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German Pages 213 [214] Year 2023
Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2022 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung
Schriftenreihe der GesellschaftsrechtlichenVereinigung (Hrsg.)
Band 28
Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2022
Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR)
herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von
Manfred Born
Vorsitzender Richter am BGH, Karlsruhe
Dr. Lorenz Holler
Rechtsanwalt, Hamburg
Prof. Dr. Julia Lübke, LL.M. (Harvard)
EBS Universität Wiesbaden
Prof. Dr. Anne Sanders, M.Jur. (Oxford)
Universität Bielefeld
Prof. Dr. Gerhard H. Wächter Notar a.D., Universität Leipzig, Rechtsanwalt, Berlin
Prof. Dr. Hans-Ulrich Wilsing
Rechtsanwalt, Düsseldorf
2023
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62728-7 ©2023 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany
Vorwort Die mittlerweile 25. Jahrestagung 2022 der VGR hat am 4.11.2022 in Frankfurt/Main stattgefunden. An ihr haben ca. 200 Personen vor Ort und weitere 200 Personen virtuell teilgenommen. Der vorliegende 28. Band der VGR-Schriftenreihe enthält die Referate und Diskussionsberichte dieser Veranstaltung. Auch in diesem Jahr hatten sich Vorstand und Beirat bemüht, ein interessantes Programm zusammen zu stellen, in dem hochqualifizierte Referentinnen und Referenten spannende Themen aus den ganz unterschiedlichen Bereichen des Unternehmensrechts präsentieren. Wie üblich stand zu Beginn der Tagung die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH im Fokus. Der kurz zuvor neu bestellte Vorsitzende des II. Zivilsenats des BGH Manfred Born stellte insgesamt zehn Urteile des BGH aus den letzten zwölf Monaten vor. Ein Urteil betraf das Gesamtvermögensgeschäft in der KG, drei Urteile die Aktiengesellschaft, ein Urteil die virtuelle Versammlung nach den COVID-19Sonderregelungen bei der Genossenschaft und sechs Urteile die GmbH, davon drei ihre werbende Tätigkeit und drei weitere Fragen der Abwicklung. Vortrag und Diskussion machten deutlich wie vielfältig die aktuellen Entwicklungen des Gesellschaftsrechts sind. Im Anschluss stellte Prof. Dr. Anne Sanders von der Universität Bielefeld Say on Climate Beschlüsse von Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften vor. In Deutschland hat die VGR in ihrer Stellungnahme zum Entwurf des überarbeiteten Deutschen Corporate Governance Kodex aus dem Frühjahr 2022 die Diskussion befeuert, indem eine Anregung vorgeschlagen wurde, dass der Vorstand Say on Climate Beschlüsse bei Erfüllung des Quorums nach § 122 Abs. 2 AktG freiwillig auf die Tagesordnung setzen sollte. Nach einigen einleitenden Bemerkungen zum transformativen Gesellschaftsrecht und der Aktionärsdemokratie ging Prof. Sanders zunächst auf die Möglichkeiten, Beschlüsse über die Klimapolitik des Vorstands nach geltendem Recht auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen, ein, bevor sie die aktuelle Diskussion de lege ferenda vorstellte. Den Abschluss des Referats bildete ein eigener, im Anschluss intensiv diskutierter rechtspolitischer Vorschlag. Das zweite primär börsennotierte Gesellschaften betreffende Thema der Tagung behandelte das gerade in Kraft getretene Recht der virtuellen
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Vorwort
Hauptversammlung. RA Prof. Dr. Hans-Ulrich Wilsing stellte aus Praktikersicht die wesentlichen Vor- und Nachteile der virtuellen Hauptversammlung im Vergleich zur traditionellen Präsenz-Hauptversammlung vor und gab insbesondere Ratschläge dazu, wie der vom Gesetzgeber eingeräumte Gestaltungsspielraum für die virtuelle Hauptversammlung zweckmäßig ausgenutzt werden kann. Dabei ging er sowohl auf die erforderliche Satzungsermächtigung für die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung als auch auf die Kriterien für die Auswahlentscheidung des Vorstands zwischen beiden Formaten ein, bevor er die einzelnen Aktionärsrechte und den dazu vom Gesetzgeber gesetzten Rahmen im Einzelnen ausleuchtete. Nach der Mittagspause stellte RA Dr. Lorenz Holler die aktuelle Rechtslage zu Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen vor. Er verstand es, den durch das MoPeG und die jüngsten Entscheidungen des BGH näher ausgeformten Gestaltungsspielraum der Kautelarpraxis im Detail nachzuzeichnen und der Praxis wertvolle Hinweise für die Vertragsgestaltung zu geben. Deutlich wurde, dass Gesetzgeber und Rechtsprechung zu Änderungen der traditionell verbreiteten Formulierung von Schiedsklauseln führen werden. Im Anschluss daran befasste sich Prof. Dr. Julia Lübke von der EBS Law School in Wiesbaden mit der AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen. Sie begründete näher, warum auch Geschäftsleiteranstellungsverträge typischerweise in den Anwendungsbereich der AGBKontrolle fallen, um dann im Anschluss näher auf deren inhaltliche Kontrolle einzugehen. Dabei stellte sie sowohl die Maßstäbe für die Auslegung der als AGB qualifizierten Klauseln unter Berücksichtigung des Transparenzgebots als auch die Maßstäbe für die Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB im Einzelnen dar. Zum Abschluss wandte sie die entwickelten Grundsätze auf typische anstellungsvertragliche Klauseln wie Kopplungsklauseln, Freiwilligkeitsvorbehalte und ClawbackKlauseln an. Den Abschluss der Tagung bildete ein dogmatisch schwieriges und umstrittenes Thema aus der für viele Tagungsteilnehmer wichtigen Praxis des Unternehmenskaufs. RA Prof. Dr. Gerhard H. Wächter stellte die vielfältigen Fragen rund um Bilanzgarantien beim Unternehmenskauf dar und ging dabei ausführlich sowohl auf die Tatbestandsseite mit der Unterscheidung von weichen und harten Bilanzgarantien und der in der Konkretisierung schwierigen und umstrittenen Rechtsfolgenseite ein.
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Vorwort
Zu jedem der Referate fand eine intensive und teilweise kontroverse Diskussion statt, die in den Diskussionsberichten im Anschluss an den jeweiligen Vortrag zusammengefasst ist. Alle Beiträge sind auch bei juris online abrufbar. VGR-Mitglieder, die ihre Zugangsdaten verlegt oder nicht präsent haben sollten, können sich insoweit an den Vertrieb des Verlags Dr. Otto Schmidt (Tel.: (0221) 93738-998), E-Mail: [email protected] wenden. Vorstand und Beirat der VGR danken allen, die zum Gelingen der 25. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referentinnen und Referenten, den Verfassern der Diskussionsberichte sowie den Teilnehmern und Teilnehmerinnen an den Diskussionen. Ganz besonderer Dank gebührt Frau Heike Wieland, in deren bewährten Händen auch in diesem Jahr die organisatorische Vorbereitung und Durchführung der Tagung lag und die durch ihren unermüdlichen Einsatz für einen störungsfreien Ablauf der Tagung sowohl im Präsenz- als auch im virtuellen Format gesorgt hat. München, im Februar 2023 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Jochen Vetter
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Inhalt* Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Manfred Born Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH . . . .
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I. Das Gesamtvermögengeschäft in der KG, Urt. v. 15.2.2022 – II ZR 235/20, BGHZ 232, 375 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Gesellschaft mit beschränkter Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Genossenschaft – virtuelle Versammlung, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, ZIP 2021, 2276 . . . . . . . . . . . .
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V. Ende der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Adam Stodolski Bericht über die Diskussion des Referats Born . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Genossenschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Hans-Ulrich Wilsing Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung: wesentliche Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung? . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Schlussbetrachtung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.
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Inhalt Seite
Dr. Tom Schäfer Bericht über die Diskussion des Referats Wilsing . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Anne Sanders, M.Jur. (Oxford) Say on Climate Beschlüsse von Hauptversammlungen – und die (grüne) Zukunft des Aktienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung und Fragestellung: transformatives Gesellschaftsrecht und Aktionärsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Say on Climate – de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Say on Climate & Co – die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Shkelqim Berisha Bericht über die Diskussion des Referats Sanders . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Lorenz Holler Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen . . . . . . . . . . . . . .
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I. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten und Schiedsverfahren .
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II. Zu Inhalt und Gestaltung einer Schiedsklausel . . . . . . . . . . . . .
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III. BGH Schiedsfähigkeit IV und Konsequenzen für Rechtsanwendung und -gestaltung in Bezug auf Beschlussmängelstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 IV. Das neue Beschlussmängelrecht nach dem MoPeG und Konsequenzen für die Rechtsanwendung und -gestaltung . . . . 120 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Dr. Tobias Polke LL.M. (Univ. of Edinburgh) Bericht über die Diskussion des Referats Holler . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Prof. Dr. Julia Lübke, LL.M. (Harvard) AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen . . . . . . . . . 131 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
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Inhalt Seite
II. Geschäftsleiteranstellungsverträge im Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Durchführung der AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 IV. Anwendung auf ausgewählte Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 V. Fazit und Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Ref. iur. Johannes Mähn, M.A. Bericht über die Diskussion des Referats Lübke . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Individualvereinbarungen und die Unangemessenheit von AGB-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Der GmbH-Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Lichte des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Differenzierung anhand von § 13 BGB und Einfluss der sozialgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Einfluss gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten . . . . . . . . . . . . 168 V. Zur Zulässigkeit verschuldensunabhängiger Claw-Back-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Prof. Dr. Gerhard H. Wächter Bilanzgarantien beim Unternehmenskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Tatbestandsseite von Bilanzgarantien: „Harte“ oder „weiche Bilanzgarantien“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Rechtsfolgenseite bei Verletzungen von Bilanzgarantien: „Positives Interesse“, „negatives Interesse“ oder „Bilanzauffüllung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Magnus Habighorst Bericht über die Diskussion des Referats Wächter . . . . . . . . . . . . . . . 190 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH Manfred Born Vorsitzender Richter am BGH, Karlsruhe Rz.
Rz. I. Das Gesamtvermögengeschäft in der KG, Urt. v. 15.2.2022 – II ZR 235/20, BGHZ 232, 375 . . . . . . . . . . . II. Gesellschaft mit beschränkter Haftung. . . . . . . . . . . . . . . 1. Statischer oder dynamischer Verweis, Beschl. v. 28.6.2022 – II ZB 8/22, DB 2022, 1956 . . 2. actio pro socio in der GmbH, Urt. v. 25.1.2022 – II ZR 50/20, ZIP 2022, 635 . . . . . . . 3. Geltendmachung von Ersatzansprüchen – Besonderer Vertreter, Urt. v. 30.11.2021 – II ZR 8/21, BGHZ 232, 203 . . . . . . . . . . . III. Aktiengesellschaft. . . . . . . . . 1. Reichweite der Vertretungsbefugnis des besonderen Vertreters, Versäumnisurteil v. 21.6.2022 – II ZR 181/21, WM 2022, 1652, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Keine Bekanntmachung des Vorstandsberichts, Urt. v. 19.7.2022 – II ZR 103/20, ZIP 2022, 1644, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtigkeit eines Satzungsänderungsbeschlusses, Urt. v. 9.11.2021 – II ZR 137/20, ZIP 2022, 77 . . . . . . . . . . . . .
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IV. Genossenschaft – virtuelle Versammlung, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, ZIP 2021, 2276 . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Ende der Gesellschaft . . . . . . 1. Eintragung des gerichtlich bestellten Liquidators, Beschl. v. 26.7.2022 – II ZB 20/21, ZIP 2022, 1826 . . . . . . 2. Löschung der Gesellschaft, Schluss der Liquidation, Beschl. v. 9.11.2021 – II ZB 1/21, ZIP 2022, 122 . . . . . . . . 3. Löschung der Gesellschaft, Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug, Beschl. v. 17.5.2022 – II ZB 11/21, WM 2022, 1335 . . . . .
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
I. Das Gesamtvermögengeschäft in der KG, Urt. v. 15.2.2022 – II ZR 235/20, BGHZ 232, 375 1 Sachverhalt: Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft, die sich seit 27.4.1998 in Liquidation befindet. Kommanditisten der Klägerin waren die Streithelfer der Beklagten G. B. und J. B. mit einer Einlage von jeweils 30.000 DM, E. B. mit einer Einlage von 60.000 DM, A. S. mit einer Einlage von 24.000 DM und F.S. mit einer Einlage von 16.000 DM. Komplementärin der Klägerin war die L. Beteiligungs GmbH, deren Geschäftsführer die Streithelfer der Beklagten waren. Die Beklagte, an der die Klägerin einen Kommanditanteil von 15.600 DM hielt, ist die Herausgeberin der S. Zeitung. 2 Die Parteien schlossen am 10.2.1949 einen als solchen bezeichneten „Druckvertrag“, mit dem die Beklagte die Klägerin mit der Herstellung und dem Vertrieb der Lokalausgabe der S. Zeitung für den Bereich S. beauftragte. Am 26.1.1989 wurde die M. L. H. GmbH & Co. KG V. (im Folgenden: V.) gegründet. Komplementärin war die M. L. H. Verwaltungs-GmbH (im Folgenden: Verwaltungs-GmbH), deren einzige Gesellschafterin mit einem Anteil von 50.000 DM die Klägerin war. Den einzigen Kommanditanteil an der V. von 500.000 DM hielt ebenfalls die Klägerin. In der Folgezeit bediente sich die Klägerin der V., um ihre Verpflichtungen aus dem Druckvertrag gegenüber der Beklagten zu erfüllen. 3 In der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 23.2.1998 wurde gegen die Stimme des A. S. ein Beschluss zur Sanierung der L.-Gruppe gefasst, der auszugsweise wie folgt lautet: „Eine Sanierung der L.-Gruppe soll dadurch erfolgen, dass die Geschäftsführung der M. L. H. GmbH & Co. [Klägerin] bzw. (…) auf der Basis der vorliegenden Angebote Vermögenswerte insgesamt oder einzeln veräußern: – (…) – Verkauf der Beteiligungen am S. Verlag, (…)“
4 A. S. ging im einstweiligen Verfügungsverfahren hiergegen vor. Am 25.2.1998 stimmte er in einem zwischen den Gesellschaftern der Klägerin unter Beitritt der V. geschlossenen gerichtlichen Vergleich dem Gesellschafterbeschluss zu.
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
Am 2.4.1998 schlossen die Parteien einen Kauf- und Übertragungsver- 5 trag mit Entschuldungsvereinbarung. Darin wurden u.a. der Kommanditanteil der Klägerin an der Beklagten über 15.600 DM an die Beklagte verkauft, der Kommanditanteil der Klägerin an der V. über 500.000 DM an die Beklagte verkauft und abgetreten, der Geschäftsanteil an der Verwaltungs-GmbH an die Beklagte verkauft, sowie vereinbart, dass die V. anstelle der Klägerin mit Wirkung zum 1.4.1998 in sämtliche Rechte und Pflichten des zwischen der Klägerin und der Beklagten am 10.2.1949 abgeschlossenen Druckvertrags eintritt. Als Kaufpreis für die drei Beteiligungen wurden 6.400.000 DM vereinbart. Der Kauf- und Übertragungsvertrag wurde von allen Gesellschaftern der Klägerin mit Ausnahme von A. S. und für die Beklagte von deren einzelvertretungsberechtigten Prokuristen unterschrieben. Mit notarieller Urkunde vom selben Tag wurde der Geschäftsanteil an der Verwaltungs-GmbH an die Beklagte abgetreten. In einem als „Zustimmungsvereinbarung“ bezeichneten Vertrag zwischen der Klägerin, der Beklagten, der V. und Rechtsanwalt Dr. F. wurde der Kommanditanteil an der Beklagten, der nach den Vorstellungen der Parteien von Dr. F. treuhänderisch für die Klägerin gehalten wurde, nach Auflösung des Treuhandverhältnisses an die V. abgetreten. Nach dem Vertragstext nahm die V. die Abtretung an.
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Am 27.4.1998 fasste die Gesellschafterversammlung der Klägerin einen 7 Liquidationsbeschluss. Ein hiergegen von A. S. eingeleitetes einstweiliges Verfügungsverfahren blieb in zweiter Instanz erfolglos. Als Liquidatorin der Klägerin war zunächst die Komplementärin der Klägerin bestellt. Durch Gerichtsbeschluss vom 8.12.2006 wurde diese abberufen. Am 31.5.2007 wurde ein neuer Liquidator bestellt. Das Begehren der Klägerin ist im Wesentlichen auf die Feststellung des 8 Fortbestands der übertragenen Beteiligungen bzw. auf Rückübertragung gerichtet. Darüber hinaus macht sie Auskunftsansprüche in Bezug auf gezogene Nutzungen geltend und verlangt die Feststellung des Fortbestands des Druckvertrags. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Anträge weiter.
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
9 Entscheidung des BGH: Die Revision hatte keinen Erfolg! Ohne Erfolg macht die Revision geltend, der Kauf- und Übertragungsvertrag vom 2.4.1998 sei unwirksam, weil es an einer analog § 179a Abs. 1 Satz 1 AktG erforderlichen Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung der Klägerin über den Vertrag fehle. 10 Denn § 179a Abs. 1 Satz 1 AktG ist auf die Kommanditgesellschaft nicht analog anwendbar. Dies begründet der II. Zivilsenat vor allem damit, dass dem Schutzanliegen von § 179a AktG, die gesellschaftsinterne Kontrolle der Geschäftsführung bei Gesamtvermögensgeschäften durch die Beteiligung der Gesellschafter zu gewährleisten, bei der Kommanditgesellschaft auch ohne entsprechende Anwendung der Norm durch einen gesetzlich verankerten Beschlussvorbehalt Rechnung getragen wird. Zur Vornahme eines solchen, regelmäßig über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgehenden Geschäfts, muss die Geschäftsleitung gemäß § 116 Abs. 2, § 119 Abs. 1, § 161 Abs. 2, § 164 HGB bei der Kommanditgesellschaft einen zustimmenden Beschluss sämtlicher Gesellschafter unter Einschluss der Kommanditisten einholen, sofern nicht nach dem Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsentscheidung zulässig ist. Eine systemfremde Beschränkung der Vertretungsmacht des Geschäftsführers mit Außenwirkung bei entsprechender Anwendung des § 179a AktG und die damit einhergehende Beeinträchtigung des redlichen Rechtsverkehrs, mit der Rechtsunsicherheit hervorgerufen und Haftungsrisiken geschaffen werden, verbietet sich. 11 Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die Unwirksamkeit des Kauf- und Übertragungsvertrags nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht verneint, weil die Gesellschafter der Klägerin den Vertrag mit dem Liquidationsbeschluss vom 27.4.1998 konkludent genehmigt haben. 12 Ein unter Missbrauch der Vertretungsmacht abgeschlossenes Rechtsgeschäft kann in entsprechender Anwendung des § 177 Abs. 1 BGB genehmigt werden. Dies gilt auch bei organschaftlicher Vertretung. Missachtet ein Geschäftsführer einen Zustimmungsvorbehalt, ist die Person bzw. das Gremium zur Erteilung der Genehmigung befugt, in dessen Kompetenz die übergangene Zustimmung fällt, hier die Gesellschafter-
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
versammlung. Die gemäß § 184 Abs. 1 BGB ex tunc wirkende Genehmigung kann auch konkludent erteilt werden.
II. Gesellschaft mit beschränkter Haftung 1. Statischer oder dynamischer Verweis, Beschl. v. 28.6.2022 – II ZB 8/22, DB 2022, 1956 13
Sachverhalt: Der Antragsteller ist Gründungsgesellschafter und bestellter Geschäftsführer der c. UG (haftungsbeschränkt). Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 11.6.2021 meldete er die Gesellschaft, die abstrakte Vertretungsregelung und seine Bestellung zum Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister an. In der Anmeldung versicherte er u.a.: „Es liegen keine Umstände vor, aufgrund derer ich nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 GmbHG vom Amt eines Geschäftsführers ausgeschlossen wäre. a) Während der letzten 5 Jahre wurde ich nicht rechtskräftig verurteilt … nach § 263 StGB (Betrug), § 263a StGB (Computerbetrug), § 264 StGB (Subventionsbetrug), § 264a StGB (Kapitalanlagebetrug), § 265b StGB (Kreditbetrug), § 266 StGB (Untreue) oder § 266a StGB (Vorenthalten oder Veruntreuen von Arbeitsentgelt). Auch im Ausland wurde ich nicht wegen einer vergleichbaren Tat rechtskräftig verurteilt.“
Das Registergericht hat den Eintragungsantrag mit der Begründung 14 zurückgewiesen, dass sich die Versicherung nicht auf § 265c StGB (Sportwettbetrug), § 265d StGB (Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben) und § 265e StGB (Besonders schwere Fälle des Sportwettbetrugs und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben) beziehe. Die Beschwerde des Antragstellers blieb ohne Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Eintragungsantrag weiter. 15
Entscheidung des BGH: Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg! Der II. Zivilsenat hatte folgende Frage zu beantworten: Verweist § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 Buchst. e GmbHG auch auf die durch Gesetz vom 11.4.2017 neu in das Strafgesetzbuch eingefügten Vorschriften der §§ 265c bis 265e StGB oder enthält er einen statischen Verweis, der sich einzig auf die bei Inkrafttreten der Vorschrift am 1.11.2008 (Gesetz vom 23.10.2008 – MoMiG,
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
BGBl. I 2026) geltenden Straftatbestände der §§ 263 bis 264a StGB und §§ 265b bis 266a StGB bezieht? 16 Die Antwort lautete: § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 Buchst. e GmbHG enthält keinen statischen Verweis, der sich einzig auf die bei Inkrafttreten der Vorschrift am 1.11.2008 (Gesetz vom 23.10.2008 – MoMiG, BGBl. I 2026) geltenden Straftatbestände der §§ 263 bis 264a StGB und §§ 265b bis 266a StGB bezieht. § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 Buchst. e GmbHG verweist daher auch auf die durch Gesetz vom 11.4.2017 neu in das Strafgesetzbuch eingefügten Vorschriften der §§ 265c bis 265e StGB. 17 Dem liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Der Wortlaut von § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 Buchst. e GmbHG ist eindeutig. Er schließt die §§ 265c, 265d und 265e StGB ein. Bei diesem Befund bedeutete der Ausschluss dieser Vorschriften eine teleologische Reduktion. Eine teleologische Reduktion kommt in Betracht, wenn der Wortlaut einer Norm mit Blick auf ihren Zweck zu weit gefasst ist. Sie setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ob eine solche Lücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Diese Voraussetzungen lassen sich nicht feststellen. Damit fehlt es an einer Rechtfertigung der Gegenauffassung. Denn wegen der Gesetzesbindung des Richters (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 GVG) ist eine teleologische Reduktion nur gerechtfertigt, wenn ihre Voraussetzungen belegt sind.
2. actio pro socio in der GmbH, Urt. v. 25.1.2022 – II ZR 50/20, ZIP 2022, 635 18
Sachverhalt: Der Kläger ist mit einem Geschäftsanteil von 160.000 t an der G. GmbH i. L. (im Folgenden auch: Gesellschaft) beteiligt, deren Stammkapital 800.000 t beträgt. Der Beklagte zu 1 war Geschäftsführer der Gesellschaft. Die frühere Beklagte zu 2 ist Mitgesellschafterin der Gesellschaft und hält die restlichen Geschäftsanteile i.H.v. 640.000 t.
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Die Gesellschaft exportierte von der Beklagten zu 2 geliefertes Schweinefleisch nach Südkorea. Die Kaufpreise sollten durch Teilabtretungen von Akkreditivansprüchen eines Zwischenhändlers beglichen werden, die sich i.H.v. 963.780,40 t als nicht werthaltig erwiesen. Für die Forderungsausfälle macht der Kläger den Beklagten zu 1 verantwortlich. Er
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macht mit der Klage in dieser Höhe einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft aus Geschäftsführerhaftung gelten Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil auf die Berufung des Klägers hin abgeändert und den Beklagten zu 1 u.a. zur Zahlung von 963.780,40 t an die G. GmbH i. L. verurteilt.
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Entscheidung des BGH:
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Die Revision des Beklagten zu 1 hatte Erfolg! Der II. Zivilsenat hat entschieden, dass ein Gesellschafter einer GmbH Ansprüche der Gesellschaft aus § 43 Abs. 2 GmbHG gegen ihren Fremdgeschäftsführer grundsätzlich nicht im eigenen Namen geltend machen kann. Er kann seine Klagebefugnis nicht auf eine actio pro socio stützen. Dem liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Als actio pro socio wird die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem 22 Gesellschaftsverhältnis durch einen Gesellschafter im eigenen Namen gegen einen Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft bezeichnet. Auch der Gesellschafter einer GmbH ist bei grundsätzlichem Vorrang der inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt, einen Mitgesellschafter aus der gesellschafterlichen Treuepflicht auf Leistung an die Gesellschaft in Anspruch zu nehmen. Auch kann in der Verletzung der Organpflichten eines Gesellschafter-Geschäftsführers zugleich eine Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht liegen. Die dem Gesellschafter hiernach zukommende Klagebefugnis erstreckt sich jedoch grundsätzlich nicht auf Ansprüche gegen den Geschäftsführer, der nicht auch Gesellschafter der GmbH ist. Insoweit fehlt es an einer die actio pro socio rechtfertigenden Sonderbeziehung. Eine Öffnung der Gesellschafterklage für Ansprüche der Gesellschaft ge- 23 gen den Fremdgeschäftsführer im Allgemeinen ist nicht angezeigt. Denn damit ginge zwangsläufig die Entwertung der Kompetenzen der Gesellschafterversammlung nach § 46 Nr. 8 Var. 1 GmbHG einher, die gute Gründe dafür haben mag, von der Verfolgung vermeintlicher, fragwürdiger und sogar zweifelsfreier Ansprüche gegen den Fremdgeschäftsführer abzusehen. Weigert sich die Gesellschafterversammlung, einen Anspruch gegen den Fremdgeschäftsführer zu verfolgen, kann jeder Gesellschafter die Rechts-
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verfolgung durch Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage erzwingen. 25 Der Minderheitsgesellschafter kann zudem, wenn die Gesellschaftermehrheit es treuwidrig unterlässt, Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen, Schadensersatz im Wege der actio pro socio gegen die Mehrheitsgesellschafter geltend machen.
3. Geltendmachung von Ersatzansprüchen – Besonderer Vertreter, Urt. v. 30.11.2021 – II ZR 8/21, BGHZ 232, 203 26
Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, hat drei Gesellschafterinnen. 50 % ihres Stammkapitals hält die C. GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer R. ist. Weitere 40 % des Stammkapitals hält die insolvente H. GmbH (im Folgenden: H.), deren Alleingesellschafter W. ist. Die übrigen 10 % entfallen auf die insolvente HI. mbH (im Folgenden: HI.). Geschäftsführer der Klägerin war bis Juni 2008 W., ab Ende 2008 zudem R., im August 2010 wurde Ri. zum weiteren Geschäftsführer der Klägerin bestellt.
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Alleingesellschafterin der beklagten GmbH ist die L. GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer wiederum R. ist.
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Die Gesellschafterinnen der Klägerin fassten am 14./15.6.2016 im Umlaufverfahren einen Beschluss, in dem der Insolvenzverwalter der Gesellschafterin H., Rechtsanwalt B., ermächtigt wurde, die Rechtsanwälte H. mit der Erhebung einer Klage gegen die Beklagte auf Feststellung der Unwirksamkeit eines zwischen den Parteien geschlossenen Prozessfinanzierungsvertrags vom 21./22.2.2011 zu beauftragen.
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In der Folge erhob die Klägerin, vertreten durch den besonderen Vertreter B., gegen die Beklagte eine entsprechende Feststellungsklage. Das LG hat die Klage als unbegründet abgewiesen, wogegen sich die Klägerin mit ihrer Berufung gewandt hat.
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Während des Berufungsverfahrens haben am 9.12.2019 die Gesellschafterinnen der Klägerin einstimmig den Beschluss gefasst, dass der Insolvenzverwalter der H. in dem Beschluss vom 15./16.6.2016 als besonderer Vertreter „i.S.d. § 46 Nr. 8 Var. 2 GmbHG (analog) ermächtigt worden ist und werden sollte“. Am 17.12.2019 hatten die H. und die HI.
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gegen die Stimmen der C. GmbH u.a. für eine Neufassung und Ergänzung des Beschlusses vom 15./16.6.2016 gestimmt, insbesondere für die vorsorgliche Ermächtigung des besonderen Vertreters zur Klageerhebung als besonderer Vertreter i.S.v. § 46 Nr. 8 Fall 2 GmbHG (analog) rückwirkend auf den 15.6.2016 (TOP 4 Nr. 1), zur Ausschöpfung des Instanzenwegs (TOP 4 Nr. 2), zur Erhebung einer Leistungsklage, gerichtet auf die Rückzahlung der auf den Prozessfinanzierungsvertrag erbrachten Zahlungen (TOP 4 Nr. 3), und einer negativen Feststellungsklage (TOP 4 Nr. 4). Die Klägerin hat die Klage um den Antrag auf Rückzahlung der von der Klägerin auf den Prozessfinanzierungsvertrag geleisteten 5.873.896,55 t und um den Antrag auf Feststellung, dass der Beklagten gegenüber der Klägerin ein Anspruch aus dem Prozessfinanzierungsvertrag nicht zusteht, erweitert. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zu- 31 rückgewiesen, dass die Klage unzulässig sei. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter, den Zahlungsantrag jedoch nur i.H.v. 4.458.599,87 t nebst Zinsen. 32
Entscheidung des BGH: Die Revision hatte Erfolg! Das Berufungsgericht meinte: Der wirksamen Klageerhebung stehe die mangelnde gesetzliche Vertretungsbefugnis (§ 51 Abs. 1 ZPO) des besonderen Vertreters entgegen. Mit Beschlussfassungen vom 14./15.6.2016 und vom 9.12.2019 habe die Klägerin einen besonderen Vertreter nach § 46 Nr. 8 Fall 2 GmbHG nicht bestimmen können, weil es sich bei der Beklagten nicht um eine Geschäftsführerin der Klägerin gehandelt habe.
Der II. Zivilsenat hat das anders gesehen: § 46 Nr. 8 GmbHG soll die un- 33 voreingenommene Prozessführung der Gesellschaft in Rechtsstreitigkeiten sicherstellen, in denen die nach § 35 GmbHG an sich zur Vertretung berufenen Geschäftsführer insgesamt oder teilweise nicht als Vertretungsorgan in Betracht kommen, weil die Gefahr besteht, dass sie wegen der eigenen Betroffenheit befangen sind. Im Hinblick auf den Normzweck ist nach der Rechtsprechung des BGH eine entsprechende Anwendung des § 46 Nr. 8 GmbHG möglich bei Prozessen der Gesellschaft gegen einen Gesellschafter, wenn dem Gesellschafter neben dem Geschäftsführer dieselbe oder eine in engem Zusammenhang stehende Pflichtverletzung vorgeworfen wird. Entsprechend § 46 Nr. 8 GmbHG kann zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen, die mit einer Pflicht-
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verletzung des Geschäftsführers begründet werden, ein besonderer Vertreter bestellt werden, auch wenn nicht der Geschäftsführer selbst, sondern eine von ihm mittelbar beherrschte Gesellschaft in Anspruch genommen werden soll. 34 Der besondere Vertreter der Klägerin war aufgrund des Beschlusses der Gesellschafterinnen der Klägerin vom 17.12.2019 als gesetzlicher Vertreter i.S.d. § 51 ZPO zur Klageerweiterung in der Berufungsinstanz befugt. Der Beschluss ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wirksam zustande gekommen, obwohl die C. GmbH mit einer Beteiligung von 50 % dagegen stimmte. Die C-GmbH unterlag einem Stimmverbot. 35 Ist ein GmbH-Gesellschafter Alleingesellschafter einer Drittgesellschaft, besteht nach der Rechtsprechung des BGH zu § 47 Abs. 4 GmbHG für ihn ein Stimmverbot bei einer Beschlussfassung, die die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegen diese Drittgesellschaft betrifft. Das Stimmverbot trifft auch eine GmbH-Gesellschafterin, wenn sie zwar nicht selbst Gesellschafterin der Drittgesellschaft ist, aber ihr Alleingesellschafter, hier der R., (mittelbarer) Alleingesellschafter der Drittgesellschaft ist.
III. Aktiengesellschaft 1. Reichweite der Vertretungsbefugnis des besonderen Vertreters, Versäumnisurteil v. 21.6.2022 – II ZR 181/21, WM 2022, 1652, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt 36 Sachverhalt: Mit Beschlüssen der Hauptversammlung der beklagten Aktiengesellschaft vom 30.6.2014 und 30.4.2015 wurde ein besonderer Vertreter nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG bestellt, um Ersatzansprüche der Gesellschaft u.a. gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder geltend zu machen. In dem Bestellungsbeschluss vom 30.6.2014 ist u.a. Folgendes bestimmt: „Der besondere Vertreter darf sich ihm geeignet erscheinender Hilfspersonen, insbesondere solcher, die zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet sind, bedienen und sich insbesondere in rechtlicher und technischer Hinsicht (z.B. durch einen Fachmann auf dem Gebiet der Gelatine, Gelatineproduktion bzw.-verarbeitung) beraten und unterstützen lassen.“
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Aus Anlass des Bestellungsbeschlusses vom 30.6.2014 schlossen der be- 37 sondere Vertreter und die Beklagte eine Mandatsvereinbarung, in der sie die Befugnis, Hilfspersonen hinzuzuziehen, gleichlautend regelten sowie eine Vergütungsvereinbarung, nach der der besondere Vertreter berechtigt sein sollte, für seine und die von Hilfspersonen zu erbringenden Beratungsleistungen einen angemessenen Vorschuss in Rechnung zu stellen. Mit Bestellungsbeschluss vom 30.4.2015 wurde der Auftrag zur Geltendmachung unter Wiedergabe des Beschlusswortlauts vom 30.6.2014 auf weitere Anspruchsgegner erstreckt. Auf der Grundlage der Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse 38 machte der besondere Vertreter in zwei erstinstanzlichen Verfahren Ersatzansprüche geltend. Nach einem klageabweisenden Urteil schloss der besondere Vertreter im Namen der Beklagten mit der Klägerin, einer Anwalts-Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, eine später erweiterte „Mandats- und Vergütungsvereinbarung“, deren Gegenstand die zivilrechtliche Beratung und Prozessvertretung der Beklagten im Zusammenhang mit diesen beiden Rechtsstreitigkeiten war. Vereinbart wurden ein Stundensatz i.H.v. 350 t netto und eine Abrechnung in Zeiteinheiten von 6 Minuten. Der Klägerin wurde gestattet, in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen zu stellen. Die Klägerin stellte der Beklagten, vertreten durch den besonderen Ver- 39 treter, mehrere Zwischenrechnungen. Der besondere Vertreter billigte die Rechnungen und leitete sie jeweils dem Vorstand der Beklagten mit der Bitte um Ausgleich zu. Die ersten beiden Honorarrechnungen ließ der Vorstand bezahlen, behielt sich zuletzt jedoch Schadensersatzansprüche gegen den besonderen Vertreter wegen der Höhe des für nicht mehr vertretbar gehaltenen Aufwands vor. Gegen die Honorarrechnung vom 6.11.2017 über 380.347,80 t wandte der Vorstand ein, dass ein unsachgemäß hoher Aufwand abgerechnet werde. Die Beklagte bezahlte einen Teilbetrag i.H.v. 305.587,72 t. Die Zahlung des Restbetrags und weiterer vom besonderen Vertreter gebilligter Honorarrechnungen der Klägerin lehnte der Vorstand ab. Mit ihrer gegen die Beklagte, vertreten durch den besonderen Vertreter 40 gerichteten Klage verlangt die Klägerin weitergehende Vergütung i.H.v. 308.969,75 t. Der besondere Vertreter hat für die Beklagte erklärt, er erkenne die Ansprüche der Klägerin unter dem Vorbehalt des Vorliegens der Prozesshandlungsvoraussetzungen an. Der Vorstand hat für die Beklagte Klageabweisung beantragt. Später hat die Beklagte, nunmehr ver-
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treten durch Vorstand und Aufsichtsrat, eine von zwei Vorstandsmitgliedern und dem Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnete Vollmacht sowie einen Protokollauszug der Aufsichtsratssitzung vom 17.12.2018 eingereicht. Danach hat sich der Aufsichtsrat dem Vorstand angeschlossen, vorsorglich selbst im Namen der Gesellschaft einen Prozessvertreter beauftragt und sämtliche Prozesshandlungen genehmigt, die durch den vom Vorstand beauftragten Prozessvertreter vorgenommenen wurden. 41 Das LG1 hat die Beklagte entsprechend ihres Anerkenntnisses verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten, vertreten durch Vorstand und Aufsichtsrat, hat das Berufungsgericht das Urteil des LG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision strebt die Klägerin die Zurückweisung der Berufung der Beklagten an. 42 Das Berufungsgericht2 hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unzulässig, weil die Beklagte durch den besonderen Vertreter nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten werde. 43 Entscheidung des BGH: Die Revision der Klägerin hatte Erfolg! Der II. Zivilsenat hat die Vertretungsbefugnis des besonderen Vertreters bejaht. 44 Der besondere Vertreter ist insoweit gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft, als seine Befugnis reicht, Ersatzansprüche gegen Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats im Namen der Gesellschaft zu verfolgen. Diese Vertretungsmacht ist ein abgespaltener Teil der umfassenden gesetzlichen Vertretungsmacht des Vorstands. Im Rahmen seines Aufgabenkreises ist der besondere Vertreter Organ der Gesellschaft. 45 Die Vertretungsbefugnis des besonderen Vertreters erstreckt sich auf die zur Geltendmachung der Ersatzansprüche erforderlichen Hilfsgeschäfte. Zu diesen Hilfsgeschäften gehört die Beauftragung eines Rechtsanwalts im Namen der Gesellschaft für die Verfolgung der Ersatzansprüche und die Befugnis zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Rechtsanwalt in einem Erkenntnisverfahren, das vor dem Ab1 LG Heidelberg v. 9.8.2019 – 4 O 366/18, ZIP 2020, 416. 2 OLG Karlsruhe v. 20.10.2021 – 11 U 10/19, ZIP 2022, 948.
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schluss der Geltendmachung der Ersatzansprüche wegen einer Streitigkeit über Honoraransprüche aus dem Auftragsverhältnis beginnt (Ls).
2. Keine Bekanntmachung des Vorstandsberichts, Urt. v. 19.7.2022 – II ZR 103/20, ZIP 2022, 1644, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt 46
Sachverhalt: Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Die Kläger sind Aktionäre der Beklagten. Am 28.4.2016 veröffentlichte der Vorstand der Beklagten im elektronischen Bundesanzeiger die Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung zum 9.6.2016. Unter TOP 5 sollte ein Beschluss zur Ermächtigung des Vorstands zur Ausgabe von Options- und/oder Wandelanleihen, Genussrechten oder Gewinnschuldverschreibungen herbeigeführt werden. Das Bezugsrecht der Aktionäre sollte der Vorstand unter bestimmten Bedingungen mit Zustimmung des Aufsichtsrats ausschließen können. Die Beklagte machte weder den vollständigen noch den wesentlichen Inhalt des Berichts des Vorstands zum Ausschluss des Bezugsrechts bekannt. In der Einberufung wurde darauf hingewiesen, dass bestimmte, näher bezeichnete Dokumente zur Einsicht in den Geschäftsräumen der Beklagten auslägen und jeder Aktionär auf Anforderung eine Abschrift dieser Unterlagen erhalten könne. Der Vorstandsbericht war dabei nicht aufgeführt.
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Die Hauptversammlung, an der die Kläger nicht teilnahmen, fasste den 48 Beschluss zu TOP 5, den die Kläger für nichtig erklären lassen wollen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Eine Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts des Vorstandsberichts zum Bezugsrechtsausschluss entsprechend § 124 Abs. 2 Satz 3 Fall 2 AktG i.d.F. vom 22.12.2015 sei nicht erforderlich. Jedenfalls seit dem ARUG vom 30.7.2009 könne eine planwidrige Regelungslücke nicht mehr angenommen werden, da dort eine Neustrukturierung der Vorschriften zur Einberufung der Hauptversammlung (§ 121 AktG) und
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zu Ergänzungsverlangen bzw. Vorschlägen zur Beschlussfassung (§ 124 AktG) erfolgt sei. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG erfordere seither, den Vorstandsbericht „zugänglich zu machen“. Zudem seien mit dem Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) vom 12.12.2019 (BGBl. I 2637) erneut Änderungen in § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG a.F. erfolgt, ohne den Vorstandsbericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG in die Bekanntmachungspflichten aufzunehmen. 51 Ein Einberufungs- bzw. Bekanntmachungsfehler liege auch nicht darin, dass der Vorstandsbericht zum Bezugsrechtsausschluss in der Einladung zur Hauptversammlung nicht in der Liste der zur Einsicht ausliegenden Unterlagen aufgeführt sei. Selbst für börsennotierte Gesellschaften sei nur gemäß § 121 Abs. 3 Satz 3 AktG vorgeschrieben, dass in der Einberufung die Internetseite der Gesellschaft anzugeben sei, über die die Informationen nach § 124a Satz 1 Nr. 3 AktG zugänglich seien. 52 Entscheidung des BGH: Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgten die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Ohne Erfolg! 53 Der II. Zivilsenat hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Ermächtigung des Vorstands zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen nach § 221 Abs. 2 AktG kann vorsehen, dass der Vorstand analog § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) entscheidet. Entsprechendes gilt für die Ermächtigung zur Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten. 54 Die beabsichtigte Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts ist nach § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG ausdrücklich und ordnungsgemäß bekanntzumachen. Der Vorstand hat der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über den Grund für die Ermächtigung zum teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Bezugsrechts zugänglich zu machen (§ 186 Abs. 4 Satz 2 AktG). Eine weitergehende Bekanntmachungspflicht besteht nicht. Der Bericht des Vorstands über die beabsichtigte Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre gemäß § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG muss nicht entsprechend § 124 Abs. 2 Satz 3 Fall 2 AktG a.F. mit seinem wesentlichen Inhalt bekannt gemacht werden.
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Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich: Es genügt grundsätzlich 55 die fristgerechte Bekanntmachung der Tagesordnung einschließlich der Beschlussvorschläge (§ 121 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1, § 123 Abs. 1 AktG) als sachgemäße Information der Aktionäre. Für einen beabsichtigten Ausschluss des Bezugsrechts hat der Gesetzgeber in § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG gesteigerte Anforderungen aufgestellt, wonach der Ausschluss ausdrücklich und ordnungsgemäß bekannt gemacht werden muss. Eine über § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG hinausgehende Bekanntmachungspflicht für den wesentlichen Inhalt des Berichts des Vorstands ist im Gesetz nicht angelegt. Eine Pflicht zur Bekanntmachung des Vorstandsberichts entsprechend § 124 Abs. 2 Satz 3 Fall 2 AktG a.F. widerspricht Sinn und Zweck der Norm, da dieser nicht Gegenstand der Beschlussfassung ist. Dem auf Kenntnis des Gegenstands der Beschlussfassung gerichteten Informationsinteresse der Aktionäre wird durch die ordnungsgemäße Bekanntmachung des beabsichtigten Bezugsrechtsausschlusses gemäß § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG genüge getan. § 16 Abs. 4 Satz 7 WpÜG ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Es handelt sich um eine Sondervorschrift, die dem Umstand Rechnung trägt, dass die Zielgesellschaft, insbesondere im Fall eines Übernahmeangebots, die Möglichkeit haben muss, sofort zu reagieren. Der II. Zivilsenat ließ weiter offen, ob der Bericht des Vorstands durch eine entsprechende Anwendung von § 175 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG im Vorfeld der Hauptversammlung in den Geschäftsräumen der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre ausgelegt und diesen auf Verlangen abschriftlich zugesandt werden muss.
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Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass der Vorstands- 57 bericht zur beabsichtigten Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss nicht in der Liste der zur Einsicht ausliegenden und auf Anfrage in Abschrift zu übersendenden Unterlagen aufgeführt werden musste. Eine Aufnahme in die Liste der ausliegenden Unterlagen ist auch dann nicht erforderlich, wenn sich der Mindeststandard nach § 175 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG entsprechend richtet. Es besteht keine ungeschriebene Verpflichtung für die AG, in der Einberufung zur Hauptversammlung auf die Auslegung der Unterlagen und die Möglichkeit, Abschriften zu erhalten, hinzuweisen.
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3. Nichtigkeit eines Satzungsänderungsbeschlusses, Urt. v. 9.11.2021 – II ZR 137/20, ZIP 2022, 77 58 Sachverhalt: Die 1889 gegründete Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 3.120.000 t. Der Kläger ist Minderheitsaktionär mit einer Beteiligung i.H.v. 1.313 t. Rund 16 % des Grundkapitals entfallen auf Aktionäre, die der Beklagten seit Jahrzehnten unbekannt sind. 59 Nach Einberufung und Bekanntgabe im Bundesanzeiger fand am 9.7.2018 eine Hauptversammlung statt, auf der unter Tagesordnungspunkt 8 die Ergänzung der Satzung um einen § 19 beschlossen wurde. Er lautet: „§ 19 Abwicklung der Gesellschaft (1) Im Falle der Abwicklung der Gesellschaft wird das nach der Berichtigung der Verbindlichkeiten verbleibende Vermögen der Gesellschaft nach den gesetzlichen Bestimmungen unter den Aktionären verteilt. (2) Sollten einzelne Aktionäre zum Zeitpunkt der Verteilung des Vermögens unter den Aktionären unbekannt sein, ist der auf die unbekannten Aktionäre entfallende Anteil an verteilungsfähigem Vermögen für die Dauer von 3 Jahren zu hinterlegen. Die 3-jährige Hinterlegungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Aufruf der Gläubiger bekannt gemacht worden ist (§ 272 Abs. 1 AktG). (3) Die Kosten für die Hinterlegung werden von den auf die unbekannten Aktionäre entfallenden Anteile am verteilungsfähigen Vermögen abgezogen. (4) Soweit innerhalb der Frist unbekannte Aktionäre berechtigterweise einen Anspruch auf Auszahlung des auf sie entfallenden hinterlegten und verteilungsfähigen Vermögens geltend machen, sind die Zuständigen verpflichtet, auf die entsprechend anteilige Freigabe dieses hinterlegten Vermögens hinzuwirken. (5) Soweit innerhalb der Frist keine berechtigten Ansprüche auf den hinterlegten Betrag geltend gemacht werden, wird der nach Ablauf der Frist verbleibende hinterlegte Betrag unter den zum Zeitpunkt des Fristablaufs bekannten Aktionäre der Gesellschaft anteilig verteilt.“
60 Der Kläger erklärte für sich und weitere von ihm vertretene Aktionäre Widerspruch gegen den Hauptversammlungsbeschluss. Er begehrt die Nichtigerklärung, hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit dieses Beschlusses.
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Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung blieb ohne Erfolg. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
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Entscheidung des BGH:
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Die Revision hatte Erfolg! Nach Auffassung des II. Zivilsenats beeinträchtigt § 19 Abs. 2 der Satzung die Rechtsstellung der Gesellschaftsgläubiger und unterliegt mit diesem Inhalt von vornherein nicht der Satzungshoheit der Aktionäre. Die Regelung verstößt gegen die gläubigerschützende Vorschrift des § 272 Abs. 1 AktG und ist deshalb nichtig. § 272 Abs. 1 AktG verbietet die Verteilung von Vermögen an die Aktionäre vor Ablauf eines Jahres, seit dem der Aufruf der Gläubiger bekannt gemacht worden ist. Nach dem § 272 Abs. 1 AktG zugrunde liegenden Thesaurierungsgebot ist in diesem Stadium der Liquidation jegliche Auszahlung von Gesellschaftsvermögen verboten, da wegen der vorrangigen Gläubigerbefriedigung nicht nur der Gesamtvermögensbestand, sondern auch die Liquidität der aufgelösten Gesellschaft zu sichern ist.
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§ 19 Abs. 2 der Satzung sieht eine i.S.v. § 272 Abs. 1 AktG vorzeitige 64 Verteilung des Gesellschaftsvermögens an die Aktionäre vor. Durch die Hinterlegung wird das Vermögen der Beklagten i.S.v. § 272 Abs. 1 AktG verteilt, auch wenn sie nicht auf das Recht zur Rücknahme verzichtet hat (§ 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Nichtigkeit der von der Hauptversammlung mit § 19 Abs. 2 Satz 2 beschlossenen Satzungsänderung hat die Nichtigkeit des gesamten angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses zur Folge.
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IV. Genossenschaft – virtuelle Versammlung, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, ZIP 2021, 2276 66
Sachverhalt: Die Beteiligte zu 1 hat am 2.12.2020 beim AG – Registergericht – beantragt, die Verschmelzung der Beteiligten zu 2, einer eingetragenen Genossenschaft, auf sie im Genossenschaftsregister einzutragen. Das Registergericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil der Verschmelzungsbeschluss der Beteiligten zu 2 am 30.11.2020 in einer virtuellen
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Vertreterversammlung gefasst worden war. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Beteiligten zu 2 vom 23.12.2020 ist vom OLG zurückgewiesen worden. Dagegen richtete sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2. 67 Entscheidung des BGH: Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg! Nach Auffassung des II. Zivilsenats konnte der Verschmelzungsbeschluss bei der Beteiligten zu 2 in einer virtuellen Vertreterversammlung gefasst werden. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich: 68 Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 GesRuaCOVBekG können Beschlüsse der Mitglieder einer Genossenschaft auch dann schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies in der Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist oder die Satzung keine Regelungen zu schriftlichen oder elektronischen Beschlussfassungen einschließlich zu virtuellen Versammlungen enthält; die elektronische Beschlussfassung schließt Beschlussfassungen in Gestalt von virtuellen Generalversammlungen ohne physische Präsenz der Mitglieder ein. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 5 GesRuaCOVBekG gilt dies entsprechend für Vertreterversammlungen i.S.d. § 43a GenG; insbesondere sind auch virtuelle Vertreterversammlungen ohne physische Präsenz der Vertreter ohne entsprechende Regelungen in der Satzung zulässig. 69 Nach § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG kann auch der Verschmelzungsbeschluss einer Genossenschaft in einer virtuellen Versammlung gefasst werden. Das Versammlungserfordernis des § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG steht dem nicht entgegen. § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG verlangt nicht zwingend, dass die Anteilsinhaber bei der Versammlung physisch anwesend sind. Die Versammlung kann vielmehr auch virtuell durchgeführt werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Die Abhaltung einer virtuellen Versammlung muss nach dem Gesetz oder der Satzung für den jeweiligen Rechtsträger zulässig sein und die Möglichkeiten der Anteilsinhaber zum Meinungsaustausch mit den Gesellschaftsorganen und untereinander muss einer physischen Versammlung vergleichbar sein.
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V. Ende der Gesellschaft 1. Eintragung des gerichtlich bestellten Liquidators, Beschl. v. 26.7.2022 – II ZB 20/21, ZIP 2022, 1826 70
Sachverhalt: Die Beteiligte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wurde 2006 gemäß § 141a FGG wegen Vermögenslosigkeit gelöscht. Mit Beschluss vom 6.12.2019 hat das AG Charlottenburg K. gemäß § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG zum Liquidator bestellt und den „Wirkungskreis des Nachtragsliquidators (…) auf die Vertretung und die Wahrnehmung der Rechte der gelöschten Gesellschaft hinsichtlich der im Eigentum der Gesellschaft stehenden Teileigentumseinheiten G. straße/O. straße verzeichnet im Grundbuch von F. Blatt“ beschränkt.
Unter dem 27.5.2021 hat K. beantragt, die Beteiligte und sich „als Nach- 71 tragsliquidator“ in das Handelsregister einzutragen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass das Grundbuchamt als der beantragten Eintragung von Grundpfandrechten entgegenstehendes Hindernis den fehlenden Nachweis der Vertretungsberechtigung nach § 32 GBO benannt habe. Die gegen diese Zwischenverfügung gerichtete Beschwerde habe das KG mit Beschluss vom 29.4.2021 zurückgewiesen.3 Das AG hat den Eintragungsantrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht4 zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte ihr Eintragungsbegehren weiter.
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Entscheidung des BGH:
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Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg! Nach Auffassung des II. Zivilsenats sind eine gelöschte GmbH und ihre Liquidatoren nach § 67 Abs. 4 GmbHG grundsätzlich von Amts wegen einzutragen, wenn die Liquidatoren durch das Gericht ernannt worden sind, weil sich nach der Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit herausstellt, dass Vermögen vorhanden ist, das der Verteilung unterliegt (§ 66 Abs. 5 GmbHG).
3 KG v. 11.5.2021 – 1 W 29/21, ZIP 2021, 2125. 4 KG v. 9.11.2021 – 22 W 68/21, ZIP 2022, 895.
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
74 Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich: Der Wortlaut von § 67 Abs. 4 GmbHG umfasst auch die gemäß § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG ernannten Liquidatoren. Die Gesetzesgenese bietet auch keine Anhaltspunkte für ein einschränkendes Normverständnis. Schließlich lässt sich Sinn und Zweck von § 67 Abs. 4 GmbHG, die Liquidation und die gerichtlich ernannten Liquidatoren publik zu machen, auch in den Fällen des § 66 Abs. 5 GmbHG erfüllen. Gerade bei der Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit kommt der Publizitätsfunktion besondere Bedeutung zu, weil in aller Regel noch kein Liquidationsverfahren mit Gläubigeraufruf stattgefunden hat. 75 Der II. Zivilsenat hat nicht entschieden, ob die Eintragung einer wegen Vermögenslosigkeit gelöschten Gesellschaft und ihrer Liquidatoren im Einzelfall aus verfahrensökonomischen Gründen unterbleiben kann. Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen ist ein solcher Ausnahmefall nicht gegeben. 76 Die Beteiligte ist Eigentümerin von fünf Teileigentumsrechten. Deren Wert hat sie mit 700.000 bis 750.000 t beziffert. Danach ist der Liquidator nach den in Rede stehenden Vermögenswerten in nicht unerheblichem Umfang zur Rechnungslegung verpflichtet (§ 71 Abs. 1, § 74 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Des Weiteren sind die Teileigentumsrechte von ihm in Geld umzusetzen (§ 70 Satz 1 GmbHG). Dazu darf er auch neue Geschäfte eingehen, z.B. Renovierungsarbeiten beauftragen oder zur Absicherung der Kaufpreisfinanzierung Grundpfandrechte bestellen (§ 70 Satz 2 GmbHG). Seine Vertretungsberechtigung dazu kann er gegenüber dem Grundbuchamt gemäß § 32 GBO durch das Handelsregister nachweisen.
2. Löschung der Gesellschaft, Schluss der Liquidation, Beschl. v. 9.11.2021 – II ZB 1/21, ZIP 2022, 122 77 Sachverhalt: Die Antragstellerin ist eine mit Gesellschafterbeschluss vom 28.6.2018 aufgelöste GmbH. Die Aufforderung an die Gläubiger, sich bei der Gesellschaft zu melden, wurde am 16.7.2018 im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Mit Handelsregisteranmeldung vom 18.2.2020 meldete der Liquidator der Antragstellerin, der Beteiligte zu 2, die Beendigung der Liquidation und das Erlöschen der Firma zur Eintragung im Handelsregis-
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
ter an. Das Finanzamt R. stimmte der Löschung nicht zu, da das Steuerverfahren der Antragstellerin noch nicht abgeschlossen sei. Das AG – Registergericht – hat die Anmeldung zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragstellerin ist erfolglos geblieben. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt:
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Das Finanzamt gehe ersichtlich davon aus, dass die steuerlichen Angelegenheiten der Antragstellerin noch nicht abgeschlossen seien, weil sie Teil eines aus weiteren Gesellschaften bestehenden Firmenverbunds sei, der fortlaufend der Außenprüfung unterliege. Da die letzte Außenprüfung lediglich die Jahre bis einschließlich 2017 umfasst hätte, seien die Steuerbescheide ab 2018 nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO unter dem Vorbehalt einer Nachprüfung ergangen. Werde keine Außenprüfung durchgeführt, entfalle der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der ergangenen Steuerbescheide erst mit Ablauf des Jahres 2023. Es bestehe die Möglichkeit, dass nach Durchführung einer Außenprüfung die Steuerfestsetzung geändert werde und Steuererstattungsansprüche entstünden.
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Entscheidung des BGH:
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Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg! Der II. Zivilsenat hat das Registergericht angewiesen, über die Anmeldung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Die Eintragung der Löschung der Gesellschaft im Handelsregister nach § 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG kann erst nach der Beendigung der Liquidation erfolgen und diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn noch verteilbares Vermögen vorhanden ist. Vor der Eintragung der Löschung der Gesellschaft hat das Registergericht zu prüfen, ob die Liquidation tatsächlich beendet ist. Von der Vermögenslosigkeit kann das Registergericht ausgehen, wenn an ihr aufgrund der in der Anmeldung mitgeteilten Tatsachen keine begründeten Zweifel bestehen.
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Ist davon auszugehen, dass ein Anspruch auf eine Steuerrückerstattung besteht, kann dies der Eintragung der Löschung der Gesellschaft entgegenstehen. Ob Zweifel an der Vermögenslosigkeit stets schon dann begründet sind, wenn eine Steuererklärung noch aussteht,5 oder ob ein
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5 OLG Hamm v. 21.5.2021 – 27 W 25/21, DB 2021, 1461, 1462.
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Erstattungsanspruch tatsächlich in Rede stehen muss,6 konnte vom Senat im Streitfall nicht entschieden werden. Allein die Möglichkeit einer Änderung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist, gegebenenfalls nach Durchführung einer Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO, begründet für sich genommen keine Zweifel an der Vermögenslosigkeit der Antragstellerin. 83 Die in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene Frage, ob die Beendigung der Liquidation und damit die Löschungsreife vor dem Abschluss eines Besteuerungsverfahrens eintreten kann, konnte vom Senat ebenfalls nicht entschieden werden. Der pauschale Hinweis des Finanzamts auf einen möglicherweise künftig anfallenden Abwicklungsbedarf im Rahmen einer Außenprüfung oder einer Nachprüfung der Steuerfestsetzung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO steht der Annahme der Beendigung der Liquidation jedenfalls nicht entgegen.
3. Löschung der Gesellschaft, Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug, Beschl. v. 17.5.2022 – II ZB 11/21, WM 2022, 1335 84
Sachverhalt: Die Antragstellerin ist eine GmbH, deren Auflösung am 7.3.2016 im Handelsregister eingetragen wurde. Die Aufforderung an die Gläubiger, sich bei der Gesellschaft zu melden, wurde am 16.3.2016 im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Mit Schreiben vom 15.6.2020 meldete die Liquidatorin den Schluss der Liquidation zur Eintragung in das Handelsregister an. Das Finanzamt S. stimmte der Löschung nicht zu, weil ein Rechtsbehelf hinsichtlich Erbschaftssteuer anhängig sei.
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Das AG – Registergericht – hat die Anmeldung daraufhin zurückgewiesen. Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren hat das Finanzamt S. ergänzend erklärt, es sei ein Einspruchsverfahren der Liquidatorin der Antragstellerin gegen einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts ihres Anteils an der Antragstellerin auf den Bewertungsstichtag 5.8.2011 für Zwecke der Schenkungsteuer anhängig. Die Antragstellerin sei gemäß § 360 Abs. 3 AO zum Verfahren hinzugezogen worden, wogegen sie ihrerseits Einspruch eingelegt habe. Mit der Löschung der Antragstel6 OLG Düsseldorf v. 13.8.2019 – I-3 Wx 80/17, ZIP 2020, 715, 716.
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Born – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
lerin könnten dieser die noch ausstehenden Entscheidungen über die Einsprüche nicht zugestellt werden. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. 86
Entscheidung des BGH: Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg! Der II. Zivilsenat hat das Registergericht angewiesen, über die Anmeldung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Voraussetzung für die Beendigung der Liquidation i.S.v. § 74 Abs. 1 87 Satz 1 GmbHG und damit für eine Löschung nach § 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ist, dass kein verteilbares Vermögen der Gesellschaft mehr vorhanden ist. Verteilbares Vermögen ist nicht vorhanden, wenn die Gesellschaft über keine Vermögenswerte mehr verfügt, die für eine Gläubigerbefriedigung oder eine Verteilung unter die Gesellschafter in Betracht kommen. Die weitere Beteiligung der Antragstellerin an dem Besteuerungsverfahren begründet auch keinen Abwicklungsbedarf, der ihrer Löschung nach § 74 Abs. 1 Satz 2 GmbHG entgegenstehen könnte. Ob sonstige Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug bei einer vermögenslosen Gesellschaft der Beendigung der Liquidation und damit ihrer Löschung nach § 74 Abs. 1 GmbHG entgegenstehen, ist in Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten. Sonstige im Interesse eines Dritten liegende Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug können bei einer vermögenslosen Gesellschaft der Beendigung der Liquidation nur dann entgegenstehen, wenn dieses Interesse berechtigt ist. Die allein verbleibende Beteiligung der Antragstellerin zum Zweck der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen, d.h. der rein passiven Entgegennahme der Zustellungen, begründet kein berechtigtes Interesse des Finanzamts an einem Fortbestehen der Gesellschaft.
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Bericht über die Diskussion des Referats Born Adam Stodolski Staatsanwalt, Karlsruhe Der Diskussionsleiter Altmeppen dankte Born für das Referat und begrüßte die anwesenden ehemaligen Senatsvorsitzenden Bergmann und Drescher. Die anschließende Diskussion bezog sich auf die von Born vorgestellten Entscheidungen zum Personengesellschaftsrecht, GmbHRecht, Aktienrecht und Genossenschaftsrecht.
I. Personengesellschaftsrecht 1 Tröger (Universität Frankfurt/a.M.) begrüßte die Kernaussage der Entscheidung vom 15.2.20221. Ein praktisches Bedürfnis für eine entsprechende Anwendung des § 179a Abs. 1 AktG auf Kommanditgesellschaften bei Verträgen über das gesamte Vermögen der Gesellschaft bestehe nicht, weil in der Regel eine wirksame Außenvertretung der Gesellschaft wegen eines Missbrauchsfalls nicht vorliege. Er lenkte sodann den Blick auf das Informationsinteresse der Kommanditisten bei der Abstimmung der Gesellschafterversammlung über entsprechende Verträge. § 179a Abs. 2 AktG verpflichte zur Offenlegung des Vertrags über das Gesamtvermögensgeschäft. Für die Kommanditisten sei eine solche Offenlegung unter der Regelung des § 166 Abs. 2 HGB, der § 118 HGB für unanwendbar erkläre, grundsätzlich nicht möglich. Nicht umsonst habe der Gesetzgeber im Rahmen des MoPeG die Informationsrechte der Kommanditisten in § 166 HGB erweitert. Insoweit stelle sich die Frage, ob die Informationsversorgung der Kommanditisten äquivalent zu § 179a Abs. 2 AktG erfolgen müsse. Dazu bemerkte Born, dass der Senat die Anwendbarkeit des § 179a AktG mit Blick auf die bestehenden Informationsrechte der Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft verneint habe. Bereits die bestehenden Informationsrechte zwängen die Geschäftsleitung, den Kommanditisten das Geschäft vor dem Abschluss offenzulegen, was der Senat in dieser Entscheidung erstmals ausdrücklich entschieden habe.
