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German Pages 192 [194] Year 2016
Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung
Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg.) Band 21
Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von
Prof. Dr. Holger Altmeppen Universitätsprofessor, Passau
Prof. Dr. Alfred Bergmann Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe
Prof. Dr. Tim Drygala Universitätsprofessor, Leipzig
Dr. Georg Franzmann Rechtsanwalt, Ludwigshafen am Rhein
Dr. Tobias A. Heinrich LL.M. (London) Rechtsanwalt, Frankfurt am Main
Dr. Lutz Krämer Rechtsanwalt, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Jan Lieder LL.M. (Harvard) Universitätsprofessor, Kiel
2016
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62721-8 ©2016 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: VUA Schaus, Büttelborn Printed in Germany
Vorwort Mit diesem 21. Band der VGR-Schriftenreihe werden die Referate und Diskussionsberichte der 18. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung vorgelegt, die am 6. November 2015 mit rund 400 Teilnehmern in Frankfurt am Main stattgefunden hat. Am Beginn der Tagung stand wie immer der Bericht über die gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH durch den Vorsitzenden des II. Zivilsenats. Prof. Dr. Alfred Bergmann stellte von den zahlreichen im Berichtszeitraum liegenden erledigten Verfahren drei Entscheidungen zum GmbH-Recht und je vier Entscheidungen zum Personengesellschafts- und Aktienrecht vor. Besonders zu nennen sind hier die Entscheidungen des Senats zur Fortführung von „Sanieren oder Ausscheiden“, zu masseschmälernden Zahlungen bei Globalzession und zur Absage der Hauptversammlung durch das einberufende Organ, über die im Anschluss lebhaft diskutiert wurde. Dr. Tobias Heinrich und Dr. Lutz Krämer widmeten sich im zweiten Block dem Maßnahmenpaket des Europäischen Gesetzgebers, bestehend aus der Änderungsrichtlinie zur Transparenzrichtlinie, der Marktmissbrauchsverordnung und der Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insiderhandel und Marktmanipulation. Die Regelungsakte bringen deutlich veränderte Anforderungen im Bereich der Beteiligungspublizität nebst einem verschärften Sanktionsrahmen, eine nachhaltige Erhöhung der Anforderungen an die Kapitalmarkt-Compliance und erhebliche Folgefragen für die Haftung des Vorstands mit sich und verlangen dem Emittenten und sonstigen Marktteilnehmern erhebliche Anstrengungen im Bereich des Risikomanagements und der Prozessstabilität ab. Im Zentrum des anschließenden Vortrags von Prof. Dr. Holger Altmeppen stand der Kernbereich der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft. Der II. Zivilsenat hat durch eine Entscheidung vom 21. Oktober 2014 seine Rechtsprechung zu Mehrheitsklauseln im Gesellschaftsvertrag, zum Bestimmtheitsgrundsatz und zur Kernbereichslehre zusammengefasst und damit, wie Prof. Dr. Bergmann in seinem Eingangsreferat angemerkt hatte, eine Diskussion ausgelöst, die vom Senat so nicht erwartet worden war. Nach Altmeppens Befund ist die an der Entscheidung geäußerte Kritik nicht begründet. Vielmehr sei die Kernbereichslehre zu einer in Unordnung geratenen, verwickelten Kette verkommen
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Vorwort
gewesen, und der BGH habe „die Ordnung wiederhergestellt“, indem er die Begriffe „Kernbereich“ und „Bestimmtheitsgrundsatz“ ihrer bisherigen unklaren und mehrdeutigen Verwendung entkleidet und wieder der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zugeordnet habe. Der Nachmittag begann mit dem Vortrag von Prof. Dr. Tim Drygala, der sich mit der durch die Aufgabe der Macrotron-Rechtsprechung des BGH indizierten und durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie kodifizierten Neuregelung des Delisting befasste. Er stand der – nun im Börsengesetz geregelten – Neuregelung durchaus kritisch gegenüber und konstatierte, dass wesentliche Ziele der angestrebten Reform (etwa die schnellere Abwicklung für die Unternehmen oder ein ausreichender Schutz der Anleger) nicht erreicht worden seien; er prophezeite, dass uns das Thema weiter verfolgen werde. Danach befasste sich Dr. Georg Franzmann mit konkreten Praxisfragen des viel diskutierten Gesetzes zur Einführung einer Geschlechterquote. Mit der Erfahrung aus einem betroffenen Unternehmen schilderte er, wie mit der – teilweise bereits zum 30. September 2015 umzusetzenden – Quote bzw. der Zielgrößen-Festlegung umgegangen wird und welche Akzeptanz sie erfährt. Besonders kritisch setzte er sich mit der Quotenregelung im Aufsichtsrat der paritätisch mitbestimmten SE und ihrer Ausgestaltung in der SE-Beteiligungsvereinbarung auseinander. Das Schlussreferat von Prof. Dr. Jan Lieder widmete sich dem Rechtsschutz gegen die Gesellschafterliste, dem wichtigsten GmbH-Dokument neben dem Gesellschaftsvertrag. Zu Konflikten kann es sowohl kommen, wenn ein angeblich zu Unrecht nicht Eingetragener seine Eintragung durchsetzen oder eine Beschlussmängelklage erheben will, als auch im umgekehrten Fall des in der Liste ausgewiesenen Gesellschafters, der seine Austragung begehrt. Der Referent gab eine umfassende Analyse des Rechtsschutzes im Hauptsacheverfahren und im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, zeigte die Schwächen der gesetzlichen Regelung der §§ 16, 40 GmbHG auf und entwickelte konkrete Vorschläge de lege ferenda zur Verbesserung der Situation.
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Vorwort
Vorstand und Beirat der VGR danken wiederum allen, die zum Gelingen der 18. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern und den Verfassern der Diskussionsberichte. Vorbereitung und Organisation der Tagung lagen im VGR-Sekretariat wie immer in den bewährten Händen von Frau Heike Wieland, der ebenfalls alljährlich unser Dank gebührt. Düsseldorf, im März 2016 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Gerd Krieger
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Inhalt* Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Alfred Bergmann Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Stefanie Wentzell Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann . . . . . . . . . . . . . .
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I. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Lutz Krämer/Dr. Tobias A. Heinrich Emittenten und Marktteilnehmer im Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Veränderte Anforderungen im Bereich der Beteiligungspublizität durch die TD 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Potenzierung der Anforderungen an die KapitalmarktCompliance durch MAR und CRIM-MAD . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Gesteigerte Anforderungen an die Kapitalmarkt-Compliance . .
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V. Vorstandshaftung und Handlungspflichten des Aufsichtsrats . .
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VI. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.
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Inhalt
Dr. Vanessa Seibel Bericht über die Diskussion des Referats Krämer/Heinrich . . . . . . .
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Prof. Dr. Holger Altmeppen Was ist der Kernbereich der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Zur Verwirrung über die Tragweite des Urteils II ZR 84/13 . . .
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II. Kritik an dem Urteil II ZR 84/13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Vorarbeit zur neuen Rechtsprechung durch Goette . . . . . .
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IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Philipp Scholz Bericht über die Diskussion des Referats Altmeppen . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Tim Drygala Die Neuregelung des Delistings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf und rechtspolitische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Regelung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Die Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tobias von Bressensdorf Bericht über die Diskussion des Referats Drygala . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Dr. Georg Franzmann Praxisfragen der Frauenquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung – Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Zielsetzung und Bedarf einer Quotengesetzgebung . . . . . . . . . . .
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III. Akzeptanz des Quotengesetzes im Unternehmensbereich . . . . . 100 IV. Festlegung von Zielgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 V. Geschlechterquote im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 VI. Geschlechterquote im Aufsichtsrat der paritätisch mitbestimmten SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 PD Dr. Gerrit Forst, LL.M. (Cambridge) Bericht über die Diskussion des Referats Franzmann . . . . . . . . . . . . . 117 Prof. Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard) Rechtsschutz gegen die Gesellschafterliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Bedeutung und Konfliktpotential der Gesellschafterliste . . . . . . 122 II. Hauptsacheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 IV. Überlegungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 V. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesen . . . . . . . 168 Philipp Hohmann Bericht über die Diskussion des Referats Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Alfred Bergmann Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe I. Personengesellschaftsrecht . . 1. Urteil vom 9.6.2015 – II ZR 420/13 – Fortführung von „Sanieren oder Ausscheiden“ 2. Urteil vom 9.12.2014 – II ZR 360/13 – Kapitalerhaltung bei der GmbH & Co. KG . . . . 3. Urteil vom 18.11.2014 – II ZR 231/13 – Ausgleich masseschmälernder Zahlungen (§§ 130a, 177a HGB) durch Massezufluss . . . . . . . . . . . . . II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil vom 23.6.2015 – II ZR 366/13 – Masseschmälernde Zahlungen (§ 64 GmbHG) bei Globalzession. . . . . . . . . . 2. Urteil vom 2.12.2014 – II ZR 322/13 – Einziehung und Konvergenzgebot (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) . . . . . . . . . . .
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3. Beschluss vom 24.2.2015 – II ZB 17/14 – Testamentsvollstreckervermerk und Gesellschafterliste . . . . . . . . III. Aktienrecht. . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 330/13 – Hauptversammlungsort im Ausland . . . . . . . 2. Urteil vom 19.5.2015 – II ZR 176/14 – Protokollierung der Hauptversammlung der nichtbörsennotierten AG . . . 3. Urteil vom 30.6.2015 – II ZR 142/14 – Absage der Hauptversammlung durch einberufendes Organ . . . . . . . . . . . 4. Urteil vom 28.4.2015 – II ZR 63/14 – Entgeltlicher Beratungsvertrag mit Vorstandsmitglied . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Personengesellschaftsrecht Im Personengesellschaftsrecht ist an erster Stelle das Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 84/131 zu erwähnen, mit dem der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs seine Rechtsprechung seit OTTO2 zu Mehrheitsklauseln im Gesellschaftsvertrag, zum Bestimmtheitsgrundsatz und zur Kernbereichslehre zusammengefasst hat, weil diese Senatsrechtsprechung seinem Eindruck nach noch nicht in jeder Hinsicht richtig auf1 BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231. 2 BGHZ 170, 283 – OTTO.
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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
genommen worden ist. Neue Aussagen hat der Senat mit dieser Entscheidung dagegen nicht treffen wollen. Gleichwohl hat sich im Anschluss an dieses Urteil eine vom Senat so nicht erwartete Diskussion ergeben, insbesondere hat eine eher beiläufige Bemerkung zur Kernbereichslehre teils heftigen Widerspruch hervorgerufen. Das soll an dieser Stelle aber nicht vertieft werden, weil Herr Altmeppen später zu diesem Thema und zu dieser Entscheidung vortragen wird und wir deshalb so verblieben sind, dass ich mich, wenn dann überhaupt noch Bedarf besteht, im Anschluss an den Vortrag von Herrn Altmeppen ergänzend, berichtigend oder wie auch immer zu Wort melden werde.
1. Urteil vom 9.6.2015 – II ZR 420/13 – Fortführung von „Sanieren oder Ausscheiden“ Ich gehe daher umgehend zunächst näher auf das Urteil vom 9.6.2015 – II ZR 420/133 ein, das die Thematik „Sanieren oder Ausscheiden“ betrifft, bei der es in gewisser Weise ebenfalls um die Zulässigkeit von Eingriffen in den Kernbereich der Mitgliedschaft durch Mehrheitsentscheidungen geht. Nach der grundlegenden Entscheidung BGHZ 183, 1 – Sanieren oder Ausscheiden sind nicht sanierungswillige Gesellschafter aus Treuepflicht zur Zustimmung verpflichtet, wenn die Mehrheit der Gesellschafter einer Publikumspersonengesellschaft beschließt, die Gesellschaft in der Weise zu sanieren, dass das Kapital „herabgesetzt“ wird, und es jedem Gesellschafter freisteht, eine neue Beitragspflicht einzugehen („Kapitalerhöhung“), nicht sanierungswillige Gesellschafter aber aus der Gesellschaft ausscheiden müssen, wenn sie infolge ihrer mit dem Ausscheiden verbundenen Pflicht zur Begleichung eines Auseinandersetzungsfehlbetrags nicht schlechter stehen als im Falle einer sofortigen Liquidation. Der Senat hatte Anfang 2011 in Fortführung dieser Rechtsprechung entschieden, dass der Gesellschaftsvertrag Regelungen enthalten kann, die diese aus der Treuepflicht folgende Zustimmungspflicht einschränken, so dass die Mitgesellschafter dann nicht ohne weiteres darauf vertrauen dürfen, dass sie einen Gesellschafter ohne dessen Zustimmung ausschließen dürfen.4 An das Senatsurteil von 2011 hatte das Berufungsgericht5 in der heute zu besprechenden Sache angeknüpft und angenommen, nach dem in diesem Fall vereinbarten Gesellschaftsvertrag bestehe deshalb keine ei3 BGH, ZIP 2015, 1626. 4 BGH, ZIP 2011, 768. 5 OLG München v. 12.12.2013 – 24 U 348/13, juris.
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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
ne Zustimmungspflicht begründende Erwartungshaltung der übrigen Gesellschafter, weil die auf eine entsprechende Nachschusspflicht gerichtete Regelung des Gesellschaftsvertrags Ausmaß und Umfang der möglichen zusätzlichen Belastung nicht erkennen lasse und deshalb unwirksam sei. Die dadurch entstehende Regelungslücke sei durch Anwendung des § 707 BGB zu schließen. Der Senat hat das anders gesehen: Der Gesellschaftsvertrag muss für eine Zustimmungspflicht aus gesellschafterlicher Treuepflicht überhaupt keine ausdrücklichen Regelungen enthalten; die Zustimmungspflicht ergibt sich vielmehr unmittelbar aus der Treuepflicht. Der Umstand, dass eine Nachschussregelung in einem Gesellschaftsvertrag vereinbart wird, diese Regelung nach den Grundsätzen der BGH-Rechtsprechung aber keine hinreichende Grundlage für die Einforderung von Nachschüssen bietet, ist daher insoweit ohne Bedeutung. Ein Nachschuss kann bei den Fallgestaltungen von „Sanieren oder Ausscheiden“ von den sanierungsunwilligen Gesellschaftern in keinem Fall gefordert werden, gleichgültig, ob es im Gesellschaftsvertrag überhaupt keine diesbezügliche Regelung gibt oder ob eine entsprechende Regelung den Anforderungen an eine antizipierte Zustimmung nicht genügt. Es geht bei „Sanieren oder Ausscheiden“-Beschlüssen nicht darum, ob die nicht zustimmende Minderheit gleichwohl einen Sanierungsbeitrag zahlen, sondern darum, ob sie aus der Gesellschaft ausscheiden muss.6 Weitere hier und heute zu besprechende Entscheidungen zum „reinen“ oder zum „Kernbereich“ des Personengesellschaftsrechts sind aus dem letzten Jahr nicht zu verzeichnen. Ich möchte aber noch auf zwei Urteile zur Kapitalerhaltung eingehen, die dann bereits den Übergang zum Kapitalgesellschaftsrecht einleiten. In der einen Entscheidung geht es um die Kapitalerhaltung bei der GmbH & Co. KG, die andere Entscheidung betrifft den Ausgleich masseschmälernder Zahlungen i.S.d. §§ 130a, 177a HGB durch Massezuflüsse und damit eine Problematik, die sich bei § 64 GmbHG und § 92 Abs. 2 AktG in gleicher Weise stellt.
2. Urteil vom 9.12.2014 – II ZR 360/13 – Kapitalerhaltung bei der GmbH & Co. KG In der Sache II ZR 360/137 hatten wir es mit einer GmbH & Co. KG mit zwei Komplementären zu tun, und zwar mit einer Komplementär-GmbH 6 BGH, ZIP 2015, 1626 Rz. 23. 7 BGH, ZIP 2015, 322.
