestandsbezügen älterer oder ausgeschiedener Sozien insbesondere dann, wenn die Ertragskraft der Praxis nachlässt. Zu den damit aufgeworfenen Problemen ist mir aktuelle Rechtsprechung des BGH nicht bekannt. Möglicherweise gibt es insoweit aber erfolglose Nichtzulassungsbeschwerden. Die meisten mir insoweit bekannt gewordenen Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass zwar Erwartungen eines oder mehrerer Gesellschafter mit den dann tatsächlich eingetretenen Verhältnissen nicht überein stimmten, dass aber – sei es wegen stillschweigender Risikoübernahme oder sei es mangels Unzumutbarkeit – die Grenzen des § 313 BGB längst nicht erreicht waren. In rechtlicher Hinsicht ist zweifelhaft, ob überhaupt ein Anspruch eines Gesellschafters auf Anpassung eines Gesellschaftsvertrages auf § 313 BGB gestützt werden kann oder ob sich ein solcher Anspruch im Einzelfall aus gesellschafterlicher Treuepflicht ergibt50. Die Abgrenzung beider Institute soll hier nicht vertiefend erörtert werden; zweifelhaft ist jedenfalls, den Unterschied beider Abänderungsmöglichkeiten darin zu sehen, dass sich 49 Heussen, AnwBl 2007, 169, 172 ff. 50 Nachweise bei Peres, in: Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 3 Rn. 60 f., 62 f., 66 ff.; Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 705 Rn. 231; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 5 IV d; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 2, 2004, S. 120 ff., 201; Roth, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2001, § 313 Rn. 120.

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die Treuepflichten aus der Konkretisierung der vertraglichen Regelungen ergeben sollen, während die Geschäftsgrundlagenregeln nur außervertragliche Veränderungen erfassen sollen51. Das OLG Stuttgart52 hat jüngst konstatiert, dass die Rechtsprechung des BGH teilweise die Geschäftsgrundlagenlehre angewandt53, die Fragestellung aber auch häufig im Zusammenhang mit der Treuepflicht erörtert54 oder das Verhältnis letztlich offen gelassen55 hat. Auch das OLG Stuttgart56 hat die Frage offen gelassen, weil nach seiner Auffassung im Einzelfall die Voraussetzungen beider Institute nicht vorlagen, so dass eine Vertragsanpassung nicht verlangt werden konnte: Bestimmte der Gewinnverteilungsschlüssel im Sozietätsvertrag einer Anwaltssozietät eine quotale Bemessung der Gewinnanteile dergestalt, dass sich der Gewinnanteil über ein Punktesystem ausschließlich in Abhängigkeit von der Dauer der Sozietätszugehörigkeit erhöht (so genanntes Lockstep-System), kann ein Partner keine Erhöhung seines Gewinnanteils nach den Grundsätzen über die Änderung der Geschäftsgrundlage oder die gesellschafterliche Treuepflicht mit der Begründung verlangen, er erwirtschafte mit den von ihm bearbeiteten Mandaten ein im Vergleich zu seiner Gewinnbeteiligungsquote erheblich überproportionalen Anteil am Umsatz und Gewinn der Sozietät. Diese Auffassung ist sicher im Grundsatz richtig: Wer sich einmal für ein umsatz-unabhängiges System entschieden hat, kann nicht dann, wenn sein Umsatzanteil besonders hoch wird, eine Änderung der Gewinnverteilung verlangen. Grenzfälle mögen aber denkbar sein, in denen ein oder mehrere Sozien, ohne auf Akquisitionserfolge verweisen zu können, die Akte längst mit dem Golfschläger vertauscht haben. Manche „Alterszahlungen“ sind zu Zeiten vereinbart worden, in welchen der spätere wirtschaftliche Niedergang der Praxis nicht vorausgesagt werden konnte. Wenn etwa in Sozietätsverträgen, wie nicht selten, für den Ruheständler feste Versorgungsbezüge vereinbart sind (etwa in Anlehnung an die Ruhestandsbezüge der Richter), dann mag es wenige Ausnahmefälle geben können, in denen ein Anpassungsanspruch besteht. Das ist bei51 So aber Peres, in: Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 3 Rn. 66. 52 Urt. v. 16. 5. 2007 – 14 U 9/06, BRAK-Mitt. 2007, 182 (nur Leitsatz); Volltext bei Juris. 53 BGHZ 10, 44; BGH, NJW 1967, 1081, 1082; NJW 1974, 1656; BGH, BB 2004, 397. 54 BGH, NJW 1965, 1960; BGH, BB 1977, 1271; BGH, WM 1978, 1230; WM 1986, 1556. 55 BGH, NJW 1974, 1656; BGH, BB 2006, 2773, 2775. 56 BRAK-Mitt. 2007, 182 (Leitsatz).

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spielsweise in Zusammenhang mit Versorgungsregelungen von reinen OLG-Sozietäten nach Wegfall der Singularzulassung diskutiert worden57. Allerdings ist insoweit in erster Linie zu bedenken, dass die Vereinbarung einer festen Größe, die gewinnunabhängig ist, von Vorne herein das Risiko (und die Chance) auf die Sozietät verlagert hat. Vor diesem Hintergrund können nur krasse Ausnahmefälle ein Abänderungsbegehren rechtfertigen, wenn also beispielsweise über einen längeren Zeitraum der dem Ruheständler auszuzahlende Betrag höher ist als der Restgewinn, der zur Verteilung auf zwei aktive Sozien verbleibt.

IV. Ausscheiden 1. Mindestdauer der Sozietät In älteren Sozietätsverträgen finden sich immer wieder Regelungen, die bewirken sollen, dass die Gesellschaft nur aus wichtigem Grunde kündbar sei. Entweder wird ein ordentliches Kündigungsrecht ganz oder für einen langen Zeitraum, etwa für 30 Jahre58, ausgeschlossen. Nach einigen Jahren der Unsicherheit ist durch den BGH59 nun klargestellt, dass in einem Rechtsanwaltssozietätsvertrag der Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung für einen Zeitraum von 30 Jahren selbst dann eine unzulässige Kündigungsbeschränkung im Sinne des § 723 Abs. 3 BGB darstellt, wenn sie Teil der Alterssicherung der Seniorpartner ist. Ob ein Sozietätsvertrag mit einer 30jährigen Bindungsfrist eine sittenwidrige Knebelung im Sinne von § 138 BGB darstellt, hat der BGH offen gelassen60. Die frühere Auffassung, die sich nur an § 138 BGB als Grenze orientierte und daher zeitlich unbeschränkte Befristungen in Gesellschaftsverträgen grundsätzlich zuließ, ist damit überholt. Es entspricht dem Zweck des § 723 Abs. 3 BGB, Vereinbarungen über die Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechts die Wirksamkeit zu versagen, bei denen die Bindung der Gesellschafter an die Gesellschaft zeitlich unüberschaubar ist und infolge dessen ihre persönliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit unvertretbar eingeengt wird61. Dieser An-

57 Grunewald, AnwBl 2001, 377 ff. 58 So in dem Fall, der dem Urteil des BGH v. 18. 9. 2006 – II ZR 137/04, NJW 2007, 295 ff. zugrunde lag. 59 BGH, NJW 2007, 295 ff. 60 Vgl. Goette, AnwBl 2007, 637, 641. 61 So schon BGHZ 50, 316 ff.; BGH, NJW 2007, 295.