1 BGH, Urt. v. 15.2.2022 – II ZR 235/20, BGHZ 232, 375.
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Stodolski – Bericht über die Diskussion des Referats Born
II. GmbH-Recht Wertenbruch (Universität Marburg) bemerkte zur Entscheidung vom 2 28.6.20222, für eine dynamische Verweisung spreche auch, dass der Gesetzgeber bei Gesetzesänderungen digital erfassen könne, welche Gesetze auf das geänderte Gesetz verweisen würden. Ändere der Gesetzgeber Strafgesetze, sehe er die im GmbHG hiervon betroffene Norm. Behalte er die Verweisung bei, handele es sich um beredtes Schweigen des Gesetzgebers. Hierzu ergänzte Born, das Bundesjustizministerium erfasse nach Auskunft von Schollmeyer die Auswirkungen einer Gesetzesänderung auf andere Gesetze. Es sei vorstellbar, diesen Umstand bei der Gesetzesauslegung zukünftig zu berücksichtigen. Wertenbruch nahm sodann zur Entscheidung vom 25.1.20223 Stellung 3 und stimmte dem Senat in Bezug auf die GmbH zu. Die interne Zuständigkeitsordnung der GmbH gehe der actio pro socio vor. Der Mehrheitsgesellschafter könne Weisungen erteilen oder Beschlüsse zur Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Fremdgeschäftsführer fassen. Der Minderheitsgesellschafter könne die Beschlüsse über die Nichtgeltendmachung anfechten und ggf. gegen den Mehrheitsgesellschafter vorgehen. Wertenbruch äußerte sich sodann zur Bedeutung der Entscheidung für die Personengesellschaft. Dort entspreche es gefestigter Rechtsprechung, dass jeder Gesellschafter nach den Grundsätzen der actio pro socio vorgehen könne, es sei denn, er handele treuwidrig. Treuwidrig handele er, wenn der Geschäftsführer mit der Nichtgeltendmachung einer Forderung keine Pflichtverletzung begehe. Aus diesem Regel-Ausnahme Verhältnis folge zwar, dass der Beklagte im Prozess beweisen müsse, der Gesellschafter erhebe die actio pro socio treuwidrig. Die Kommentarliteratur gehe aber – wie der Senat im vorliegenden Fall – davon aus, die interne Zuständigkeitsordnung genieße Vorrang, woraus folge, dass der klagende Gesellschafter Ausnahme und Pflichtwidrigkeit zu beweisen habe. Die durch das MoPeG erfolgte Neuregelung in § 715b BGB sei insoweit nicht eindeutig, doch spreche der Wortlaut gegen die bisherige Rechtsprechung. Danach sei jeder Gesellschafter befugt, den Anspruch geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlasse. Die Formulierung spreche dafür, dass der Gesellschafter in diesen Fällen die Darlegungs- und Beweislast für die Pflichtwidrigkeit trage. Born wies darauf hin, der mit 2 BGH, Beschl. v. 28.6.2022 – II ZB 8/22, ZIP 2022, 1859. 3 BGH, Urt. v. 25.1.2022 – II ZR 50/20, BGHZ 232, 275.
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Stodolski – Bericht über die Diskussion des Referats Born
dem MoPeG eingeführte § 715b BGB habe nicht zur Entscheidung gestanden. Bei der Auslegung der Vorschrift wäre aber jedenfalls auch zu beachten, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 715b BGB beabsichtigt habe, die bisherige Rechtsprechung des BGH zu kodifizieren. 4 Heidel (Rechtsanwalt, Bonn) kritisierte die Entscheidung vor dem Hintergrund der kenntnisunabhängigen taggenauen fünfjährigen Verjährung der Ansprüche gegen den Geschäftsführer. Über die vom Senat geforderte Anfechtungs- und positive Beschlussfeststellungklage dürfte in dieser Zeit oftmals nicht abschließend entschieden sein. Zwar verweise der Senat auf die Regressmöglichkeit gegenüber dem Mitgesellschafter, der die Durchsetzung des Anspruchs verhindert habe. Auch hier ergäben sich indes einerseits Verjährungsprobleme, die sich dadurch entschärfen ließen, dass die Verjährung der Regressansprüche erst beginne, wenn die Ansprüche gegen den Geschäftsführer verjährt wären, und andererseits Probleme des effektiven Rechtsschutzes, da Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines treuwidrig handelnden Gesellschafters ganz andere, nämlich deutlich höhere, seien als für die Haftung des Geschäftsführers. Zudem bestehe in diesem Fall die Gefahr, dass Gesellschaftsvermögen durch treuwidrige Gesellschafter abgezogen würde, weswegen der Minderheitsgesellschafter ggf. Ansprüche aus Existenzvernichtungshaftung anstrengen müsse. 5 Born erwog die Möglichkeit einer Verjährungshemmung durch Streitverkündung im Rahmen der Anfechtungs- und positiven Beschlussfeststellungsklage gegenüber dem Geschäftsführer. Hierauf erwiderte Heidel, eine Streitverkündung sei zur Hemmung der Verjährung in diesem Fall nicht möglich, weil sie den negativen Ausgang des Hauptprozesses voraussetze, bzw. der Gesellschafter selbst keinen Anspruch gegen den Fremdgeschäftsführer habe. Erwägenswert sei in Bezug auf die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegen den Mitgesellschafter, diese bereits im Rahmen der Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage für den Fall des Obsiegens geltend zu machen. Unzumutbar sei es aber für den Minderheitsgesellschafter, zunächst eine unzulässige Klage gegen den Fremdgeschäftsführer anstrengen zu müssen und dem Mitgesellschafter in diesem Prozess den Streit zu verkünden. 6 Wimmer (Universität Wien) warf die Frage auf, in welchem Verhältnis die Ausführungen des Senats zur actio pro socio bei der GmbH zu den Grundsätzen der Holzmüller-Entscheidung bzgl. des Rechtsziels des einzelnen Aktionärs, Unterlassung, Beseitigung und Feststellung von Ein-
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Stodolski – Bericht über die Diskussion des Referats Born
griffen in Aktionärsrechten zu begehren, stünden, insbesondere, ob der Senat mit den rechtlichen Ausführungen im Urteil eine verallgemeinerungsfähige Wertung hinsichtlich individueller, mitgliedschaftlicher Klagerechte habe treffen wollen. Born stellte klar, dass die Entscheidung nur die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Fremdgeschäftsführer vor dem Hintergrund der Kompetenzordnung in § 46 Nr. 8 GmbHG betreffe. Das Aktiengesetz habe eine hiervon abweichende Kompetenzordnung, die die Geltendmachung von Ersatzansprüchen grundsätzlich dem Aufsichtsrat zuweise. Für die Aktiengesellschaft habe die Entscheidung deshalb keine Bedeutung. Enderle (Rechtsanwalt, München) wollte zur Entscheidung vom 7 15.2.20224 wissen, ob die dort getroffene Aussage, dass bei Missachtung eines Zustimmungsvorbehalts durch den Geschäftsführer zur Erteilung einer Genehmigung das Gremium befugt sei, in dessen Kompetenz die übergangene Zustimmung fällt, apodiktisch zu verstehen sei. Born merkte hierzu an, dass die Aussage zwar allgemeine Gültigkeit habe, allerdings vor dem Hintergrund des konkret entschiedenen Falles getroffen worden sei. Ob Ausnahmen von diesem Grundsatz in anderen Fällen möglich seien, habe der Senat nicht entschieden.
III. Aktienrecht Von der Linden (Rechtsanwalt, Düsseldorf) bezog sich auf die Entschei- 8 dung vom 19.7.20225 und verwies darauf, dass die Praxis bei der Einberufung bislang, um § 124 AktG zu genügen, den Volltext veröffentlicht habe. Nachdem der Senat nunmehr § 124 AktG für nicht entsprechend auf den Vorstandsbericht zum Bezugsrechtsausschluss anwendbar erklärt habe, stelle sich die Frage, ob § 124 AktG nicht nur eine Erschwernis in Form einer zusätzlichen Veröffentlichungspflicht begründet habe, sondern eine Erleichterung, weil die Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts des Berichts statt des vollständigen Berichts samt Unterschriften genügt habe. Born stellte klar, dass eine Verpflichtung zur Veröffentlichung des vollständigen Berichts nicht bestehe. Gleichzeitig betonte er, dass es den Aktiengesellschaften weiterhin freistehe, die Berichte zur Befriedigung des Informationsinteresses der Aktionäre in der Einberufung aufzunehmen.
4 BGH, Urt. v. 15.2.2022 – II ZR 235/20, BGHZ 232, 375. 5 BGH, Urt. v. 19.7.2022 – II ZR 103/20, ZIP 2022, 1644.
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Stodolski – Bericht über die Diskussion des Referats Born
9 Enderle (Rechtsanwalt, München) warf zu diesem Fall die weitere Frage auf, ob wegen des fehlenden Hinweises in der Einberufung auf den zur Einsicht ausliegenden Bericht zum Bezugsrechtsausschluss die Aktionäre anfechtungsrelevant in die Irre geführt worden seien, weil die Gesellschaft auf andere ausliegende Unterlagen ausdrücklich hingewiesen habe. Born betonte, dass im vorliegenden Fall die Gesellschaft nicht verpflichtet gewesen sei, auf die bei ihr zur Einsicht ausliegenden Unterlagen in der Einberufung hinzuweisen. Erst wenn durch unvollständige, aber freiwillige Angabe die sachgerechte Wahrnehmung der Aktionärsrechte beeinträchtigt werde, was bei einer bewussten Irreführung der Aktionäre grundsätzlich möglich erscheine, könne ein anfechtungsrelevanter Gesetzesverstoß im Einzelfall vorliegen. Der konkrete Fall habe hierzu nichts hergegeben.
IV. Genossenschaftsrecht 10 Von Nussbaum (Rechtsanwalt, München) wollte zur Entscheidung vom 5.10.20216 wissen, ob aus der dort getroffenen Aussage, wonach der Begriff der Versammlung i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG auch virtuelle Versammlungen erfasse, gefolgert werden könne, dass generell im Gesellschaftsrecht der Begriff der Versammlung erweitert zu verstehen sei und virtuelle Versammlungen miterfasse. Born hob hervor, dass sich der Senat in der Entscheidung nur mit dem Versammlungsbegriff in § 13 Abs. 1 Satz 2 UmwG auseinandergesetzt habe. Soweit der Begriff in anderen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften verwendet werde, müsse man im Einzelfall prüfen, ob der Zweck der jeweiligen Norm der Erfassung virtueller Versammlungen entgegenstehe. Der Wortsinn des Begriffs Versammlung schließe jedenfalls virtuelle Zusammenkünfte mit ein. Allerdings müssten die weiteren Voraussetzungen vorliegen, mithin die Zulassung durch Gesetz oder Satzung sowie die einer physischen Versammlung entsprechende inhaltliche Ausgestaltung der virtuellen Versammlung. 11 Abschließend bedankte sich Altmeppen herzlich bei Born für den Vortrag.
6 BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, ZIP 2021, 2276.
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Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung: wesentliche Vor- und Nachteile Prof. Dr. Hans-Ulrich Wilsing Rechtsanwalt, Düsseldorf Rz.
Rz. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . .
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III. Virtuelle oder PräsenzHauptversammlung? . . . . . . . 1. Begriff der virtuellen Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . 2. Satzungsgrundlage und Übergangsregelung . . . . . . . . 3. Anwesenheit der Beteiligten. a) Aktionäre. . . . . . . . . . . . . . b) Versammlungsleiter, Organmitglieder und sonstige Beteiligte . . . . . . .
7 7 10 16 16 21
4. Anträge und Wahlvorschläge 5. Frage- und Auskunftsrecht. . a) Gleichlauf mit der Präsenz-Hauptversammlung. b) Vorabeinreichung von Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vorabveröffentlichung des Vorstandsberichts . . . . . . . . . 7. Rederecht . . . . . . . . . . . . . . . 8. Einreichung von Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Widerspruchsrecht . . . . . . . .
24 27 28 30 36 40 46 51
IV. Schlussbetrachtung in Thesen
I. Einleitung Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen1 am 29.7.2022 hat das Hauptversammlungswesen eine dauerhafte Digitalisierung erfahren. Wenngleich der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung der virtuellen Hauptversammlung stark von dem im Koalitionsvertrag gesetzten Ziel hat leiten lassen, eine virtuelle Hauptversammlung unter uneingeschränkter Wahrung der Aktionärsrechte zu ermöglichen,2 ergeben sich im Vergleich zur Präsenz-Hauptversammlung dennoch wesentliche Unterschiede. 1 Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften vom 20.7.2022, BGBl. I 2022, 1166. 2 Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), S. 112.
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Wilsing – Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung
2 Gesellschaften stellen sich nun die Frage, ob sie ihre Hauptversammlungen künftig wieder als Präsenzveranstaltung, nunmehr als hybride Versammlung oder – ähnlich wie in den letzten drei Jahren – als rein virtuelle Veranstaltung abhalten. Bei der Entscheidungsfindung werden nicht nur die rechtssichere Fassung von Hauptversammlungsbeschlüssen im Fokus stehen, sondern auch individuelle, gesellschaftsbezogene Faktoren, wie z.B. Aktionärsstruktur, Erwartungshaltung der Aktionäre, Verlauf vergangener Hauptversammlungen, kritische Tagesordnungspunkte oder Praktikabilitäts- und Kostengesichtspunkte. 3 Der Beitrag setzt sich mit den wesentlichen Vor- und Nachteilen der virtuellen gegenüber der Präsenz-Hauptversammlung auseinander und zeigt mit Blick auf die bevorstehende Hauptversammlungssaison 2023 praktikable Handlungsmöglichkeiten auf.
II. Ausgangslage 4 Die Einführung eines virtuellen Formats der Hauptversammlung war bereits lange Zeit vor Beginn der Corona-Pandemie Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses.3 Während die technische Durchführbarkeit heutzutage nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann, wird die Rechtssicherheit der in der virtuellen Hauptversammlung gefassten Beschlüsse mit Blick auf das bestehende Beschlussmängelrecht allerdings teilweise mit Sorge betrachtet.4 Die Forderung nach einer dauerhaften Etablierung des virtuellen Formats wurde daher oft mit der Anregung verknüpft, das (aus Sicht vieler ohnehin reformbedürftige5) Beschlussmängelrecht zu überarbeiten.6 5 Der praktische Befund aus Anwaltssicht zeichnet jedoch ein anderes Bild: Der Großteil der börsennotierten Unternehmen ist in den letzten zehn Jahren mit der Präsenz-Hauptversammlung und dem bestehenden Beschlussmängelrecht im Ergebnis gut zurechtgekommen. Zurückzu3 Siehe Claussen, AG 2001, 161; Hasselbach/Schumacher, ZGR 2000, 258; Kort, 2007, 653; Noack, BB 1998, 2533; Spindler, ZGR 2000, 420; Zetzsche, ZIP 2001, 682. 4 Bungert/Rieckers, DB 2022, 581, 590; Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2021, 380, 388 ff.; Redeke, AG 2022, 98, 108 f. 5 Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617; Fleischer, AG 2012, 765, 775; Redeke, AG 2022, 98, 108. 6 Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2021, 380, 388 ff.; Noack, NZG 2021, 1233, 1234; Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 728.
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Wilsing – Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung
führen ist dies im Wesentlichen auf gezielte und minimalinvasive gesetzgeberische Eingriffe durch das UMAG (2005) sowie das ARUG I (2009).7 Insbesondere hat die Einführung und Präzisierung des gerichtlichen Freigabeverfahrens, einschließlich einer Verkürzung des Instanzenzugs, zu einem spürbaren Rückgang der Klageaktivität geführt.8 Die Szene der sog. berufsmäßigen Anfechtungskläger, die zur Jahrtausendwende eine beachtliche Größe erreicht hatte, hat sich infolgedessen größtenteils zurückgebildet.9 Missbräuchliche Anfechtungsklagen sind heute aus praktischer Sicht nur noch vereinzelt zu beobachten. Insoweit stellen Beschlussmängelklagen nicht mehr ein breitflächiges Übel wie in „alten Zeiten“ dar. Ein Richtungswechsel in dieser Frage hat sich auch während der Corona- 6 Hauptversammlungen der letzten drei Jahre nicht ergeben. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben weder zu einer erhöhten Klageaktivität noch zu einem merklichen Rückgang des ohnehin schon relativ niedrigen Klageniveaus geführt.10 Aufgrund der technischen Gegebenheiten, des Ausgestaltungsspielraums für die virtuelle Hauptversammlung sowie des grundsätzlich funktionierenden Beschlussmängelrechts dürfte sich auch für den neuen gesetzlichen Rahmen der virtuellen Hauptversammlung keine wesentlich abweichende Entwicklung ergeben.
III. Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung? 1. Begriff der virtuellen Hauptversammlung Die virtuelle Hauptversammlung hat im AktG an mehreren Stellen Eingang gefunden.11 Gesetzlicher Ausgangspunkt ist § 118a Abs. 1 AktG, der neben einer allgemeinen Definition acht wesentliche Mindestvoraussetzungen für die virtuelle Hauptversammlung aufstellt. 7 Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 803; Harbarth/Freiherr von Plettenberg, AG 2016, 145, 155; Schmidt, ZIP 2020, 2494, 2495. 8 Bayer/Hoffmann/Sawada, ZIP 2012, 897, 899 ff.; Harbarth/Freiherr von Plettenberg, AG 2016, 145, 155; zurückhaltender Grigoleit, AG 2018, 645, 651 ff. 9 Bayer/Hoffmann, AG 2021, R147, R147; Bayer/Hoffmann/Sawada, ZIP 2012, 897, 901 ff.; zum Ausgangspunkt Baums/Vogel/Tacheva, Rechtstatsachen zur Beschlußkontrolle im Aktienrecht, ZIP 2000, 1649; Baums/Keinath/ Gajek, Fortschritte bei Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse? Eine empirische Studie, ZIP 2007, 1629. 10 Vgl. Bayer/Hoffmann, AG 2021, R147, R147. 11 §§ 118a, 121, 126, 129, 130, 130a, 131, 132 AktG.
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Wilsing – Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung
8 Nach § 118a Abs. 1 Satz 1 AktG ist die virtuelle Hauptversammlung eine Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten, die am Ort der Hauptversammlung abgehalten wird (virtuelle Hauptversammlung). Demnach hat der Gesetzgeber es dabei belassen, dass die virtuelle Hauptversammlung im Kern eine physische Versammlung der Funktionsträger ist.12 9 Die Mindestvoraussetzungen der virtuellen Hauptversammlung umfassen nach § 118a Abs. 1 Satz 2 AktG (1) die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung, (2) die Stimmrechtsausübung im Wege elektronischer Kommunikation, namentlich über elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl, sowie über Vollmachtserteilung, (3) das Antrags-/Wahlvorschlagsrecht im Wege der Videokommunikation, (4) das Auskunftsrecht nach § 131 AktG im Wege elektronischer Kommunikation, (5) die Vorabveröffentlichung des Vorstandsberichts bei Vorverlagerung des Fragerechts, (6) das Recht zur Einreichung von Stellungnahmen im Wege der elektronischen Kommunikation, (7) das Rederecht im Wege der Videokommunikation sowie (8) das Widerspruchsrecht im Wege elektronischer Kommunikation. Vereinfacht ausgedrückt lassen sich die neueingeführten Normen danach in zwei Gruppen einteilen: Zum einen gesetzlich zwingende Elemente (z.B. die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung oder das Stellungnahmerecht), zum anderen in Handlungsoptionen (z.B. die Vorabeinreichung von Fragen oder die Festlegung des Übermittlungswegs von Fragen).
2. Satzungsgrundlage und Übergangsregelung 10 Im Unterschied zur Präsenz-Hauptversammlung hat der Gesetzgeber die Entscheidung für die virtuelle Hauptversammlung an eine bestehende Satzungsgrundlage geknüpft. Nach § 118a Abs. 1 Satz 1 AktG kann die Satzung selbst vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen, zu entscheiden, dass die Versammlung als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird. Der Gesetzgeber hat insoweit die Entscheidung, ob eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, primär in die Hände der Aktionäre gelegt. Die konkrete Ausgestaltung der Aktionärsrechte im virtuellen Format liegt allerdings allein im Ermessen des Vorstands. Der Satzungsgeber kann daher lediglich über das „Ob“ der virtuellen Hauptversammlung, nicht dagegen auch über das „Wie“ entscheiden.13 12 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 26. 13 Tröger in KölnKomm/AktG, 4. Aufl. 2020, Bd. 9, § 118a AktG Rz. 12.
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Wilsing – Virtuelle oder Präsenz-Hauptversammlung
§ 118a Abs. 1, Abs. 3 bis 5 AktG sieht eine Befristung der Satzungsregelung bzw. -ermächtigung auf höchstens fünf Jahre vor. Für den Beginn der Laufzeit ist dabei nicht auf die jeweilige Beschlussfassung abzustellen, sondern auf die Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister.14 Gesellschaften haben insoweit die Wahl, ob sie die Befristung der Satzungsgrundlage abstrakt gestalten oder ein konkretes Auslaufdatum bestimmen. Der Nachteil einer nur abstrakten Befristung liegt auf der Hand: Ohne Blick in das Handelsregister lässt sich die konkrete Laufzeit der Ermächtigung nicht ermitteln.
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Unabhängig davon, ob die Gesellschaften künftig eine virtuelle Hauptversammlung abhalten möchten, dürfte den Gesellschaften daran gelegen sein, eine entsprechende Satzungsänderung zum Gegenstand der Tagesordnung der nächsten Hauptversammlung zu machen. Sie gewährt den Gesellschaften nicht nur eine höhere Flexibilität, sondern unter Umständen auch eine bessere Planbarkeit. Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gesetz- oder Verordnungsgeber bei einer Verschlechterung der Pandemielage abermals auf Versammlungsrestriktionen, Mindestabstände und besondere Hygienevorschriften zurückgreift, wodurch die Durchführung einer Präsenz-Hauptversammlung wiederum erheblich erschwert werden könnte. Besteht in diesem Fall nicht die Möglichkeit, auf eine virtuelle Hauptversammlung auszuweichen, werden Gesellschaften unter Umständen vor die schwierige Frage der Zulässigkeit bestimmter pandemiebezogener Zugangsbeschränkungen für die Präsenz-Hauptversammlung gestellt.15
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Die Beschlussfassung über die Satzungsänderung bedarf neben der ein- 13 fachen Stimmmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG) grundsätzlich auch einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst (§ 179 Abs. 2 Satz 1 AktG). In der Praxis ist das Erfordernis einer qualifizierten Kapitalmehrheit gemäß § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG oftmals auf eine einfache Kapitalmehrheit abgesenkt. Es dürfte aber keineswegs als sicher gelten, dass alle Gesellschaften uneingeschränkt die für die Beschlussfassung erforderliche Stimmund Kapitalmehrheit erhalten.16 Dies gilt umso mehr, als dass etwa der Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) in seinen ak14 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 27. 15 Vgl. Noack, NZG 2021, 1233, 1234; Schäfer, NZG 2020, 481, 485; Quass, NZG 2021, 261, 263. 16 Siehe auch Bungert/Rieckers/Becker, DB 2022, 2074, 2075.
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tuellen Proxy Voting Guidelines 2022 noch die Empfehlung ausspricht, generell gegen Vorschläge zu stimmen, die die Einberufung von rein virtuellen Hauptversammlungen erlauben.17 Unter welchen Voraussetzungen in dieser Frage eine Meinungsänderung erfolgt, bleibt abzuwarten. Gegenwärtig zeigt sich bei den Stimmrechtsberatern eine Bereitschaft, ihre künftigen Abstimmungsrichtlinien grundsätzlich für die virtuelle Hauptversammlung zu öffnen.18 IVOX/Glass Lewis hat in diesem Zusammenhang bereits zu erkennen gegeben, dass die Akzeptanz der Satzungsbestimmung jedoch auch maßgeblich von ihrer konkreten Ausgestaltung abhängen wird. Insoweit zeichnet sich ab, dass zum einen die Dauer der Ermächtigung auf maximal zwei Jahre begrenzt werden soll19 und der Vorstand zum anderen im Rahmen der Erläuterung der Satzungsänderung bereits Aussagen in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der Aktionärsrechte in einer (etwaigen) virtuellen Hauptversammlung treffen soll.20 Vor allem die letzte Forderung erscheint wenig praktikabel: Der Gesetzgeber hat die konkrete Ausgestaltung der Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung in das Ermessen des Vorstands gestellt. Die Ermessensausübung ist stets einzelfallabhängig. Etwaige Vorfestlegungen zur Ausgestaltung einer etwaigen virtuellen Hauptversammlung sind daher allenfalls in sehr allgemeiner Form oder durch bloße Absichtserklärungen möglich. Bei Lichte betrachtet, dürften sich solche Äußerungen im Bereich der Gesten und Symbolik bewegen. Rechtlich verbindliche Vorfestlegungen dürften aus Sicht der Organe rechtlich hochproblematisch sein. Insoweit wird dem Investorendialog im Vorfeld der Hauptversammlung im Ergebnis eine besondere Bedeutung zukommen. Die Verkürzung der Laufzeit der Satzungsermächtigung auf nur zwei Jahre dürfte zumindest bei großen Gesellschaften mit hohen Teilnehmerzahlen erhebliche Auswirkungen auf die Planungssicherheit haben. 14 Der Gesetzgeber hat die Beschlussfassung über die Satzungsänderung, auf deren Grundlage die virtuelle Hauptversammlung Eingang in die Satzung findet, dem allgemeinen Anfechtungsrecht unterworfen. Zwar hat er als Erleichterung für diese Satzungsänderung das Freigabeverfah17 ISS, Continental Europe Proxy Voting Guidelines (2022), S. 30. 18 Vgl. Tröger in KölnKomm/AktG, 4. Aufl. 2020, Bd. 9, § 118a AktG Rz. 14. 19 Ähnlich wie bei der Dauer der Ermächtigung an den Vorstand, das genehmigte Kapital auszunutzen. 20 So z.B. DSW, Presseinformation 2022/19 vom 14.9.2022, S. 1 oder BVI, BVIAnalyse-Leitlinien für Hauptversammlungen 2023, S. 2.
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ren gemäß § 246a AktG eröffnet, bei erfolgter Beschlussanfechtung ist jedoch zumindest mit einer Verzögerung der Eintragung und damit der Wirksamkeit der Satzungsänderung zu rechnen.21 Dieser Umstand sollte bei der Planung der nächsten Hauptversammlung ebenfalls berücksichtigt werden. Für Versammlungen, die bis zum 31.8.2023 einberufen werden, hat der 15 Gesetzgeber in § 26n Abs. 1 EGAktG eine Übergangsregelung vorgesehen. Im vorgenannten Zeitraum sind virtuelle Hauptversammlungen auch ohne Satzungsgrundlage gemäß § 118a Abs. 1 AktG möglich, sofern der Aufsichtsrat seine Zustimmung erteilt.
3. Anwesenheit der Beteiligten a) Aktionäre Wie eingangs erwähnt, ist die virtuelle Hauptversammlung im Kern eine Präsenzversammlung der Funktionsträger. Der wesentliche Unterschied zur Präsenz-Hauptversammlung liegt nach § 118a Abs. 1 Satz 1 AktG darin, dass Aktionäre oder ihre Bevollmächtigten von der physischen Anwesenheit am Versammlungsort ausgeschlossen sind.22
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Die fehlende physische Präsenz der Aktionäre dürfte sich vor allem auf 17 den Verlauf sog. kritischer Hauptversammlungen auswirken. Während von den physisch anwesenden Aktionären regelmäßig ein gewisser Disziplinierungseffekt für die Gesamtheit der Aktionäre ausgeht, wird die Hemmschwelle, Aktionärsrechte ausschließlich im eigennützigen Interesse wahrzunehmen, im virtuellen Format deutlich abgeschwächt.23 Umso größer dürfte das Risiko sein, dass Aktionärsrechte im virtuellen Format vermehrt in Anspruch genommen und ggf. missbraucht werden.24 Dieser Umstand lässt die virtuelle Hauptversammlung aber nicht per se als praktikable Alternative zur Präsenz-Hauptversammlung ausscheiden. Insbesondere hat der Gesetzgeber den Gesellschaften bei der Ausgestaltung der Aktionärsrechte im virtuellen Format einen weiten
21 Schäfer in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2021, § 246a AktG Rz. 8; Verse, NZG 2009, 1127, 1127. 22 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 26. 23 Vgl. Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1177. 24 BT-Drucks. 19/18110, S. 26; Redenius-Hövermann/Bannier, ZIP 2020, 1885, 1891 f.; Schüppen, WPg 2021, 121, 127.
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Gestaltungsspielraum eingeräumt, der die vorgenannten Risiken im Einzelfall handhabbar erscheinen lässt. 18 Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Verlagerung der Generaldebatte in den virtuellen Raum Auswirkungen auf die Dynamik und Lebhaftigkeit der Hauptversammlung haben wird. Aktionären fehlt in der virtuellen Hauptversammlung die Möglichkeit, sich während der laufenden Hauptversammlung untereinander auszutauschen und ggf. auch abzusprechen. Unkontrollierte Zwischenrufe oder Proteste sind im virtuellen Format ebenfalls nicht möglich, da Aktionäre für Redebeiträge zunächst durch den Versammlungsleiter aufgerufen und zugeschaltet werden müssen.25 Die nur punktuelle Visibilität der virtuell teilnehmenden Aktionäre verhindert andererseits aber auch, dass die Verwaltung ein unmittelbares Bild von der allgemeinen Stimmung im Aktionariat erhält, was ihr die Präsenz-Hauptversammlung dagegen ermöglicht. 19 Die virtuelle Hauptversammlung dürfte aber dazu führen, dass sich der Organisationsaufwand und insbesondere die Durchführungskosten verringern.26 Zwar sind auf der formalen Seite (Rechtsberatungs- und Notarkosten sowie Veröffentlichungskosten) kaum Einsparungen denkbar, da diese regelmäßig nur einen überschaubaren Teil der Gesamtkosten ausmachen.27 Einsparungspotential liegt aber im Wegfall der Raummiete, dem Wegfall eines umfassenden Sicherheitskonzepts für größere Veranstaltungen (einschließlich des Sicherheitspersonals), ggf. eines umfangreichen Hygienekonzepts bei andauernder Pandemielage und schließlich dem Wegfall der Verpflegung der Aktionäre.28 Insoweit stellt sich – anders als bei der Präsenz-Hauptversammlung – auch nicht die Frage, ob angesichts der derzeitigen Personalsituation am Arbeitsmarkt überhaupt ausreichend geeignetes Sicherheitspersonal zur Durchführung der Hauptversammlung zur Verfügung stünde. Bei der Wahl des Hauptversammlungsformats dürften nicht zuletzt Nachhaltigkeitsaspekte von Bedeutung sein. In diesem Zusammenhang punktet die virtuelle Hauptversammlung insbesondere mit dem Wegfall der Reiseaktivität der Aktionäre.
25 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 32 zur Einführung vHV. 26 Drinhausen/Keinath, BB 2022, 451, 451; Seibt/Danwerth, NZG 2020, 1241, 1245. 27 Biedermann, DIRK Handbuch Investor Relations, 2004, S. 204. 28 Götze in Goette/Arnold, Hdb AR, 2021, § 10 Rz. 59.
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Ob sich der Kostenvorteil des virtuellen Formats aber aufrechterhalten 20 lässt, wird auch von ihrer praktischen Akzeptanz abhängen. Bleibt eine breitflächige Entscheidung der Verwaltungen für das virtuelle Format aus, müssten die Kosten für die erforderliche digitale Infrastruktur von den Hauptversammlungsdienstleistern neu zu kalkulieren sein, was zu einer Erhöhung der Kosten des virtuellen Formats führen dürfte. Angesichts der Erwartung, dass nicht alle Gesellschaften das virtuelle Format nutzen werden, stehen Hauptversammlungsdienstleister ohnehin bereits jetzt vor der Herausforderung, sowohl für die Durchführung virtueller als auch Präsenz-Hauptversammlungen ausreichende Kapazitäten und entsprechende Technik bereitzustellen, mit der Folge, dass die Kosten insgesamt steigen dürften. Im Ergebnis dürften sich jedoch auch höhere Kosten für Gesellschaften mit hohen physischen (absoluten) Teilnehmerzahlen immer noch rechnen.
b) Versammlungsleiter, Organmitglieder und sonstige Beteiligte Für die Teilnahme von Vorstandsmitgliedern an der virtuellen Haupt- 21 versammlung hat der Gesetzgeber keine Besonderheiten vorgesehen.29 Auch beim virtuellen Format geht der Gesetzgeber davon aus, dass Aktionäre die Vorstandsmitglieder auf einem Podium in der Versammlung wahrnehmen können.30 § 118a Abs. 2 Satz 1 AktG sieht vor, dass sie am Ort der Hauptversammlung teilnehmen sollen. Hieraus folgt nach allgemeiner Auffassung die höchstpersönliche Pflicht zur körperlichen Anwesenheit, die nur bei wichtigen Verhinderungsgründen entfällt.31 Gleiches gilt nach § 118a Abs. 2 Satz 2 AktG für Aufsichtsratsmitglie- 22 der. Da die virtuelle Hauptversammlung für die Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder aber keine strengeren Voraussetzungen als für die Präsenzversammlung aufstellen will, findet sich in § 118a Abs. 2 Satz 2 AktG die Ausnahme, dass Aufsichtsratsmitglieder nur vorbehaltlich des § 118 Abs. 3 Satz 2 AktG am Ort der Hauptversammlung teilnehmen sollen.32 Die Satzung kann insoweit bestimmte Fallgruppen vorsehen, in denen ihre Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen darf. Als solche Fallgruppen sind insbesondere die dienstlich bedingte 29 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 26. 30 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 26. 31 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 26; Koch, 16. Aufl. 2022, § 118 AktG Rz. 21; Kubis in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 118 AktG Rz. 110. 32 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 26.
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Verhinderung oder die große Entfernung des Wohnortes der Aufsichtsratsmitglieder vom Versammlungsort anerkannt.33 Fraglich ist, ob auch die Entscheidung für das virtuelle Format als solche in diese Fallgruppen aufgenommen werden kann. Dies wird zum Teil vertreten,34 erscheint mit Blick auf den Gesetzeswortlaut und die Gesetzesmaterialien derzeit noch diskutabel. 23 Im Übrigen müssen Versammlungsleiter, Notar sowie Abschlussprüfer, sofern die Hauptversammlung den Jahres- oder Konzernabschluss feststellt, zwingend am Versammlungsort anwesend sein (§ 118a Abs. 2 Satz 3, § 130 Abs. 1a, § 176 Abs. 2 Satz 1, 2 AktG).35 Dem Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft darf nach § 118a Abs. 2 Satz 4 AktG die physische Anwesenheit gewährt werden, soweit – was den absoluten Regelfall darstellt – die Gesellschaft einen solchen benannt hat.
4. Anträge und Wahlvorschläge 24 Für das Antrags- und Wahlvorschlagsrecht gelten in der virtuellen Hauptversammlung einige Besonderheiten. Nach § 118a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG ist den elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Aktionären das Recht einzuräumen, in der Versammlung Anträge und Wahlvorschläge im Wege der Videokommunikation zu stellen. Hierdurch hat der Gesetzgeber die Antragstellung an die Präsenz-Hauptversammlung und das dort geltende Mündlichkeitsprinzip angelehnt.36 Die Videokommunikation erfordert zumindest eine temporär herstellbare Zwei-WegeVerbindung.37 Im Ergebnis werden Anträge oder Wahlvorschläge daher im Rahmen des Redebeitrags zu stellen sein, so dass eine elektronische Antragstellung per Knopfdruck ausscheidet.38 Die Einrichtung eines Textfelds im Aktionärsportal oder einer E-Mail-Adresse der Gesellschaft genügt den Anforderungen an die Videokommunikation dagegen nicht.39
33 Kubis in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 118 AktG Rz. 11; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 118 AktG Rz. 42. 34 Tröger in KölnKomm/AktG, 4. Aufl. 2020, Bd. 9, § 118a AktG Rz. 14; Seibt/ Danwerth, AG 2022, 177, 185. 35 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 26. 36 BT-Drucks. 20/2653, S. 34; Austmann in Hoffmann-Becking, GesR, Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 40 Rz. 12. 37 BT-Drucks. 20/2653, S. 34. 38 BT-Drucks. 20/2653, S. 34. 39 Reger/Gaßner, RDi 2022, 396, 399.
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Vor diesem Hintergrund wird das Risiko einer Antragsflut nicht wesentlich größer sein als bisher in der Präsenz-Hauptversammlung. Im Fall der virtuellen Hauptversammlung besteht nach § 126 Abs. 4 25 Satz 1 AktG aber die Besonderheit, dass Gegenanträge, die nach § 126 Abs. 1 bis 3 AktG zugänglich zu machen sind, im Zeitpunkt der Zugänglichmachung als gestellt gelten (sog. Antragsfiktion). Gleiches gilt über die Verweisung in § 127 Satz 1 AktG auch für Wahlvorschläge. Für zugänglich zu machende Gegenanträge oder Wahlvorschläge entfällt daher die in der Präsenz-Hauptversammlung grundsätzlich vorgesehene Zweistufigkeit von Antragsankündigung und tatsächlicher Antragstellung in der Versammlung.40 Die Gesellschaft hat nach § 126 Abs. 4 Satz 2 AktG zu ermöglichen, dass das Stimmrecht zu diesen Anträgen ausgeübt werden kann, sobald die Aktionäre die gesetzlichen oder satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Ausübung des Stimmrechts nachweisen können. Das bedeutet praktisch, dass ab diesem Zeitpunkt die Stimmabgabe zu diesen Gegenanträgen und Wahlvorschlägen im Aktionärsportal möglich sein muss.41 Dieses Vorgehen entspricht im Wesentlichen der bereits gelebten Praxis, da die meisten Gesellschaften schon bislang Gegenanträge und Wahlvorschläge in die Abstimmungsmaske des Aktionärsportals integrieren und überdies in den jeweiligen Stimmrechtsformularen in abstrakter Weise Abstimmungsmöglichkeiten über etwaige Gegenanträge oder Wahlvorschläge vorsehen.42 Zwar kann mit der (teilweisen) Vorverlagerung des Gegenantrags- und 26 Wahlvorschlagsrechts eine Entzerrung der Hauptversammlung erreicht werden, dies allerdings nur unter der Prämisse, dass Aktionäre grundsätzlich auf spontane Gegenanträge oder Wahlvorschläge in der laufenden Hauptversammlung verzichten. Mangels gesetzlicher Pflicht dürfte dieser Verlauf in der Praxis aber nur selten anzutreffen sein. Im Ergebnis dürfte die „Doppelung“ des Gegenantrags- und Wahlvorschlagsrechts aber zu keinem wesentlichen Mehraufwand für die Gesellschaft führen, da die Anzahl der eingereichten Gegenanträge und Wahlvorschläge regelmäßig überschaubar ist.
40 Koch, 16. Aufl. 2022, § 126 AktG Rz. 1; Mayer/Jenne/Miller, BB 2022, 1155, 1162. 41 Reger/Gaßner, RDi 2022, 396, 399; Bungert/Rieckers, DB 2022, 581, 588. 42 Bungert/Rieckers/Becker, DB 2022, 2074, 2077; Guntermann, ZIP 2022, 781, 784; Seibt/Danwerth, AG 2022, 177, 188.
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5. Frage- und Auskunftsrecht 27 In der virtuellen Hauptversammlung ist den Aktionären im Ausgangspunkt ein der Präsenz-Hauptversammlung vergleichbares Frage- und Auskunftsrecht zu gewähren. Dazu sieht § 118a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG vor, dass den Aktionären ein Auskunftsrecht nach § 131 AktG (gemeint ist: ein Fragerecht) im Wege elektronischer Kommunikation einzuräumen ist.
a) Gleichlauf mit der Präsenz-Hauptversammlung 28 Zunächst gilt, dass der Vorstand gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG auch in der virtuellen Hauptversammlung nur Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben hat, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. § 131 AktG findet auch im Übrigen uneingeschränkt Anwendung, insbesondere das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 131 Abs. 3 AktG.43 29 Abweichend vom Präsenzformat sieht § 118a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG vor, dass das Fragerecht im Wege elektronischer Kommunikation zu gewähren ist. Damit weicht der Gesetzgeber von dem Mündlichkeitsgrundsatz ab, der in der Präsenz-Hauptversammlung nicht disponibel ist.44 Der Verwaltung wird bei der konkreten Ausgestaltung der Fragenübermittlung im virtuellen Format ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Folgende technische Wege kommen dafür in Betracht: (1) eine entsprechende Eingabefunktion im Aktionärsportal, (2) die Übermittlung an eine E-Mail-Adresse der Gesellschaft oder (3) die Stellung der Frage im Rahmen eines Redebeitrags des Aktionärs per Videokommunikation.45 Die Bereitstellung einer Eingabefunktion im Aktionärsportal oder einer E-Mail-Adresse der Gesellschaft bergen aus praktischer Sicht das Risiko, dass der Vorstand mit einer möglicherweise (missbräuchlichen) unkontrollierbaren Flut an Fragen konfrontiert wird und die Hauptversammlung aus dem Ruder läuft. Um dieses Risiko zu vermeiden, erscheint es vorzugswürdig, einen Gleichlauf mit der PräsenzHauptversammlung dadurch herzustellen, dass der Versammlungsleiter 43 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 33. 44 Drinhausen in Hölters/Weber, 4. Aufl. 2022, § 131 AktG Rz. 23; HoffmannBecking, GesR, Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 38 Rz. 40; Koch, 16. Aufl. 2022, § 131 AktG Rz. 41; Kubis in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 121 AktG Rz. 90. 45 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 32.
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die Stellung der Fragen gemäß § 131 Abs. 1f AktG ausschließlich im Rahmen eines Redebeitrags zulässt. Der Versammlungsleiter fährt damit wieder in gewohntem Fahrwasser und kann auf eine ausufernde Wahrnehmung des Fragerechts mit den bewährten Maßnahmen, wie z.B. einer individuellen oder generellen Redezeitbeschränkung sowie der Schließung der Rednerliste reagieren. Auf die Handlungsmöglichkeiten des Versammlungsleiters wird im Übrigen unten unter Punkt 7. „Rederecht“ näher eingegangen.
b) Vorabeinreichung von Fragen Abweichend vom Modell der Präsenz-Hauptversammlung wird dem 30 Vorstand nach § 131 Abs. 1a Satz 1 AktG die Möglichkeit eingeräumt, in der Hauptversammlungseinladung vorzugeben, dass Fragen der Aktionäre bis spätestens drei Tage vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind. Mit dieser Gestaltungsoption verbindet der Gesetzgeber das Ziel, die Fragenstellung und -beantwortung vorzuverlagern, dadurch die Generaldebatte zu entzerren und damit letztlich auch die Dauer der Hauptversammlung zu verkürzen.46 Dadurch, dass der Gesellschaft bei dieser Gestaltung mehr Zeit für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht, soll sich zudem die inhaltliche Qualität der Antworten erhöhen.47 Der Gesetzgeber greift dabei die Erfahrungen der Corona-Hauptversammlungen der letzten drei Jahre auf, bei denen sämtliche Aktionärsfragen vorab einzureichen waren. Gemäß § 131 Abs. 1c Satz 1 AktG sind ordnungsgemäß vorab ein- 31 gereichte Fragen allen Aktionären vor der Versammlung zugänglich zu machen und bis spätestens einen Tag vor der Versammlung durch den Vorstand zu beantworten. Bei börsennotierten Gesellschaften hat das zwingend über die Internetseite der Gesellschaft zu erfolgen (§ 131 Abs. 1c Satz 2 AktG). Diese gesetzliche Anordnung hat für die betroffenen Gesellschaften praktische Nachteile: Die Antworten des Vorstands werden nicht nur wortgenau und öffentlich zugänglich dokumentiert, sondern es kommt dem geschriebenen Wort im Vergleich zu den mündlichen Ausführungen des Vorstands in der Hauptversammlung auch ein höheres Gewicht 46 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 33. 47 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 33.
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zu. Darüber hinaus ist für schriftliche Äußerungen der Gesellschaft regelmäßig ein aufwendigerer interner Kontrollprozess zu durchlaufen, was wiederum einen erheblichen Mehraufwand mit sich bringt. 33 Die Frageneinreichung im Vorfeld der Hauptversammlung wird – vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten drei Jahre – typischerweise über eine Eingabemaske im Aktionärsportal vorzunehmen sein.48 Diese Erfahrungen haben gezeigt, dass einzelne Aktionäre nicht selten umfangreiche Fragenkataloge von mehr als 100 Fragen bei einer Vielzahl von Gesellschaften – teilweise sogar gleichlautend – eingereicht und die Gesellschaften damit vor erhebliche organisatorische Herausforderungen gestellt haben.49 Um solche Formen des Missbrauchs zu verhindern, sieht der Gesetzgeber in § 131 Abs. 1b AktG vor, dass die Gesellschaften den Umfang der Einreichung von Fragen in der Einberufung angemessen beschränken können. Die Gesetzesmaterialien führen dazu aus, dass hierfür etwa eine Höchstzahl von Fragen pro Aktionär festgelegt und eine Zeichenbeschränkung vorgegeben werden kann.50 Von der Angemessenheit einer derartigen Beschränkung sei jedenfalls dann auszugehen, wenn sich die Beschränkung der Fragenanzahl grundsätzlich an der in den vergangenen (virtuellen) Hauptversammlungen durchschnittlich eingereichten Anzahl an Fragen orientiere, sofern sich die Tagesordnungspunkte der Versammlungen weitgehend entsprechen.51 Bei praktischer Betrachtung dürfte – zumindest für die nächsten Jahre (bis sich hierzu eine gefestigte Rechtsprechung herausgebildet hat) – der Begriff der angemessenen Beschränkung der Fragenanzahl mit erheblichen Auslegungsschwierigkeiten verbunden sein, die die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse einem hohen Anfechtungsrisiko aussetzen.52 34
Sofern der Vorstand die Vorabeinreichung von Fragen anordnet, ist zusätzlich jedem elektronisch zu der Versammlung zugeschalteten Aktionär in der Versammlung ein Nachfragerecht im Wege der elektronischen Kommunikation zu allen vor und in der Versammlung gegebenen Antworten des Vorstands einzuräumen (§ 131 Abs. 1d Satz 1 AktG). Noch weitergehend ordnet § 131 Abs. 1e Satz 1 AktG an, dass zugeschaltete Aktionäre darüber hinaus in der Hauptversammlung auch Fragen zu 48 49 50 51 52
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Bungert/Rieckers, DB 2022, 581, 583. So auch Seibt/Danwerth, AG 2022, 177, 183. RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 33. RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 33. Drinhausen/Keinath, BB 2022, 451, 455.
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Sachverhalten stellen können, die sich erst nach Ablauf der Vorabeinreichungsfrist ergeben haben. Damit wird Aktionären im Fall der Vorabeinreichung von Fragen im Ergebnis ein „doppeltes“ Fragerecht gewährt. Mit Blick auf die Veröffentlichung der vorab eingereichten Fragen und deren Beantwortung im Vorfeld der Hauptversammlung ist zu erwarten, dass (Nach-)Fragen in der Hauptversammlung tiefergehend und detaillierter werden. Zudem stellen sich auch hier Abgrenzungsschwierigkeiten (insbesondere, ob die Frage bereits im Vorfeld der Hauptversammlung hätte gestellt werden können), so dass eine Auskunftsverweigerung durch den Vorstand (§ 131 Abs. 1c Satz 4 AktG) im Ergebnis auf einer höchst unsicheren Grundlage erfolgen würde und damit praktisch leerläuft. Die Verwaltung ist bei der Wahl des Formats der Hauptversammlung und auch bei ihrer Ausgestaltung dazu verpflichtet, einen möglichst rechtssicheren Weg zu wirksamen Beschlüssen zu wählen. Vor diesem Hintergrund dürften die zuvor aufgezeigten Rechtsunsicherheiten zumindest mittelfristig dazu führen, dass die meisten Gesellschaften von einer Entscheidung für das Vorabeinreichungs-Modell absehen werden.
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6. Vorabveröffentlichung des Vorstandsberichts Ordnet der Vorstand gemäß § 131 Abs. 1a Satz 1 AktG die Vorabeinrei- 36 chung von Fragen an, muss die Gesellschaft – quasi als Folgepflicht – den Bericht des Vorstands oder dessen wesentlichen Inhalt bis spätestens sieben Tage vor der Versammlung den Aktionären zugänglich machen (§ 118a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AktG). Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine gesetzliche Pflicht zur Vorabveröffentlichung des Vorstandsberichts besteht dann nicht, wenn der Vorstand von einer Vorabeinreichung von Fragen absieht. Jedoch bleibt es ihm in diesem Fall unbenommen, seinen Bericht freiwillig im Vorfeld der Hauptversammlung zu veröffentlichen.53 Unabhängig davon, wie der Vorstand sich entscheidet, besteht aber seine Pflicht zur Berichterstattung vor der Generaldebatte fort.54 Der Gesetzgeber verfolgt mit der Verpflichtung, den Vorstandsbericht vorab zu veröffentlichen, das Ziel, die Informationsgrundlage der Aktio53 Von der Möglichkeit der freiwilligen Veröffentlichung des Vorstandsberichts im Vorfeld der Hauptversammlung haben einige Gesellschaften bereits im Rahmen der Corona-Hauptversammlungen Gebrauch gemacht. 54 Tröger in KölnKomm/AktG, 4. Aufl. 2020, Bd. 9, § 118a AktG Rz. 44.
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näre im Vorfeld der Hauptversammlung zu stärken und diese insoweit in die Lage zu versetzen, auf verbesserter Informationsbasis vor der Hauptversammlung Fragen an den Vorstand zu stellen.55 Aus praktischer Sicht führt die Vorabveröffentlichung des Vorstandsberichts zu einer Reihe von Herausforderungen für die Gesellschaften: Die längere Vorbereitungszeit für die Aktionäre wird zu mehr Fragen und damit auch zu mehr Angriffspotential führen. Die Verwaltung wird sich daher sowohl im Vorfeld als auch in der Hauptversammlung tiefergehenden und detaillierteren Fragen stellen müssen. 38 Hinsichtlich der Form der Veröffentlichung des Vorstandsberichts enthält das Gesetz keine Vorgaben. Daher kann der Vorstand seinen Bericht insbesondere in Textform oder in Form einer Videoansprache zugänglich machen.56 Nach § 118a Abs. 1 Satz 3 AktG müssen börsennotierte Gesellschaften den Vorstandsbericht über ihre Internetseite zugänglich machen. 39 Durch die Möglichkeit, nur den wesentlichen Inhalt des Vorstandsberichts vorab zu veröffentlichen, verbleibt dem Vorstand zwar die Gelegenheit, im Rahmen der Hauptversammlung selbst auf bestimmte Berichtspunkte nochmals vertieft/ergänzend einzugehen.57 Sowohl durch die Veröffentlichung des Gesamtberichts als auch seines wesentlichen Inhalts wird die Hauptversammlung jedoch um einen wichtigen Teil entwertet. Während in der Vergangenheit der Vorstandsbericht in der Hauptversammlung mit Spannung verfolgt wurde, dürfte dem bereits vorab veröffentlichten Vorstandsbericht in der virtuellen Hauptversammlung keine große Aufmerksamkeit mehr entgegengebracht werden. Die Vorabveröffentlichung hat darüber hinaus den Nachteil, dass die Wirtschaftspresse bereits auf Grundlage des vorab veröffentlichten Vorstandsberichts sowie der vorab veröffentlichten Fragen und Antworten schon vor der Hauptversammlung berichten kann, so dass die Verwaltung unter Umständen bereits vor Beginn der Hauptversammlung in eine Defensivposition gedrängt wird. Ihr wird damit weitgehend die Möglichkeit genommen, in der Vorstandsrede neue Akzente zu setzen. Schließlich dürften im Falle der Vorabveröffentlichung in der Versammlung vorgenommene Anpassungen des Vorstandsberichts möglicherwei-
55 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 16 f. 56 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 25. 57 Seibt/Danwerth, AG 2022, 177, 182.
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se als eine Verletzung von Informationsrechten der Aktionäre angegriffen werden.58
7. Rederecht Ebenso wie in der Präsenz-Hauptversammlung steht den Aktionären auch in der virtuellen Hauptversammlung ein Rederecht während der Versammlung zu, allerdings mit einigen Besonderheiten. Nach § 130a Abs. 5 Satz 1 AktG ist den elektronisch zur Versammlung zugeschalteten Aktionären das Rederecht im Wege der Videokommunikation zu gewähren.
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Die konkrete Ausgestaltung erfordert eine Zwei-Wege-Direktverbin- 41 dung, d.h. eine elektronische Zuschaltung über Video in der Versammlung, wodurch eine der Präsenz-Hauptversammlung vergleichbare Situation hergestellt wird.59 Im Ergebnis soll dadurch eine direkte Ansprache von Aktionären an die Verwaltung und somit eine Debatte als zentrales Element der Aussprache in der Hauptversammlung ermöglicht werden.60 Der Gesetzgeber verabschiedet sich daher von einer virtuellen Hauptversammlung „nach Drehbuch“, wie sie in den Corona-Hauptversammlungen in den letzten drei Jahren grundsätzlich möglich war.
Für Redebeiträge ist nach § 130a Abs. 5 Satz 2 AktG die von der Gesell- 42 schaft angebotene Form der Videokommunikation zu verwenden. Den Gesellschaften wird insoweit ein Gestaltungsspielraum eröffnet. Vorzugswürdig erscheint es, die Möglichkeit, einen Redebeitrag zu leisten, in das Aktionärsportal zu implementieren.61 Das Verfahren zur Anmeldung eines Redebeitrags ist gesetzlich nicht vorgegeben. Aus Praktikabilitätsgründen wird hierbei zu empfehlen sein, während der Hauptversammlung einen „virtuellen Meldetisch“ im Aktionärsportal einzurichten, an dem redewillige Aktionäre ihre Wortmeldungen dem Versammlungsleiter personenbezogen anzeigen können.62 Dabei sollte dem anzeigenden Aktionär die Möglichkeit eingeräumt werden, vergleichbar mit dem Wortmeldezettel in der Präsenz-Hauptversammlung, durch die Angabe bestimmter Da58 Bungert/Rieckers/Becker, DB 2022, 2074, 2077; Tröger in KölnKomm/AktG, 4. Aufl. 2020, Bd. 9, § 118a AktG Rz. 41. 59 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 32. 60 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 32. 61 Bungert/Rieckers/Becker, DB 2022, 2074, 2078; Seibt/Danwerth, DB 2022, 1434, 1440. 62 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 32.
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ten (wie z.B. Tagesordnungspunkte oder Art der Anträge) seinen Redebeitrag vorab zu spezifizieren. Hierdurch wird der Versammlungsleiter – wie bisher in der Präsenz-Hauptversammlung – in die Lage versetzt, Redner zu identifizieren und eine bestimmte Reihenfolge der Redebeiträge festzulegen.63 43 Auch im Übrigen stehen dem Versammlungsleiter die gleichen Rechte und Pflichten wie in der Präsenz-Hauptversammlung zu.64 Um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Debatte zu gewährleisten, kann er insbesondere redezeitbeschränkende Maßnahmen anordnen oder die Rednerliste schließen.65 Bei der technischen Umsetzung etwaiger Redezeitbeschränkungen stellt sich allerdings die Frage, ob der Versammlungsleiter kurz vor Fristablauf z.B. ein rotes Licht auf dem Bildschirm des Redners einblenden und unmittelbar nach Ablauf des festgelegten Zeitraums für Redebeiträge die Zuschaltung des Redners trennen darf.66 Vorzugswürdig erscheint ein gestuftes Vorgehen wie in der Präsenz-Hauptversammlung. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sollte zunächst das mildeste Ordnungsmittel angewandt werden (Ermahnung des Redners durch den Versammlungsleiter im Wege einer kurzen Unterbrechung der Zuschaltung des Redners), bevor dann stufenweise – jeweils nach erfolgter Ermahnung und Androhung – das nächstschärfere Ordnungsmittel und letztendlich die Trennung der Zuschaltung des Redners angeordnet wird.67 Vor diesem Hintergrund sind die Herausforderungen, mit denen der Versammlungsleiter in der virtuellen Hauptversammlung konfrontiert sein wird, im Wesentlichen mit denen in der Präsenz-Hauptversammlung vergleichbar. 44 Als Besonderheit hat der Gesetzgeber in § 130a Abs. 6 AktG zudem vorgesehen, dass sich die Gesellschaft in der Einberufung vorbehalten kann, die Funktionsfähigkeit der Videokommunikation zwischen Aktionär und Gesellschaft in der Versammlung und vor Beginn des Redebeitrags zu überprüfen und diesen zurückzuweisen, sofern die Funktionsfähigkeit nicht sichergestellt ist. Zwar steht die Beurteilung der 63 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 32. 64 Tröger in KölnKomm/AktG, 4. Aufl. 2020, Bd. 9, § 118a AktG Rz. 40. 65 Kubis in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 165; von der Linden in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb börsennotierte AG, 5. Aufl. 2022, Rz. 35.38. 66 So z.B. Bungert/Rieckers/Becker, DB 2022, 2074, 2079. 67 Vgl. Reichert in Drinhausen/Eckstein, Beck’sches Hdb der AG, 3. Aufl. 2018, § 5 Rz. 181.
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Funktionsfähigkeit im Ermessen der Gesellschaft, aufgrund der Bedeutung des Rederechts dürften die Hürden für eine Zurückweisung eines Redebeitrags mangels Funktionsfähigkeit allerdings hoch anzusetzen sein.68 Der Funktionstest ist aus praktischer Sicht sinnvoll und wird sich als Regelfall etablieren. Um Anfechtungsrisiken zu minimieren, sollten Gesellschaften das Ergebnis einer durchgeführten Funktionsprüfung sorgfältig dokumentieren und für die Dokumentation möglichst auf eine unabhängige Person (z.B. Notargehilfe oder Mitarbeiter des Hauptversammlungsdienstleisters) zurückgreifen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das elektronische Rederecht weit- 45 gehend dem Rederecht in der Präsenz-Hauptversammlung nachgebildet ist. Weitreichende Handlungsmöglichkeiten des Versammlungsleiters machen das Rederecht auch im virtuellen Format für diesen handhabbar. Dies gilt auch für den Fall, dass das Rederecht in diesem Format ausufernd in Anspruch genommen wird.
8. Einreichung von Stellungnahmen Ein völlig neues Element ist das in § 118a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, § 130a 46 Abs. 1 bis 4 AktG zwingend vorgesehene Recht der Aktionäre, sich bereits vor Beginn der virtuellen Hauptversammlung in Form von Stellungnahmen zu den Gegenständen der Tagesordnung zu äußern. Der Gesetzgeber hat dieses Recht zur Stellungnahme ausschließlich für die virtuelle Hauptversammlung vorgesehen und ist insoweit über sein selbstgestecktes Ziel, einen Gleichlauf zwischen der Präsenz- und der virtuellen Hauptversammlung herzustellen, hinausgeschossen. Das Recht zur Vorabeinreichung von Stellungnahmen vor der Hauptversammlung und das Rederecht in der Versammlung stehen nebeneinander. Die Aktionäre können daher sowohl eine Stellungnahme vor der Versammlung einreichen als auch einen Redebeitrag in der Versammlung leisten.69 Nach § 130a Abs. 1 Satz 1 AktG sind die Stellungnahmen im Wege elek- 47 tronischer Kommunikation unter Verwendung der in der Einberufung hierfür mitgeteilten Adresse einzureichen. Die Gesellschaft kann in der Einberufung nicht nur den elektronischen Übermittlungsweg (z.B. E-Mail oder Aktionärsportal), sondern auch das Format der Stellungnah-
68 Reger/Gaßner, RDi 2022, 396, 402. 69 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 31.
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me festlegen (z.B. Videobeitrag oder ausformulierter Text).70 Um einer möglichen ausufernden Einreichung von Stellungnahmen entgegenzutreten, kann die Gesellschaft das Stellungnahmerecht gemäß § 130a Abs. 1 Satz 2, 3 AktG nicht nur auf ordnungsgemäß zur Versammlung angemeldete Aktionäre begrenzen, sondern auch den Umfang der Stellungnahmen in der Einberufung angemessen beschränken.71 48
Zur „Angemessenheit“ der Beschränkung der Stellungnahmen schweigt der Gesetzgeber im Wesentlichen. In den Gesetzesmaterialien findet sich lediglich der Hinweis, dass als „angemessen“ nur angesehen werden könne, was zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Sichtung der eingegangenen Stellungnahmen erforderlich sei.72 Zudem sei bei der konkreten Ausgestaltung der Beschränkung das von der Gesellschaft gewählte Format für die Stellungnahme maßgeblich.73 Je nach Format kommt daher insbesondere eine zeichenmäßige oder zeitliche Beschränkung in Betracht.74 Im Ergebnis werden die Gesellschaften in der Frage der Angemessenheit möglicher Beschränkungen mit erheblichen Rechtsunsicherheiten konfrontiert werden.75 Es wird sich nicht nur die Frage nach der zu erwartenden Anzahl an Stellungnahmen sowie deren Umfänge stellen, sondern auch die Frage, welche Kapazitäten die Gesellschaft vorhalten muss, um eine angemessene Prüfung der eingegangenen Stellungnahmen gewährleisten zu können.76
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In zeitlicher Sicht sind die Stellungnahmen bis spätestens fünf Tage vor der Versammlung durch die Aktionäre einzureichen, wobei eingereichte Stellungnahmen bis spätestens vier Tage vor der Versammlung von der Gesellschaft zugänglich zu machen sind (§ 130a Abs. 2, 3 Satz 1 AktG). Dies hat nach § 130a Abs. 3 Satz 3 AktG bei börsennotierten Gesellschaften zwingend über die Internetseite der Gesellschaft zu erfolgen. Sofern die Gesellschaft den Zugang zu den Stellungnahmen allerdings auf ordnungsgemäß zur Versammlung angemeldete Aktionäre gemäß § 130a 70 71 72 73 74
RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 31; Mayer/Jenne/Miller, BB 2022, 1155, 1158. RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 31. RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 31. RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 31. Bungert/Rieckers/Becker, DB 2022. 2074, 2077; Klein, NZG 2022, 483, 485; Mayer/Jenne/Miller, BB 2022, 1155, 1158; Seibt/Danwerth, AG 2022, 177, 184. 75 So auch Mutter/Werner, AG 2022, R210, R210. 76 Vgl. Drinhausen/Keinath, BB 2022, 451, 459; Mayer/Jenne/Miller, BB 2022, 1155, 1158.