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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
und einer angeblich vermögenslosen natürlichen Person als weiteren Komplementär. Geschäftsführer der GmbH waren u.a. deren Alleingesellschafter und der Beklagte. Einzige Kommanditistin war eine andere GmbH & Co. KG, deren Kommanditisten wiederum der Beklagte und der Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH waren. Letzterer entnahm dem Vermögen der KG ca. 3 Mio. Euro für private Zwecke. Der Insolvenzverwalter über deren Vermögen verlangte von dem Beklagten als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Schadensersatz in dieser Höhe. Das Oberlandesgericht hatte einen Anspruch aus § 43 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG mit der Begründung verneint, die entsprechende Anwendung des § 30 Abs. 1 GmbHG scheide hier aus, weil neben der Komplementär-GmbH auch eine natürliche Person unbeschränkt hafte. Der Bundesgerichtshof hat das die Klage abweisende Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die Zahlung aus dem Vermögen der KG an einen Gesellschafter der Komplementär-GmbH oder an einen Kommanditisten ist eine nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlung, wenn dadurch das Vermögen der GmbH unter die Stammkapitalziffer sinkt oder eine bilanzielle Überschuldung vertieft wird. Die Komplementär-GmbH haftet für Verbindlichkeiten der KG und muss entsprechende Passivposten bilden. Ihr gegen die KG gerichteter Freistellungsanspruch bei Inanspruchnahme durch Gläubiger ist in der Bilanz nicht mehr aktivierbar, wenn er nicht mehr werthaltig ist, weil eine Leistung der KG an einen Gesellschafter zur Aushöhlung des KG-Vermögens führt.8 Wenn der Zahlungsempfänger wie im Streitfall auch Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist, dann ist es für seine Haftung nach § 30 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich ohne Bedeutung, ob daneben eine natürliche Person unbeschränkt haftet. Die Haftung nach § 30 GmbHG für eine mittelbare Auszahlung aus dem gebundenen Vermögen der GmbH setzt voraus, dass der Zahlungsempfänger für die Ausstattung der Gesellschaft mit haftendem Kapital verantwortlich ist. Das ist bei demjenigen, der (jedenfalls auch) GmbH-Gesellschafter ist, immer der Fall. Dagegen kann beim Nur-Kommanditisten eine Verantwortlichkeit auch für die Kapitalausstattung der GmbH allenfalls dann angenommen werden, wenn nicht auch eine natürliche Person haftet. Die Beteiligung eines weiteren Komplementärs kann aber wegen des gegen diesen gerichteten
8 BGH, ZIP 2015, 322 Rz. 8.
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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
Ausgleichsanspruchs nach § 426 Abs. 1 BGB Bedeutung erlangen, wenn dieser Ausgleichsanspruch werthaltig ist.9
3. Urteil vom 18.11.2014 – II ZR 231/13 – Ausgleich masseschmälernder Zahlungen (§§ 130a, 177a HGB) durch Massezufluss Dem Urteil vom 18.11.2014 – II ZR 231/1310 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Schuldnerin, eine GmbH & Co. KG, war seit Juli 2009 zahlungsunfähig und schloss Ende August 2009 eine als „Darlehensvertrag-Rahmenvereinbarung“ bezeichnete Vereinbarung mit ihrer Muttergesellschaft über ein Darlehen i.H.v. maximal 150 000 Euro bis Ende Dezember 2009. Das Darlehen stand der Darlehensnehmerin „nach eigenem Ermessen“ zur Verfügung und konnte in voller Höhe oder teilweise und gegebenenfalls mehrfach bei Bedarf abgerufen werden. Am 29.9.2009 erhielt die Schuldnerin aufgrund dieser Vereinbarung auf ein kreditorisch geführtes Bankkonto 150 000 Euro ausgezahlt. Am 9.10.2009 überwies die Schuldnerin ihrerseits denselben Betrag an ihre Muttergesellschaft. Am 16.10.2009 wurden erneut 150 000 Euro an die Schuldnerin mit dem Verwendungszweck „Darlehen“ überwiesen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begehrte der Insolvenzverwalter im Hinblick auf die Überweisung der 150 000 Euro von der Schuldnerin an ihre Muttergesellschaft am 9.10.2009 von dem beklagten Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Zahlung von 150 000 Euro. Die Revision gegen das die Klage abweisende Berufungsurteil blieb ohne Erfolg. Die Haftung nach § 130a Abs. 1, § 177a Satz 1 HGB für die Zahlung von 150 000 Euro am 9.10.2009 ist durch Überweisung des gleichen Betrags am 16.10.2009 an die Schuldnerin erloschen. Die Ersatzpflicht erlischt, wenn die durch die Zahlung verursachte Masseschmälerung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. Die Ausgleichsleistung muss nicht bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch vorhanden sein. Der Senat hat eine frühere Rechtsprechung, die das Gegenteil angenommen hatte,11 ausdrücklich aufgegeben.12
9 BGH, ZIP 2015, 322 Rz. 9 f. 10 BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71. 11 Vgl. BGH, ZIP 2010, 2400 Rz. 21 – Fleischgroßhandel; außerdem ZIP 2003, 1005, 1006; ZIP 2000, 1896, 1897; NJW 1974, 1088, 1089. 12 BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 Rz. 11.
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II. GmbH-Recht 1. Urteil vom 23.6.2015 – II ZR 366/13 – Masseschmälernde Zahlungen (§ 64 GmbHG) bei Globalzession In dem mit Urteil vom 23.6.2015 entschiedenen Fall II ZR 366/1313 unterhielt eine insolvente GmbH ein Kontokorrentkonto bei einer Bank mit der Vereinbarung einer Globalzession sämtlicher bestehender und künftiger Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen gegen Dritte. Der Insolvenzverwalter verlangte von dem beklagten Geschäftsführer gem. § 64 GmbHG Zahlung der auf dem durchgängig im Soll geführten Kontokorrentkonto gebuchten Eingänge in einem bestimmten Zeitraum, in dem die Schuldnerin insolvenzreif gewesen sein soll. Das Berufungsgericht hatte den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Einzug von Forderungen einer insolvenzreifen GmbH auf ein debitorisches Konto ist grundsätzlich eine masseschmälernde Zahlung i.S.v. § 64 GmbHG, weil dadurch das Aktivvermögen der GmbH zugunsten der Bank verringert wird. Waren die eingezogenen Forderungen allerdings an die Bank zur Sicherheit abgetreten, dann liegt keine masseschmälernde Zahlung vor, wenn die Sicherungsabtretung vor Insolvenzreife vereinbart und die Forderungen der Gesellschaft vor Insolvenzreife entstanden und werthaltig geworden sind. Der Einzug schmälert die Masse dann nicht, weil die an die Bank abgetretenen Forderungen wegen des dieser zustehenden Absonderungsrechts nach § 51 Nr. 1, § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht zur Verwertung zugunsten aller Gläubiger zur Verfügung stehen und der Geschäftsführer die Verwertung zugunsten der Bank als ordentlicher Geschäftsmann nicht verhindern muss.14 Der Ersatzanspruch bei masseschmälernden Zahlungen auf das debitorische Konto entfällt im Übrigen nicht schon dadurch ganz oder teilweise, dass die Bank nach Zahlungseingängen wieder Verfügungen zulässt und damit Zahlungen an Gläubiger der Gesellschaft geleistet werden. Darin liegt ein bloßer Gläubigertausch, aber kein Massezufluss. Ein Massezufluss ist nur dann gegeben, wenn mit der Zahlung ein werthaltiger Gegenstand für die Masse erworben wird und dieser Vorgang (noch) im
13 BGH, ZIP 2015, 1480. 14 BGH, ZIP 2015, 1480 Rz. 12.
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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH
unmittelbaren Zusammenhang mit der Masseschmälerung durch Einzug auf das debitorische Konto steht.15
2. Urteil vom 2.12.2014 – II ZR 322/13 – Einziehung und Konvergenzgebot (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) Mit Urteil vom 2.12.2014 – II ZR 322/1316 hat der Senat entschieden, dass der Beschluss über die Einziehung eines GmbH-Geschäftsanteils nicht deshalb nichtig ist, weil die Gesellschafterversammlung nicht gleichzeitig Maßnahmen ergriffen hat, um ein Auseinanderfallen der Summe der Nennbeträge der nach der Einziehung verbleibenden Geschäftsanteile und dem Stammkapital der Gesellschaft zu verhindern. Den Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG hat der Senat ebenso wie die Begründung des Regierungsentwurfs zum MoMiG17 für die Beantwortung dieser nach dem MoMiG streitig gewordenen Frage als unergiebig angesehen, weil in dieser Vorschrift Rechtsfolgen für die Einziehung nicht angesprochen sind. Er hat dagegen für seine Entscheidung darauf abgestellt, dass Schutzinteressen von Gläubigern oder Minderheitsgesellschaftern nicht berührt sind und es oft vor der nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG gebotenen Anpassung gerade sinnvoll sein kann, den Ausgang eines Rechtsstreits gegen den Einziehungsbeschluss oder über die Höhe der Abfindung abzuwarten.18
3. Beschluss vom 24.2.2015 – II ZB 17/14 – Testamentsvollstreckervermerk und Gesellschafterliste Nach dem Beschluss des Senats vom 24.2.2015 – II ZB 17/1419 darf das Registergericht die Aufnahme einer mit einem Testamentsvollstreckervermerk versehenen Gesellschafterliste ablehnen. Ein Testamentsvollstreckervermerk gehört nicht zu den gesetzlich vorgesehenen Angaben in der Gesellschafterliste, weil er keine Angabe über eine Veränderung in den Personen der Gesellschafter i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ist. Ein erhebliches praktisches Bedürfnis an der Information über eine Testamentsvollstreckung in der Gesellschafterliste hat der Senat anders als bei der KG, wo er das mit Beschluss vom 14.2.2012 – II ZB 15/1120 im 15 16 17 18 19 20
BGH, ZIP 2015, 1480 Rz. 31 ff. BGHZ 203, 303 = ZIP 2015, 579. BT-Drucks. 16/6140, 31. BGHZ 203, 303 = ZIP 2015, 579 Rz. 26 ff. BGH, ZIP 2015, 732. BGH, ZIP 2012, 623.
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Hinblick auf eine etwaige Haftungsausweitung angenommen hat, hier nicht gesehen, weil GmbH-Gesellschafter grundsätzlich nicht persönlich haften.
III. Aktienrecht 1. Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 330/13 – Hauptversammlungsort im Ausland Mit Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 330/1321 hat der Senat ausgesprochen, dass eine Satzungsregelung, die einen im Ausland gelegenen Hauptversammlungsort bestimmt, grundsätzlich gem. § 121 Abs. 5 AktG zulässig ist. Aus Wortlaut und Zweck dieser Vorschrift ergibt sich keine Eingrenzung auf einen inländischen Versammlungsort. Das Beurkundungserfordernis (§ 130 Abs. 1 Satz 1 AktG) steht nicht grundsätzlich entgegen. Denn die Beurkundung durch einen ausländischen Notar genügt, wenn sie der deutschen Beurkundung gleichwertig ist.22 Die konkrete Ausgestaltung der Satzungsregelung war im Streitfall allerdings nicht mit § 121 Abs. 5 AktG vereinbar, weil sie im Ergebnis zu einer hohen Zahl an möglichen Versammlungsorten in ganz Europa führte. Die angegriffene Satzungsregelung war daher nach Ansicht des Senats nicht hinreichend am Teilnahmeinteresse der Aktionäre ausgerichtet, sondern beschränkte die Teilnahmemöglichkeiten jedenfalls von Minderheitsaktionären.23
2. Urteil vom 19.5.2015 – II ZR 176/14 – Protokollierung der Hauptversammlung der nichtbörsennotierten AG Für den Fall, dass in der Hauptversammlung einer nichtbörsennotierten AG neben Beschlüssen, für die eine Dreiviertel- oder eine höhere Mehrheit erforderlich ist, etwa bei Satzungsänderungen, auch Beschlüsse gefasst werden, die diesen Mehrheitserfordernissen nicht unterliegen, hat der Senat mit Urteil vom 19.5.2015 – II ZR 176/1424 klargestellt, dass für die Beschlüsse, für die nach dem Gesetz keine Dreiviertel- oder größere Mehrheit bestimmt ist, nach § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG eine vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnete Niederschrift genügt. Die Ausle21 22 23 24
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BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494. BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Rz. 14 ff. BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Rz. 20 ff. BGH, ZIP 2015, 1429.
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gung des Gesetzes, insbesondere dessen Entstehungsgeschichte, ergibt die Zulässigkeit einer „teilbaren“ Niederschrift für ein- und dieselbe Hauptversammlung je nach Art der gefassten Beschlüsse. Im Gesetzgebungsverfahren ist die für § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG ursprünglich vorgeschlagene Wendung „sofern“ durch „soweit“ ersetzt worden,25 und zwar ausdrücklich zum Zweck der Befreiung vom Erfordernis der notariellen Beurkundung beschränkt auf bestimmte Beschlüsse. Die mit einer doppelten Protokollierung möglicherweise verbundenen Schwierigkeiten sind nach Ansicht des Senats überwindbar und stehen daher dieser Auslegung des Gesetzes nicht entgegen.
3. Urteil vom 30.6.2015 – II ZR 142/14 – Absage der Hauptversammlung durch einberufendes Organ In der mit Urteil vom 30.6.201526 entschiedenen Sache II ZR 142/14 hatte die Klägerin, eine GmbH, als persönlich haftende Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft auf Aktien aufgrund eines Verlangens von Aktionären nach § 122 Abs. 1 AktG zu einer außerordentlichen Hauptversammlung auf den 10.9.2012, 11.00 Uhr eingeladen. Tagesordnungspunkte waren u.a. die Bestellung von Sonderprüfern gem. § 142 Abs. 1 AktG zur Prüfung, ob die Klägerin und ihre Vertreter sowie Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hatten, sowie die Geltendmachung etwaiger sich aus den Sonderprüfungen ergebender Schadensersatzansprüche. Am 10.9.2012 fanden sich bei einer Gesamtanzahl von 28,4 Mio. Kommanditaktien nach Durchführung einer Einlasskontrolle Kommanditaktionäre bzw. deren Vertreter mit ca. 21 Mio. Stimmen ein. Um 11.10 Uhr erschien der Geschäftsführer der Klägerin, begrüßte die Anwesenden und teilte mit, dass die Hauptversammlung aufgrund eines Beschlusses der Geschäftsführer der Klägerin abgesagt worden sei. Aus dem Kreis der Aktionäre, die das Verlangen nach § 122 Abs. 1 AktG gestellt hatten, wurde daraufhin die Auffassung vertreten, dass die auf ihr Verlangen einberufene Hauptversammlung schon deshalb nicht abgesagt werden könne, weil der Geschäftsführer der Klägerin sie bereits eröffnet habe. Ein anwesender Rechtsanwalt, der bereits im Vorfeld erklärt hatte, gegebenenfalls die Versammlungsleitung zu übernehmen, wurde zum Versammlungsleiter gewählt. Daraufhin verließ der Geschäftsfüh25 Vgl. BT-Drucks. 12/6721, 3 und BT-Drucks. 12/7848, 5. 26 BGH, ZIP 2015, 2069.
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rer der Klägerin den Versammlungssaal. Auf seine Weisung wurde die Übertragungstechnik abgebaut und wurde das Buffet abgeräumt. Der zum Versammlungsleiter gewählte Rechtsanwalt unterbrach die Versammlung zunächst bis 12.00 Uhr. Gegen 13.15 Uhr wurde die Versammlung fortgesetzt, nachdem die Übertragungstechnik wieder funktionsbereit gemacht und ein anderer Notar eingetroffen war. Es wurden einstimmig die vorgeschlagenen Beschlüsse gefasst. Widersprüche zu Protokoll wurden nicht erklärt. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass am 10.9.2012 keine Hauptversammlung der Beklagten stattgefunden habe, und hat mit der Begründung, die Beschlüsse seien sämtlich nichtig, jedenfalls aber anfechtbar, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage erhoben. Das Berufungsgericht27 hatte entschieden, dass die beanstandeten Beschlüsse nichtig seien, weil die Hauptversammlung von der Klägerin wirksam abgesagt worden sei. Zu der von einem Teil der Kommanditaktionäre in der Folge abgehaltenen Versammlung sei nicht eingeladen gewesen, so dass Verstöße gegen § 121 Abs. 2 und 3 Satz 1 und Abs. 4 AktG vorlägen. In einer Hilfsbegründung hat es für den Fall, dass man die Absage der Hauptversammlung dagegen für unwirksam und die Versammlung für eröffnet halten wollte, die Beschlussfassungen jedenfalls gem. § 243 Abs. 1 AktG als anfechtbar angesehen, weil in der dennoch ausdrücklich erfolgten Absage durch die Einberufende ein Verfahrensfehler liege, welcher einem Einladungsmangel gleichzustellen sei. Der Bundesgerichtshof ist dem Oberlandesgericht in der Annahme, die Klägerin habe die Hauptversammlung wirksam abgesagt und die gleichwohl gefassten Beschlüsse seien daher nichtig, nicht gefolgt. Er hat aber die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Beschlüsse seien wegen eines Verfahrensmangels wirksam angefochten, im Ergebnis bestätigt.28 Die Zurücknahme der Einberufung war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht wirksam erklärt worden, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Erklärung ihres Geschäftsführers nicht mehr über die Kompetenz zur Absage der Hauptversammlung verfügte.29 Die Einberufung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft kann zwar grundsätzlich von dem für die Einberufung zuständigen Organ, das sie einberufen hat, wieder zurückgenommen werden, solange die aus der
27 OLG Frankfurt v. 18.3.2014 – 5 U 65/13, juris. 28 BGH, ZIP 2015, 2069 Rz. 20. 29 BGH, ZIP 2015, 2069 Rz. 21 ff.
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Kompetenz zur Einberufung folgende Kompetenz zu deren Rücknahme auch in zeitlicher Hinsicht noch besteht. Das gilt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch bei einer Einberufung aufgrund eines Verlangens nach § 122 Abs. 1 AktG. Dass der Vorstand bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG verpflichtet ist, die Hauptversammlung einzuberufen, berührt seine Kompetenz zur Zurücknahme der Einberufung nicht. Auch in den sonstigen Fällen des § 121 Abs. 1 AktG, in denen durch Gesetz bestimmt ist, dass die Hauptversammlung einzuberufen ist, ist der Vorstand bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Einberufung verpflichtet. Gleichwohl ist die Kompetenz des Vorstands, die Einberufung zurücknehmen zu können, und damit die Wirksamkeit der Rücknahme nicht davon abhängig, ob die Verpflichtung zur Einberufung entfallen ist oder ob ein sonstiger berechtigter Grund für die Zurücknahme der Einberufung besteht. Wie bei der Einberufung ist auch bei deren Zurücknahme die Frage der Kompetenzzuordnung von der Frage zu unterscheiden, welche Pflichten im Hinblick auf die Einberufung und deren Zurücknahme im konkreten Fall bestehen. Die Pflichtenlage verändert die Kompetenzzuordnung nicht. Weder fällt die Zuständigkeit zur Einberufung einem anderen Organ zu, wenn der Vorstand sich in den durch Gesetz bestimmten Fällen pflichtwidrig weigert, die Hauptversammlung einzuberufen, noch entfällt seine Kompetenz, die pflichtgemäß einberufene Hauptversammlung wieder abzusagen, wenn die Absage gegen die Pflicht zur Einberufung verstößt. Nach dem gesetzlichen Regelungsgefüge bleibt den Aktionären dann lediglich die Möglichkeit, vom Vorstand gem. § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG die Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen oder sich gem. § 122 Abs. 3 AktG zur Einberufung der Hauptversammlung ermächtigen zu lassen. Die pflichtwidrige Zurücknahme der aufgrund eines Verlangens nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG einberufenen Hauptversammlung kommt dem in § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG genannten Fall gleich, dass der Vorstand dem Verlangen von vornherein nicht entspricht. Das Gesetz geht ersichtlich davon aus, dass selbst im Falle eines pflichtwidrigen Verhaltens des Vorstands in die gesetzliche Kompetenzzuordnung erst nach gerichtlicher Überprüfung eingegriffen werden soll. Dem steht entgegen, die Wirksamkeit der Absage einer aufgrund eines Verlangens nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG einberufenen Hauptversammlung davon abhängig zu machen, ob die Absage pflichtgemäß oder pflichtwidrig war.