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satz entspricht der ganz herrschenden Meinung in der Literatur62 . Die überlange Bindung an den Vertrag führt, wie der BGH ebenfalls klargestellt hat63, nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages, sondern zur Nichtigkeit der Laufzeitklausel. An die Stelle der unzulässigen Kündigungsbeschränkung tritt in erster Linie die ergänzende Vertragsauslegung und in zweiter Linie das dispositive Recht64. Eine über 14 Jahre hinausgehende Bindung hat der BGH auch im Wege ergänzender Vertragsauslegung nicht annehmen wollen65. Das OLG Stuttgart66 hat sich dieser Auffassung angeschlossen und hinzugefügt, dass diese Grundsätze auch gelten, wenn die Partner anlässlich von Vertragsänderungen die unwirksame Laufzeit mehrfach neu in Gang gesetzt haben. Für den Beginn der angemessenen Laufzeit sei dann auf den zuletzt unter den Partnern vereinbarten Neubeginn einer festen Bindungsdauer abzustellen. Das überzeugt. Für die Vertragsgestaltung ist indessen immer noch offen, ob es eine haltbare Obergrenze gibt. Erwägungen, insoweit zwischen kleineren Sozietäten, die sich angeblich leichter auflösen ließen, und größeren Sozietäten mit erheblichem Anlagevermögen, das sich nur in längeren Zeiträumen amortisierte, zu unterscheiden und für größere Sozietäten eine Dauer von fünf Jahren für angemessen zu halten67, überzeugen nicht. Eine große Sozietät kann die Kündigung eines einzelnen Partners oder einiger weniger Partner eher verkraften als eine Sozietät von vier oder fünf Anwälten, die in ihrem Marktsegment durch unterschiedliche Spezialisierung der Partner gerade deshalb erfolgreich ist und für die jeder Verlust eines Partners ein nachhaltiger Aderlass bedeutet. Die gegenwärtigen Üblichkeiten auf dem Anwaltsmarkt sprechen insgesamt dafür, die einzelnen Mitgliedschaften nicht zu versteinern, das Versorgungsinteresse der Senioren gesellschaftsunabhängiger zu berücksichtigen und eher auf wechselseitiges Vertrauen als auf unhaltbare Kündigungsschranken zu setzen. Auch hier werden sich Anknüpfungspunkte für ein Sonderrecht ergeben. Für andere Sozietäten, insbesondere Gemeinschaftspraxen von Ärzten, können insoweit je nach Investitionsbedarf für Apparatemedizin ganz andere Gesichtspunkte maßgeblich sein.

Vgl. nur Erman/Westermann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 723 Rn. 22. BGH, NJW 2007, 295 ff. Goette, AnwBl 2007, 637, 642. BGH, NJW 2007, 295, 296. BRAK-Mitt. 2007, 182 = ZIP 2007, 1714 (nur Leitsatz); Volltext bei Juris. Das Urteil ist nicht rechtskräftig; Nichtzulassungsbeschwerde II ZR 128/07 BGH. 67 Peres, in: Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 7 Rn. 33. 62 63 64 65 66

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2. Hinauskündigung Nach wie vor enge Grenzen setzt der BGH der vertraglich eingeräumten Möglichkeit, einen Gesellschafter auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes „hinaus zu kündigen“. Regelungen, die einem Gesellschafter, einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen, sind danach grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig68. Tragend ist insoweit die „Damoklesschwert“ Erwägung69: Der von der Ausschließung oder Kündigung bedrohte Gesellschafter empfindet das freie Kündigungsrecht des anderen als Disziplinierungsmittel, so dass er aus Sorge, der Willkür des ausschließungsberechtigten Gesellschafters ausgeliefert zu sein, nicht frei von seinen Mitgliedschaftsrechten Gebrauch macht oder seinen Gesellschafterpflichten nicht nachkommt, sondern sich den Vorstellungen der anderen Seite beugt. Andererseits nimmt der BGH an, dass eine Hinauskündigungsklausel wirksam ist, wenn sie wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist; sie könne aber nicht zeitlich unbegrenzt bestehen70. Diese Rechtsprechung ist so gefestigt, dass Kritik an ihr wenig Erfolg versprechend zu sein scheint71. Mir leuchtet es nach wie vor nicht ein, § 138 BGB als Maßstab zu wählen, da es für die Wirksamkeitskontrolle auf die Umstände bei Vertragsschluss ankommt und spätere Veränderungen irrelevant sein müssten. Da sich die sachliche Rechtfertigung indessen im Laufe der Zeit durchaus unterschiedlich darstellen kann, wäre eine Ausübungskontrolle des Hinauskündigungsrechts über § 242 BGB der systematisch bessere Weg. So könnte auch eine Fallgestaltung bewältigt werden, die in der Praxis durchaus Schwierigkeiten macht: Bei einer zweigliedrigen Gesellschaft hängt dasselbe „Damoklesschwert“ über dem nach Kündigung des Vertrages oder Mitgliedschaft alsdann verbleibenden Gesellschafter. Er ist aber nicht geschützt, weil das Kündigungsrecht des „austretenden“ Gesellschafters von BGH geschützt wird, während die Hinauskündigungsmöglichkeit eingeschränkt wird.

68 69 70 71

BGHZ 68, 212 ff.; 81, 263 ff.; 105, 213 ff.; 112, 103 ff.; 164, 98 ff. u. 107 ff. BGHZ 81, 263, 268; 105, 213, 217; 112, 103, 108. BGH, ZIP 2007, 1309, 1310; BGHZ 164, 98, 102. Kritisch zuletzt nochmals Drinkuth, NJW 2006, 410 ff.; s. auch Hirtz, BB 1981, 761 ff.