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Abs. 3 Satz 2 AktG beschränkt, kann die Veröffentlichung auch über die Internetseite eines Dritten erfolgen. Das eröffnet die Möglichkeit, auch auf das zugangsbeschränkte Aktionärsportal zurückzugreifen, das sich üblicherweise auf der Internetseite eines Dienstleisters befindet.77 Die praktische Bedeutung des Stellungnahmerechts dürfte überschaubar 50 sein. Aktionäre werden ihren beabsichtigten Redebeitrag in der Hauptversammlung überwiegend nicht durch eine vorab eingereichte Stellungnahme „verwässern“ wollen. Diese Einschätzung wird durch die Erfahrungen aus den Corona-Hauptversammlungen der Jahre 2021 und 2022 gestützt, in denen nicht wenige Gesellschaften auf freiwilliger Basis eine Möglichkeit zur Vorabeinreichung von Stellungnahmen in ihren Einberufungen vorgesehen hatten. Eine vor der Hauptversammlung eingereichte Stellungnahme dürfte allenfalls für einzelne professionelle Aktionäre interessant sein, die eine Verarbeitung ihrer Stellungnahme durch die Wirtschaftspresse im Vorfeld der Hauptversammlung zur „Einstimmung“ auf ihren Redebeitrag in der Hauptversammlung beabsichtigen.
9. Widerspruchsrecht In der virtuellen Hauptversammlung steht den elektronisch zur Ver- 51 sammlung zugeschalteten Aktionären ein Recht zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation zu (§ 118a Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 AktG). Im Vergleich zur Präsenz-Hauptversammlung ergibt sich im Ergebnis nur ein – dafür aber sehr wesentlicher – Unterschied: die Form des Widerspruchs. Die virtuelle Hauptversammlung sieht mit der elektronischen Widerspruchsmöglichkeit eine erhebliche Erleichterung vor. Während in der Präsenz-Hauptversammlung der Gang zum anwesenden Notar zwingend auf sich genommen werden muss, hat der virtuell teilnehmende Aktionär praktisch keine Hürden zu nehmen. In der Praxis kann dazu insbesondere eine E-Mail-Erreichbarkeit des anwesenden Notars hergestellt werden oder das Aktionärsportal derart gestaltet werden, dass der Aktionär durch Setzen einer entsprechenden Markierung, vorzugswürdig bei jedem einzelnen Tagesordnungspunkt, seinen Widerspruch erklären kann.78 77 BT-Drucks. 20/2653, S. 32. 78 Danwerth, AG 2020, 418, 431; Reger/Gaßner, RDi 2022, 396, 403; Schüppen, WPg 2021, 121, 127.
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53 Die Erfahrungen aus den vergangenen Corona-Hauptversammlungen haben gezeigt, dass diese erleichterte Form zu einer spürbaren Erhöhung der Anzahl der Widersprüche führt.79 Mit dem Anstieg der Anzahl der Widersprüche ist jedoch keine entsprechende Erhöhung der Beschlussmängelklagen einhergegangen.80 Die erleichterte Widerspruchsmöglichkeit wird offenbar auch verstärkt wahrgenommen, um einen allgemeinen Unmut über oder Protest gegen die Verwaltung zum Ausdruck zu bringen. Ob dies auch unter dem neuen Rechtsrahmen für die virtuelle Hauptversammlung zutrifft, erscheint nicht unwahrscheinlich, bleibt aber abzuwarten.
IV. Schlussbetrachtung in Thesen 54
1. Trotz bestehender Rechtsrisiken stellt die virtuelle Hauptversammlung eine handhabbare Alternative zur Präsenz-Hauptversammlung dar. Die Handhabbarkeit hängt allerdings wesentlich von der konkreten Ausgestaltung der Aktionärsrechte im Einzelfall ab. 2. Die Satzungsermächtigung zur Abhaltung virtueller Hauptversammlungen sollte Gegenstand der nächsten ordentlichen Hauptversammlung sein, um den Gesellschaften eine größtmögliche Flexibilität bei der Durchführung künftiger Hauptversammlungen zu gewähren. 3. Bei der Frage, ob künftig eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten werden soll, hat die Gesellschaft eine gewissenhafte Abwägung von individuellen, gesellschaftsbezogenen Faktoren, wie z.B. Aktionärsstruktur, Erwartungshaltung der Aktionäre, Verlauf vergangener Hauptversammlungen, kritische Tagesordnungspunkte oder Praktikabilitäts- und Kostengesichtspunkte vorzunehmen. 4. Sofern sich Gesellschaften für die virtuelle Hauptversammlung entscheiden, wird ihnen daran gelegen sein, die virtuelle Hauptversammlung derart auszugestalten, dass ein größtmöglicher Gleichlauf mit der Präsenz-Hauptversammlung hergestellt wird. Dies entspricht im Übrigen der Leitvorstellung des Gesetzgebers.81 5. Um Risiken für den Ablauf der virtuellen Hauptversammlung zu minimieren und vor allem Anfechtungsrisiken gering zu halten, sollten Gesellschaften mittelfristig von einer Vorverlagerung des Frage- und 79 Rieckers, DB 2021, 98, 102; Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 724. 80 So auch Bayer/Hoffmann, AG 2021, R147, R147; Noack/Zetzsche, AG 2020, 721, 724. 81 RegE, BT-Drucks. 20/1738, S. 14.
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Auskunftsrechts absehen und die Stellung von Fragen lediglich im Rahmen eines Redebeitrags in der Hauptversammlung zulassen. In diesem Zusammenhang bedarf auch eine (freiwillige) Vorabveröffentlichung des Vorstandsberichts einer gewissenhaften Prüfung. 6. Das Rederecht in der virtuellen Hauptversammlung ist weitgehend dem Rederecht in der Präsenz-Hauptversammlung nachgebildet. Weitreichende Handlungsmöglichkeiten des Versammlungsleiters führen zu dessen Handhabbarkeit auch im virtuellen Format. 7. Vor dem Hintergrund, dass die Reichweite und Wirkung einer vorab eingereichten Stellungnahme weit hinter der eines Redebeitrags liegt, dürfte ihre praktische Bedeutung überschaubar sein. 8. Zwar ist zu erwarten, dass das Widerspruchsrecht in der virtuellen Hauptversammlung vermehrt in Anspruch genommen wird, mit einer Zunahme von Beschlussmängelklagen ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den vergangenen Corona-Hauptversammlungen aber eher nicht zu rechnen. 9. Das in den Diskussionen im Vorfeld der Einführung der virtuellen Hauptversammlung angeführte Argument des angeblich überarbeitungsbedürftigen Beschlussmängelrechts geht fehl. Das bestehende Beschlussmängelrecht hat sich in der Praxis grundsätzlich bewährt. Ein breitflächiges Übel wie in den „wilden Zeiten“ stellen die Beschlussmängelklagen nicht mehr dar.
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Bericht über die Diskussion des Referats Wilsing Dr. Tom Schäfer Rechtsanwalt, Düsseldorf 1
In seinem Referat machte Hans-Ulrich Wilsing eine Standortbestimmung zum neuen Format der virtuellen Hauptversammlung, einem Reformthema, das bislang wechselhafte Resonanz erfahren hat.
2 Die Diskussion leitete Jens Koch. Einleitend lobte er, dass Wilsing eine äußerst ausgewogene Sichtweise auf das neue virtuelle Hauptversammlungsformat eingenommen habe. Er teile seine Einschätzung, dass die neue virtuelle Hauptversammlung kein „totes Recht“ sein werde. Ob dies auch für die Vorabeinreichung von Fragen gelte, könne er aber nicht gleichermaßen zuversichtlich beantworten. 3 Als erster Diskutant ergriff Ulrich Noack das Wort. Mit Blick auf die Aufgabenverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung stellte er zur Diskussion, ob die Einführung der virtuellen Hauptversammlung auch zu einer stärken Einbindung des Aktionariats führen könnte; Stichwort: Konsultativbeschlüsse. In diesem Zusammenhang führte Noack aus, dass die herkömmliche Präsenzversammlung ein schwieriges und teures Unterfangen gewesen sei und das virtuelle Format bei eleganter Ausgestaltung eher den Raum dafür biete, in sinnvollen Fällen die Meinung des Aktionariats einzuholen. Außerdem führte Noack in Anlehnung an den Vortrag von Anne Sanders aus, dass es wahrscheinlich richtig sei, nunmehr vom Leitbild des informierten, entschlossenen und aktiven Aktionärs auszugehen, während die Aktiengesetze 1937 und 1965 in ihrer Begründung ein konträres Aktionärsleitbild zeichneten. 4 Wilsing entgegnete, dass zunächst abgewartet werden müsse, wie das neue virtuelle Format in der Praxis angenommen werde und ob ggf. zurzeit noch unabsehbare praktische oder technische Probleme aufträten. Er könne sich aber vorstellen, dass das virtuelle Format zumindest dafür genutzt werden werde, um ein allgemeines Stimmungsbild der Aktionäre abzufragen. Wilsing äußerte aber Zweifel, ob die bestehenden Kompetenzen von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung sich tatsächlich verschieben würden. Insbesondere mit Blick auf § 76 Abs. 1
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Schäfer – Bericht über die Diskussion des Referats Wilsing
AktG umfasse die primäre Leitungsaufgabe des Vorstands, komplexe Gegenstände zu entscheiden. In einer rund vierstündigen Hauptversammlung sei es Aktionären kaum möglich, komplexe Themen im Einzelnen zu durchdringen. Dabei stellten sich auch die Fragen, wie ein solcher Konsultativbeschluss aussehen könne und ob sich die Verwaltung durch einen Konsultativbeschluss tatsächlich binden wolle. Tobias Tröger äußerte sodann, dass die Attraktivität der einzelnen Ge- 5 staltungselemente der virtuellen Hauptversammlung stark davon abhängen werde, wie sich die Gerichte dazu im Einzelfall verhalten. In diesem Zusammenhang komme es auch auf den materiellen Aspekt an, welche Anforderungen an die Hauptversammlung zu stellen seien, damit sie eine Versammlung im Rechtssinne sein kann. Die Annahme, es finde ein Austausch durch Rede und Gegenrede statt, um einen Konsens zu finden, treffe zumindest auf die Hauptversammlungen der großen deutschen börsennotierten Gesellschaften erkennbar nicht zu. Stimmmehrheiten würden vielmehr weit vor Beginn der Hauptversammlung feststehen. Dies sei auch kein Phänomen des angelsächsischen Investorenkapitalismus, sondern sei schon immer so gewesen. Tröger führte zudem aus, dass man nicht nur deskriptiv, sondern auch normativ davon ausgehen sollte, dass es in der Hauptversammlung zu keinem echten Meinungsaustausch und damit zu einer Willensbildung komme. Dies sei viel zu schwerfällig, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Investoren auf Ebene von Einzelunternehmen nicht besonders informiert oder aufgeklärt seien. Unter Berücksichtigung dieser Annahmen ist er der Ansicht, dass Gerichte von dem normativen Leitbild der Hauptversammlung abweichen müssten, wodurch die Fallstricke, die in den einzelnen Gestaltungselementen der virtuellen Hauptversammlung lägen, behoben werden könnten. Wilsing stimmte den Ausführungen von Tröger zu und führte aus, dass 6 institutionelle Investoren nicht auf Hauptversammlungen gehen und auch keine Redebeiträge leisten würden. Sie würden ihre Willensbildung und -äußerung im Vorfeld der Hauptversammlung vornehmen. Zudem sei bei großen Hauptversammlungen ein echter Dialog zwischen Aktionär und Verwaltung nicht anzutreffen, da der zeitliche Rahmen der Hauptversammlung es oftmals schon nicht zulasse, einem Aktionär mehrmals das Wort zu erteilen. Als nächster Diskutant ergriff Ulrich Tödtmann das Wort. Mit Blick auf datenschutz- und kunsturheberrechtliche Aspekte führte er aus, dass
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Schäfer – Bericht über die Diskussion des Referats Wilsing
die Aufzeichnung der virtuellen Hauptversammlung durch einzelne an der virtuellen Hauptversammlung teilnehmende Aktionäre kaum zu verhindern sei. Dies könne so weit gehen, dass teilnehmende Aktionäre eine nicht gewünschte Öffentlichkeit herstellen, sei es der Lehrer, der die Versammlung in die Klasse überträgt, oder sei es der Aktionär in der Straßenbahn. Tödtmann lenkte sodann den Blick auf die Frage, was man tun könne, um möglichen Anfechtungsgründen vorzubeugen. Aus seiner Sicht könne ein Anfechtungsrisiko bestehen, wenn ein teilnehmender Aktionär äußere, dass nach seinem Eindruck die Aktionärsöffentlichkeit unzulässigerweise überschritten und eine allgemeine Öffentlichkeit hergestellt sei und er aus diesem Grund davon absehe, seine Frage zu stellen. 8 Wilsing antwortete, dass es in diesem Zusammenhang entscheidend darauf ankommen werde, ob es für die Gesellschaft erkennbar sei, dass ein Aktionär in unzulässigerweise eine allgemeine Öffentlichkeit herstelle. In diesem Fall gehe er davon aus, dass die Gesellschaft berechtigt sei, dem jeweiligen Aktionär die Zuschaltung zu der Hauptversammlung zu verweigern. 9 Hartwin Bungert nahm anschließend Bezug auf die von Wilsing aufgestellte These, dass die Gesellschaft bei der Frage, ob künftig eine virtuelle Hauptversammlung abgehalten werden solle, eine gewissenhafte Abwägung von individuellen, gesellschaftsbezogenen Faktoren vorzunehmen habe. Für Bungert klinge dies so, als könnte der Vorstand bei seiner Entscheidung, eine virtuelle Hauptversammlung abzuhalten, unter Umständen gebunden sein. Nach seiner Auffassung sei dies aber nicht der Fall. Der Vorstand könne vielmehr frei entscheiden und müsse seine Entscheidung lediglich begründen. Darüber hinaus führte Bungert aus, dass er davon ausgehe, dass die Anfechtungsrisiken, die sich im Zusammenhang mit der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ergeben, handhabbar seien. 10 Wilsing entgegnete, dass seine These möglicherweise etwas „engherzig formuliert“ gewesen sei, er sehe es im Ergebnis wie Bungert. Seine These ziele darauf ab, dass der Vorstand seine Entscheidung an der konkreten Situation auszurichten habe. Der Vorstand müsse sich vergegenwärtigen, auf welchen Widerstand seine Entscheidung möglicherweise treffen werde. Insbesondere müsse der Vorstand seine Entscheidung in der Hauptversammlung begründen können, sofern sie hinterfragt werde. Außerdem bestehe eine gewisse praktische Bindung, denn ein Wechsel
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zwischen der virtuellen Hauptversammlung und der Präsenzversammlung sei für große Gesellschaften mit erheblichen organisatorischen Hürden verbunden. Im Übrigen teile Wilsing die Einschätzung, dass Anfechtungsrisiken allein keinen Grund darstellten, von einer virtuellen Hauptversammlung abzusehen. Als nächster Diskutant übernahm Matthias Höreth das Wort und kün- 11 digte an, auf verschiedene Punkte eingehen bzw. Fragen stellen zu wollen. Mit Blick auf die Erforderlichkeit einer Satzungsgrundlage für die Durchführung der virtuellen Hauptversammlung merkte er an, dass die meisten Gesellschaften das qualifizierte Erfordernis für die satzungsändernde Kapitalmehrheit in ihrer Satzung herabgesetzt hätten und dass er daher davon ausgehe, dass die Erreichung der erforderlichen Kapitalmehrheit keine allzu große Hürde darstellen werde. Darüber hinaus nahm Höreth auf die Möglichkeit der Vorabeinreichung von Gegenanträgen bzw. Wahlvorschlägen Bezug und äußerte Bedenken, ob dies in der Praxis zu Schwierigkeiten oder gar einer Antragsflut führen könne. Er führte dazu aus, dass die Anzahl der gestellten Anträge und Wahlvorschläge in der Praxis äußerst gering sei und diese durch den Versammlungsleiter nur selten zur Abstimmung gestellt werden würden. In Bezug auf die Vorabeinreichung von Fragen stellte Höreth die Frage, ob den Gesellschaften bei Abhalten einer virtuellen Hauptversammlung weiterreichende Möglichkeiten als in der Präsenzversammlung zustünden, um die Redezeit zu beschränken. Seine Frage ziele dabei insbesondere auf den Umstand, dass Aktionären bereits im Vorfeld der Hauptversammlung die Möglichkeit gegeben werde, Fragen zu stellen. Im Hinblick auf etwaige Fragen zu Sachverhalten, die sich erst nach Ablauf der Vorabeinreichungsfrist für Fragen ergeben, merkte Höreth an, dass sich diese ohnehin nur auf die Gegenstände der Tagesordnung beziehen dürften. Brandaktuelle Fragen müssten daher oftmals nicht beantwortet werden, da sie sich regelmäßig nicht auf das abgelaufene Geschäftsjahr beziehen. Zum Thema Ordnungsmittel in der virtuellen Hauptversammlung fragte Höreth sich, ob der bloße Bildentzug ein milderes Mittel gegenüber der vollständigen Trennung der Zuschaltung darstelle. Seine Frage zielte dabei vor allem auf die von Wilsing benannten Fälle, in denen Aktionäre allein die Bildübertragung missbrauchen. Zuletzt stellte Höreth die Frage, ob Wilsing mit Blick auf die Möglichkeit der Vorabeinreichung von Stellungnahmen ein zusätzliches Anfechtungsrisiko dergestalt sehe, dass Aktionäre gezielt grenzwertige Stellungnahmen
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Schäfer – Bericht über die Diskussion des Referats Wilsing
einreichen könnten mit dem Ziel, anfechtungsrelevante Fehler der Gesellschaft zu provozieren. 12 Wilsing entgegnete zunächst, dass er – wie in seinem Vortrag ausgeführt – davon ausgehe, dass die Doppelung des Gegenantrags- und Wahlvorschlagsrechts zu keinem wesentlichen Mehraufwand für die Gesellschaften führen werde, da die Anzahl der eingereichten Gegenanträge und Wahlvorschläge regelmäßig überschaubar sei. Zur Frage der Auswahl des Ordnungsmittels in Fällen, in denen Aktionäre allein die Bildübertragung missbrauchten, äußerte sich Wilsing insbesondere dahingehend, dass er die Wahl des Ordnungsmittels auch von der Person des Redners abhängig machen würde. Bei sog. professionellen Aktionären dürfte mit Blick auf die Vermeidung etwaiger Beschlussmängelklagen vorrangig eine Bildabschaltung in Betracht zu ziehen sein. Im Ergebnis komme es aber auch auf die Schwere des Verstoßes an. Zur Frage, ob ein erhöhtes Anfechtungsrisiko in Bezug auf die Behandlung vorab eingereichter Stellungnahmen bestehe, führte Wilsing insbesondere aus, dass Reichweite und Wirkung einer vorab eingereichten Stellungnahme weit hinter der eines Redebeitrags lägen und daher die praktische Bedeutung von Stellungnahmen überschaubar sei. Anfechtungsrisiken könne man dadurch vorbeugen, dass die Gesellschaft auch Stellungnahmen veröffentliche, die bspw. Zeichenbegrenzungen überschritten. 13 Als letzter Diskutant übernahm Thomas Heidel das Wort. Er lobte zunächst die sehr ausgewogene Sichtweise auf das neue Format der virtuellen Hauptversammlung, die Wilsing eingenommen habe. Heidel führte sodann aus, dass er Wilsings Auffassung teile, dass die Antworten des Vorstands auf vorab eingereichte Fragen zwingend auf der Internetseite der Gesellschaft im Vorfeld der Hauptversammlung zu veröffentlichen seien. Dies gelte sowohl für börsennotierte als auch für nichtbörsennotierte Gesellschaften. Heidel verstehe es aber nicht, weshalb Wilsing die Entscheidung des Vorstands, das virtuelle Format zu wählen, beschränken wolle. Der Gesetzgeber habe entschieden, dass das virtuelle Format für jeden Gegenstand der Tagesordnung genutzt werden könne. 14 Wilsing antwortete, dass er Heidels Auffassung hinsichtlich der Vorabveröffentlichung der Antworten des Vorstands im Ergebnis teile. Er gehe davon aus, dass sich nichtbörsennotierte Gesellschaften an der Praxis der börsennotierten Gesellschaften orientieren werden. Hinsichtlich der Beschränkung der Vorstandsentscheidung führte Wilsing aus, dass er
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Schäfer – Bericht über die Diskussion des Referats Wilsing
– wie auch zur Anmerkung von Bungert ausgeführt – keine Beschränkungen aus rechtlicher Sicht, sondern vielmehr aus tatsächlichen Gründen sehe. Der Vorstand müsse seine Entscheidung für das virtuelle Format in der Hauptversammlung nachvollziehbar verteidigen können.
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Say on Climate Beschlüsse von Hauptversammlungen – und die (grüne) Zukunft des Aktienrechts Prof. Dr. Anne Sanders, M.Jur. (Oxford)* Universität Bielefeld Rz.
Rz. I. Einleitung und Fragestellung: transformatives Gesellschaftsrecht und Aktionärsdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . II. Say on Climate – de lege lata 1. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . 2. Say on Climate international 3. Kompetenzen der Hauptversammlung in Deutschland . . a) Vorstandsinitiative . . . . . . aa) Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG . . . . . . . . bb) Konsultationsbeschluss und beschlusslose Hauptversammlungskonsultation . . . . b) Aktionärsinitiative . . . . . . aa) Auskunfts- und Rederecht, § 131 AktG . . . . bb) Weitere Einfallstore für die Thematisierung der Klimapolitik . . . . .
1 6 6 11 14 16 16
17 19 20
cc) Hauptversammlungszuständigkeit für ein Say on Climate. . . . . . III. Say on Climate & Co – die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenzordnung des Aktienrechts . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsvergleichender Blick und unionsrechtlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsvergleichender Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unionsrechtlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehr Aktionärsdemokratie wagen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eckpunkte einer (möglichen) Reform. . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .
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* Die Autorin ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht, das Recht der Familienunternehmen und Justizforschung an der Universität Bielefeld und Professorin II an der Juristischen Fakultät der Universität Bergen, Norwegen. Die Vortragsform wurde sprachlich beibehalten. Für Unterstützung bei Konzeption und Recherche danke ich Prof. Dr. Dr. h.c. Barbara Dauner-Lieb, Prof. Dr. Rafael Harnos, Shkelqim Berisha und Nina Berenbrinker.
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Sanders – Say on Climate Beschlüsse von Hauptversammlungen
I. Einleitung und Fragestellung: transformatives Gesellschaftsrecht und Aktionärsdemokratie 1 Nachhaltigkeit1 und Klimaschutz2 sind überlebenswichtige Themen für uns alle.3 2 Um die ökologischen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern, wird eine umfassende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft und ein Beitrag der Unternehmen gefordert. Die rechtspolitische und wissenschaftliche Debatte um die Rolle des Rechts, insbesondere des Gesellschaftsrechts hat längst begonnen und thematisiert Grundfragen vom Zweck der Gesellschaft über Organ- und Informationspflichten bis zur Rollenverteilung der Organe.4 Holger Fleischer beobachtet insofern auch in Deutschland einen Rollenwandel hin zu einem „transformativen Gesellschaftsrecht“,5 indem das Gesellschaftsrecht zum Instrument für die Durchsetzung politischer, insbesondere ökologischer und sozialer Ziele wird.6 Der europäische und deutsche Gesetzgeber setzt bei der Transformation der Wirtschaft und Gesell1 Dazu nur: Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, 3. Aufl. 2021; Hellgardt/Jouannaud, AcP 222 (2022), 163; Halfmeier, AcP 216 (2016), 717; speziell im Kontext des Gesellschaftsrechts etwa Mittwoch, Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht, 2022; dies., NJ 2021, 169; Ekardt, ZUR 2016, 463. 2 Zum Klimaschutz im Gesellschafts-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht bündig Fleischer, DB 2022, 37 m.w.N. Dessen steigende Bedeutung in der Rechtswissenschaft zeigen auch spezielle Fachzeitschriften wie etwa ESGZ – Fachzeitschrift für Nachhaltigkeit und Recht; KlimaRZ – Zeitschrift für materielles und prozessuales Klimarecht; ESG – Zeitschrift für nachhaltige Unternehmensführung; KlimR – Klima und Recht. 3 Dies ändert nichts an der schillernden Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit als „positiv besetzte Modevokabel“, so Koch, 16. Aufl. 2022, § 87 AktG Rz. 25; Bachmann, ZHR 186 (2022), 641, 646 spricht vom „Schlag- und Zauberwort der Stunde“; zur Entwicklung des Begriffs L. Beck, ZIP 2022, 1471 f.; kritisch mit Blick auf die Unschärfe und den inflationären Gebrauch des Begriffs etwa C. Louven/Ingwersen, BB 2013, 1219; Schön, ZfPW 2022, 207, 208 f.; bzgl. „ESG“ kritisch auch C. Louven, BB 2022, 2178 („begrifflich schwammig“). 4 Vgl. hier nur jew. m.w.N. Habersack, AcP 220 (2020), 594; Fleischer, ZGR 2022, 466; Harbarth, ZGR 2022, 533; monographisch Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017; Mittwoch, Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht, 2022; im Kontext der „Corporate Purpose“-Diskussion s. Habersack, FS Windbichler, 2020, S. 707; Fleischer, ZIP 2021, 5; ders., ECFR 2021, 161; zuletzt Kuntz, ZHR 186 (2022), 652; Paefgen, DZWiR 2022, 555. 5 Fleischer, ZGR 2022, 466. 6 Vgl. hierzu auch Herchen, NJW 2022, 3111, 3114.
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schaft nicht nur auf Regulierung von außen, sondern vor allem auf die Präferenzen gut informierter Investoren und Verbraucher, die die Unternehmen mit ihren Investitions- und Kaufentscheidungen in die richtige, nachhaltige Richtung nudgen7 sollen.8 Während das deutsche Aktienrecht historisch vom uninteressierten und uninformierten Investor ausging,9 setzen heute Anteilseigner ihre Stimmrechte vermehrt aktiv mit dem Ziel einer Transformation von Unternehmen ein.10 Das deutsche Recht bietet dafür bisher jedoch nur ein begrenztes Instrumentarium, wie ich im zweiten Teil dieses Vortrags skizzieren möchte. So genannte ESG-Entscheidungen als Maßnahmen der Geschäftsführung fallen in Deutschland in die Kompetenz des Vorstands, der im Zentrum der Kompetenzordnung des Aktienrechts steht.
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Entscheidend ist die primär rechtspolitische Frage, ob dies so bleiben 4 sollte. Sollte der Gesetzgeber oder zumindest der DCGK „mehr Aktionärsdemokratie wagen?“ – heißt es angelehnt an Jochen Vetter11, Florian Drinhausen12 und auch Willy Brandt im dritten Teil meines Vortrags.13 Ist dies nicht vielleicht sogar konsequent, angesichts der europäischen Ausrichtung auf den informierten Investor? Dabei geht es 7 Dazu nur Thaler/Sunstein, Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt, 2. Aufl. 2022; Purnhagen/Reisch, ZEuP 2016, 629; Hufen, JuS 2020, 193; aus gesellschaftsrechtlicher Sicht s. Möslein/Sørensen, Nudging for corporate long-termism and sustainability: regulatory instruments from comparative and functional perspective, Columbia Journal of European Law 24 (2018), 391; s.a. Kuntz in FS Hopt, 2020, S. 653. 8 Umfassend zu Nachhaltigkeitsberichterstattung: Schön, ZfPW 2022, 207. Die Effizienz solcher Publizitätspflichten wird aber auch bezweifelt: Kolter, Nachhaltigkeit durch Transparenz? Ziele und Modelle einer Regulierung durch nichtfinanzielle Berichtspflichten, Diss. HU Berlin 2022 (im Erscheinen), zitiert nach Bachmann, ZHR 186 (2022), 641, 643 f. mit dortiger Fz. 15; vgl. rechtsökonomisch bereits grundlegend Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 276 ff. 9 Vgl. zur Rechtfertigung der „Entthronung“ der Hauptversammlung aufgrund fehlender Sachkunde der Hauptversammlung und niedriger Anwesenheitsquote: Fleischer in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. II, 2007, S. 430, 435. 10 Zum sog. (sustainable) shareholder activism sogleich unter Rz. 7 ff. 11 J. Vetter in FS Seibert, 2019, S. 1021. 12 Drinhausen, ZHR 186 (2022), 201. 13 Zur Entwicklung des Demokratiegedankens in der Aktiengesellschaft s. Bachmann, AG 2001, 635, 639 ff.
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nicht allein um den Klimaschutz durch Aktionärsvotum. Infrage steht vielmehr die grundsätzliche Rollenverteilung von Vorstand und Hauptversammlung.14 5 Ein Jahrhundertthema in neuer – grüner – Farbe könnte man sagen.
II. Say on Climate – de lege lata 1. Begrifflichkeiten 6 Mit einem Say on Climate15 kann sich die Hauptversammlung verbindlich oder rein beratend16 zur Klimapolitik der Gesellschaft äußern.17 Die Diskussion beschränkt sich aber nicht auf den Klimaschutz. Say on Pay findet sich seit 2009 im deutschen Aktienrecht18 und gefordert werden auch ein allgemeines Say on ESG19 oder Say on human rights.20 Der heutige Vortrag könnte also auch mit „Say on Everything“ überschrieben sein. In all diesen Fällen geht es um die Frage, ob und wie sich die Hauptversammlung zu Themen äußern kann, die üblicherweise der Ge14 Auf die bedeutsame Rolle des Aufsichtsrats wird hier nicht weiter eingegangen. Dazu etwa Harnos/Holle, AR 2022, 12, die insoweit von einem „Silent on Climate“ sprechen; allg. zum Aufsichtsrat und ESG etwa Weller/Benz, ZGR 2022, 563, 590 ff.; Link/Kohl/Pissarczyk, BB 2022, 2603; speziell zu Nachhaltigkeits- und ESG-Ausschüssen des Aufsichtsrats Jaspers, AG 2022, 309; zu den Auswirkungen von ESG-Belangen auf die unternehmerische und betriebliche Mitbestimmung z.B. Heimann/Flöter, ESG 2022, 138; zu ESG und Steuerrecht Höring, DStZ 2022, 661. 15 Harnos/Holle, AG 2021, 853; s. auch Berger, BOARD 2022, 193; Fleischer, DB 2022, 37, 43; Jaspers, AG 2022, 145, 151. 16 Zum Beschlusscharakter und zur Zulässigkeit solcher Beschlüsse ausf. Harnos/Holle, AG 2021, 853, 858 ff. m.w.N. 17 Harnos/Holle, AG 2021, 853. 18 Dazu Fleischer, AG 2010, 681. § 120a AktG, der den konsultativen Say on Pay-Beschluss regelt, gelangte mit dem ARUG II 2019 in das Gesetz, der auf die 2017 durch Aktionärsrechte-RL II neu gefasste Vorgaben in Art. 9a V Aktionärsrechte-RL zurückgeht. Vorläufer war § 120 Abs. 4 AktG VorstAG 2009; zur Entstehungsgeschichte Hoffmann in BeckOGK/AktG, 1.10.2022, § 120a Rz. 5 ff.; allg. zum Say on Pay etwa Spindler, AG 2020, 61; Herrler, ZHR 184 (2020), 408; Anzinger, ZGR 2019, 39; zuletzt Velte, DStR 2022, 440; zu ersten Erfahrungen aus der Hauptversammlungspraxis s. Schmelter, AR 2022, 50. 19 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640; Weller/Fischer, ZIP 2022, 2253, 2265; auch die EU-Kommission stellt bereits entsprechende Überlegungen an, vgl. J. Schmidt, BB 2020, 1794, 1799; Jasper, AG 2022, 145, 151. 20 Mock/Mohamed, NZG 2022, 350; s.a. Sharaf, ZIP 2022, 1427.
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schäftsführung, das heißt dem Vorstand (vgl. § 76 Abs. 1 AktG), zugeordnet werden. Die Say on Climate-Bewegung wird maßgeblich von institutionellen 7 Anlegern resp. Investoren21 vorangetrieben. „Shareholder Activism“22 tritt heute vermehrt als „Sustainable Shareholder Activism“23 in Erscheinung und beschreibt wiederum die aktive Einflussnahme der Aktionäre auf die ESG-Politik des Unternehmens.24 Dabei handelt es sich nicht nur um vereinzelte Aktivisten, die mit einer einzelnen Stimme legitimiert in die Hauptversammlung kommen und dort, wie z.B. im Mai 2022 bei Shell, Aufmerksamkeit etwa durch lautes Singen von „We will stop you“ erregen.25 Nein, die Say on Climate-Bewegung wird maßgeblich von institutionellen Anlegern geprägt, beispielsweise den sog. Big Three Black Rock, Vanguard und State Street. Hinzukommen Stimmrechtsberater wie ISS und Glass Lewis. Während solche institutionellen Investoren als „Heuschrecken“ früher nicht eben ein positives Image hatten,26 verstehen sich viele von ihnen heute als active owners,27 stewards, die auf die ESG-Politik der Unternehmen Einfluss nehmen wollen, an denen sie beteiligt sind.28
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Dahinter steht im Einzelfall sicherlich persönliche Überzeugung, wie 9 beispielswiese bei Sir Chris Hohn, der den Children’s Investment Fund 21 Hierzu mit rechtsvergleichendem Blickwinkel erhellend K. J. Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 499 ff.; s.a. im Zusammenhang mit ESG Hell, NZG 2019, 338. 22 Hierzu ausf. Albath, Shareholder Activism im Rahmen der Hauptversammlung, 2022; Gröntgen, Operativer shareholder activism, 2020; Gerlicher, Shareholder Activism im Regelungskontext des deutschen Aktien- und Kapitalmarktrechts, 2017; Schockenhoff/Culmann, ZIP 2015, 297; Graßl/Nikoleyczik, AG 2017, 49; Link, ZGR 2021, 904. 23 Dazu eing. Jaspers, AG 2022, 145; s.a. Illert/Schneider, DB Beilage zu Heft 22, 2022, 33. 24 Jaspers, AG 2022, 145, 147; Illert/Schneider, DB Beilage zu Heft 22, 2022, 33. 25 Vgl. https://edition.cnn.com/2022/05/24/europe/climate-protesters-shell-mee ting-intl/index.html (zuletzt abgerufen am 28.12.2022). 26 Vgl. Harnos/Holle, AG 2021, 853. 27 Vgl. Jaspers, AG 2022, 145, 147 f.; Keltsch, Aktionärsrechte und Nachhaltigkeit, 2012, S. 34. 28 Zum Einfluss von ESG auf Unternehmenskäufe und das Investitionsverhalten ausf. C. Louven, BB 2022, 2178; zu Investmentfonds und ESG auch Ekkenga, WM 2022, 1765; ders., WM 2022, 1813.
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und die weltweite Initiative sayonclimate.org ins Leben gerufen hat.29 Mindestens genauso wichtig ist aber das ökonomische Kalkül: Immer mehr Investoren wollen nicht in Unternehmen investieren, deren Geschäftsmodelle durch den Klimawandel bedroht werden. 10
„Wer sich heute dem Problem des Klimawandels nicht stellt, hat keine Zukunft. Wenn ein CEO da keine Strategie hat, dann sollte er besser kein CEO sein“, so Larry Fink im Interview.30 Investoren gehen auch davon aus, dass „grüne“ Anlagen von ihren Kunden honoriert werden. Manche Anleger wie der norwegische Staatsfond GPF-G sind zu solchen Anlagen auch verpflichtet.31
2. Say on Climate international 11
Rechtstatsächlich ließen sich in den letzten Jahren einige Fälle von sustainable shareholder activism32 beobachten.33 Prominentes Beispiel ist der aktivistische Hedgefond Engine No. 1 der 2021 drei Sitze im Board von ExxonMobil eroberte. 2021 stimmten bei Chevron 61 % der Anteilseigner für den Antrag, Treibhausemmissionen erheblich zu senken.
12 In diesem und dem letzten Jahr kam es in der Schweiz bei Nestlé,34 LafargeHolicom35 und Credit Suisse sowie in Frankreich,36 z.B. bei Vinci,37 zu Entscheidungen über Klimafragen. Im Vereinigten Königreich
29 Vgl. auch Fleischer, DB 2022, 37, 43 m.N. 30 Schönauer, „Larry Fink ist eine Macht an der Wall Street“, FAZ v. 31.10.2022. 31 Dazu näher Kretschmar/Ringel/Schiereck, ZfU 2020, 347. 32 Grundlegend dazu Jaspers, AG 2022, 145; s.a. Illert/Schneider, DB Beilage zu Heft 22, 2022, 33. 33 Hier und nachfolgend vgl. Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 644, 645. 34 Nestlé Pressemitteilung v. 26.2.2021 https://www.nestle.com/sites/default/fi les/2021-02/esg-giving-shareholders-say-sustainability-de.pdf (zuletzt abgerufen am 29.12.2022). 35 LafargeHolcim, Medienmitteilung vom 8.4.2022 https://www.holcim.com/si tes/holcim/files/2022-04/20220408_press_holcim_agm_invitation_de.pdf (zuletzt abgerufen am 29.12.2022). 36 Zur Rechtslage in Frankreich: Rapone/Dessard Jacques, Droit des Sociétés 6/2021, 10; allg. zu ESG in Frankreich Sahbatou, EuZW 2022, 59. 37 Climate Transition Plan, Vinci, Result of the Vote of the Resolutions, 8.4.2021, 11. Resolution, https://www.vinci.com/vinci.nsf/en/ag2021/$file/vin ci-result-vote-resolution-ag2021.pdf (zuletzt abgerufen am 29.12.2022).
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legte Unilever38 2021 seinen Climate Transition Plan den Aktionären vor. Auch bei Shell39 votierten die Anteilseigner 2021 und 2022 zum Energy Transition Plan des Unternehmens. Insgesamt ist daher mit Jochen Vetter ein „Trend“ von Say on Climate-Voten im Ausland zu konstatieren.40 Allmählich nimmt dieser Trend auch in Deutschland Fahrt auf. So beantragte jüngst der Church of England Pension Fund die Offenlegung von Lobbying Aktivitäten auf der Hauptversammlung von VW. Da die Gesellschaft das Tagesordnungsverlangen aus Rechtsgründen nicht auf die Tagesordnung setzte,41 hat der Church of England Pension Fund zusammen mit Schwedischen und Dänischen Pensionsfonds Mitte Oktober Klage erhoben.42 Solche Klimaklagen (Climate Change Litigation) gegen Unternehmen nehmen auch in Deutschland zu und werden zunehmend als Unternehmensrisiko wahrgenommen.43
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3. Kompetenzen der Hauptversammlung in Deutschland Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Hauptversammlung beim Thema Klimaschutz werden aktuell in Deutschland intensiv diskutiert. Umfas-
38 Mit einer Zustimmung von 99 %, Cavale, Unilever says majority of shareholders voted in favour of climate action plan, Reuters, 5.5.2021, https://ottosc. hm/tliWA (zuletzt abgerufen am 29.12.2022). 39 Mit einer Zustimmung von 89 %, Bousso, Shell shareholders increase pressure for further climate action, Reuters, 18.5.2021 https://www.reuters.com/busi ness/energy/shell-shareholders-overwhelmingly-support-energy-transitionplan-2021-05-18/ (zuletzt abgerufen am 29.12.2022). 40 J. Vetter, Börsen-Zeitung v. 14.5.2022, Nr. 93, S. 9 mit der Überschrift „Say-onClimate-Voten international im Trend“. 41 Jaspers, AG 2022, R240; Fuhrmann/Rösler, AG 2022, R153. 42 Press release vom 20.10.2022 https://www.churchofengland.org/media-andnews/press-releases/church-england-pensions-board-begins-legal-proceedingsagainst-german (zuletzt abgerufen am 29.12.2022); s.a. Chmielewski, „Hausfeld und Linklaters streiten über VW-Lobbyismus – Amtsgericht soll entscheiden“, juve v. 21.10.2022 (online abrufbar unter https://www.juve.de/verfah ren/hausfeld-streitet-mit-linklaters-ueber-vw-lobbyismus-amtsgericht-soll-ent scheiden/, zuletzt abgerufen am 29.12.2022). 43 Vgl. etwa Stein/vom Kolbe, AR 2022, 124; C. Louven, BB 2022, 2178, 2181; Chatzinerantzis/Appel/Meyn, DB, Beilage zu Heft 22, 2022, 6, 7 f.; allg. zu privaten Klimaklagen eing. Weller/Tran, ZEuP 2021, 574, 575 ff.; Rodi/Kalis, KlimR 2022, 5; monographisch Kahl/Weller (Hrsg.), Climate Change Litigation, 2021.
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send aufgearbeitet wurde dies von Rafael Harnos und Philipp Maximilian Holle.44 Hier müssen ein paar knappe Ausführungen genügen. 15 Es lassen sich Beschlüsse, die auf Initiative des Vorstands getroffen werden, von Maßnahmen unterscheiden, die die Aktionäre selbst initiieren.
a) Vorstandsinitiative aa) Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG 16
Der Vorstand kann gemäß § 119 Abs. 2 AktG Klimaschutzmaßnahmen als Frage der Geschäftsführung der Hauptversammlung zur Entscheidung vorlegen.45 Der Hauptversammlung steht es frei, einen bindenden Beschluss46 oder lediglich eine Empfehlung auszusprechen47 oder den Beschluss gänzlich zu verweigern. Solche Beschlüsse sind aufgrund des hohen Aufwands und des „Risikos“ eines bindenden Hauptversammlungsbeschlusses48 selten, so dass § 119 Abs. 2 AktG auch als „totes Recht“ bezeichnet wird.49
bb) Konsultationsbeschluss und beschlusslose Hauptversammlungskonsultation 17
Statt einer klassischen Vorlage nach § 119 Abs. 2 AktG kann der Vorstand nach überwiegender Auffassung als Minus auch einen bloßen Konsultationsbeschluss50 einholen oder sogar eine beschlusslose Hauptversammlungskonsultation51 durchführen.52
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Damit steht dem Vorstand ein abgestuftes Instrumentarium zur Einbindung der Hauptversammlung bei ESG-Themen aller Art zur Verfügung, die zwar erhebliche Kosten und Verzögerungen bedeuten, aber dem Vor44 45 46 47 48 49 50
Harnos/Holle, AG 2021, 853. Fleischer, DB 2022, 37, 43; Harnos/Holle, AG 2021, 853, 857. Koch, 16. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 15. Harnos/Holle, AG 2021, 853, 857; Koch, 16. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 15. Harnos/Holle, AG 2021, 853, 857. So etwa Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 646. Harnos/Holle, AG 2021, 853, 858 f.; Fleischer, AG 2010, 681, 689; Koch, 16. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 13, die von Konsultativbeschlüssen sprechen; Tröger in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2021, § 119 AktG Rz. 19, 70; a.A. Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2016, § 119 AktG Rz. 202; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 119 AktG Rz. 22. 51 Harnos/Holle, AG 2021, 853, 861. 52 Harnos/Holle, AG 2021, 853, 861.
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stand auch eine gewisse Sicherheit53 bei der Akzeptanz von Klimaschutzinitiativen geben können, die zumindest kurzfristig die Profitabilität senken.54 Auch ohne eine soft law-Empfehlung könnte sich insoweit eine best practice etablieren. Diese Option sollte nicht unterschätzt werden. In der internationalen Praxis beruhen Say on Climate-Beschlüsse offenbar ohnehin überwiegend auf Managementinitiativen.55
b) Aktionärsinitiative Im Gegensatz zum Vorstand stehen den Aktionären derzeit nur ein- 19 geschränkte, indirekte56 Instrumente zur Verfügung, um in der Hauptversammlung tätig zu werden. Außerhalb der Hauptversammlung kommunizieren große Anteilseigner durchaus auch direkt mit der Verwaltung.57
aa) Auskunfts- und Rederecht, § 131 AktG Aktionäre können ihr Auskunfts- und Rederecht58 nutzen. In Betracht 20 kommen dafür z.B. die Tagesordnungspunkte „Entlastung“, sowie „Vorlage des Jahresabschlusses“, da hier neben dem Jahresabschluss auch die nichtfinanzielle Erklärung als Bestandteil des Lageberichts nach § 289b Abs. 1 Satz 1 HGB umfasst ist.59 Auch die materielle Rechtfertigung von Kapitalerhöhungen unter Bezugsrechtsausschluss können eine Diskussion über Nachhaltigkeitsaspekte auslösen.60
53 Haftungsbegrenzungen können freilich nicht durch Konsultativbeschlüsse erlangt werden. 54 Vgl. Weller/Benz, ZGR 2022, 563, 600 f. 55 So jedenfalls Lucina Berger (zitiert nach Harnos, AG 2022, R290, R294), wonach im Ausland „ca. 90 % der Say on Climate-Beschlüsse auf Managementinitiative und ca. 10 % auf Aktionärsinitiative“ zurückgehen würden. 56 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 645. 57 Vgl. Jaspers, AG 2022, 145, 148 f.; Illert/Schneider, DB Beilage 02/2022, 33, 34. 58 Poelzig in BeckOGK/AktG, 1.10.2022, § 131 Rz. 200; BayObLG v. 30.11.1995 – 3Z BR 161/93, NJW-RR 1996, 679, 680 = AG 1996, 180; J. Koch, 16. Aufl. 2022, § 131 AktG Rz. 1. 59 Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856; Poelzig in BeckOGK/AktG, 1.10.2022, § 131 Rz. 103, 113; Hecker/Bröcker, AG 2017, 761, 768 f.; z.B. Jaspers, AG 2022, 145, 151 ff. 60 Weller/Benz, ZGR 2022, 563, 598 f. dortige Fn. 220.
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21 Allerdings hilft das Rede- und Auskunftsrecht nicht wirklich weiter: zum einen ist der Vorstand nicht in jedem Einzelfall verpflichtet, im Detail oder überhaupt zu antworten.61 Wichtiger aber noch: das Rede- und Auskunftsrecht dient der individuellen Stellungnahme und Informationserlangung und ermöglicht kein Votum der Hauptversammlung in ihrer Gesamtheit.62
bb) Weitere Einfallstore für die Thematisierung der Klimapolitik 22 Als „Sanktion“ für eine – in den Augen der Aktionäre – unzureichende Klimapolitik des Vorstands, kann die Hauptversammlung dem Vorstand die Entlastung verweigern.63 Denkbar ist auch, dass Klimaschutz-Belange bei der Bestellung von Aufsichtsräten64 eine Rolle spielen; es sei hier nur an das Beispiel ExxonMobil erinnert. Außerdem können ESG-Kriterien im Rahmen von Say on Pay Beschlüssen wichtig werden.65 Allerdings erfordern all diese Punkte einen umfassenden Blick, in dem einzelne Klimaschutzaspekte im Normalfall „untergehen“ werden.66
cc) Hauptversammlungszuständigkeit für ein Say on Climate 23
Damit stellt sich die Frage, ob Aktionäre ein Say on Climate nach § 122 Abs. 2 AktG auf die Tagesordnung setzen und bekannt machen lassen könnten. Ein entsprechender Versuch wurde vom Münchener Investor Enkraft Capital unternommen, der darauf zielte, dass die RWE AG sich von ihrem Braunkohlegeschäft trennen sollte.67
24 Nach h.M. enthält § 122 Abs. 2 AktG die ungeschriebene Voraussetzung einer Hauptversammlungskompetenz.68 Eine solche Hauptversammlungskompetenz zu identifizieren fällt schwer, denn die Klimapolitik
61 Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856; Poelzig in BeckOGK/AktG, 1.10.2022, § 131 Rz. 103, 113. 62 Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856 zu ESG-Tagesordnungspunkte im Allgemeinen. 63 Ott, NZG 2020, 99, 102; Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856 f. 64 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 644, 645. 65 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 644, 645. 66 Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856 f. 67 Näher Fuhrmann/Döding, AG 2022, R168 f.; Jaspers, AG 2022, R240. 68 Koch, 16. Aufl. 2022, § 122 AktG Rz. 18; KG v. 12.3.2020 – 22 W 73/19, NZG 2020, 710 = AG 2020, 591.
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fällt als Geschäftsführungsmaßnahme69 in den originären Kompetenzbereich des Vorstands.70 Weder in § 119 Abs. 1 AktG noch in anderen aktienrechtlichen Normen findet sich eine ausdrückliche Kompetenz der Hauptversammlung für Klimaschutzbelange.71 Eine Zuständigkeit nach § 120a AktG, der den Say on Pay Beschluss regelt, kommt nicht in Betracht, da die Norm eine abschließende Regelung enthält.72 In grünem Gewand stellt sich auch die bekannte Frage nach dem Ver- 25 hältnis von Vorstandskompetenz und Hauptversammlung bei der Satzungsänderung (§ 119 Abs. 1 Nr. 6, § 179 AktG) des Unternehmensgegenstands (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG). Statt um Smarts und Maybachs73 könnte es hier in Zukunft um die Einstellung der Braunkohleförderung oder das Ende der Produktion von Benzinern gehen. Die Hauptversammlung kann der Unternehmenstätigkeit so allgemein „grünere“ Rahmenvorgaben74 geben. Grünes Mikromanagement darf sie aber nicht betreiben. Allerdings ist eine Satzungsänderung ein grundsätzlicher Schritt und eignet sich kaum für regelmäßige Stellungnahmen zur Klimapolitik des Vorstands. In Betracht kommt schließlich eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung75 nach der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung76 69 Vgl. m.w.N. Kubis in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 24; Koch, 16. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 20; Ott, NZG 2020, 99 f. 70 Fleischer, DB 2022, 37, 43. Allg. zur Kompetenz für Geschäftsführungsfragen: Fleischer in BeckOGK/AktG, 1.7.2022, § 76 Rz. 7; Kubis in MünchKomm/ AktG, 5. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 18; Koch, 16. Aufl. 2022, § 76 AktG Rz. 1 f., § 119 Rz. 11 ff.; BSG v. 15.12.2020 – B 2 U 4/20 R, NZG 2021, 930, 931 Rz. 14 = AG 2021, 711; BGH v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, ECLI:DE:BGH: 2019:080119UIIZR364.18.0, NZG 2019, 505, 509 Rz. 34 = GmbHR 2019, 528 m. Anm. Ulrich = AG 2019, 422. 71 Illert/Schneider, DB Beilage 2/2022, 33, 34; Ott, NZG 2020, 99, 100. 72 Illert/Schneider, DB Beilage 2/2022, 33, 34; Harnos/Holle, AG 2021, 853, 856. 73 Vgl. OLG Stuttgart v. 22.7.2006 – 8 W 271/06, 8 W 272/06, AG 2006, 727; kritisch dazu Priester in FS Hüffer, 2010, S. 777. 74 OLG Stuttgart v. 22.7.2006 – 8 W 271/06, 8 W 272/06, AG 2006, 727, 728. 75 Grundlegend insofern Lutter, DB 1973, Beilage 21/73, 71; ders. in FS Barz, 1974, S. 199; ders. in FS Westermann, 1974, S. 347. 76 Liebscher in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 119 AktG Rz. 12 f.; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, NJW 1982, 1703 (Holzmüller); BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, NJW 2004, 1860 (Gelatine I) = AG 2004, 384; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575 (Gelatine II); vgl. dazu Adolff, ZHR 169 [2005] 310; Fleischer, AG 2004, 2335.
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Den danach erforderlichen, tiefen Eingriff in die Mitgliedsrechte der Anteilseigner wird man bei Klimamaßnahmen aber selbst dann nicht annehmen können, wenn der Klimawandel absehbar fundamentale Auswirkungen auf das Geschäftsmodell des Unternehmens haben wird.77 Der BGH hat einer Ausweitung ungeschriebener Hauptversammlungskompetenzen seit der Gelatine-Entscheidung auch eine Absage erteilt. 27
Auch die Abgabe eines rein beratenden Beschlusses oder beschlusslosen Meinungsbildes auf ein entsprechendes Aktionärsverlangen nach § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG hin78 wird von der h.M. abgelehnt.79
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Allerdings wäre ein Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG um solche Tagesordnungspunkte weniger starken Bedenken ausgesetzt, da die Aktionäre sich auch durch ihr Rede- und Auskunftsrecht äußern können.80 Die historische Auslegung spricht auch nicht gegen die Zulässigkeit. Die Gesetzesbegründung81 und Literatur82 von 1937 gingen offenbar davon aus, dass die Hauptversammlung unverbindliche Beschlüsse fassen könne. Der Gesetzgeber von 1965 machte keine Aussage mehr zu solchen Beschlüssen. Der Gesetzgeber von 2009 nahm an, den Say-onPay Beschluss im Rahmen des VorstaG neu schaffen zu müssen.83 Diese Ausnahmevorschrift spricht heute eher gegen eine allgemeine Zuständigkeit der Hauptversammlung für Konsultativbeschlüsse zu Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands, auch wenn man hier noch weiter nachdenken könnte. 77 Ott, NZG 2020, 99, 100; Illert/Schneider, DB Beilage 2/2022, 33, 34. 78 Fleischer, DB 2022, 37, 43; Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 646; Harnos/ Holle, AG 2021, 853, 862 f.; Ott, NZG 2020, 99, 101. 79 Koch, 16. Aufl. 2022, § 119 AktG Rz. 11; Mülbert in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2016, § 119 AktG Rz. 214; a.A. Drinhausen in Hölters/Weber, 4. Aufl. 2022, § 119 Rz. 11; speziell zu Klima- und Umweltfragen ablehnend: Harnos/ Holle, AG 2021, 853, 862 ff.; Ott, NZG 2020, 99, 101; a.A. M. Roth/Ekkenga, AG 2021, 409. 80 Harnos/Holle, AG 2021, 853, 866; auch Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 645 nur ohne Probeabstimmung, da sonst Beschlussvoraussetzungen unterlaufen werden könnten. 81 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 644 unter Verweis auf Mathes, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, 1937, S. 192: „Eine sonstige Stellungnahme der Hauptversammlung zur Geschäftsführung ist für den Vorstand unverbindlich. Er kann ihr folgen, braucht es aber nicht.“ 82 Vgl. dazu m.N. Harnos/Holle, AG 2021, 853, 863. 83 BT-Drucks. 16/13433, 12; Çapa, Konsultative Hauptversammlungsbeschlüsse, 2021, S. 158 f.; Fleischer, AG 2010, 681, 689 f.
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Damit ist festzuhalten, dass nur der Vorstand, in dessen Kompetenz der Klimaschutz als Maßnahme der Geschäftsführung fällt, ein Say on Climate durch die Hauptversammlung initiieren kann. Aktionäre müssen indirekte Wege in und auch außerhalb der Hauptversammlung nutzen.
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III. Say on Climate & Co – die Zukunft Auf der Grundlage dieses Befundes ist nun zu diskutieren, ob die recht- 30 lichen Voraussetzungen für ein Say on Climate der Aktionäre geschaffen werden sollten.
1. Kompetenzordnung des Aktienrechts Wie bereits angesprochen geht es bei dieser Frage nicht um einen kos- 31 metischen Eingriff, sondern um das grundlegende Verhältnis der Organe der Aktiengesellschaft und ob den Aktionären in diesem Kompetenzgefüge eine stärkere Stimme verliehen werden sollte. Die aktuelle Kompetenzordnung ist nicht Ausfluss eines Naturgesetzes. 32 Das Machtverhältnis zwischen Vorstand und Anteilseignern hat sich seit Beginn des Aktienrechts in Wellenbewegungen entwickelt.84 Während zunächst aufgrund mangelnder gesetzlicher Regelungsdichte der Gesellschaftsvertrag die Verfassung der Gesellschaft bestimmte, zielte die Aktienreform von 1884 nach einer Zeit der Unklarheit auf eine Stärkung der Hauptversammlung. Nun war die „Generalversammlung“ das „höchste, vornehmste Organ“.85 1937 schlug das Pendel wiederum in die andere Richtung. Wie bereits 33 gerade gezeigt, hielt aber offenbar selbst das Aktienrecht von 1937 konsultative Beschlüsse auf Aktionärsinitiative für möglich. Das aktuelle Kompetenzgefüge räumt dem Vorstand seitdem die zentrale Rolle ein.86
84 Fleischer in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. II, 2007, S. 430, 432 ff.; ders. in FS Heldrich, 2005, S. 597, 604 ff.; bündig Koch, ZGR-Sonderheft 19 (2016), 65, 67 ff.; Grabolle, Die Pflicht des Vorstands zur Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen, 2017, S. 16 ff. 85 Fleischer in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. II, 2007, S. 430, 434. 86 Zur Leitungsaufgabe des Vorstands statt aller Fleischer, ZIP 2003, 1.
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34 Politisch einprägsam könnte man nun fordern, das „Führerprinzip“ des nationalsozialistisch geprägten Aktienrechts87 müsse im Interesse der Nachhaltigkeit endlich der „Aktionärsdemokratie“ weichen. Da hätte man dann gleich mehrere Buzzwords in einem Satz und ein Journalist könnte eine prima Schlagzeile machen. Ich muss Ihnen aber nicht sagen, dass eine solche Forderung Unsinn wäre. Vergleiche zwischen Hauptversammlung und Staatsvolk hinken. 35
Die Aktienreform fand zwar unter nationalsozialistischem Regime statt und wurde auch mit entsprechendem Vokabular von Volk und Reich gewürzt. Doch reichen die Vorarbeiten und Überlegungen zeitlich und inhaltlich über nationalsozialistisches Gedankengut hinaus.
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Von großer Bedeutung war damals und ist bis heute die Frage, wem die Aktiengesellschaft zu dienen habe, ihren Aktionären oder einem Bündel verschiedener Stakeholder, wie man heute sagen würde.88 Dabei wird ein Vorrang der Aktionäre bis heute damit begründet, dass diesen als Kapitalgeber und wirtschaftliche Eigentümer die zentrale Stellung gebühre.89 Das Ziel müsse daher die Steigerung des Shareholder Value für die Aktionäre sein.90 Eben diese Shareholder Value Orientierung wird heute teilweise als wesentliches Hindernis einer nachhaltigen Wirtschaft in den planetaren Grenzen verstanden.91 Mehr Freiheit des Vorstands, so wurde und wird eingewandt, erlaube demgegenüber die angemessene Würdigung aller Stakeholder.92
37 Das Nachdenken über diese Fragen, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in der Luft lagen, zeigen die Überlegungen von Walther Rathenau 87 Vgl. dazu Bayer/Engelke in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bd. I, 2007, S. 619, 623 ff., 631 ff. 88 Zur Diskussion statt anderer nur Fleischer in BeckOGK/AktG, 1.7.2022, § 76 Rz. 21 ff.; speziell aus rechtsökonomischer Perspektive ausf. Harenberg, KritV 2019, 393; jew. m.w.N. 89 Vgl. Fleischer in Hommelhoff/Hopt/Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 185, 195 f.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 76 AktG Rz. 40; Fleischer in BeckOGK/AktG, 1.7.2022, § 76 AktG Rz. 33. 90 Vgl. Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 76 AktG Rz. 40. 91 Sjåfjell/Johnson/Anker-Sørensen/Millon in Sjåfjell/Richardson, Company Law and Sustainability. Legal Barriers and Opportunities, 2015, S. 79 m.w.N.; Mittwoch, NR 2021, 169, 171 f.; dies, Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht, 2020, S. 123 ff., 145; Bruce/Jeromin, Corporate Purpose, 2020, S. 9; Schubert, Das Unternehmensinteresse, 2020, S. 42. 92 Vgl. Mittwoch, Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht, 2022, S. 136.
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in seiner Schrift „Vom Aktienwesen“,93 die heute mit dem eher negativ belegten Begriff des „Unternehmens an sich“ verbunden wird.94 Vor allem geht es in dem Werk um die Rolle des Großunternehmens, das weit über die Anteilseigner hinaus Bedeutung in der Gesellschaft hat.95 Auch in der berühmten US-amerikanischen Debatte zwischen A.A. Ber- 38 le und Merrick Dodd im Harvard Law Review96 1932 ging es letztlich um das Verhältnis von Aktionären und Verwaltung. Dabei propagierte Berle den Vorrang der Aktionärsinteressen gegenüber der Macht des Managements und wird bis heute für die Shareholder Value Orientierung reklamiert.97 Dodd dagegen befürwortete größere Freiheit der Verwaltung und verwahrte sich gegen die alleinige Ausrichtung des Unternehmens auf Profitmaximierung und Aktionärsinteressen.98 In der Diskussion um ein Say on Climate kehrt sich diese Diskussion 39 um: Während früher eine starke Verwaltung im Interesse von Gemeininteressen gefordert wurde, wird nun mehr Aktionärseinfluss für schnellere ESG-Transformation propagiert. Es wird argumentiert, Aktionäre zielten auf Shareholder Welfare Maximierung.99
93 Rathenau, Vom Aktienwesen – eine geschäftliche Betrachtung, 1917; rückblickend dazu Fleischer, JZ 2017, 991; monographisch Laux, Die Lehre vom Unternehmen an sich – Walther Rathenau und die aktienrechtliche Diskussion in der Weimarer Republik, 1998; Riechers, Das „Unternehmen an sich“ – Die Entwicklung eines Begriffes in der Aktienrechtsdiskussion des 20. Jahrhunderts, 1996. 94 In Rathenaus Schrift kommt dieser Begriff selbst freilich nicht vor, sondern wurde ihm von Haußmann (JW 1927, 370) „aufgedrückt“, s. diesbezüglich die Richtigstellung von Fleischer, JZ 2017, 991, 992 f. 95 Vgl. auch Fleischer, JZ 2017, 991, 994 f. 96 Berle, Harvard Law Review 1932, 1365; Dodd, Harvard Law Review 1932, 1145; vgl. hierzu m.w.N Mittwoch, Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht, 2022, S. 127, Fz. 21; zur Diskussion zuletzt Renner, ZEuP 2022, 782, 786 ff. 97 Berle, Harvard Law Review 1932, 1365; vgl. hierzu m.w.N Mittwoch, Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht, 2020, S. 127, Fn. 21. 98 Dodd, Harvard Law Review 1932, 1145. 99 Vgl. hierzu grundlegend Hart/Zingales, Journal of Law, Finance and Accounting (2) 2017, 247; dies., The New Corporate Governance, Discussion Paper No. 1081, 2022, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4159981 (zuletzt abgerufen am 29.12.2022); vgl. dazu aus dem deutschen Schrifttum etwa Fleischer, DB 2022, 37, 39; ders., NZG 2022, 1371, 1374; Harenberg, KritV 2019, 393, 426 f.; Tröger in FS Windbichler, 2020, S. 1447, 1454; zuletzt C. Koch/Kneflowski, BB 2022, 1963.
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40 Aber bedeutet mehr Aktionärsdemokratie auch notwendig mehr Klimaschutz? Meines Erachtens zeigt die historische Entwicklung und die Diskussion um Shareholder Value und Say on Climate die Vielfalt unter den Aktionären und die Wandelbarkeit ihrer Einschätzung. Die aktuelle Verbindung zwischen ESG-Themen und Shareholder Activism muss nicht von Dauer sein. Shareholder können dem Shareholder Value in ihren Abstimmungen auch wieder mehr Gewicht verleihen. In den USA formiert sich bereits eine Gegenbewegung zur ESG-Bewegung, ein sog. Anti-ESG100. Pensionsfonds republikanischer Bundesstaaten haben sich von dem ihrer Meinung nach zu grünen Black Rock verabschiedet.101 Die Wandelbarkeit von Aktionärspräferenzen bestätigt auch ein Vergleich der Abstimmungsergebnisse auf internationalen Hauptversammlungen zum Say on Climate in den Jahren 2021 und 2022. Die Zustimmung ging erkennbar zurück.