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Eine andere Beurteilung ist auch im Hinblick auf den Normzweck des § 122 AktG, einer Minderheit von Aktionären die Möglichkeit der Willensbeeinflussung der anderen Aktionäre in einer Hauptversammlung zu gewähren, nicht geboten. Die mit der Verweisung der Aktionäre auf das Verfahren der gerichtlichen Ermächtigung nach § 122 Abs. 3 AktG gegebenenfalls verbundene Verzögerung ist nach der Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich hinzunehmen. Die von Aktionären nach gerichtlicher Ermächtigung gem. § 122 Abs. 3 AktG einberufene Hauptversammlung kann der Vorstand nicht absagen, weil diese Kompetenz nur dem einberufenden Organ zusteht und der Vorstand im Falle der Einberufung durch dazu gem. § 122 Abs. 3 AktG ermächtigte Aktionäre nicht Einberufungsorgan ist. Der Vorstand würde zwar (wieder) als Einberufungsorgan handeln, wenn er nach Stellung eines Antrags gem. § 122 Abs. 3 AktG (und vor dessen rechtskräftiger Bescheidung) von sich aus erneut eine Hauptversammlung mit den von den Aktionären verlangten Gegenständen einberiefe. Dadurch würde das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 122 Abs. 3 AktG aber nicht entfallen, wenn der Vorstand eine (erste) aufgrund eines Verlangens nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG einberufene Hauptversammlung abgesagt hat, die Prüfung dieser Absage Anhaltspunkte dafür ergibt, dass sie pflichtwidrig erfolgt ist, und die Gefahr besteht, dass der Vorstand erneut so verfahren wird. In diesem Fall erledigt sich das Begehren der Minderheit gem. § 122 Abs. 3 AktG erst dann, wenn sich die (vom Vorstand einberufene) Hauptversammlung mit den der beantragten Ermächtigung zugrunde liegenden Beschlussgegenständen befasst hat. Die Klägerin konnte im Streitfall die von ihr einberufene Hauptversammlung zum Zeitpunkt der Erklärung ihres Geschäftsführers gegenüber den erschienenen Kommanditaktionären entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber nicht mehr (wirksam) absagen, weil die aus ihrer Einberufungskompetenz grundsätzlich folgende Kompetenz zur Zurücknahme der Einberufung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand.30 Jedenfalls in einem Fall wie dem entschiedenen, bei dem sich die an dem in der Einberufung bestimmten Tag der Hauptversammlung am Versammlungsort erschienenen Aktionäre nach einer Einlasskontrolle im Versammlungsraum eingefunden haben und ihnen dort nach der in der Einberufung angegebenen Zeit des Beginns der Hauptversammlung
30 BGH, ZIP 2015, 2069 Rz. 28 ff.
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(§ 121 Abs. 3 Satz 1 AktG) von einem Vertreter des einberufenden Organs die Absage der Hauptversammlung bekannt gegeben wird, ist diese Erklärung nach Auffassung des Senats erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem das einberufende Organ nicht mehr über die Kompetenz zur Zurücknahme der Einberufung verfügt. Die am 10.9.2012 gefassten Beschlüsse hat der Senat dagegen nicht deshalb als nichtig angesehen, weil die Hauptversammlung nicht, jedenfalls nicht förmlich eröffnet worden war. Eine förmliche Eröffnung der Hauptversammlung ist nach dem Gesetz nicht erforderlich. Es fehlt daher nicht an einer Beschlussfassung der Hauptversammlung (vgl. § 118 Abs. 1, § 119 AktG), wenn von den zu einer vom Vorstand einberufenen (und nicht wirksam abgesagten) Hauptversammlung erschienenen Aktionären Beschlüsse gefasst werden, ohne dass die Hauptversammlung förmlich eröffnet worden ist. Ob die gefassten Beschlüsse nichtig sind, richtet sich allein nach § 241 AktG. Das Fehlen einer förmlichen Eröffnung ist danach kein Nichtigkeitsgrund.31 Die auf der Hauptversammlung vom 10.9.2012 zu den Gegenständen der Tagesordnung gefassten Beschlüsse waren jedoch für nichtig zu erklären, weil sie, wie das Berufungsgericht mit seiner Hilfsbegründung im Ergebnis zutreffend angenommen hatte, von der Klägerin gem. § 278 Abs. 3, §§ 243, 245 Nr. 4, § 246 AktG erfolgreich angefochten worden waren.32 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte ein erheblicher Teil der ausweislich der Einlasskontrolle erschienenen Kommanditaktionäre nach der Erklärung des Geschäftsführers, die Hauptversammlung sei aufgrund eines Beschlusses der Geschäftsführung der Klägerin abgesagt, im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Absage vor Beschlussfassung über die angekündigten Tagesordnungspunkte das Versammlungslokal verlassen. Die auf der Hauptversammlung vom 10.9.2012 gefassten Beschlüsse beruhten nach Ansicht des Senats daher auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 243 Abs. 1 AktG), weil die Kommanditaktionäre, die nach der Mitteilung des Geschäftsführers das Versammlungslokal verlassen hatten und demgemäß bei der Beschlussfassung nicht mehr anwesend waren, auf die Wirksamkeit der Absage vertrauen durften und daher in ihrem Recht, durch Teilnahme an der Hauptversammlung ihre Rechte in den 31 BGH, ZIP 2015, 2069 Rz. 36. 32 BGH, ZIP 2015, 2069 Rz. 37 ff.
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Angelegenheiten der Gesellschaft auszuüben (§ 118 Abs. 1 Satz 1 AktG), beeinträchtigt waren. Eine Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechts war im vorliegenden Fall deshalb anzunehmen, weil die Unwirksamkeit der Absage für die Kommanditaktionäre nicht ohne weiteres zu erkennen war. Der nach der Satzung zum Versammlungsleiter bestimmte Vorsitzende des Aufsichtsrats der Beklagten war nicht anwesend und hatte die Leitung der Hauptversammlung nicht übernommen. Es wurden zwar aus dem Aktionärskreis Zweifel an der Wirksamkeit der von der Geschäftsführung erklärten Absage geäußert. Da für eine Klärung, ob die Hauptversammlung wirksam abgesagt sei oder nicht, durch ein zuständiges anderes Organ als die Geschäftsführung nichts ersichtlich war, mussten die Kommanditaktionäre aber nicht bleiben und ihre Rechte unter Vorbehalt ausüben. Die Klägerin war gem. § 245 Nr. 4, § 278 Abs. 3 AktG zur Anfechtung befugt. Die Anfechtungsbefugnis steht dem Vorstand als Organ bei der Aktiengesellschaft wegen seiner Aufgabe zu, für die Rechtmäßigkeit des Korporationshandelns zu sorgen. Seine im Interesse der Gesellschaft bestehende Anfechtungsbefugnis ist daher nicht dadurch ausgeschlossen, dass er den anfechtbaren Beschluss selbst vorgeschlagen hat (§ 124 Abs. 3 AktG) oder bei einem Verfahrensfehler, etwa einem Einberufungsmangel, diesen selbst verursacht hat.33 Der Senat hat schließlich im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichts bestätigt, dass die Anfechtung der Beschlüsse durch die Klägerin im konkreten Fall nicht rechtsmissbräuchlich ist.34 Wegen der im allgemeinen Interesse liegenden Kontrollfunktion des Anfechtungsrechts kommen etwaige Beschränkungen der gesetzlichen Anfechtungsbefugnis aufgrund individuellen Rechtsmissbrauchs allenfalls ganz ausnahmsweise bei einzelnen klar abgrenzbaren Fallgestaltungen in Betracht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Vorstand die Anfechtungsbefugnis gem. § 245 Nr. 4 AktG nicht zuletzt auch deshalb eingeräumt ist, weil die Anfechtungsmöglichkeiten der Aktionäre aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen eingeschränkt sein können oder diese im Einzelfall wegen mangelnder persönlicher Betroffenheit von der ihnen zur allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle eingeräumten Anfechtungsbefugnis möglicherweise keinen Gebrauch machen werden. Aus diesen Gründen kann insbesondere der Vorwurf, dass der Vorstand mit der Anfechtung auch pflichtwidrig eigennützige Ziele verfolgt, nicht bereits als solcher 33 BGH, ZIP 2015, 2069 Rz. 45. 34 BGH, ZIP 2015, 2069 Rz. 46 ff.
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zum Verlust der Anfechtungsbefugnis wegen Rechtsmissbrauchs führen. Einem etwaigen pflichtwidrigen Handeln des Vorstands ist mit den auch sonst bei Pflichtverletzungen zur Verfügung stehenden Maßnahmen wie dem Widerruf der Bestellung oder der Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis sowie der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu begegnen. Der Frage, ob die Klägerin bei der Zurücknahme der Einberufung deshalb pflichtwidrig gehandelt hat, weil sie gem. § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Einberufung verpflichtet war, brauchte daher nicht nachgegangen zu werden, weil eine solche Pflichtverletzung, selbst wenn sie vorgelegen haben und vorsätzlich erfolgt sein sollte, als solche nicht zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs mit der Folge des Verlusts der Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 4 AktG führte. Eine andere Beurteilung war nicht deshalb geboten, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Erklärung ihres Geschäftsführers ihre Absagekompetenz bereits verloren hatte. Die Klägerin war bei ihrer Absage davon ausgegangen, dass die Hauptversammlung noch nicht eröffnet gewesen sei und ihr daher als Einberufungsorgan nach der zur Zurücknahme der Einberufung allgemein im Schrifttum vertretenen Auffassung die Kompetenz zur Absage noch zugestanden habe. Diese Auffassung war auch hinsichtlich der hier vorliegenden Einberufung nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG angesichts des Meinungsstands im Schrifttum jedenfalls nicht offensichtlich unhaltbar. Die der Klägerin vorgeworfene Vorsätzlichkeit ihres Handelns bezieht sich nicht auf den maßgeblichen Anfechtungsgrund der Verletzung des Teilnahmerechts der Kommanditaktionäre. Eine solche Rechtsverletzung konnte nach der Vorstellung der Klägerin schon deshalb nicht eintreten, weil ihrer Ansicht nach die Hauptversammlung wirksam abgesagt worden war.
4. Urteil vom 28.4.2015 – II ZR 63/14 – Entgeltlicher Beratungsvertrag mit Vorstandsmitglied Im Urteil vom 28.4.2015 – II ZR 63/1435 hat der Senat ausgeführt, dass für den Abschluss eines entgeltlichen Beratungsvertrags der AG mit einem Vorstandsmitglied gem. § 84 Abs. 1, § 87, § 112 AktG der Aufsichtsrat zuständig ist. Das gilt auch dann, wenn der Vertrag von der AG nicht mit dem Vorstandsmitglied selbst, sondern mit einem Dritten abgeschlossen und mit diesem eine Vergütung für die Vorstandstätigkeit 35 BGH, ZIP 2015, 1220.
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vereinbart wird. Die übrigen Vorstandsmitglieder handeln pflichtwidrig, wenn sie unter Verstoß gegen diese Kompetenzverteilung einen Vertrag für die AG abschließen oder nicht darauf hinwirken, dass diese Kompetenzordnung beachtet wird.36 In dieser Sache hat der Senat weiter zur Frage des Rechtsirrtums nach Einholung von Rechtsrat Stellung genommen. Das Verschulden des Organs kann zu verneinen sein, wenn aufgrund des erteilten Rates der Irrtum unvermeidbar war. Nach der Senatsrechtsprechung37 ist dafür neben der umfassenden Darlegung der Verhältnisse durch das Rechtsrat einholende Organ erforderlich, dass der Rechtsrat von einem unabhängigen und fachlich qualifizierten Berufsträger erteilt wird und der Ratsuchende die erteilten Auskünfte einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht. Der Senat hat in der genannten Entscheidung klargestellt, dass nicht die persönliche Unabhängigkeit des Beraters gemeint ist, sondern dass er seine Rechtsauskunft sachlich unabhängig, d.h. unbeeinflusst von unmittelbaren oder mittelbaren Vorgaben hinsichtlich des Ergebnisses erteilt. Die Entlastung verlangt ferner nicht, dass ein Prüfauftrag ausdrücklich für eine bestimmte Rechtsfrage erteilt wird; es ist nur erforderlich, dass die Prüfung aus der Sicht des nicht fachkundigen Organs die zweifelhafte Frage umfasst. Und die Plausibilitätsprüfung besteht nicht in einer rechtlichen Überprüfung der erhaltenen Rechtsauskunft. Sie umfasst vielmehr die Prüfung, ob dem Berater nach dem Inhalt der Auskunft alle erforderlichen Informationen zur Verfügung standen, er die Informationen verarbeitet und alle sich in der Sache für einen Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet hat oder sich aufgrund der Auskunft weitere Fragen aufdrängen.38
36 BGH, ZIP 2015, 1220 Rz. 24 ff. 37 Vgl. BGH, ZIP 2011, 2097 Rz. 18. 38 BGH, ZIP 2015, 1220 Rz. 30.
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Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann Dr. Stefanie Wentzell Richterin am Amtsgericht, Reutlingen/Karlsruhe I. Personengesellschaftsrecht . .
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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . .
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III. Aktienrecht. . . . . . . . . . . . . .
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Diskussionsleiter Krieger dankte Bergmann für das Referat und eröffnete die Diskussion, die sich sodann auf die von Bergmann dargestellten Entscheidungen aus den Bereichen des Personengesellschaftsrechts, des GmbH-Rechts und des Aktienrechts gleichermaßen erstreckte und die nachfolgend entsprechend der Reihenfolge der besprochenen Entscheidungen dargestellt wird.
I. Personengesellschaftsrecht C. Schäfer stimmte dem Urteil vom 30.6.2015 (II ZR 142/14, WM 2015, 2046) zwar im Ergebnis zu, kritisierte allerdings den Ansatz des Senats als merkwürdig. Seiner Ansicht nach soll eine Pflicht zur Zustimmung nur aus „wichtigem Grund“ bestehen, der allein darin liegen könne, dass eine Verwässerung der Beteiligung nicht mehr anders abwendbar sei und sich der weigernde Gesellschafter zugleich wie ein reiner „Trittbrettfahrer“ an der durch die übrigen Gesellschafter angestrebten Sanierung verhielte. Für die Zustimmungspflicht komme es nicht entscheidend auf den Gesellschaftsvertrag an, sondern auf den (tatsächlichen) Umstand einer Überschuldung der Gesellschaft. Bergmann erwiderte darauf, dass der Senat sowohl Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens als notwendig dafür voraussetze, den Gesellschafter zu einer Zustimmung verpflichten zu können. Im konkreten Fall waren beide Voraussetzungen allerdings revisionsrechtlich zu unterstellen, so dass sich der Senat damit nicht näher befasste. Die Überschuldung und die in der Folge notwendige Sanierung lege aber auch der Senat seiner Rechtsprechung zugrunde. Die Zustimmungspflicht aus dem Kriterium des „wichtigen Grundes“ herzuleiten, stelle sich damit im Ergebnis nicht anders dar als die Rechtsprechung des Senats. Die Pflicht zur Zustimmung beziehe sich ohnehin nur auf das Ausscheiden aus der Gesellschaft, nicht aber auf die Erbringung von
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Wentzell – Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann
Nachschüssen. K. Schmidt ergänzte, dass er die Entscheidung „Sanieren oder Ausscheiden“ (Urteil vom 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1), an welche die besprochene Entscheidung lediglich anknüpfe, auch in der Sache für richtig halte. In dieser Krisensituation hätten sämtliche Gesellschafter die Pflicht, die Verluste der Gesellschaft wieder „glatt zu stellen“. Die vom II. Zivilsenat aus dem Treupflichtverstoß abgeleitete Befugnis, den sich verweigernden Gesellschafter auszuschließen, greife damit in der Sache nur den Regelungsgedanken des § 140 HGB auf. Auf das Urteil vom 9.12.2014 (II ZR 360/13, ZIP 2015, 322) bezog sich zunächst B. Wagner und gab zu bedenken, dass bislang nicht geklärt sei, ob und inwieweit Zahlungen bzw. Ausschüttungen an Kommanditisten in Publikumsgesellschaften entsprechend GmbH-rechtlicher Vorschriften zu erstatten seien. Diese Frage erlange Bedeutung etwa im Zusammenhang mit Aufklärungspflichten im Rahmen der Prospekthaftung. Dazu bemerkte Bergmann, dass auf den ersten Blick die Einstandspflicht bei Publikumsgesellschaften wohl nicht anders zu bewerten sei. Sodann erhob Rollin den Einwand, dass Fallgestaltungen denkbar seien, in denen sich Auszahlungen aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft trotz deren Überschuldung nicht bilanziell auswirkten. Zwar steige das Haftungsrisiko der Komplementärin, bilanziell könne die Auszahlung allerdings folgenlos bleiben. Dem entgegnete Bergmann, dass es für die Frage, ob es sich um eine nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlung handle, allein auf die finanziellen Verhältnisse der Komplementär-GmbH ankomme. Bei Leistungen an die Kommanditisten werde zwar das Vermögen unmittelbar der Kommanditgesellschaft entzogen. Diese Leistungen berührten aber mittelbar auch das Vermögen der Komplementär-GmbH als persönlich haftender Gesellschafterin. Ob das Vermögen der Komplementär-GmbH im Einzelfall überschuldet sei, messe sich aber daran, ob der Freistellungsanspruch gegenüber der Kommanditgesellschaft tatsächlich werthaltig und in der Bilanz aktivierbar sei.