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Den Gesellschafter „minderen Rechts“72, der insoweit weniger schutzwürdig wäre, erkennt der II. Senat nach wie vor nicht an, prüft aber in jedem Einzelfall73, ob es rechtfertigende Gründe für die Hinauskündigung gibt, die nicht die Qualität eines wichtigen Grundes haben müssen. Als sachlich gerechtfertigt hat der BGH etwa eine Klausel erachtet, nach der nach Beendigung eines zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter bestehenden Kooperationsvertrages auch die Gesellschafterstellung gekündigt werden darf74. Entsprechendes gilt für Regelungen, welche die Kündigung eines Gesellschafters für den Fall der Beendigung seines Amtes als Geschäftsführer75 oder für den Fall seines Ausscheidens als Angestellter76 gestatten. In jüngster Zeit ist die Entscheidung zur Vererbung einzelkaufmännischer Unternehmen hinzugekommen77: Vererbt der Inhaber sein einzelkaufmännisches Unternehmen in der Weise an seine beiden Kinder, dass er ihnen dessen Einbringung in eine von ihnen zu gründende KG und den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages auferlegt, der dem einen Kind auch im Falle einer an keine Gründe geknüpften Eigenkündigung das Recht zur Übernahme des Geschäftsbetriebs einräumt, so ist das damit verbundene freie Hinauskündigungsrecht sachlich gerechtfertigt, weil es auf der Testierfreiheit des Erblassers beruht, der durch diese Gestaltung dem anderen Kind eine bereits mit dem Kündigungsrecht belastete Beteiligung vermacht hat. Diese Grundsätze gelten auch für Freiberuflersozietäten78. Das zeigt die Laborärzteentscheidung79: Wenn das Ausschließungsrecht bei Aufnahme eines neuen Gesellschafters in eine Freiberufler-Praxis dazu dient, den Altgesellschaftern binnen angemessener Frist die Prüfung zu ermöglichen, ob zu dem neuen Gesellschafter das notwendige Vertrauen aufgebaut werden kann, ist eine freie Hinauskündigung innerhalb dieser Zeit sachlich gerechtfertigt. Dieses Urteil hat der BGH mit seiner Entscheidung vom 7. 5. 200780 abermals bestätigt und für eine im Jahr 2000 nach dem zu dieser Zeit gültigen Zulassungsrecht gegründete ärztliche Gemeinschaft72 Flume, NJW 1979, 902, 904. 73 BGH, NJW-RR 2007, 913 ff. (Vererbung einzelkaufmännischer Unternehmen); BGH, ZIP 2005, 706 ff. (Franchise-Vertrag); BGH, NJW 2005, 3641 (ManagerModell); NJW 2005, 3644 (Mitarbeiter); BGH, ZIP 2004, 903 (Laborärztefall). 74 BGH, ZIP 2005, 706. 75 BGH, NJW 2005, 3641. 76 BGH, NJW 2005, 3644. 77 BGH, NJW-RR 2007, 913 ff. 78 Goette, AnwBl 2007, 637, 643. 79 BGH, ZIP 2004, 903. 80 BGH, ZIP 2007, 1309.

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spraxis die höchstzulässige Frist, innerhalb derer der aufnehmende Vertragsarzt prüfen kann, ob eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem eintretenden Vertragsarzt auf Dauer möglich ist, mit drei Jahren bemessen. Da nach dem damals geltenden Zulassungsrecht nur eine kurze Tätigkeit im Angestelltenverhältnis erlaubt war, ist indessen zweifelhaft, ob dieser Zeitraum von drei Jahren vom BGH auch heute noch für angemessen gehalten würde81. Wo, wie im Bereich der Anwaltschaft, kein Zwang besteht, umgehend eine Sozietät zu begründen, dürfte man nach den Kriterien des BGH manches für einen kürzeren Zeitraum sprechen82. Als Reaktion auf die Laborärzteentscheidung des BGH finden sich neuerdings in Sozietätsverträgen Regelungen, wonach einem Partner, der der Sozietät weniger als drei Jahre angehört, durch gemeinsame schriftliche Erklärung der übrigen Partner gekündigt werden kann, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund besteht. Solche Formulierungen könnten den Eindruck erwecken, als sei innerhalb der ersten drei Jahre doch kein freies Hinauskündigungsrecht vereinbart, sondern es müsse auch innerhalb dieser Zeit noch ein – von den übrigen Partnern dann auch noch darzulegender oder zu beweisender – sachlicher Grund gegeben sein. Der BGH indessen hat deutlich gemacht, dass er allein die „Probezeit“ von drei Jahren zur bloßen Prüfung der Frage, ob vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist, als sachliche Rechtfertigung des Hinauskündigungsrechts genügen lässt. Problematisch ist, ob es neben einer solchen „Eingewöhnungsphase“ auch noch eine sachliche Rechtfertigung zur unterschiedlichen Behandlung von „Juniorsozien“ gibt, die nur zu einem ganz geringen Prozentsatz83 oder zunächst gar nicht am Gesellschaftsvermögen beteiligt werden84. Die Vertragsgestaltungspraxis sollte solche Experimente im Zweifel unterlassen. Bemerkenswert an dieser Rechtsprechung ist einerseits die Allergie gegen die Figur des Gesellschafters minderen Rechts und andererseits das Bemühen, die Entscheidungen als solche zu bezeichnen, die sich nach einer Formulierung von Goette85 als „bisherige pragmatische Linie“ versteht. Diese pragmatische Linie hat aber durchaus bereits zu einer Typologie sachlicher Rechtfertigungen geführt, sodass es sich eher um einen Streit um Worte als um Differenzen in der Auseinandersetzung handelt, wenn künftig 81 Vorsichtig Goette, AnwBl 2007, 637, 643. 82 Zurückhaltend auch Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Rn. 957. 83 Für eine analoge Anwendung der Grundsätze der §§ 327 ff. AktG (5 %-Regelung) Kilian, WM 2006, 1567, 1573. 84 Vgl. zu einer solchen Fallgestaltung zum Abfi ndungsanspruch OLG Celle, NZG 2007, 542. 85 Goette, DStR 2007, 914, 916.

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wohl statt von einem Gesellschafter minderen Rechts von typischen Fällen sachlicher Rechtfertigung gesprochen werden kann.

3. Kollektivkündigung Die Schwierigkeiten, die die Rechtsprechung des BGH einer Hinauskündigung eines missliebigen Partners in den Weg stellt, führen in der Praxis gelegentlich zur Überlegung, dass die übrigen Sozien ihre Mitgliedschaft in der Sozietät jeweils kündigen86. Die Rechtsprechung des BGH lädt geradezu zu einem solchen Vorgehen ein. Eine solche „Kollektivkündigung“ kann sich auf das Prinzip der Kündigungsfreiheit berufen, das insbesondere in Berufausübungsgesellschaften auch noch durch Art. 12 Abs. GG verfassungsrechtlich abgesichert ist87. Hürden sind durchaus – als Ausübungsschranken – das Verbot der Kündigung zur Unzeit als gesetzlich geregelter Missbrauchsfall und das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot. Indessen hatte der BGH88 gebilligt, dass ein Gesellschafter die Auflösung einer Gesellschaft mit dem Ziel betrieb, das von der Gesellschaft geführte Unternehmen allein fortzuführen. Aktuelle höchstrichterliche Urteile zur Problematik von Gruppen- oder Kollektivkündigungen sind mir nicht bekannt. Als Ultima Ratio mag eine entsprechende Ankündigung der Möglichkeit einer Kollektivkündigung durchaus einvernehmliche Regelungen begünstigen helfen.