(Abb. 1 – Eigene Darstellung)102 100 Böhringer/Döding, AG 2022, R304. 101 Schönauer, „Larry Fink ist eine Macht an der Wall Street“, FAZ v. 31.10.2022. 102 Total Energies SE 2021: https://t1p.de/hin29, 2022: https://t1p.de/duhbb; Ferrovial S.A. 2021 https://t1p.de/w2s2r (Dokument „Quora and voting results“
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Die Gründe dafür sind unklar, die aktuelle Unsicherheit und globale wirtschaftliche Situation spielten sicher eine Rolle.
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Es ist daher zweifelhaft, ob mehr Mitspracherechte der Aktionäre not- 42 wendig zu besseren, gemeinwohlorientierten Unternehmen führen müssen. Freie Abstimmungen tragen notwendig ein Element der Unsicherheit in sich, sei es bei Aktionären oder unter Wählern. Say on Climate ist also nicht notwendig Ersatz für staatliche Regulierung umweltschädigender Unternehmenstätigkeit selbst. Das Anliegen des Klimaschutzes und dasjenige der Aktionärsdemokratie sind nicht zwingend identisch. Es kann aber hilfreich sein, wenn Aktionäre deutlich machen können, dass sie zugunsten des Klimaschutzes z.B. auch kurzfristig Einbußen bei der Dividende zu akzeptieren bereit sind. Gibt es andere Argumente für mehr Aktionärsmitsprache, die das Nach- 43 denken lohnen? Versteht man die Aktiengesellschaft als Nexus von Verträgen, in dem die Aktionäre als final risk takers und Eigentümer des Unternehmens Anspruch auf die Dividende haben, liegt die Antwort auf der Hand: der Eigentümer, nicht der Verwalter von other people’s money103 muss auch die größte Entscheidungsgewalt haben. Auch wenn man diesem Eigentumsverständnis nicht uneingeschränkt folgen möchte, verbleibt die schlichte Tatsache, dass Aktionäre als ursprüngliche Kapitalgeber eine besondere Rolle in der Gesellschaft einnehmen. Die Frage muss daher eher lauten, warum sie sich nicht äußern können sollten. Ein entscheidendes Argument im Kontext der Reform 1937 war die Annahme, das Interesse der Aktionäre sei nicht hoch genug, wie die geringe Anwesenheit bei Hauptversammlungen zeige. Auch die Ausbildung der meisten Aktionäre ließe eine angemessene Beteiligung an der Geschäftsführung nicht zu. Das Modell war und ist die Publikums-AG mit unter dem Reiter „2021“), 2022: https://t1p.de/10ebp; Glencore PLC 2021: https://t1p.de/u8ml4, 2022: https://t1p.de/9bvld; National Grid PLC 2021: https://t1p.de/zlxlr (Dokument „Final Proxy Results 2021“ unter dem Reiter „2021“), 2022: https://t1p.de/zfqjw (Dokument „Final Proxy Results 2022“); Royal Dutch Shell PLC 2021: https://t1p.de/flrv8, 2022: https://t1p.de/rua6r (jeweils zuletzt abgerufen am 29.12.2022). 103 Insofern wird auch von der (quasi-) treuhänderischen Stellung des Vorstands gesprochen z.B. Sanders/Berisha, NZG 2020, 1290, 1295; Bayer, NJW 2014, 2546, 2547; Koch, 16. Aufl. 2022, § 84 AktG Rz. 10; vgl. auch Fleischer in BeckOGK/AktG, 1.7.2022, § 93 Rz. 147; jew. m.w.N.
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anonymen Kleinaktionären mit reinem Finanzinteresse; die Rede ist von rationaler Apathie. Die Anwesenheitszahlen auf den Hauptversammlungen sind auch heute nicht immer hoch104 und auch nicht jeder Aktionär hat die entsprechende Kompetenz und Zeit, sich intensiv mit Fragen der Verwaltung zu befassen. Dies lässt aber die institutionellen Investoren außer Acht, die ihre Anlagen sehr professionell managen und maßgeblich hinter der Say on Climate-Bewegung stehen. Möglicherweise sind auch Kleinaktionäre heute diverser in ihren Zielen als man früher gedacht hat.
2. Rechtsvergleichender Blick und unionsrechtlicher Einfluss a) Rechtsvergleichender Blick 45
Rechtsvergleichend lässt sich – wie eingangs bereits erwähnt – konstatieren, dass Say on Climate-Beschlüsse in anderen Ländern durchaus nicht selten sind. Weller/Hoppmann sprechen sogar von Say on ESG als internationaler Standard.105 In den USA ist die Shareholder Proposals Rule106 anerkannt und wird für ESG-Belange genutzt.107
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In der Schweiz besteht ebenfalls die Möglichkeit zur rechtssicheren Durchführung unverbindlicher Hauptversammlungsbeschlüsse.108 Ab 2024 kommt dort wahrscheinlich eine verpflichtende Befragung von Aktionären zu ESG-Fragen hinzu. In Spanien109 existiert bereits die Verpflichtung zur Vorlage nichtfinanzieller Erklärungen. Aber solche Aufzählungen können nur Anregungen bieten.
104 Vgl. etwa Bungert in MünchHdb/AG, 5. Aufl. 2020, § 35 Rz. 3; von der Linden in BeckHdB AG, 3. Aufl. 2018, § 25 Rz. 18; Dauner-Lieb, WM 2007, 9; E. Vetter, AG 2006, 32. 105 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 643. 106 Eing. Keltsch, Aktionärsrechte und Nachhaltigkeit, 2012, S. 90 f., 239 ff. mit Rechtsvergleich USA und Deutschland; Hell, ZVglRWiss 119 (2020), 314; s.a. Langenbucher, ZHR 185 (2021), 414, 424 f.; Rechtsvergleich USA, Schweiz, Türkei und Deutschland bei Çapa, Konsultative Hauptversammlungsbeschlüsse im Aktienrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2021. 107 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 643. 108 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 643. 109 „Será de obligado cumplimiento que el informe sobre la información no financiera deba ser presentado como punto separado del orden del día para su aprobación en la junta general de accionistas de las sociedades.“ (Artículo 49. Código de Comercio).
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b) Unionsrechtlicher Einfluss Meines Erachtens lassen sich Argumente für mehr Mitsprache der Ak- 47 tionäre aus der europäischen Rechtsetzung ableiten. Die umfangreichen Aktivitäten der Union von der CSR-Richtlinie von 2014110 über die Offenlegungs-VO111 und die Taxonomie-VO112 bis zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)113 und zum am 23.2.2022 veröffentlichten, heiß diskutierten Kommissions-Vorschlag für eine Corporate Sustainability Due Diligence Richtlinie (CSDD)114 lassen sich in diesem Rahmen nicht angemessen würdigen. Hier bieten sich insbesondere zur Nachhaltigkeitsberichterstattung die tiefgreifenden Ausführungen von Wolfgang Schön115 an.116
110 Richtlinie (EU) 2014/95 des Europäischen Parlament und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl. EU Nr. L 330 v. 15.11.2014, S. 1–9; Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 641 zu den CSR-Ansätzen der EU und insbesondere zu den rechtlichen Verpflichtungen zur Abgabe nichtfinanzieller Erklärungen; s. ausführlich Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S. 276 ff., S. 382 ff.; vgl. auch Mittwoch/Wetenkamp/ Bleier, NJW 2022, 3601. 111 Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, ABl. EU Nr. L 317 v. 9.12.2019, S. 1–16. 112 Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.6.2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, ABl. EU Nr. L 198 v. 22.6.2020, S. 13–43. 113 Richtlinie (EU) 2022/2464 vom 14.12.2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl. EU Nr. L 322 v. 16.12.2022, S. 15–80. 114 Zur Diskussion um die Auswirkungen insb. des Art. 25 Abs. 1 CSDD-Richtlinienentwurf auf die Systematik der aktienrechtlichen Zielkonzeption Harbarth, AG 2022, 633; vgl. auch König, NZG 2022, 1186; Spießhofer, NZG 2022, 435. 115 Umfassend zur Nachhaltigkeit in der Unternehmensberichterstattung: Schön, ZfPW 2022, 207; vgl. auch Kühneberger/Wohlgemuth, DStR 2022, 668. 116 Zu den CSR-Ansätzen der EU und insbesondere zu den rechtlichen Verpflichtungen zur Abgabe nichtfinanzieller Erklärungen s. ausf. Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S. 276 ff., 382 ff.; Hell, Offenlegung nichtfinanzieller Informationen, 2020, passim.
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48 Man mag über die einzelnen Maßnahmen streiten, gemeinsam ist ihnen, dass sie Unternehmen in ihrer Wirtschaftstätigkeit im Wesentlichen (noch) nicht direkt regulieren, sondern durch Offenlegungspflichten Anreize für eine nachhaltige Transformation geben wollen.117 Ziel ist es, Kapitalströme in nachhaltige Finanzprodukte und damit Unternehmen umzuleiten und so die schnell notwendige Transformation der Wirtschaft finanziell zu unterstützen. In einer globalisierten Wirtschaft, in der die nationale Regulierung notwendig Grenzen hat, ist das auch durchaus nachvollziehbar. Hintergrund des Ansatzes ist notwendig die Annahme, dass Investoren – unabhängig davon, ob sie in Gesellschaftsanteile oder Unternehmensanleihen investieren – an Nachhaltigkeitsthemen interessiert sind und dass sie ihre Investitionsentscheidungen auch daran und nicht allein an Renditeerwartungen ausrichten, bzw. Rendite und Nachhaltigkeit zumindest vereinbaren möchten. 49 Dieses Leitbild des informierten, aktiven Investors, der Investitionsentscheidungen an den Ergebnissen der durch Nachhaltigkeitsberichterstattung transparent gemachten Informationen ausrichtet118, lässt ein Mitspracherecht innerhalb von Aktiengesellschaften nur konsequent erscheinen. Zwar können Investoren ihre Unzufriedenheit auch durch den Verkauf von Anteilen ausdrücken. Doch dieses „Love it or leave it“ entspricht heute weder der Praxis großer institutioneller Investoren, noch geht das Unionsrecht davon aus. Verwiesen sei hier nur auf die 2. Aktionärsrechte-RL, die die Mitwirkung von Aktionären stärken wollte. So wurde der Say on Pay gestärkt und Berichtspflichten über Mitwirkungspolitik eingeführt. Damit wurde die rationale Apathie bereits ein Stück weit aufgebrochen. 50 Auch die Mitwirkung der Anteilseigner bei Nachhaltigkeitsfragen wurde bereits als Möglichkeit erkannt. Aktuell kann allein der Abschlussprüfer bzw. die Prüfungsgesellschaft nach § 317 Abs. 2 Satz 4 HGB bestätigen, dass die nichtfinanzielle Erklärung vorgelegt wurde und der Aufsichtsrat kann eine externe inhaltliche Überprüfung anordnen (muss
117 Vgl. etwa Weller/Fischer, ZIP 2022, 2253, 2259; Böcking/Althoff in FS Hopt, 2020, S. 83, 90 ff.; s.a. Tröger in FS Windbichler, 2020, S. 1447; Kuntz in FS Hopt, 2020, S. 653; Möslein/Sorensen, Columbia Journal of European Law 24 (2018), 391. 118 Vgl. (im Zusammenhang mit Investmentfonds) Ekkenga, WM 2022, 1765; ders., WM 2022, 1813.
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es aber nicht).119 Ergänzungen im Rahmen dieser Thematik ergeben sich durch die Ergebnisse der Trilog-Verhandlungen zwischen dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).120 Die CSRD wurde inzwischen verabschiedet.121 Danach kann Deutschland zwar von dem Wahlrecht Gebrauch machen, den Nachhaltigkeitsprüfer nicht von der Hauptversammlung bestellen zu lassen. Dann soll aber trotzdem eine qualifizierte Aktionärsminderheit eine Hauptversammlungskompetenz für die Bestellung des Nachhaltigkeitsprüfers reklamieren können.122 Selbst, wenn noch nicht klar ist, welche praktische Bedeutung dieses Instrument erreichen wird, liegt es im Zuge der Umsetzung nahe, auch weitergehende Zuständigkeiten der Hauptversammlung vorzusehen.
3. Mehr Aktionärsdemokratie wagen? Ist die Zeit also reif, mehr Aktionärsdemokratie zu wagen? Meines Erachtens sprechen die besseren Gründe für eine Reform, allerdings mit Augenmaß. Der informierte, aktive Investor als Leitbild des europäischen Gesetzgebers sollte im deutschen Aktienrecht nicht nur durch punktuellen Richtlinieneinfluss als Fremdkörper auftauchen, sondern eine vorsichtige Neujustierung zwischen Vorstand und Hauptversammlung einleiten.
51
Für eine solche Reform sprechen die Erfahrungen in ausländischen Rechtsordnungen123 und die Erwartungen zumindest einiger institutioneller Investoren. Das Gegenargument uninteressierter und schlecht informierter Aktionäre ist zwar nicht gänzlich von der Hand zu weisen, spricht aber für eine vorsichtige Reform, nicht für die vollständige Beibehaltung des status quo. Dass gut informierte Investoren auch außer-
52
119 § 111 Abs. 2 Satz 4 AktG; vgl. auch Jaspers, AG 2022, R240 (R241). Deutschland hat im Rahmen der Umsetzung der NFRD nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in der nichtfinanziellen Erklärung enthaltenen Informationen von einem anderen unabhängigen Anbieter von Prüfungsleistungen überprüfen zu lassen. 120 Jaspers, AG 2022, R240, R240 f. 121 Richtlinie (EU) 2022/2464 vom 14.12.2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl. EU Nr. L 322 v. 16.12.2022, S. 15–80 Erwägungsgrund (75). 122 Jaspers, AG 2022, R240, R241. 123 Kritisch Hell, ZVglRWiss 119 (2020), 314, 336 ff. mit Blick auf die deutsche aktienrechtliche Kompetenzordnung.
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halb der Hauptversammlung das Ohr der Verwaltung finden,124 spricht eher für als gegen eine Reform. Kommunikation sollte möglichst offengelegt und ihren Raum im Interesse der Transparenz innerhalb der Hauptversammlung finden.125 Und selbst wenn nicht alle Aktionäre sicher für den Klimaschutz stimmen, so werden so ihre Wünsche transparent und können zumindest Anlass zu öffentlicher Diskussion geben.
4. Eckpunkte einer (möglichen) Reform 53
Denkt man nun über die Eckpunkte einer möglichen Reform nach, lassen sich Soft law und Hard Law-Ansätze diskutieren.
54
Zum 20-jährigen Geburtstag des DCGK126 hätte die Möglichkeit bestanden, den Blick des Kodex auf die Hauptversammlung zu erweitern. Trotz eines entsprechenden Vorschlags aus diesem Kreis127 wurde eine entsprechende Anregung unterlassen. Dies ist zu bedauern128 und sollte bei nächster Gelegenheit nachgeholt werden.
55 Denkbar wäre aber auch eine Lösung durch den Gesetzgeber, für die die aktuelle Regierungskonstellation vielversprechend sein dürfte, wenn es auch an einem entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag fehlt. Der eine oder andere in diesem Raum weiß vielleicht, dass ich mich durchaus bei der Erstellung provokanter Gesetzesentwürfe129 engagiere. Einen 124 Albath, Shareholder Activism im Rahmen der Hauptversammlung, 2022, S. 294 f. 125 J. Vetter in FS Seibert, 2019, S. 1021, 1039 f. 126 Abrufbar unter: https://dcgk.de/de/kodex.html (zuletzt abgerufen am 29.12.2022); dazu Bachmann, ZHR 186 (2022), 641; J. Koch, AG 2022, 1; von der Linden, DStR 2022, 1765; s. auch vorherigen Stellungnahmen etwa VGR, AG 2022, 239; Ausschüsse Handelsrecht und Gender Diversity sowie Corporate Social Responsibility des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2022, 500. 127 VGR, AG 2022, 239, 242 f. Anregung A.10 in Anlehnung an § 122 Abs. 2 AktG: „Der Vorstand sollte der Hauptversammlung seinen Plan zum Umgang mit klimaschädlichen Emissionen und deren Reduzierung sowie einen Bericht zu dessen Umsetzung jedenfalls dann zur Billigung vorlegen, wenn Aktionäre, deren Anteile den 20. Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von EUR 500.000 erreichen, dies verlangen.“ 128 Ebenso Bachmann, ZHR 186 (2022), 641, 650. 129 Zum Vorschlag einer GmbH mit gebundenem Vermögen (GmbH-gebV) s. Sanders/Dauner-Lieb/v. Freeden/Kempny/Möslein/Veil, Entwurf eines Gesetzes für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit gebundenem Vermögen (GmbH-gebV), 2021 (abrufbar unter: https://www.gesellschaftmit-gebundenem-vermoegen.de/der-gesetzesentwurf/, zuletzt abgerufen am
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Sanders – Say on Climate Beschlüsse von Hauptversammlungen
entsprechenden Entwurf habe ich hier aber nicht mitgebracht. Jedoch möchte ich aufzeigen, welche Richtungsentscheidungen zu treffen sind. Richtungsfrage
Lösungsansätze
Initiativrecht?
Vorstand ähnlich § 119 Abs. 2, keine rechtliche Änderung, es sei denn die Befragung wäre verpflichtend, z.B. jährlich, durchzuführen
Hauptversammlung ähnlich § 122 Abs. 2
Verpflichtend?
Ja, z.B. jährlich
Nein, nur auf Initiative von Vorstand und/oder Hauptversammlung hin.
Umfang?
Say on climate
Allgemein ESG-Themen
Bindungswirkung?
Konsultativbeschluss
Bindender Beschluss (Decide on Climate)
Verknüpfung mit anderen ESG-Themen, insbesondere CSR-Bericht?
Ja
Nein
Beschluss anfechtbar?
Ja
Nein
Beide
Allgemeine Öffnung/ Say on Everything
Die erste Frage ist sicherlich, ob eine „kleine“ oder „große“ Lösung an- 56 gestrebt werden sollte. Sollte die Hauptversammlung die Möglichkeit erhalten, sich zu allen Fragen zu äußern, die sie selbst für wichtig er29.12.2022); Überblick bei Sanders et al, GmbHR 2021, 285; s. zur Diskussion etwa Sanders, NZG 2021, 1573; Arnold/Burgard/G. Roth/Weitemeyer, NZG 2020, 1321; Fleischer, ZIP 2022, 345; Rolfes/Berisha, GmbHR 2022, 23; Loritz/Weinmann, DStR 2021, 2205; Weitemeyer/Weißenberger/Wiese, GmbHR 2021, 1069; J. Vetter/Lauterbach in FS Grunewald, 2021, S. 1199; zuletzt Herchen, ZGR 2022, 664; Bachmann, NZG 2022, 1417; Sanders/Bühring, GmbHR 2022, 889; Engel/Haubner, DStR 2022, 844; Möslein/Sanders, JZ 2022, 923; Neitzel, KJ 55 (2022) 479, jew. m.w.N.
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achtet oder soll sie auf ein Say on ESG oder sogar ein Say on Climate beschränkt sein? Vor- und Nachteile liegen auf der Hand: Ein Say on Climate könnte – trotz der überlebensnotwendigen Bedeutung des Klimaschutzes – zu eng gefasst sein und künftige Entwicklungen nicht ausreichend erfassen. Ein Say on Everything würde demgegenüber – je nach der Ausgestaltung im Übrigen – erhebliche Unruhe und Kosten verursachen und die Verwaltung so erheblich belasten.130 Eine solche Belastung dürfte nur bei einem relativ hohen Quorum vertretbar sein. 57 Zum anderen wäre zu klären, ob der Hauptversammlung ein Initiativrecht mit einem bestimmten Quorum zukommen soll, oder ob die Initiative beim Vorstand verbleiben soll, dieser aber unter bestimmten Voraussetzungen, z.B. einmal jährlich, entsprechende Fragen vorlegen muss. Denkbar wäre beispielsweise eine Vorlagepflicht im Zusammenhang mit dem CSR-Bericht.131 58
Entscheidender Parameter dürfte die Bindungswirkung sein. Befürwortet werden weitgehend nur Konsultativbeschlüsse.132 Dem ist zuzustimmen. Denn eine Entscheidung mit Bindungswirkung würde das das deutsche Aktienrecht prägende Prinzip der eigenverantwortlichen Geschäftsführung des Vorstands auf den Kopf stellen.133 Ziel sollte aber eine Feinjustierung der Kompetenzordnung sein, keine vollständige Neuausrichtung. Und auch ein Konsultativbeschluss hat hohe tatsächliche Wirkung. Vorbild könnten hier die Regelung des Say on Pay sein.134 Interessant ist auch die Frage, ob solche Konsultativbeschlüsse auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt sein sollten. Das Vorbild des § 120a AktG spräche für eine solche Beschränkung. Eine tiefergreifende Neuorientierung hin zu mehr Aktionärsdemokratie verlangte allerdings wohl eine Öffnung für alle Aktiengesellschaften.
130 Vgl. Jaspers, AG 2022, 145, 151. 131 Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 646 f. 132 Fleischer, DB 2022, 37, 43; Drinhausen, ZHR 186 (2022), 201, 210 f.; Weller/ Hoppmann, AG 2022, 640, 646 f.; J. Vetter in FS Seibert, 2019, S. 1021, 1038 f.; Denkbar: Jasper, AG 2022, R240, R243; Çapa, Konsultative Hauptversammlungsbeschlüsse im Aktienrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2021, S. 215. 133 Jaspers, AG 2022, 145, 151. 134 Für eine Anlehnung an § 120a AktG etwa Fleischer, DB 2022, 37, 43; Drinhausen, ZHR 186 (2022), 201, 210 f.; Weller/Hoppmann, AG 2022, 640, 646 f.; Weller/Fischer, ZIP 2022, 2253, 2265.
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Schließlich stellt sich die Frage, ob ein entsprechender Beschluss anfechtbar sein soll. Dies würde ich verneinen135 und auch insofern das Say on Pay als Vorbild heranziehen. Eine Reform des Beschlussmängelrechts ist längst überfällig.136 Es wäre nicht ratsam, mit solchen Beschlüssen für noch mehr Rechtsunsicherheit und Rechtstreitigkeiten bei den Unternehmen zu sorgen.
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IV. Zusammenfassung und Ausblick Die weltweite Say on Climate Bewegung ist in Deutschland noch nicht 60 vollständig angekommen. Trotzdem fordert sie die Kompetenzordnung des deutschen Aktienrechts heraus. Denn in Deutschland ist ein Say on Climate bisher nur auf Vorstandsinitiative möglich. Aktionäre stehen nur indirekte Instrumente wie das Frage- und Rederecht, Entlastung oder Say on Pay zur Verfügung. Meines Erachtens sollte sich dies ändern. Dafür streitet vor allem das Leitbild des informierten, aktiven Investors und Aktionärs des europäischen Gesetzgebers, die das Kompetenzgefüge des deutschen Aktienrechts schon jetzt punktuell verändert. Ich spreche mich daher für eine Reform aus, nach der eine qualifizierte Aktionärsminderheit nach dem Vorbild des § 122 Abs. 2 AktG einen nicht anfechtbaren Konsultativbeschluss über ESG-Themen verlangen könnte. Dadurch könnten „die Aktionäre als Impulsgeber mit gezielter Einflussnahme auf [die Klima-Entscheidungen des Vorstandes]“137 fungieren. Zudem halte ich die regelmäßige Vorlage bestimmter ESG-Fragen durch den Vorstand an die Aktionäre als soft law Empfehlung für überlegenswert. 135 Entsprechend zu § 120a AktG sollte damit auch grundsätzlich die Nichtigkeitsklage ausgeschlossen sein: Koch, 16. Aufl. 2022, § 120a AktG Rz. 6; J. Hoffmann in BeckOGK/AktG, 1.10.2022, § 120a Rz. 27; Gärtner/Himmelmann, AG 2021, 259, 265 f. Rz. 29; zu § 120a AktG-RegE: Löbbe/Fischbach, AG 2019, 373, 378; zu § 120 Abs. 4 AktG a.F.; Begemann/Laue, BB 2009, 2442, 2445; Schick, ZIP 2011, 593, 594; a.A. Herrler in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 120a Rz. 31; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 120a Rz. 15; Tröger in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2021, § 120a AktG Rz. 54; zumal dafür i.d.R. das erforderliche Feststellungsinteresse fehlen wird, zu § 120 Abs. 4 AktG a.F. Begemann/Laue, BB 2009, 2442, 2445; zweifelnd Fleischer, NZG 2009, 801, 805. 136 Hierzu J. Koch, Gutachten F zum 72. DJT, 2018, S. 1 ff.; ders. in FS E. Vetter, 2019, S. 317; demnächst zu Reformfragen Fleischer (Hrsg.), Das Beschlussmängelrecht der Kapitalgesellschaften, im Erscheinen. 137 In Anlehnung an Hommelhoff in FS Hopt, 2020, S. 467, 473, dort im Zusammenhang mit Say on Pay.
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61 Nicht nur eine solche Reform sollte allerdings mit Augenmaß erfolgen, Nüchternheit ist auch bei den Erwartungen an ihre Wirkung angezeigt. Unternehmen würden nicht notwendig grüner. Ob ein Say on Climate zu mehr oder weniger Transformation führt, hängt letzten Endes von den Aktionären ab. Bei allen Unterschieden zwischen Staaten und Aktiengesellschaften138 lässt sich folgende Annahme übertragen: Wesensmerkmal demokratischer Willensäußerungen aller Art ist die Unsicherheit des Ergebnisses.
138 Vgl. bzgl. möglichen Parallelen von Aktienrecht und Staatsrecht freilich Moser, Der Einfluss staatsrechtlicher Entwicklungen auf die Organisationsverfassung von Aktiengesellschaften, 2020.
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Bericht über die Diskussion des Referats Sanders Shkelqim Berisha Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Bielefeld Im Anschluss an das Referat von Anne Sanders (Universität Bielefeld) 1 läutete die Diskussionsleiterin Katja Langenbucher (Goethe-Universität Frankfurt a.M.) die Diskussionsrunde ein, indem sie sich bei Sanders für den gelungenen und spannenden Vortrag bedankte. Sanders habe den Zuhörern einen instruktiven Überblick über die aktuellen Rechtsfragen eines sog. Say on Climate sowohl aus der de lege lata als auch im Besonderen der de lege ferenda Perspektive geliefert.
I. Als erster Diskutant eröffnete sodann Tim Drygala (Universität Leipzig) 2 die Diskussion. Er merkte an, dass er im Rahmen des Vortrags Ausführungen zur Rolle des Aufsichtsrats vermisst habe. Gerade dieser sei jedoch im hiesigen Kontext ebenfalls in den Blick zu nehmen. Drygala wies insofern auf dessen Überwachungsaufgabe (vgl. § 111 Abs. 1 AktG) und dabei im Besonderen auf dessen Prüfungs- und Unterrichtungspflichten nach § 171 Abs. 1, Abs. 2 AktG hin. Sanders antwortete daraufhin, dass der Schwerpunkt ihres Vortrags zum 3 Say on Climate auf der Rolle des Vorstands und der Hauptversammlung gelegen und sie den Aufsichtsrat daher ausgeklammert habe. Der allgemein erforderlichen Einbeziehung des Aufsichtsrats in Bezug auf Nachhaltigkeitsbelange pflichtete sie bei. Sie erklärte auch, dass der Aufsichtsrat bereits heute Aufgaben übernehme, die über reine Überwachung hinausreichten, insbesondere bei der Entwicklung von Vergütungssystemen, die notwendig mit der Unternehmensstrategie verbunden seien. Es sei dabei jedoch auf eine genaue Abgrenzung der Kompetenzen von Vorstand und Aufsichtsrat zu achten.
II. Die Diskussion wurde anschließend mit einem Redebeitrag von Tobias Tröger (Goethe-Universität Frankfurt a.M.) fortgeführt. Er stellte den tatsächlichen Nutzen von Say on Climate-Beschlüssen infrage. Bei ESG-
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Belangen handle es sich überwiegend um unternehmensspezifische Themen, die dem Vorstand als dem eigenverantwortlichen Leitungsorgan (vgl. § 76 Abs. 1 AktG) überlassen werden sollten, nicht der Hauptversammlung. Seiner Auffassung nach bedürfe es keiner wie auch immer konstruierten Say on Climate-Beschlüsse, deren dogmatische Grundlage ohnehin ungewiss sei. Im Besonderen hätten sie als reine Konsultativbeschlüsse ohne rechtliche Bindungswirkung in praxi einen geringen Nutzen. Ein Say on Climate sei Tröger zufolge letztlich auch nicht erforderlich. Vielmehr vertrat er den Standpunkt, dass die Kompetenzverteilung in der Aktiengesellschaft wohl besser so bestehen bleiben solle, wie sie derzeit ausgestaltet sei. Tröger wies abschließend auf die interessante Entwicklung im Bereich der Anlageberatung hin, wo bereits spezielle Portfoliostrategien existierten.1 Aus den entsprechenden Portfolios würden alle Unternehmen herausgenommen, die die vorgegebenen Klimaziele nicht erreichen. Dies würde Unternehmen bereits disziplinieren, ESG-Belange zu berücksichtigen. 5 Sanders teilte die Bedeutung des Anlagemarktes für ESG-Themen, seine Ablehnung von Say on Climate-Beschlüssen jedoch nicht und merkte an, dass die Untersuchung der dogmatischen Grundlage zunächst unabhängig von der Vorfrage der Effizienz solcher Beschlüsse zu beantworten sei. Ob die Effizienz von Say on Climate-Beschlüsse zu bejahen oder zu verneinen sei, müsse die Praxis zeigen. Ferner, so Sanders, könne vor dem Hintergrund des festzustellenden Leitbildwandels der Aktionäre durchaus hinterfragt werden, ob die aktuelle Kompetenzverteilung in der Aktiengesellschaft noch zeitgemäß sei. Dazu böte gerade die Diskussion um ein Say on Climate Gelegenheit.
III. 6 Den nächsten Diskussionsbeitrag lieferte Christine Windbichler (Humboldt-Universität Berlin), welche virtuell an der Tagung teilnahm. Sie 1 Vgl. M. Roth/Ekkenga, AG 2021, 409 Rz. 48 („Universelle Eigner wie die großen Vermögensverwalter und Anbieter kostengünstiger ETF-Fonds, aber auch Pensionsfonds, strukturieren ihre Portfolios zunehmend nach ESG-Kriterien und fordern diese auch von den Unternehmen ein, in die sie teilweise aufgrund einer Indexzugehörigkeit investieren müssen.“); hierzu näher auch Ekkenga, WM 2020, 1664; ders., WM 2022, 1765; ders., WM 2022, 1813; vgl. zur Marktdisziplinierung von Unternehmen durch nachhaltigkeitsbezogene Veröffentlichungspflichten Tröger in FS Windbichler, 2020, S. 1447.
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stellte fest, dass sich der Vortrag bzw. allgemein auch die Debatte um ein Say on Climate primär auf börsennotierte Aktiengesellschaften beziehe. Daraus ergebe sich die Frage, ob ein Say on Climate börsennotierte Aktiengesellschaften unattraktiver machen könne und Private Equity Vorschub leiste. Plakativ gesprochen, sei dem Klimaschutz eine etwaige Börsennotierung jedoch im Grunde „egal“. Sanders führte aus, dass die Say on Climate-Debatte grundsätzlich so- 7 wohl börsennotierte als auch nicht-börsennotierte Aktiengesellschaften erfasse. Die Diskussion und die Anschauungsfälle in der Praxis würden bisher aber – soweit ersichtlich – börsennotierte Gesellschaften betreffen. Gleichwohl sei im Rahmen der konkreten Ausgestaltung eines (gesetzlichen) Say on Climate zu überlegen, welche Aktiengesellschaften erfasst sein sollen. Eine sinkende Attraktivität der Börsennotierung speziell durch die Schaffung eines Say on Climate sah Sanders nicht und wies dabei allgemein auf den stetigen Rückgang börsennotierter Gesellschaften2 hin.
IV. Laurenz Wieneke (RA, Frankfurt a.M.) sprach sich in seinem nachfolgenden Redebeitrag zunächst dafür aus, dass die börsennotierte Aktiengesellschaft bzw. deren Attraktivität allgemein gestärkt werden sollte. In Bezug auf ein Say on Climate fragte er, ob der Vorstand nicht bereits jetzt ein Ermessen habe, ESG-Belange zu berücksichtigen. Wieneke merkte zudem an, dass im Besonderen für DAX-Konzerne hunderte Seiten lange Klimaschutz-Leitfäden existierten, welche sie zu berücksichtigen hätten. Mit Blick auf die Komplexität von Klimafragen warf er abschließend die Frage auf, wie ein Say on Climate der Aktionäre in der Praxis aussehen könnte. Die Aktionäre wären mit derlei Fragestellungen zudem ohnehin überfordert.
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Sanders entgegnete, dass dem Vorstand in der Tat insofern ein weites Er- 9 messen zustünde, jedoch die Präferenzen der Aktionäre durch ein Say on Climate verdeutlicht und damit für die Arbeit des Vorstands von Vorteil sein könnte. Mit Blick auf den wahrzunehmenden Leitbildwandel hin zu einem informierten, aktiven Investor, sei eine Überforderung der Aktionäre durch ein Say on Climate nicht anzunehmen. In Bezug auf ei2 Siehe zu möglichen Gründen für die sinkende Zahl der börsennotierten Gesellschaften näher U. Seibert in FS Heidel, 2021, S. 171, 175 ff.
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ne mögliche Ausgestaltung verwies Sanders auf die von ihr zuvor vorgetragenen Vorschläge. Sie betonte jedoch, dass die konkrete Ausgestaltung und Durchführung von Say on Climate-Beschlüssen von weiteren – auch rechtsvergleichenden – Untersuchungen profitieren könnte.
V. 10 Als weiterer Diskutant trat Richard Backhaus (RA, Lübeck) auf. Zunächst vertrat er die Auffassung, dass – wie Sanders bereits in ihrem Vortrag anklingen ließ – in einem Say on ESG wohl bereits ein Say on Everything zu erblicken sei. Mit Blick auf die Zusammenhänge und Wechselwirkungen einzelner ESG-Aspekte mit anderen befürchte er eine thematische Überforderung der Hauptversammlung. Es gebe nämlich nicht „die“ Nachhaltigkeit, so dass es bereits an der Bestimmtheit des Begriffs mangele. Entsprechendes gelte auch für das Akronym ESG. Backhaus betonte insofern, dass sich zwischen den einzelnen Zielen des ESG auch Zielkonflikte3 ergeben könnten. Tatsächlich hätten einzelne Stakeholder auch bei einem Say on ESG vor allem ihre Interessen im Blick. In der Unternehmenspraxis müsse der Vorstand aber ein laufendes Priorisierungs- und Polaritätsmanagement der Stakeholderinteressen betreiben und könne es nicht „allen Recht machen“. Zudem bestünden bereits entsprechende Vorgaben für den Vorstand zur Berücksichtigung von ESG-Belangen wie die Erstellung eines Klima- bzw. Nachhaltigkeitsberichts. Insofern fragte er sich abschließend, welchen Vorteil bzw. Mehrwehrt ein Say on Climate vor diesem Hintergrund und mit Blick darauf, dass jene den Vorstand nicht binden, überhaupt bringen würde. Der Vorstand könne und müsse weiterhin eigenständig über das Maß der Berücksichtigung von ESG-Belangen entscheiden. 11 Sanders räumte ein, dass der Begriff der Nachhaltigkeit nicht einheitlich verwendet werde; in ihrer eigenen Schwerpunktvorlesung „Nachhaltigkeit und Gesellschaftsrecht“ widmete sie deshalb allein eine ganze Vorlesungseinheit nur der Entwicklung des Begriffs. Sie teilte jedoch die Befürchtung hinsichtlich einer Überforderung bzw. Belastung der Gesellschaft durch ein Say on Climate seitens der Aktionäre nicht. Sie stimmte Backhaus in Bezug auf mögliche Zielkonflikte zu, wies jedoch darauf hin, dass derlei Konflikte im Rahmen des Klimaschutzes stets 3 Vgl. dazu etwa Ekkenga/Schirrmacher/Schneider, NJW 2021, 1509 Rz. 16; Ekkenga, WM 2020, 1664, 1666 f.; Dörrwächter, NZG 2022, 1083, 1091 f.; C. Louven, BB 2022, 2178, 2179.
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vorkommen würden. Es obliege insoweit dem Vorstand, einen angemessenen Ausgleich zwischen den angestrebten Zielen zu schaffen. Ein Say on Climate könne, so räumte Sanders ein, dabei zielgerichteter als ein allgemeines Say on ESG sein. Auch wenn es sich um nicht bindende Konsultativbeschlüsse handele, so gehe sie doch davon aus, dass der Vorstand sich nicht leichtfertig über diese hinwegsetzen würde.
VI. In seinem Redebeitrag widersprach Philipp Maximilian Holle (Univer- 12 sität Bonn) eingangs den zuvor geäußerten Bedenken hinsichtlich der Wirkungskraft eines – wenn auch für den Vorstand nicht rechtlich bindenden – Konsultativbeschlusses der Hauptversammlung. Er schloss sich insofern Sanders an. Konsultativbeschlüsse verliehen den Aktionären aufgrund ihrer faktischen Auswirkungen durchaus eine „de facto Entscheidungsmacht“.4 Im Kontext von ESG-Belangen handele es sich sodann tatsächlich um ein Say on Everything. Aufgrund der faktischen Wirkung konsultativer Beschlüsse und der damit letztlich punktuell einhergehenden Machtverschiebung zwischen Vorstand und Hauptversammlung bedürfe es weiteren Untersuchungen, ob die Einführung eines Say on Climate in Gestalt eines konsultativen Beschlusses sinnvoll sei. Holle hob ferner hervor, dass insofern auch die europäische Entwicklung verfolgt werden sollte. Gerade die europäischen Vorgaben in Bezug auf Nachhaltigkeitsbelange seien der Grund dafür, dass Investoren vermehrt auf die Berücksichtigung von ESG-Zielen durch die Unternehmen achteten.5 Abschließend merkte Holle an, dass es von Relevanz sei, ob eine Regelung hinsichtlich Say on Climate auf EU-Ebene geschaffen werde oder nur in Deutschland. Sei Letzteres der Fall, könne dies einen Standortnachteil darstellen.
VII. Direkt im Anschluss an Holle meldete sich als letzter Diskutant Rafael 13 Harnos (BSP Business and Law School, Berlin) zu Wort. Er wendete sich explizit gegen die Auffassung von Wieneke und Backhaus, dass Aktio4 Vgl. betreffend Say on Pay-Beschlüssen die ähnliche Einschätzung von Hommelhoff in FS Hopt, 2020, S. 467, 473; speziell bzgl. Say on Climate-Beschlüssen etwa auch J. Vetter, Börsen-Zeitung v. 14.5.2022, Nr. 93, S. 9; Harnos/Holle, AG 2021, 857 Rz. 63; Weller/Benz, ZGR 2022, 563, 600 f. 5 Vgl. hierzu C. Louven, BB 2022, 2178.
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näre durch ein Say on Climate überfordert seien. So sei es in der Praxis bereits üblich und inzwischen auch aufsichtsrechtlich vorgeschrieben, dass Wertpapierfirmen wie Anlageberater und Portfolioverwalter die Nachhaltigkeitspräferenz ihrer Kunden ermitteln müssten und die Anleger in diesem Zusammenhang u.a. über die ESG-Aktivitäten der Unternehmen informiert werden würden.6 Gehe das Recht davon aus, dass Anleger im Kundengespräch mit Wertpapierfirmen und im Rahmen der Investitionsentscheidung so komplexe Fragen würdigen könnten, könne man Aktionäre damit nicht als überfordert ansehen. Abschließend sprach er sich für eine – behutsame – Öffnung des Aktienrechts hinsichtlich eines Say on Climate aus.
VIII. 14
Zum Ende der Diskussion ging Sanders noch auf die Redebeiträge von Holle und Harnos ein. Dabei verwies sie einleitend nochmals auf den erhellenden Beitrag der beiden zum Thema Say on Climate in der AG 2021, 853. Sanders stimmte den Ausführungen von Harnos zu und betonte nochmals, dass sich das Aktionärsbild gewandelt habe. Insbesondere aufgrund der vielen Offenlegungspflichten der Unternehmen, gehe man heutzutage davon aus, dass Aktionäre besser informiert seien als früher – so jedenfalls die Annahme. Ferner pflichtete sie Holle bei, dass weitere Untersuchungen in Bezug auf die konkrete Umsetzung eines Say on Climate angezeigt seien. Der Befürchtung, dass die Schaffung eines Say on Climate im Wege eines nationalen Alleingangs einen Standortnachteil für Deutschland darstellen könne, widersprach Sanders. Ein europäisches Say on Climate sei mit Blick auf die vermehrten Nachhaltigkeits-Richtlinien7 ohnehin bald zu erwarten. Es wäre daher besser, einen solchen Wandel dogmatisch konsistent im deutschen Aktienrecht selbst zu vollziehen statt das Recht durch punktuelle unionsrechtliche Einflüsse inkonsistent zu machen.
15 Die Diskussionsleiterin Langenbucher dankte abschließend den Diskutanten sowie der Referentin Sanders für die lebendige Diskussion.
6 Vgl. (bzgl. Investmentfonds) Ekkenga, WM 2022, 1765; ders., WM 2022, 1813. 7 Vgl. Spießhofer, NZG 2022, 435, 439; Renner, ZEuP 2022, 782, 783 spricht insofern treffend von einem „Regulierungs-Tsunami“.
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Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen Dr. Lorenz Holler Rechtsanwalt, Hamburg Rz.
Rz. I. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten und Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Existentielle Bedeutung von Gesellschafterstreitigkeiten für das Unternehmen erfordert schnelle und effiziente Konfliktlösung. . . . . . . . . . . . 2. Ausschluss der Öffentlichkeit als existentielles Gestaltungsziel bei der Abfassung des Gesellschaftsstatuts . . . . 3. Weitere wesentliche Gründe und Motive für die Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übergeordnete Bedeutung und Notwendigkeit einer (wirksamen) Schiedsvereinbarung (§ 1029 ZPO) zum Schutz des Unternehmens und seiner Anteilseigner . . . . 5. Besondere Herausforderungen im Anschluss an BGH Schiedsfähigkeit IV vor und nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) in Bezug auf Beschlussmängelstreitigkeiten . 6. Gang der Darstellung und Themeneingrenzung . . . . . . . II. Zu Inhalt und Gestaltung einer Schiedsklausel . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . .
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a) Begrifflichkeiten und Legaldefinition (§ 1029 Abs. 2 ZPO) . . . . . b) Regelungsstandort . . . . . . c) Rechtsnatur („Doppelnatur“). . . . . . . . . . . . . . . . d) Prozessuale und materielle Wirkung: Sperrwirkung (§ 1032 Abs. 2 ZPO) und Begründung materiell-rechtlicher Pflichten (Förder- und Loyalitätspflicht). . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt und Gegenstand der Schiedsvereinbarung. . . . . . . a) Vereinbarung der Schiedsbindung als solcher („abstrakte Kompetenz“) . . . . . b) Reichweite schiedsrichterlicher Kompetenz. . . . . c) Verfahrensregelung kein notwendiger Inhalt (vgl. § 1042 Abs. 2 und 3 ZPO). 3. Auslegung der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . a) §§ 133, 157 BGB und Auslegung „in favorem validitatis“ . . . . . . . . . . . . b) Trennungsprinzip (§ 1040 Abs. 1 ZPO). . . . . . . . . . . . 4. Institutionelles oder Adhoc-Schiedsgericht . . . . . . . . a) Ad-hoc-Schiedsklausel und institutionelle Schiedsklausel . . . . . . . . .
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Holler – Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen Rz.
Rz. b) Vorteile institutioneller Schiedsverfahren, insbesondere bei Schiedsordnung und Musterschiedsvereinbarung für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. . . . . . . . . . . 5. Mehrparteienschiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einbeziehung Dritter . . . . b) Schiedsrichterbenennung . c) Rechtliches Gehör . . . . . . 6. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . III. BGH Schiedsfähigkeit IV und Konsequenzen für Rechtsanwendung und -gestaltung in Bezug auf Beschlussmängelstreitigkeiten . 1. BGH Schiedsfähigkeit IV – Inhalt und Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme und kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Auslegung von Gesellschaftsvertrag und Schiedsvereinbarung – Herkömmliche Rechtsprechungsgrundsätze des BGH zur Ermittlung einer möglichen Passivlegitimation der Gesellschaft bedürfen einer Korrektur und Modifikation . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Zu den Anforderungen des BGH an die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und der Anordnung ihrer Nichtigkeit gemäß § 138 BGB im Falle ihrer fehlenden Einhaltung . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen für die Rechtsanwendung und -gestaltung. . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Das neue Beschlussmängelrecht nach dem MoPeG und Konsequenzen für die Rechtsanwendung und -gestaltung. . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum neuen Beschlussmängelrecht und seine Relevanz für Schiedsklauseln im Anschluss an BGH Schiedsfähigkeit IV . . . . . . . . a) Personenhandelsgesellschaften. . . . . . . . . . . . . . . b) GbR und PartG (nichtkaufmännische Personengesellschaften) . . . . . . 2. Konsequenzen für „Altklauseln“ durch Inkrafttreten des MoPeG zum 1.1.2024 . . . 3. Konsequenzen für die Vertragsgestaltung bei Personengesellschaften, GmbH & Co. KG und (Komplementär-) GmbH. . . . . . . . . . .
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V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten und Schiedsverfahren 1. Existentielle Bedeutung von Gesellschafterstreitigkeiten für das Unternehmen erfordert schnelle und effiziente Konfliktlösung Als größter Wertevernichter in Unternehmen gilt der Streit – dies gilt nicht nur für Familienunternehmen.1 Deshalb muss der Gesellschafterstreit im Interesse des Unternehmens und seines Erhalts gesteuert und effizient und schnell gelöst werden, wenn er schon nicht vermieden werden kann. Es geht also um schnelle und effiziente Konfliktlösung und notwendige rechtliche Gestaltungen im Interesse des Unternehmens und seiner Anteilseigner.
1
2. Ausschluss der Öffentlichkeit als existentielles Gestaltungsziel bei der Abfassung des Gesellschaftsstatuts Ein Streit zwischen Gesellschaftern kann dabei den Anfang vom Ende 2 für das Unternehmen bedeuten, insbesondere, wenn der Konflikt – im Unternehmen und außerhalb – bekannt und damit öffentlich wird, wofür schon allein das Bekanntwerden der Tatsache, dass gestritten wird, ausreichen kann. Auch hierdurch bekommt der Streit existenzielle Bedeutung für das Unternehmen.2 Nicht umsonst stellt die öffentliche Äußerung über Streit und Meinungsverschiedenheiten im Gesellschafterkreis als illoyales und gesellschaftsschädliches Verhalten nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln regelmäßig eine grobe Pflichtverletzung des Gesellschafters dar, welche im Einzelfall sogar einen wichtigen Grund für seinen Ausschluss aus der Gesellschaft konstituieren kann.3 Das Gerichtsverfahren vor den staatlichen Gerichten ist grundsätzlich 3 öffentlich (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG). Ausnahmen gibt es im Familien1 Vgl. hierzu Holler in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 75 Rz. 1. 2 Im Ergebnis ebenso Kalss/Probst, Familienunternehmen, 2013, Abschnitt X. Rz. 10/6 mit dem zutreffenden Hinweis, dass ein über die öffentlichen Gerichte ausgetragener Streit in letzter Konsequenz auch zum Scheitern des Unternehmens selbst beitragen kann. 3 Vgl. OLG München v. 4.12.1998 – 23 U 2700/95, NZG 1999, 591, 594; K. Schmidt/Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl 2022, § 140 Rz. 44; Holler in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 75 Rz. 4.
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recht (§ 170 Abs. 1 Satz 1 GVG), im Grundsatz jedoch nicht für Unternehmen, wenn man den Streit in der Unternehmerfamilie einmal außen vor lässt.4 Zur Vermeidung der Öffentlichkeit und der damit verbundenen mitunter fatalen und im Einzelfall sogar existenziellen Folgen für das Unternehmen sind Gesellschafter infolgedessen in besonderer Weise auf die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit durch die Vereinbarung von Schiedsverfahren angewiesen. Denn Schiedsverfahren eignen sich deshalb in besonderer Weise für gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzungen und deren Beilegung, weil sie gerade nicht öffentlich sind und der Streit im Unternehmen geheim gehalten werden kann.5 Dies zeigt sich auch in der praktischen Bedeutung und Anzahl von Schiedsverfahren im Gesellschaftsrecht.6 Angesichts der mit einer Öffentlichkeit der gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung verbundenen Gefahr für die Existenz des Unternehmens ist der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Gesellschafter regelmäßig ein existentielles Gestaltungsziel bei der Abfassung ihres Gesellschaftsstatuts.7 4 Ausnahmen können sich im Einzelfall gemäß § 171b Satz 1 und 2 ZPO für Auseinandersetzungen in Familienunternehmen ergeben, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich der Unternehmer zur Sprache kommen werden, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzten würde – hiervon erfasst sind etwa die Behandlung von persönlichen Charaktereigenschaften, die fachliche Eignung oder Einzelheiten der familiären Verhältnisse (Pabst in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 171b GVG Rz. 4 m.w.N.), wie diese bei einem Streit auf den beiden Ebenen der Familie und ihres Unternehmens, die sich in der Praxis nur sehr schwer voneinander trennen und voneinander abgrenzen lassen, regelmäßig streitgegenständlich sein werden. Siehe zu dem Nebeneinander der beiden Ebenen Familie und Gesellschaft und der besonderen Problematik der Verquickung von rechtlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Interessen auf beiden Ebenen Holler in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 75 Rz. 1 ff., 2. 5 Vgl. zu Recht Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 1 (S. 2854 f.). 6 Vgl. zur praktischen Bedeutung und Beliebtheit der Schiedsgerichtsbarkeit im Gesellschaftsrecht zuletzt etwa den Bericht über die Tagung „Schiedsverfahren im Gesellschaftsrecht“ am Wiener Juridicum Seper, SchiedsVZ 2022, 179 – danach sollen Schätzungen zufolge rund 1/3 aller Schiedsverfahren einen gesellschaftsrechtlichen Hintergrund aufweisen. 7 Vgl. etwa H. Prütting in MünchHdb/GesR IX, 6. Aufl 2021, § 48 Rz. 4: „Schutz gegenüber der Öffentlichkeit (…) ist zweifellos ein erheblicher Anreiz zur Wahl der Schiedsgerichtsbarkeit“; deutlicher und pointierter speziell für Familienunternehmen Kalss/Probst, Familienunternehmen, 2013, Abschnitt X. Rz. 10/91: „Für Familienunternehmen ist die Möglichkeit, ein Verfahren reservat und nicht in der Öffentlichkeit umzusetzen, weiterhin der Hauptgrund, wa-
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Dies gilt es auf der Wertungsebene und im Rahmen der Interessenabwä- 4 gung zu berücksichtigen, wenn es darum geht zu bestimmen und im Einzelfall im Wege der Auslegung des Gesellschaftsstatuts8 zu ermitteln, welche Regelungsprioritäten und -hierarchien die Gesellschafter bei der Gestaltung ihres Gesellschaftsvertrages verfolgt und welchen Rang sie dem mit einer Schiedsvereinbarung bezweckten Ausschluss der Öffentlichkeit dabei unter mehreren – womöglich miteinander konkurrierenden oder gar konfligierenden – Regelungszielen eingeräumt haben.
3. Weitere wesentliche Gründe und Motive für die Vereinbarung der Schiedsgerichtsbarkeit Die weiteren wesentlichen Vorteile eines Schiedsverfahrens sind hinlänglich bekannt.9 Schiedsverfahren sind regelmäßig schneller und kostengünstiger.10 Die Parteien können Einfluss auf die Auswahl des Richters nehmen und besondere Anforderungen an dessen Expertise stellen.11 Der für Unternehmen zentrale Schutz von Know-how und Unternehmensinterna vor der Öffentlichkeit ist ein weiteres zentrales Motiv.12 Auch deshalb eignen sich Schiedsverfahren geradezu ideal für gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzungen insbesondere in der Personengesellschaft und deren Beilegung im Interesse und zum Schutz des Unternehmens und seiner Anteilseigner.
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rum der Streitbeilegung durch das Schiedsgericht gegenüber dem allgemeinen Gerichtsverfahren der Vorzug zu geben ist.“ Siehe zu den allgemeinen Regeln der Auslegung des Gesellschaftsstatuts im Personengesellschaftsrecht Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 Rz. 156 ff. sowie zu den Besonderheiten der Auslegung von Gesellschaftsstatuten von Familienunternehmen Holler in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 75 Rz. 225 ff. Siehe dazu etwa den Überblick bei Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 1 Ziff. II.2.; für Gesellschafterstreitigkeiten Heskamp, RNotZ 2012, 415, 416. Schon weil in aller Regel die Vielzahl der Instanzen wegfällt, Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 1 Ziff. II.2. lit. d) und e). Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 1 (S. 2855).
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4. Übergeordnete Bedeutung und Notwendigkeit einer (wirksamen) Schiedsvereinbarung (§ 1029 ZPO) zum Schutz des Unternehmens und seiner Anteilseigner 6 Angesichts der existenziellen Bedeutung dieses hier ganz bewusst in den Vordergrund gerückten Gestaltungsziels des Ausschlusses der Öffentlichkeit für das Gerichtsverfahren ist für Gesellschafter einer Personengesellschaft von übergeordneter Wichtigkeit, dass Schiedsvereinbarungen wirksam sind und im Streit belastbar, d.h. im Notfall einer gerichtlichen Bewährung und Wirksamkeitsüberprüfung Stand halten.
5. Besondere Herausforderungen im Anschluss an BGH Schiedsfähigkeit IV vor und nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) in Bezug auf Beschlussmängelstreitigkeiten 7 Zu diesem Zweck brauchen Gesellschafter einer Personengesellschaft also eine Schiedsvereinbarung – und diese muss wirksam sein. Dies klingt zunächst einfach, ist es aber in der Praxis gegenwärtig nicht. Was die inhaltliche Gestaltung einer Schiedsvereinbarung für Beschlussmängelstreitigkeiten in der Personengesellschaft betrifft, so ist die Praxis aktuell vor besondere Herausforderungen gestellt. Diese besonderen Herausforderungen an die wirksame Gestaltung einer Schiedsvereinbarung, wie sie zum einen durch die Rechtsprechung BGH Schiedsfähigkeit IV13 und die darin aufgestellten „Mindestanforderungen für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen“ sowie zum anderen durch das zum 1.1.2024 in Kraft tretende Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG)14 mit seiner Neuregelung des Beschlussmängelrechts für Personengesellschaften begründet werden, sollen hier näher beleuchtet werden.
6. Gang der Darstellung und Themeneingrenzung 8 Zuvor sollen zunächst in einem kurzen Überblick typische Inhalte und Grundlagen der Gestaltung einer Schiedsvereinbarung dargestellt werden, die für die richtige Einordnung und Bewertung der Rechtsprechung 13 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV. 14 Siehe dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 19/27635, S. 1 ff.
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wesentlich erscheinen. Die Darstellung beschränkt sich dabei bewusst auf den innergesellschaftlichen Streit mit einem besonderen Fokus auf Beschlussmängelstreitigkeiten. Nicht behandelt wird der Streit mit gesellschaftsfremden Dritten, d.h. der Außenstreit.
II. Zu Inhalt und Gestaltung einer Schiedsklausel 1. Grundlagen a) Begrifflichkeiten und Legaldefinition (§ 1029 Abs. 2 ZPO) Die in Wissenschaft und Praxis anzutreffende Terminologie war lange 9 Zeit uneinheitlich und ist es zum Teil noch heute. Inzwischen sieht das Gesetz eine Legaldefinition in § 1029 Abs. 2 ZPO vor. Danach kann eine Schiedsvereinbarung in Form einer selbstständigen Vereinbarung – in diesem Fall sprechen wir von einer Schiedsabrede – oder in Form einer Klausel in einem Vertrag – in diesem Fall sprechen wir von einer Schiedsklausel – geschlossen werden15.
b) Regelungsstandort Das Gesetz überlässt den Gesellschaftern einer Personengesellschaft also grundsätzlich die Wahl des Regelungsstandortes ihrer Schiedsvereinbarung. Umstritten ist, unter welchen Voraussetzungen Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen wirksam sind oder hierfür eine selbstständige Schiedsabrede erforderlich ist.16
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c) Rechtsnatur („Doppelnatur“) Die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung ist umstritten. Die Standardformel der Rechtsprechung lautet auf einen „materiell-rechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen“ – oft wird daher auch von ei-
15 Bis zur Einführung dieser Legaldefinitionen mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (SchiedsVfG) (BT-Drucks. 13/5274, S. 33) wurden verschiedene Begrifflichkeiten wie Schiedsvertrag, Schiedsvereinbarung, Schiedsabrede und Schiedsklausel uneinheitlich verwandt. Siehe zu den Begrifflichkeiten vor dem SchiedsVfG Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 7 und 1. 16 Sanders in BeckOGK/HGB, Stand 15.12.2022, § 105 Rz. 94 m.w.N.; s. zum Diskussions- und Meinungsstand die eingehende Darstellung bei Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl 2022, § 105 Rz. 147 ff.
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ner „Doppelnatur“ gesprochen.17 Da der Meinungsstreit für die Praxis im Regelfall ohne Bedeutung sein wird, soll er hier nicht vertieft werden.
d) Prozessuale und materielle Wirkung: Sperrwirkung (§ 1032 Abs. 2 ZPO) und Begründung materiell-rechtlicher Pflichten (Förder- und Loyalitätspflicht) 12
Für die Rechtsanwendungs- und Gestaltungspraxis wichtig erscheint demgegenüber, dass die Schiedsvereinbarung in sich sowohl prozessuale als auch materielle Wirkungen vereint. Die (wirksame) Schiedsvereinbarung hat prozessual sog. „Sperrwirkung“ für den Weg zu den staatlichen Gerichten (vgl. § 1032 Abs. 1 ZPO).18 Sie begründet die ausschließliche Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts gewissermaßen als „Surrogat“ für den Ausschluss staatlicher Rechtsprechung.19 Mit ihrer materiell-rechtlichen Wirkung verpflichtet die Schiedsvereinbarung die Parteien, wechselseitig alles zu tun, um die Durchführung des Schiedsverfahrens bis hin zum Erlass des Schiedsspruches zu ermöglichen (sog. Förderpflicht) und gleichsam als Kehrseite dazu, alles zu unterlassen, was diesem Zweck zuwiderlaufen würde (Loyalitätspflicht).20
2. Inhalt und Gegenstand der Schiedsvereinbarung 13
Bestimmt werden muss in der Schiedsvereinbarung zum einen die Begründung des Schiedsgerichts sowie zum anderen die Reichweite seiner Kompetenz.
a) Vereinbarung der Schiedsbindung als solcher („abstrakte Kompetenz“) 14
Es geht also zunächst um die jeweilige Vereinbarung der Schiedsbindung als solcher, die sog. abstrakte Kompetenz.21 Klar muss etwa sein, dass
17 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 12 m.w.N. 18 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 137: „prozesshindernde Einrede“ gegen die Hauptsacheklage vor dem ordentlichen Gericht. 19 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 137 m.w.N. 20 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 138 m.w.N. 21 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 126.
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kein Schiedsgutachten gewollt ist.22 Dies kann bei fehlender oder nicht sorgfältiger Regelung im Einzelfall zweifelhaft sein, etwa wenn es um den Streit über Fragen der Unternehmensbewertung oder die Ermittlung bzw. Höhe der Abfindung für den ausscheidenden Gesellschafter geht.
b) Reichweite schiedsrichterlicher Kompetenz Was die Reichweite betrifft, so können Schiedsklauseln in Gesell- 15 schaftsverträgen sich grundsätzlich auf alle möglichen Streitigkeiten erstrecken.23 Das Rechtsverhältnis muss klar bezeichnet sein – hierdurch wird die Reichweite schiedsrichterlicher Kompetenz beschrieben.24 Die Parteien müssen klar regeln, welche konkreten Streitigkeiten ein Schiedsgericht entscheiden soll und welche nicht. Diese Regelung der schiedsgerichtlichen Zuständigkeit erfordert eine möglichst genaue Definition des Gegenstands der Schiedsvereinbarung, d.h. Inhalt, Umfang und Grenzen ihres Anwendungsbereichs – auch Beschränkungen sind möglich25 durch die Herausnahme bestimmter Streitigkeiten.26 Im Grundsatz jedoch gilt, dass eine Schiedsabrede, die Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten aus einem Rechtsverhältnis allgemein einem Schiedsgericht zuweist, grundsätzlich weit auszulegen ist und im Zweifel eine umfassende Entscheidungskompetenz angestrebt sein dürfte.27 Die Schiedsvereinbarung erstreckt sich bei weiter Auslegung also auch auf Gestaltungsklagen des Personengesellschaftsrechts wie z.B. für die Auflösung oder den Gesellschafterausschluss (§§ 117, 127, 133, 140 HGB);28 die Entziehung ist in derartigen Fällen durch Schiedsspruch auszusprechen, dem Gestaltungswirkung zukommt.29 Die traditionell 22 Vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2019, § 1029 Rz. 4; die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein, s. dazu den Überblick bei Würdinger in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 317 Rz. 8 ff. m.w.N. 23 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 134 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 24 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 129. 25 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 129. 26 Vgl. zu der Vereinbarung einer Globalschiedsbindung „Mit Ausnahme von Beschlussmängelstreitigkeiten“ … [und] … soweit dem nicht zwingendes Recht entgegensteht“ BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, ZIP 2015, 2019 = AG 2016, 34 = GmbHR 2015, 1148 m. Anm. Römermann = NJW 2015, 3234, 3236 Rz. 17 f. unter II. 2. lit. d; Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1031 Rz. 41. 27 BGH v. 4.10.2001 – III ZR 281/00, NZG 2002, 83; Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 133 Rz. 76 m.w.N. 28 Vgl. dazu Schäfer in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 117 Rz. 73. 29 Schäfer in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 117 Rz. 73.
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übliche Globalformel: „Alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit diesem Vertrag und seiner Durchführung“ erfasst auch das wirksame Zustandekommen des Vertrages30 und grundsätzlich auch gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten,31 welche regelmäßig im Mittelpunkt der gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung stehen und daher auch hier in den Fokus gerückt werden sollen.
c) Verfahrensregelung kein notwendiger Inhalt (vgl. § 1042 Abs. 2 und 3 ZPO) 16
Gemäß § 1042 Abs. 2 ZPO können die Parteien vorbehaltlich der zwingenden gesetzlichen Vorschriften das Verfahren selbst oder durch Bezugnahme auf eine schiedsrichterliche Verfahrensordnung regeln. Gemäß § 1042 Abs. 3 Satz 1 ZPO werden die Verfahrensregeln vom Schiedsgericht nach freiem Ermessen bestimmt, soweit eine Vereinbarung der Parteien nicht vorliegt und das Gesetz keine Regelung enthält. Die Parteien müssen danach nicht selbst Verfahrensregeln vereinbaren, schon gar nicht für die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung.32 Das Schiedsgericht kann und soll vielmehr danach im Grundsatz verfahrensregelnd tätig werden.33
3. Auslegung der Schiedsvereinbarung 17
Fehlt es in Bezug auf die in Rede stehende Streitigkeit an einer klaren vertraglichen Regelung, ist der Anwendungsbereich der Schiedsvereinbarung im Wege der Auslegung zu ermitteln,34 für die einige wesentliche Besonderheiten zu beachten sind.
a) §§ 133, 157 BGB und Auslegung „in favorem validitatis“ 18
So sind die allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB in der Weise anzuwenden, dass die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung aufrechterhalten wird (sog. Auslegung „in favorem validitatis“), und zwar erforderlichenfalls im Wege der ergänzenden Auslegung.35 30 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 130 m.w.N. 31 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 130 m.w.N. 32 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 133 Rz. 78; Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 135. 33 Siehe dazu Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2019, § 1042 Rz. 28 ff. 34 Münch in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1029 Rz. 124 ff. 35 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, Bd. 7, § 133 Rz. 76 m.w.N.