II. GmbH-Recht K. Schmidt stellte zunächst seinen bekannten Standpunkt zum Regelungsgehalt des § 64 GmbHG dar, dessen dringende Entschärfung angezeigt sei, um dem eigentlichen Regelungskonzept einer Schadensersatzleistung zur Anwendung zu verhelfen. Immerhin zeige der II. Zivilsenat in seinem Urteil vom 23.6.2015 (II ZR 366/13, NZG 2015, 998) mehr Sensibilität im Umgang mit der Regelung, wenngleich der Senat wie auch die herrschende Meinung den Sinngehalt von § 130a HGB zuguns-
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ten eines Gleichlaufs mit § 64 GmbHG verdrehe, was evident falsch sei. Gerade die von Bergmann referierte Entscheidung zeige erneut auf, dass das vorherrschende Verständnis zu § 64 GmbHG zu einer endlosen Addition von Zahlungen führen könne, ohne auf die Verhältnismäßigkeit dieser Vorgehensweise zu achten. Habersack und Bergmann gaben demgegenüber zu bedenken, dass man zwar § 64 GmbHG als regelungstechnisch missglückt ansehen könne. Gleichwohl sei die Norm als geltendes Recht anzuwenden. Wolle man den Regelungsgehalt einer Kritik unterziehen, müsse man diese an den Gesetzgeber in Berlin richten. Im Übrigen grenzten sich, so Habersack, § 15a InsO und § 64 GmbHG klar voneinander ab. Zweifel habe er allerdings insoweit, als das Kriterium des unmittelbaren Zusammenhangs, das schon im Urteil vom 18.11.2014 (II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71) maßgeblich war, zwar für Bargeschäfte ein brauchbares Kriterium darstelle, aber wohl für Zahlungen auf und von debitorischen Konten eher weniger passe. Auch Hollweg kritisierte, dass sich das Kriterium des „unmittelbaren Zusammenhangs“ weder im Text der Norm wiederfinde noch dogmatisch verankern lasse, also regelrecht vom „Himmel gefallen“ zu sein scheine. Gerade bei revolvierenden Kreditsicherheiten bleibe offen, wann das Merkmal noch erfüllt sei, ob etwa noch sechs Wochen zeitlicher Abstand oder auch bis zu drei Monaten genügten. Bergmann hielt dem entgegen, dass der Geschäftsführer die Pflicht habe, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn die Voraussetzungen des § 15a InsO vorlägen. Ein Recht, das Unternehmen fortzuführen und weiterhin Geschäfte zu tätigen, habe er in diesem Fall nicht. Handle der Geschäftsführer seiner Pflicht zuwider und führe die Geschäfte fort, so greife § 64 GmbHG, der also in einem Verfahrensstadium zur Anwendung gelange, in dem der Geschäftsführer sich pflichtwidrig verhalte. Nur besondere Umstände könnten es deshalb rechtfertigen, dass die durch § 64 GmbHG grundsätzlich angeordnete Erstattungspflicht ausnahmsweise nicht zur Anwendung komme. Im Übrigen sei der Unmittelbarkeitszusammenhang nicht nur zeitlich, sondern vor allem wirtschaftlich zu verstehen. Im entschiedenen Fall habe er sich durch die zugrundeliegende Rahmenvereinbarung verkörpert, auf die sich die einzelnen Zahlungsvorgänge zurückführen ließen. Bedeutsam sei in diesem Zusammenhang aber vor allem, dass die Erstattungspflicht nur dem Ausgleich einer Masseschmälerung diene, nicht aber der Bereicherung der Masse. B. Wagner griff die Entscheidung vom 2.12.2012 (II ZR 322/13, ZIP 2015, 579) zur Divergenz zwischen den Nennbeträgen der Geschäftsanteile und der Stammkapitalziffer auf. Bislang nicht geklärt sei, ob jedenfalls
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Wentzell – Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann
in der Folgezeit eine Pflicht zur Anpassung der Beträge bestehe, um sodann einen Gleichlauf zwischen Stammkapitalziffer einerseits und Summe der Nennbeträge andererseits wiederherzustellen. Dazu bemerkte Bergmann, dass es zwar eine gesetzliche Pflicht geben möge, die Beträge im Nachhinein einander anzupassen. Eine Sanktion im Fall des Verstoßes sehe das Gesetz allerdings nicht vor, so dass ein fortdauerndes Auseinanderfallen demnach sanktionslos bliebe.
III. Aktienrecht Eberhard Vetter befand, dass die Absage einer Hauptversammlung in der Praxis auch kurzfristig aus berechtigten Gründen notwendig werden könne. In Anbetracht des Urteils vom 30.6.2015 (II ZR 142/14, WM 2015, 2046) stelle sich nun aber die Frage, wie dies ohne Pflichtenverstoß gehandhabt werden solle, insbesondere bis zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form der Vorstand zur Absage befugt sei. Aus praktischer Sicht komme der Vorstand mit dem Abräumen des Buffets sicher zu spät. Naheliegender wäre zu verhindern, dass der Saal aufgeschlossen wird, und ein Schild „Absage der Hauptversammlung“ anzubringen. Möglicherweise muss bereits die Registrierung der angemeldeten und teilnahmeberechtigten Aktionäre verhindert werden. Über die Einberufung der Hauptversammlung beschließe ferner der Vorstand, so dass sich die Frage stelle, ob auch über ihre Absage eine Beschlussfassung des Vorstands notwendig werde. Dies könne aus Zeitgründen im Vorfeld einer Hauptversammlung schwierig werden. Hollweg ergänzte, dass ferner eine Schadensersatzpflicht des Vorstands, etwa für die Fahrtkosten der Aktionäre oder deren Verdienstausfall, im Raum stehe. Bergmann erläuterte, dass der Vorstand nur so lange befugt sei, über die Absage der Hauptversammlung zu entscheiden, wie die Zuständigkeit nicht auf ein anderes Organ übergegangen sei. Als ein solches anderes Organ komme etwa die Hauptversammlung in Betracht, ggf. deren Versammlungsleiter. Zeitlich überschneidende Zuständigkeiten mehrerer Organe gebe es nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht. Im Fall der Entscheidung II ZR 142/14 sei der Zeitraum für die Zuständigkeit des Vorstands auf jeden Fall überschritten gewesen. Wann die Befugnis im Einzelnen übergegangen war, habe für die Entscheidung keine Rolle gespielt. Das Gesetz sehe keine Definition für den zeitlichen Übergang der Befugnis, die Hauptversammlung abzusagen, vor. War die Hauptversammlung förmlich eröffnet, sei die Befugnis jedenfalls übergegangen. Ohne förmliche Eröffnung stelle sich die Frage, wann in der Sache gleichkommend von
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einer Eröffnung auszugehen sei. Zur näheren Konkretisierung werde man künftig zu entscheidende Fallgestaltungen abwarten müssen. Der Vorstand sei aber grundsätzlich verpflichtet, die Hauptversammlung rechtzeitig abzusagen, wobei sich indes Fallgestaltungen denken ließen, in denen eine Absage infolge bestimmter Umstände nicht mehr rechtzeitig vor der Anreise der Aktionäre erfolgen könne. Krieger ergänzte, dass jedenfalls in der von Bergmann vorgestellten Entscheidung II ZR 142/14 sich der Vorstand eindeutig pflichtwidrig verhalten habe, die Hauptversammlung abzusagen, als das Buffet aufgebaut und die Aktionäre den Saal bereits betreten hatten. Gleichwohl könne es aber im Einzelfall durchaus schwierig sein, die Grenze zu pflichtgemäßem Handeln zu ziehen. Von Falkenhausen stimmte dem Urteil vom 28.4.2015 (II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220) im Ergebnis zu. Seiner Ansicht nach sei aber die Einholung von Rechtsrat bereits auf Ebene der Pflichten des Vorstands zu berücksichtigen – ob der Vorstand somit seinen Pflichten genüge getan habe – und nicht erst im Rahmen des Verschuldens. Diesem Einwand entgegnete Bergmann, dass der Senat Rechtsirrtümer des Vorstands dogmatisch beim Verschulden verankert sehe.
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Emittenten und Marktteilnehmer im Risiko Erhöhte Anforderungen an Risikomanagement und Prozessstabilität durch verschärfte Kapitalmarktpublizität und Sanktionen Dr. Lutz Krämer/Dr. Tobias A. Heinrich* Rechtsanwälte, Frankfurt am Main I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . II. Veränderte Anforderungen im Bereich der Beteiligungspublizität durch die TD 2013. . . . 1. Vorverlagerung des Grundtatbestands . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheitlicher Meldetatbestand für (Finanz-)Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschärfter Sanktionsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bußgelder werden teuer . . b) Naming and Shaming . . . . c) Rechtsverlust: Erweiterung der Kampfzone . . . . . III. Potenzierung der Anforderungen an die KapitalmarktCompliance durch MAR und CRIM-MAD . . . . . . . . . . 1. Ausweitung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . 2. Änderungen bei Directors’ Dealings – Closed Period . . .
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3. Verschärfter Sanktionsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Gesteigerte Anforderungen an die Kapitalmarkt-Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Vorstandshaftung und Handlungspflichten des Aufsichtsrats. . . . . . . . . . . . . 1. Vorstandshaftung und Haftung der Gesellschaft . . . . . . 2. Nichtinanspruchnahme des Vorstands. . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktive Haftungsfreistellung des Vorstands . . . . . . aa) Einschränkung der Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses aufgrund gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten . . bb) Schutzzwecküberlagerung durch Naming and Shaming. . . . . . . .
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* Dr. iur. Lutz Krämer und Dr. iur. Tobias A. Heinrich, LL.M. (London) sind Rechtsanwälte und Partner der internationalen Anwaltssozietät White & Case LLP in Frankfurt am Main. Besonderer Dank gilt Herrn Rechtsreferendar Benedikt Happ für seine tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags.
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Krämer/Heinrich – Emittenten und Marktteilnehmer im Risiko cc) Nichtbeteiligung der Hauptversammlung nur unter den Voraussetzungen der ARAG/ Garmenbeck-Grundsätze. . . . . . . . . . . . . . . dd) Begrenzung auf verhältnismäßig geringe Schadensfälle . . . . . . .
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ee) Regelmäßig keine Haftungsfreistellung bei individueller Bebußung ohne Hauptversammlungsbeschluss . . . . . . . . . . . . b) Passive Haftungsfreistellung des Vorstands . . . . . . VI. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung Das jüngste Maßnahmenpaket des europäischen Gesetzgebers begründet mit der Änderungsrichtlinie zur Transparenzrichtlinie (TD 2013)1, der Marktmissbrauchsverordnung (MAR)2 und der Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insiderhandel und Marktmanipulation (CRIMMAD)3 eine umfassende „Neuausrichtung“ des kapitalmarktrechtlichen Sanktionsrechts. Der Bundestag hat pünktlich nachgezogen und am 1.10.2015 das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie4 verabschiedet, das sich mit der klaren Handschrift der TD 2013 neben der Vereinfachung der Meldearchitektur und teilweisen 1 Richtlinie 2013/50/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2013 zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie der Richtlinie 2007/14/EG der Kommission mit Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2004/109/EG (ABl. L 294 v. 6.11.2013, S. 13). 2 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. L 173 v. 12.6.2014, S. 1). 3 Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie) (ABl. L 173 v. 12.6.2014, S. 179). 4 Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie v. 20.11.2015, BGBl. I 2015, 2029.
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„Entschlackung“ der Meldepflichten auf die Sanktionierung von Verstößen gegen das WpHG konzentriert. Die MAR wird im Bereich des Insiderrechts, der Ad hoc-Publizität, dem Verbot der Marktmanipulation sowie der Directors’ Dealings ab dem 3.7.2016 unmittelbare Anwendung finden und dabei Deutschland und den übrigen 27 Mitgliedstaaten einen weitgehenden Harmonisierungsschub verordnen. Der Umsetzungsprozess zur CRIM-MAD wurde am 6.1.2016 mit dem Regierungsentwurf eines ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes5 angestoßen und muss bis zur verbindlichen Geltung der MAR abgeschlossen sein. Letzteres wird dabei die mit der MAR europäisch harmonisierten Regelungen zu Strafsanktionen im Bereich des Insiderhandels und der Marktmanipulation flankieren. Den soeben genannten Regelungsinitiativen ist gemein, dass sie auf tatbestandlicher Ebene mit teils erheblichen Neuerungen den Emittenten und sonstigen Marktteilnehmern erhebliche Anstrengungen im Bereich des Risikomanagements und der Prozessstabilität abverlangen (dazu unter II. und IV.) und gleichzeitig auf Rechtsfolgenseite mit drastisch erhöhten Bußgeldern und einem erweiterten Tableau an Verwaltungssanktionen aufwarten (dazu unter II.3 und III.). Diese Entwicklungen lenken den Blick auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Vorstand einer Aktiengesellschaft für Unternehmensbußgelder in seinem Pflichtenkreis zur Haftung herangezogen werden muss (dazu unter V.). Hierbei ist im Ergebnis aufgrund gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten im Dreieck von Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionariat eine eingeschränkte Anwendung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG jedenfalls dann zu erwägen, wenn der Aufsichtsrat aufgrund der Geringfügigkeit des Verstoßes die Fortführung des Organverhältnisses und den fortwährenden Einsatz der betroffenen Vorstandsmitglieder für die Gesellschaft als geboten erachtet.
5 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FimanoG), veröffentlicht durch das Bundesfinanzministerium am 6.1.2016, abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Down loads/Gesetze/2016-01-06-finanzmarktnovellierungsgesetz.pdf?__blob=publica tionFile&v=2 (letzter Zugriff: 4.2.2016).
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II. Veränderte Anforderungen im Bereich der Beteiligungspublizität durch die TD 2013 Im Pflichtenheft der Kapitalmarkt-Compliance wird das Kapitel über die Beteiligungstransparenz aufgrund der Umsetzung der TD 2013 grundlegend überarbeitet. Auf der Tatbestandsseite bewirkt das Umsetzungsgesetz – was positiv zu vermerken ist – zunächst eine Reihe überfälliger Erleichterungen für die Meldepraxis. So hat in der Vergangenheit das Nebeneinander von drei Meldetatbeständen mit nur unzureichend aufeinander abgestimmten Aggregations- und Ausnahmetatbeständen zu einer erheblichen Fehleranfälligkeit und überflüssigem „Herauf- und Heruntermelden“ zwischen § 25 und § 25a WpHG a.F. geführt.6 Die Meldesäulen werden von drei auf zwei reduziert und zeitigen, u.a. durch die Erleichterung von Konzernmitteilungen und die Erweiterung der Befreiungsmöglichkeiten, eine erhebliche Vereinfachung der Meldepraxis sowie eine schnellere Nachvollziehbarkeit der Sachverhalte für den Kapitalmarkt.
1. Vorverlagerung des Grundtatbestands Im Rahmen der Stimmrechtsmitteilungspflicht des weitgehend unveränderten § 21 WpHG entsteht die Meldepflicht künftig mit Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts und nicht mehr wie bisher mit Zustandekommen des Verfügungsgeschäfts.7 Anknüpfungspunkt der Meldepflicht ist insoweit das „Gehören“ einer Aktie, was der Fall ist, wenn zugunsten des Meldepflichtigen ein auf die Übertragung von Aktien gerichteter unbedingter und ohne zeitliche Verzögerung zu erfüllender Anspruch oder eine entsprechende Verpflichtung besteht (§ 21 Abs. 1b WpHG). Die Anknüpfung an das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wegen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip teilweise 6 Prominentes Beispiel ist der Fall BlackRock, bei dem im Nachgang zu einer Umstellung der internen Meldesysteme Korrekturmeldungen für 48 Emittenten abzugeben waren. Die BaFin hat mit einem Bußgeld in Höhe von 3,25 Mio. Euro reagiert, BaFin-Meldung v. 20.3.2015, abrufbar unter: http://www.bafin. de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2015/meldung_150320_buss geld_blackrock.html?nn=2819248 (letzter Zugriff: 4.2.2016); zu dem Nebeneinander beider Tatbestände kritisch Heinrich in KölnKomm-WpHG, 2. Aufl. 2014, § 25 Rz. 15 ff. 7 Vgl. zur alten Rechtslage: Schwark in Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, 4. Aufl. 2010, § 21 WpHG Rz. 17.
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kritisiert.8 So bestünde die Gefahr, dass bei gescheitertem Vollzug des Geschäfts Korrekturmeldungen erfolgen müssten und der Markt bis dorthin von unzutreffenden Stimmrechtsverhältnissen ausginge. Die Praxis wird sich ungeachtet der vorgetragenen Bedenken zügig auf diese Neuerung einstellen:9 Denn einerseits werden die Märkte durch die Vorverlagerung der Mitteilungspflichten früher informiert und die Abgrenzung zwischen den Tatbeständen des § 21 WpHG (Aktie „haben“) und des § 25 WpHG (Aktie „bekommen“) wird deutlicher prononciert. Die Anknüpfung an das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft ist im Übrigen kein Novum, denn auch im Rahmen der Regelung zu Directors’ Dealings wird bereits seit deren Einfügung an das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft angeknüpft.10
2. Einheitlicher Meldetatbestand für (Finanz-)Instrumente Der neue Meldetatbestand des § 25 WpHG vereint die bisherigen Meldetatbestände des § 25 und § 25a WpHG a.F. Er erfasst sämtliche meldepflichtigen (Finanz-)Instrumente und unterscheidet zwischen Instrumenten, bei denen der Aktienerwerb vom Inhaber des Instruments (Ausübung eines Erwerbsermessens) oder vom Zeitablauf abhängt, und solchen mit vergleichbarer wirtschaftlicher Wirkung (unabhängig von einem physischen Settlement oder Barausgleich). Entsprechend der nichtabschließenden Aufzählung des § 25 Abs. 2 WpHG werden nach wie vor regelmäßig Differenzgeschäfte mit Barausgleich, Swap-Geschäfte sowie Call- und Put-Optionen mit Cash-Settlement erfasst sein.11 Eine Prüfung im Einzelfall ist gleichwohl weiterhin geboten und zwar unter Beachtung der indikativen Liste12 der European Securities and Markets Authority (ESMA), da das Tatbestandsmerkmal der „vergleichbaren wirtschaftlichen Wirkung“ Ausdruck der TD 2013 ist. Die seit Inkrafttreten des An8 Brellochs, Stellungnahme im Rahmen der Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags am 7.9.2015 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie“, BT-Drucks. 18/5010 […], S. 6 ff., abrufbar unter: https:// www.bundestag.de/blob/386820/5ea2c4ee849631dfe2a4f220555d778c/01---dr-brellochs-data.pdf (letzter Zugriff: 4.2.2016). 9 BT-Drucks. 18/5010, S. 44 f. 10 Heinrich in KölnKomm-WpHG, 2. Aufl. 2014, § 15a Rz. 51 ff. 11 A.A. auch mit Blick auf die „vergleichbare wirtschaftliche Wirkung“: Seibt/ Wollenschläger, ZIP 2014, 545, 550. 12 ESMA – Indicative list of financial instruments that are subject to notification requirements according to Article 13(1b) of the revised Transparency Directive, ESMA/2015/1598.