V. Abfindung und Mandantenschutz 1. Wettbewerbsverbote Nachvertragliche Wettbewerbsverbote geraten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung von Freiberuflersozietäten in den Blickpunkt der Rechtsprechung. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote können in Sozietätsverträgen wirksam vereinbart werden89. Der BGH hält ein solches Wettbewerbsverbot grundsätzlich für zulässig, wenn es gegenständlich, zeitlich und räumlich begrenzt ist90. Man kann annehmen, dass die zeitliche Grenze bei zwei Jahren liegt91. Die räumlichen Grenzen hängen von Vgl. im Einzelnen Henssler/Kilian, ZIP 2005, 2229 ff. Henssler/Kilian, ZIP 2005, 2229, 2231. BGH, WM 1980, 378. Westermann, AnwBl 2007, 103, 109 ff.; Peres, in: Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 8 Rn. 21. 90 BGH, BB 2005, 2089 ff.; BGH, NJW 2004, 66; NJW 2000, 2584. 91 Goette, AnwBl 2007, 637, 643, 644. 86 87 88 89

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der örtlichen Struktur der Sozietät ab92 . Je spezialisierter das Tätigkeitsfeld ist, um so größer darf der Radius für das Verbot ausgedehnt werden93. Beachtet das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot die zeitlichen Grenzen nicht, ist es nicht etwa ganz unwirksam, sondern wird auf die angemessene Zeit geltungserhaltend reduziert94. Anders ist es bei Verstößen gegen gegenständliche und räumliche Grenzen; diese führen zur Nichtigkeit des Wettbewerbsverbots95. Soweit es um die isolierte Wirksamkeit eines Wettbewerbsverbots geht, dürfte sich die Vertragsgestaltung auf der sicheren Seite bewegen, die sich auf eine auf zwei Jahre befristete Mandantenschutzklausel beschränkt, die also Wettbewerb des ausscheidenden Sozius für zwei Jahre insoweit verbietet, als die bislang von der Kanzlei betreuten Mandanten angesprochen sind.

2. Wechselwirkung zwischen Abfindungsregelungen und Wettbewerbsverboten Während bei hochtechnisierten Ärztegesellschaften der Wert der Praxisausstattung für die Feststellung eines Abfindungsanspruches gem. § 738 BGB durchaus von erheblicher Bedeutung ist, spielt er für Sozietäten von Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern in der Regel keine Rolle. Der Wert der Beteiligung des einzelnen Sozius liegt hier also im Wesentlichen in den Mandantenbeziehungen96. Der Abfindungsanspruch schließt also über den Good-Will den Wert der Mandantenbeziehungen ein. Wird nun durch eine Abfindungsvereinbarung vorgesehen, dass der Ausscheidende nur an den Buchwerten des Praxisvermögens, nicht aber am GoodWill beteiligt wird, kann die Abfindungsklausel unwirksam sein. Nach ständiger Praxis des BGH ist es eine Frage der Bewertung sämtlicher Einzelfallumstände, ob eine Abfindungsvereinbarung gegen § 138 BGB verstößt, dem Verbot übermäßiger Einschränkungen der Kündigungsfreiheit gem. § 723 Abs. 3 BGB widerstreitet oder ob es wegen der Entwicklung

Weitere Nachweise bei Westermann, AnwBl 2007, 103, 109. Goette, AnwBl 2007, 637, 644. Goette, AnwBl 2007, 637, 644. BGH, NJW 2005, 3061, 3062; NJW 2000, 2584; Wertenbruch, NZG 2006, 408, 411. 96 Vgl. Römermann, NJW 2007, 2209, 2214. 92 93 94 95

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der Wertverhältnisse gegen Treu und Glauben verstößt, wenn sich die Gesellschaft auf die vertragliche Regelung beruft97. Wenn die Mandantenbeziehungen das wertvollste Gut der Freiberuflersozietät sind, muss die Prüfung der rechtlichen Wirksamkeit von Abfindungsbeschränkungen die Frage in den Blick nehmen, welche Möglichkeiten der ausgeschiedene Sozius hat, an diesem Wert zu partizipieren. In jüngerer Zeit, insbesondere nach der Einführung anwaltlicher Versorgungswerke, haben sich in Deutschland Sozietätsregelungen etabliert, die einem „naked in/naked out“-Modell entsprechen. Der eintretende Junior muss für die Übernahme des ihm langsam zuwachsenden Gesellschaftsanteils kein Entgelt bezahlen. Seine Gewinnquote berücksichtigt jedenfalls teilweise die Dauer seiner Sozietätszugehörigkeit. Verlässt er die Sozietät, soll er der Sozietät nichts verschulden; umgekehrt sollen auch keine Abfindungsansprüche bestehen. Manchmal enthalten solche Sozietätsverträge dann auch noch Regelungen über ein – zeitlich und örtlich beschränktes – Wettbewerbsverbot98. Alle Beteiligten, die jedenfalls nach ihrem eigenen Bewusstsein auch über ein Mindestmaß an Rechtskunde verfügten, hatten bei Abschluss solcher Verträge durchaus den Eindruck, in keinerlei Hinsicht gegen die guten Sitten zu verstoßen. Einen gewissen Mindestschutz wollten die Gesellschafter zur Verfolgung ihrer gemeinsamen Zwecke ihrer Sozietät durchaus angedeihen lassen. Indessen ist die Kombination der „naked in/naked out“ – Regelungen mit einem Wettbewerbsverbot nach den Maßstäben der neueren BGH-Rechtsprechung höchst gefährlich. Der Sozius, der durch ein Wettbewerbsverbot gehindert wird, nach seinem Ausscheiden auf den Mandantenstamm der Sozietät zurückzugreifen, und der zugleich durch die Beschränkung seines Abfindungsanspruchs keinen Gegenwert für die Mandantenbeziehungen erhält, kann insgesamt so benachteiligt sein, dass die Abfindungsregelung im Ergebnis unwirksam ist99. Trifft den Ausscheidenden indessen kein Wettbewerbsverbot, kann er auf den Mandantenstamm zurückgreifen. Er erhält damit –wirtschaftlich ge-

97 Vgl. zu den Einzelheiten Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 738 Rn. 44, 66 ff.; Staudinger/Habermeier, BGB, 13. Bearb. 2003, § 738 Rn. 23 ff.; Peres, in: Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 8 Rn. 63 ff.; Hirtz, BB 1981, 761 ff. 98 Vgl. zu verschiedenen Varianten: Westermann, AnwBl 2007, 103 ff. 99 Westermann, AnwBl 2007, 103, 108.