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b) Trennungsprinzip (§ 1040 Abs. 1 ZPO) Abweichend von der Zweifelsregelung der Gesamtnichtigkeit des § 139 19 BGB ist es als Regelfall anzusehen, dass die Parteien die Schiedsvereinbarung als wirksam wollten.36 Denn die Unwirksamkeit eines Vertrages zieht danach im Zweifel nicht die Unwirksamkeit der darin enthaltenen Schiedsvereinbarung nach sich, sondern jene ist selbständig zu beurteilen37 – das besagt das sog. Trennungsprinzip in § 1040 Abs. 1 ZPO.
4. Institutionelles oder Ad-hoc-Schiedsgericht a) Ad-hoc-Schiedsklausel und institutionelle Schiedsklausel In der gesellschaftsrechtlichen Praxis sind Ad-hoc-Schiedsklauseln weit 20 verbreitet, obwohl institutionelle Schiedsgerichtsverfahren viele Vorteile haben.38 Wenn die Parteien nicht auf die Schiedsregeln einer bestimmten Institution Bezug nehmen, wird empfohlen, klarstellend die Anwendbarkeit der §§ 1025 ff. ZPO zu regeln, sofern sie hiervon nicht abweichen wollen.39
b) Vorteile institutioneller Schiedsverfahren, insbesondere bei Schiedsordnung und Musterschiedsvereinbarung für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten In einer institutionellen Schiedsklausel wird eine Schiedsinstitution da- 21 mit beauftragt, die Verwaltung des Verfahrens zu übernehmen. Gleichzeitig wird die von dieser herausgegebene Verfahrensordnung in die Schiedsklausel einbezogen und hierauf Bezug genommen; ob die Parteien einen statischen oder dynamischen Verweis wollten, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln und sollte daher klargestellt werden, um Streit hierüber zu vermeiden.40
36 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, Bd. 7, § 133 Rz. 76 m.w.N. in Fn. 162. 37 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, Bd. 7, § 133 Rz. 76 m.w.N. in Fn. 163. 38 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 1 (S. 2855). 39 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.2 Anm. 8 (S. 2853). 40 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.2 Anm. 3 (S. 2851) mit Hinweis auf BGH WM 1986, 668 und Art. 1 (2) DIS-SchiedsO; vgl. aber Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2019, § 1042 Rz. 25.
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22 In Deutschland ist die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (kurz: DIS) die mit Abstand führende Schiedsvereinigung.41 Institutionelle Schiedsverfahren sind in der Abwicklung meist deutlich einfacher als Ad-hoc-Verfahren, weshalb eine institutionelle Schiedsklausel eine gute Wahl ist. Dies gilt wie im Fall der DIS umso mehr, als diese – anders als die allermeisten Schiedsinstitutionen – Sonderregelungen für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten bereithält.42 So stellt die DIS mit den „Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten“ aus dem Jahr 2009 (kurz: DIS-ERGeS) eine besondere Schiedsordnung und Musterschiedsvereinbarung für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten zur Verfügung, die im Internet frei zugänglich ist43 und deren Verwendung im Hinblick auf die Schiedsfähigkeit-Rechtsprechung des BGH44 ausdrücklich empfohlen wird.45 Daneben wurde in der Literatur jüngst auf eine Musterformulierung auf der Homepage des Schlichtungs- und Schiedsgerichtshofs Deutscher Notare hingewiesen,46 welche ebenfalls bereits die durch den BGH aufgestellten Mindestanforderungen berücksichtigen soll.47
5. Mehrparteienschiedsverfahren 23
In gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten entsteht oft das Problem der Mehrparteienschiedsgerichtsbarkeit, auf das das Schiedsverfahrensrecht 41 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.2 Anm. 2 (S. 2851). 42 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 1 (S. 2855). 43 Unter https://www.disarb.org/werkzeuge-und-tools/dis-musterklauseln (zuletzt abgerufen am 11.2.2023). 44 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV im Anschluss an BGH v. 29.3.1996 – II ZR 124/95, BGHZ 132, 278 = GmbHR 1996, 437 = AG 1996, 318 = NJW 1996, 1753 = ZIP 1996, 830 – Schiedsfähigkeit I und BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II sowie BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, ECLI:DE:BGH:2017:060417BIZB23.16.0, GmbHR 2017, 759 m. Anm. Römermann = NZG 2017, 657 = NJW-RR 2017, 876 = ZIP 2017, 1024 – Schiedsfähigkeit III. 45 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, Bd. 7, § 133 Rz. 78; vgl. auch Risse, in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.2 Anm. 2 (S. 2851) und zuletzt Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 169. 46 Unter https://sgh.dnotv.de/dokumente (zuletzt abgerufen am 14.2.2023). 47 Mülbert/Schneider, MittBayNot 2022, 380, 392.
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der ZPO Anwendung findet.48 Elementare Voraussetzungen jedes Mehrparteienverfahrens sind (i) das Einverständnis aller Parteien mit dieser Verfahrensart (keine Beteiligung Dritter gegen den Willen der Parteien), (ii) die Chancengleichheit bei der Besetzung des Schiedsgerichts und (iii) das Einverständnis aller Schiedsrichter.49
a) Einbeziehung Dritter Drittbeteiligte im Mehrparteienverfahren können durch ausdrückliche 24 oder konkludente, jedenfalls aber einstimmige Parteivereinbarung vor oder nach Entstehung des Streits einbezogen werden.50 Das erforderliche Einverständnis der beteiligten Parteien kann sich dabei schon aus der Schiedsvereinbarung, das der Schiedsrichter – soweit erforderlich51 – aus dem hierauf basierenden Schiedsrichtervertrag ergeben.52 Dies wird man etwa annehmen können, wenn es bei Abschluss der Schiedsvereinbarung vorhersehbar – oder gar wahrscheinlich oder sicher – war, dass es zu Mehrparteienverfahren komme kann.53
b) Schiedsrichterbenennung Sind auf Seiten der Parteien des Schiedsverfahrens mehrere Personen beteiligt, so ist besondere Vorsicht und Sorgfalt bei der ordnungsgemäßen Einleitung des Schiedsverfahrens und der hierfür zu ergreifenden Maßnahmen geboten. Da bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten häufig auf Kläger- oder Beklagtenseite mehr als zwei Personen beteiligt sind, empfiehlt es sich insoweit auch bei Ad-hoc-Schiedsverfahren, Regelungen über die interne Willensbildung innerhalb eines prozessualen Lagers
48 KG v. 21.4.2008 – 20 SCHH 4/07, NJW 2008, 2719; Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2019, § 1029 Rz. 42; Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022. Form. XII.3 Anm. 6 (S. 2855 f.). 49 Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Kap. 29 Rz. 2806. 50 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, Bd. 7, § 133 Rz. 109 unter Hinweis auf Ziff. 2 DIS-ERGeS. 51 Siehe gegen die Erforderlichkeit für die Zulassung der Nebenintervention etwa Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2019, § 1042 Rz. 41. 52 Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Kap. 29 Rz. 2806. 53 Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Kap. 29 Rz. 2809; Gharibian/Pieper, BB 2018, 387, 390.
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bei Bildung eines Dreier-Schiedsgerichts zu treffen.54 Ein faires Verfahren kann dabei im Einzelfall gefährdet sein, wenn eine Seite einen Schiedsrichter ihres Vertrauens benennen könnte, während sich mehrere Parteien auf der anderen Seite nicht auf einen Schiedsrichter einigen können und deshalb eine Benennung von dritter Seite stattfindet. Ein solches Ungleichgewicht bei der Besetzung des Schiedsgerichts kann im schlimmsten Fall später zu einer gerichtlichen Aufhebung des Schiedsspruchs führen. Deshalb wird in der Praxis für diesen Fall das gesamte Schiedsgericht von einem Dritten bestellt.55 Schiedsvereinbarungen können insoweit detaillierte Vorgaben zur Bildung und Zusammensetzung des Schiedsgerichts enthalten oder auf institutionelle Schiedsordnungen Bezug nehmen, insbesondere wenn diese – wie die DIS – Regelungen für Mehrparteienstreitigkeiten vorsehen.56
c) Rechtliches Gehör 26 § 1042 Abs. 1 Satz 1 ZPO verpflichtet das Schiedsgericht, jeder Partei rechtliches Gehör zu gewähren. Das gilt im Mehrparteienschiedsverfahren für alle Parteien, selbstverständlich auch für Nebenintervenienten.57
6. Sonstiges 27 Schiedsvereinbarungen können detaillierte Vorgaben zu fast allen Aspekten des Verfahrens enthalten. Ob und inwieweit dies sinnvoll ist, ist eine andere Frage. Zu Recht wird insoweit auf die nicht zu unterschätzende Fehleranfälligkeit von Verfahrensregeln hingewiesen, welche mitunter fatale Folgen wie die Aufhebung des Schiedsspruchs nach sich ziehen kann.58 54 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, Bd. 7, § 133 Rz. 80 m.w.N.; vgl. auch das Muster bei Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 6 (S. 2855 f.). 55 Vgl. Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Kap. 29 Rz. 2820; vgl. Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 6 (S. 2855 f.). 56 Benedict/Gehle/Schmidt in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 133 Rz. 79; s. zum Vorgehen und Verfahren, wenn die Schiedsvereinbarung hierzu keine Regelung enthält, Borris, NZG 2017, 761, 766 m.w.N. 57 Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2019, § 1042 Rz. 3; vgl. Borris, NZG 2017, 761, 764. 58 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022 Form XII.3 Anm. 8 (S. 2856).
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„Fatale Folgen“ für das betroffene Unternehmen und deren Gesellschafter kann mitunter auch die Nichteinhaltung von „Mindestanforderungen“ mit sich bringen, welche die höchstrichterliche Rechtsprechung an die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen stellt. Sie sollen deshalb nach dem vorstehenden Überblick über wesentliche Aspekte des Schiedsverfahrensrecht in den Blick genommen werden.
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III. BGH Schiedsfähigkeit IV und Konsequenzen für Rechtsanwendung und -gestaltung in Bezug auf Beschlussmängelstreitigkeiten 1. BGH Schiedsfähigkeit IV – Inhalt und Entscheidungsgründe Der II. Zivilsenat hatte in seiner Rechtsprechung Schiedsfähigkeit I59 29 und II60 qualifizierte Anforderungen für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen im Recht der GmbH zur Rechtfertigung von Schiedssprüchen über Beschlussmängelstreitigkeiten mit erga-omnes-Wirkung entwickelt. Diese qualifizierten Anforderungen übertrug der I. Senat sodann in seinem Urteil Schiedsfähigkeit III61 zunächst recht undifferenziert und allgemein auf das Recht der Personengesellschaften, um schließlich in seiner jüngsten Entscheidung Schiedsfähigkeit IV62 die Geltung und Übertragbarkeit der von ihm für die GmbH entwickelten Grundsätze dahingehend einzuschränken und zu präzisieren, dass diese nur insoweit gelten sollen, als die Klage gegen die Gesellschaft zu richten sei und sich dem Gesellschaftsvertrag damit eine schuldrechtliche Bindung für die nicht am Verfahren beteiligten Gesellschafter entnehmen lasse. Eine Entscheidung für die AG ist noch nicht ergangen.63
59 BGH v. 29.3.1996 – II ZR 124/95, BGHZ 132, 278 = GmbHR 1996, 437 = AG 1996, 318 = NJW 1996, 1753 = ZIP 1996, 830 – Schiedsfähigkeit I. 60 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II. 61 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, ECLI:DE:BGH:2017:060417BIZB23.16.0, GmbHR 2017, 759 m. Anm. Römermann = NZG 2017, 657 = NJW-RR 2017, 876 = ZIP 2017, 1024 – Schiedsfähigkeit III. 62 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV. 63 Siehe zur Diskussion für die Aktiengesellschaft den Überblick bei Lieder, NZG 2018, 1321, 1331.
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30 Die Rechtsprechung Schiedsfähigkeit I – III wurde in der Literatur bereits umfangreich behandelt64 und soll daher hier nur kurz für die Einordnung der jüngsten Entscheidung Schiedsfähigkeit IV65 skizziert werden. 31
Anders als der insoweit missverständliche Name der Urteile vermuten lässt, ging es dem BGH nicht etwa darum, für Beschlussmängelklagen die Schiedsfähigkeit gemäß § 1030 Abs. 1 ZPO zu begründen, denn diese steht außer Frage.66 Vielmehr ging es dem BGH um die gerichtliche Klärung, unter welchen konkreten Voraussetzungen ein urteilsgleicher Schiedsspruch (§ 1055 ZPO) über Beschlussmängelstreitigkeiten mit erga-omnes-Wirkung zu rechtfertigen ist auch gegenüber den nicht am Schiedsverfahren beteiligten Gesellschaftern, und wie deren Verfahrensbeteiligungsrechte in der Schiedsvereinbarung ausgestaltet werden müssen „in einer dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gleichwertigen Weise“ – d.h. unter Einhaltung eines aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Mindeststandards an Mitwirkungsrechten und damit an Rechtsschutzgewährung für alle ihr unterworfenen Gesellschafter (so der Leitsatz in Schiedsfähigkeit II).67
32 Der BGH hatte dabei das aktienrechtliche Anfechtungsmodell, das insoweit analog für die GmbH gilt, im Blick und stellte im Ausgangspunkt fest, dass eine analoge Anwendung der Urteilswirkung nicht ohne wei64 Siehe dazu etwa Baumann/Wagner, BB 2017, 1993; Borris, NZG 2017, 761; Göz/Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7; Heinrich, ZIP 2018, 411; Lieder, NZG 2018, 1321; Noack, MDR 2021, 1425; Noack, ZIP 2020, 1382; Nolting, ZIP 2017, 1641; Otto, ZGR 2019, 1082; Schlüter, DZWiR 2018, 251; K. Schmidt, NZG 2018, 121; K. Schmidt, BB 2001, 1857; K. Schmidt, DB 1989, 2315; Westermann, ZGR 2017, 38; Wolff, SchiedsVZ 2008, 59. 65 Siehe dazu etwa Baumann/Wagner, BB 2022, 963; Borris/Schenk-Busch, NZG 2022, 259; Bosse, NWB 2022, 780; Frese, RFamU 2022, 76; Heinrich, DB 2022, 446; Jobst, ZIP 2022, 884; Kröll, SchiedsVZ 2022, 150; Leuering/ Rubner, NJW-Spezial 2022, 239; Liebscher/Gunther, ZIP 2022, 713; Mock, SchiedsVZ 2022, 56; Mülbert/Schneider, MittBayNot 2022, 380; Nolting, NJW 2022, 113; Nolting, EWiR 2022, 101; Tamcke/Nöltner, GWR 2022, 77. 66 Dies wurde in der Literatur wiederholt klargestellt, s. dazu etwa die Darstellung bei K. Schmidt in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97, 101 ff., unter der Überschrift „Schiedsfähigkeit: Ein Scheinproblem!“ und der Bezeichnung als „Streit unter falscher Flagge“. 67 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II.
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teres in Betracht komme, sondern hierfür bestimmte Anforderungen an das Verfahren – die sog. Gleichwertigkeitskriterien oder Mindestanforderungen – erfüllt werden müssten. Für den Beschlussmängelstreit vor den staatlichen Gerichten sieht das 33 aktienrechtliche Anfechtungsmodell u.a. vor, dass die Beschlussmängelklage – gleich ob Anfechtungs-, Nichtigkeitsfeststellungs- oder positive Beschlussfeststellungsklage – allesamt gegen die Gesellschaft zu richten sind und das Urteil für und gegen die Gesellschaft sowie alle Gesellschafter Wirkung entfaltet, und zwar unabhängig davon, ob diese Partei des Verfahrens waren (sog. erga-omnes-Wirkung). Diese erga-omnesWirkung im staatlichen Verfahren gibt es dort jedoch nicht umsonst, sondern sie hat ihren Preis, der in der Wahrung von Interessen und Verfahrensrechten für die nicht am Gerichtsverfahren beteiligten Gesellschafter liegt. Hierfür müssen zunächst alle Gesellschafter Kenntnis über die Klage erhalten, damit sie Gelegenheit haben, sich als sog. Nebenintervenienten (§ 66 ZPO) an dem Verfahren zu beteiligen und auf dieses Einfluss nehmen zu können (§ 246 Abs. 4 Satz 1, § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). Damit es nicht zu divergierenden Entscheidungen kommt, ist für Beschlussmängelklagen das LG am Sitz der Gesellschaft ausschließlich zuständig (§ 246 Abs. 3 Satz 1, § 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). Sind hier mehrere, den gleichen Beschluss betreffende Klagen anhängig, so sind diese zu einem Verfahren zu verbinden (§ 246 Abs. 3 Satz 6, § 249 Abs. 2 Satz 1 AktG). Es geht dem BGH also im Kern darum, dass die Schiedsvereinbarung für den Schiedsspruch über Beschlussmängelstreitigkeiten das schiedsgerichtliche Verfahren in einer dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gleichwertigen Weise unter Einhaltung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards an Mitwirkungsrechten und Rechtsschutzgewährung für alle ihm unterworfenen Gesellschafter ausgestaltet.68 Hierfür stellte der BGH in seiner Entscheidung Schiedsfähigkeit II die folgenden sog. Gleichwertigkeitskriterien für die GmbH auf: „(i) Die Schiedsabrede muss grundsätzlich mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter in der Satzung verankert sein; alternativ reicht eine außerhalb der Satzung unter Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter und der Gesellschaft getroffene Absprache aus. (ii) Jeder Gesellschafter muss – neben den Gesellschaftsorganen – 68 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II.
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Holler – Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen über die Einleitung und den Verlauf des Schiedsverfahrens informiert und dadurch in die Lage versetzt werden, dem Verfahren zumindest als Nebenintervenient beizutreten. (iii) Sämtliche Gesellschafter müssen an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter mitwirken können, sofern nicht die Auswahl durch eine neutrale Stelle erfolgt; im Rahmen der Beteiligung mehrerer Gesellschafter auf einer Seite des Streitverhältnisses kann dabei grundsätzlich das Mehrheitsprinzip zur Anwendung gebracht werden. (iv) Schließlich muss gewährleistet sein, dass alle denselben Streitgegenstand betreffenden Beschlussmängelstreitigkeiten bei einem Schiedsgericht konzentriert werden.69“
35 Erfüllt eine Schiedsvereinbarung die so statuierten Mindestanforderungen nicht, so soll dies nach Ansicht des BGH die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung gemäß § 138 BGB zur Folge haben, was er wie folgt begründete: „(…). Nach § 138 BGB sind Schiedsvereinbarungen nichtig, wenn sie eine übermäßige Einschränkung des Rechtsschutzes zum Gegenstand haben. § 138 BGB hat die Funktion, den wesentlichen Grundsätzen und grundlegenden Maßstäben der Rechtsordnung – zu denen auch das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gehört – gegenüber einem Missbrauch der Vertragsfreiheit Achtung zu verschaffen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ist für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten.70 Wegen seiner für den Bestand der Rechtsordnung wesentlichen Bedeutung kann der Rechtsschutz durch Parteivereinbarung allenfalls in einzelnen konkreten Ausgestaltungen, nicht aber in seiner Substanz abbedungen werden. Führt die Vereinbarung einer Schiedsklausel dazu, dass eine Partei – hier im weiten Sinne als von der Rechtskraftwirkung eines stattgebenden Schiedsspruchs Betroffenen verstanden – benachteiligt bzw. dass ihr der notwendige Rechtsschutz entzogen wird, ist die Schiedsvereinbarung mit den guten Sitten unvereinbar und daher nichtig.71“
36 In seiner Entscheidung Schiedsfähigkeit III übertrug der I. Senat sodann die vom II. Senat in Schiedsfähigkeit II für die GmbH entwickelten Mindestanforderungen auf das Personengesellschaftsrecht. Zur Begründung argumentierte er, dass die Gesellschafter einer Personengesellschaft ebenso wie die Gesellschafter einer GmbH vor einer „Benachteiligung 69 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II (Rz. 20). 70 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II (Rz. 17). 71 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II (Rz. 18).
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und Entziehung des notwendigen Rechtsschutzes bewahrt werden“ müssten.72 Hierbei hatte der I. Senat indes übersehen, dass die Gleichwertigkeitskriterien zur Rechtfertigung einer erga-omnes-Wirkung des Schiedsspruchs über Beschlussmängelstreitigkeiten analog §§ 248, 249 AktG entwickelt worden waren, es eine solche jedoch aktuell im Personengesellschaftsrecht grundsätzlich nicht gibt.73 Die Kritik der Literatur wandte insoweit zu Recht ein, dass der BGH das 37 vom Kapitalgesellschaftsrecht grundlegend abweichende Beschlussmängelrecht im Recht der Personengesellschaften nicht hinreichend gewürdigt habe.74 Denn dort ist die Nichtigkeit fehlerhafter Gesellschafterbeschlüsse mit der allgemeinen Feststellungsklage gegenüber allen bzw. den die Nichtigkeit bestreitenden Gesellschaftern geltend zu machen und nicht gegenüber der Gesellschaft.75 Und das Feststellungsurteil wirkt im Recht der Personengesellschaft gemäß § 325 Abs. 1 ZPO nur inter-partes und nicht wie bei AG und GmbH erga-omnes.76 Deshalb wird die Klage regelmäßig gegen alle Gesellschafter erhoben, damit alle Gesellschafter Partei werden und das Urteil deshalb gegen alle wirkt. In
72 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, ECLI:DE:BGH:2017:060417BIZB23.16.0, GmbHR 2017, 759 m. Anm. Römermann = NZG 2017, 657 = NJW-RR 2017, 876 = ZIP 2017, 1024 – Schiedsfähigkeit III (Rz. 26). 73 Bryant, SchiedsVZ 2017, 196, 197; Borris, NZG 2017, 761, 763 ff.; Nolting, ZIP 2017, 1641, 1642 ff.; Baumann/Wagner, BB 2017, 1993, 1994 ff.; Göz/ Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7, 11 f.; Werner, jM 2018, 134, 135; Schlüter, DZWIR 2018, 251, 256 f.; Heinrich, ZIP 2018, 411, 412 ff.; Lieder, NZG 2018, 1321, 1330 f.; Otto, ZGR 2019, 1082, 1111; vgl. bereits vor BGH Schiedsfähigkeit III in diese Richtung weisend Hase, BB 2011, 1993, 1995 f.; Hauschild/Böttcher, DNotZ 2012, 577, 587 f.; Sackmann, NZG 2016, 1041, 1042 f.; K. Schmidt, NZG 2018, 124. 74 Bryant, SchiedsVZ 2017, 196, 197; Borris, NZG 2017, 761, 763 ff.; Nolting, ZIP 2017, 1641, 1642 ff.; Baumann/Wagner, BB 2017, 1993, 1994 ff.; Göz/ Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7, 11 f.; Werner, jM 2018, 134, 135; Schlüter, DZWIR 2018, 251, 256 f.; Heinrich, ZIP 2018, 411, 412 ff.; Lieder, NZG 2018, 1321, 1330 f.; Otto, ZGR 2019, 1082, 1111; vgl. bereits vor BGH Schiedsfähigkeit III in diese Richtung weisend Hase, BB 2011, 1993, 1995 f.; Hauschild/Böttcher, DNotZ 2012, 577, 587 f.; Sackmann, NZG 2016, 1041, 1042 f.; K. Schmidt, NZG 2018, 124. 75 Schäfer in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 119 Rn. 91; Enzinger in MünchKomm/ HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 Rn. 101. 76 Enzinger in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 Rn. 101; Schäfer in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 119 Rn. 90 ff.
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diesem Fall bestehe aber schon kein Schutzdefizit nicht beteiligter Gesellschafter wie in den Fällen Schiedsfähigkeit I und II.77 38
Ander sei dies lediglich im Einzelfall und in den Fällen, in denen dem Gesellschaftsvertrag entweder unmittelbar oder im Wege seiner Auslegung zu entnehmen ist, dass die Beschlussmängelklage gegen die Gesellschaft zu richten ist und die nicht als Partei am Verfahren beteiligten Gesellschafter das Urteil eines gegen die Gesellschaft geführten Rechtsstreits gegen sich gelten lassen müssten.78 Dies wird in der Literatur auch als „Quasi-Rechtskrafterstreckung“79 oder „schuldrechtliches Rechtskraftsurrogat“80 bezeichnet.
39 Zuletzt im Herbst 2021 bot sich sodann für den I. Senat die Gelegenheit, in einer weiteren Entscheidung Schiedsfähigkeit IV die berechtigte Kritik der Literatur aufzunehmen und seine Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Schiedsvereinbarung für Beschlussmängelstreitigkeiten im Recht der Personengesellschaften zu konkretisieren – im Leitsatz heißt es: „1. Die zur GmbH entwickelten Mindestanforderungen für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die Beschlussmängelstreitigkeiten erfassen (Schiedsfähigkeit II), gelten auch für Personengesellschaften, bei denen der Gesellschaftsvertrag vorsieht, dass Beschlussmängelstreitigkeiten nicht unter den Gesellschaftern, sondern mit der Gesellschaft auszutragen sind (Abgrenzung zu BGH Schiedsfähigkeit III). 2. Im Zweifel lasse eine Schiedsvereinbarung, die alle Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis umfasst, auf den Willen der Vertragsparteien schließen, im Falle ihrer Teilnichtigkeit nicht vollständig von ihr Abstand zu nehmen, sondern sie im zulässigen Umfang aufrechtzuerhalten.81“ 77 Vgl. Bryant, SchiedsVZ 2017, 196, 197; Borris, NZG 2017, 761, 763 ff.; Nolting, ZIP 2017, 1641, 1642 ff.; Baumann/Wagner, BB 2017, 1993, 1994 ff.; Göz/ Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7, 11 f.; Werner, jM 2018, 134, 135; Schlüter, DZWIR 2018, 251, 256 f.; Heinrich, ZIP 2018, 411, 412 ff.; Lieder, NZG 2018, 1321, 1330 f.; Otto, ZGR 2019, 1082, 1111; vgl. bereits vor BGH Schiedsfähigkeit III in diese Richtung weisend Hase, BB 2011, 1993, 1995 f.; Hauschild/Böttcher, DNotZ 2012, 577, 587 f.; Sackmann, NZG 2016, 1041, 1042 f.; K. Schmidt, NZG 2018, 124. 78 Siehe dazu etwa Baumann/Wagner, BB 2017, 1993, 1994 ff.; Göz/Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7, 11 f. 79 Vgl. Habersack in FS Graf-Schlicker, 2018, S. 37, 45. 80 Otto, ZGR 2019, 1082, 1112. 81 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV.
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2. Stellungnahme und kritische Würdigung Die Entscheidung vermag aus meiner Sicht nicht zu überzeugen, und zwar weder das Ergebnis noch seine dogmatische Begründung. Ich will mich mit meiner Kritik dabei auf zwei Punkte konzentrieren, und zwar erstens auf die Auslegung von Gesellschaftsvertrag und Schiedsvereinbarung und zweitens auf die Anforderungen an die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und die Rechtsfolge der Nichtigkeit gemäß § 138 BGB, wie sie durch die Entscheidung Schiedsfähigkeit II begründet und in der Entscheidung Schiedsfähigkeit IV für die Personengesellschaften fortgeschrieben und bestätigt wird.
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a) Zur Auslegung von Gesellschaftsvertrag und Schiedsvereinbarung – Herkömmliche Rechtsprechungsgrundsätze des BGH zur Ermittlung einer möglichen Passivlegitimation der Gesellschaft bedürfen einer Korrektur und Modifikation Der BGH hält für die Entscheidung, ob die Gesellschafter die (schuld- 41 rechtliche) erga-omnes-Wirkung eines Schiedsspruchs über Beschlussmängelstreitigkeiten wollten, für maßgeblich, ob die Beschlussmängelklage abweichend vom Gesetz nicht gegen die Gesellschafter, sondern gegen die Gesellschaft zu richten ist.82 Für die Ermittlung der Passivlegitimation und des entsprechenden Gesellschafterwillens will er dabei entscheidend auf die hierfür in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Auslegung zurückgreifen,83 und zwar „auch für die im Streitfall zur Beurteilung der Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung vorzunehmende Auslegung“.84 Die Vorinstanz hatte sich in diesem Sinne 82 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV (Rz. 18 f.). 83 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV (Rz. 23); siehe zu den Auslegungskriterien der Rechtsprechung im Einzelnen etwa die Entscheidungen BGH v. 11.12.1989 – II ZR 61/89, NJW-RR 1990, 474, 475; BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218; 1218 f. = ZIP 1995, 460; BGH v. 17.7.2006 – II ZR 242/04, ZIP 2006, 1579 = NJW 2006, 2854 = NZG 2006, 703, 704; BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, ZIP 2011, 806 = NJW 2011, 2578 = NZG 2011, 544. 84 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV (Rz. 24).
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für seine Auslegung auf den verwendeten Begriff der „Anfechtung“ und die dort geregelte Frist von zwei Monaten ab Zugang des Protokolls für die Geltendmachung von Beschlussmängeln gestützt;85 das OLG hatte ferner darauf abgestellt, dass Einsprüche gegen das Protokoll der Gesellschaft gegen die Gesellschaft zu richten sind und dieses Recht fristgebunden ist,86 was der BGH nicht beanstandet hat. 42 Dieser Ansatz greift nach meiner Auffassung zu kurz und hält einer Überprüfung nach dem Verbot der Missachtung interessengerechter Auslegung nicht stand. Denn in den Fällen, in denen die Gesellschafter – wie so oft und auch hier – eine universelle Schiedsvereinbarung87 für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten in oder mit ihrem Gesellschaftsstatut abgeschlossen haben, verfolgen sie damit jedenfalls im Regelfall für sie und die Gesellschaft existentielle und damit regelmäßig höherrangigere Ziele als mit der Vereinbarung einer Passivlegitimation der Gesellschaft. So erfolgt die Vereinbarung, dass Beschlussmängelklagen nicht gegen die Mitgesellschafter oder einzelne von ihnen, sondern stattdessen gegen die Gesellschaft zu richten sind, regelmäßig allein aus pragmatischen Gründen, etwa weil dies für den klagenden Gesellschafter einfacher und kostengünstiger ist88 oder „um Gesellschafterstreitigkeiten mit der Gesellschaft an Stelle der Mitgesellschafter als Klagegegner überschaubar zu halten“.89 Der Ausschluss der Öffentlichkeit zur Geheimhaltung des Streits gegenüber Dritten und der Tatsache, dass im Gesellschaftsverhältnis oder im Unternehmen gestritten wird, hat demgegenüber aus den einleitend dargestellten Gründen regelmäßig zentrale oder sogar existentielle Bedeutung für ihr Unternehmen und dessen Bestand für den Streitfall.90
85 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV (Rz. 27). 86 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV (Rz. 27). 87 Siehe dazu unter Abschnitt II. 2. lit. b), Rz. 15. 88 Vgl. etwa von Unger in Gummert, MünchAnwHbPersGesR, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 61. 89 BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, ZIP 2011, 806 = NJW 2011, 2578 = NZG 2011, 544, 545 (Rz. 21). 90 Siehe dazu eingehend bereits einleitend unter Abschnitt I. 1. ff., Rz. 1 ff.
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Auf dieser Grundlage ist maßgeblich und im Wege der interessengerech- 43 ten Auslegung zu beantworten, ob die Gesellschafter die Passivlegitimation der Gesellschaft und eine ggf. hieraus abzuleitende erga-omnes-Wirkung tatsächlich auch dann wollten oder gewollt hätten, wenn die Folge gleichzeitig die Nichtigkeit ihrer Schiedsvereinbarung ist, da die Schiedsvereinbarung nicht den Mindestanforderungen des BGH genügt. Dies wird jedenfalls im Regelfall zu verneinen sein mit der Folge, dass insbesondere in Fällen, in denen der Gesellschaftsvertrag keine ausdrückliche Regelung zur Passivlegitimation enthält, das Gebot der interessengerechten Auslegung zu dem Ergebnis führen muss, dass die Beschlussmängelklage gegen die Mitgesellschafter zu erheben ist und ein Schiedsspruch hierüber lediglich inter-partes-Wirkung haben soll, weil anderenfalls der Preis einer Gesamt- oder Teilnichtigkeit der Schiedsvereinbarung – und damit insbesondere die Öffentlichkeit des Streits – schlicht und ergreifend zu hoch ist. Insbesondere die Öffentlichkeit der gerichtlichen Auseinandersetzung wird im Regelfall nicht dem für die Auslegung insoweit maßgeblichen wahren Willen der Gesellschafter gemäß § 133 BGB entsprechen, und zwar im Einzelfall selbst dann nicht, wenn ein entgegenstehender Wortlaut des Gesellschaftsstatuts die Passivlegitimation der Gesellschaft ausdrücklich vorsieht. Denn der Wortlaut bildet bekanntlich nur den Ausgangspunkt der Auslegung.91 Und insoweit müssen in Fällen, in denen – wie hier – die Wirksamkeit einer einfachen Schiedsvereinbarung und damit das Erreichen der hiermit regelmäßig verfolgten höherrangigen Ziele wie der Ausschluss der Öffentlichkeit in Frage stehen, die Maßstäbe für die gebotene interessengerechte Auslegung des Gesellschaftsstatuts andere sein als die herkömmlichen, vom BGH entwickelten „einfachen Auslegungsmaßstäbe“ zur Ermittlung der Passivlegitimation der Gesellschaft ohne Schiedsvereinbarung, auf die der BGH in Schiedsfähigkeit IV abstellen möchte92 und welche insoweit einer Korrektur bedürfen (Notwendigkeit modifizierter Auslegungsmaßstäbe). Hierfür spricht zusätzlich, dass Schiedsvereinbarungen nach den einleitend dargestellten allgemeinen Grundsätzen in favorem validitatis auszulegen sind.93 Dies erfordert in Fällen wie diesen, dass nicht nur die Schiedsvereinbarung, sondern auch das Gesell91 Siehe dazu eingehend Fleischer in MünchKomm/HGB, 5. Aufl. 2022, § 105 Rz. 156 m.w.N. 92 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV (Rz. 23). 93 Siehe dazu bereits vorstehend unter Abschnitt II. 3. lit. a), Rz. 18.
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schaftsstatut interessengerecht, d.h. unter angemessener Berücksichtigung der mit der Schiedsvereinbarung verfolgten zentralen Ziele der Gesellschafter auszulegen ist. 44 Dies führt mich zu folgendem Zwischenergebnis: In der Regel wird der Personengesellschaftsvertrag bei gleichzeitiger Vereinbarung einer (einfachen) Schiedsvereinbarung, die Beschlussmängelstreitigkeiten erfasst und den Mindestanforderungen aus BGH Schiedsfähigkeit II nicht genügt, im Hinblick auf die anderenfalls drohende (Teil-)Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung interessengerecht dahingehend auszulegen sein, dass die Beschlussmängelklage nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen die Mitgesellschafter zu richten ist und lediglich inter-partes-Wirkung entfaltet.94 45
Die vorstehenden Erwägungen sprechen zugleich gegen die Richtigkeit der Annahme einer Teilnichtigkeit der Schiedsvereinbarung durch den BGH und die Annahme, dass „im Zweifel eine Schiedsvereinbarung, die alle Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis umfasst, auf den Willen der Vertragsparteien schließen lässt, im Falle ihrer Teilnichtigkeit nicht vollständig von ihr Abstand zu nehmen, sondern sie im zulässigen Umfang aufrecht zu erhalten“.95
b) Zu den Anforderungen des BGH an die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung und der Anordnung ihrer Nichtigkeit gemäß § 138 BGB im Falle ihrer fehlenden Einhaltung 46
Ich komme nun zu meinem zweiten Kritikpunkt, der sich auf die Anforderungen aus Schiedsfähigkeit II bezieht und gegen die Anordnung der 94 Etwas anderes mag im Einzelfall gelten, wenn die Gesellschafter der Personengesellschaft mit Rücksicht auf einen großen und nicht mehr überschaubaren Gesellschafterkreis dem Regelungsziel der Vereinbarung der Passivlegitimation der Gesellschaft eine höherrangige Bedeutung eingeräumt haben als den mit der Schiedsvereinbarung verfolgten Regelungszielen wie insbesondere dem Ausschluss der Öffentlichkeit, was selbstverständlich nur in jedem Einzelfall anhand der konkreten Umstände im Wege der Auslegung des Willens der Parteien anhand der hierfür jeweils geltenden Grundsätze ermittelt werden kann. Das hier vertretene Zwischenergebnis gilt insoweit jedenfalls für Personengesellschaften mit einem kleinen und überschaubarem Gesellschafterkreis. 95 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV Leitsatz unter Ziff. 2.
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Nichtigkeit als Rechtsfolge der Nichteinhaltung der vom BGH aufgestellten Mindestanforderungen für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen wendet, an der der BGH mit Schiedsfähigkeit IV ausdrücklich festhalten möchte.96 Die Parteien einer Schiedsvereinbarung sind allgemeinen Regeln zufolge 47 aufgrund ihrer allein aus der einfachen Schiedsvereinbarung resultierenden Förder- und Loyalitätspflicht verpflichtet, die Durchführbarkeit des Schiedsverfahrens zu ermöglichen und zu fördern und darüber hinaus alles einer solchen entgegenstehende zu unterlassen.97 Dies beinhaltet bei verständiger Würdigung zugleich die Verpflichtung, im Einzelfall die Voraussetzungen für die Durchführbarkeit des Schiedsverfahrens zu schaffen und damit das Verfahren in Übereinstimmung mit den Gleichwertigkeitskriterien des BGH zu gestalten, zu fördern und nicht zu behindern oder zu vereiteln. Flankiert und verstärkt wird eine entsprechende Verfahrensgestaltungs- und -durchführungspflicht dabei durch die allgemeine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, welche die Gesellschafter verpflichtet, alles hierfür Erforderliche zu tun.98 Dieser Pflichtenkanon wird jedenfalls in aller Regel zunächst die Pflicht aller Parteien der Schiedsvereinbarung beinhalten, an einem Verfahren bei der Auswahl und Benennung der Schiedsrichter für die Konstituierung des Schiedsgerichts mitzuwirken, das die Rechte der Verfahrensbeteiligten hinreichend wahrt; hierfür lässt der BGH es für ausreichen, dass „bei Beteiligung mehrerer Gesellschafter auf einer Seite des Streitverhältnisses das Mehrheitsprinzip Anwendung findet“.99 Entsprechend lässt sich die Pflicht begründen, der Einbeziehung nicht am Verfahren beteiligter Gesellschafter etwa als Nebenintervenient zuzustimmen. Dabei kann sich nicht nur eine entsprechende Mitwirkungspflicht, sondern auch die Zustimmung hierfür bereits unmittelbar der Schiedsvereinbarung im Wege der (ergänzenden) Auslegung entnehmen lassen. Denn in diesen Fällen ist ein Mehrparteienschiedsverfahren in aller Regel bereits bei Ab96 BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ECLI:DE:BGH:2021:230921BIZB13.21.0, GmbHR 2022, 356 = NZG 2022, 264 = ZIP 2022, 125 = NJW-RR 2022, 261 – Schiedsfähigkeit IV (Rz. 14 ff.). 97 Siehe dazu eingehend unter Abschnitt II. 1. lit. d), Rz. 12. 98 Siehe zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung zuletzt Holler/Mann NZG 2021, 402 ff. m.w.N. 99 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II (Rz. 20).
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schluss der Schiedsvereinbarung jedenfalls vorhersehbar. Gemessen an diesen Maßstäben kann deshalb die fehlende oder verweigerte Zustimmung oder Mitwirkung einer Partei bei der Verfahrensgestaltung und -durchführung im Einzelfall treuwidrig sein, nicht nur wenn es um Beschlussfassungen geht.100 Die Pflicht zur Information über die Einleitung eines Schiedsverfahrens lässt sich ebenfalls im Wege der interessengerechten – und erforderlichenfalls ergänzenden – Auslegung des Gesellschaftsvertrages und der Schiedsvereinbarung oder Schiedsklausel101 ableiten; es ist auch insoweit nicht ersichtlich, weshalb die fehlende ausdrückliche Regelung die Nichtigkeit nach sich ziehen müsste. Wird sie verletzt und hat ein Gesellschafter deshalb nicht die Möglichkeit einer Beteiligung an der Schiedsrichterauswahl und -benennung oder am späteren Verfahren, entfaltet der Schiedsspruch entweder keine Wirkung ihm gegenüber oder aber der Schiedsspruch ist nach allgemeinen Grundsätzen aufzuheben. Der Betroffene ist insoweit nicht schutzlos gestellt, sodass unter diesem Gesichtspunkt die Nichtigkeit ebenfalls nicht gerechtfertigt erscheint. Dass in diesem Fall – gemäß den Kriterien des BGH – ein „Missbrauch der Vertragsfreiheit“102 oder aber ein „Entzug des notwendigen Rechtsschutzes“103 begründet wäre, ist nicht ersichtlich. Eine Konzentration aller denselben Streitgegenstand betreffenden Beschlussmängelklagen bei einem Schiedsgericht, wie diese der BGH verlangt, gibt es im Recht der Personengesellschaften bei
100 Vgl. zum Meinungsstand und zu den umstrittenen Rechtsfolgen von Treupflichtverstößen und den Voraussetzungen, unter denen im Einzelfall auf eine Klage auf Zustimmung gemäß 894 ZPO verzichtet und die Zustimmung fingiert werden kann, Schäfer in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 705 Rn. 246 ff. m.w.N.; kritisch zu den in der Literatur diskutierten Differenzierungskriterien und für eine einheitliche Tatbestands- und Rechtsfolgenlösung für die treuwidrige Stimmabgabe und Fiktion der Zustimmung zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse sowie einer unbilligen Verteilung der Klaginitiativlast eingehend Holler in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2022, § 75 Rz. 372 ff. m.w.N. 101 Für die Auslegung kann es insoweit nicht auf den Regelungsstandort der Schiedsabrede ankommen, siehe dazu vorstehend unter Abschnitt II. 1. lit. b), Rz. 10. 102 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II (Rz. 17). 103 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = NZG 2009, 620 = ZIP 2009, 1003 – Schiedsfähigkeit II (Rz. 18).
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Klagen vor den staatlichen Gerichten nicht.104 Insoweit kann und muss auch hier für das Schiedsverfahren keine Gleichwertigkeit geschaffen werden. Im Übrigen kann hier im Einzelfall die Priorität des ersten Schiedsverfahrens mit der Schiedsvereinbarung begründet werden und weiteren Schiedsverfahren mit dem gleichen Streitgegenstand entgegengehalten werden.105 Insoweit ist auch hier auf die durch die Schiedsvereinbarung begründeten besonderen materiell-rechtlichen Förder- und Loyalitätspflichten106 sowie die diese flankierende gesellschaftsrechtliche Treuepflicht hinzuweisen. Auch die Konzentrationsmaxime ist also kein geeignetes Argument für die Nichtigkeit. Der vom BGH in Schiedsfähigkeit II verlangte „Mindeststandard an Ver- 48 fahrensmitwirkungs- und -beteiligungsrechten für alle dem Schiedsspruch unterworfenen Gesellschafter“ lässt sich damit jedenfalls im Grundsatz bereits auf der Grundlage der allgemeinen Grundsätze des Schiedsverfahrensrechts und des Gesellschaftsrechts angemessen und hinreichend sicherstellen. Die vom BGH verlangte Rechtsfolge der Nichtigkeit für den Fall der fehlenden Regelung der Mindestanforderungen in der Schiedsvereinbarung (wie in dem in der Praxis häufigen Fall einer einfachen Schiedsklausel) ist hierfür zum einen nicht erforderlich. Sie ist darüber hinaus leider auch gänzlich ungeeignet und nicht zielführend, wenn es darum geht, den Parteien entsprechend ihrem wahren Willen (§ 133 BGB) zu einem rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Schiedsverfahren zu verhelfen, weil sie infolge der Nichtigkeit eine den Mindestanforderungen entsprechende Schiedsverfahrenseinleitung und -durchführung von vornherein unmöglich macht. Insbesondere hindert sie die Parteien – und auch das hierfür subsidiär zuständigen Schiedsgericht – daran, durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung gemäß § 1042 Abs. 2 und 3 ZPO für einen angemessenen Schutz aller dem Schiedsspruch unterworfenen Gesellschafter zu sorgen.107 Hinzukommt, dass die Rechtsfolge der Nichtigkeit nicht dem jedenfalls im Regelfall erklärten wahren Willen der Gesellschafter (§ 133 BGB) und dem hiermit korrespondierenden existenziellen oder jedenfalls höher104 Zu Recht insoweit bereits der Hinweis von Göz/Peitsmeier, SchiedsVZ 2018, 7, 10 unter lit. e). 105 Vgl. Borris NZG 2017, 761, 766; kritisch Göz/Peitsmeyer, SchiedsVZ 2018, 7, 12. 106 Siehe dazu Abschnitt II.1. lit. d), Rz. 12. 107 Siehe zu diesen Vorschriften vorstehend unter Abschnitt II. 2. lit. c), Rz. 16.
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rangigen Gestaltungsziel gerecht werden kann, ihre Beschlussmängelstreitigkeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit gerichtlich klären zu lassen,108 und ihnen und dem Schiedsgericht zudem von vornherein sämtliche Möglichkeiten nimmt, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen und für die Beachtung der Mindestanforderungen aus Schiedsfähigkeit II zu sorgen und diese einzufordern. Dies gilt entsprechend für die Annahme einer bloßen Teilnichtigkeit für Beschlussmängelstreitigkeiten. Auch insoweit geht die höchstrichterliche Rechtsprechung zu weit, schießt unnötig über das Ziel hinaus und erweist sich damit im Ergebnis – gemessen an dem wahren Willen der Gesellschafter und den von ihnen verfolgten Zielen – sogar als „kontraproduktiv“. Um auf der einen Seite rechtsstaatlichen Grundsätzen und Mindestanforderungen an das Verfahren zu genügen und gleichzeitig auf der anderen Seite dem wahren Willen der Parteien zur Gültigkeit zu verhelfen, wäre es daher sowohl aus dogmatischer als auch aus praktischer Sicht vorzugswürdig, die erhöhten Mindestanforderungen aus Schiedsfähigkeit II allein an das Verfahren und seine Durchführung durch die Parteien und das Schiedsgericht vor und nach Einleitung des Schiedsverfahrens zu stellen, nicht aber an die Schiedsvereinbarung und deren Wirksamkeit.109 Die vom BGH zum Schutz der Beteiligten geforderte Nichtigkeit als solche erweist sich damit im Ergebnis als zu „starr“ und deshalb nicht zuletzt als ungeeignet, im Einzelfall gemessen an den Zielen der Parteien (§ 133 BGB) einerseits und den schutzwürdigen Belangen der Verfahrensbeteiligten andererseits gerechte und angemessene Lösungen zu finden.
3. Konsequenzen für die Rechtsanwendung und -gestaltung 49
Der Gestaltungspraxis ist trotz der hier dargestellten Kritik jedenfalls bis auf Weiteres und höchst vorsorglich im Grundsatz zur Vermeidung einer etwaigen Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung zu empfehlen, die Mindestanforderungen des BGH nicht nur im Recht der GmbH und AG, sondern auch im Recht der Personengesellschaft in den Fällen umzusetzen, in denen der Wille der Gesellschafter darauf gerichtet ist, Beschlussmängelstreitigkeiten mit der Gesellschaft und mit inter-omnes-Wirkung der gerichtlichen Entscheidung auszutragen, was ggf. in Ermangelung eindeutiger ausdrücklicher Regelungen im Wege der Auslegung des Gesell108 Siehe dazu Abschnitt I. 2. ff., Rz. 13 ff. 109 Vgl. in diese Richtung bereits die Kritik bei K. Schmidt in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97, 132 unter lit. g) („Hohes Maß an ex-ante-Kontrolle der Schiedsklauseln“).
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schaftsvertrages nach den vom BGH für die Ermittlung der Passivlegitimation der Gesellschaft entwickelten herkömmlichen Rechtsprechungsgrundsätzen erfolgen sollte. Wie kann auf dieser Grundlage eine sichere Gestaltung im Sinne einer best practice aussehen? Hierfür kommen jedenfalls drei mögliche Optionen in Betracht: a) Die Mindestanforderungen des BGH werden umgesetzt – entweder durch eine den Gleichwertigkeitskriterien entsprechende eigene Regelung in der Schiedsvereinbarung oder aber durch die Bezugnahme auf diesen genügende Schiedsregeln einer Schiedsinstitution (z.B. DIS-ERGeS). b) Als weitere Möglichkeit kann der Gesellschaftsvertrag klarstellen, dass Beschlussmängelklagen nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen die Mitgesellschafter zu richten sind und eine Entscheidung keine erga-omnes-Wirkung entfalten soll. Diese Gestaltung wird sich insbesondere für Personengesellschaften mit kleinem und überschaubarem Gesellschafterkreis anbieten.110 c) Eine weitere Möglichkeit besteht schließlich in der ausdrücklichen Ausklammerung von Beschlussmängelstreitigkeiten aus der Schiedsvereinbarung.111 Sie hat aber erhebliche Nachteile, die insbesondere in der Öffentlichkeit der Austragung der Beschlussmängelstreitigkeit als dem in der Praxis vielleicht häufigsten Gesellschafterkonfliktfall liegt. Und insoweit mag der Hinweis, es sei einfacher und regelmäßig schneller, die Entscheidung von Beschlussmängelstreitigkeiten dem staatlichen Gericht zu überlassen,112 zwar mit Rücksicht auf die vorgelagerte Auseinandersetzung über die Zuständigkeit des Gerichts113 zutreffen, erscheint aber gemessen an den höherrangigen Gestaltungzielen der Gesellschafter unbefriedigend und nicht zielführend. Die Ausklammerung von Beschlussmängelstreitigkeiten aus der Schiedsabrede führt im Übrigen in der Praxis zu einer äußerst misslichen „Verfahrensspaltung“ wie im Ergebnis auch im Fall 110 Siehe dazu näher sogleich unter Abschnitt IV., Rz. 52. 111 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 8 (S. 2856) mit dem entsprechenden Regelungsvorschlag: „Dieser Schiedsvertrag gilt nicht für Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen (Beschlussmängelstreitigkeiten). Hierfür ist das Landgericht … ausschließlich zuständig.“ 112 Risse in BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. XII.3 Anm. 8 (S. 2856). 113 Vgl. § 1032 ZPO.
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Schiedsfähigkeit IV, was dem tatsächlichen Willen der Parteien (§ 133 BGB) am Ausschluss der Öffentlichkeit unmöglich gerecht werden kann.114 51 Abgesehen davon führt die Ausklammerung von Beschlussmängelstreitigkeiten zu weiteren Problemen in der Praxis. So wirft die Definition eines Ausnahmebereichs von der Schiedsabrede die Frage auf, ob diese als ausschließliche und abschließende Regelung von den Parteien gewollt ist oder aber nicht doch auch weitere sinnvolle Ausnahmefälle von der Schiedsgerichtsbarkeit denkbar und nach dem hypothetischen Parteiwillen gewollt sein könnten (ergänzende Vertragsauslegung). Dieser naheliegende Streit über die Reichweite ist dabei vorhersehbar und deshalb jedenfalls als Risiko bei der Frage, wie sinnvoll eine derartige Ausklammerung als Gestaltungsvariante für eine effiziente Konfliktlösung sein kann, zu berücksichtigen.
IV. Das neue Beschlussmängelrecht nach dem MoPeG und Konsequenzen für die Rechtsanwendung und -gestaltung 1. Zum neuen Beschlussmängelrecht und seine Relevanz für Schiedsklauseln im Anschluss an BGH Schiedsfähigkeit IV a) Personenhandelsgesellschaften 52 Mit Inkrafttreten des MoPeG zum 1.1.2024 wird für Personenhandelsgesellschaften (oHG und KG) mit dem Normenkomplex der §§ 110–115 HGB n.F. ein modernes, im Grundsatz dem aktienrechtlichen Anfechtungsmodell folgendes Beschlussmängelrecht eingeführt.115 Danach sind Beschlussmängelstreitigkeiten grundsätzlich mit der Gesellschaft auszutragen; das Urteil hat inter-omnes-Wirkung (§ 113 Abs. 6 HGB n.F.).
b) GbR und PartG (nichtkaufmännische Personengesellschaften) 53 Für die nicht kaufmännischen Personengesellschaften (GbR und PartG) belässt es der Gesetzgeber demgegenüber beim „personengesellschaftsrechtlichen Feststellungsmodell“.116 Auf die GbR finden die im HGB 114 Siehe zu einer derartigen ungewollten Verfahrensspaltung Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 172 m.w.N. 115 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/27635, S. 2, zu den Einzelheiten S. 102 f., 110 ff. 116 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/27635, S. 111.
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verankerten Regelungen eines am Aktienrecht orientierten Beschlussmängelrechts nur Anwendung, wenn die Gesellschafter dies im Gesellschaftsvertrag vereinbaren.117 Danach sind Beschlussmängelstreitigkeiten grundsätzlich mit den Mitgesellschaftern auszutragen, weshalb dem Urteil inter-partes-Wirkung zukommt (§ 315 Abs. 1 ZPO). Die neuen Regelungen zum Beschlussmängelrecht sind dabei keines- 54 wegs zwingend, sondern dispositiv und können im Prinzip beliebig geändert werden.118 Insbesondere können die nicht kaufmännischen Personengesellschaften sich für das neue Anfechtungsmodell entscheiden (sog. Opt-In). Umgekehrt können Personenhandelsgesellschaften das Anfechtungsmodell abwählen und für das personengesellschaftsrechtliche Feststellungsmodell optieren (sog. Opt-Out).119 Wer sich entschließt, auf der Grundlage des MoPeG einen Personen- 55 gesellschaftsvertrag abzuschließen, sollte deshalb eine klare und unmissverständliche Regelung zu dem von ihm präferierten Beschlussmängelregime treffen. Dies gilt insbesondere, wenn es darum geht, Modifikationen gegenüber den vom Gesetz angebotenen Regelungen vorzunehmen.120 Hierbei sollten sich die Gesellschafter in erster Linie von ihren konkreten Vorstellungen und Bedürfnissen für den Beschlussmängelstreit und den jeweiligen Vor- und Nachteilen des jeweiligen Beschlussmängelregimes leiten lassen.121 Eine etwaige Schiedsvereinbarung hat dabei die Mindestanforderungen des BGH aus Schiedsfähigkeit IV zu erfüllen, sofern und soweit der Gesellschaftsvertrag danach vorsieht, dass Beschlussmängelstreitigkeiten mit inter-omnes-Wirkung der gerichtlichen Entscheidung auszutragen sind – insoweit gilt das vorstehend zu Schiedsfähigkeit IV Ausgeführte entsprechend.122 In diesem Zusammenhang ist eine sorgfältige Verzahnung der Schiedsvereinbarung mit dem Gesellschaftsvertrag und der Entscheidung für oder gegen 117 118 119 120
Begr. RegE, ET-Drucks. 19/27635, S. 111. Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 142. Begr. RegE, BT-Drucks. 19/27635, S. 111. Zu Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Regelungen, wie sie nunmehr das MoPeG anbietet, inhaltlich aufeinander abgestimmt sind („abgerundetes Regelungssystem“) und infolgedessen bei deren beliebiger Änderung deshalb Vorsicht geboten sei, Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 147. 121 Siehe anschaulich die Darstellung der Vor- und Nachteile des aktienrechtlichen Anfechtungsmodells und des personengesellschaftsrechtlichen Feststellungsmodells bei Drescher, ZGR-Sonderheft 23, 2021, 115, 123 ff. 122 Siehe dazu unter Abschnitt III. 2., Rz. 40.
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eines der beiden Beschlussmängelregime (oder ggf. eine Modifikation oder aber Kombination) dringend erforderlich, um eine ungewollte Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung zu vermeiden. Die Regelung eines Opt-In oder Opt-Out sollte dabei möglichst klar und eindeutig erfolgen. Es empfiehlt sich insoweit eine ausdrückliche Bezugnahme auf die neuen gesetzlichen Vorschriften.123 Fehlen in einem neuen, auf Basis des MoPeG oder im Hinblick auf dessen Inkrafttreten vereinbarten Gesellschaftsstatut jegliche Regelungen für den Beschlussmängelstreit, so ist der Wille der Gesellschafter im Einzelfall im Wege der Auslegung zu ermitteln – im Zweifel gelten in diesen Fällen aufgrund der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bezugnahme auf das MoPeG die für die jeweilige Rechtsform vorgesehenen gesetzlichen Regelungen. Dies gilt jedenfalls in Abwesenheit einer Schiedsvereinbarung für Beschlussmängelstreitigkeiten, auf deren Grundlage die gebotene interessengerechte und erforderlichenfalls ergänzende Auslegung aus den soeben dargelegten Gründen zu abweichenden Ergebnissen gelangen kann, wenn die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung von der Wahl des Beschlussmängelregimes abhängt.124
2. Konsequenzen für „Altklauseln“ durch Inkrafttreten des MoPeG zum 1.1.2024 56
In Abwesenheit entgegenstehender Anhaltspunkte für einen anderslautenden Willen der Gesellschafter behalten „Alt-Gesellschaftsverträge“ von Personengesellschaften ihre vor Inkrafttreten des MoPeG gültigen Regelungen für Beschlussmängelstreitigkeiten auch zum 1.1.2024 und darüber hinaus bei, da sämtliche gesetzlichen Regeln zum Beschlussmängelrecht vor und nach MoPeG vollumfänglich dispositiv sind. Insoweit lässt sich von einer gesellschaftsvertraglich begründeten „Kontinuität des Beschlussmängelregimes“ sprechen. Ein automatischer Wechsel des Beschlussmängelregimes gewissermaßen „über Nacht“, der ggf. eine „plötzliche Nichtigkeit“ einer einfachen Schiedsvereinbarung nach sich ziehen könnte, steht daher nicht zu befürchten.125 Im Zweifel entscheidet die Auslegung des Gesellschaftsvertrages im Einzelfall nach den jeweils einschlägigen Grundsätzen. 123 Ebenso Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht, 2022, § 5 Rz. 145 mit einem Formulierungsvorschlag für ein Opt-In; s. zu einem Opt-Out Schäfer, ZIP 2021, 1527, 1533 ebenfalls mit einem Formulierungsvorschlag. 124 Siehe dazu eingehend unter Abschnitt III. 2., Rz. 40. 125 A.A. Glienke/Hohm, SchiedsVZ 2022, 189, 197 f.
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3. Konsequenzen für die Vertragsgestaltung bei Personengesellschaften, GmbH & Co. KG und (Komplementär-) GmbH Die Gestaltungen, welche die Praxis im Anschluss an Schiedsfähigkeit IV unter Berücksichtigung des MoPeG hervorbringen wird, bleiben mit Spannung zu erwarten. Empfehlenswert könnten neben den vorstehend aufgezeigten Gestaltungen auch differenzierende kombinierte Regelungen sein, welche im Grundsatz beide Beschlussmängelregime vorsehen und die Anwendung des neuen gesetzlichen Anfechtungsmodells dabei von dem Erreichen einer bestimmten Gesellschafteranzahl (z.B. fünf) abhängig machen, wobei auch hier auf die sorgfältige Verzahnung mit der Schiedsvereinbarung nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen zu achten ist. Eine entsprechende Gestaltung bietet sich beispielsweise in der Familiengesellschaft an, weil dort typischerweise im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge mit einer wachsenden Gesellschafterzahl und einer zunehmenden Zersplitterung der Anteile zu rechnen ist.126
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Für die GmbH stellt sich angesichts der mit dem MoPeG angestrebten 58 „Institutionenbildung“ im Beschlussmängelrecht und seiner „Ausstrahlungswirkung“ auf das Recht der GmbH127 die Frage, ob auf der neuen gesetzlichen Grundlage ein Opt-Out wie für die Personenhandelsgesellschaft möglich ist, was für kleinere Gesellschaften mit überschaubarem Gesellschafterkreis interessant sein kann – nicht nur, um den Mindestanforderungen des BGH an die Wirksamkeitsanforderungen für Schiedsvereinbarungen zu entgehen, aber auch ggf. für ein einheitliches Beschlussmängelregime für die GmbH & Co. KG und deren Komplementär-GmbH. Eine entsprechende Weiterentwicklung des GmbHRechts erscheint gleichermaßen sinnvoll wie konsequent. In der Konsequenz könnte auch im Recht der GmbH zukünftig für Be- 59 schlussmängelklagen im Einzelfall zweifelhaft sein, ob diese nach dem Willen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft (Anfechtungsmodell) oder aber gegen die Mitgesellschafter (Feststellungsmodell) zu richten ist, was im Wege der Auslegung des Gesellschaftsvertrages nach den für die GmbH einschlägigen Auslegungsgrundsätzen128 zu klären ist. Und 126 Siehe dazu Holler in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2022, § 75 Rz. 96. 127 Begr. RegE, ET-Drucks. 19/27635, S. 228. 128 Diese sind umstritten – zum Meinungsstand ausführlich Heinze in MünchKomm/GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 2 Rn. 186 ff.; zu Recht kritisch gegenüber
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insoweit könnten sich die hier im Zusammenhang mit der Rechtsprechung Schiedsfähigkeit IV und seiner kritischen Würdigung129 aufgezeigten Auslegungsfragen schon bald auch für die GmbH stellen.
V. Fazit 60
Nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Gestaltungsmöglichkeiten auf der Grundlage des MoPeG ist es jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass der BGH – dann vielleicht wieder der II. Senat – in absehbarer Zeit erneut Gelegenheit erhalten wird, sich mit der Weiterentwicklung seiner Schiedsfähigkeit-Rechtsprechung zu befassen.
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Aus Sicht der Praxis bleibt aus den dargelegten Gründen zu hoffen, dass der BGH zum einen die von ihm zur Ermittlung einer Passivlegitimation entwickelten herkömmlichen Auslegungsgrundsätze im Hinblick auf die Schiedsvereinbarung und die damit regelmäßig von den Gesellschaftern verfolgten zentralen Regelungsziele sachgerecht modifiziert und zum anderen von der Anordnung der Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung Abstand nimmt. Die Annahme der Teilnichtigkeit mag man bei vordergründiger Betrachtung als ersten Schritt in die richtige Richtung ansehen, bei Lichte betrachtet ist aber auch sie tatsächlich ungeeignet und nicht zielführend.130
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Der Gesetzgeber muss aus den dargestellten Gründen nicht unbedingt tätig werden, sollte eine Regelung aber ggf. im 10. Buch der ZPO verorten, wie dies die Gesetzesbegründung für das MoPeG empfohlen hat.131
einer objektiven Satzungsauslegung Fleischer in MünchKomm/GmbHG, Einl. Bd. 1, 4. Aufl. 2022, Rn. 195 f.; ebenso kritisch zur objektiven Auslegung für Familiengesellschaften eingehend Holler in MünchHdb/GesR VII, 6. Aufl. 2020, § 75 Rz. 218 ff. m.w.N. 129 Siehe dazu Abschnitt III. 2., Rz. 41 ff. 130 Siehe dazu Abschnitt III. 2. lit. b), Rz. 46. 131 Begr. RegE, ET-Drucks. 19/27635, S. 112; vgl. dazu etwa den Regelungsvorschlag von Lieder, NZG 2018, 1321, 1331, der sich für eine Kodifikation der vom BGH entwickelten Mindestanforderungen an die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen im Kontext des Schiedsrechts, etwa als neu einzufügender § 1066a ZPO, ausspricht; kritisch gegenüber der gesetzgeberischen Zurückhaltung und einer fehlenden Regelung im Zusammenhang mit dem MoPeG Fleischer, BB 2021, 386, 390.