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legerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes (AnsFUG)13 teilweise überschießende14 Verwaltungspraxis der BaFin zur Einbeziehung einzelner Finanzinstrumenten i.S.d. § 25a WpHG a.F., wie dem gewerblichen Pfandrecht15, ist infolge der Umsetzung der TD 2013 durch die BaFin zurückgenommen worden.16 Auslöser hierfür mag jedenfalls teilweise der etwas engere Auslegungsmaßstab der TD 2013 sein, die mit dem verfolgten Vollharmonisierungsansatz die überschießende Einbeziehung von (Finanz-)Instrumenten verbietet. Eine ebenfalls gegen die (bisher) sehr weitgehende Verwaltungspraxis der BaFin laufende Entwicklung zeichnet sich bei Erwerbsrechten aus Gesellschaftervereinbarungen ab, bei der das VG Frankfurt am Main jüngst die zu weitgehende Einbeziehungspraxis der BaFin unter der bisherigen Rechtslage kassiert hat.17 Die BaFin hat dies zum Anlass genommen, ihre Verwaltungspraxis zu ändern. Diese Entwicklungen zeigen, dass die Reichweite der Einbeziehung von (Finanz-)Instrumenten seit In-Kraft-Treten und Umsetzung der TD 2013 „im Fluss“ ist. Der Trend geht hierbei zu einer Einschränkung der in der Vergangenheit teilweise überschießenden Auslegung der BaFin. Insge13 Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts (Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz) v. 5.4.2011, BGBl. I 2011, 538. 14 Zum gewerblichen Pfandrecht: Merkner/Sustmann, NZG 2013, 1361, 1368 f.; zu Erwerbsrechten aus Aktionärs- oder Gesellschaftervereinbarungen: Cascante/Bingel, NZG 2011, 1086, 1096; Krause, AG 2011, 469, 479; Merkner/ Sustmann, NZG 2010, 681, 686; Merkner/Sustmann, NZG 2012, 241, 243; v. Werder/Petersen, Corporate Finance Law 2012, 178, 181; Heinrich in KölnKomm-WpHG, 2. Aufl. 2014, § 25a Rz. 48; zustimmend Teichmann/Epe, WM 2012, 1213, 1219. 15 Das gewerbliche Pfandrecht sollte als Instrument i.S. des § 25a WpHG a.F. beim Vorliegen einer Verfallsvereinbarung erfasst werden: BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 142; Brandt, WM 2014, 543, 546. 16 Das gewerbliche Pfandrecht soll nicht mehr von § 25 Abs. 1 WpHG erfasst sein: BaFin FAQ zum Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TRL-AndRL-UmsG), Stand: 22.1.2016 Frage 42, abrufbar unter: http:// www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/FAQ/dl_faq_trl-aendrl-umsg.pdf?_ _blob=publicationFile&v=15 (letzter Zugriff: 4.2.2016). 17 VG Frankfurt v. 4.11.2015 – 7 K 4703/15.F, WM 2016, 267; Gesellschaftervereinbarungen sind hiernach nur dann als mitteilungspflichtige sonstige Instrumente einzustufen, wenn diesen die wirtschaftliche Logik innewohnt, aus der sich für Inhaber konkrete Erwerbsmöglichkeiten ergeben (eigenständiges wirtschaftliches Interesse der Gegenseite an Lieferung von Aktien); Hitzer/ Hauser, AG 2015, 891, 897 f.; zur bisherigen Rechtslage: Heinrich/Krämer, Corporate Finance Law 2013, 225, 231 f.
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samt ist zu erwarten, dass durch die nunmehr in Kraft getretenen Neuregelungen und die verbesserte Abgrenzbarkeit der Meldetatbestände des Abschnitt 5 des WpHG das Gesamtvolumen und die sehr hohe Fehleranfälligkeit von Stimmrechtsmitteilungen perspektivisch reduziert werden.18
3. Verschärfter Sanktionsrahmen a) Bußgelder werden teuer Bußgelder bei Verstößen gegen die Melde- und Veröffentlichungspflichten des WpHG erreichen – basierend auf der TD 2013 – ein im Bereich des Kapitalmarktrechts bisher nicht dagewesenes Preisniveau. Das WpHG sieht gegenüber natürlichen Personen nunmehr einen Bußgeldrahmen von bis zu zwei Millionen Euro und gegenüber juristischen Personen bis zu zehn Millionen Euro oder fünf Prozent des Gesamtumsatzes („the higher of“) des der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahrs vor.19 Sinn und Zweck der erhöhten Bußgelder ist selbstredend das Erreichen einer erhöhten Abschreckungswirkung.20 Der von der TD 2013 ausdrücklich vorgesehene Automatismus zwischen einer festen Mindesthöchstgrenze einerseits und einer Umsatzanknüpfung andererseits – nach dem Günstigkeitsprinzip (aus Sicht der BaFin) abhängig vom höheren Betrag – findet im WpHG keine explizite Entsprechung. Angesichts dieses Nebeneinanders bei der Bemessungsgrundlage steht zu erwarten, dass die Ahndungspraxis im Wege europarechtskonformer Auslegung21 stets auf den höheren Betrag abstellen wird. Bei der Berechnung des umsatzbezogenen Bußgeldes ist gemäß § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WpHG auf den Betrag der Nettoumsatzerlöse abzustellen.22 Bei Konzernsachverhalten gilt der jeweilige (Mutter- oder 18 Zu den übrigen flankierenden Erleichterungen siehe Heinrich/Krämer, Verstöße gegen die Meldepflichten werden teurer, Börsen-Zeitung v. 7.3.2015, S. 9. 19 Zusätzlich kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zum Zweifachen des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils geahndet werden. Der wirtschaftliche Vorteil umfasst erzielte Gewinne und vermiedene Verluste und kann geschätzt werden, § 39 Abs. 4 Satz 3 WpHG. 20 Erwägungsgrund 16 TD 2013. 21 Zur europarechtskonformen Auslegung: BGH v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, NJW 2012, 1073 Rz. 24 m.w.N. 22 § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WpHG verweist auf Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der
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Tochterunternehmen) Gesamtbetrag im Konzernabschluss des Mutterunternehmens, § 39 Abs. 5 Satz 2 WpHG. Künftig entsteht mit den nunmehr im Bereich der Beteiligungspublizität geltenden Sanktionsrahmen ein auffälliges Missverhältnis zu den – an sich schwerer wiegenden – Verstößen gegen die Regelungen der Ad hocPublizität, die mit Geltung der MAR im Regelfall ein Höchstbußgeld von EUR 2,5 Millionen verlangen. Die BaFin und die Gerichte werden künftig damit vor die Herausforderung gestellt, den nunmehr geltenden Sanktionsrahmen in ein angemessenes Verhältnis zwischen konkretem Verstoß, Unrechtsgehalt und Auswirkungen auf die betroffenen Rechtsgüter zu setzen. Dem werden in Deutschland insbesondere die kurzfristig zu überarbeitenden WpHG-Bußgeldleitlinien Rechnung tragen müssen, die bisher eine eher statische Bewertung von Pflichtverstößen vornehmen und dabei insbesondere Kriterien wie Umsätze und Liquidität der Aktie außer Betracht lassen.23
b) Naming and Shaming Die sowohl von der MAR als auch von der TD 2013 vorgesehene Sanktion des Naming and Shaming wird einheitlich dadurch verschärft, dass eine Veröffentlichung auf der Internetseite der BaFin grundsätzlich unter Bezeichnung des Verstoßes und der verantwortlichen Person „unverzüglich“, also noch vor Eintritt der Rechtskraft, zu erfolgen hat. Das bisherige Ermessen entfällt. Die BaFin hat jedenfalls im Hinblick auf die Umsetzung der TD 2013 nur noch insoweit ein Ermessen, als sie die Veröffentlichung anonymisieren oder aufschieben kann.24 Den von der TD 2013 den Mitgliedstaaten eingeräumten Umsetzungsspielraum hat der deutsche Gesetzgeber sinnvoll im Sinne einer Grundrechtseffektivität genutzt: Die Entscheidung der BaFin zur anonymisierten oder aufgeschobenen Bekanntmachung personenbezogener Sanktionen soll ausweislich des Wortlauts „macht, … wenn …“ eine gebundene EntRichtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. L 182 v. 29.6.2013, S. 19): „Nettoumsatzerlöse“ [sind] die Beiträge, die sich aus dem Verkauf von Produkten und der Erbringung von Dienstleistungen nach Abzug von Erlösschmälerungen und der Mehrwertsteuer sowie sonstigen direkt mit dem Umsatz verbundenen Steuern ergeben. § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1und 2 WpHG enthalten Sonderregeln für Finanzinstitute und Versicherungsunternehmen. 23 Vgl. Heinrich/Krämer/Mückenberger, ZIP 2014, 1557, 1563. 24 § 40c Abs. 3 WpHG.
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scheidung sein.25 Dies ist aufgrund der Grundrechtsintensivität eines Naming and Shaming zu begrüßen.26 Macht folglich die BaFin von ihrem Ermessen keinen Gebrauch, steht die Gesellschaft als Adressat einer Sanktion sofort in der Öffentlichkeit. Ausweislich der Gesetzesbegründung stehen die Varianten der Nennung der natürlichen oder juristischen Person in einem Alternativitätsverhältnis.27 Es ist allein die verantwortliche Stelle zu benennen, gegen die sich die Sanktion richtet.28 Für den Fall einer Verantwortlichkeit einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung schließt dies die Nennung von natürlichen Personen als Organ oder sonstige Beteiligte aus. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn gegen sie eine eigenständige Maßnahme oder Sanktion verhängt wurde, die ihrerseits zu veröffentlichen ist. Dies wäre wohl anzunehmen, wenn die BaFin im Einzelfall eine „überschießende Innentendenz“ annimmt und ein Bußgeld nicht nur gegen das Unternehmen, sondern auch gegen einzelne Vorstandsmitglieder verhängen sollte.
c) Rechtsverlust: Erweiterung der Kampfzone Neben den angesprochenen Änderungen im Bereich der aufsichtsrechtlichen Sanktionen wird mit der angestoßenen Umsetzung der TD 2013 die zivilrechtliche Sanktion bei Verstößen gegen Meldepflichten erheblich verschärft. Der von der TD 2013 eröffnete Spielraum zur Begrenzung des Rechtsverlusts auf „schwerwiegendste“ Verstöße wurde dabei leider nicht genutzt. Bislang war der Entzug der Rechte aus Aktien gemäß § 28 WpHG auf drei Konstellationen beschränkt: Rechte aus Aktien entfielen vormals nur bei solchen Aktien, die dem Meldepflichtigen selbst, dessen Tochterunternehmen oder dessen „Strohmann“ gehörten. Künftig sind indes sämtliche Meldetatbestände des § 22 WpHG – einschließlich des acting 25 Bangert/Heimann, WM 2015, 1445, 1453. 26 Vgl. zur grundrechtskonformen Anwendung des Art. 29 TD 2013 Seibt, Stellungnahme in Thesenform für die Öffentliche Anhörung im Deutscher Bundestag-Finanzausschuss am 7.9.2015 zum (Regierungs-)Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vom 26. Mai 2015 (BT-Drucks. 18/5010) nebst Änderungsanträgen, S. 6 m.w.N., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/386948/33e87f205911ce0a8fa5e30e79baa 357/10---prof--seibt-data.pdf (letzter Zugriff: 29.12.2015). 27 BT-Drucks. 18/5010, S. 54. 28 § 40c Abs. 2 Satz 1 WpHG.
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in concert mit seinen unbestimmten und häufig in praxi klärungsbedürftigen Tatbeständen – sowie des §§ 25 Abs. 1, 25a Abs. 1 WpHG vom Rechtsverlust erfasst.29 Dies führt zu einer beträchtlichen Ausweitung der sog. Infektionsfälle in Zurechnungssituationen, bei denen das pflichtvergessene Zurechnungssubjekt dem eigentlichen Inhaber der Rechte aus den Aktien von deren Ausübung ausschließt. Unmittelbare Praxisfolge ist die erhöhte „Nachfrage“ nach Freistellungsvereinbarungen und eine verstärkte Due Diligence bei der Vorbereitung und Abgabe von Stimmrechtsmitteilungen. Da Instrumente nach §§ 25 Abs. 1, 25a Abs. 1 WpHG unmittelbar keine Rechte aus Aktien gewähren, bezieht sich der Rechtsverlust allein auf Aktien, die dem Meldepflichtigen gehören (§ 28 Abs. 2 WpHG). Dies schließt nicht nur zeitlich parallel zu diesen Instrumenten gehaltene Aktien eines Emittenten ein, sondern u.E. auch die infolge eines Instruments erworbenen Aktien (z.B. nach Ausübung einer Aktienoption). Negativ gewendet ist damit klargestellt, dass ein Meldefehler zulasten Dritter – d.h. Aktionäre, auf deren Aktie sich die Instrumente beziehen – ausgeschlossen ist, was im Referentenentwurf zunächst angedacht war.30 Damit haben nicht nur meldepflichtige Aktionäre ein erhöhtes Risiko zu tragen, etwa nicht zur Hauptversammlung zugelassen zu werden oder keine Dividende zu erhalten.31 Auch für den Emittenten zieht der angesprochene Regelungszusammenhang von Tatbestandsverwirklichung und Eintritt des (nachwirkenden) Stimmrechtsverlusts ein in seiner tatsächlichen Auswirkung kaum kontrollierbares Risiko der Anfechtung 29 Vgl. Burgard/Heimann, WM 2015, 1445, 1452. Zurecht kritisch, da der Rechtsverlust durch die Anknüpfung an die Aktie im Rahmen des § 21 WpHG auch Personen betreffen kann, die ihre Offenlegungspflichten ordnungsgemäß erfüllt haben: Seibt, Stellungnahme in Thesenform für die Öffentliche Anhörung im Deutscher Bundestag-Finanzausschuss am 7.9.2015 zum (Regierungs-)Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vom 26.5.2015 (BT-Drucks. 18/5010) nebst Änderungsanträgen, Fn. 26, S. 4 ff.; Brellochs, Stellungnahme im Rahmen der Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags am 7.9.2015 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie“, BT-Drucks. 18/5010 […], Fn. 8, S. 13 ff. 30 Instrumente, die „erworben werden“, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie der Transparenzrichtlinie, abrufbar unter: http://www.drsc.de/docs/qb/2015_q2/Umsetzg_TranspRL_AeendRL_RefE.pdf (letzter Zugriff: 23.12.2015). 31 Statt aller zu den einzelnen Rechten: Bayer in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2016, § 28 WpHG Rz. 18 ff.
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von Hauptversammlungsbeschlüssen nach sich. Hat bei einem Beschluss der Hauptversammlung ein – für den Versammlungsleiter unerkannt – vom Stimmrecht suspendierter Meldepflichtiger mitgestimmt, ist der Beschluss anfechtbar.32 Da ein Anfechtungsgrund nur besteht, wenn der Rechtsverlust kausal für die Abstimmung war,33 kommt es auf diese Frage gerade bei streitigen Tagesordnungspunkten mit erwarteten engen Abstimmungsergebnissen an. Damit wird die „Kampfzone“ des Stimmrechtsverlusts nicht nur tatbestandlich in Bezug auf den Meldepflichtigen, sondern auch in Bezug auf die Hauptversammlung des Emittenten ausgeweitet. Daher empfiehlt sich zukünftig bei erwarteten „Kampfabstimmungen“ erst recht eine Überprüfung der Stimmrechtsmitteilungen.
III. Potenzierung der Anforderungen an die KapitalmarktCompliance durch MAR und CRIM-MAD 1. Ausweitung des Anwendungsbereichs MAR und CRIM-MAD bedingen wesentliche Änderungen34 auf den Gebieten des Insiderrechts, der Ad hoc-Publizität, der Directors’ Dealings, der Pflicht zum Führen von Insiderverzeichnissen und dem Verbot der Marktmanipulation. Dabei ist zu betonen, dass die MAR insbesondere Veränderungen für Emittenten, die für ihre Finanzinstrumente eine Zulassung zum Handel im Freiverkehr (Open Market) beantragt oder erhalten haben, mit sich bringen wird und dadurch einen erweiterten Anwendungsbereich erhält. Die Teilnehmer des Open Market werden ebenso wie börsennotierte Unternehmen (Finanzinstrumente, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind oder für die ein entsprechender Antrag gestellt wurde) zum Führen von Insiderverzeichnissen, zu Ad hoc-Publizitätspflichten und zur Achtung der Regelungen über Directors’ Dealings verpflichtet sein.