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sehen- „seinen“ Anteil am Good-Will der Praxis. In einem solchen Fall ist daher eine Abfindungsbeschränkung grundsätzlich zulässig100. Unklar ist, ob es erforderlich ist, dass im Sozietätsvertrag ausdrücklich auf die Möglichkeit der Nutzung von Sozietätsmandanten hingewiesen werden muss101. Das wird man aber nicht annehmen können. Denn ohne Wettbewerbsverbot ist der Ausscheidende Sozius insoweit frei. Da aber, wie Goette102 zu Recht betont, bei einer Freiberuflersozietät die Aufteilung der Sachwerte und die rechtlich unbeschränkte Möglichkeit, um die Mandanten, Klienten oder Patienten der Praxis zu werben, die natürliche Form der Auseinandersetzung einer solchen Gesellschaft ist, besteht kein Bedarf für Abfi ndungsansprüche, wenn der Zugriff auf Mandanten, Klienten und Patienten nicht beschränkt wird. Gerade weil der BGH für ein Gleichgewicht zwischen dem Mandatsschutz und der Beteiligung am Fortführungswert der Sozietät sorgt103, kann es auf eine ausdrückliche Gestattung nicht ankommen. Es ist vielmehr sogar umgekehrt: Gibt es keine abfi ndungsbeschränkende Vereinbarung und nimmt der Ausgeschiedene daher über die Abfi ndung am Wert des Mandantenstamms teil, wird daraus im Umkehrschluss ein zeitlich befristetes Wettbewerbsverbot im Hinblick auf die Mandanten der Sozietät folgen104. Diese Überlegungen passen aber nicht auf die Fälle, in denen der ausscheidende Sozius (etwa aus Altersgründen) gar nicht mehr auf den Mandantenstamm zurückgreifen kann oder zurückgreifen will. Abfindungsregelungen, die für den ausscheidenden Ruheständler keine Beteiligung am Wert des Mandantenstamms vorsehen und keine –dies etwa ausgleichendenRuhestandsbezüge vorstehen, sind daher nach wie vor nicht unproblematisch, obwohl sie weit verbreitet sind. Erhebliche Unklarheiten bestehen auch noch bzgl. der Rechtsfolgen der Kombination einer „naked out“-Regelung mit einem „Wettbewerbsverbot“. Insoweit ist eine neue Entscheidung des OLG Celle105 bemerkenswert. Das OLG Celle hat offen gelassen, ob die dort zugrunde liegende Mandantenschutzklausel isoliert gesehen wirksam ist. Es hat die Kom100 101 102 103

BGH, NJW 2000, 2584; NJW 1995, 1551; NJW 1994, 796. In diesem Sinne Weipert, AnwBl 2005, 93, 94. AnwBl 2007, 637, 643. So die Einschätzung von Karsten Schmidt, NJW 2005, 2801, 2804, unter Hinweis auf BGH, DStR 2000, 1021 m. Anm. Goette. 104 Goette, DStR 2000, 1023. 105 OLG Celle, BRAK-Mitt. 2007, 180 ff.

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bination eines eingeschränkten Wettbewerbsverbots mit einer „naked out“-Regelung für problematisch gehalten und daraus den Schluss gezogen, dass das Wettbewerbsverbot unwirksam ist. Weil das Wettbewerbsverbot unwirksam ist, könne der ausgeschiedene Rechtsanwalt weiter auf die Mandanten der Praxis zurückgreifen. Daher sei die „naked out“Regelung im Sinne der BGH-Rechtsprechung wirksam. Dieser Begründungsansatz ist nicht unproblematisch, weil es ja durchaus sein kann, dass der ausgeschiedene Partner sich an das Wettbewerbsverbot (bis zur Feststellung seiner Unwirksamkeit durch das Gericht) gehalten hat. Er geht also im Ergebnis leer aus, wenn ihm dann auch noch ein Anteil am Good-Will über den Abfi ndungsanspruch verwehrt wird. In einer anderen aktuellen Entscheidung hat das OLG Celle (NZG 2007, 542) im Übrigen ausdrücklich bestätigt, dass ein Ausschluss des Abfi ndungsanspruch oder dessen Beschränkung auf den anteiligen Wert des Praxisinventars unter Ausklammerung des Good-Will grundsätzlich unbedenklich ist, wenn der Vertrag auf eine Mandantenschutzklausel oder ein ihr entsprechendes Wettbewerbsverbot zu Lasten des Ausgeschiedenen verzichtet, und des diesem dadurch ermöglicht wird, sich unter Mitnahme der schon bisher von ihm betreuten Mandanten eine eigene Existenz aufzubauen. Trotz dieser Probleme ist der Begründungsansatz des BGH zu begrüßen. Da die Kombination eines weitgehenden Abfi ndungsausschlusses mit einem weitgehenden Wettbewerbsverbot im Regelfall nicht hinzunehmen ist, ist mit dem BGH über eine ergänzende Vertragsauslegung zu prüfen, was nunmehr gelten soll: Wegen des für aktive Anwälte stärkeren Eingriffs, der durch das Wettbewerbsverbot begründet wird, sollte dieses im Zweifel unwirksam sein. Vor diesem Hintergrund ist ein weitgehender Abfi ndungsausschluss für den aktiven Anwalt hinnehmbar.

VI. Ergebnis 1. Der Sozietätsbegriff ist unklar. Eine Verwendung nur für Personengesellschaften der Freiberufler ist nicht mehr allgemein üblich. 2. Es gibt Anzeichen für eine Typusbildung „Personengesellschaft von Freiberuflern“. Die Typizität freiberuflicher Zusammenarbeit (insbesondere im Rahmen einer BGB-Gesellschaft) wirkt auf die Rechtsanwendung zurück.