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Bericht über die Diskussion des Referats Holler Dr. Tobias Polke LL.M. (Univ. of Edinburgh) Rechtsanwalt, Hamburg Prof. Dr. Alfred Bergmann eröffnete die Diskussion. Er dankte Dr. Lo- 1 renz Holler für den „vorzüglichen und umfassenden Vortrag“ unter den „erschwerten Bedingungen“. Er bat darum, ihm eine Anmerkung „pro domo“ zu gestatten: Wenn im Schiedsverfahren die Schiedsfähigkeit gerügt und vom Schiedsgericht im Wege des Zwischenentscheids darüber entschieden werde, gehe die Rechtsbeschwerde gegen eine daraufhin ergehende Entscheidung des zuständigen OLG bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zum BGH. Für die Entscheidung über diese Rechtsbeschwerde sei dort nach dem Geschäftsverteilungsplan der I. Zivilsenat zuständig. Deshalb seien die Verfahren „Schiedsfähigkeit III“ und „Schiedsfähigkeit IV“. auch zum I. Zivilsenat gekommen. Die Senate hätten jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, einem anderen Senat eine bei ihnen nach dem Geschäftsverteilungsplan eingehende Sache zur Übernahme anzubieten. Der andere Senat habe daraufhin die Möglichkeit, die Sache zu übernehmen. Der I. Zivilsenat hätte danach die Verfahren in „Schiedsfähigkeit III“ und „Schiedsfähigkeit IV“ dem II. Zivilsenat anbieten und dieser die Verfahren daraufhin annehmen können. Erforderlich sei in diesen Fällen jedoch ein „Problembewusstsein“ des zunächst zuständigen Senats. Ein Angebot erfolge nicht immer. Die Dinge anschließend „zu reparieren“, sei dann schwierig. Damit die Verfahren „Schiedsfähigkeit III“ und „Schiedsfähigkeit IV“ direkt zum II. Zivilsenat gekommen wären, hätte die Sache „umgekehrt“, also die zugrunde liegende Klage bei den ordentlichen Gerichten erhoben worden sein müssen. Dann wäre die Sache nach dem Geschäftsverteilungsplan des BGH direkt zum II. Zivilsenat gekommen. Bergmann erteilte daraufhin Prof. Dr. Johannes Wertenbruch das Wort. Wertenbruch sagte, er teile die Kritik Hollers an „Schiedsfähigkeit IV“ nicht. Seines Erachtens sei dies die konsequente Weiterentwicklung von „Schiedsfähigkeit I, II und III“. Im Personengesellschaftsrecht sei in der Tat zu berücksichtigen, dass grundsätzlich nicht gegen alle Gesellschafter geklagt werden müsse. Wenn aber gesellschaftsvertraglich vereinbart sei, dass gegen die Gesellschaft zu klagen sei, dann seien die Anforderungen von „Schiedsfähigkeit II“ zu erfüllen. Die erhöhten An-
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Polke – Bericht über die Diskussion des Referats Holler
forderungen ergäben sich dann daraus, dass die Gesellschafter nicht Partei würden. Dies sei „ganz logisch“. Bis zum Inkrafttreten des MoPeG werde sich daran auch nichts ändern. Dass die OHG oder die KG Partei werden, könne gesellschaftsvertraglich vereinbart werden. Ab dem 1.1.2024 – mit Inkrafttreten des MoPeG – sei dies dann die gesetzliche Regel. Sofern diese Regelung nicht abbedungen würde, seien für die OHG und die KG die Anforderungen von „Schiedsfähigkeit II“ im Regelfall zu erfüllen. Wenn demgegenüber gegen die Gesellschafter zu klagen sei, sei dies dagegen auch nach Inkrafttreten des MoPeG nicht der Fall. Dies sei die Grundlage, an der der BGH auch nichts ändern werde. Zu trennen hiervon sei die Frage, ob gewollt bzw. vereinbart sei, dass die Klage gegen die Gesellschaft oder die Gesellschafter zu richten sei. Dies sei als logische Voraussetzung zu klären und durch Auslegung zu ermitteln. Dabei komme es auf die Umstände des Einzelfalls an. Insoweit äußerte Wertenbruch Zweifel daran, dass die Prämisse Hollers zutreffend sei. Holler gehe von einem Regelungsziel der Gesellschafter aus, als ob es keine Alternative gebe. Von Holler angeführt werde der Ausschluss der Öffentlichkeit bzw. die Vertraulichkeit. Ob dies regelmäßig das Ziel der Gesellschafter sei, welches diese mit der Vereinbarung einer Schiedsklausel verfolgten, könne er nicht bewerten. Ob eine Entscheidung im Schiedsverfahren schneller ergehe, als in einem Verfahren vor den Zivilgerichten, bezweifele er. Die Sache gehe dort nach der 1. Instanz regelmäßig auch zum OLG. 3 Wertenbruch fügte hinzu, er höre immer wieder von Anwälten, dass sie es für vorzugswürdig und empfehlenswert hielten, vor den staatlichen Gerichten zu klagen und sie kein Schiedsverfahren wollten. Denn wenn man zu den ordentlichen Gerichten gehe, müsse das OLG die Rechtsprechung des BGH beachten oder aber die Revision zulassen. Wenn man als Kläger in dieser Situation also verliere, sei das im Ergebnis halt so. Im Schiedsverfahren hingegen sei die Rechtsprechung des BGH „nicht maßgeblich“, das Schiedsgericht also nicht daran gebunden, was Unsicherheiten berge. Die Entscheidung des Schiedsgerichts könne zudem nur wegen der Verletzung des Grundsatzes rechtlichen Gehörs oder aber des ordre public-Grundsatzes angegriffen werden. Dies sei ein Problem. Schließlich stellte Wertenbruch fest, es sei nicht neu, wie ein Personengesellschaftsvertrag auszulegen sei. Dafür, wie man ermittele, was gewollt sei, gebe es „keine Regel“. Es sei im Einzelfall zu entscheiden. Man könne nicht sagen, „im Zweifel“ sei es so.
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Holler dankte Wertenbruch für seine Ausführungen. Wertenbruch spre- 4 che viele sehr unterschiedliche Fragen des Schiedsverfahrens an. Holler wolle mit der letzten Frage beginnen. Aus anwaltlicher Perspektive sei ein regelmäßiger Vorteil des Schiedsverfahrens gegenüber den staatlichen Gerichten dessen Schnelligkeit. Die Aussage, dass sich das Schiedsgericht nicht an die Rechtsprechung des BGH halten müsse, lasse er einmal „dahinstehen“. Die Ausnutzung des Instanzenzuges sei äußerst langwierig und könne durchaus drei bis fünf Jahre dauern. Viele Entscheidungen im Unternehmen vertrügen dies nicht, insbesondere wenn es um Geschäftsführungsmaßnahmen gehe. Holler stellte klar, er habe nicht in Frage stellen wollen, dass die Auslegung eine Frage des Einzelfalls sei. Dies habe er sogar ausdrücklich betont. Aufgeworfen habe er indes die Frage, wie zu verfahren sei, wenn ein Konflikt zwischen zwei gesellschaftsvertraglichen Gestaltungszielen auftrete, und wie dieser aufzulösen sei, etwa wenn eine Passivlegitimation der Gesellschaft vereinbart sei, ohne dass eine zugleich vereinbarte Schiedsklausel die Anforderungen von „Schiedsfähigkeit II“ erfülle. In dem vom BGH entschiedenen Fall „Schiedsfähigkeit IV“ sei die Passivlegitimation im Übrigen von den Gesellschaftern im Gesellschaftsvertrag schon gar nicht klar geregelt worden, was ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. Der BGH stelle in einem solchen Fall im Rahmen seiner Auslegung auf Formulierungen im Gesellschaftsvertrag wie „Anfechtung“ oder die Vereinbarung von Fristen analog den aktienrechtlichen Regelungen ab, um zu seinem Auslegungsergebnis zu gelangen. Dies sei aus seiner Sicht jedoch jedenfalls zweifelhaft in Anbetracht der Reichweite der aufgezeigten Konsequenzen einer solchen Auslegung. Man könne beispielsweise auch für die Erhebung einer Feststellungsklage gegen Mitgesellschafter eine Frist vereinbaren. Der Ausschluss der Öffentlichkeit sei regelmäßig ein mit der Vereinbarung einer Schiedsklausel verbundenes zentrales Gestaltungsziel der Gesellschafter, das seines Erachtens nicht gegenüber einer im Regelfall allein auf rein praktischen Erwägungen basierenden Vereinbarung einer Passivlegitimation der Gesellschaft zurückstehen könne und dürfe, erst recht nicht, wenn letztere – wie im Fall „Schiedsfähigkeit IV“ – schon gar nicht ausdrücklich vereinbart sei. Bergmann merkte ergänzend zu den Ausführungen von Wertenbruch 5 an, dass er die Auswahl eines erfahrenen Richters empfehle, um eine gewollte Beschleunigung und Qualität des Verfahrens vor einem Schiedsgericht zu erreichen.
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6 Daraufhin trat Herr Karl Peter Puszkajler, VRiOLG a.D. an das Mikrofon, der erklärte, er habe sich als langjähriger Richter von dieser Anmerkung angesprochen gefühlt. Er sei mittlerweile öfter als Schiedsrichter tätig, auch als Vorsitzender. Er müsse Wertenbruch „in fast allen Punkten widersprechen“. So sei ihm neu, dass nach geltendem Recht die Gesellschaft zu verklagen sei bzw. Beschlussmängel dieser gegenüber geltend zu machen seien. In der Praxis werde oft nur der Gesellschafter verklagt, der der Beschlussfassung widerspreche. Bei der OHG stelle sich ihm in diesem Zusammenhang zudem die Frage, wer die Gesellschaft bei Vereinbarung ihrer Passivlegitimation vertrete. Seine Frage an Holler sei, was er als Schiedsrichter in solchen Fällen in der Praxis mit seiner Klage machen solle. Sofern ein Gesellschafter die Gesellschaft verklage, könne er die Klage für unzulässig erklären, „Schiedsfähigkeit II“ anwenden oder sagen, er wende die Rechtsprechung des BGH nicht an. Er wolle wissen, wie er nach Ansicht von Holler praktisch mit seiner Klage umgehen solle. Solle er die Parteien beispielsweise zu einem Rechtsmittelverzicht auffordern? „Kritik zu äußern sei einfach“, man suche aber einen Lösungsansatz. Der Richter müsse sich fragen, ob er eine wirksame Schiedsvereinbarung vorliegen habe. 7 Holler bedankte sich für diese Frage und entgegnete, dass er nicht zuletzt aufgrund dieser Problematik die (teilweise) Nichtigkeit nicht die richtige Folge sein könne und dürfe, weil den Parteien damit nicht geholfen sei. Im Übrigen sei der Wille der Parteien durch Auslegung der Schiedsvereinbarung bzw. des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln. Eine wesentliche Frage sei, ob danach die Richtigen am Verfahren beteiligt seien. Er könne leider keine generelle Lösung anbieten. Er könne nur sagen, dass aus den dargelegten Gründen besondere Vorsicht geboten sei bei der Auswahl des bzw. der Beklagten und der Gestaltung des Schiedsverfahrens schon bei dessen Einleitung. Und insoweit sei besondere Sorgfalt auch bei der Auslegung der Schiedsklausel geboten. Zu beantworten sei im Einzelfall die Frage, ob die Anforderungen der BGH-Rechtsprechung im Einzelfall erfüllt werden können oder ob die Schiedsklausel unwirksam sei. Diese Frage müssten sich auch die Schiedsgerichte stellen. 8 Bergmann erteilte daraufhin Herrn Dr. Reinmar Wolff von der Universität Marburg das Wort. Wolff sagte, er stimme der Kritik von Holler an „Schiedsfähigkeit IV“ zu, insbesondere hinsichtlich ihrer dogmatischen Begründung. Entgegen der Auffassung von Wertenbruch sei der Schiedsspruch nicht nur wegen Verstoßes gegen die Grundsätze des rechtlichen
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Gehörs und des ordre public überprüfbar, sondern auch hinsichtlich Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung, die an den Anforderungen von „Schiedsfähigkeit II“ gemessen werde. Die praktische Gestaltung einer Schiedsklausel sei einfach. So könne durch Einbeziehung der Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (DIS-ERGeS) ausreichende Rechtssicherheit geschaffen werden, worauf Holler zutreffend hingewiesen habe. Die DIS-ERGeS seien als Reaktion auf die BGHRechtsprechung zum Recht der GmbH entwickelt worden und würden die Voraussetzungen für die analoge Anwendung der §§ 248 ff. AktG im Schiedsverfahren schaffen. Auf einer zweiten Ebene würden die DIS-ERGeS die Wirkungen des Schiedsspruchs rechtsgeschäftlich erstrecken. Als dritte Ebene schließlich verpflichteten sich die Dritten schuldrechtlich, die Wirkungen des Schiedsspruchs anzuerkennen. Holler dankte Wolff für seine Anmerkungen. Bezogen auf das MoPeG er- 9 gänzte Holler, dass sich bis zum Inkrafttreten des MoPeG auch aus der schuldrechtlichen Bindung keine Rechtskrafterstreckung wie nach dem Gesetz ergebe. Dies ändere sich jedoch mit Inkrafttreten des MoPeG grundsätzlich, was auch für die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ein echtes Novum bedeute.
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AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen Prof. Dr. Julia Lübke, LL.M. (Harvard) EBS Universität Wiesbaden Rz.
Rz. I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . II. Geschäftsleiteranstellungsverträge im Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle . . 1. Die Sonderregeln für das Gesellschafts- und das Arbeitsrecht (§ 310 Abs. 4 BGB) . . . . 2. Absicht einer mindestens dreifachen Verwendung. . . . . 3. Geschäftsleiter als Verbraucher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschäftsführer. . . . . . . . . b) Vorstandsmitglied . . . . . . . c) Zur Bedeutung der Verbrauchereigenschaft für die AGB-Kontrolle . . . . . . 4. Vorliegen einer Individualabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Durchführung der AGB-Kontrolle. . . . . . . . . . . . 1. Verbot überraschender Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3
3 6 7 9 14 15 17 21 23
2. Auslegung und Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB . . . . . . . . . . . . a) Auslegung und teleologische Reduktion von Klauselverboten . . . . . . . . . . . . b) Keine grundsätzliche Übertragbarkeit arbeitsrechtlicher Wertungen . . . c) Berücksichtigung der Begleitumstände des individuellen Vertragsschlusses (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB) . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . .
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35 37
IV. Anwendung auf ausgewählte Klauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Koppelungsklausel . . . . . . . . 2. Freiwilligkeitsvorbehalt . . . . 3. Clawback-Klausel. . . . . . . . .
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V. Fazit und Zusammenfassung in Thesen. . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einführung Die Debatte um die AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen wird im Schrifttum schon seit der vorletzten Schuldrechtsmodernisierung 20021 und mit zunehmender Intensität geführt. Es geht dabei 1 Zum zeitlichen Zusammenhang der Debatte mit dem Wegfall der arbeitsrechtlichen Bereichsausnahme im AGB-Recht Grobys, DStR 2002, 1002, 1004 f. (der einen inhaltlichen Zusammenhang zutreffend verneint).
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um vorformulierte Klauseln in den schuldrechtlichen Anstellungsverträgen, die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder GmbHGeschäftsführer mit der Gesellschaft schließen und die als selbstständiges Rechtsgeschäft neben die Bestellung zum Organmitglied treten. Dass die Gesellschaft dabei Klauseln vorformuliert in die Vertragsverhandlungen einbringt, ist gängige Praxis.2 Standen zunächst Koppelungsklauseln im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses,3 kreist die Diskussion seit dem ARUG II4 vor allem um die AGB-Kontrolle von Clawback-Klauseln.5 Im Jahr 2019 hat erstmals auch der BGH einen Geschäftsleiteranstellungsvertrag – im Fall war es ein Vorstandsdienstvertrag – der AGB-Kontrolle unterzogen.6 2 Auf die vom OLG Frankfurt als Berufungsinstanz bejahte Frage, ob ein Geschäftsleiter, und gar ein Vorstandsmitglied, beim Abschluss seines Anstellungsvertrags als Verbraucher i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB handelt, ging der BGH dabei mangels Entscheidungsrelevanz nicht ein. Damit ist ein für die AGB-Kontrolle zentraler Punkt weiterhin höchstrichterlich nicht geklärt, ein Punkt zumal, über den im Schrifttum leidenschaftlich gestritten wird. Denn einen Geschäftsleiter, also ein Organmitglied einer Kapitalgesellschaft, in eine Reihe mit sonstigen Verbrauchern zu stellen, irritiert auf den ersten Blick. Der folgende Beitrag soll indes nicht nur zeigen, dass die Einordnung von Geschäftsleitern als Verbraucher richtig ist. Er soll vielmehr auch zeigen, dass sich die Besonderheiten der Organstellung und die besonderen geschäftlichen Kenntnisse und Fähigkeiten von Geschäftsleitern bei der AGB-Kontrolle ihrer Anstellungsverträge hinreichend berücksichtigen lassen. Dies gilt sowohl 2 Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1099. 3 Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 811 f.; Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2342 f.; Hümmerich, NZA 2006, 709, 712 f.; Graf v. Westphalen, BB 2015, 834 ff.; in jüngerer Zeit Koehler, NZG 2019, 1406 ff.; Werner, NZA 2020, 1444 ff.; Holthausen, NZG 2022, 731, 735 f.; Seyfarth, NZG 2022, 389 ff. 4 BGBl. I v. 19.12.2019, S. 2637 ff. 5 Z.B. Seyfarth, WM 2019, 569, 572 ff.; Poelzig, NZG 2020, 41, 46 ff.; RedeniusHövermann/Siemens, ZIP 2020, 145, 147 f.; Werner, NZA 2020, 155, 156 ff.; Arnold/Zeh/Hanke, AG 2022, 843, 844. 6 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64 ff. (Freiwilligkeitsvorbehalt) und vorgehend OLG Frankfurt v. 18.4.2018 – 4 U 120/17, BeckRS 2018, 9111; s. zudem schon OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, GmbHR 2017, 295 m. Anm. Haase = NZG 2017, 226 f. (Koppelungsklausel in einem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag) sowie BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827 ff. = GmbHR 2010, 1142 (Ausschlussfrist für Klagen aus einem Geschäftsführer-Anstellungsvertrag).
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für die Prüfung des Anwendungsbereichs (II., Rz. 3) und dort insbesondere für die Abgrenzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen von Individualabreden als auch für die Durchführung der AGB-Kontrolle (III., Rz. 21). Dass sich auf diese Weise sachgerechte Ergebnisse erzielen lassen, sei abschließend anhand einiger Anwendungsbeispiele verdeutlicht (IV., Rz. 38).
II. Geschäftsleiteranstellungsverträge im Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle 1. Die Sonderregeln für das Gesellschafts- und das Arbeitsrecht (§ 310 Abs. 4 BGB) Die AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen ist nicht 3 durch die Bereichsausnahme für das Gesellschaftsrecht in § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ausgeschlossen.7 Weil der Geschäftsleiteranstellungsvertrag von der Bestellung zum Organmitglied und damit von dem gesellschaftsrechtlichen Akt zu unterscheiden ist, ist er schon kein Vertrag auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts im Sinne der Bereichsausnahme.8 Nicht anwendbar ist auch § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB, wonach bei der 4 AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen sind. Geschäftsleiteranstellungsverträge sind in aller Regel keine Arbeitsverträge, sondern freie Dienstverträge. Das betrifft den Anstellungsvertrag eines GmbH-Geschäftsführers ebenso wie den eines Vorstandsmitglieds in einer Aktiengesellschaft.9 Nur ganz ausnahmsweise stuft das BAG den Anstellungsvertrag eines GmbH-Geschäftsführers als Arbeitsvertrag ein, dann nämlich, wenn er der Gesellschafterversammlung ein weitreichendes Weisungsrecht über das gesellschaftsrechtlich (§ 37 Abs. 1 GmbHG) vor7 Fast unstr., s. z.B. eingehend Oetker in FS Buchner, 2009, S. 691, 693 f.; abweichend Mülbert in FS Goette, 2011, S. 333, 343 f., nach dem bestimmte Inhalte eines solchen Vertrags (etwa: Vereinbarungen über die Vergütung eines GmbHGeschäftsführers) von der Bereichsausnahme umfasst sind. 8 Zur bei richtlinienkonformer Auslegung erforderlichen Eingrenzung der Bereichsausnahme und damit zur unionsrechtlich vorgegebenen AGB-Kontrolle bestimmter Gesellschaftsverträge Lübke, Privatautonome Verhaltensvorgaben für Gesellschafter-Erben, 2022, S. 346 f. m. weit. Nachw. 9 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NZA 2010, 889, 890 Rz. 7 = GmbHR 2010, 808 m. Anm. Ulrich = ZIP 2010, 1288; BAG v. 21.1.2019 – 9 AZB 23/18, NZA 2019, 490, 493 Rz. 24 = GmbHR 2019, 538.
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gesehene Maß hinaus einräumt.10 Der EuGH vertritt zwar einen weitergehenden Arbeitnehmerbegriff und ordnet auch Geschäftsleiter in bestimmten Zusammenhängen11 als Arbeitnehmer ein.12 Unionsrechtlich sind Arbeitnehmer aber, jedenfalls soweit es um die Regelung ihres Arbeitsverhältnisses und der Arbeitsbedingungen geht,13 ohnehin keine Verbraucher14 und daher vom Anwendungsbereich der auf Verbraucherverträge beschränkten Klausel-Richtlinie 93/13/EWG nicht umfasst (s. deren Art. 1 Abs. 1, Art. 2 lit. b). Unabhängig von der Frage, wann ein Geschäftsleiter aus Sicht des Unionsrechts Arbeitnehmer ist, unterfällt er damit nicht der unionsrechtlichen Klauselkontrolle. Deswegen bleibt das Unionsrecht bei den weiteren Überlegungen zur AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen weitgehend außer Betracht. 5 Für eine analoge Anwendung des § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB auf den Anstellungsvertrag eines Geschäftsleiters wiederum fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke.15 Denn die Besonderheiten eines solchen Anstellungsvertrags lassen sich auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung berücksichtigen; dies nachzuweisen ist Anliegen der weiteren Untersuchung. Auf das Fehlen der Analogievoraussetzungen wird daher an späterer Stelle zurückzukommen sein (III. 3. b), Rz. 30). 10 BAG v. 21.1.2019 – 9 AZB 23/18, NZA 2019, 490, 493 Rz. 24 = GmbHR 2019, 538; s. zudem BSG v. 3.11.2021 – B 11 AL 4/20 R, NZG 2022, 522, 523 f. Rz. 21 ff. = AG 2022, 500 zum ausnahmsweisen Fortbestehen eines Arbeitsverhältnisses auch nach Bestellung zum Vorstandsmitglied. 11 Zur Nicht-Existenz eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffs im Unionsrecht EuGH v. 12.5.1998 – C-85/96 (Martínez Sala), ECLI:EU:C:1998:217 Rz. 31. 12 Arbeitnehmereigenschaft bejaht z.B. für die Geschäftsführerin einer Aktiengesellschaft lettischen Rechts für die Zwecke der Mutterschutz-Richtlinie 92/85/EGW (EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09 (Danosa), ECLI:EU:C:2010:674 Rz. 56) und für den Fremdgeschäftsführer einer deutschen GmbH für die Zwecke der Richtlinie 98/59/EG zu Massenentlassungen (EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14 (Balkaya), ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 43); ebenso BGH v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, NJW 2019, 2086 Rz. 24 ff. = GmbHR 2019, 659 m. Anm. KotheHeggemann: Fremdgeschäftsführer ist Arbeitnehmer für die Zwecke des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG. 13 Anders im Falle eines mit dem Arbeitgeber geschlossenen Darlehensvertrags, s. EuGH v. 21.3.2019 – C-590/17 (Pouvin), ECLI:EU:C:2019:232 Rz. 32. 14 Krebber in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 169 AEUV Rz. 4; Pfeiffer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 77. EL 2022, Art. 169 AEUV Rz. 29. 15 Zur Herleitung ausführlich Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 127 ff.; weitere Nachw. u. in Fn. 80.
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2. Absicht einer mindestens dreifachen Verwendung Anstellungsverträge von Geschäftsleitern enthalten häufig Klauseln, die 6 i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind.16 Die Rechtsprechung verlangt hierfür die Absicht einer mindestens dreimaligen Verwendung.17 Eine solche Absicht ist gegeben, wenn der Verwender der Klausel, also die jeweilige Kapitalgesellschaft, sie selbst für mindestens drei Verträge vorformuliert hat, z.B. weil sie bei einem mehrköpfigen Vorstand in den Vertrag jedes Vorstandsmitglieds aufgenommen werden soll oder weil sie im Konzern gegenüber den Geschäftsführern mehrerer Tochter-GmbHs verwendet werden soll. Die Absicht mehrfacher Verwendung ist auch gegeben, wenn ein Dritter – beispielsweise die beratende Rechtsanwältin oder der Verfasser eines Formularbuchs – die Klausel für mindestens drei Verwendungen vorformuliert hat, auch wenn die Gesellschaft sie nur einmal verwenden will.18
3. Geschäftsleiter als Verbraucher Auf die Absicht einer mindestens dreimaligen Verwendung kommt es 7 zudem schon nicht an, wenn ein Geschäftsleiter beim Abschluss seines Anstellungsvertrags als Verbraucher handelt. Dann genügt es nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, dass die Gesellschaft die betreffende Vertragsklausel vorformuliert hat, und sei es nur für einen einzigen Vertrag. Dass ein Geschäftsleiter, gar ein Vorstandsmitglied und womöglich ein hoch bezahltes Mitglied eines DAX-Vorstands, in dieser Rolle als Verbraucher tätig wird, liegt zunächst nicht unbedingt nahe. Ein Geschäftsleiter ist im Verhältnis zur Gesellschaft nicht typischerweise in einer schwächeren Verhandlungsposition, aufgrund derer er vorformulierten Vertragsbedingungen zustimmt. Dieser Grund für den besonderen Schutz von Verbrauchern vor missbräuchlichen Klauseln19 ist also bei 16 Schmitt-Rolfes in FS Hromadka, 2008, S. 393, 395; Oetker in FS Buchner, 2009, S. 691, 692 f.; Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1099; Seyfarth, NZG 2022, 389, 390. 17 BGH v. 27.9.2001 – VII ZR 388/00, NJW 2002, 138, 139 = ZIP 2001, 2288. 18 Vgl. BGH v. 4.5.2000 – VII ZR 53/99, NJW 2000, 2988, 2989 = ZIP 2000, 1535. 19 Mit dieser Begründung des unionsrechtlichen Schutzes von Verbrauchern durch die Klausel-Richtlinie 93/13/EWG z.B. (m. weit. Nachw.) EuGH v. 3.9.2015 – C-110/14 (Costea), ECLI:EU:C:2015:538 Rz. 18, 27, ZIP 2015, 1882
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Geschäftsleitern nicht einschlägig. Geschäftsleiter verfügen vielmehr typischerweise über besondere Qualifikationen, etwa besondere Erfahrung mit geschäftlichen Situationen, weitreichende Informationen und Verhandlungsgeschick, die gegen ihre Schutzbedürftigkeit sprechen. Als Verbraucher angesehen zu werden wird meist auch nicht dem Selbstverständnis der Betroffenen entsprechen. Legt man die – wie zu zeigen sein wird: zutreffende – Rechtsprechung zugrunde, so handelt ein Organmitglied einer juristischen Person, das in dieser Funktion im eigenen Namen, also nicht in Vertretung der Gesellschaft, auftritt,20 aber in der Tat zum Zwecke einer nicht selbständigen beruflichen Tätigkeit i.S.d. § 13 BGB und damit als Verbraucher i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB.
a) Geschäftsführer 9 Beim GmbH-Geschäftsführer dürfte die Verbrauchereigenschaft noch weniger Irritationen auslösen. Immerhin ist er bei der Leitung der Gesellschaft nach § 37 Abs. 1 GmbHG an die Weisungen der Gesellschafter gebunden und hat deswegen gegenüber der Gesellschafterversammlung eine untergeordnete Position.21 Darauf kommt es für seine Einstufung als Verbraucher i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB indes nicht an. Das BGB macht die besondere Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern, wie die Abgrenzung zum Unternehmer in §§ 13 f. BGB zeigt, bei Rechtsgeschäften zu beruflichen Zwecken allein an der Selbständigkeit oder aber fehlenden Selbständigkeit der beruflichen Tätigkeit fest. Ausschlaggebend für die Selbständigkeit einer beruflichen Tätigkeit wiederum ist nach der Rechtsprechung, dass der Betreffende das wirtschaftliche Risiko seiner Berufstätigkeit unmittelbar selbst trägt, dass er auf eigene Rechnung täwobei das Unionsrecht Geschäftsleiter – wie auch alle anderen angestellt Berufstätigen – wiederum nicht als Verbraucher ansieht (s. bei Fn. 14). 20 Handelt der Geschäftsleiter in Vertretung der Gesellschaft, so kommt es nicht auf seine Einordnung als Verbraucher oder Unternehmer an, sondern auf die Einordnung der (Kapital-)Gesellschaft, die das jeweilige Rechtsgeschäft als Vertretene abschließt (Alexander in BeckOGK/BGB, Stand 1.11.2022, § 14 Rz. 79). Diese ist stets Unternehmerin i.S.d. § 14 BGB (Wilhelmi in BeckOK/ GmbHG, Stand 1.3.2022, § 13 Rz. 237). Solche Fälle bleiben hier außer Betracht. 21 S. z.B. BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, NJW 1972, 623, 624: Gesellschafter als „oberstes Gesellschaftsorgan“; ferner Lübke in BeckOGK/GmbHG, Stand im Erscheinen, § 45 Rz. 73; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, Bd. 2, 2. Aufl. 2020, § 45 Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2020, § 45 Rz. 4.
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tig wird, für die Betriebsschulden also selbst haftet.22 Teils werden ergänzend noch das Tätigwerden im eigenen Namen und die weitgehende Weisungsfreiheit als Kriterien für eine selbständige Tätigkeit genannt.23 Dass es auf ein Handeln im eigenen oder aber fremden Namen indes nicht ankommen kann, zeigt der vergleichende Blick ins Personengesellschaftsrecht. Denn auch die Personengesellschafter werden bei ihrer Geschäftsführung im Namen der Gesellschaft tätig, sind aber, wenn sie ein Rechtsgeschäft in ihrer Rolle als Gesellschafter schließen, selbst Unternehmer.24 Und die Weisungsfreiheit ist neben der Zuweisung des wirtschaftlichen Risikos der Berufstätigkeit kein zusätzliches Erfordernis für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Die Geschäftsführung in einer GmbH ist danach eine nicht selbständige, 10 sondern angestellte berufliche Tätigkeit. Der BGH hat das im Zusammenhang mit einem Schuldbeitritt der Geschäftsführerin zu einer Verbindlichkeit der GmbH lapidar bejaht, die Geschäftsführerin daher in dieser Rolle als Verbraucherin eingeordnet und Verbraucherdarlehensrecht angewandt.25 Dass die Betreffende zugleich Mehrheitsgesellschafterin der GmbH war, änderte nichts, weil auch das Halten eines Kapitalgesellschaftsanteils wegen der fehlenden unbeschränkten Gesellschafterhaftung keine gewerbliche Tätigkeit, sondern bloße Vermögensverwaltung ist, den Gesellschafter also ebenfalls nicht zum Unternehmer macht.26 Es konnte somit auch dahinstehen, in welcher Funktion – als Geschäfts22 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 Rz. 23 = GmbHR 2010, 1142; OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, BeckRS 2007, 15564; OLG Frankfurt v. 18.4.2018 – 4 U 120/17, BeckRS 2018, 9111 Rz. 30. 23 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 Rz. 23 = GmbHR 2010, 1142; OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, BeckRS 2007, 15564. 24 Alexander in BeckOGK/BGB, Stand 1.11.2022, § 13 Rz. 334. 25 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, NJW 1996, 2156, 2158 = ZIP 1996, 1209; st. Rspr., bestätigt u.a. in BGH v. 15.7.2004 – III ZR 315/03, NJW 2004, 3039, 3040 = GmbHR 2004, 1227 und BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, NZG 2007, 820, 821 Rz. 17 = GmbHR 2007, 1154; ablehnend z.B. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 355; Grobys, DStR 2002, 1002, 1004 f.; Dauner-Lieb/Dötsch, DB 2003, 1666, 1667 f. 26 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, NJW 1996, 2156, 2158 = ZIP 1996, 1209; BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, NJW 2006, 431 432 Rz. 15 = ZIP 2006, 68; für eine Verbrauchereigenschaft des Gesellschafter-Geschäftsführers unabhängig von der Beteiligungshöhe auch Koehler, NZG 2019, 1406, 1407; Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 93; a.A. – mit unterschiedlichen Differenzierungen je nach Beteiligungshöhe – Hümmerich, NZA 2006, 709, 711 f.; Schmitt-Rolfes in FS Hromadka, 2008, S. 393, 396; Gaul/Ludwig,
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führerin oder als Gesellschafterin – die Betreffende den Schuldbeitritt erklärt hatte. Obiter hat der BGH sogar die Mithaftungsübernahme eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers als Verbrauchergeschäft bezeichnet.27 Auch ein Alleingesellschafter-Geschäftsführer trägt nämlich das unternehmerische Risiko seines Handelns nur mittelbar in Höhe seiner Einlage; das unmittelbare unternehmerische Risiko liegt auch hier allein bei der GmbH, auf deren Rechnung er handelt. 11
Rechtsgeschäfte, die ein GmbH-Geschäftsführer im Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit schließt, sind also Verbrauchergeschäfte. Das betrifft auch Rechtsgeschäfte, die der Aufnahme dieser Berufstätigkeit – nochmals: einer Berufstätigkeit auf fremdes wirtschaftliches Risiko, also einer angestellten Berufstätigkeit – dienen und die für die Zwecke der §§ 13 f. BGB wie Rechtsgeschäfte in Ausübung einer bereits aufgenommenen Berufstätigkeit eingeordnet werden.28 Das BAG hat einen Geschäftsführer deswegen beim Abschluss seines Anstellungsvertrags zu Recht als Verbraucher eingestuft.29 Der BGH wiederum hat sich zur Verbrauchereigenschaft des Geschäftsführers beim Abschluss seines Anstellungsvertrags noch nicht geäußert. In dem Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, ging es um einen Fremdgeschäftsführer. Weil die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft keine Unternehmereigenschaft begründet, gilt für einen Gesellschafter-Geschäftsführer indes dasselbe, und zwar unabhängig von seiner Beteiligungshöhe.30 Der Geschäftsführer einer GmbH ist daher beim Abschluss seines Anstellungsvertrags stets Verbraucher i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB.
27 28 29
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GmbHR 2010, R321; s. auch die Nachw. zur entsprechenden Differenzierung bei Vorstandsmitgliedern u. in Fn. 39. BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, NZG 2007, 820, 821 Rz. 18 = GmbHR 2007, 1154. Zur Gleichstellung der Aufnahme und der Ausübung einer Tätigkeit i.R.d. §§ 13 f. BGB z.B. Fritzsche in Staudinger, BGB, Neubearb. 2018, § 13 Rz. 59. BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 Rz. 23 = GmbHR 2010, 1142 (jedenfalls für einen Geschäftsführer ohne Sperrminorität); ebenso Hümmerich, NZA 2006, 709, 710; Schmitt-Rolfes in FS Hromadka, 2008, S. 393, 396; Graf v. Westphalen, BB 2015, 834, 836; Micklitz in MünchKomm/ BGB, 9. Aufl. 2021, § 13 Rz. 61; Fritzsche in Staudinger, BGB, Neubearb. 2018, § 13 Rz. 33; differenzierend (keine Verbrauchereigenschaft des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers beim Abschluss seines Anstellungsvertrags) Boemke, RdA 2018, 1, 13; a.A. (beim Abschluss seines Anstellungsvertrags nie Verbrauchereigenschaft des Geschäftsführers) Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2339; Mülbert in FS Goette, 2011, S. 333, 342. Ebenso Graf v. Westphalen, BB 2015, 834, 836.
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Der Gedanke einer typischerweise schwächeren Verhandlungsposition, der dem unionsrechtlichen Schutz gerade der Verbraucher vor vorformulierten Klauseln zugrunde liegt,31 mag zwar auf viele Geschäftsführer nicht zutreffen. Auf die Schutzbedürftigkeit im Einzelfall kommt es indes nicht an. Die Abgrenzung von Unternehmer und Verbraucher, an die § 310 Abs. 3 BGB anknüpft, ist eine objektiv-typisierende, lässt also sowohl die Kenntnisse und Fähigkeiten des jeweils handelnden Einzelnen als auch die typischen Kenntnisse und Fähigkeiten seiner Berufsgruppe außer Betracht.32 Dass bei Geschäftsleitern gerade in ökonomischen und rechtlichen Fragen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwarten sind, die weit über die eines Durchschnittsverbrauchers hinausgehen,33 steht ihrer Einordnung als Verbraucher daher nicht entgegen.
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Unerheblich ist zudem, dass Geschäftsführer in anderen beruflichen Zusammenhängen rechtlich anders als sonstige Verbraucher behandelt werden. Unerheblich ist beispielsweise, dass Geschäftsführer nicht als Arbeitnehmer angesehen werden und somit grundsätzlich nicht dem Arbeitsrecht unterfallen,34 dass insbesondere MehrheitsgesellschafterGeschäftsführer nicht sozialversicherungspflichtig sind35 und dass die Insolvenz eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers keine Verbraucher-, sondern eine Regelinsolvenz ist36. Dem Arbeits- und dem Sozialversicherungsrecht etwa geht es um den Schutz innerhalb persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse, also aufgrund einer sozialen Schutzbedürftigkeit.37 Demgegenüber hat die verbraucherrechtliche AGB-Kontrolle den Schutz aufgrund einer typischerweise angenommenen schwächeren
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31 S. bei und in Fn. 19; zum abweichenden, Geschäftsleiter ohnehin nicht umfassenden Verbraucherbegriff der Klausel-Richtlinie 93/13/EWG o. bei und in Fn. 14. 32 EuGH v. 3.9.2015 – C-110/14 (Costea), ECLI:EU:C:2015:538 Rz. 18, 21, 26 f. (zu Rechtsanwälten); mit Blick auf die typischerweise vorliegende Geschäftserfahrung von Geschäftsführern BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, NZG 2007, 820, 821 Rz. 18 = GmbHR 2007, 1154. 33 Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1105 („höheres Maß an Geschäftsgewandtheit und Kenntnissen“, dort zu Vorstandsmitgliedern); Seyfarth, NZG 2022, 389, 393 (aufmerksame Lektüre des Anstellungsvertrags zu erwarten). 34 Dazu schon bei und in Fn. 9 bis 12. 35 BSG v. 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R, NZS 2018, 778, 779 ff. Rz. 15 ff. = GmbHR 2018, 903 m. Anm. Peetz = ZIP 2018, 2366; näher Jaeger/Steinbrück in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35 Rz. 298 ff. 36 BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 55/04, NJW 2006, 917, 918 = GmbHR 2005, 1610. 37 Zu dieser Abgrenzung Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 104 ff.
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Verhandlungsposition bei einer Berufstätigkeit auf fremdes wirtschaftliches Risiko zum Gegenstand. Die Schutzrichtung ist eine andere, und das vom Gesetzgeber gewählte Abgrenzungskriterium ist es folgerichtig auch.
b) Vorstandsmitglied 14 Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung schließt auch ein Vorstandsmitglied seinen Anstellungsvertrag als Verbraucher.38 Diese Einordnung ist, unabhängig von einer etwaigen gleichzeitigen Aktionärsstellung des Vorstandsmitglieds, richtig, denn auch ein Vorstandsmitglied trägt nicht selbst das unmittelbare wirtschaftliche Risiko seines beruflichen Handelns.39 Es wird, selbst wenn eine erfolgsorientierte variable Vergütung vereinbart ist,40 bei seiner Berufsausübung nicht auf eigene Rechnung, sondern auf Rechnung der Aktiengesellschaft tätig, also zu Zwecken, die i.S.d. § 13 BGB einer nicht selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen sind. Ein Vorstandsmitglied ist dabei zwar, anders als ein Geschäftsführer, nicht an Weisungen gebunden, sondern leitet die Gesellschaft nach § 76 Abs. 1 AktG in eigener Verantwortung.41 Das ändert aber nichts daran, dass das wirtschaftliche Risiko und damit die Unternehmereigenschaft allein bei der Gesellschaft liegt. Auch auf das Vorhandensein oder Fehlen einer persönlichen Abhängigkeit kommt es, wie 38 OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, BeckRS 2007, 15564; OLG Frankfurt v. 18.4.2018 – 4 U 120/17, BeckRS 2018, 9111 Rz. 30 (ausdrücklich obiter). 39 Zustimmend auch Oetker in FS Buchner, 2009, S. 691, 696 f.; Graf v. Westphalen, BB 2015, 834, 836; Löw, AG 2018, 837, 838 f.; Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 93 ff., 298; Tödtmann/v. Erdmann, NZG 2022, 3, 5; Micklitz in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2021, § 13 Rz. 61; Fritzsche in Staudinger, BGB, Neubearb. 2018, § 13 Rz. 33; a.A. – bei gleichzeitiger Aktionärsstellung je nach Beteiligungshöhe differenzierend – Mülbert in FS Hadding, 2004, S. 575, 582 ff.; Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2339; Schmitt-Rolfes in FS Hromadka, 2008, S. 393, 397; Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1098; eine Differenzierung jdf. andeutend Bauer in FS Wank, 2014, S. 1, 2; wiederum a.A. – eine Verbrauchereigenschaft von Vorstandsmitgliedern unter Hinweis auf die Selbständigkeit der Vorstandstätigkeit, aber ohne weitere Begründung generell ablehnend – Fleischer/Thüsing, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 4 Rz. 101 und Kort, NZG 2020, 121, 122; ebenso ohne jegliche Begründung Seyfarth, WM 2019, 569, 572. 40 S. den Hinweis des OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, AG 2007, 910 = BeckRS 2007, 15564: kein ausschlaggebendes Kriterium. 41 S. die Überlegungen bei Oetker in FS Buchner, 2009, S. 691, 696, der aber i.E. wie die Rspr. entscheidet.
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schon zum Geschäftsführer ausgeführt, nicht an.42 Der BGH hat sich zur Verbrauchereigenschaft eines Vorstandsmitglieds, insbesondere beim Abschluss seines Anstellungsvertrags, bislang noch nicht geäußert.43
c) Zur Bedeutung der Verbrauchereigenschaft für die AGB-Kontrolle Die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nicht auf Verbraucherverträge beschränkt und für Klauseln in Geschäftsleiteranstellungsverträgen oft schon deswegen eröffnet, weil sie i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB für eine mehrfache Verwendung vorformuliert sind (s. oben II. 2., Rz. 6). Die AGB-Kontrolle von Verbraucherverträgen weist aber, auch über § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB hinaus, einige Besonderheiten auf, die der Einordnung von Geschäftsleitern als Verbraucher Relevanz verleihen.
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Die meisten dieser Besonderheiten wirken verbraucherschützend. So gel- 16 ten, anders als bei einer Verwendung gegenüber Unternehmern (§ 310 Abs. 1 Satz 1 BGB), für Klauseln i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB die besonderen Einbeziehungsregeln in § 305 Abs. 2 BGB. Anwendung finden auch die Klauselverbote in § 308 Nr. 1, 2 bis 9 und § 309 BGB, die gegenüber einem Unternehmer nur Indizwirkung entfalten (wiederum: § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB).44 Zudem kann das AGB-Recht, soweit es dem Verbraucherschutz dient, nicht kollisionsrechtlich abgewählt werden (Art. 6 Abs. 2 Rom-I-Verordnung). Auf der anderen Seite sind bei der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB auch die Begleitumstände des Vertragsschlusses zu berücksichtigen. Hierauf wird noch näher einzugehen sein (III. 3. c), Rz. 35). Denn dass nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 bei der AGB-Kontrolle eines Geschäftsleiteranstellungsvertrags die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt werden können, kann sich auch zu Lasten des Verbrauchers, also des Geschäftsleiters, auswir42 Anders z.B. im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (s. BSG v. 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R, BeckRS 2015 73497 Rz. 16), für deren Zwecke Vorstandsmitglieder als „wie Unternehmer selbständig tätig“ anzusehen, d.h. nicht versichert sind, BSG v. 15.12.2020 – B 2 U 4/20 R, AG 2021, 711, 712 ff. Rz. 11 ff. 43 Wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit ohne Erörterung dieser Frage – anders als zuvor obiter das OLG Frankfurt als Berufungsinstanz (s. oben in Fn. 38) – v.a. BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64 ff. = AG 2020, 95. 44 Zur Indizwirkung z.B. BGH v. 19.9.2007 – VIII ZR 141/06, NJW 2007, 3774, 3775 Rz. 12 = ZIP 2007, 2270.
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ken. Berücksichtigen lassen sich an dieser Stelle etwa eine gleichzeitige Gesellschafterstellung des Geschäftsleiters, eine besondere Geschäftserfahrung und die Besonderheiten des Anstellungsverhältnisses gegenüber anderen Verbraucherverträgen.
4. Vorliegen einer Individualabrede 17 Ein erstes Korrektiv bildet schon die Prüfung, ob im Einzelfall eine Allgemeine Geschäftsbedingung oder aber eine Individualabrede vorliegt. Nach § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB sind im Einzelnen ausgehandelte Klauseln keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen; die Regelung ist deklaratorisch, weil solche Klauseln schon nicht im Sinne des Satz 1 gestellt sind.45 Die Abgrenzung zur Individualabrede ist kein verbraucherrechtliches Kriterium. Für Verbraucherverträge ergibt sich aber dasselbe aus § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB a.E. Dieser sieht eine AGB-Kontrolle nur vor, wenn der Verbraucher „auf Grund der Vorformulierung“ keinen Einfluss auf den Klauselinhalt nehmen konnte. In beiden Vorschriften geht es darum, ob der Vertragspartner des Verwenders den Inhalt der jeweiligen Klausel in seinen Gestaltungswillen aufgenommen,46 diesen Inhalt also konkret so gewollt und nicht nur notgedrungen in Kauf genommen hat. Dies setzt nach der gängigen Formel der Rechtsprechung voraus, dass der Verwender ihren „gesetzesfremden Kerngehalt […] inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der effektiven Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen“.47 Ein Aushandeln erfordert also mehr als ein bloßes Verhandeln. Eine vorab formulierte Klausel verliert ihren Charakter als Allgemeine Geschäftsbedingung erst, wenn der Verwender sie in den Verhandlungen auch aufzugeben bereit ist.48 18
Dieser Maßstab gilt auch für die Klauseln eines Geschäftsleiteranstellungsvertrags.49 Dass die Rechtsprechung für solche Verträge von ihren hohen und vielfach bestätigten Anforderungen an ein Aushandeln abrücken wird, steht nicht zu erwarten. Es ist auch kein Argument dafür er45 Fornasier in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 305 Rz. 36. 46 Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1099. 47 St. Rspr.; jüngst BGH v. 19.3.2019 – XI ZR 9/18, NJW 2019, 2080, 2081 Rz. 14. 48 S. auch Mäsch in Staudinger, Neubearb. 2022, § 305 Rz. 52 f. 49 Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 72; für eine Absenkung des Standards dagegen Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2340.
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sichtlich, bei einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag niedrigere Maßstäbe anzulegen. Auch mit dem strikten Maßstab der Rechtsprechung wird man bei einem solchen Vertrag aber häufiger zu dem Ergebnis kommen, dass eine Individualvereinbarung vorliegt, als bei einem typischen Verbrauchervertrag, insbesondere einem Massengeschäft. Erstens liegt in einer GmbH stets, in einer Aktiengesellschaft regel- 19 mäßig eine Individualvereinbarung vor, wenn der Geschäftsleiter Alleingesellschafter ist. In der GmbH ist das notwendige Folge der Kompetenzordnung. Ein Alleingesellschafter-Geschäftsführer entscheidet auf Seiten der GmbH allein über den Inhalt des Anstellungsvertrags und tritt – jedenfalls wenn er sich diese Möglichkeit in der Satzung eingeräumt hat50 – beim Vertragsschluss allein als Vertreter der GmbH auf (§ 46 Nr. 5 GmbHG analog51). Er kann damit auf alle Vertragsklauseln inhaltlich umfassend Einfluss nehmen.52 Aber auch in einer Aktiengesellschaft liegt es nahe, die Bedingungen des Geschäftsleiteranstellungsvertrags als Individualvereinbarungen einzuordnen, wenn das betreffende Vorstandsmitglied zugleich alleiniger Aktionär ist. Hier ist zwar der Aufsichtsrat das Organ, das den Anstellungsvertrag verhandelt und schließt (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Satz 5, § 112 AktG). Die Aufsichtsratsmitglieder bestimmt aber wiederum das Vorstandsmitglied in seiner Eigenschaft als Alleinaktionär, und es kann sie auch jederzeit wieder abberufen (§ 101 Abs. 1 Satz 1, § 103 AktG). Unter diesen Voraussetzungen besteht jedenfalls eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Vorstandsmitglied den Inhalt seines Anstellungsvertrags vollumfänglich beeinflussen konnte und die vereinbarten Klauseln in seinen Gestaltungswillen aufgenommen hat.
50 Zur nach bestrittener Ansicht durch § 35 Abs. 3 GmbHG vorgegebenen Anwendung des § 181 BGB auf den Abschluss des Anstellungsvertrags zwischen der GmbH und ihrem Alleingesellschafter-Geschäftsführer und der nach h.M. (BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, GmbHR 1983, 269 = NJW 1983, 1676) erforderlichen Satzungsgrundlage für die Gestattung eines Insichgeschäfts z.B. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 35 Rz. 55, 57 m. weit. Nachw. 51 Zu diesen Zuständigkeiten der Gesellschafterversammlung beim Abschluss des Anstellungsvertrags mit einem Geschäftsführer zuletzt BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, NZG 2019, 861, 862 Rz. 18, 863, Rz. 26 = GmbHR 2019, 883; st. Rspr. seit BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680, 1681 = GmbHR 1991, 363. 52 Koehler, NZG 2019, 1406, 1407.
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20 Zweitens werden auch sonst die Umstände des Vertragsschlusses beim Geschäftsleiteranstellungsvertrag häufiger auf ein Aushandeln und damit eine Individualvereinbarung hindeuten als bei sonstigen Verbraucherverträgen.53 Ob eine Klausel ausgehandelt worden ist oder nicht, ist in aller Regel anhand von Indizien festzustellen.54 So spricht beispielsweise ein erkennbares Gewinnungsinteresse der Gesellschaft, etwa beim Einsatz eines Headhunters, dafür, dass der Geschäftsleiter die inhaltliche Ausgestaltung auch der von der Gesellschaft zunächst vorformulierten Klauseln beeinflussen konnte, dass also die Gesellschaft den Inhalt der Klauseln ernsthaft zur Disposition gestellt hat. Auch aus einer erheblichen Beteiligung am Eigenkapital der Gesellschaft lässt sich eine Einflussmöglichkeit des (Gesellschafter-)Geschäftsleiters ableiten, insbesondere in einer GmbH, wenngleich er bei der gesellschaftsinternen Willensbildung an die Treuepflicht gebunden ist, den Inhalt seines Anstellungsvertrags also auch im Falle einer Mehrheitsbeteiligung nicht frei bestimmen kann.55 Denn der Geschäftsführer kann dann in seiner Rolle als GmbH-Gesellschafter (zur Zuständigkeit der GmbH-Gesellschafterversammlung nochmals: § 46 Nr. 5 GmbHG analog) gesellschaftsintern durch Ausübung seines Gesellschafterstimmrechts an der Festlegung seiner Anstellungsbedingungen immerhin mitwirken,56 sie also – je nach Beteiligungshöhe in größerem oder geringerem Umfang – sogar schon auf Seiten der Gesellschaft beeinflussen. Weitere Indizien für ein Aushandeln können eine besondere Rechtskunde oder Verhandlungserfahrung des Geschäftsleiters und seine anwaltliche Vertretung bei den Vertragsverhandlungen sein. Somit schließt eine starke Verhandlungsposition eines Geschäftsleiters zwar nicht dessen Verbrauchereigenschaft aus. Sie kann aber im Einzelfall dazu führen, dass keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern Individualvereinbarungen vorliegen und dass deswegen keine AGB-Kontrolle stattfindet. Trotz allem bleibt die Hürde für die Annahme einer Individualvereinbarung 53 54 55 56
Skeptischer Grobys/Glanz, NJW-Spezial 2007, 129, 130. Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1100. Koehler, NZG 2019, 1406, 1407. H.M. (kein Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG), BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, NJW 1955, 1716; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 47 GmbHG Rz. 67; Drescher in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 47 Rz. 165; Noack in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 47 Rz. 86; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 47 Rz. 118; sehr str., a.A. z.B. Altmeppen, 10. Aufl. 2021, § 47 GmbHG Rz. 109 ff.; Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 47 Rz. 249.
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hoch, und viele vorformulierte Klauseln in Geschäftsleiteranstellungsverträgen unterfallen der AGB-Kontrolle.
III. Durchführung der AGB-Kontrolle Auch wenn eine Klausel im Einzelfall eine Allgemeine Geschäftsbedin- 21 gung ist, kann sie in einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag weitergehend zulässig sein als in anderen Verträgen, insbesondere in anderen Verbraucherverträgen. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass sie mit zwingendem Recht vereinbar ist, beispielsweise in einer Aktiengesellschaft mit den §§ 87 ff. AktG. Soweit Geschäftsleiter trotz ihrer fehlenden Arbeitnehmereigenschaft zwingenden Schutznormen des Arbeitsrechts unterfallen,57 darf die Klausel auch diesen Schutznormen nicht widersprechen. Im Falle eines Widerspruchs stellt sich die Frage nach ihrer AGB-rechtlichen Zulässigkeit nicht mehr. Kommt es danach zur AGB-Kontrolle, so lassen sich die Besonderheiten 22 eines Geschäftsleiteranstellungsvertrags an mehreren Stellen berücksichtigen. Teils gilt dies für die gegenüber einem Durchschnittsverbraucher weiter reichende geschäftliche Erfahrung und höhere Qualifikation eines typischen Geschäftsleiters, teils – wie soeben schon bei der Abgrenzung zur Individualabrede – für die besonderen Umstände des jeweiligen, individuellen Einzelfalls.
1. Verbot überraschender Klauseln Bei der – der inhaltlichen Kontrolle vorgeschalteten – Prüfung, ob eine 23 überraschende Klausel gem. § 305c Abs. 1 BGB vorliegt,58 spielt beides eine Rolle. § 305c Abs. 1 BGB findet unabhängig vom Vorliegen eines Verbrauchervertrags und nur auf Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB Anwendung (s. die Verweisung in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, die § 305c Abs. 1 BGB ausspart). Überraschend ist eine Klausel, die erheblich von den vernünftigen Erwartungen des Vertragspartners abweicht, sei es aufgrund der Umstände des konkreten Vertragsschlusses, sei es im Vergleich zu der für solche Verträge sonst üblichen Gestaltung.59 Ob eine Klausel im Kontext des konkreten Vertragsschlus57 S. nochmals o. bei und in Fn. 9 bis 12. 58 Zum Verhältnis von § 305c BGB zu Auslegung und Inhaltskontrolle z.B. Wurmnest in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 307 Rz. 59. 59 Bonin in BeckOGK/BGB, Stand 1.12.2022, § 305c Rz. 30, 34 ff.
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ses überraschend ist, ob also der jeweilige Vertragspartner eine solche Klausel erwarten musste oder nicht, bemisst sich wiederum zwar nicht nach den Fähigkeiten des individuellen Vertragspartners, aber immerhin nach den „Erkenntnismöglichkeiten des für derartige Verträge in Betracht kommenden Personenkreises“.60 Ob eine Klausel in einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag überraschend ist oder nicht, hängt also von dem berechtigten Erwartungshorizont eines typischen Geschäftsleiters ab und nicht von dem eines sonstigen Verbrauchers, etwa eines Arbeitnehmers. Geschäftsleiter müssen z.B. damit rechnen, dass ihre Rechtsposition in erheblichem Maße von den unternehmerischen Erfolgen oder Misserfolgen der Gesellschaft abhängt. Ein hoher Anteil variabler Vergütungsbestandteile und auch Clawback-Klauseln, nach denen die Gesellschaft eine bereits geleistete Vergütung wieder zurückfordern kann,61 sind daher in einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag in der Regel nicht überraschend.
2. Auslegung und Transparenzgebot 24
Auch bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen und bei ihrer Prüfung am Maßstab des Transparenzgebots (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist – wiederum unabhängig vom Vorliegen eines Verbrauchervertrags – darauf abzustellen, wer bei einem solchen Vertrag typischerweise der Vertragspartner des Verwenders ist, und lassen sich auf diese Weise die Besonderheiten eines Geschäftsleiteranstellungsvertrags berücksichtigen.
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Im ersten Schritt sind Allgemeine Geschäftsbedingungen objektiv-generalisierend so auszulegen, „wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden.“62 Es kommt auf „die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders“
60 St. Rspr., zuletzt BGH v. 26.7.2012 – VII ZR 262/11, NJW-RR 2012, 1261 Rz. 10 m. Nachw. zu früheren Entscheidungen. 61 Zum Begriff z.B. Seyfarth, WM 2019, 569 f.; zu Clawback-Klauseln noch u. IV. 3., Rz. 47. 62 St. Rspr., s. jüngst BGH v. 5.5.2022 – VII ZR 176/20, NJW 2022, 2467, 2469 Rz. 29 = ZIP 2022, 1394 und BGH v. 2.7.2019 – VIII ZR 74/18, NJW-RR 2919, 1202, 1204 Rz. 20; fast wortgleich BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 Rz. 30 = GmbHR 2010, 1142.
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an.63 Besondere Kenntnisse des konkreten Vertragspartners sind bei der Auslegung also nicht zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen ist aber, dass der Kreis der normalerweise an Geschäftsleiteranstellungsverträgen Beteiligten nicht aus Durchschnittsverbrauchern, sondern aus Geschäftsführern oder Vorstandsmitgliedern besteht.64 Der durchschnittliche Vertragspartner bringt daher bei einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag jedenfalls ein ökonomisches und juristisches Grundverständnis mit, das bei der Auslegung zugrunde zu legen ist. Auch die Größe der Gesellschaft spielt eine Rolle: Je komplexer die Geschäftsleitung, für die der Anstellungsvertrag geschlossen werden soll, desto mehr ökonomisches Verständnis ist beim durchschnittlichen Geschäftsleiter zu erwarten. Die Auslegungsergebnisse sind dann andere als bei einem gewöhnlichen Dienstvertrag oder gar einem Arbeitsvertrag. Derselbe Maßstab gilt für die Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 26 Satz 2 BGB. Transparent ist eine Klausel, wenn sie nach ihrer äußeren Gestaltung verständlich und inhaltlich klar und durchschaubar ist.65 Sie muss die Rechte und Pflichten des Vertragspartners mit größtmöglicher Bestimmtheit erkennen lassen und darf die Rechtslage nicht irreführend darstellen.66 Auch hier kommt es wieder auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners an,67 bei Geschäftsleiteranstellungsverträgen also auf die durchschnittlichen Verständnismöglichkeiten eines Geschäftsleiters einer derartigen Gesellschaft. Daher sind beispielsweise Clawback-Klauseln nicht schon deswegen intransparent, weil sie komplexe Rechenmodelle enthalten.
63 BGH v. 5.5.2022 – VII ZR 176/20, NJW 2022, 2467, 2469 Rz. 29 = ZIP 2022, 1394; fast wortgleich BGH v. 2.7.2019 – VIII ZR 74/18, NJW-RR 2919, 1202, 1204 Rz. 20 und sehr ähnlich BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 Rz. 30 = GmbHR 2010, 1142. 64 S. die Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze in OLG Frankfurt v. 18.4.2018 – 4 U 120/17, AG 2018, 825, 854. 65 Wurmnest in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 307 Rz. 62. 66 Wurmnest in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 307 Rz. 63, 68 und (zur Bedeutung der inhaltlichen Ausgewogenheit oder Unausgewogenheit einer Klausel auch i.R.d. Transparenzkontrolle) Rz. 60; Eckelt in BeckOGK/BGB, Stand 1.7.2022, § 307 Rz. 125. 67 Z.B. BGH v. 23.2.2011 – XII ZR 101/09, NJW-RR 2011, 1144, 1145 Rz. 10.
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3. Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB a) Auslegung und teleologische Reduktion von Klauselverboten 27
Der Kern der AGB-Kontrolle ist die Prüfung einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners im Übrigen, die Inhaltskontrolle, sei es anhand der Generalklausel in § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB, sei es anhand der besonderen Klauselverbote in § 308 und § 309 BGB. § 308 Nr. 1, 2 bis 9 und § 309 BGB finden unmittelbar68 nur zugunsten von Verbrauchern Anwendung (s. im Einzelnen § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch bei ihrer Anwendung lassen sich die Besonderheiten eines Geschäftsleiteranstellungsvertrags berücksichtigen.
28 Bei §§ 307 und 308 BGB ist an der Auslegung der Vorschriften anzusetzen. Beide Normen ermitteln die Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung anhand von unbestimmten Rechtsbegriffen, die in besonderem Maße auslegungsfähig sind. Das gilt vor allem für den Begriff der Unangemessenheit. Dessen Konkretisierung setzt eine Interessenabwägung voraus, die den gesamten Vertragsinhalt in den Blick nimmt.69 Es sind zwar wieder die typischen Belange der beteiligten Verkehrskreise zugrunde zu legen und nicht die Belange der individuellen Beteiligten.70 Auch hier ist aber zu bedenken, dass es um Organmitglieder juristischer Personen, also um einen besonderen Kreis von Vertragspartnern geht. Daher fließen in die Ermittlung und Abwägung der schutzwürdigen Interessen auch gesellschaftsrechtliche Wertungen ein, allen voran die Treuepflicht, der Vorstandsmitglieder71 und Geschäftsführer72 gegenüber der Gesellschaft unterliegen. Kraft ihrer Treuepflicht müssen Geschäftsleiter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben stets das Wohl der Gesellschaft im Blick haben und eigene Belange zurückstellen.73 Sie müssen also bei der Geschäftsleitung die Interessen der Gesellschaft grundsätzlich höher gewichten als ihre eigenen Interessen. Mit dem Anstellungsvertrag, um den es hier geht, verfolgen der Geschäftsleiter und die Gesellschaft zwar notwendig widerstreitende Ziele. 68 Zur Indizwirkung der Klauselverbote in §§ 308, 309 BGB bei der Inhaltskontrolle von Verträgen zwischen Unternehmern s. schon Fn. 44. 69 Eckelt in BeckOGK/BGB, Stand 1.7.2022, § 307 Rz. 80 ff.; Wurmnest in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 307 Rz. 37 ff. 70 BGH v. 4.7.1997 – V ZR 405/96, NJW 1997, 3022, 3023, 3024 = ZIP 1998, 72. 71 S. nur Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 76 Rz. 13, § 93 Rz. 125. 72 S. nur Stephan/Tieves in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35 Rz. 86. 73 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, NJW-RR 1989, 1255, 1257 = AG 1989, 354.