32 Gleiches gilt, wenn der Emittent einen Aktionär unter Berufung auf § 28 WpHG nicht zur Hauptversammlung zulässt. 33 Statt aller Schwark in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 28 WpHG Rz. 17. 34 Einen Überblick hierzu und zu den Änderungen zum geltenden Recht vermittelt exemplarisch Krause, CCZ 2014, 248; zum bisher in Deutschland nicht gesetzlich geregelten sog. Market Sounding gemäß Art. 11 MAR: Tissen, NZG 2015, 1254.
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2. Änderungen bei Directors’ Dealings – Closed Period Die MAR bringt zahlreiche Änderungen für Directors’ Dealings mit sich. Neben der bereits angesprochenen Ausweitung der Anwendung auch auf den Freiverkehr (Open Market) werden künftig u.a. auch Geschäfte in Schuldtiteln (etwa Anleihen) mitzuteilen sein.35 Die Mitteilung wird innerhalb von drei statt bisher fünf Geschäftstagen erfolgen müssen.36 Mitteilungspflichtig sind die Führungskraft und Personen, die zu einer solchen Führungskraft in enger Beziehung stehen. Diese müssen dem Emittenten und der zuständigen Behörde einen entsprechenden Deal mitteilen. Andererseits muss aber auch der Emittent dafür Sorge tragen, dass die Informationen zu Directors’ Dealings öffentlich zugänglich sind.37 Die Regelungen zu Directors’ Dealings führen darüber hinaus die dem deutschen Recht bisher unbekannte Closed Period von 30 Kalendertagen vor Ankündigung eines Zwischenberichts oder eines Jahresabschlussberichts ein, zu deren Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist. Während dieser Zeit darf die bei einem Emittenten Führungsaufgaben wahrnehmende Person weder direkt noch indirekt Eigengeschäfte oder Geschäfte für Dritte mit Anteilen oder Schuldtiteln des Emittenten oder mit Derivaten oder anderen mit diesen in Zusammenhang stehenden Finanzinstrumenten tätigen. Dieses Handelsverbot gilt für Zwischenberichte oder Jahresabschlussberichte, zu deren Veröffentlichung der Emittent verpflichtet ist. Zwar wird mit der Umsetzung der TD 2013 die Pflicht zur Quartalsberichterstattung gemäß § 37x WpHG a.F. abgeschafft, doch schreibt beispielsweise § 51 der Börsenordnung für die Frankfurter Börse38 weiterhin eine Quartalsberichterstattung vor. Diese Verpflichtung dürfte als nach nationalem Recht geltende Verpflichtung des Emittenten gemäß Art. 19 Abs. 11 lit. b MAR gelten. Damit könnten für einen Zeitraum von bis zu fünf Monaten Eigengeschäfte von Führungskräften verboten sein.39 Eine Ausdehnung der Closed Period auf die Zeit zwischen Kenntnis eines Ad hoc-pflichtigen Ereignisses und 35 36 37 38
Vgl. Art. 19 Abs. 1 und 7 MAR. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 MAR. Art. 19 Abs. 3 MAR. Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse, Stand: 1.7.2015, abrufbar unter: http://www.deutsche-boerse-cash-market.com/blob/1198492/56f29f5c 152912f66065096192bdaee7/data/2015-07-01-Boersenordnung-fuer-die-frank furter-wertpapierboerse.pdf (letzter Zugriff: 29.12.2015). 39 So auch Krause, CCZ 2014, 248, 257; zu den Anforderungen der Quartalsberichte: Simons/Kallweit, BB 2016, 332, 333 ff.
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dessen Veröffentlichung ist zwar gemäß Wortlaut nicht zwingend. Dennoch ist Ad hoc-pflichtigen Ereignissen eine größere Marktrelevanz als den verpflichtend vorgeschriebenen Berichten zuzuschreiben, so dass im Hinblick auf das Verbot von Insidergeschäften ein Director’s Deal unterbleiben muss.40 Unklar ist der Wortlaut in Bezug auf den Zeitpunkt, von dem an die Closed Period zu bestimmen ist. Die MAR spricht sowohl im Erwägungsgrund 61 als auch in Art. 19 Abs. 11 MAR von der „Ankündigung eines Zwischenberichts“41. Dies legt prima facie nahe, auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem ein Emittent mitteilt, er werde an einem bestimmten Datum den jeweiligen Bericht veröffentlichen. So verstanden wäre die Closed Period dann wirkungslos, wenn die Mitteilung zur Veröffentlichung eines entsprechenden Berichts vom Unternehmen mehr als 30 Kalendertage vor der eigentlichen Veröffentlichung erfolgte. Dann kann eine Führungskraft kurz vor der Veröffentlichung des Berichts dennoch einen Director’s Deal vollziehen. Dies kann schwerlich Ziel der Closed Period sein. Die ESMA hat diese Auslegungsfrage in ihrem Final Report zu Vorschlägen bezüglich der MAR dahingehend beantwortet, dass „the relevant date for the computation of the closed period is the date of publication of such […] reports.“42 Dieser Auslegungshinweis dürfte für die Zukunft maßgeblich sein, so dass es auf den Tag der Veröffentlichung des Berichts selbst ankommen wird.
3. Verschärfter Sanktionsrahmen Mit Blick auf die Sanktionen potenzieren sich die Risiken für den Emittenten. Die MAR sieht in Art. 34 ebenso wie die TD 201343 ein grundsätzlich zwingendes Naming and Shaming vor. Ebenso werden die Bußgelder drastisch verschärft, wobei die MAR lediglich Mindestvorgaben macht.44 Auch in diesem Regelungszusammenhang sind umsatzbezoge40 Erwägungsgrund 25 der MAR sieht eine Vermutungsregelung für das Vorliegen von Insidergeschäften vor, wenn eine Person im Besitz von Insiderinformationen ist. Ein nicht veröffentlichtes Ad hoc-pflichtiges Ereignis wird regelmäßig als Insiderinformation gem. Art. 7 MAR zu begreifen sein. 41 Die Wortwahl „Ankündigung“ entspricht synonym bspw. der englischen (announcement), der französischen (l’annonce) und der italienischen (annuncio) Sprachfassung, also im Sinne von Veröffentlichung. 42 Final Report – ESMA’s technical advice on possible delegated acts concerning the Market Abuse Regulation, ESMA/2015/224, Rz. 137. 43 Art. 29 TD 2013. 44 Art. 30 MAR.
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ne Geldbußen möglich. Ebenso werden durch die CRIM-MAD die Daumenschrauben angezogen: Der Strafrahmen für vollendete und versuchte Verstöße gegen das Insiderhandelsverbot, das Empfehlungs- und Verleitungsverbot und das Verbot der Marktmanipulation muss mindestens Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren vorsehen, der Strafrahmen für Verstöße gegen das Weitergabeverbot mindestens bis zu zwei Jahre.45
IV. Gesteigerte Anforderungen an die KapitalmarktCompliance Es ist offenkundig, dass die neuen Regelungen einerseits auf tatbestandlicher Seite ergänzende oder neue Anforderungen stellen und auf der Rechtsfolgenseite mit erheblichen, einschneidenden Sanktionen aufwarten. Dies führt zu einer Vertiefung des Grabens zwischen börsennotierter und nicht börsennotierter Aktiengesellschaft.46 Wesentliche aktienrechtliche Normen berücksichtigen diese Entwicklung zum Börsengesellschaftsrecht47 nicht. Um einen Verstoß gegen die dargestellten Regelungen zu vermeiden, bedarf es damit einer Neubetonung der Kapitalmarkt-Compliance bei Emittenten und einer nachhaltigen Prozessstabilität.48 In der Compliance-Trias von Prävention, Detektion und Reaktion sollten insbesondere bei der Prävention und Reaktion detailliertere Vorgaben formuliert werden, die an dieser Stelle nur im Überblick dargestellt werden können.49 Die Etablierung eines funktionierenden Compliance45 Art. 7 Abs. 2 und 3 CRIM-MAD. 46 Zur Frage der Unterscheidung zwischen börsennotierter und nicht börsennotierter Gesellschaft: Albach/Corte/Friedewald/Lutter, Deregulierung des Aktienrechts: Das Drei-Stufen-Modell, 1988; Schäfer, NJW 2008, 2536. 47 Zu dem Terminus und der entsprechenden Rechtsentwicklung: Fleischer, ZHR 165 (2001), 513, 514 f.; zur gesetzlichen Differenzierung zwischen verschiedenen Typen von Aktiengesellschaften sowie zur Frage der Notwendigkeit einer stärkeren Differenzierung: Bayer, Gutachten zum 67. DJT, E39 ff., 81 ff.; vgl. insgesamt zur Frage der weiteren Binnendifferenzierung hin zu einem Börsengesellschaftsrecht: Schäfer, NJW 2008, 2536, 2540. 48 Zur Integration von Compliance-Management-Systemen als ManagementAufgabe: Bergmoser, BB Special 4 (zu BB 2010, Heft 50), S. 2; allgemein zur Compliance-Verantwortung im System der Organhaftung: Seibt/Cziupka, DB 2014, 1598; zur Prüfung und Zertifizierung eines Compliance-Management-Systems: Withus/Hein, CCZ 2011, 125. 49 Insbesondere ist aus praktischer Sicht auf die detaillierten Vorgaben der ESMA im Zusammenhang mit den verschiedenen Dokumentationspflichten zu ver-
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Systems ist angesichts veränderter Regelungsbedingungen unverzichtbar. Insbesondere für die Teilnehmer des Open Market markiert dies jedenfalls im Bereich der Ad hoc-Publizität und der Directors’ Dealings neue unmittelbar bevorstehende Herausforderungen.50 Bei größeren Emittenten laufen die Vorbereitungen für eine Neujustierung von Insiderlisten und von erweiterten Schulungen für Mitarbeiter bereits Monate vor Umsetzung der MAR auf Hochtouren. Hierzu gehört auch die Anpassung von Leitfäden und Checklisten für Mitarbeiter und der damit verbundenen Standardisierung von Abläufen im Unternehmen. Compliance-relevante Abläufe werden in der Praxis zunehmend akribisch dokumentiert.51 In Zweifelsfragen sollte zur Enthaftung externer Rechtsrat eingeholt werden.52 Die drastisch verschärften Sanktionen – sowohl finanzieller Art, aber auch durch die Erweiterung des Rechtsverlusts gemäß § 28 WpHG sowie das Naming and Shaming – verlangen entsprechende Anstrengungen gerade auch unter dem Aspekt des § 93 AktG. Die konkrete Ausgestaltung ist situations- und unternehmensabhängig. Pauschale Handlungsbeurteilungen verbieten sich.
V. Vorstandshaftung und Handlungspflichten des Aufsichtsrats Damit stellen sich bei Pflichtverstößen trotz implementierter kapitalmarktrechtlicher Compliance-Prozesse im Wesentlichen zwei Fragen: Erstens ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen der Vorstand auch persönlich haftet. Zweitens ist mit Blick auf § 93 Abs. 4 AktG zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen der Aufsichtsrat auch ohweisen: ESMA – Final Report Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, ESMA/2015/1455. 50 Aufgrund der gestiegenen Compliance-Anforderungen hat in den besonderen Freihandelssegmenten m:access und Entry Standard nach den Wahrnehmungen der Autoren eine „Delisting-Welle“ eingesetzt. 51 Vgl. exemplarisch den Entwurf von Durchführungsstandards inklusive Dokumentationsprotokoll zur Durchführung von Market Sounding: ESMA – Final Report Draft technical standards on the Market Abuse Regulation, ESMA/ 2015/1455, S. 239 ff. (Annex VIII und Annex IX). 52 So ausdrücklich, aber auch insgesamt zu den Haftungsfragen von Mitgliedern des Leitungsorgans bei unklarer Rechtslage: Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2255; zu den Anforderungen an die Enthaftung von Vorstandsmitgliedern durch Einholung von Rechtsrat: Steber, DStR 2015, 2391; vgl. Gottschalk/Weng, GWR 2013, 243; zur Enthaftung des Aufsichtsrats: Witte/Indenhuck, BB 2014, 2563.
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ne Zustimmung der Hauptversammlung einen grundsätzlich der Gesellschaft im Innenverhältnis haftenden Vorstand (Innenregress) nicht zur Haftung heranziehen muss, ohne seinerseits selbst gegenüber der Gesellschaft eine Pflicht zu verletzen. Eine rechtssichere Haftungsverschonung bei fortlaufendem Organ- und Dienstverhältnis ist für Vorstandsmitglieder von großer Bedeutung, da D&O-Policen regelmäßig einen Deckungsausschluss bei Bußgeldverhängung vorsehen, mithin ein nicht versichertes Risiko darstellen.53 Ein reiner „Nichtverfolgungsbeschluss“ des Aufsichtsrats wirkt im bestehenden Dienstvertragsverhältnis nicht nur disincentivierend, sondern birgt fortbestehende Risiken. Die Fragestellung ist daher auch für das Interesse der Gesellschaften, erfolgreiche Vorstandsmitglieder halten zu können, von Bedeutung.
1. Vorstandshaftung und Haftung der Gesellschaft Der Vorstand haftet der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 AktG, wenn er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns nicht beachtet hat. Bei unternehmerischen Entscheidungen ist dem Vorstand mit der Business Judgement Rule (BJR) ein gewisser Handlungsspielraum eröffnet.54 Der Vorstand handelt dann nicht pflichtwidrig, wenn er die unternehmerische Entscheidung auf Grundlage ausreichender Information, im Unternehmensinteresse, frei von Eigeninteresse und unter ausführlicher Risikoabwägung vorgenommen hat. Die Einrichtung eines Compliance-Systems ist grundsätzlich eine dem Vorstand im Rahmen seiner Leitungsmacht obliegende unternehmerische Entscheidung,55 was eng im Zusammenhang mit der Tatsache steht, dass Compliance-Systeme individuell und situationsbedingt zu gestalten und dauerhaft auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen sind. Dies begründet auch, dass ein Automatismus zwischen Compliance-Verstoß (eines Mitarbeiters) und Vorstandshaftung nicht besteht.56 Nur wenn der Vorstand auch eine gegenüber der Gesellschaft bestehende Pflicht verletzt hat, 53 Habersack, NZG 2015, 1297, 1298; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1804. 54 Zur Business Judgement Rule vgl. statt vieler: Spindler in MünchKommAktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 36 ff. und Wiesner in MünchHdb. Gesellschaftsrecht Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 25 Rz. 57 ff. 55 Vgl. Ziff. 4.1.3 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK); jüngst LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345; Fleischer, NZG 2014, 321, 323; Schaefer/Baumann, NJW 2011, 3601; Wiederholt/Walter, BB 2011, 968. Der Spielraum dürfte sich durch die MAR jedoch (deutlich) verengen. 56 Werner, CCZ 2010, 143; vgl. Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f.
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kommt eine Haftung in Betracht. Eine Haftung ist in diesem Zusammenhang insbesondere dann zweifelhaft, wenn der Vorstand ein effizientes Compliance-System eingerichtet und ordnungsgemäß überwacht hat. Im Rahmen einer Bebußung von Verstößen gegen die oben skizzierten Pflichten ist eine Geldbuße sowohl gegen das Unternehmen mit Anknüpfung an das Fehlverhalten natürlicher Personen (vgl. § 30 OWiG) aber auch direkt gegen eine „pflichtverletzende“ natürliche Person möglich. Die BJR gilt im Außenverhältnis nicht. Hier wird lediglich auf die objektive Pflichtverletzung abgestellt, bspw. eine Nichtmeldung eines Ad hoc-pflichtigen Ereignisses. Wenn der Vorstand im Rahmen seiner Compliance-Verantwortung aber unter Achtung der BJR ein ordnungsgemäßes Compliance-System installiert und dieses auch überwacht hat, so kann im Verhältnis Vorstand – Gesellschaft eine Haftung des Vorstands ausscheiden;57 dies gilt insbesondere dann, wenn bei einer Aufgabenteilung im Vorstand das Ressort eines Vorstandsmitglieds nur sehr entfernt betroffen ist. Regelmäßig wird jedoch für die im Zusammenhang mit den oben angesprochenen gesetzlichen Änderungen des WpHG die BJR keine Anwendung finden, da es sich insbesondere bei den Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nicht um unternehmerische Entscheidungen, sondern um zwingende Vorgaben handelt.58
2. Nichtinanspruchnahme des Vorstands Liegen die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Vorstands im Wege des Innenregresses grundsätzlich vor, sind zwei Fallgestaltungen zur Nichtinanspruchnahme des Vorstands durch die Gesellschaft denkbar.59 Einerseits kommt eine aktive, den Vorstand oder einzelne Vorstandsmitglieder von der Haftung freistellende Entscheidung der Gesellschaft in Betracht. Andererseits ist eine rein passive Nichtinanspruchnahme des Vorstands im Sinne einer Nichtverfolgung möglicher Ansprüche denkbar. Gegenüber dem Vorstand handelt der Aufsichtsrat als Vertreter der Gesellschaft, § 112 AktG. Dabei ist die Ausgangsfrage umstritten, ob eine Unternehmensgeldbuße gegenüber dem Vorstand regressfähig ist. Während das LAG Düsseldorf 57 Vgl. Ritter in Schüppen/Schaub, MAH Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 24 Rz. 30; vgl. Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f.; vgl. Werner, CCZ 2010, 143. 58 Die BJR wird bei bestehenden gesetzlichen Pflichten von der sog. Legalitätspflicht verdrängt, vgl. nur Spindler in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 45 m.w.N. 59 Vgl. Schnorbus/Klormann, NZG 2015, 938, 944.