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3. Das in § 128 HGB zum Ausdruck kommende Haftungsprinzip passt auf die berufshaftungsrechtlichen Verbindlichkeiten der BGB-Gesellschaft – entgegen der Auffassung des IX. Zivilsenats – nicht. Wenn die Bearbeitung durch einen oder einige Sozien vereinbart ist, sollen nur diese mit der Bearbeitung des Auftrages befassten Partner haften. 4. Für das deliktische Handeln eines Sozius (BGB-Gesellschafters) haftet die Anwaltssozietät entsprechend § 31 BGB schon dann, wenn dem einzelnen Sozius die selbständige und eigenverantwortliche Bearbeitung von Mandaten überlassen worden ist. 5. Der in eine Sozietät eintretende Rechtsanwalt haftet nicht für Altschulden analog § 130 HGB, soweit es um Berufshaftungsfälle geht, die vor seinem Beitritt begründet wurden. 6. § 28 HGB ist nicht auf eine entstehende Anwaltssozietät anzuwenden. 7. Für ergebnisorientierte Gewinnverteilungsregeln ist nicht nur der Umsatz ein wesentlicher Parameter; Wissensmanagement, Akquisition und allgemeines Management sollten berücksichtigt werden. 8. Gewinnverteilungsregelungen und Versorgungsregelungen sind zwar grundsätzlich einem Anpassungsverlangen wegen veränderter Umstände zugänglich; ein Anpassungsanspruch wird aber nur unter engen Voraussetzungen bestehen. 9. Für Freiberuflersozietäten ist der Ausschluss einer außerordentlichen Kündigung für einen Zeitraum von 30 Jahren jedenfalls unwirksam. Allgemeine Regeln für eine Mindestdauer lassen sich nicht aufstellen. 10. In Freiberuflersozietäten kann eine zeitlich begrenzte „Probezeit“ allenfalls drei Jahre betragen (Kündigung ohne sonstigen sachlichen Grund). 11. Zwischen nachvertraglichen Wettbewerbsverboten und Abfindungsbeschränkungen besteht ein innerer Zusammenhang. Eine Kombination solcher Regelungen kann zur Unwirksamkeit oder zur unzulässigen Rechtsausübung führen. Im Wege der Vertragsauslegung wird im Zweifel das Wettbewerbsverbot weichen.

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Bericht über die Diskussion des Referats Hirtz Dr. iur. Dipl.-Kffr. Sorika Pluskat (LL. M. Eur.) Rechtsanwältin/Steuerberaterin, Düsseldorf Angesichts der vorgerückten Stunde und eines Anschlusstermins des Referenten musste die Diskussion über das Referat von Hirtz, die von Winter geleitet wurde, kurz ausfallen. Karsten Schmidt eröffnete die Diskussion. Zunächst bezog sich K. Schmidt auf die Argumentation von Hirtz im Hinblick auf die Ausweitung des § 8 Abs. 2 PartGG als allgemeines Haftungsprinzip bei der Sozietät unabhängig von der konkreten Rechtsform der Personengesellschaft. Der Argumentation, dass das in § 128 HGB zum Ausdruck kommende Haftungsprinzip auf die berufshaftungsrechtlichen Verbindlichkeiten der BGB-Gesellschaft – entgegen der Auffassung des BGH1 – nicht passe und daher nur die Haftung des mit der Bearbeitung des Mandats befassten Partners (entsprechend § 8 Abs. 2 PartGG) in Betracht käme, hafte die Schwäche an, dass die Regelung des § 8 Abs. 2 PartGG gerade und allein für die Rechtsform der Partnerschaftsgesellschaft geschaffen worden sei. Diese Haftungs(begrenzungs)norm stelle daher ein Privileg gerade der Partnerschaftsgesellschaft dar und sei der tragende Grund für die Attraktivität dieser Rechtsform. K. Schmidt kritisierte auch die Nichtanwendung der §§ 130 HGB, 28 HGB auf die Sozietät in Gestalt der GbR. Sodann ging K. Schmidt auf das versicherungsrechtliche Problem im Fall des Beitritts eines neuen Sozius in die Sozietät ein. Der BGH bejahe bereits die Anwendung des § 130 (nicht auch des § 28) HGB2. K. Schmidt teilte die Einschätzung von Hirtz, wonach in diesem Beitrittsfall für den beitretenden Rechtsanwalt die Gefahr einer Deckungslücke für die Berufshaftpflichtversicherung bestehe. Das Problem könne aber nach Auskunft von Versicherungen durch eine Nachmeldung für den Beitretenden gelöst werden. Ferner kam K. Schmidt auf die von Hirtz im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit von Hinauskündigungsklauseln ohne wichtigen Grund erwähnte Rechtsfigur des „Gesellschafters minderen Rechts“ zurück, die

1 So der BGH zuletzt in NJW 2007, 2490, 2492. 2 BGHZ 154, 370, 373 = NJW 2003, 1803; BGH, NJW 2006, 765.

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Neuere Entwicklungen im Sozietätsrecht

von Flume entwickelt und geprägt worden sei3. Obwohl diese Rechtsfigur des „Gesellschafters minderen Rechts“ in der Rechtsprechung des BGH nominell abgelehnt werde und der BGH für eine Ausnahme vom generellen Verbot der Hinauskündigung ohne wichtigen Grund nach einer sachlichen Rechtfertigung sucht4, kämen der BGH und Flume doch in vielen Fällen zu den gleichen Ergebnissen5, was auf eine faktische Anerkennung dieser Lehre hinauslaufe6. Flume habe mit dieser Rechtsfigur des „Gesellschafters minderen Rechts“ also wohl doch Recht gehabt. Allerdings halte er diese Bezeichnung für psychologisch missglückt7. Sie wecke bei vielen Juristen Schutzinstinkte. Schließlich wollte K. Schmidt noch von Hirtz wissen, ob es nach seiner Erfahrung bei der Rechtsanwalts-GmbH in der Praxis auch Nebenvereinba-

3 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts – Die Personengesellschaft, 1977, S. 138 ff., 178 ff. Unter Bezugnahme auf die seinerzeit herrschende und auf eine Entscheidung des Reichsgerichts von 1938 zurückgehende Auffassung, dass in Gesellschaftsverträgen eine jeden Gesellschafter betreffende Hinauskündigungsmöglichkeit ohne wichtigen Grund vereinbart werden könne (vor 1938 wurde dies einhellig abgelehnt), welcher er widerspricht, vertritt er die Ansicht, dass für eine „grundlose“ Hinauskündigung zwischen minderberechtigten und mehrberechtigten (oder auch vollberechtigten) Gesellschaftern zu differenzieren sei, um dem Gleichheitsgebot zu genügen. Gegenüber vollberechtigten Gesellschaftern sei eine Kündigung ohne wichtigen Grund generell ausgeschlossen, da diese gegen die Willkür ihrer Mitgesellschafter abzusichern seien. Allerdings könnten neben vollberechtigten Gesellschaftsanteilen auch von Anfang an minderberechtigte entstehen. Dies wäre vor allem bei schenkweise, erbweise oder unter geringem Kapitaleinsatz erlangten Anteilen der Fall. Für diese Konstellationen bestünde kein Schutzbedürfnis, weshalb auch der Abfi ndungsanspruch des minderberechtigten Gesellschafters im Ausscheidensfalle stärker beschränkbar sei. So bestehe für einen Gesellschafter, der bei seinem Eintritt in die Gesellschaft kein Kapital aufgebracht habe, kein Bedürfnis neben seinem Recht zur Beteiligung am Gewinn auch am Liquidationsgewinn zu partizipieren. Etwas anderes solle nur gelten, wenn besondere Umstände des Einzelfalles einen Verstoß gegen § 138 BGB begründen. Entscheidend ist demnach, dass die Gesellschafterstellung des Beschränkten oder Ausgeschlossenen von Anfang an gegenüber anderen Gesellschaftern eine solche minderen Rechts darstellt. Die Rechtsausübung des mehrberechtigten Gesellschafters sei durch die Grenze des Rechtsmissbrauches und der Sittenwidrigkeit zu beschränken. Flume hat diese Rechtsfigur des „Gesellschafters minderen Rechts“ in späteren Veröffentlichungen (NJW 1979, 902 ff.; DB 1986, 629 ff.) konkretisiert. 4 Zuletzt BGH, ZEV 2007, 340, 341. 5 Goette, DStR 2006, 139, 143. 6 So auch Sosnitza, DStR 2006, 99, 100; Kilian, WM 2006, 1567, 1574; Gehrlein, BB 2005, 2433, 2434. 7 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 III 3 c.