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Auch hier wird man dem Geschäftsleiter aber aufgrund seiner Treuepflicht eine stärkere Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft abverlangen dürfen als einem gewöhnlichen Vertragspartner, etwa einem externen Dienstleister oder einem Arbeitnehmer. All dies ist bei der Auslegung des Begriffs der Unangemessenheit zu berücksichtigen. In der Regel nicht zu berücksichtigen ist dagegen die versprochene Vergütung: Eine ansonsten unangemessene Klausel wird nicht dadurch zulässig, dass der Geschäftsleiter ein hohes Gehalt erhält.74 Bei den Klauselverboten ohne Wertungsmöglichkeit in § 309 BGB hilft 29 die Auslegung nicht immer weiter. Hier lässt sich den Besonderheiten von Geschäftsleiteranstellungsverträgen aber im Wege der teleologischen Reduktion Rechnung tragen, wenn ein Klauselverbot seinem Normzweck nach nicht auf solche Verträge passt. Im Schrifttum wird dies zu Recht für § 309 Nr. 6 BGB vorgeschlagen,75 der bestimmte Vertragsstrafenklauseln für unwirksam erklärt, z.B. eine Vertragsstrafe für die unberechtigte Verweigerung der Vertragserfüllung als Fall der unberechtigten Lösung vom Vertrag. Grund für dieses Klauselverbot ist vor allem, dass der Verwender sich durch eine Vertragsstrafe bereichern könnte, weil sie keinen Schadenseintritt voraussetzt.76 Dieser Schutzzweck ist beim Geschäftsleiteranstellungsvertrag nicht notwendig berührt. Die Tätigkeitspflicht eines Geschäftsleiters ist nach § 888 Abs. 3 ZPO nicht vollstreckbar, so dass sich der Anspruch der Gesellschaft auf Naturalerfüllung nicht durchsetzen lässt. Zugleich ist der Schaden, der der Gesellschaft dadurch entsteht, dass ein Geschäftsleiter die Vertragserfüllung verweigert, häufig nicht nachweisbar. Die Gesellschaft hat beim Abschluss des Geschäftsleiteranstellungsvertrags also ein berechtigtes Interesse an einer Vertragsstrafenklausel, ohne die sie bei einer Erfüllungsverweigerung faktisch rechtlos gestellt sein könnte. Das spricht dafür, eine solche Klausel nicht nach § 309 Nr. 6 BGB stets als unwirksam einzustufen, sondern die Norm im Wege der teleologischen Reduktion unangewendet zu lassen. Vertragsstrafenabreden in Geschäftsleiter74 Zur Unzulässigkeit des „Preisarguments“ Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1102. 75 Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2344; Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 198 ff. 76 Begr. RegE AGBG, BT-Drucks. 7/3919, 30; Weiler in BeckOGK/BGB, Stand 1.10.2022, § 309 Nr. 6 Rz. 4; Wurmnest in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 309 Nr. 6 Rz. 1; Coester-Waltjen in Staudinger, BGB, Neubearb. 2022, § 309 Nr. 6 Rz. 1.
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anstellungsverträgen sind dann (nur) anhand der Generalklausel in § 307 BGB, d.h. im Wege der Interessenabwägung, zu überprüfen.77
b) Keine grundsätzliche Übertragbarkeit arbeitsrechtlicher Wertungen 30
Eine solche Inhaltskontrolle von Vertragsstrafenklauseln in Geschäftsleiteranstellungsverträgen entspricht im Ergebnis derjenigen, die das BAG bei Vertragsstrafenklauseln in Arbeitsverträgen vornimmt. Das BAG stützt sich dabei auf § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB, nach dem bei der Anwendung des AGB-Rechts, und zwar auch der Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit in § 309 BGB, die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen sind. Insbesondere wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit der Verpflichtung zur Arbeitsleistung (wiederum: § 888 Abs. 3 ZPO) stehe § 309 Nr. 6 BGB einer arbeitsvertraglichen Vertragsstrafenklausel für den Fall, dass der Arbeitnehmer seine vertragliche Hauptpflicht nicht erfüllt, nicht entgegen; die Klausel sei vielmehr an § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu messen.78 Das gesellschaftsrechtliche Schrifttum überträgt diesen Lösungsweg teils in analoger Anwendung des § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB auf den freien Dienstvertrag eines Geschäftsleiters.79
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Für eine analoge Anwendung des § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB auf Geschäftsleiteranstellungsverträge fehlt es indes schon, wie oben (II. 1., Rz. 3) postuliert, an einer planwidrigen Regelungslücke.80 Die Besonderheiten dieser Anstellungsverträge, die besonderen Fähigkeiten und Pflichten eines typischen Geschäftsleiters, mit dem ein solcher Vertrag geschlossen wird, und im Rahmen von § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB auch die Besonderheiten des konkreten Vertragsschlusses lassen sich, wie nunmehr gezeigt, bei der Abgrenzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen von Individualabreden (oben II. 4., Rz. 17), bei der Anwendung von § 305c Abs. 1 BGB (oben III. 1., Rz. 23), bei der Auslegung und der Transparenzkontrol77 Eingehend dazu Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 198 ff. 78 Zum Ganzen BAG v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, NZA 2003, 727, 731 f. = ZIP 2004, 1277. 79 Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1103. 80 S. nochmals Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 127 ff.; a.A. – analoge Anwendung auf Geschäftsleiteranstellungsverträge – Oetker in FS Buchner, 2009, S. 691, 698; Mirza Khanian, GmbHR 2011, 116, 118 ff.; Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1101, 1103; Kort in FS K. Schmidt, 2019, S. 715, 722; Poelzig, NZG 2020, 41, 47.
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le vorformulierter Klauseln (oben III. 2., Rz. 24) und schließlich bei ihrer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB (soeben III. 3. a), Rz. 27) umfassend berücksichtigen. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB passt im Übrigen auch seinem Normzweck nach nicht auf Geschäftsleiteranstellungsverträge, weil er nur die Besonderheiten der Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, auch angesichts weitreichender arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften, nach dem Wegfall der Bereichsausnahme für Arbeitsverträge im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung 2002 unterstreichen sollte.81 Für die Dienstverträge von Geschäftsleitern galt aber nie eine Bereichsausnahme. Und die Schutzvorschriften für Arbeitnehmer sind auf sie nur punktuell anwendbar, wenngleich sich in der jüngeren Rechtsprechung eine Tendenz hin zu ihrer Ausweitung jedenfalls auf Fremdgeschäftsführer zeigt.82 Zu Recht hat der BGH es daher in seiner eingangs erwähnten Entscheidung 32 aus dem Jahre 2019, in der er erstmals einen Geschäftsleiteranstellungsvertrag der AGB-Kontrolle unterzogen hat, abgelehnt, die Rechtsprechung des BAG zur AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen auf Geschäftsleiteranstellungsverträge zu übertragen.83 Die Entscheidung betraf einen VorstandsAnstellungsvertrag mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt, der für bestimmte Vergütungsbestandteile den fehlenden Rechtsbindungswillen der Gesellschaft zum Ausdruck bringt. Bei Arbeitsverträgen sieht das BAG in einem solchen Vorbehalt teils eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers, dann nämlich, wenn sich der Freiwilligkeitsvorbehalt auf einen Bonus bezieht, der auch auf der individuellen Leistung des Arbeitnehmers beruht. Durch eine solche Bonusvereinbarung setze der Arbeitgeber Leistungsanreize und definiere, wie der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung optimal erbringen könne. Damit werde die erfolgsabhängige Vergütung Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung. Dass der Arbeitgeber sich dennoch vorbehalte, auch bei Zielerreichung den Vergütungsanspruch entfallen zu lassen, ohne dabei wenigstens nach billigem Ermessen entscheiden zu müssen, sei mit diesem Gegenleistungscharakter unvereinbar.84
81 S. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/7052, 189. 82 S. die Nachw. o. in Fn. 12. 83 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64, 66 f. Rz. 25 ff. = AG 2020, 95 (Freiwilligkeitsvorbehalt in einem Vorstands-Anstellungsvertrag). 84 Zum Ganzen BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13, NZA 2014, 595, 601 Rz. 52 = ZIP 2014, 1241.
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33 Das OLG Frankfurt hatte insoweit einen strukturellen Unterschied zwischen Arbeitsverträgen und den Anstellungsverträgen von Organmitgliedern verneint und die vom BAG entwickelten Grundsätze auf den Freiwilligkeitsvorbehalt im Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds übertragen.85 Der BGH hielt das mit Blick auf die Besonderheiten der gesellschaftsrechtlichen Stellung als Organmitglied und insbesondere die Treuepflicht des Geschäftsleiters für rechtsfehlerhaft. Zum einen seien tätigkeitsbezogene Zielvereinbarungen mit einem Vorstandsmitglied durch dessen Leitungsautonomie (§ 76 Abs. 1 AktG) begrenzt. Zum anderen müsse ein Vorstandsmitglied kraft seiner Treuepflicht nachträgliche Vertragsänderungen und auch Gehaltskürzungen hinnehmen.86 34
In beiden Punkten unterscheidet sich die Rechtsstellung eines Vorstandsmitglieds in der Tat maßgeblich von derjenigen eines Arbeitnehmers. Zwar nicht die Leitungsautonomie, wohl aber die Treuepflicht gilt auch für den GmbH-Geschäftsführer. Deswegen kann die Rechtsprechung zu Arbeitsverträgen nicht allgemein herangezogen werden, um die Angemessenheit oder Unangemessenheit einer Klausel in einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag zu begründen. Die AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen ist vielmehr eigenständig zu begründen. Das schließt nicht aus, dass Argumente wie z.B. die fehlende Vollstreckbarkeit der Hauptleistungspflicht nach § 888 Abs. 3 ZPO, wie oben gezeigt, die Angemessenheit oder Unangemessenheit einer Klausel sowohl in einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag als auch in einem Arbeitsvertrag zu begründen vermögen.
c) Berücksichtigung der Begleitumstände des individuellen Vertragsschlusses (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB) 35 Die besondere Situation des vertragsschließenden Geschäftsleiters spielt bei der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen schließlich noch an einer letzten Stelle eine Rolle, nämlich bei § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB, der nochmals an die Verbrauchereigenschaft anknüpft. Danach sind bei Verbraucherverträgen auch „die den Vertragsschluss begleitenden Umstände“ zu berücksichtigen, wenn es um die Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung geht. Die Vorschrift geht auf die Klausel85 OLG Frankfurt v. 18.4.2018 – 4 U 120/17, AG 2018, 852, 854 f. 86 Zum Ganzen BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64, 66 f. Rz. 25–27 = AG 2020, 95.
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Richtlinie 93/13/EWG zurück, die in ihrem 16. Erwägungsgrund als einen solchen Umstand beispielhaft die relative Verhandlungsstärke der Parteien nennt. Wie genau § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zu verstehen ist, ist im Schrifttum 36 umstritten.87 Vieles spricht dafür, dass die Regelung den objektiv-generalisierenden Prüfungsmaßstab, der bei der Inhaltskontrolle normalerweise anzulegen ist, um einen Blick auf die konkreten Umstände des individuellen Vertrags ergänzen soll. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB ermöglicht es also, die objektive Prüfung im Einzelfall zu korrigieren.88 Diese Korrektur kann zugunsten, aber auch zu Lasten des Verbrauchers ausfallen.89 Die Einordnung von Organmitgliedern als Verbraucher erlaubt damit auch eine weniger strenge Inhaltskontrolle als üblich. So können die besondere Geschäftserfahrung und Verhandlungsstärke sowie die besonderen Kenntnisse und Verständnismöglichkeiten eines bestimmten, individuellen Geschäftsleiters zu seinen Lasten in die Inhaltskontrolle seines Anstellungsvertrags einfließen.90 Dies kann dazu führen, dass eine Klausel, die in einem Dienstvertrag normalerweise als unangemessene Benachteiligung eingestuft würde, diesem Geschäftsleiter gegenüber doch zulässig ist.91
4. Zwischenfazit Es hat sich gezeigt, dass Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft und GmbH-Geschäftsführer keine selbstständige berufliche Tätigkeit ausüben und deswegen, wenn sie in dieser Funktion Verträge schließen, nach zutreffender herrschender Meinung als Verbraucher einzuordnen sind; selbst wenn man diese Einordnung nicht teilt, ist jedenfalls für die Kautelarpraxis von der Verbrauchereigenschaft auszugehen. Zugleich 87 Zu den verschiedenen Ansätzen Fornasier in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 310 Rz. 110 f. m. weit. Nachw. 88 OLG Frankfurt v. 17.11.2000 – 25 U 226/99, NJW-RR 2001, 780, 781; Graf v. Westphalen, BB 1996, 2104 f.; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2193; Brandner, MDR 1997, 312, 314; Roloff/Looschelders in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 310 Rz. 24; Fornasier in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 310 Rz. 114. 89 OLG Jena v. 4.6.2014 – 2 U 1014/13, BeckRS 2014, 11854; Bunte, DB 1996, 1389 ff.; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2194; Brandner, MDR 1997, 312, 314; Roloff/Looschelders in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 310 Rz. 25; Fornasier in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2022, § 310 Rz. 114. 90 BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), NZA 2014, 1076, 1081 Rz. 68; Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1102. 91 Vgl. BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 474/14, NZA 2016, 1409, 1416 Rz. 69.
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hat sich gezeigt, dass die AGB-Kontrolle der Anstellungsverträge solcher Geschäftsleiter auch unter Zugrundelegung ihrer Verbrauchereigenschaft zu sachgerechten Ergebnissen führt. Die Einordnung als Verbraucher oder Unternehmer anhand der unselbständigen oder selbständigen Berufstätigkeit erfolgt zwar generalisierend. Die typischen Unterschiede zwischen Geschäftsleitern und sonstigen, deutlich weniger geschäftserfahrenen Verbrauchern lassen sich aber bei der AGB-Kontrolle hinreichend berücksichtigen, ebenso die besonderen Umstände des jeweiligen, individuellen Vertragsschlusses. Das gilt sowohl für die Anwendung derjenigen AGB-Regelungen, die unabhängig vom Vorliegen eines Verbrauchervertrags gelten (insbesondere § 305 Abs. 1 Satz 3, § 305c Abs. 1 und § 307 BGB), als auch für die Anwendung spezifisch verbraucherrechtlicher AGB-Regelungen (insbesondere §§ 308 f. und § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB).
IV. Anwendung auf ausgewählte Klauseln 38 Das bisher Entwickelte sei im Folgenden anhand dreier Klauselbeispiele kurz illustriert, einer Koppelungsklausel (dazu IV. 1., Rz. 39), einem Freiwilligkeitsvorbehalt (dazu IV. 2., Rz. 44) und der Clawback-Klauseln (dazu IV. 3., Rz. 47). Dass die jeweilige Klausel im Einzelfall in den Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle fällt, also z.B. nicht im Einzelnen ausgehandelt ist, sei dabei ebenso unterstellt wie das Fehlen besonderer Begleitumstände beim individuellen Vertragsschluss (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB). Die nachstehenden Überlegungen beschränken sich auf einige Grundgedanken92 zu den Auswirkungen der Besonderheiten typischer Geschäftsleiteranstellungsverträge, vor allem im Vergleich zu Arbeitsverträgen.
1. Koppelungsklausel 39 Eine Koppelungsklausel überwindet die Unabhängigkeit des schuldrechtlichen Anstellungsvertrags eines Vorstandsmitglieds oder GmbHGeschäftsführers von seiner gesellschaftsrechtlichen Bestellung zum Organmitglied. Aufgrund dieser Unabhängigkeit endet das schuldrechtliche Anstellungsverhältnis nicht ipso iure mit der Organmitgliedschaft; 92 Eingehende AGB-rechtliche Analyse dieser Klauselarten bei Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 222 ff. (Clawback-Klauseln), 257 ff. (Freiwilligkeitsvorbehalte); s. zu Koppelungs- und zu Clawback-Klauseln auch die Nachw. o. Fn. 3 und 5.
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für die Aktiengesellschaft ist dieses Trennungsprinzip in § 84 Abs. 4 Satz 5 AktG kodifiziert.93 Die beiden Rechtsverhältnisse können aber durch eine Koppelungsklausel im Anstellungsvertrag miteinander verbunden werden,94 z.B. mit folgender Formulierung: „Falls die Bestellung zum Mitglied des Vorstands vorzeitig endet, ist jede Partei – unbeschadet eines etwa gegebenen Rechts zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund – bis zum Ablauf von drei Monaten seit dem Ende der Bestellung berechtigt, den Anstellungsvertrag durch ordentliche Kündigung vorzeitig zu beenden. Falls der Anstellungsvertrag durch eine ordentliche Kündigung nach S. 1 vorzeitig endet, hat Z. Anspruch auf eine Abfindung […].“95
Die Klausel begründet also für den Fall, dass die Organstellung vorzeitig endet, ein Recht zur ordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags. Von Bedeutung ist diese Gestaltung insbesondere bei Vorstandsdienstverträgen, die – anders als der Dienstvertrag eines Geschäftsführers – wegen § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG meist befristet geschlossen werden.96 Der damit einhergehende Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts (e contrario § 620 Abs. 2 BGB) ist dispositiv.97 Zwar kann für einen Vorstandsdienstvertrag in der Regel kein ordentliches Kündigungsrecht vereinbart werden, um das Erfordernis eines wichtigen Grundes für die Abberufung als Organmitglied (§ 84 Abs. 4 AktG) nicht mittelbar zu unterlaufen.98 Die im Beispiel genannte Klausel knüpft indes an die wirksame99 Beendigung der Organmitgliedschaft an, begründet also keine solche Gefahr. Grundsätzlich möglich ist es auch, durch eine Koppelungsklausel die Abberufung des Organmitglieds zugleich als Kündigung seines Anstellungsvertrags einzustufen oder die Beendigung der 93 Zu den bei weiterlaufendem Anstellungsvertrag entstehenden Schwierigkeiten Holthausen, NZG 2022, 731, 734. 94 Zur grds. Zulässigkeit BGH v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, NJW 1981, 2748, 2749 = AG 1982, 18 (Vorstandsmitglied); BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683 f. = GmbHR 1989, 415. 95 Beispiel aus Hoffmann-Becking/Austmann in Gebele/Scholz, Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 14. Aufl. 2022, Abschnitt X (Aktienrecht) Nr. 13 (Anstellungsvertrag), dort § 5 Abs. 3. 96 Zur Möglichkeit, den Vorstandsdienstvertrag mit einer Höchstdauer, aber unbefristet zu schließen, Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 84 Rz. 173. 97 Engshuber in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2023, § 620 Rz. 11. 98 Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 84 Rz. 173. 99 Zur Rechtslage bei (behaupteter) Unwirksamkeit des Abberufungsbeschlusses z.B. Koehler, NZG 2019, 1406, 1407.
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Organstellung zur auflösenden Bedingung des Anstellungsvertrags zu machen.100 41
Nach der Rechtsprechung des BGH sind bei allen Gestaltungsvarianten die zwingenden arbeitsrechtlichen Kündigungsfristen gem. § 622 BGB für den Anstellungsvertrag analog zu beachten, wenn nicht im Einzelfall ein außerordentlicher Kündigungsgrund i.S.d. § 626 BGB vorliegt oder der Geschäftsführer zugleich beherrschender Gesellschafter ist;101 das BAG lehnt eine analoge Anwendung der arbeitsrechtlichen Kündigungsfristen in jedem Fall ab.102 Wahrt die Koppelungsklausel die Kündigungsfristen nicht, ist sie, legt man die BGH-Rechtsprechung zugrunde, wegen der Verletzung zwingenden Rechts – und nicht etwa wegen Unangemessenheit i.S.d. § 307 BGB103 – insgesamt unwirksam.104 Eine Koppelungsklausel, nach der die Beendigung der Organstellung stets zur sofortigen Beendigung auch des Anstellungsvertrags führt, entfaltet daher keine Wirkung. Die Kündigungsfrist darf für den Geschäftsleiter zudem nicht länger sein als für die Gesellschaft (§ 622 Abs. 6 BGB analog). Eine Koppelungsklausel kann deswegen nicht auf den Fall einer Abberu100 Zu einer Bedingungslösung BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683 f. = AG 1989, 437; zu den Gestaltungsvarianten allgemein z.B. Bauer in FS Wank, 2014, S. 1, 3; Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1104; Koehler, NZG 2019, 1406; Holthausen, NZG 2022, 731, 736 f.; Jaeger/ Steinbrück in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35 Rz. 393 f. 101 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1271 = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528 f. = GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263; BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = AG 1989, 437; ferner Naegele, BB 2001, 305, 309 f.; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 170; Engshuber in MünchKomm/BGB, 9. Aufl. 2023, § 621 Rz. 11 ff.; Jaeger/ Steinbrück in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35 Rz. 410; weitergehend Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 84 Rz. 174: § 622 BGB analog auch, wenn das betreffende Vorstandsmitglied gleichzeitig Mehrheitsaktionär ist. 102 BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, GmbHR 2020, 1070 m. Anm. Frank = NJW 2020, 2824; zustimmend (wenngleich mit Kritik an der Entscheidung, von einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat abzusehen) Uffmann, NJW 2020, 3210 ff.; zuvor bereits Boemke, RdA 2018, 1, 21; Beurskens in Noack/ Servatius/Haas, GmbHG, jetzt 23. Aufl. 2022, § 38 Rz. 138. 103 So aber Werner, NZA 2020, 1444, 1446: Verstoß gegen das Transparenzgebot. 104 OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, NZG 2017, 226 f. = GmbHR 2017, 295 m. Anm. Haase (Verbot der geltungserhaltenden Reduktion).
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fung beschränkt werden, sondern muss, wie im Beispiel oben, auch eine berechtigte Amtsniederlegung durch den Geschäftsleiter erfassen.105 Ist eine formularmäßige Koppelungsklausel danach mit dem hier vom 42 BGH analog herangezogenen zwingenden Arbeitsrecht vereinbar, stellt sich die Frage nach ihrer AGB-rechtlichen Zulässigkeit. Überraschend sind Koppelungsklauseln heutzutage nicht mehr, wenn sie nicht ausnahmsweise an versteckter Stelle im Vertrag stehen.106 Zur Wahrung des Transparenzgebots wiederum müssen die Voraussetzungen und der Zeitpunkt der Beendigung des Anstellungsvertrags klar formuliert sein. Im Klauselbeispiel oben ist dies der Fall; insbesondere wird eindeutig ein ordentliches Kündigungsrecht begründet107 und ist der Zeitpunkt der Beendigung durch den gewählten Mechanismus einer ordentlichen Kündigung eindeutig bestimmbar. Die Kündigungsfristen ergeben sich aus dem Gesetz und müssen nicht genannt werden. Intransparent wäre eine solche Koppelungsklausel allerdings, wenn an anderer Stelle im Vertrag längere Kündigungsfristen vereinbart wären.108 Bei einer Gestaltung mittels auflösender Bedingung muss der Beginn des Fristlaufs genannt werden, damit der Ablauf der Kündigungsfrist bestimmbar ist.109 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist davon auszugehen, dass ein typischer Geschäftsleiter die Klausel verstehen kann.110
105 Ebenso Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1104; Tödtmann/v. Erdmann, NZG 2022, 3, 8 f.; mit AGB-rechtlicher Begründung Koehler, NZG 2019, 1406, 1409; a.A. Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 85, 87: Vereinbarung besonderer Kündigungsgründe ist zulässig. 106 Zu den Anforderungen an eine übersichtliche Gestaltung Werner, NZA 2020, 1444, 1446 f.; andere Einschätzung noch bei Hümmerich, NZA 2006, 709, 713. 107 Anders in BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, NZG 1999, 1215, 1216 = GmbHR 1999, 1140 m. Anm. Haase, wo die Klausel nur auf die „Kündigung“ allgemein Bezug nahm und eine Beendigung des Anstellungsvertrags daher, weil der Vertrag befristet war, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung (§ 626 BGB) voraussetzte. 108 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 35 Rz. 394d; so z.B. (ohne AGB-Kontrolle) in BGH v. 1.12.1997 – II ZR 232/96, GmbHR 1998, 534 = NJW 1998, 148 zum GmbH-Recht: Koppelungsklausel würde wegen freier Widerruflichkeit der Bestellung die im Anstellungsvertrag vereinbarte sechsmonatige Kündigungsfrist leerlaufen lassen. 109 Zum Beginn der Kündigungsfrist im Falle einer auflösenden Bedingung Koehler, NZG 2019, 1406, 1409 f. 110 Anders die Einschätzung von Holthausen, NZG 2022, 731.
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43 Auch sonst bestehen gegen Koppelungsklauseln keine grundsätzlichen AGB-rechtlichen Bedenken.111 Insbesondere benachteiligen Koppelungsklauseln den Geschäftsleiter nicht regelmäßig unangemessen, wenngleich es im Einzelfall auf die genaue Gestaltung ankommt.112 Aus der Trennung von Organmitgliedschaft und Anstellungsvertrag, wie sie § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG bestätigt, folgt kein Grundgedanke i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dahingehend, dass ein Geschäftsleiter auch nach der Beendigung seiner Organmitgliedschaft die Ansprüche aus dem laufenden Anstellungsverhältnis behalten muss; das Trennungsprinzip hat keinen solchen materiellen Gerechtigkeitsgehalt.113 Die Koppelungsklausel gefährdet auch nicht die Erreichung des Vertragszwecks i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Selbst wenn dieser in einer Aktiengesellschaft darin liegen sollte, einem Vorstandsmitglied die weisungsfreie Unternehmensleitung zu ermöglichen, steht die Koppelungsklausel dem nicht entgegen. Denn sie wirkt nur, wenn die Bestellung zum Geschäftsleiter gesellschaftsrechtlich wirksam widerrufen wird, beim Vorstand also nur, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt (s. § 84 Abs. 4 AktG).114
2. Freiwilligkeitsvorbehalt 44 Einen Freiwilligkeitsvorbehalt hat der BGH jüngst für AGB-rechtlich zulässig erklärt und, wie schon angesprochen (III. 3. b), Rz. 30), zur Begründung insbesondere die Besonderheiten der Organstellung herangezogen. Die Klausel, die dem BGH zur Beurteilung vorlag, lautete: „Der Aufsichtsrat kann nach billigem Ermessen und im Einklang mit geltendem Recht (insbesondere § 87 AktG, soweit anwendbar) zusätzlich zum Jahresbruttogrundgehalt Sonderleistungen, Gratifikationen oder ähnliches einmalig oder wiederholt gewähren. Bei diesen Sonderleistungen, Gratifikationen oder ähnlichem handelt es sich in jedem Fall um freiwillige Zuwendungen. Ein Rechtsanspruch kann aus ihnen nicht abgeleitet werden. Solche Sonderzuwendungen, Gratifikationen oder ähnliches können auch für außerordentliche Leistungen des Vorstandsmitglieds gewährt werden.“115
111 Ebenso Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1105; Werner, NZA 2020, 1444, 1445 f.; Seyfarth, NZG 2022, 389, 392 f.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 38 Rz. 96. 112 Zu Kompensationsmöglichkeiten Werner, NZA 2020, 1444, 1447 f. 113 Eingehend Seyfarth, NZG 2022, 389, 391; a.A. Graf v. Westphalen, BB 2015, 834, 838 ff.; Graf v. Westphalen, NZG 2020, 321, 323 f.; Tödtmann/v. Erdmann, NZG 2022, 3, 6 f. 114 Seyfarth, NZG 2022, 389, 392; a.A. wiederum – Gefährdung des Vertragszwecks – Tödtmann/v. Erdmann, NZG 2022, 3, 7 f. 115 LG Frankfurt v. 28.4.2017 – 2-21 O 2/16, juris Rz. 17.
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Weil in dem Anstellungsvertrag sonst nichts zu variablen Zahlungen 45 vereinbart war, bewirkte diese Klausel keine Einschränkung eines anderweitig begründeten Vergütungsanspruchs.116 Vielmehr wollte die Gesellschaft damit von vornherein ihren fehlenden Rechtsbindungswillen bei solchen Zahlungen zum Ausdruck bringen. Ein solcher, echter Freiwilligkeitsvorbehalt ist schon gar keine Vertragsbedingung im Sinne des AGB-Rechts, weil er nicht den Vertragsinhalt mitbestimmt.117 Denn auch ohne die Vorbehaltsklausel – oder: auch bei ihrer Unwirksamkeit – hätten die betreffenden Organmitglieder keinen Anspruch auf eine Zuwendung oder auch nur auf eine Ermessensentscheidung des Aufsichtsrats über eine Zuwendung.118 Dieser echte Freiwilligkeitsvorbehalt entfaltet damit keine Regelungswirkung, so dass die AGB-Kontrolle nicht eröffnet ist.119 Sind Zahlungen dagegen an anderer Stelle im Anstellungsvertrag kon- 46 kret beschrieben, kann ein Freiwilligkeitsvorbehalt je nach seiner konkreten Gestaltung überraschend sein (§ 305c Abs. 1 BGB) oder gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) verstoßen. Im Übrigen ist er am Maßstab der §§ 307 ff. BGB zu messen, und zwar an § 308 Nr. 4 BGB, wenn sich die Gesellschaft vorbehält, fest zugesagte Zahlungen einseitig zu ändern, sonst an § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB. Bei Arbeitsverträgen betreffen Bonuszusagen, wenn sie an die individuelle Arbeitsleistung anknüpfen, das vertragliche Synallagma, und ein Freiwilligkeitsvorbehalt stellt deswegen stets eine unangemessene Benachteiligung dar.120 Bei Vorstandsdienstverträgen sind tätigkeitsbezogene Bonuszusagen dagegen schon von Gesetzes wegen nur eingeschränkt zulässig, weil 116 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64, 65 ff. Rz. 14 ff., 23 ff. = AG 2020, 95. 117 Mit diesem Verständnis der „Vertragsbedingung“ der BGH in st. Rspr., z.B. BGH v. 5.6.2018 – XI ZR 790/16, NJW 2018, 2950, 2951 Rz. 30 = ZIP 2018, 1389. 118 So auch BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64, 65 f. Rz. 14 ff. = AG 2020, 95. 119 Ebenso für einen Freiwilligkeitsvorbehalt dieser Art Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 268 ff.; zu Freiwilligkeitsvorbehalten allgemein Thüsing/Leder, BB 2005, 1563, 1567 f.; Hromadka/Schmitt-Rolfes, NJW 2007, 1777, 1780; a.A. für das genannte Klauselbeispiel BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64, 65 Rz. 13 = AG 2020, 95 (ohne Diskussion der Regelungswirkung) sowie zu Freiwilligkeitsvorbehalten allgemein Lembke, NJW 2010, 257, 261; Preis/Sagan, NZA 2012, 697, 700 f. 120 Näher dazu vor Fn. 84.
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der Aufsichtsrat den Vorstandsmitgliedern angesichts ihrer Leitungsautonomie (§ 76 Abs. 1 AktG) nicht vorgeben kann, wie sie ihre Dienstleistungen zu erbringen haben.121 Ein Freiwilligkeitsvorbehalt kann gegenüber einem Geschäftsführer und auch gegenüber einem Vorstandsmitglied dennoch im Einzelfall unangemessen sein. Man wird einem Geschäftsleiter aber kraft seiner Treuepflicht stärkere Vergütungseinschnitte zumuten können als beispielsweise einem Arbeitnehmer.122
3. Clawback-Klausel 47 Als letztes Beispiel seien Clawback-Klauseln herangezogen, mit denen sich eine Gesellschaft das Recht vorbehält, bereits ausgereichte variable Vergütungsbestandteile wieder zurückzufordern. Dogmatisch lässt sich ein solches Rückforderungsrecht als Widerrufsvorbehalt der Gesellschaft oder als auflösende Bedingung der Zuwendung umsetzen.123 Man kann ferner unterscheiden zwischen Clawback-Klauseln für den Fall, dass sich die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft nach Ablauf der Referenzperiode verschlechtert oder nachträglich als schlechter herausstellt als angenommen (Performance-Clawback), und Clawback-Klauseln, die an ein Fehlverhalten des Organmitglieds oder eine Sanktion gegen die Gesellschaft anknüpfen (Compliance-Clawback).124 Für die Geschäftsleiter von Finanzinstituten gelten bestimmte Compliance-Clawbacks seit 2017 schon kraft Gesetzes (s. § 20 Abs. 6 Satz 1, § 18 Abs. 5 Satz 3 InstitutsVergV). In § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AktG sind Clawbacks seit dem Inkrafttreten des ARUG II zum 1.1.2020 zudem für börsennotierte Gesellschaften jeder Branche immerhin gesetzlich anerkannt. Sie werden auch im Deutschen Corporate Governance Kodex empfohlen (s. dort G.11) und ergänzen das übrige Instrumentarium der Vorstandsvergütung, etwa Änderungsvorbehalte oder Malus-Regelungen, die eine Kürzung der noch nicht gezahlten variablen Vergütung vorsehen. Clawbacks sind schließlich auch international verbreitet. So hat die US Securities and Exchange Commission (SEC) im Oktober 2022 eine neue Rule 10D-1 erlassen, nach der Börsenzulassungsregeln die Börsennotierung künftig an eine Clawback-Policy des Emittenten knüpfen müssen, die 121 BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, NZG 2020, 64, 67 Rz. 26 = AG 2020, 95. 122 Umfassende Vorschläge zur Grenzziehung bei Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 285 ff. 123 Seyfarth, WM 2019, 569. 124 Seyfarth, WM 2019, 569, 570 f.; ihm folgend Spindler, AG 2020, 61, 67 Rz. 21; Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 223 f.
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für den Fall einer rückwirkenden Änderung des Jahresabschlusses die Rückforderung zu viel gezahlter variabler Vergütungsbestandteile vorsieht, also einen Performance-Clawback.125 Clawback-Klauseln sind daher heutzutage in der Regel nicht mehr über- 48 raschend. Ihre AGB-rechtliche Zulässigkeit hängt vielmehr wiederum davon ab, wie sie im Einzelnen ausgestaltet sind. Für manche ClawbackKlauseln gilt, weil sie das Gesetz wiederholen, allein das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Das ist der Fall bei einer Klausel, die – wie eine der in Rule 10D-1 verlangten Regelung entsprechende Klausel, sofern sie deutschem Sachrecht unterfällt – nur den Bereicherungsanspruch präzisiert, den die Gesellschaft hat, wenn sie Vergütungsbestandteile ausgereicht hat, obwohl die vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen nicht vorlagen. Auch sonst kommt es bei der Formulierung der Clawback-Voraussetzungen besonders auf Transparenz an. Eine klare Formulierung dürfte bei Performance-Clawbacks, die an das Geschäftsergebnis anknüpfen, einfacher sein als bei Clawbacks, die an Compliance-Verstöße anknüpfen und bei denen auch klarzustellen ist, ob und ggf. in welchem Umfang sie ein schuldhaftes Verhalten des betreffenden Geschäftsleiters voraussetzen.126 Maßstab sind auch bei Clawback-Klauseln die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Geschäftsleiters in einer derartigen Gesellschaft. Auch eine Clawback-Klausel, die komplexe Rechenmodelle zugrunde legt, ist daher zulässig, sofern ein Geschäftsleiter sie bei sorgfältiger, gegebenenfalls wiederholter Lektüre verstehen kann. Clawbacks unterfallen, selbst wenn sie als Vertragsstrafe ausgestaltet 49 sind, nicht dem § 309 Nr. 6 BGB, weil sie nicht an eine Erfüllungsverweigerung des Geschäftsleiters anknüpfen.127 Die Angemessenheit einer Clawback-Klausel ist daher aufgrund einer Interessenabwägung zu beurteilen, bei einem Widerrufsvorbehalt im Rahmen von § 308 Nr. 4 BGB, sonst im Rahmen von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.128 Dabei sind Clawbacks nicht nach dem arbeitsrechtlichen Gedanken „verdient ist verdient“ unwirksam.129 Sie weichen allerdings, wenn die Rückfor125 Zusammenfassung im Fact Sheet „Recovery of Erroneously Awarded Compensation“ (unter https://www.sec.gov/files/33-11126-fact-sheet.pdf, zuletzt abgerufen am 26.1.2023). 126 Seyfarth, WM 2019, 569, 573 f.; Poelzig, NZG 2020, 41, 48 f. 127 Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 235 f. 128 Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 238 f. 129 Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 240 ff.
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derung durch ein Fehlverhalten des Geschäftsleiters ausgelöst wird, in unzulässiger Weise von den Voraussetzungen der Organhaftung ab, wenn sie eine generelle verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Geschäftsleiters begründen.130 Im Übrigen hängt die Angemessenheit von den Voraussetzungen und dem möglichen Umfang der Rückzahlung im Einzelfall ab.131 Das Schrifttum erachtet auch an dieser Stelle Performance-Clawbacks als weniger problematisch als Compliance-Clawbacks.132
V. Fazit und Zusammenfassung in Thesen 50 Der Geschäftsleiter ist Verbraucher. Er ist aber kein gewöhnlicher, sondern ein besonders qualifizierter Verbraucher. Für die AGB-Kontrolle seines Anstellungsvertrags bedeutet dies, dass die Indizien tatsächlich häufiger auf eine Individualvereinbarung hindeuten werden als bei einem gewöhnlichen Verbrauchervertrag. Zudem sind bei der Bewertung einer Klausel als überraschend, bei ihrer Auslegung und bei der Transparenzkontrolle die Verständnismöglichkeiten eines typischen Geschäftsleiters zugrunde zu legen und nicht die eines Durchschnittsverbrauchers. Bei der Inhaltskontrolle im engeren Sinne wiederum muss man die besondere Rechtsstellung eines Geschäftsleiters und insbesondere seine Treuepflicht in Rechnung stellen, ebenso die tatsächlichen Begleitumstände des konkreten Vertragsschlusses. Auf diese Weise lassen sich AGB-Kontrolle und Gesellschaftsrecht in Einklang bringen. Die Annahme eines Vorrangs dispositiven Gesellschaftsrechts133 ist dafür nicht erforderlich, und an das zwingende Recht sind die Vertragsparteien ohnehin gebunden. 51 Im Einzelnen: 1. Der Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft handelt beim Abschluss seines Anstellungsvertrags als Verbraucher i.S.d. § 310 Abs. 3, § 13 BGB. Das gilt auch, wenn er zugleich Mehrheits- oder Alleingesellschafter der Gesellschaft ist, mit der er den Anstellungsvertrag schließt. 130 Poelzig, NZG 2020, 41, 48; abweichend Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 246. 131 Ausführlich hierzu Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 231 ff. 132 Seyfarth, WM 2019, 569, 574 f.; Werner, NZA 2020, 155, 157; Jänsch, Angemessene Vorstandsverträge, 2021, S. 246. 133 Für einen solchen Vorrang aber Stagat, NZA-RR 2011, 617, 622 und im Grundsatz auch Habersack in FS Coester-Waltjen, 2015, S. 1097, 1103.
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2. Ob eine konkrete Klausel als Individualvereinbarung der AGB-Kontrolle entzogen ist (§ 305 Abs. 1 Satz 3 BGB sowie § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB a.E.), bestimmt sich auch bei einem Geschäftsleiteranstellungsvertrag nach den allgemeinen Maßstäben. Die Gesellschaft muss die Klausel ernsthaft zur Disposition gestellt und dem Geschäftsleiter eine reale Möglichkeit, den Klauselinhalt zu beeinflussen und dadurch seine eigenen Interessen zu wahren, eingeräumt haben. Eine Individualvereinbarung liegt in einer GmbH stets vor, wenn der Geschäftsleiter zugleich Alleingesellschafter ist; in einer Aktiengesellschaft besteht in diesem Fall eine tatsächliche Vermutung für eine Individualvereinbarung. In allen übrigen Fällen kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei auch die Verhandlungsstärke des Geschäftsleiters Berücksichtigung finden kann. 3. Bei der Bewertung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung als überraschend (§ 305c Abs. 1 BGB), bei ihrer Auslegung und bei der Transparenzkontrolle (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) sind die Verständnismöglichkeiten eines typischen Geschäftsleiters einer derartigen Gesellschaft zugrunde zu legen und nicht diejenigen eines Durchschnittsverbrauchers. 4. Im Rahmen der Inhaltskontrolle lässt sich den Besonderheiten von Geschäftsleiteranstellungsverträgen bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 308 BGB) und durch die teleologische Reduktion von Klauselverboten ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB) Rechnung tragen. 5. Arbeitsrechtliche Wertungen sind auf Geschäftsleiteranstellungsverträge dagegen nicht allgemein übertragbar und entfalten für deren Beurteilung auch keine Indizwirkung. 6. Gerade aufgrund der Verbrauchereigenschaft des Geschäftsleiters sind bei der Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung die Umstände des individuell-konkreten Vertragsschlusses nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB ergänzend einzubeziehen. Das kann sich auch zum Nachteil des Geschäftsleiters auswirken, etwa wenn dieser über eine besondere Geschäftserfahrenheit oder Verhandlungsstärke verfügt. Eine normalerweise unangemessene Klausel kann dann diesem Geschäftsleiter gegenüber wirksam sein. 7. Insgesamt lassen sich die Besonderheiten eines Geschäftsleiteranstellungsvertrags auch bei einer Einordnung des Geschäftsleiters als Verbraucher, und teils gerade wegen seiner Einordnung als Verbraucher (s. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB), bei der AGB-Kontrolle hinreichend
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berücksichtigen. Die typisierende Grenzziehung zwischen Verbraucher und Unternehmer steht sachgerechten Ergebnissen bei der AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen daher nicht entgegen.
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Bericht über die Diskussion des Referats Lübke Ref. iur. Johannes Mähn, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, EBS Universität Wiesbaden Bereits die kaum von der Hand zu weisende Praxisrelevanz der behan- 1 delten Thematik ließ erahnen, dass es eine intensive Diskussion geben würde. Wenig überraschend trat man daher – nachdem Diskussionsleiterin Prof. Dr. Dörte Poelzig, M.Jur. (Oxon) den Vortrag als „klar strukturiertes und gedankenreiches Referat“ würdigte und die Diskussion eröffnete – in einen angeregten Austausch.
I. Individualvereinbarungen und die Unangemessenheit von AGB-Klauseln Als erster Diskutant zeigte sich Prof. Dr. Tim Drygala (Universität Leip- 2 zig) im Vergleich zur Referentin weniger optimistisch über die Anwendung der AGB-Kontrolle. Von grundsätzlicher Bedeutung sei zunächst, dass die Rechtsprechung das Vorliegen einer Individualvereinbarung i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB stets in Bezug auf jede einzelne Klausel und nicht den Gesamtvertrag prüfe. Sofern man das Vorliegen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen verneinen wolle, müsse die konkret in Streit stehende Klausel individuell ausverhandelt sein. In der Praxis könne der AGB-Kontrolle daher nur schwerlich durch Verhandlungen ausgewichen werden. Darüber hinaus zeigte er sich skeptisch, was eine Berücksichtigung der Erfahrenheit der GmbH-Geschäftsführer im Rahmen der Angemessenheitsprüfung angehe. Die Rechtsprechung setze für die Annahme einer Unangemessenheit nicht allzu hohe Hürden. Außerdem sei eine gewisse Erfahrenheit im Geschäftsverkehr eher die Regel als die Ausnahme. Beide aufgeworfenen Aspekte – die hohen Hürden einer Individualvereinbarung sowie die an eine Unangemessenheit gestellten Anforderungen – verdeutliche die Entscheidung des VII. Senats des BGH aus dem Jahre 2012 zu einer „bring-or-pay-Klausel“.1 Prof. Dr. Julia Lübke, LL.M. (Harvard) wiederholte, dass sie die bisherige 3 Rechtsprechung so deute, dass der BGH Geschäftsleiter als Verbraucher einordne. Das möge zwar, und insoweit stimme sie dem Diskutanten 1 S. BGH, Urt. v. 22.11.2012 – VII ZR 222/12.
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zu, als unbefriedigend empfunden werden. Es sei für die Praxis aber durch eine individuelle Verhandlung der einzelnen Klausel und entsprechende Protokollierung durchaus handhabbar. Die grundsätzliche wirtschaftliche Erfahrenheit von Geschäftsleitern, die sie von sonstigen Verbrauchern und insbesondere von Arbeitnehmern unterscheide, erkannte Lübke an und hob hervor, dass der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle von Geschäftsleiteranstellungsverträgen einen Unterschied zur AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen auch deutlich erkennen lasse.
II. Der GmbH-Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Lichte des Europarechts 4 Sodann ergriff Prof. Dr. Johannes Wertenbruch (Philipps-Universität Marburg) das Wort. Er dankte für den Vortrag, zog allerdings die These in Zweifel, dass arbeitsrechtliche Wertungen auf den Geschäftsleiteranstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers keine Anwendung finden würden. Zwar sei nicht in Abrede zu stellen, dass zivilprozessual der GmbHGeschäftsführer nicht vor dem BAG, sondern dem II. Senat des BGH zu klagen habe. Dies bedeute aber nicht, dass dort kein materielles Arbeitsrecht verhandelt werde. Richtig sei zwar auch, dass das Kündigungsschutzgesetz auf den GmbH-Geschäftsführer keine Anwendung finde. Das Arbeitsrecht als solches gehe aber zweifelsohne über das Kündigungsschutzgesetz hinaus. Gerade mit Blick auf den europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, u.a. in der Rs. Danosa,2 könne kein Zweifel daran bestehen, dass der Geschäftsführer einer GmbH als Arbeitnehmer einzuordnen sei, sofern er – wie beispielsweise ein Fremdgeschäftsführer – weisungsabhängig sei. Ergänzend sei zu beachten, dass zwingendes Gesetzesrecht einer AGB-Kontrolle vorgehe. 5 Lübke erklärte ihre Übereinstimmung mit den Ausführungen zum europäischen Arbeitnehmerbegriff und zur Rechtsprechung des EuGH. Soweit zwingendes Arbeitsrecht auf einen GmbH-Geschäftsführer Anwendung finde, habe dieses richtigerweise Vorrang vor einer AGB-Kontrolle. Der Vortrag habe das Europarecht bewusst ausgeklammert, weil der unionsrechtliche Verbraucherbegriff Personen, die zum Zwecke einer beruflichen Tätigkeit handeln – also auch Arbeitnehmer – insgesamt nicht 2 EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 – Danosa, AG 2011, 165.
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umfasse. Ein GmbH-Geschäftsführer unterfalle daher nicht dem gegenüber § 13 BGB engeren Verbraucherbegriff der Klausel-Richtlinie 93/13/ EWG, unabhängig davon, inwieweit das Unionsrecht ihn als Arbeitnehmer ansehe. Die Einordnung eines Geschäftsleiters als Verbraucher und die dadurch aufkommenden Folgefragen bei der AGB-Kontrolle ergäben sich allein aus dem autonomen deutschen Recht.
III. Differenzierung anhand von § 13 BGB und Einfluss der sozialgerichtlichen Rechtsprechung Laut Prof. Dr. Rafael Harnos (BSP Business & Law School) sei die Ein- 6 ordnung von GmbH-Geschäftsführern als Verbraucher nur schwerlich mit dem Wortlaut des § 13 BGB in Einklang zu bringen. Auch habe er ein Störgefühl dabei, die zunächst generalisierende Einordnung von Geschäftsführern einer GmbH als Verbraucher später durch Einzelfallerwägungen im Rahmen der Inhaltskontrolle wiederum (teilweise) zu entkräften. Anstelle einer Einordnung der GmbH-Geschäftsführer als Verbraucher wäre es konsequenter, unmittelbar am Wortlaut von § 13 BGB („überwiegend“) anzuknüpfen und anhand der aufgeworfenen Kriterien bereits dort zu differenzieren. Zudem wies Harnos auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in 7 Fragen des Insolvenzgeldbezugs hin.3 Das Bundessozialgericht ordnete in seiner Entscheidung den Vorstand einer Aktiengesellschaft als Arbeitnehmer i.S.d. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III ein. Unter Umständen könnten die Erwägungen des Bundessozialgerichts in § 13 BGB fruchtbar gemacht werden. Die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen dürften nicht über eine grundsätzlich erstrebenswerte Vereinheitlichung hinwegtäuschen. Lübke entgegnete, dass im Rahmen von § 13 BGB auf den Zweck abzustellen sei, zu dem die jeweilige Person handele. Ob die gewerbliche oder selbständig berufliche Zwecksetzung überwiege, sei zwar eine Frage des Einzelfalls. Die grundlegende Abgrenzung von selbständiger und unselbständiger Tätigkeit erfordere aber eine Generalisierung.
8
Für die Anregungen aus der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bedank- 9 te sich Lübke, sprach sich aber aufgrund der nur schwer vergleichbaren
3 S. BSG, Urt. v. 3.11.2021 – B 11 AL 4/20 R, AG 2022, 500.
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Regelungszwecke des Verbraucherschutz-, Arbeits- und Sozialrechts für eine getrennte Betrachtung aus.
IV. Einfluss gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten 10 PD Dr. Daniel Könen (Universität zu Köln) stellte den Mehrwert einer Qualifikation des GmbH-Geschäftsführers als Verbraucher in Abrede, sofern die §§ 308, 309 BGB nachfolgend ohnehin wiederum einschränkend auszulegen seien. Außerdem sei ein – der AGB-Kontrolle stets immanentes – Verhandlungsungleichgewicht aufgrund der dem Gesellschafter und der GmbH obliegenden Treuepflichten eher fernliegend. 11 Lübke entgegnete, es sei ihr nicht darum gegangen, in der Qualifikation des GmbH-Geschäftsführers als Verbraucher einen Mehrwert aufzuzeigen. Vielmehr sollte – in Anbetracht der in diese Richtung weisenden Rechtsprechungslinien – verdeutlicht werden, dass eine derartige Einordnung kein Nachteil sein müsse. Die Inhaltskontrolle biete eine Vielzahl von Einfallstoren für angemessene Wertungen im Einzelfall. Auch der Geltung von Treuepflichten könne im Rahmen der Inhaltskontrolle bei der Bewertung der Unangemessenheit Rechnung getragen werden.
V. Zur Zulässigkeit verschuldensunabhängiger Claw-Back-Klauseln 12 Abschließend bedankte sich Prof. Dr. Jochen Vetter (Hengeler Mueller) für den aus seiner Sicht gelungenen Vortrag, „auch wenn er zuvor gehofft habe, man könne als Praktiker das AGB-Recht weitestgehend ausblenden und sich auf das Gesellschaftsrecht konzentrieren“. Letztlich könne die Praxis mit der vorgestellten Differenzierung im Rahmen der Inhaltskontrolle voraussichtlich allerdings gut leben. 13 Vetter ergänzte zu dem Referat, dass die von der Referentin aufgezeigten Lösungsansätze wohl auch bei Koppelungsklauseln mit entsprechend geminderter Abfindung zum Tragen kommen. Der in der Praxis wohl besonders unsichere Fall sei aus seiner Sicht die verschuldensunabhängige Claw-Back-Klausel. Eine Unangemessenheit liege hier wohl bei einem Rückforderungszeitraum von mehr als sechs Jahren nahe. Bei einem Zeitraum von nur zwei oder drei Jahren sei dies hingegen eher nicht anzunehmen. Vor diesem Hintergrund interessierte er sich für die Einschätzung der Referentin zur Zulässigkeit von verschuldensunabhängigen Claw-Back-Klauseln.
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Lübke wies zunächst auf die maßgebliche Beurteilung der jeweiligen 14 Klausel anhand aller Umstände des konkreten Einzelfalls hin. Aus Sicht der Referentin sei die Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Claw-Back-Klausel durchaus möglich. Für eine Zulässigkeit von Performance-Clawbacks – wie in dem im Referat angeführten Beispiel – spreche, dass diesen ein Bereicherungsgedanke zugrunde liege und auch das Bereicherungsrecht eine verschuldensunabhängige Rückabwicklung kenne. Allgemein, also auch bei Clawbacks, die an Compliance-Verstöße anknüpften, dürfte ein geringer Rückforderungszeitraum von beispielsweise zwei Jahren mit Sicherheit ebenso zu einer Zulässigkeit beitragen wie messbare Nachteile für die Gesellschaft (z.B. die Verhängung von Bußgeldern) als Voraussetzung für die Rückforderung. Für die Praxis handele es sich vor allem um eine Abwägungsfrage, bei der auch die Risikobereitschaft der jeweiligen Mandantschaft zu berücksichtigen sei.
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Bilanzgarantien beim Unternehmenskauf Prof. Dr. Gerhard H. Wächter Notar a. D., Universität Leipzig, Rechtsanwalt in Berlin Rz.
Rz. I. Tatbestandsseite von Bilanzgarantien: „Harte“ oder „weiche Bilanzgarantien“? . . II. Rechtsfolgenseite bei Verletzungen von Bilanzgarantien: „Positives Interesse“, „negatives Interesse“ oder „Bilanzauffüllung“? . . . . . . .
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1. Vorschlag 1: Gesetzesanwendung | positives Interesse . . . 2. Vorschlag 2: „Preisdifferenzschaden“ | negatives Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorschlag 3: „Bilanzauffüllung“ | Unrechtsreaktion jenseits des Schadensrechts .
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Im letzten Jahrzehnt wurde auf Konferenzen, etwa den Leipziger M&A Konferenzen, und in zahlreichen Publikationen eine intensivierte dogmatische Diskussion über M&A-rechtliche Fragen geführt. Im Zentrum standen zumeist gesetzesrechtliche Fragen wie Haftung aus c.i.c., Offenbarungspflichten, Wissens- und Verhaltenszurechnung und unterschiedliche Aspekte des Schadensrechts. Gegenstand des heutigen Vortrags sind vertragsrechtliche Fragen auf der Tatbestandsseite und gesetzesrechtliche Fragen auf der Rechtsfolgenseite von Bilanzgarantien1.
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I. Tatbestandsseite von Bilanzgarantien: „Harte“ oder „weiche Bilanzgarantien“? Wenn Bilanzgarantien verhandelt oder später Ansprüche daraus erhoben 2 werden, geht es auf der Tatbestandsseite fast immer um eine Alternative, die herkömmlich als Gegensatz von „harter“ und „weicher“ Bilanzgarantie markiert wird. Im Gebrauch sind auch die Ausdrücke „absolute“ vs. „relative“ Bilanzgarantie oder andere Termini.2 Hierbei geht es 1 Der Vortragsstil wurde beibehalten. Mit „Bilanzgarantien“ wird dem allgemeinen Sprachgebrauch gefolgt. Genauer wäre „Abschlussgarantien“. Garantien der Gewinn- und Verlustrechnung sind mitgemeint. 2 Der Gegensatz zwischen „harten“ und „weichen“ Bilanzgarantien ist nicht zu verwechseln mit dem Gegensatz zwischen „subjektiven“ und „objektiven“
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Wächter – Bilanzgarantien beim Unternehmenskauf
vor allem um die (durchaus erstaunliche) Frage, ob durch eine Bilanzgarantie eine „härtere“ oder „absolutere“ Aussage garantiert wird als durch die ihr zugrunde liegende Bilanz. Nun sind die zugrunde liegenden Bilanzaussagen ja gesetzlich nach dem jeweiligen Bilanzrecht „codiert“ und besitzen daher immer genau die „Härte“ oder „Absolutheit“, die das Bilanzrecht der Verknüpfung eines bilanzierten Gegenstandes oder Geschäftsvorfalles mit einem Geldansatz in der Bilanz oder GuV zuweist – nicht mehr und nicht weniger. Der wichtigste Aspekt dieses Codes ist dabei, dass von dem Bilanzersteller nur erwartet wird, dass er die ihm zu einem bestimmten Informationsstichtag (dem „Werterhellungsstichtag“) bekannten bzw. die sich an diesem Stichtag pflichtgemäß zu beschaffenden Informationen berücksichtigen muss (was er ja auch nur kann).3 Insofern sind Bilanzaussagen – im herkömmlichen Sprachgebrauch bleibend – relativ „weich“. Die Frage schon bei Vertragsverhandlungen ist also ob man den Verkäufer als Garantiegeber (häufig eine andere Person als den Bilanzersteller!) – durch welche „magischen“ Formulierungen? – in eine Haftung für Aussagen bringen kann, die man dem Bilanzersteller bei seiner früheren Aussage definitiv nicht unterstellen kann. Die Frage bei Post-M&A-Streitigkeiten ist, ob der Käufer in casu mit diesem Vorhaben reüssiert hat. 3 Bei beiden Fragen geht es natürlich um individuelle kautelarjuristische Klauseln, über die sich jenseits einer konkreten Klausel wenig sagen lässt. Allerdings gibt es eine Konstante, die doch ein sinnvolles pauschalierendes Nachdenken über den „harten“ oder „weichen“ Charakter von Bilanzgarantien in einem gewissen Umfang ermöglicht: Es gibt nämlich immer ein Nebeneinander von zwei Aussagenebenen, den (i.d.R. früheren) Bilanzaussagen des Bilanzerstellers, zumeist der Geschäftsleitung, in der Bilanz, und der (i.d.R. späteren) Garantieaussage des Unternehmensverkäufers als Garantiegeber. Ausgehend hiervon können jedenfalls aussagelogische Überlegungen angestellt werden, ohne dass es auf Formulierungen der Einzelklausel ankommt. Diese könBilanzgarantien überhaupt; wir gehen unten kurz darauf ein. Siehe dazu ausführlicher Wächter, M&A Litigation 4. Aufl. 2022, S. 208 f. 3 Welche Pflichtenanspannung hier zu erwarten ist, dürfte sich implizit aus dem Bilanzrecht ergeben oder aus den allgemeinen Pflichten eines Geschäftsleiters. Theoretisch können diese von den allgemeinen gesetzlichen Pflichten abweichen, die im Hintergrund des Vorsatzbegriffes bei der gesetzlichen Verschuldenshaftung oder den vertraglichen Pflichten stehen, die im Hintergrund des in vielen M&A-Verträgen verwendeten Begriffes von „Kenntnis“ bzw. „bester Kenntnis“ stehen.
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nen deutlich machen, welche Hürden eine Partei überwinden muss, um erfolgreich eine „harte“ Bilanzgarantie in einen Vertrag hinein zu verhandeln oder sich darauf berufen zu können, dass ihr das gelungen ist. Nur um diese geht es im Folgenden. Die Garantien in M&A-Verträgen, auch die Bilanzgarantie, sind Aus- 4 sagegarantien. Das bedeutet, dass das Unrecht, die Garantieverletzung, schon und nur in der Unrichtigkeit der aufgestellten Aussage liegt. Es ist also sowohl irrelevant, ob der Autor der Aussage, den aussagewidrigen Zustand selbst herbeigeführt hat als auch ob er die Unrichtigkeit seiner Aussage gekannt hat.4 Eine Bilanzgarantie wirft nun zwei Ebenen auf, auf der Aussagen richtig (oder falsch) sein können. Wir unterscheiden aussagenlogisch Aussagen erster Ordnung und Aussagen zweiter Ordnung oder „Meta-Aussagen“. Aussagen erster Ordnung beziehen sich auf alles, was nicht schon selbst eine Aussage ist und nur darauf. Stellen wir uns vor ein Autor A sagt – als Aussage erster Ordnung – den schönen Satz „Die Welt ist rosa“. Wir nehmen nun einen Autor B hinzu, der sagt „Die Aussage von Autor A ist zu 100 %“ richtig!“ Er mag diese Aussage auch beschwören oder sie – praktischer – durch Begründung einer persönlichen Schadensersatzhaftung5 – garantieren. Es versteht sich hier von selbst, dass diese Meta-Aussage von B den Inhalt der Aussage von A um keinen Deut abändert. Es bleibt dabei, dass die Welt rosa sein soll. Niemand würde B unterschieben (und man kann es auch nicht), dass B gesagt habe „Die Welt ist dunkelrot“. Im M&A-Kontext mögen Aussagen erster Ordnung fallen wie „das Si- 5 lo … ist mit 20t marktgängigem Mais gefüllt“, „es gibt auf dem Grundstück … keine sanierungspflichtigen Altlasten“ oder „der Bilanzansatz 4 Es geht also zunächst weder um „Handlungsunrecht“ als „Verschlechterungsunrecht“ noch als „Täuschungsunrecht“ oder als „Verschulden“. Wenn „subjektive“ Garantien vereinbart werden, einschließlich subjektiver Bilanzgarantien, werden lediglich die Haftungsvoraussetzung verengt, indem neben der Aussagenunrichtigkeit die subjektive Kenntnis des Garantiegebers als zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung gefordert wird. In Abgrenzung von dem „Verschulden“ bei der gesetzlichen Haftung wird bei einer originär vertraglichen Haftung oft „Kenntnis“ oder „beste Kenntnis“ verwendet. „Vorsatz“ und „Kenntnis“ werden in der Praxis meist parallel ausgelegt; die Parteien wären jedoch frei, bei der vertraglichen Haftung den Begriff „Kenntnis“ abweichend von „Vorsatz“ zu definieren (etc.). 5 Nach der wohl zutreffenden h.M. ist Schadensersatz die Rechtsfolge einer Garantieverletzung.