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für eine kartellrechtliche Geldbuße die Regressfähigkeit vor kurzem verneinte,60 geht die überwiegende Literatur61 von der grundsätzlichen Ersatzfähigkeit der Geldbuße aus. Dem wird zuzustimmen sein, denn das Ordnungswidrigkeitenrecht präjudiziert zivilrechtliche Ansprüche gerade nicht und der mit der Geldbuße verfolgte Sanktionscharakter wird allein durch Verhängung der Geldbuße erreicht.62 Die Höhe der regressfähigen Buße muss allerdings grundsätzlich aus Billigkeitsgründen begrenzt werden.63
a) Aktive Haftungsfreistellung des Vorstands Ob der Aufsichtsrat ohne Beteiligung der Hauptversammlung den Vorstand aktiv von einer Haftung freistellen kann, muss ausgehend von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bestimmt werden. Danach kann die Gesellschaft erst drei Jahre nach Entstehung eines Anspruchs gegen den Vorstand auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen. Voraussetzung ist die Zustimmung der Hauptversammlung ohne Widerspruch einer Minderheit von zehn Prozent. Dies beschreibt den Fall, dass der Gesellschaft eine Sanktion auferlegt wurde und die Gesellschaft ihrerseits für den dadurch eingetretenen Schaden bei einzelnen Vorstandsmitgliedern 60 LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, GmbHR 2015, 480: Rechtsmittelverfahren beim BAG – 8 AZR 189/15 noch nicht entschieden; allgemein zur Regressfähigkeit von kartellrechtlichen Geldbußen: Thomas, NZG 2015, 1409. 61 Str., vgl. etwa Heinrich/Krämer/Mückenberger, ZIP 2014, 1557, 1567 m.w.N.; Mertens/Cahn in KölnKomm-AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 Rz. 56; Spindler in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 172 m.w.N.; Werner, CCZ 2010, 143, 145 f. Vgl. allgemein mit ausführlichem Referat zum Meinungsspektrum: Thomas, NZG 2015, 1409, 1410. 62 Vgl. Eufinger, WM 2015, 1265, 1270; vgl. Seibt, NZG 2015, 1097, 1101 m.w.N. 63 Str., so im Ergebnis mit Begrenzung in unterschiedlicher Höhe: ArbG Essen v. 19.12.2013 – 1 Ca 657/13 (Vorinstanz zu LAG Düsseldorf, 16 Sa 459/14); Bayer in FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 96 f.; Brommer, AG 2013, 121, 127 ff.; Casper, ZHR 176 (2012) 617, 636 ff.; Eufinger, WM 2015, 1265, 1270 f.; Kaulich, Die Haftung von Vorstandmitgliedern einer AG für Rechtsanwendungsfehler, 2012, S. 302 ff.; Koch in Liber Amicorum für M. Winter, 2011, S. 327, 338 ff.; Koch in Hüffer, AktG, 11. Aufl. 2014, § 93 Rz. 48 ff.; Spindler in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 172; Seibt, NZG 2015, 1097, 1101; Thole, ZHR 173 (2009) 504, 533 f.; a.A. mit Referat zum Meinungsstand Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 801 ff.; Schöne/Petersen, AG 2012, 700, 701; unentschlossen wohl Hopt, ZIP 2013, 1793, 1804.
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Regress nehmen kann. Über den oben beschriebenen Anwendungsbereich des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG hinaus will die Rechtsprechung § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG entsprechend auf Fälle anwenden, in denen eine dem Vorstand auferlegte Geldsanktion von der Gesellschaft übernommen werden soll.64 Quintessenz beider Fallgestaltungen ist auf den ersten Blick die zwingende Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses.65
aa) Einschränkung der Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses aufgrund gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten Allerdings bedarf es im Hinblick auf die oben dargestellten Neuerungen im Kapitalmarktsanktionsrecht, insbesondere wegen des Naming and Shaming und dem damit einhergehenden Reputationsverlust der betroffenen börsennotierten Gesellschaft einer Einschränkung der Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses für den Fall einer Bebußung der börsennotierten Gesellschaft: Jedenfalls für nicht vorsätzliche Pflichtverletzungen des Vorstands, die zu einem die Rechtsverfolgungsund Sachverhaltsermittlungskosten nicht übersteigenden Schaden für die Gesellschaft geführt haben, sollte der Aufsichtsrat zur Haftungsfreistellung auch ohne positiven Beschluss der Hauptversammlung befugt sein, weil dies aufgrund der ratio des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG in aller Regel dem Aktionärsinteresse entsprechen dürfte.66 Die schlichte Nichtinanspruchnahme dürfte in diesen Fällen nach ARAG/GarmenbeckGrundsätzen67 die Regel sein, reicht aber für Fälle der fortgesetzten 64 BGH v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BB 2014, 2509, 2510 ff. unter Ablehnung einer die Haftung des Vorstands ausschließenden, auf eigenem Beschluss beruhenden Selbstschädigung der Gesellschaft. Vielmehr sei die Vermögensminderung der Gesellschaft als vom Vorstand herausgeforderte nicht ungewöhnliche Handlung der Gesellschaft dem Vorstand zuzurechnen. 65 Zur passiven Haftungsfreistellung vgl. unten: V.2.b). 66 Lautlose „Selbstenthaftung“ der Organe untereinander als ratio des § 93 Abs. 4 AktG vs. Naming and Shaming. Vgl. zu diesem Zielkonflikt einerseits zur Verhinderung des kollusiven Zusammenwirkens von Vorstand und Aufsichtsrat exempl.: BGH v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, NZG 2014, 1058 Rz. 20 m.w.N.; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 278; andeutend Hopt, ZIP 2013, 1793, 1803 f.; Spindler in MünchKomm-AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 252 und andererseits zur Publizität durch das verschärfte Naming and Shaming: vgl. oben II.3.b). 67 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926 (ARAG/Garmenbeck). Diese Rechtsprechung hat zu einer lebhaften Diskussion in der Literatur zur Vor-
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Vorstandsbestellung ersichtlich nicht aus. Die Abwägungsentscheidung sollte in diesen Fällen jedoch als Minus zur expliziten HV-Beschlussfassung im Aufsichtsratsbericht an die Hauptversammlung begründet werden, sodass gerade keine lautlose Selbstentlastung stattfindet.68 Diese These lässt sich in einem ersten Zugriff auf zwei Überlegungen stützen. Einerseits wird in der Literatur im Zusammenhang mit dem Bußgeldregress in aller Regel nicht explizit danach differenziert, ob der Vorstand (als möglicher Anspruchsgegner) weiterhin im Amt bleiben soll.69 In Fällen, in denen die weitere Zusammenarbeit mit dem Vorstand für die Unternehmensprosperität von Bedeutung ist, ist ein rechtssicheres Verhältnis zwischen Vorstand und Gesellschaft essenziell. Es werden Friktionen in der soziologischen Unternehmensstruktur vermieden, indem nicht „um jeden Preis“ nach individuellen Fehlern gesucht wird. Eine rechtssichere Zusammenarbeit wird dadurch gewährleistet, dass der Aufsichtsrat für die hier beschriebene Regressfrage positiv eine Nichtüberwälzung des Bußgelds beschließen kann, statt die Regressfrage als passive Nichtinanspruchnahme des Vorstands (dauerhaft) garen zu lassen und eine Revision durch spätere Aufsichtsratskonstellationen zu ermöglichen. Dies ist die aufrichtigere und eher im Unternehmensinteresse liegende Lösung; auch der BGH sollte seine ARAG/GarmenbeckRechtsprechung für diese Fälle weiter ausdifferenzieren. Andererseits lässt sich die These mit den gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten stützen, welche im Lichte einer Schutzzwecküberlagerung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG und der konsequenten Anwendung der ARAG/ Garmenbeck-Grundsätze betrachtet werden müssen. Über eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG allein ist dieses Ergebnis dagegen nicht erreichbar, denn – wie zu zeigen sein wird – die europäisch veranlassten Änderungen kapitalmarktrechtstandshaftung geführt. Aus den jüngeren Beiträgen seien exemplarisch (mit unterschiedlichen Schwerpunkten) genannt: Bayer, NJW 2014, 2546; Faßbender, NZG 2015, 501; Koch, NZG 2014, 934; Rahlmeyer/Fassbach, GWR 2015, 331; Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832; Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1877; vgl. Schnorbus/Klormann, NZG 2015, 938; Hoffmann-Becking, ZGR 2015, 618. 68 Die Namen einzelner Vorstandsmitglieder müssen hier, sofern nicht ausnahmsweise ohnehin wegen des Naming and Shaming gemäß § 40b WpHG oder § 40c WpHG veröffentlicht, nicht erwähnt werden. 69 Vgl. etwa plakativ: „Die Inanspruchnahme von noch im Amt befindlichen Geschäftsleitern durch Unternehmen kommt selten vor“, Freund, NZG 2015, 1419.
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licher Vorschriften wirken sich nicht direkt auf den mit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG verfolgten Minderheitenschutz aus, so dass dessen Schutzzweck nicht vollends und ohne Zweifel erfüllt wäre. Eine Übertragung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung70 ist, sosehr dies im Ergebnis prima facie zu passen scheint, nicht geboten: Einerseits übernimmt der Vorstand seine Aufgaben gerade nicht weisungsgebunden als Arbeitnehmer, sondern trifft vielmehr im Rahmen der Unternehmensführung die dem Arbeitgeber eigenen Entscheidungen nach § 76 Abs. 1 AktG in eigener Verantwortung.71 Andererseits besteht mit § 93 AktG eine Norm, die Haftungsfragen des Vorstands gegenüber der Gesellschaft klärt, und folglich ein Rückgriff auf die ungeschriebenen Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung jedenfalls teilweise versperrt.
bb) Schutzzwecküberlagerung durch Naming and Shaming Mit dem Schutz des Gesellschaftsvermögens und dem Schutz der Minderheitsaktionäre unter dem Blickwinkel, dass nicht eine Mehrheit ohne Rücksicht auf die Minderheit über Ansprüche der Gesellschaft disponieren können soll,72 ist die ratio des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nur teilweise beleuchtet. Die Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses wird zutreffend in erster Linie damit begründet, dass Vorstand und Aufsichtsrat sich andernfalls aus kollegialen Gründen quasi stillschweigend von Haftungsansprüchen verschonen könnten.73 Soweit es um den Schutz des Gesellschaftsvermögens geht, ist zu konstatieren, dass der Aufsichtsrat ebenso wie der Vorstand dem Gesellschaftswohl verpflichtet ist.74 Daraus folgt, dass sich der Aufsichtsrat seinerseits schadensersatzpflichtig macht, wenn er mit dem Vorstand kollusiv zusammenwirkt. Die potentielle Schadensersatzpflicht des Aufsichtsrats gegenüber der Gesellschaft bietet ausreichend Schutz vor einem kollegialen Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat.75 Dies gilt zumindest dann, wenn – wie bei börsennotierten Gesellschaften – künftig ein angenommener Pflichtverstoß durch das Naming and Shaming unver70 Vgl. exemplarisch: Krause, NZA 2003, 577. 71 Im Ergebnis gegen die Einbeziehung des Vorstands in die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung: Krause, NZA 2003, 577, 581. 72 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rz. 276. 73 Hölters in Hölters, AktG, 2. Aufl. 2014, § 93 Rz. 306 sowie die Nachweise in Fn. 48. 74 Vgl. Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 109 Rz. 8. 75 Vgl. Mohamed, CCZ 2015, 111, 117.
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züglich publik wird. Eine stillschweigende Selbstentlastung der Organe ist damit bei börsennotierten Gesellschaften künftig nicht mehr möglich. Der Schutz des Gesellschaftsvermögens droht des weiteren bei konsequenter (entsprechender) Anwendung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG unter Achtung des neuen kapitalmarktrechtlichen Sanktionsregimes in sein Gegenteil verkehrt zu werden, denn Reputationsschäden führen zu einem erheblichen Verlust des Gesellschaftsvermögens.76 Das zukünftig noch vor Rechtskraft einer Sanktion durch die BaFin zwingende Naming and Shaming führt zu einer breiten Öffentlichkeitswirkung einer Pflichtverletzung. Wenn nun frühestens drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs gegen den Vorstand der Pflichtverstoß erneut in der Hauptversammlung als eigener Abstimmungspunkt erscheint, führt dies zu einer Verfestigung der Öffentlichkeit und steigert die Gefahr eines nachhaltigen Reputationsschadens für die Gesellschaft. In dieser Zeitspanne vorgenommene reputationssteigernde Maßnahmen des Vorstands würden torpediert. Stellt der Aufsichtsrat den Vorstand ohne Hauptversammlungsbeschluss von einer Haftung frei, handelt er mit dem Ziel, einen möglichen Reputationsschaden jedenfalls zu begrenzen.77 Er handelt im Unternehmensinteresse zum Schutz des Gesellschaftsvermögens. Die besondere Qualität des Naming and Shaming liegt darin begründet, dass die Langzeitfolgen eines Reputationsschadens im Gegensatz zu einer einmaligen Geldsanktion nicht kalkulierbar sind. Zwar wird, wie noch zu zeigen ist, die Nichtanwendung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG auf in Bezug zur Schadenshöhe relativ geringe Schadensfälle zu begrenzen sein, so dass ein potentieller Pflichtverstoß nicht zwingend einen großen Reputationsschaden nach sich zöge. Dennoch fehlt es im Verhältnis von Pflichtverstoß und öffentlicher Sanktion an der zutreffenden Abbildung der tatsächlichen Schwere des Pflichtverstoßes.78 Naming and Shaming sowie das zwingende Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses führen in der Kumulation zu einer für einen als vergleichsweise gering zu bewertenden Pflichtverstoß unverhältnismäßigen Sanktionswirkung. 76 Aktuell wohl drastischstes Beispiel ist – außerhalb einer kapitalmarktrechtlichen Pflichtverletzung – der Kursverfall der Volkswagenaktie im Zusammenhang mit manipulierten Abgaswerten. Vgl. zum Schutz vor Rufschädigung: Hoffmann-Becking, ZGR 2015, 618, 624. 77 Vgl. Mohamed, CCZ 2015, 111, 117. 78 Das Problem andeutend: Heinrich/Krämer/Mückenberger, ZIP 2014, 1557, 1559 ff.
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Auch unter dem Aspekt der Information der Hauptversammlung erscheint statt eines eigenen, prominent hervorstechenden Tagesordnungspunkts mit Abstimmungspflicht eine Information im Rahmen des Aufsichtsratsberichts ausreichend. Auf diesem Wege ist die Nichtinanspruchnahme des Vorstands der Generaldebatte und einer etwaigen Anfechtungsentscheidung der Aufsichtsratsentlastung durch die Aktionäre zugänglich. Das gewährleistet einerseits (kritische) Nachfragemöglichkeiten der Aktionäre und andererseits den Nachvollzug der Entscheidung. Eine mögliche Pflichtwidrigkeit der Entscheidung des Aufsichtsrats würde aufgedeckt werden können. Minderheitsaktionäre werden durch das Fragerecht ausreichend geschützt. Ein gewichtiger Aspekt für die Schutzzwecküberlagerung folgt daraus, dass das Naming and Shaming ausschließlich ein Sanktionsinstrument gegen börsennotierte Gesellschaften ist. Im Vergleich zur nichtbörsennotierten Gesellschaft wird über die Sanktion eine verstärkte Publizitätswirkung erreicht. Dann aber sollte für börsennotierte Gesellschaften eine darüber hinausgehende Beschlussfassung der Hauptversammlung nicht notwendig sein. Als Zwischenergebnis lässt sich folglich festhalten, dass erstens der Schutzzweck des § 93 Abs. 3 Satz 4 AktG durch das Naming and Shaming bei börsennotierten Gesellschaften künftig überwiegend überlagert wird und zweitens eine ausreichende Information der Aktionäre im Wege der Publizität des Aufsichtsratsberichts erreicht wird.
cc) Nichtbeteiligung der Hauptversammlung nur unter den Voraussetzungen der ARAG/Garmenbeck-Grundsätze Der Aufsichtsrat muss im Fall der Nichtbeteiligung der Hauptversammlung die insoweit restriktiven ARAG/Garmenbeck-Grundsätze beachten. Kommt der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungsfunktion zu dem Ergebnis, dass sich der Vorstand schadensersatzpflichtig gemacht hat, muss der Aufsichtsrat die Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruchs beurteilen. Kommt er zu dem Ergebnis, dass ein Schadensersatzanspruch durchsetzbar ist, hat er ihn grundsätzlich zu verfolgen. „Davon darf er nur dann ausnahmsweise absehen, wenn gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls dagegen sprechen und diese Umstände die Gründe, die für eine Rechtsverfolgung sprechen, überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind. Anderen außerhalb des Unternehmenswohles liegenden, die Vorstandsmitglieder persönlich betreffenden Gesichtspunkten darf der Aufsichtsrat nur in Ausnahmefällen Raum
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geben.“79 Der Aufsichtsrat hat somit in der Praxis zwei Grundfragen zu beantworten: Erstens hat er zu entscheiden, ob ein Anspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand bzw. einzelne Vorstandsmitglieder – jedenfalls überwiegend wahrscheinlich – überhaupt besteht (Anspruchsprüfung). Kommt er zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch besteht und grundsätzlich durchsetzbar ist, hat er zu bewerten, ob und ggfs. in welcher Höhe ein Anspruch auch tatsächlich durchgesetzt werden soll (Anspruchsbewertung).80 Für die Anwendung der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung auf einen Anspruchsverzicht der Gesellschaft bei Bußgeldern in mittlerer Höhe spricht letzten Endes eine Ergebnisbetrachtung: Es macht unmittelbar keinen Unterschied, ob der Aufsichtsrat lediglich – ohne jegliche Willensäußerung – eine Anspruchsdurchsetzung unterlässt (dann ARAG/ Garmenbeck ohne HV-Beteiligung), oder ob er auf die Geltendmachung – verbindlich – verzichtet (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG).81 In der Praxis ist eine Nichtverfolgung eines potentiellen Schadensersatzanspruchs ohne jegliche Willensäußerung gegenüber den betroffenen Vorstandsmitgliedern sehr gekünstelt.
dd) Begrenzung auf verhältnismäßig geringe Schadensfälle Die insoweit restriktiven Maßstäbe von ARAG/Garmenbeck führen dazu, dass die Nichtbeteiligung der Hauptversammlung regelmäßig auf verhältnismäßig geringe Schadensfälle begrenzt bleiben wird. Im Rahmen einer Anspruchsprüfung hat der Aufsichtsrat den Sachverhalt zu ermitteln und juristisch zu bewerten. Dies umfasst eine Prozessrisikoanalyse, in welcher die vorhandenen Beweismittel, die Beweislast und die Höhe der vorprozessualen Aufklärungskosten sowie der Prozesskosten ermittelt werden. Quasi spiegelbildlich ist vom Aufsichtsrat zu ermitteln, in welcher Höhe potentiell ein Anspruch gegen ein Vorstandsmitglied realisierbar wäre. Beim mehrköpfigen Vorstand stellt sich zudem die Frage, inwieweit die Ermittlung individueller Verschuldensanteile möglich erscheint. Regelmäßig dürften D&O-Versicherungen hier nicht greifen, so dass die Bonität des einzelnen Vorstandsmit79 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926 (ARAG/Garmenbeck) – 4. Leitsatz. 80 Insbesondere Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832 plädieren für eine Abtrennung der Frage der Höhe der Anspruchsdurchsetzung. 81 Mohamed, CCZ 2015, 111, 115.