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Pluskat – Bericht über die Diskussion

rungen gebe, wie sie typischerweise in der Sozietät in Gestalt einer GbR getroffen würden. Ein anderer Diskussionsteilnehmer griff die These des Referenten auf, dass das in § 128 HGB zum Ausdruck kommende Haftungsprinzip auf die berufshaftungsrechtlichen Verbindlichkeiten der BGB-Gesellschaft nicht passe und dass, wenn die Bearbeitung durch einen oder einige Sozien vereinbart sei, nur diese mit der Bearbeitung des Auftrags befassten Partner haften sollten. Er wollte wissen, warum das Haftungsprinzip von § 128 HGB gerade bei der beruflichen Haftung nicht passen solle. Nur diese Fälle seien tatsächlich relevant, zumal es eigentlich immer nur um die Haftung für Beratungsfehler ginge. Sonstige Haftungsfälle, in denen es dann möglicherweise bei der Haftung nach § 128 HGB bliebe, kämen dagegen kaum vor. Mit Blick auf die Frage von K. Schmidt antwortete Hirtz, dass ihm aus seiner Beratungspraxis in der Tat Fälle von Rechtsanwalts-GmbHs bekannt seien, in denen die Partner/Gesellschafter ergänzende Vereinbarungen zur Satzung getroffen hätten. Diese Fälle kämen nicht sehr häufig vor. Die Umstände solcher ergänzenden Vereinbarungen deuteten aber in eine andere Richtung, als von K. Schmidt vermutet, weswegen daraus keine Schlüsse und Verallgemeinerungen gezogen werden könnten. Es seien ihm beispielsweise Fälle bekannt, in denen es um die Miete von Räumlichkeiten, die Bereitstellung/Benutzung einer Bibliothek oder auch die Zusicherung der Anstellung der Töchter eines Partners/Gesellschafters in der Sozietät gegangen sei. Solche Zusatzvereinbarungen könnten bisweilen menschlich anrührend oder rechtlich grotesk anmuten, wären aber in der Regel nicht verallgemeinungsfähig. Es gebe aus seiner Sicht also keine typischen Neben- oder Zusatzvereinbarungen, die aus dem Recht der Sozietät in Gestalt der BGB-Gesellschaft in das Recht der Sozietät in Gestalt der Rechtsanwalts-GmbH übertragen werden könnten. Mit Blick auf die Frage nach der von Hirtz abgelehnten Anwendung des in § 128 HGB zum Ausdruck kommenden Haftungsprinzips auf die berufshaftungsrechtlichen Verbindlichkeiten der BGB-Gesellschaft gab Hirtz zu, dass man hierzu durchaus auch eine andere Meinung vertreten könne und dass die geäußerten Zweifel an der Stimmigkeit der von Hirtz geäußerten Ansicht möglicherweise ein Argument für gegenteilige Ansicht darstellen könnten.

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Stichwortverzeichnis Abfindung 40 f., 127 ff., 131, 175 ff. Analogie 70, 74 f., 78, 103, 161 Anfechtungsklage 36 ff., 109 ff. – Berufsaktionäre 36, 41 – Entlastungsbeschlüsse 136 – Freigabeverfahren 116 f., 120 ff., 132 ff. – Hauptversammlungsbeschlüsse 109 ff. – Interessenabwägungsklausel 117 ff., 134 – Kostenparallelität 36 ff. – Mindestanteilsbesitz 114 ff., 131 f. – Missbrauch 37, 41, 112, 115, 131, 136 – Nachschusspflicht 145 f. – Schadensersatz 136 – Standardrügen 41 f. – Vergleich 112 ff., 124 ff. – Zuständigkeit 122, 124, 133 – Zustellung 122 ff., 135 Aufsicht 55 f., 70 f., 79, 89, 104 Aufsichtsrat – Beratungsvertrag 32, 50 – Compliance 52, 55, 92 f., 101, 105 BaFin 89, 105 Bankensektor 66, 91 Basler Ausschuss für Bankenaufsicht 54 Beitragspflichten 43 f., 137 ff. – im Insolvenzverfahren 43 f. – Zustimmungspflicht 140 ff.

Beschlussmängel 11 ff., 47, 110 ff., 139 Bestechung 96, 98 Bestimmtheitsgrundsatz 5 ff., 71 Best practice 81, 99 f. Betriebsvereinbarung 91, 101 Bewertung 26, 37, 41, 53, 125 ff., 175 Bruttowertabschöpfung 55 Bürokratisierung 79 Business Judgement Rule 57, 77, 85 f., 100 Cash pool 30 Compliance 51 ff. – Arbeitsrecht 90 ff., 101 – Auslandssachverhalte 95 ff., 101, 105 f. – Beauftragte 60 f. – Beweislast 85 – Commitment 57 ff. – Haftungsrisiken 83 ff., 101 – Kosten-Nutzen-Vergleich 82, 100 – Legaldefinition 51 – Leitungsverantwortung des Vorstands 74 – öffentliches Interesse 77, 104 – Officer 68, 82, 93 f., 99, 104 f. – Risikoerkennung 57 ff. – Wissenszurechnung 87 f. – Zumutbarkeit 78 f., 92, 97 f. Darlehen 4, 156 Deutscher Corporate Governance Kodex 51 ff., 72 ff., 93, 99, 104, 121