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für das Gebäude, in dem sich die Produktion der Gesellschaft befindet, ist … Euro“, wobei letzteres schon eine Bilanzaussage ist (eine nach dem Bilanzrecht codierte Aussage, deren wesentliches Prädikat also ein Geldbetrag ist, dessen Bedeutung nur mithilfe des Bilanzrechts entschlüsselt werden kann). 6 Aussagen zweiter Ordnung beziehen sich nun nur auf andere Aussagen. Etwa sagt Autor B in einem Vertrag: „Ich garantiere, dass die Aussage von Autor A, dass das Silo … mit 20t marktgängigem Mais gefüllt ist, richtig ist“ oder „Alle Informationen im Datenraum sind im Wesentlichen richtig, vollständig und nicht irreführend“ oder eben „der Jahresabschluss zum 31.12.2021 entspricht den für ihn geltenden bilanzrechtlichen Vorschriften“, womit wir eine mögliche Formulierung einer Bilanzgarantie haben.6 7 Ausgehend von unserem Beispiel (durch Richtigkeitsbestätigung wird aus rosa nicht dunkelrot) können wir schon den Kern des aussagenlogischen Problems von sog. „harten“ Bilanzgarantien formulieren: Was immer der Inhalt einer Aussage erster Ordnung sein mag, er kann durch eine Richtigkeitsaussage zweiter Ordnung eigentlich nie abgeändert bzw. „verhärtet“ werden. Wenn also eine Bilanzaussage sachlich-inhaltlich „weich“ war, so kann sie durch eine bloß ihre Richtigkeit bekräftigende Meta-Aussage keine „Verhärtung“ ihres sachlichen Inhalts erfahren. Der Umstand, dass ein zweiter Sprecher zustimmt und ggf. die Intensität des Versicherns der Wahrheit der ersten Aussage steigert bzw. sogar durch Übernahme einer rechtlichen Haftung ins Risiko geht, berührt den Inhalt der ersten Aussage nicht. Deshalb kann etwa eine Bilanzaussage (in 6 Im Hinblick auf die spätere Diskussion des Vortrags am 4.11.2022 weise ich vorgreifend darauf hin, dass die Garantie einer Bilanz auch hinsichtlich der GuV nur das garantiert, was sie garantiert. Sie garantiert also nur die Erträge und Aufwände der Berichtsperiode des jeweiligen Abschlusses, aber nicht der Perioden davor und erst recht nicht in der Zukunft. Sicher wird der Käufer sehr genau auf die Ergebnisse der abgelaufenen Periode in der GuV schauen (und ebenfalls auf die Berichtsperioden davor), um seine Unternehmensplanung für die Zukunft und Bewertung darauf „aufzusetzen“ oder sogar einen Kaufpreis in Höhe irgendeines Vielfachen einer daraus abgeleiteten Erwartung, z.B. eines nachhaltigen EBITDA, als Kaufpreis anzubieten. Aber auch durch diese Verwendung der Garantie des Ergebnisses einer Periode wird die in einer Abschlussgarantie enthaltene GuV-Garantie keine Garantie, dass nachhaltig ein bestimmter Umsatz oder ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden wird. Dass es für den Unternehmenswert v.a. hierauf ankommt, ändert daran nichts.
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der folgenden linken Spalte) durch eine bloße Richtigkeitsgarantie keinesfalls (im Sinne der folgenden rechten Spalte) „verhärtet“ werden. Bilanzaussage
Garantieaussage
Die Aktiva besitzen bestimmte Buchwerte.
Die Verkehrswerte der Aktiven entsprechen diesen Buchwerten.
Es gibt keine Wertberichtigungen von Vorräten und Forderungen.
Die Vorräte sind zu Bilanzansätzen verwertbar bzw. die Forderungen sind einbringlich.
Es sind keine Rückstellungen passiviert. Risiken, die später zu Auszahlungen oder Einzahlungsminderungen führen, existieren nicht.
Es ist nun allerdings noch ein weiterer Aspekt anzusprechen, der bei 8 vielen Diskussionen eine Rolle spielt: Weltzustände und ihre Änderungen – dazu gehört auch die Erlangung von Informationen durch Menschen – liegen in der Zeit. Bei Bilanzen kommt die Zeit auf in unserem Zusammenhang relevante Weise zweimal ins Spiel, zum ersten Mal durch den Bilanzstichtag, für den die Bilanz als Geltungsstichtag eine Aussage macht, und zum zweiten Mal durch den „Werterhellungsstichtag“, der als Informationsstichtag für die von dem Bilanzersteller pflichtgemäß heranzuziehenden Informationen maßgeblich ist. Einige Autoren scheinen sich nun vorstellen zu wollen – obwohl das Argument i.d.R. nicht präzise entwickelt wird – dass, während der Bilanzstichtag in der Bilanzaussage und der Bilanzgarantie derselbe bleibt, der die später die Garantie abgebende zweite Autor, den Werterhellungsstichtag dadurch zeitlich in Bewegung bringt und gewissermaßen zu dem Zeitpunkt seines Sprechens hin „ansaugt“. Die Garantieabgabe durch den Verkäufer beim Signing würde insofern den für die Bilanz (ganz klar geltenden) ursprünglichen historischen Werterhellungsstichtag für die Garantieaussage derogieren und – nur für die Garantie – einen zweiten, späteren Werterhellungsstichtag setzen. Dadurch würde der zweite Autor, das ist der Gedanke, im Ergebnis den Inhalt seiner Aussage gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Bilanzaussage abändern. Während nämlich der Bilanzersteller aus Sicht seines historischen Werterhellungsstichtages sprach, würde der garantierende Verkäufer aus Sicht des Tages seiner Garantieabgabe als quasi eines neuen Werterhellungsstichtages (nur für seine Garantie) sprechen.
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9 Das konstruktive Mittel zur „Verhärtung“ der Bilanzaussage wäre also der Austausch des Werterhellungsstichtages der Bilanzaussage bei Aufrechterhaltung ihres sachlichen Inhaltes im Übrigen (wodurch eine sachliche Verhärtung der Aussage im Sinne der vorstehenden Tabelle erübrigt wird). Hierdurch – das ist ein klarer Vorteil der Sichtweise – würde nun immerhin relativ eindeutig werden, was mit der gewünschten „Verhärtung“ gemeint ist. Der (gewissermaßen „materielle“) Code des Bilanzrechts würde uneingeschränkt weiter für die Verschlüsselung und Entschlüsselung der Aussagen gelten und die „Verhärtung“ bestünde ausschließlich in der Verschiebung des Werterhellungsstichtags auf die Garantieabgabe (für Zwecke der Garantieabgabe).7 Die Bilanzgarantie würde dann sagen; „ich garantiere, dass die [am 1. April 2021 aufgestellte] Bilanz genauso hätte aufgestellt werden dürfen, wenn der Werterhellungsstichtag heute, bei meiner Garantieabgabe wäre“. 10 Eine solche Garantie kann natürlich aus Käufersicht wirtschaftlichen Sinn machen und wünschenswert sein. Die Frage ist nur, wie die Garantieaussage formuliert sein muss, um diesen tiefen Eingriff zu rechtfertigen. Da das Bilanzrecht die Pflicht zur Berücksichtigung von bilanzrechtlich relevanten Umständen ausschließlich auf den (historischen) Werterhellungsstichtag für die Bilanz bezieht, ist nämlich dieser historische Werterhellungsstichtag mindestens implizit als Referenz Teil von 7 Übrigens ist auch hier nicht völlig eindeutig, was mit der gewünschten „Verhärtung“ gemeint ist. Unklar bleibt z.B. wie „wertändernde Umstände“ zu behandeln sind. Nach dem Bilanzrecht dürfen solche „wertändernden Umstände“, auch wenn sie dem Bilanzersteller bis zum Werterhellungsstichtag bekannt werden oder bekannt werden müssten, nicht berücksichtigt werden (was bedeutet, dass die richtige Bilanz möglicherweise aufgrund von Wertänderungen nach dem Bilanzstichtag eingetretene erhebliche Verschlechterungen nicht zeigt). Das Interesse eines Unternehmenskäufers wird aber dahingehen, dass die Garantie ihn auch gerade vor solchen „wertändernden Umständen“ bewahrt. Dies ist aber mit der Konstruktion, dass mit der Garantie stillschweigend der „Werterhellungsstichtag“ der garantierten Aussage ausgetauscht worden sei, nicht erreichbar. Um diesem Interesse des Käufers zu genügen, müsste dann auch der Bilanzstichtag verschoben worden sein, was argumentativ noch weniger vertretbar erscheint. Weiter stellt sich die Frage, auf wessen Kenntnisse es nach dem neuen Werterhellungsstichtag ankommen soll. Nach dem historischen Werterhellungsstichtag kam es auf das (aus dem Bilanzrecht abzuleitende) Kennen und Kennen-Müssen des Bilanzerstellers an. Es müsste erfolgreich argumentiert werden können, dass es hingegen bei dem für Zwecke der Garantie verschobenen Werterhellungsstichtag nun auf das Kennen und Kennen-Müssen des Garantiegebers ankommen soll.
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Bilanzaussagen. Daher dürfte nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung eine einfache auf die Bilanz bezogene Richtigkeitsaussage keineswegs ausreichen, den Inhalt der Aussagen der Richtigkeitsgarantie auf einen neuen, späteren Stichtag umzustellen. Wenn ein Käufer eine Garantie in diesem (durchaus präzisen) Sinne erhalten möchte, wird er also eine in diesem Sinne klare Formulierung im Vertrag durchsetzen müssen. Misslingt dies (oder hat er es gar nicht in den Verhandlungen versucht), so dürfte der Käufer auch in einem späteren Rechtsstreit mit dem Ansinnen scheitern, die Verkäufergarantie so auszulegen als ob sie zu einem von dem historischen Werterhellungsstichtag abweichen „Quasi-Werterhellungsstichtag“ gelten würde. Als Ergebnis zur Tatbestandsseite kann formuliert werden: 1. Die Richtigkeitsaussage ändert den Inhalt der Aussage erster Ordnung generell nicht. 2. Das gilt auch für die Geltung der Bilanzaussage per Werterhellungsstichtag. Die Geltung der Bilanzaussage aus Sicht des historischen Werterhellungsstichtages wird durch die Richtigkeitsaussage zweiter Ordnung nicht abgeändert. 3. Eine Bilanzgarantie sagt daher normalerweise sachlich nur: „Es liegen per Garantieabgabe keine Erkenntnisse vor, nach denen der historische Bilanzersteller bereits am historischen Werterhellungsstichtag der Bilanz Kenntnisse hatte oder sich hätte beschaffen müssen, aufgrund derer er die Bilanz hätte anders aufstellen müssen“. Die Bilanzgarantie bewirkt also normalerweise nur, dass der Verkäufer für Fehler des Bilanzerstellers bei der Erstellung haftet. Die üblichen Bilanzgarantien sind daher – im Sinne des Sprachgebrauchs – „weich“. 4. Um das wirtschaftliche Ergebnis zu erreichen, das mit der „harten Bilanzgarantie“ verfolgt wird, muss der Garantiegeber hinreichend erkennbar dafür einstehen wollen, entweder dass die Bilanz nach bestimmten „härteren“ (wohl anzugebenden) Maßstäben richtig war als nach den Maßstäben, nach denen sie (gemäß dem Code des Bilanzrechts) am historischen Werterhellungsstichtag zu erstellen war, oder dass die Bilanz, die zum historischen Werterhellungsstichtag erstellt wurde, auch richtig gewesen wäre, wenn sie zum Stichtag der Garantieaussage als Werterhellungsstichtag erstellt worden wäre.8
8 Zu „weichen“ und „harten“ Bilanzgarantien s. ergänzend ausf. Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 230–287.
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II. Rechtsfolgenseite bei Verletzungen von Bilanzgarantien: „Positives Interesse“, „negatives Interesse“ oder „Bilanzauffüllung“? 11
Einige Publikationen, darunter solche des Autors, haben sich im letzten Jahrzehnt gegen die sog. „Bilanzauffüllung“ als Rechtsfolge der Verletzung von Bilanzgarantien gewandt. Diesen Bemühungen ist ein gewisser Erfolg in der Literatur und Rechtsprechung9 nicht versagt geblieben. Allerdings wurde den Kritikern der Bilanzauffüllung parallel zu ihren Erfolgen immer mehr bewusst, dass sie selbst unterschiedliche Auffassungen dazu hatten, welche Rechtsfolge an die Stelle der „Bilanzauffüllung“ treten sollte.10 Hier soll ein Überblick über diesen Streits über die „richtige“ Rechtsfolge bei der Verletzung von Bilanzgarantien gegeben werden, wobei auf die „Bilanzauffüllung“ erst am Ende eingegangen wird.
1. Vorschlag 1: Gesetzesanwendung | positives Interesse 12 Es kann pauschalierend gesagt werden, dass eine Gruppe von Autoren, zu der der hiesige Autor gehört, die Auffassung vertreten, dass die Verletzung einer Bilanzgarantie – wie überhaupt jede Verletzung eines Garantie- oder Erfüllungsanspruches – zum „positiven Interesse“ führen muss.11 Dabei ist der hiesige Autor der Auffassung, dass es der Hinzufügung des Adjektivs „positiv“ eigentlich nicht bedarf, sondern es völlig ausreichen würde zu sagen, dass überhaupt das „Interesse“ zu gewähren ist. Da nun das deutsche Schadensrecht in § 249 Abs. 1 BGB vorsieht, dass als Schaden immer eben genau das – das Interesse – zu gewähren ist, bedeutet das, dass überhaupt kein Zwischenbegriff zwischen die Feststellung einer Nichterfüllung oder Unrichtigkeit der Garantie und den zu gewährenden Schaden gestellt werden muss; m.a.W.: die einfache Gesetzesanwendung (der § 249 ff. BGB) wird das richtige Ergebnis „auswerfen“.
9 Z.B. OLG Frankfurt v. 7.5.2015 – 26 U 35/12, ZIP 2016, 774. Dazu Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 765 ff., S. 766. 10 Siehe hierzu erneut OLG Frankfurt v. 7.5.2015 – 26 U 35/12, ZIP 2016, 774, das als Rechtsfolge der Verletzung der Bilanzgarantie das negative Interesse gewährt. Dazu und zu LG Stuttgart v. 20.5.1996 – 5 KfH O 45/94 – Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 748 ff., 765 ff., S. 766. 11 Nachweise bei Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 751, Fn. 399.
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Dabei ist der Wortlaut der § 249 Abs. 1 BGB und § 251 BGB zwar extrem 13 komprimiert, aber zugleich inhaltlich äußerst gelungen, weitsichtig und geradezu „wirtschaftsaffin“ (oder sogar „unternehmenswertaffin“).12 Dieser Wortlaut des § 249 Abs. 1 BGB lautet bekanntlich: „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“ (Kursivdruck hinzugefügt)
Es ist also als Schadensersatz ein realer Zustand zu schaffen oder herzu- 14 stellen (was wie ein „Werk“ klingt), der sich ohne einen Umstand, der pflichtwidrig war, von selbst herausgebildet hätte. Das kann man, wie schon gesagt, „das Interesse“ nennen. Die Frage „positives“ oder „negatives“ Interesse ist insofern keine Frage zweier paralleler, alternativer oder gar in Gesetzeskonkurrenz oder Subsidiarität etc. stehenden Normenkomplexe, sondern es ergibt sich aus derselben Norm (des § 249 Abs. 1 BGB) in Abhängigkeit von der Fallkonstellation und der Art des pflichtwidrigen Umstands, welche Rechtsfolge zu gewähren ist. Juristen können danach solche Rechtsfolgen nach Ähnlichkeiten, wie Insekten in einem Glaskasten, als Gewährung des positiven oder negativen Interesses klassifizieren, aber das für die Falllösung nicht erforderlich. Um das gesetzliche Schadensrecht richtig anzuwenden, muss man also gar nicht wissen, ob man das positive oder negative Interesse gewährt, sondern die korrekte Wortlautanwendung löst alles von selbst. Wenn man einen pflichtwidrigen „Umstand“ in § 249 Abs. 1 BGB „einsetzt“, kommt automatisch ein dazu passender herzustellender „Zustand“ heraus … (Ist man sich dessen bewusst, kann man natürlich wieder sagen, dass das „positive Interesse“ oder „negative Interesse“ gewährt wird.) Bei einer einfachen Garantie, einer Garantie, die weder eine Aussage 15 über eine Aussage, noch eine Aussage im Code des Bilanzrechts trifft, z.B. „die Maschine gehört der Zielgesellschaft und ist funktionsfähig“, geht der Gedankengang bei der Anwendung des § 249 Abs. 1 BGB dann so: Der pflichtwidrige Umstand ist, dass die Maschine nicht vorhanden oder defekt ist. Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Garantiegläubiger als Rechtsfolge so zu stellen als ob z.B. die Maschine damals funktionsfähig vorhanden gewesen wäre, demnach die Welt anders gewesen wäre als sie wirklich war, nämlich aussagekonform.13 Insoweit ist der heutige 12 Siehe ausf. Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 617–659. 13 Zugespitzt gesagt: So als ob die Welt der falschen Aussage, der Prahlerei, entsprochen hätte!
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Weltzustand gewissermaßen zur Garantieaussage zu „ziehen“. Allerdings muss man präzisierend hinzufügen, dass er dorthin zu „ziehen“ ist, wohin sich die Welt bis heute aus einem aussagekonformen Weltzustand entwickelt hätte. 16 In der Sache erfordert das regelmäßig die Beschaffung einer funktionsfähigen Maschine, was durch den Ersatz von Beschaffungskosten gelingt. Das stellt modal noch eine Naturalherstellung nach § 249 Abs. 1 BGB dar. Häufig wird die Welt heute aber auch deshalb von dem „Zustand ohne den Umstand“ (kein Gesetzeszitat) abweichen, weil – wegen des Fehlens oder des Defekts der Maschine – ihr operativer Beitrag zur Produktion ausfiel und der Ausstoß und ggf. Umsatz niedriger bzw. das Ergebnis schlechter war als bei Richtigkeit der Aussage. Die Naturalherstellung nach § 249 Abs. 1 BGB ist dann „zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend“ (§ 251 Abs. 1 BGB) weshalb die Wertentschädigung nach § 251 BGB (oft zusätzlich) einspringt. Um exakt den Zustand herzustellen, der sich ohne den pflichtwidrigen Umstand herausgebildet hätte, sind nun auch – das ist die wirtschaftliche Essenz – entgangene Umsatzerlöse zu ersetzen, einschließlich solcher (die noch durch entgangenen Ausstoß, der in Lägern liegen würde), generiert worden wären, jedoch abzgl. ersparter Aufwendungen (Energie, Personalkosten, Material etc.). Der zu erstattende Betrag umfasst neben dem entgangenen Gewinn, der (nur) deklaratorisch in § 252 BGB besonders genannt wird, auch die Deckung der Kosten, die nicht erspart werden konnten, z.B. Gemeinkosten. Etwaige Folgeschäden für den Garantiegläubiger, die u.U. gar nicht im Zahlenwerk des verkauften Unternehmens reflektiert werden, sind auch zu erstatten. 17 Bei einer Bilanzgarantie ändert sich gegenüber einer einfachen Garantie nur, dass die Bilanzaussage eben im Code des Bilanzrechts verschlüsselt ist. Das führt zunächst noch einmal zum Tatbestand der Garantie zurück. Es fragt sich, was z.B. ein Bilanzansatz für eine Maschine aussagt und welchen tatsächlichen Aussagehalt die Garantie der Bilanz (mit dem Bilanzwert) besitzt. In der Praxis ergeben sich hierbei durchaus Anwendungsprobleme. So wird man z.B. oft in einer Bilanz gar keinen individuellen Bilanzansatz für eine fehlende oder defekte Maschine finden. Der Anspruchsteller muss dann im Prozess (irgendwie) für ein Gericht überzeugend rekonstruieren, dass die Maschine dennoch mit einem bestimmten Betrag in den Bilanzwert des maschinellen Anlagevermögens eingegangen ist. Scheitert das, kommt möglicherweise schon hier die
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Erhebung von Ansprüchen wegen Verletzung einer Bilanzgarantie zu einem abrupten Ende. Gelingt es, so muss der Anspruchsteller im nächsten Schritt die Bilanzaussage, dass „Eingegangen-sein“ der Maschine mit dem bestimmten Betrag (durch Rückgängigmachung der bei der Bilanzierung vorgenommenen Verschlüsselung) decodieren. Er wird i.d.R. sagen können, dass der Ansatz bedeutet, dass die Maschine im Eigentum, jedenfalls wirtschaftlichen Eigentum, der Zielgesellschaft stehen musste und dass sie vorhanden war. Stellt sich nun heraus, dass die Maschine einem Dritten gehörte oder dass sie gar nicht existiert, so war die Bilanz schon deshalb falsch.14 Wenn der prospektive Anspruchsteller zeigen kann, dass der Bilanzansatz für die Maschine nur die ordentlichen Abschreibungen über die Jahre reflektiert, aber keine Sonderabschreibungen, wird er die Bilanzaussage i.d.R. auch dahingehend entschlüsseln können, dass die Maschine funktionsfähig zu sein hatte. So gewappnet kehrt der Anspruchsteller, i.d.R. der Käufer, zur Rechtsfol- 18 genseite zurück: Der pflichtwidrige Umstand ist also hier das Fehlen oder der Defekt der Maschine, erneut die Abweichung des Weltzustandes von der Bilanzaussage. Die Rechtsfolge ist dann – ganz wie bei der einfachen Garantie – die Herstellung des Zustandes, der „bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre“, also zunächst die Naturalherstellung (einer vorhandenen und funktionsfähigen Maschine) nach § 249 Abs. 1 BGB und die Wertentschädigung etwaiger entgangener Umsatzerlöse (abzgl. ersparter Aufwendungen) nach § 251 BGB sowie etwaiger Folgeschäden. Man sieht hier, wie die schadensrechtliche bzw. wirtschaftliche Real-Logik der § 249 ff. BGB ganz schnell wegführt von der Logik des Bilanzrechts; die betragliche Differenz zwischen dem richtigen und falschen Bilanzansatz spielt überhaupt keine Rolle. Waren weniger oder qualitativ schlechtere Vorräte vorhanden als die Entschlüsselung der Bilanzaussage ergibt, etwa weniger oder fauler Mais im Silo, so sind ebenfalls grundsätzlich die fehlenden oder qualitativ garantiekonformen Vorräte zu beschaffen (ggf. im Austausch). Eine etwaige zusätzliche oder ersatzweise Wertentschädigung setzt zusätzlich voraus, dass die Zielgesellschaft bei einem historischen Vorhandensein der 14 Zugespitzt: Wenn der Käufer nachweisen kann, dass ein Gegenstand in eine Bilanzposition eingegangen ist, gibt ihm die Bilanzgarantie automatisch dasselbe, was ihm die Garantie des Eigentums oder der Inhaberschaft des Gegenstandes gegeben hätte.
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Vorräte heute wirtschaftlich besser stünde als es die (ja zwangsläufig später erfolgende) Naturalherstellung bewirken kann. Es kommt hier auf eine etwaige Änderung von (realen) Verwertungsmöglichkeiten der Vorräte an. War der Verkaufspreis für den Mais damals höher, so ist als Wertentschädigung der Mehrbetrag zu zahlen, der mit dem damals vorhandenen Mais erzielbar gewesen wäre. Verschlüsselt eine garantierte Bilanz das Vorhandensein einer bestimmten Zahl qualitativer einwandfreier Ladekabel für Computer, während diese nicht in der Zahl oder nur defekt vorhanden waren, so ist neben der Naturalherstellung15 ebenfalls Wertentschädigung nach § 251 BGB für Mehrerlöse zu zahlen, die in der Vergangenheit erzielbar gewesen wären. Dabei ist nun freilich zu berücksichtigen, ob die Ladekabel inzwischen durch Modellwechsel der Endgeräte wirtschaftlich entwertet wurden; in letztem Fall sind nur Mehrerlöse für den Teil der Vorräte zu zahlen, die realistischerweise noch vor oder trotz des Modellwechsels verwertbar gewesen wären. Auch hier ist der betragliche Unterschied zwischen dem richtigen und falschen Bilanzansatz unerheblich. Es kommt auf ganz andere (teils hypothetische) Abläufe an, wie man es auch sonst aus dem Schadensrecht kennt. 20
Wurde eine rechtlich nicht existente Forderung aktiviert, so ist ihr Nominalbetrag nur dann als Schadensersatz zu gewähren, wenn der Schuldner der Forderung nicht unvorhersehbar insolvent wurde.
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Abschließend ein Beispiel von der Passivseite der Bilanz: Wurde zu Unrecht eine Rückstellung nicht passiviert, so ist nur Schadensersatz zu leisten, wenn die Rückstellung später nicht gewinnerhöhend aufgelöst werden konnte. Z.B. führt eine pflichtwidrig unterlassene Prozessrückstellung nur dann zu einem ersatzpflichtigen Schaden, wenn der Prozess wirklich verloren wird. Oder sie führt nur in der Höhe dazu, in der der Prozess verloren wurde und Kosten anfielen.
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Insgesamt sollen diese Betrachtungen deutlich machen, dass die unter der Überschrift „positives Interesse“ vorgeschlagene Lösung, die eigentlich nur eine einfache Wortlautanwendung der §§ 249 ff. BGB darstellt, 15 Diese ist aufgrund des Primats der Naturalherstellung immer zuerst zu leisten und zwar grundsätzlich sogar, wenn der Berechtigte durch die Ersetzung der zu einer Ersatzbeschaffung erforderlichen Kosten finanziell bessergestellt wird als er ohne den pflichtwidrigen Umstand stehen würde, freilich nur in den Grenzen der § 249 ff. BGB.
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sich systematisch bruchlos in die schadensrechtliche und wirtschaftliche Logik einfügt. Das bedeutet freilich nicht, dass, gerade weil der Gesetzeswortlaut dazu auffordert hypothetischen wirtschaftlichen Realentwicklungen nachzuspüren, hierdurch nicht gelegentlich schwierige oder verzwickte wirtschaftliche und Kausalitätsfragen der Art aufgeworfen würden, wie man sie auch sonst aus dem Schadensrecht kennt. Es sind dies aber Fragen, die, wie man sagen könnte, im „richtigen Dschungel“ liegen und deren Bearbeitung eine notwendige Durchgangsetappe zur rechtlich und wirtschaftlich adäquaten Lösung darstellt. Wir haben schon erwähnt, dass die Nominalbeträge der Bilanzansätze 23 zwar bei der Feststellung der Bilanzunrichtigkeit entscheidend sind, aber bei der Bemessung der Schadenssanktion keine Rolle spielen. Sie werden nur in tatsächliche Aussagen decodiert, mit denen weitergearbeitet wird. Das gilt sogar, wenn es um Beträge erwarteter Einzahlungen (Forderungen) oder Auszahlungen (Rückstellungen) geht. Insbesondere kann die Höhe des Schadensersatzes über oder ggf. auch unter dem Betrag liegen, um den das Eigenkapital durch die unrichtige Bilanzierung fälschlich höher ausgewiesen wurde. Das ist schadensrechtlich völlig schlüssig, wenn man die Bilanz als System von tatsächlichen Aussagen ansieht, aber es mag nichtsdestoweniger hier oder da als befremdend empfunden werden. Der BGH hat sich nie eindeutig und umfassend mit den Rechtsfolgen von Garantieverletzungen, erst recht nicht bei Bilanzgarantien, beschäftigt. Drei ältere Entscheidungen, die in der Nähe des Themas liegen, deuten aber durchaus in die Richtung der Gewährung des positiven Interesses im vorstehend vertretenen Sinne.16
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2. Vorschlag 2: „Preisdifferenzschaden“ | negatives Interesse In den Zeiten der Begriffsjurisprudenz und des Positivismus (in der in 25 Deutschland überall Justizpaläste errichtet wurden) hätte der soeben vorgestellte Ansatz wahrscheinlich dem herrschenden Erwartungsstil an Schadensdogmatik recht gut entsprochen; möglicherweise wäre er schon deshalb bevorzugt worden. Mit dem Rückgang der Macht der 16 Siehe die sehr lesenswerten Entscheidungen BGH v. 29.2.20184 – IVa ZR 188/82, NJW 1984, 2570; BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 72/99, ZIP 2002, 895 und BGH v. 15.3.2006 – VIII ZR 120/04, ZIP 2006, 1351 = GmbHR 2006, 1042. Freilich sollte man hieraus nicht zu viel ableiten.
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Dogmatik in Rechtslehre und Rechtsprechung und zugleich mit dem Rückgang der dogmatischen Ausprägung des Rechts, seiner „Dogmatizität“ selbst,17 wurden aber andere Begründungszusammenhänge legitim und prävalent. Dazu gehört die Praktikabilität. Und hier liegt, wie schon bei der sog. „Bilanzauffüllung“, ein eindeutiger (wenn auch fragwürdiger) „Vorteil“ des sog. „Preisdifferenzschadens“. Die richterliche Bestimmung einer vermeintlichen „Preisdifferenz“ ist nämlich von dem Erfordernis einer tatsächlichen Aufhellung von diffizilen Kausalitätslinien und wirtschaftlicher Fragen, wie dies bei der Feststellung des positiven Interesses der Fall ist, weithin befreit. Um eine „Preisdifferenz“ zu bemessen ist vielmehr nur eine Schätzung erforderlich, „wie viel weniger der Käufer gezahlt hätte, wenn er gewusst hätte“. Zudem ist, da es hier auf eine subjektive Reaktion einer Person (des Käufers) ankommt, klar, dass an die spätere retrospektive subjektive Schätzung dieser Reaktion durch andere Personen (das Gericht) kaum hohe Ansprüche gestellt werden können. Zur Kernfrage der Schätzung wird sogar oft eine normative Wertung, nämlich auf welche Preissenkung sich der Verkäufer noch „hätte einlassen müssen“. Aber auch das wird ohne viel Beweisaufnahme leicht von der Hand gehen. Der Prozessstoff wird irgendwelche Umstände anbieten, auf die man rekurrieren kann … 26 Aber Schritt für Schritt: Die Gewährung des sog. „Preisdifferenzschadens“ als Rechtsfolge bei der Verletzung von Bilanzgarantien ist in der Sache identisch mit der Gewährung des „negativen Interesses“, wie es von der culpa in contrahendo bzw. bei Delikt (§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB) bekannt ist. Wenn die Anhänger dieses Vorschlages ein Bedürfnis empfinden ihrem Kind einen Namen zu geben, sprechen sie allerdings eher von „Preisdifferenzschaden“. Der Vorschlag bedeutet zunächst, dass die Sanktion nicht an der Leistungsseite ansetzt, sondern auf der Gegenleistungsseite. Es soll anders als bei der Gewährung des positiven Interesses nicht Unternehmenswert nachgeliefert werden (der garantiewidrig nicht schon in dem Unternehmen „steckte“), sondern es soll die Gegenleistung, der Kaufpreis, gemindert werden. Der Minderungsbetrag, die „Preisdifferenz“, soll abgeleitet werden von dem Unterschied, der zwischen dem Unternehmen, wie es der garantierten Bilanz entsprochen hätte und dem real gelieferten Unternehmen besteht. 17 Nach einer Formulierung des Juristen und Soziologen Niklas Luhmann (Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 338). „Dogmatizität“ des Rechts ist eine unwahrscheinliche Kulturleistung, die der Entropie anheimfällt, wenn ihre Pflege vernachlässigt wird.
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Hierzu stellen sich zwei Fragen: Erstens, kann diese Rechtsfolge gene- 27 rell eine sinnvolle Rechtsfolge sein? Zweitens, ist es die zur Verletzung einer Bilanzgarantie oder überhaupt einer Garantie gehörige Rechtsfolge? Die erste Frage ist sicher zu bejahen. Tatsächlich verwendet die Rechtsprechung unter der Führung des BGH diese Rechtsfolge ja überall dort, wo sie das „negative Interesse“ gewährt. Sie tut das, wenn die Pflichtwidrigkeit, der „Umstand“ in § 249 Abs. 1 BGB, eine Täuschung ist. Es wird dann versucht, den Zustand ohne die Täuschung (oder ohne die Täuschung, den resultierenden Irrtum bzw. die Fehlinformiertheit) herzustellen indem die Gerichte simulieren, welche Gegenleistung (zumeist Preis, aber u.U. auch Miete etc.) ohne die Täuschung vereinbart worden wäre. Dazu sind wirtschaftliche und normative Überlegungen anzustellen. Zunächst ist zu fragen, um wie viel der Gegenstand „weniger wert gewesen“ wäre. Sodann ist zu fragen, ob sich der Täuschende überhaupt auf einen Verkauf an den Geschädigten zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte bzw. es ist, wie die Rechtsprechung zurecht vorgeht, zu statuieren, dass er das regelmäßig normativ musste. All dies ist Gegenstand der etablierten (und im Grundsatz überzeugenden) Rechtsprechung des BGH zur Gewährung des negativen Interesses als sog. „Restvertrauensschadens“.18 Die Frage, ob die von den Anhängern des „Preisdifferenzschadens“ vorgeschlagene Rechtsfolge generell eine sinnvolle Rechtsfolge ist, ist also klar zu bejahen. Es war nicht zu vermeiden, im Vorstehenden schon Hinweise auf die Beantwortung der zweiten Frage zu legen: Die Gewährung des negativen 18 Siehe etwa BGH v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35. Allerdings beantwortet diese Rechtsprechung nicht entfernt alle aus ihrem Ansatz folgenden Fragen, wie sie insbesondere praktisch werden, wenn es um den Kauf von Unternehmen und anderer Investitionsgütern geht. Die Themen sind: Erstens, es muss davon ausgegangen werden, dass es nicht einen einzigen Wert, etwa einzigen Unternehmenswert, gibt, sondern einen Verkäuferwert, einen Käuferwert (weil der Käufer u.U. bessere Konzepte und Synergien mitbringt) und ggf. noch weitere Werte dritter Parteien. Dann aber fragt sich, welcher Wert für die Bemessung des „Restvertrauensschadens“ maßgeblich ist? Zweitens: Welches ist der „Informationsstichtag“, der bestimmt, welche Informationen bei der Bewertung berücksichtigt werden dürfen? Hier setzten M&A-Transaktionen, weil sie sich auf die denkbar komplexesten Gegenstände (Unternehmen) beziehen, das Schadensrecht einem besonders anspruchsvollen „Stresstest“ aus. Dazu ausführlich, Wächter/Wollny, SchiedzVZ 2018, S. 80, S. 93–97 und Wächter/Wollny, NZG 2019, 801, 803–807 sowie Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 678–695.
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Interesses ist eben die Rechtsfolge, die § 249 Abs. 1 BGB für ein anderes Unrecht als eine Garantieverletzung auswirft. Greift man nochmals den Text von § 249 Abs. 1 BGB auf „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre“,
so ergibt sich, dass man als pflichtwidrigen „Umstand“ bzw. als Unrecht nur die Täuschung (bzw. die Informationspflichtverletzung oder den dadurch verursachten Irrtum) einsetzen muss, damit § 249 Abs. 1 BGB zur Gewährung des negativen Interesses oder des vom BGH sog. „Restvertrauensschadens“ führt. 29
Man muss also, wenn man die Dogmatik nicht ganz aufgeben will, dem Vorschlag, bei Verletzungen einer Bilanzgarantie den „Preisdifferenzschaden“ zu gewähren, entgegensetzen, dass er dem Gesetz widerspricht, weil sich ein „Preisdifferenzschaden“ aus § 249 Abs. 1 BGG nur ergibt, wenn man eine Täuschung (bzw. den durch sie verursachten Irrtum) einsetzt, aber gerade nicht, wenn der pflichtwidrige Umstand die Unrichtigkeit einer Garantie ist. Der „Preisdifferenzschaden“ wendet daher das Schadensrecht falsch an. Anders formuliert, der „Preisdifferenzschaden“ sanktioniert (nur) eine Täuschung über den Weltzustand, während sich der Verkäufer gerade aufschwang, eine Garantie über einen Weltzustand abzugeben. Die Gewährung (nur) des „Preisdifferenzschadens“ ignoriert also wertungsmäßig die Option des Rechts, wie es klassisch als „pacta sunt servanda“ überkommen ist, die Einhaltung eines Versprechens zu erzwingen (statt nur die Gegenleistung an die die Nichteinhaltung anzupassen). Der Verkäufer wird dadurch aus dem Einstehen-Müssen für seine Hybris oder superbia,19 dass er für einen bestimmten Weltzustand einstehen wollte, entlassen und nur so behandelt als ob er den Verkaufsgegenstand beschönigt habe. Der „Mehrwert“ der Garantie – die Garantie wird ja gefordert und ggf. gegeben, wenn der Käufer eine höhere Verlässlichkeit fordert als nur die Beschreibung des Kaufgegenstandes durch den Verkäufer – wird dadurch ignoriert. Dies erlaubt dem Versprechenden, sich von dem Versprechen zu lösen: „Ach so die Garantie war falsch … – na ja, dann reduzieren wir halt den Preis …“. Auf diese Weise kommt der Garantieschuldner um die in vielen Fällen härtere Haftung auf das positive Interesse herum. 19 Friedrich Nietzsche, Genealogie der Moral, sagte, der Mensch sei ein „Tier …, das versprechen darf“.
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Aber es geht nicht nur um rechtliches Pathos. Die Gewährung des 30 „Preisdifferenzschadens“ dort, wo nach dem Schadensrecht das positive Interesse zu gewähren wäre, bedeutet zugleich, dass ökonomisch die Sanktion nur noch in einer Reduzierung von Investitionskosten des Käufers liegt, statt dem Gläubiger Umsatzerlöse (minus ersparte Kosten, inklusive entgangene Gewinne) zu ersetzen, die ihm bei Richtigkeit der Garantie zugeflossen wären.20 Dadurch wird der Käufer um einen Teil des Unternehmenswertes gebracht, den er kalkulierte und erwarten durfte.21
3. Vorschlag 3: „Bilanzauffüllung“ | Unrechtsreaktion jenseits des Schadensrechts Zur „Bilanzauffüllung“ wurde schon in den Debatten der letzten Jahre viel geschrieben,22 so dass sie hier kürzer behandelt werden kann. Es ist ihr ebenfalls vorzuwerfen, dass sie das allgemeine Schuldrecht und das Schadensrecht des BGB übergeht, hier sogar indem sie überhaupt ein eigenes Rechtsfolgenregime für unrichtige Bilanzgarantien anbietet. Sie ersetzt so praktisch die schadensrechtliche Aufgabe des § 249 Abs. 1 BGB, einen gegenständlichen, wirtschaftlichen bzw. finanziellen Zustand herzustellen, der sich aus einem anderen hypothetischen gegenständlichen, wirtschaftlich bzw. finanziellen Zustand entwickelt hätte, dadurch, dass der Garantiegeber durch Geldzahlung einen Zustand herzustellen hat, der, wenn er schon am Bilanzstichtag bestanden hätte, wenigstens zu einem „Eigenkapital“ in der Höhe geführt hätte, wie es die garantierte Bilanz auswies.23 20 Die oft große Bedeutung des Unterschiedes wird in juristischen Vorlesungen gerne mit dem Kauf eines Bildes von Vermeer zu einem günstigen Preis illustriert. War das Bild eine Fälschung und wurde der Käufer darüber getäuscht, kann der Getäuschte immer zurücktreten oder anfechten oder verlangen, dass der Preis auf den verbleibenden Wert der Fälschung reduziert wird. Wurde ihm aber zusätzlich eine Garantie gegeben, dass das Bild echt sei, so hat ihm der Verkäufer die Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem zu erstatten, was der Käufer beim Weiterverkauf eines echten Vermeer zum Marktpreis erzielt hätte. 21 Zum „Preisdifferenzschaden“ s.a. Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 747–791. 22 Ausf. Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 765–772. 23 Da eine Geldzahlung geleistet werden soll – es findet eine „Geldauffüllung“ von EK-Lücken statt – wird das Ziel der exakten ex-post-Herstellung der in der garantierten Bilanz bilanzierten Umstände ohnehin nicht verfolgt.
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32 Sodann gibt die „Bilanzauffüllung“ – eben, weil sie die wirtschaftliche Reallogik der §§ 249 ff. BGB nicht aufnimmt – auch wirtschaftlich häufig zu viel oder zu wenig. Sie gibt zu viel, wenn sie die Zahlung des Betrags einer pflichtwidrig nicht eingestellten Rückstellung gewährt, weil das Eigenkapital der Bilanz (tatsächlich fälschlich!) um diesen Betrag zu hoch angegeben war, obwohl die Rückstellung u.U. später aufgelöst werden kann. Sie gibt weiter zu viel, wenn sie die Zahlung eines Betrags eines zu früh verbuchten Gewinnes gewährt, weil das Eigenkapital der Bilanz (erneut tatsächlich fälschlich!) um diesen Betrag zu hoch angegeben war, obwohl die Gewinnrealisierung in der nächsten Periode eintritt. Sie gibt schließlich zu viel, wenn sie die Zahlung des Betrags einer zu Unrecht unterlassenen Wertberichtigung einer Forderung gewährt, weil das Eigenkapital der Bilanz (wiederum tatsächlich fälschlich!) um diesen Betrag zu hoch angegeben war, obwohl die Forderung später doch voll einbringlich ist. 33 Die „Bilanzauffüllung“ gibt hingegen zu wenig, wenn sie nur die Zahlung einer oft unbedeutenden Buchwertdifferenz gewährt, weil das Eigenkapital der Bilanz (tatsächlich) nur um diesen Betrag zu hoch angegeben war, obwohl, etwa bei Fehlen oder Nicht-Funktionieren einer betriebsnotwendigen Maschine (s. das Beispiel oben), die Ersatzbeschaffungskosten und sonstige Schäden (Umsatzausfälle minus Kosteneinsparungen) wesentlich höher sind als die Buchwertdifferenz. Zudem ignoriert die „Bilanzauffüllung“ generell Folgeschäden, die auch außerhalb des verkauften Unternehmens auftreten können.24 24 Dr. Kim Lars Mehrbrey hatte in der Diskussion die Frage aufgeworfen, ob aus Sicht des Autors der von ihm gemeinsam mit Dr. Michael Dettmeier vertretene Gedanke einer „materiellen Bilanzauffüllung“ (Mehrbrey, Handbuch Unternehmenskauf, 1. Aufl. 2018 § 22 Rz. 20 f.) die Mängel der bisherigen (von ihnen „formell“ genannten) Bilanzauffüllung beseitigen könne. Der Autor hatte diese Frage verneint. Präzisierend ist hinzuzufügen, dass es natürlich möglich ist, die offensichtlichen wirtschaftlichen Fehler der Bilanzauffüllung jeweils zu korrigieren indem – Punkt für Punkt – der sich logisch aus dem „Bilanzauffüllungsansatz“ ergebende Ersatz von Buchwertdifferenzen durch die vermögensmäßige Herstellung des „richtigen“ Zustandes ersetzt wird. Damit kann selbstverständlich das wirtschaftliche richtige und zudem dem Schadensrecht entsprechende Ergebnis erreicht werden. Dabei kann freilich die Reparatur-Logik, die in der sog. „Materialisierung“ steckt, keine andere sein als die sich aus § 249 Abs. 1 i.V.m. § 251 BGB ergebende Logik des Schadensrechts. Aber warum soll an einem grundsätzlich falschen Ansatz (Bilanzauffüllung) festgehalten werden, wenn man sich dann doch vor seinen Konsequenzen durch eine „Materialisierung“ schützen muss, die in der Sache
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Wächter – Bilanzgarantien beim Unternehmenskauf
Als Ergebnis für die Rechtsfolgenseite kann daher formuliert werden: 1. Auch bei Verletzungen einer Bilanzgarantie ist der Zustand herzustellen, der bei Richtigkeit der Garantie bestehen würde. 2. Hierzu muss zuerst die Bilanzaussage dahingehend entschlüsselt werden, welcher Zustand nach dem Code des Bilanzrechts am Bilanzstichtag bestehen musste. 3. Sodann ist primär durch Naturalherstellung der Zustand herzustellen, der bei Richtigkeit der Bilanzaussage heute (am Schluss der mündlichen Verhandlung25) bestehen würde (§ 249 Abs. 1 BGB). Soweit dies nicht durch Naturalherstellung möglich oder nicht genügend ist, sind sekundär etwa entstandene finanzielle Einbußen zu ersetzen (§ 251 BGB). 4. Ein „Preisdifferenzschaden“ oder der sog. „Bilanzauffüllungsschaden“. kann aus dem gesetzlichen Schadensrecht nicht hergeleitet werden. Beide sind nicht nur rechtlich, sondern auch sachlich bzw. wirtschaftlich inadäquat.
nur schadensrechtlich gedacht sein kann? Warum dann nicht gleich das Schadensrecht anwenden? 25 Zu den Stichtagen bei Gewährung des positiven Interesses, s. Wächter, M&A Litigation, 4. Aufl. 2022, S. 728; Wächter/Wollny, SchiedzVZ 2018, 80, 97 ff. und Wächter/Wollny, NZG 2019, 801, 806 ff.
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Bericht über die Diskussion des Referats Wächter Magnus Habighorst Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Humboldt-Universität zu Berlin
I. 1 Die im Referat betonte Relevanz der Bilanzgarantieklauseln beim Unternehmenskauf fand durch die Fragen und Erfahrungsschilderungen aus der Praxis in der Diskussion weitere Bestätigung. Diese wurde moderiert von Thomas Kremer (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn). Er dankte dem Referenten herzlich für die systematische Analyse der Bilanzgarantien, insbesondere der Rechtsfolgen der Garantieverletzung sowie deren Bewertung, und eröffnete die Diskussion.
II. 2 Der erste Diskussionsbeitrag kam von Andreas von Oppen (Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.). Er bedankte sich für den interessanten und dogmatisch gut hergeleiteten Vortrag, meldete aber Widerspruch jedenfalls bezüglich einer pauschalen Ablehnung von Bilanzauffüllung und Preisdifferenzschäden an. Diese spielten doch eine wichtige Rolle und führten bei einer reinen Bilanzgarantie – unter Anwendung von § 249 BGB – zu befriedigenden Ergebnissen. So z.B. bei einer Verbindlichkeit, die übersehen wurde. Etwa einem mit einer Million Euro verbuchten Darlehen, welches in Wirklichkeit mit 1,2 Mio. t zu beziffern sei oder einer bilanzierten Million Euro Barmittel, wenn eigentlich nur 100.000 t Barmittel bestünden. In diesen Fällen sei die Bilanzauffüllung doch genau die richtige Lösung, auch i.S.v. § 249 BGB. 3 Kompliziertere Fragen ergäben sich, wenn man berücksichtige, dass man es im Regelfall nicht mit bloßen Bilanzgarantien, sondern mit Abschlussgarantien zu tun habe, bei denen auch Gewinn und Verlust (G/V) berücksichtigt werden. In den Unternehmenskaufverträgen werde häufig die Unternehmensbewertung in der Kaufpreisklausel widergespiegelt. Die garantierten Abschlüsse seien dann ganz wesentlich für die Unternehmensbewertung unter Zugrundelegung von Multiplikatoren („Multiples“). Die Klauseln lauteten etwa „Die Unternehmensbewer-
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tung mit 100 Mio. t beruht auf 10 Mio. t EBIT und einem Multiplikator von 10“. Teilweise seien derlei Klauseln sogar nicht nur illustrativ, sondern konstitutiv für den Unternehmenskaufpreis formuliert. Falsche Bilanzpositionen wirkten sich dann auch in der G/V-Betrach- 4 tung aus. Hierdurch und durch etwaige Multiplikator-Vereinbarungen im Kaufvertrag werde die Situation komplexer. Bei einer MultiplikatorVereinbarung im Kaufvertrag werde der Käufer dann auch behaupten, die Preisdifferenz (die sich aus dem Bilanzdelta und dem vereinbarten Multiplikator ergebe) sei der richtige Schaden. Dies entspreche im Übrigen auch dem positiven Interesse. Aus Verkäufersicht sei es daher elementar wichtig, die Schadensberechnung unter Zugrundelegung von Multiplikatoren, wenn möglich, auszuschließen. Die konkreten Auswirkungen auf der G/V-Seite seien aber oft nicht ganz klar – was sei der konkrete Schaden? Sollte eine Abschlussgarantie in den Kaufvertrag aufgenommen werden, empfehle es sich daher, auch eine hinreichend detaillierte Rechtsfolgenregelung in den Kaufvertrag aufzunehmen.
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III. Der Referent Gerhard Wächter stimmte von Oppen dahingehend zu, dass die Betrachtung des Unternehmenswertes von großer Bedeutung sei – ein Unternehmen werde schließlich nicht aufgrund seiner Bilanz erworben, sondern aufgrund eines errechneten Unternehmenswertes. Diese Fragen des Unternehmenswertes könnten aber weder mit einer Bilanz- noch mit einer Abschlussgarantie umfassend abgebildet werden. Angemessener sei hierzu eine Earn-out-Konstruktion, die aber, anders als üblich, in beide Richtungen Kaufpreisanpassungen erlauben müsste. Solche Klauseln seien allgemein unüblich.
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Deutlichen Widerspruch meldete Wächter in Bezug auf die Bedeutung der Multiplikatoren an. Diese Zahlen, mit denen der Käufer operiere, seien rechtlich weitgehend unmaßgeblich und im Rahmen einer (gerichtlichen) Ermittlung des Unternehmenswertes allenfalls einer von mehreren zu berücksichtigenden Gesichtspunkten.
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Habighorst – Bericht über die Diskussion des Referats Wächter
IV. 8 Sodann wurde Kai Schadbach (Rechtsanwalt, Frankfurt a.M.) das Wort erteilt. Er berichtete aus seiner Praxis, dass die Frage, ob eine objektive oder subjektive Bilanzgarantie vereinbart werde, große Bedeutung habe. Wichtig sei aber, dass es hierbei nicht um „Verhandlungssiege“ gehe. In Verhandlungssituationen mit einer starken Käuferseite (die es auch in der aktuellen Marktlage noch in „one-on-one“-Verhandlungen gebe) biete sich eine normativ-subjektive Garantie an, also die objektive Garantie der Einhaltung der gesetzlichen Bilanzierungsnormen zum Erstellungszeitpunkt und die subjektivierte Versicherung, dass die Bilanz nach bestem Wissen des Verkäufers die tatsächlichen Verhältnisse abbilde. Schadbach schloss an diese Erfahrungen erstens die Frage an, welche Erfahrungen der Referent hierzu habe. Zweitens fragte er nach den Implikationen objektiver und subjektiver Garantiebestandteile auf schadensrechtlicher Seite.
V. 9 In seiner Antwort wies Wächter darauf hin, dass auch das Bilanzrecht als solches normativ-subjektiv sei; Maßstab sei das HGB. Entsprechend sollten auch Garantien der Richtigkeit abgegeben werden. Zur zweiten Frage stellte er klar, dass keine Brüche mit dem Schadensrecht zu befürchten seien. Aus seiner Sicht habe sich zudem das Verhandeln ausdifferenzierter, klarer Rechtsfolgenklauseln wenig bewährt, da die Gegenseite bei solchen Verhandlungsansätzen oft Ungemach wittere.
VI. 10 Die nächste Wortmeldung kam von Philippe Rollin (Rechtsanwalt, Hamburg). Auch er bedankte sich für den klaren Vortrag und bezog sich mit seiner Frage auf die Ausführungen zur Schadensberechnung, namentlich, dass vom Preisdifferenzschaden keine entgangenen Gewinne erfasst seien (Folien 17 f. des Vortrags). Dieser Punkt löse sich doch aber weitgehend auf, wenn man – zulässiger- und üblicherweise – den Ersatz entgangenen Gewinns im Unternehmenskaufvertrag ausschließe. Das vorgebrachte Argument gegen den Preisdifferenzschaden greife dann doch in der Praxis oft nicht durch.
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VII. Wächter replizierte, dass ein Unternehmenskauf doch stets auf einer 11 Planung beruhe, die bestimmte Umstände als zutreffend voraussetze. Stellten sich nun einige dieser Umstände tatsächlich als viel schlechter als angenommen heraus, müsse man sich beim Schadensersatz nur nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo oder nach Deliktsrecht fragen, welchen geringeren Kaufpreis der Käufer bei richtiger Information gezahlt hätte und welche Informationen hierbei zu berücksichtigen seien. Dies sei gar nicht allzu leicht festzustellen. Wenn nun aber eine Garantie abgegeben sei, bestehe – pacta sunt ser- 12 vanda – ein Erfüllungsanspruch des Käufers auf das Delta zum erwarteten bzw. errechneten Unternehmenswert. Eine generelle Entscheidung für oder gegen einen Preisdifferenzschaden sei daher gar nicht erforderlich, (nur) diesen bekomme der Käufer beim Fehlen einer Garantie.
VIII. Christofer Mellert (Rechtsanwalt, Düsseldorf) stellte die grundsätzliche 13 Frage, ob es bei Verletzung einer Bilanzgarantie überhaupt eine Naturalrestitution geben könne. Denn sowohl die Garantie als auch die Bilanz selbst bezögen sich auf einen bestimmten Zeitpunkt, der im Nachhinein nicht mehr erreicht werden könne. Sodann berichtete er aus seiner Praxis, dass er objektive, „harte“ Bilanz- 14 garantien kaum mehr sehe. Dies sei wohl auch damit zu begründen, dass mittlerweile auch bei mittelgroßen Transaktionen häufiger W&IVersicherungen abgeschlossen würden, die harte Garantien nicht mitversicherten. Diese Gestaltungspraxis schlage auch auf Transaktionen durch, bei denen keine W&I-Versicherung abgeschlossen werde. Schließlich wies Mellert zur Schadensberechnung darauf hin, dass es verschiedene Ebenen des Schadens gebe. Neben dem Schaden des Käufers könne auch auf den Schaden auf Ebene des veräußerten Unternehmens als solchen abgestellt werden.
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IX. Wächter stimmte zu, dass es oft eine schadensrechtliche Dreieckstruktur aus Käufer, Verkäufer und Zielunternehmen gebe. Eine Naturalresti-
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Habighorst – Bericht über die Diskussion des Referats Wächter
tution auf Ebene des Unternehmens könne durchaus dazu führen, dass beim Käufer kein Schaden mehr bestehe. 17 Zu den geäußerten Zweifeln an der Möglichkeit der Naturalherstellung bei Verletzungen von Bilanzgarantien stellte er klar, dass dies eine Frage der Auslegung sei. So nannte er das Beispiel, dass garantiert werde, die Zielgesellschaft sei Eigentümerin einer bestimmten Immobilie. Es sei nicht zu bezweifeln, dass bei einer Verletzung der Garantie zunächst ein Anspruch auf Naturalherstellung bestehe. Dessen Erfüllung sei auch oft nicht unrealistisch, z.B. wenn die veräußernde Muttergesellschaft noch Eigentümerin der fraglichen Immobilie ist. Wenn nun diese Immobilie in einer garantierten Bilanz aktiviert sei, dürfe man zu keinem anderen Ergebnis kommen.
X. 18
Kim Lars Mehrbrey (Rechtsanwalt, Düsseldorf) dankte dem Referenten und warb dafür, den Begriff der Bilanzauffüllung noch klarer zu definieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Der Referent vertrete den Ansatz, den Mehrbrey selbst „materiellen Bilanzauffüllungsansatz“ getauft habe.
XI. 19
Wächter bedankte sich für den Hinweis und hob das Werk des Diskutanten positiv hervor, stellte aber klar, dass er sich dessen Ansatz nicht angeschlossen habe.
XII. 20
Der Moderator Thomas Kremer bedankte sich nochmals bei dem Referenten und den Diskussionsteilnehmern für die gute Diskussion. Er beendete die Diskussion und damit auch die 25. Jahrestagung der wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht.
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Stichwortverzeichnis Die Angaben beziehen sich auf die Seitenzahlen. Actio pro socio 7 ff. AGB-Kontrolle – Arbeitsvertrag 133, 150 – Auslegung AGB 146 – Begleitumständes des individuellen Vertragsschlusses 152 f. – Bereichsausnahme 133 – Clawback-Klausel 132, 146, 160 ff., 168 ff. – Durchführung 145 ff. – Freiwilligkeitsvorbehalt 151, 158 ff. – Geschäftsleiteranstellungsvertrag, Besonderheiten 145, 148 ff., 165 – Individualabrede 142 ff., 165 – Inhaltskontrolle 148 ff. – Interessenabwägung 148 – Koppelungsklausel 132, 154 ff. – teleologische Reduktion 149 – Transparenzkontrolle 147 – Verbot überraschender Klauseln 145 f. – Verbraucherverträge 141 – Vertragsstrafe 149 Aktiengesellschaft (AG) – besonderer Vertreter, Vertretungsbefugnis 11 – Satzungsänderungsbeschluss 17 – Vorstandsbericht 14 f., 27 f. Aktienrecht – Kompetenzordnung 71 ff., 86 Aktionärsdemokratie 61, 72, 79 f. – Klimaschutz 74 Beschlussmängelrecht – Altklausel 122 – Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) 120 ff. Besonderer Vertreter 9 f. – Vertretungsbefugnis 12
Bilanzgarantie – Aussagegarantie 173 f. – Bilanzauffüllung 187 ff., 190, 194 – objektive 192 – Schadensberechnung 178 ff., 192 – subjektive 192 – Tatbestandsseite 171 ff. – Unternehmenskauf 171 ff., 190 ff. – Verletzung 178 ff., 193 f. Clawback-Klausel 160 ff., 168 ff. Freiwilligkeitsvorbehalt 151, 158 ff. – Arbeitsvertrag 151 – Geschäftsleiteranstellungsvertrag 151 Genossenschaft – virtuelle Versammlung 18, 28 Geschäftsleiter – Alleingesellschafter 143 – als Verbraucher 135 ff., 165, 167 – Erwartungshorizont 146 – Mehrheitsbeteiligung 144 – Schutznormen des Arbeitsrechts 145, 166 – Treuepflicht 148, 152, 168 – Verhandlungserfahrung 144 – Verständnismöglichkeit 147, 161 Geschäftsleiteranstellungsvertrag – AGB-Kontrolle 131 ff., 165 ff. Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) – actio pro socio 7 f., 25 f. – besonderer Vertreter 9 f. – Fremdgeschäftsführer 7 f., 25 f. – Liquidation 19 f. – Stimmverbot 10 Gesellschaftsrechtliche Streitigkeit – Öffentlichkeit 93 f., 126 – Schiedsverfahren 93 ff.
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Stichwortverzeichnis Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) – Verweis, dynamischer 5 f., 25 – Verweis, statischer 5 f. Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) – Beschlussmängelrecht 120 ff. Hauptversammlung – Aktionärsinitiative 67 ff. – Auskunfts- und Rederecht 67 – Genossenschaft 19 – Hauptversammlungskonsultation, beschlusslose 66 f. – Kompetenzen 65 ff. – Konsultationsbeschluss 66 f. – Konsultativbeschluss 70, 89 – Nachhaltigkeit 88 – Präsenz 29 ff. – Say on Climate Beschlüsse 59 ff. – virtuelle 29 ff. – Vorstandsinitiative 66 f. Klimaschutz 60 ff., 68 Kommanditgesellschaft (KG) – Gesamtvermögensgeschäft 4 f., 24 Koppelungsklausel 154 ff. – Kündigungsfrist 156 Liquidation – Abwicklungsmaßnahmen ohne Vermögensbezug 23 – Beendigung 21 f., 23 – Eintragung gerichtlich bestellter Liquidator 19 f. – Eintragung im Handelsregister 21 f. – Löschung der Gesellschaft 21 f., 23 Mehrparteienschiedsverfahren 102 ff. – Einbeziehung Dritter 103 – rechtliches Gehör 104 – Schiedsrichterbenennung 103 Missbrauch der Vertretungsmacht 4 f. Nachhaltigkeit 60 ff.
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Personengesellschaftsvertrag – Schiedsklausel 93 ff., 125 ff. Satzungsänderungsbeschluss – Nichtigkeit 17 Say on Climate 62 ff., 85 ff. – Aufsichtsrat 85 – Begrifflichkeit 62 ff. – börsennotierte Aktiengesellschaft 87 – Hauptversammlungskompetenz 68 – international 64 f. – Rechtsvergleich 76 – unionsrechtlicher Einfluss 77 f. – Zukunft 71 ff., 80 ff. – Zustimmungswerte 74 f. Say on Pay 62 ff. Schiedsfähigkeit IV – Inhalt 105 ff. – kritische Würdigung 111 ff. – Rechtsanwendung, Konsequenzen 118 ff. Schiedsklausel – ad-hoc-Schiedsklausel 101 – Auslegung 100 f., 111 ff., 126, 128 – Beschlussmängelrecht 120 ff. – Förder- und Loyalitätspflicht 98 – Gründe für Vereinbarung 95 – Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) 96, 120 ff., 126 – Inhalt 98 f. – institutionelle Schiedsklausel 101 f. – Mehrparteienschiedsverfahren 102 ff. – Personengesellschaftsvertrag 93 ff., 125 ff. – Rechtsnatur 97 – Regelungsstandort 97 – Schiedsfähigkeit IV 105 ff. – Sperrwirkung 98 – Wirksamkeit 96, 114 ff., 129 Schiedsverfahren – Mehrparteienschiedsverfahren 102 ff.
Stichwortverzeichnis – Vorteil 95, 127 Schiedsverfahren, institutionelles – Vorteil 101 f. Sustainable Shareholder Activism 63, 64 Transformatives Gesellschaftsrecht 60 ff. Trennungsprinzip 154 ff., 158 Unternehmenskauf – Bilanzgarantien 171 ff., 190 ff. – Unternehmenswert 191 Verbrauchereigenschaft – AGB-Kontrolle 141 – GmbH-Geschäftsführer 136 ff. – Selbständigkeit der beruflichen Tätigkeit 136 – Vorstandsmitglied 140 Vertragsstrafe 149 f., 161 Virtuelle Hauptversammlung 29 ff., 52 ff. – Aktionäre 35 ff. – Anfechtungsrisiko 54, 55 – Antrag 38 f., 55 f. – Anwesenheit 35 ff.
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Aufsichtsratsmitglieder 37 f. Aufzeichnung 53 f. Auskunftsrecht 40 ff. Begriff 31 f. Dialog 53 Fragerecht 40 ff., 55 f. Konsultativbeschluss 52 f. Mindestvoraussetzungen 32 Ordnungsmittel 55 f. Rederecht 45 ff. Satzungsgrundlage 32 ff., 55 Stellungnahme, Einreichung 47 ff. Übergangsregelung 35 Versammlungsleiter 37 f. Vorabeinreichung von Fragen 41 ff. – Vorstandsbericht 43 ff. – Wahlvorschlag 38 f., 55 f. – Widerspruchsrecht 49 f. Virtuelle Versammlung – Genossenschaft 18 Vorstandsbericht – Bekanntmachung 14 f. – Bezugsrechtsausschluss 14 f., 27 f. – Vorabveröffentlichung 43 f. Vorstandsmitglied – Verbraucher 140
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Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 1 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 1999, 146 S., brosch. 29,80 7. ISBN 978-3-504-62701-0 Bd. 2 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2000, 281 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62702-7 Bd. 3 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2000 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 200 S., brosch. 38,– 7. ISBN 978-3-504-62703-4 Bd. 4 – Umwandlungen in den neuen Bundesländern nach der Rechtsprechung des BGH Von RiLG Dr. Guido Wißmann, RiLG Dr. Markus Märtens und VorsRiLG Dr. Enno Bommel. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 171 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62704-1 Bd. 5 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2002, 205 S., brosch. 42,80 7. ISBN 978-3-504-62705-8 Bd. 6 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 204 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62706-5 Bd. 7 – Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling Von RA Dr. Jochen Vetter und RA Dr. Christoph Stadler. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 168 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62707-2
Bd. 8 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003
Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2004, 195 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62708-9
Bd. 9 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2005, 187 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62709-6 Bd. 10 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 179 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62710-2
Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 11 – Die GmbH-Reform in der Diskussion Sondertagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62711-9 Bd. 12 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2007, 226 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62712-6 Bd. 13 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2008, 196 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62713-3 Bd. 14 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2009, 206 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62714-0 Bd. 15 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2010, 182 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62715-7 Bd. 16 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2011, 254 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62716-4 Bd. 17 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2012, 215 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62717-1 Bd. 18 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2013, 205 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62718-8 Bd. 19 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2014, 166 S., brosch. 44,80 7. ISBN 978-3-504-62719-5 Bd. 20 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2015, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62720-1
Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 21 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2016, 192 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62721-8 Bd. 22 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2017, 252 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62722-5 Bd. 23 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2018, 226 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62723-2 Bd. 24 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2019, 208 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62724-9 Bd. 25 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2019 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2020, 200 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62725-6 Bd. 26 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2020 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2021, 177 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62726-3 Bd. 27 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2021 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2022, 211 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62727-0