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Stichwortverzeichnis

Differenzhaftung 35 f. Directors Dealings 103 Direktionsrecht 91, 101 Diskriminierung 91 Dividenden 41 Dokumentation 57, 60 ff., 82, 84 EG-Gesellschaften 24 Entlastung 84, 89, 101 – Entlastungsbeschluss, Anfechtung 89, 136 – der Gerichte 115 Entscheidungen des BGH – Autovertragshändler 22 f. – Baustoff 104 – Bremer Vulkan 21 f. – ComRoad 5 – Jenoptik II 4 – KBV 22 f. – Kolping-Konzern 4 – Laborärzte 17 f., 172 f. – LURGI 33 ff. – Novemberurteil 31 – Otto 7 f., 154 – Rhein-Möve 4 – Spielsperre 69, 79 – TBB 21 – TRIHOTEL 19, 22 ff., 48 – Weißes Ross 158 Erstattungsanspruch 20, 30, 37, 125 Ethik 54, 60, 82, 90, 98 EU-Recht 52, 56, 62, 99 f. EU-Richtlinien 52 f., 62, 73, 75 Existenzvernichtungshaftung 4, 19 ff., 48 f., 83 Festkapital 149 ff., 156 Freiberuflersozietät 12 ff., 47 f., 157 ff., 172, 179

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– Berufsträgergesellschaft 12 ff. – Kündigungsfrist 12 ff. Freistellungsanspruch 31 Frühwarnsystem 72, 89, 99 Garantenpflicht 72 Gefährdungshaftung 83 f., 87, 133 Geldwäsche 56 f., 59, 61 f., 81, 104 Gesellschafter minderen Rechts 16, 172 ff., 181 f. Globalisierung 55 GmbH & Co. KG 4, 92 Grundrechte 90, 101 Grundsätze ordnungsgemäßer Risikoüberwachung (GoR) 76 Hinauskündigung 15 ff., 47 f., 171 ff., 181 f. Immobilienfonds 9, 137 ff., 153 Insiderhandel 100 Insiderrecht 52 Insolvenzverschleppungshaftung 24 ff. Integrität 54, 109, 118 Interne Revision 54, 61 f., 74 f., 81, 88, 107 Internet 56, 72, 97 Kapitalaufbringung 20, 28 ff. Kapitalerhöhung 9, 29, 33, 42, 120 ff., 141 ff. Kapitalschutzsystem 4, 19 f., 29, 33 f., 49 Kartellrecht 52, 55 ff., 86, 97 Kernbereichslehre 6 Kollisionsrecht 90, 96 f., 101 Kommunikationsströme 82

Stichwortverzeichnis

Kontrollsystem 53, 75, 88 Konzern 28 ff., 72 – Compliance 90, 93 ff., 101, 105 f. – qualifi ziert faktischer 20 Korruption 52, 55 ff., 62, 68, 100, 106 Kosten 9, 36 ff., 61, 79, 82, 110 ff., 122 ff., 133 Kreditgewerbe 66 Kündigungsfrist 12 ff., 47 Legalitätsprinzip 53 f., 73, 76 ff., 85 Massesicherung 24 ff. Mehrheitsklausel 6 ff., 141, 144 f., 154 MiFID 66, 80, 103 Mitbestimmung 90, 101 Mitgliedschaftsrechte 7 f., 37, 42, 171 MoMiG 28, 30 f. Nachgründung 33 f. Nachschusspflichten 8 ff., 137 ff. – Abbedingung 142, 151, 153 – Einverständnis 9 – Mehrheitsentscheidung 141, 150 f. – persönliche Haftung 143 f., 155 – Sanierung der Gesellschaft 146 ff., 152, 155 f. – Zustimmung 10, 144 ff., 151 f. Nebenintervention 37 ff. Neugläubiger 24 f.

Opportunitätsprinzip 78 Organisationspflichten 71 f., 80 ff. Partenreederei 142, 153 Partnerschaftsgesellschaft 157 ff., 181 Pension 12, 14 Personengesellschaften 5 ff. – Compliance 92 – Nachschusspflichten 137 ff. – Sozietäten 157 ff. Probezeit 15 ff., 173, 179 Prüfungsausschuss 52, 93, 107 Prüfungsverbände 76 Publizität 33, 165 Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft 157 ff. Rechtsfortbildung 74 ff. Richtlinie – Abschlussprüfer 105, 107 – EU s. dort – unternehmensinterne 51 ff., 62, 80, 82, 90 Risikocontrolling 51 Risikoklasse 68, 81, 100 Risikomanagement 53, 61, 73 ff., 88, 106 Sacheinlage, gemischte 33 ff. Sachübernahme 33 ff. Safe harbour 84 Saldotheorie 34 ff. Sarbanes-Oxley-Act 90, 96 Schiedsklage 158 Selbstentmündigung 9 Sicherheitenbestellung 30 ff., 133 Sitztheorie 5 Solvabilität 52

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Stichwortverzeichnis

Sozialversicherung 26 f., 91 Sozietätsrecht 157 ff. – Berufshaftung 161 f., 179, 181 ff. – Dauer der Sozietät 169 f. – Gewinnverteilung 166 ff., 179 – Haftung neu Eintretender 163 f., 179 – Haftungszurechnung 162 – Hinauskündigung 171 ff., 181 f. – Kollektivkündigung 174 – Nebenvereinbarungen 182 f. – Rechtsscheinhaftung 164 f. – Vertragshaftung 160 ff. – Wettbewerbsverbote 174 ff. Spruchverfahren 120, 127 ff., 131 Squeeze out 40, 118, 129 Standardrügen 41 f. Strafprozessrecht 78 Strafrecht 27, 49, 55 f., 70 ff., 78, 95 Streitgenossen 38 Stufenlösung 8 Tätigkeitsverbote 89 Tochtergesellschaften 58 ff., 63, 90, 98 f., 106 Treupflicht 147, 155, 167 f.

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Überschuldung 25, 149 UMAG 36 ff., 109 f., 117 ff., 130, 135 UMTS-Lizenzen 4 Unternehmensinteressen 21, 104, 117 ff., 130 Unverzichtbarkeit eines Rechts 142 Vereinsrecht 10, 43 ff. – Beschlussanfechtung 44 – Mitgliederversammlung 44 f. – Sportverein 44 Verhältnismäßigkeitsprinzip 78, 91 Verjährung 4, 30 f., 34 Verlustverteilung 10 f., 149, 166 Verschmelzung 35 f., 41 ff. Versicherungsrecht 104, 181 Vertragsmanagement 69 Vertreter 26 ff., 70, 120, 162 Verwaltungssitz 5 Vorstand 26 f., 42, 51 ff., 84 ff., 93 – Leitungsverantwortung 73 Wal-Mart-Entscheidung 90 Wechselbalgtheorie 5 Wertpapierdienstleistungsunternehmen 53, 69 Wettbewerbsrecht 62, 174 ff. Whistleblower-Hotline 81