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glieds maßgeblich ist. Der Aufsichtsrat hat ein begrenztes Ermessen bei der Anspruchsprüfung, wenn er mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung hat.82 Im Rahmen einer Anspruchsbewertung hat der Aufsichtsrat eine Gesamtabwägung vorzunehmen. Grundsätzlich hat er den Anspruch zu verfolgen, darf mithin nicht verzichten oder sich darüber vergleichen. Gegen die Anspruchsverfolgung können aber Reputationsschäden der Gesellschaft, Beeinträchtigungen des Betriebsklimas und insbesondere auch innerhalb des Vorstands, der Verschuldensgrad des Vorstands(-mitglieds) und die Schadenshöhe sprechen. Für eine Inanspruchnahme spricht maßgeblich der Gedanke der Wiederherstellung des Gesellschaftsvermögens. Daraus folgt, dass der Aufsichtsrat in der Regel nur für verhältnismäßig geringe Schadensfälle eine aktive Haftungsfreistellung des Vorstands ohne Hauptversammlungsbeschluss herbeiführen wird. Insbesondere wird eine Haftungsfreistellung dann ausscheiden, wenn der realisierbare Schadensersatz voraussichtlich die Rechtsverfolgungskosten deutlich übersteigt. Für vorsätzliches Handeln des Vorstands muss eine Haftungsfreistellung von vornherein ausscheiden, da in einer vorsätzlichen Nichtbeachtung kapitalmarktrechtlicher Vorschriften gleichzeitig im Hinblick auf das verschärfte kapitalmarktrechtliche Sanktionsregime eine bewusste Schädigung der Gesellschaft zu sehen ist. Dafür spricht auch die Wertung, dass schon die BJR bei einem grob fahrlässigen Pflichtverstoß nicht zur Anwendung kommt. Da sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat dem Unternehmenswohl verpflichtet sind, kann die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in den hier interessierenden verbleibenden Fällen eine Haftungsfreistellung ohne Hauptversammlungsbeschluss begründen. Dies wird im Ansatz auch von der Rechtsprechung anerkannt, indem eine Inanspruchnahme dann nicht notwendig ist, wenn Gründe vorliegen, die im Vergleich zu den für eine Rechtsverfolgung sprechenden Gründen schwerer wiegen oder
82 „Eine ‚Entscheidungsprärogative‘, die zur Beschränkung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit führt, kann der Aufsichtsrat für diesen Teil [Anspruchsprüfung] seiner Entscheidung […] nicht in Anspruch nehmen. […] Die Frage eines Handlungsermessens kann sich nur dort stellen, wo eine Entscheidung zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu treffen ist“, BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926, 1928 (ARAG/Garmenbeck) – Gliederungsebene: II.2.b)bb). Ebenso eine generelle Einschätzungsprärogative des Aufsichtsrats verneinend: Faßbender, NZG 2015, 501, 507.
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diesen zumindest annähernd gleichwertig sind.83 Anders als Seibt vorschlägt,84 kann diese individuelle Abwägungsentscheidung aber erst mit Abschluss der Sachverhaltsaufklärung und nicht im Weg einer vorweggenommenen pauschalen Selbstbindung des Aufsichtsrats im Vorstandsvertrag erfolgen. Die vorstehenden Abwägungsparameter sprechen aus Sicht der Verfasser gerade in den seltenen – künftig aber sicherlich zunehmenden Fällen – eines fortbestehenden Vorstandsvertrages bei erstmaliger Bußgeldverhängung für eine klare Aussage des Aufsichtsrats ohne HV-Beschluss (jedoch Erwähnung der Entscheidung im Aufsichtsratsbericht).
ee) Regelmäßig keine Haftungsfreistellung bei individueller Bebußung ohne Hauptversammlungsbeschluss Für den Fall der Sanktionierung einer Individualperson, auf den § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG entsprechende Anwendung finden soll, ist die von der Rechtsprechung erkannte Notwendigkeit einer Hauptversammlungsbeteiligung grundsätzlich anzuerkennen, darf aber den Blick auf den Einzelfall nicht verstellen. Regelmäßig dürfte die individuelle Sanktionierung einer verantwortlichen Person jedenfalls ein Indiz für ein erhebliches Verschulden der sanktionierten Person darstellen und so eine Haftungsfreistellung durch den Aufsichtsrat ohne Hauptversammlungsbeschluss nach den oben erörterten Grundsätzen ausscheiden lassen.
b) Passive Haftungsfreistellung des Vorstands Die passive Haftungsfreistellung des Vorstands durch den Aufsichtsrat ist unter den Voraussetzungen der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung 83 „Diese Voraussetzung [Nichtinanspruchnahme] wird im allgemeinen nur dann erfüllt sein, wenn die Gesellschaftsinteressen und -belange, die es geraten erscheinen lassen, keinen Ersatz des der Gesellschaft durch den Vorstand zugefügten Schadens zu verlangen, die Gesichtspunkte, die für eine Rechtsverfolgung sprechen, überwiegen oder ihnen zumindest annähernd gleichwertig sind. In diesem Zusammenhang können die von dem BerGer. hervorgehobenen Gesichtspunkte, wie negative Auswirkungen auf Geschäftstätigkeit und Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, Behinderung der Vorstandsarbeit und Beeinträchtigung des Betriebsklimas, durchaus Bedeutung erlangen.“, BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, NJW 1997, 1926, 1928 (ARAG/ Garmenbeck) – Gliederungsebene: II.2.b)cc); Hölters in Hölters, AktG, 2. Aufl. 2014, § 93 Rz. 292. 84 Seibt, NZG 2015, 1097, 1102; dagegen zutreffend jüngst auch Habersack, NZG 2015, 1297, 1298 f.
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ohne Beteiligung der Hauptversammlung anerkannt,85 lässt aber das Spannungsverhältnis zum weiter aktiven Vorstandsmitglied zum beiderseitigen Nachteil unberührt und ermöglicht eine spätere gegenteilige Abwägungsentscheidung. Gerade unter Transparenzgesichtspunkten und Corporate Governance-Aspekten ist diese bisher übliche Praxis unbefriedigend.
VI. Conclusio Die kapitalmarktrechtlichen Neuerungen durch CRIM-MAD, MAR und TD 2013 führen – flankiert durch eine sich zunehmend intensivierende Ahndungspraxis der BaFin – bei Emittenten und sonstigen Marktteilnehmern zu einem verstärkten Augenmerk auf kapitalmarktrechtliche Compliance und damit zusammenhängende unternehmensinterne Prozesse. Ohne Zweifel wird dadurch die präventive Wirkung der Sanktionen und faktische Normbefolgung verstärkt. Das in dieser Schärfe dem deutschen Kapitalmarktrecht bisher nicht bekannte Naming and Shaming überlagert indes die Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG jedenfalls für verhältnismäßig geringe Schadensfälle. Für nicht vorsätzliche Pflichtverletzungen des Vorstands, die zu einem die voraussichtlichen Rechtsverfolgungs- und Sachverhaltsermittlungskosten nicht übersteigenden Schaden für die Gesellschaft geführt haben, sollte der Aufsichtsrat zur Haftungsfreistellung auch ohne positiven Beschluss der Hauptversammlung befugt sein, muss hierzu seine Abwägungsentscheidung aber als Minus zum Hauptversammlungsbeschluss im Aufsichtsratsbericht der Hauptversammlung mitteilen. Dies gebietet die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht mit dem Ziel, einen Schaden nicht weiter zu intensivieren. Durch eine solche Aufnahme in den Aufsichtsratsbericht tritt überdies jedenfalls eine sehr starke faktische Selbstbindung des Aufsichtsrats ein, die dem Interesse beider Seiten nach erfolgter Sachverhaltsermittlung dient und auch den berechtigten Aktionärsinteressen ausreichend – und im Vergleich zur bisherigen Praxis sogar besser – Rechnung trägt.
85 Vgl. Schnorbus/Klormann, NZG 2015, 938, 944.
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Bericht über die Diskussion des Referats Krämer/Heinrich Dr. Vanessa Seibel Rechtsanwältin, Frankfurt am Main Der Schwerpunkt der von Hommelhoff geleiteten Diskussion lag bei der Frage, inwieweit der Aufsichtsrat angesichts der zukünftig verschärften Sanktionen für Verstöße gegen Kapitalmarktrecht (durch die Änderungsrichtlinie zur Transparenzrichtlinie Nr. 2013/50/EU, die Marktmissbrauchsverordnung Nr. 596/2014/EU und die Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insiderhandel und Marktmanipulation Nr. 2014/ 57/EU) flexibel von einer Inanspruchnahme des Vorstands der AG für Unternehmensbußgelder absehen darf (I.). Ferner wurde erörtert, inwieweit auf die Konkretisierung der neuen Regelungen durch die ESMA schlagkräftiger Einfluss genommen werden könnte (II.). Schließlich wurde diskutiert, ob Normen des WpHG zukünftig als Schutzgesetz eingeordnet werden (III.).
I. Die These der Referenten, dass der Aufsichtsrat zur Haftungsfreistellung des Vorstands ohne positiven Beschluss der Hauptversammlung befugt sein kann, soweit nicht vorsätzliche Pflichtverletzungen des Vorstands, die zu einem die Rechtsverfolgungs- und Sachverhaltsermittlungskosten nicht übersteigenden Schaden für die Gesellschaft geführt haben, betroffen sind, wurde sehr kontrovers aufgenommen. Habersack sprach sich gegen eine vereinfachte Freistellung des Vorstands für Pflichtverletzungen gegen Kapitalmarkt-Compliance aus. Es solle im System der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung keine Bereichsausnahme geben. Zudem ließe sich das Argument, die Sanktion des Naming and Shaming sei aktienrechtlich zu berücksichtigen, ebenso umdrehen: Nachdem der Verstoß öffentlich sei, könne man erst recht die Hauptversammlung mit der Freistellung befassen. Dass die Bußgeldhöhe außer Verhältnis zu den Durchsetzungskosten liege, sei keine Besonderheit der Kapitalmarkt-Compliance. Hollweg äußerte ebenfalls Bedenken. Es dürfe keine vorherige Freistellung des Vorstands geben, der
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zu einem „Freischein“ für den Vorstand unter Missachtung eines Teils der Kapitalmarkt-Compliance verkomme. Demgegenüber begrüßte von Falkenhausen die These der Referenten, denn in der Praxis könne man gar nicht anders handeln. Krämer erwiderte, dass der Aufsichtsrat gerade keinen Freischein erteilen würde, sondern jeden einzelnen Fall analysieren und abwägen sowie ggf. in den Aufsichtsratsbericht an die Hauptversammlung aufnehmen müsse. Im Unterschied zu den üblichen Fällen der Vorstandshaftung würde die D&O-Versicherung regelmäßig keine Bußgelder abdecken, so dass in der Folge der Abschluss von Zusatzversicherungen teils bereits erwogen würde. Vor diesem Hintergrund lohne es nicht, dogmatisch „in Schönheit zu sterben“, wo es weder notwendig noch sachgerecht sei. Es handele sich im Übrigen nicht um eine Bereichsausnahme, da die Überlegungen für alle überschaubaren Bußgelder bei fortbestehendem Organverhältnis gelten. Im Übrigen sei dieser Ansatz deutlich transparenter und damit aus Aktionärssicht und Corporate Governance-Gesichtspunkten gerade zu befürworten.
II. Von Falkenhausen bemängelte, dass es bei der Erarbeitung der Technical Standards durch die ESMA keine Arbeitsgruppen und gebündelte Stellungnahmen aus Deutschland heraus gäbe. Viele Inhalte der Technical Standards seien schlicht nicht durchführbar. Krämer stimmte dem Hinweis auf fehlende konzernierte Interessenvertretung zu, denn insbesondere im Vergleich zu der professionellen Londoner Lobbyarbeit sei es wünschenswert, dass andere Rechtsordnungen ebenso gezielt berücksichtigt würden. Das Fehlen abgestimmter Interessenvertretung sei indessen in Deutschland kein neues Phänomen, sondern schon seit Jahrzenten zu beklagen.
III. Habersack warf schließlich die Frage auf, ob die neuen europäischen Vorschriften dazu führen könnten, dass Normen des Kapitalmarktrechts nunmehr als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB behandelt würden. Vor allem bei der Marktmanipulation habe der XI. Senat des BGH zu § 20a WpHG bislang die Auffassung vertreten, die Bestimmung könne nicht als Schutzgesetz eingeordnet werden. Heinrich entgegnete,
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Seibel – Bericht über die Diskussion des Referats Krämer/Heinrich
dass seines Erachtens keine Änderungen zu erwarten seien, denn dazu gebe es keinen Regelungsauftrag an den deutschen oder europäischen Gesetzgeber. Insbesondere bezüglich des zukünftig in der Marktmissbrauchsverordnung verorteten Verbots der Marktmanipulation gebe es keine Hinweise, dass der Schutzzweck anders als zuvor über die Funktionsfähigkeit der Wertpapiermärkte hinausgehen soll.
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Was ist der Kernbereich der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft? Prof. Dr. Holger Altmeppen Universität Passau I. Zur Verwirrung über die Tragweite des Urteils II ZR 84/13. . . . . . . . . . . . . . .
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II. Kritik an dem Urteil II ZR 84/13. . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Vorarbeit zur neuen Rechtsprechung durch Goette. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Stellungnahme . . . . . . . . . . . 1. Bestimmtheitsgrundsatz . . . 2. Kernbereich. . . . . . . . . . . . . . 3. Ersetzung der Zustimmung wegen Rechtsmissbrauchs . .
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V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Kernbereichslehre – von Wiedemann noch vor zehn Jahren als zeitlose Leistung des II. Zivilsenats in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gelobt1 – ist inzwischen zu Shakespeares Bild von einer verwickelten Kette verkommen: Nichts zerrissen, aber alles in Unordnung! Das ist spätestens seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 21.10.20142 bekannt.
I. Zur Verwirrung über die Tragweite des Urteils II ZR 84/13 Umstritten ist schon, was der II. Zivilsenat dort überhaupt gesagt hat. Überwiegend wird angenommen, er habe die seit jeher zum Grundwissen des Gesellschaftsrechtlers gehörende „Kernbereichslehre“ vollständig aufgegeben und stattdessen als einzigen Kontrollmaßstab für Mehrheitsbeschlüsse die Treupflicht gesetzt.3 Dafür spricht zunächst durchaus Rz. 19 der Entscheidungsgründe, wenn es dort heißt:
1 Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 219. 2 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231. 3 S. statt aller Priester, NZG 2015, 529; Ulmer, ZIP 2015, 657; Wertenbruch, DB 2014, 2875 jew. m.w.N.
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Altmeppen – Der Kernbereich der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft „Auch bei der Prüfung der materiellen Unwirksamkeit stellt der Senat allerdings nicht (mehr) darauf ab, ob ein Eingriff in den so genannten ‚Kernbereich‘ gegeben ist. … Abgesehen von unverzichtbaren und schon deshalb unentziehbaren Rechten … kommt es bei Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters … letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist.“
Die vermeintliche Aufgabe der Kernbereichslehre wird vereinzelt begrüßt,4 überwiegend aber für falsch gehalten.5 Andere behaupten demgegenüber, der BGH habe die Kernbereichslehre gar nicht aufgegeben, das Urteil müsse „… eingeschränkt verstanden werden“.6 In der Sache hat der BGH entschieden, die einfache Mehrheit der Gesellschafter könne, wenn dies so gewollt sei, aufgrund einer Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag einer Übertragung der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft zustimmen. Bisher verlangt die h.M. für ein solches Grundlagengeschäft in einer Personengesellschaft die Zustimmung aller,7 und entsprechend hatte das OLG Hamm als Vorinstanz entschieden. Damit stellt sich aber die Frage, was solche den Kernbereich betreffenden „Grundlagengeschäfte“ sind. Manche Rezensenten wollen das neue Urteil so verstehen, dass es sich jedenfalls nicht auf die sog. „relativ unentziehbaren Rechte“ beziehe, die nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters aufgehoben oder eingeschränkt werden könnten: Nur der Kreis dieser Rechtspositionen sei denn auch mit dem Schlagwort vom „Kernbereich“ angesprochen, so dass das neue Urteil gar nicht von der Kernbereichslehre handele.8 Doch hat der BGH in seinem neuen Grundsatzurteil9 das Gegenteil gesagt. In Rz. 12 heißt es dazu nämlich: „Dass die Wirksamkeit der jeweiligen Mehrheitsentscheidung eine inhaltliche Prüfung unter dem Aspekt einer etwaigen Verletzung der … gesellschafterlichen
4 So etwa Wertenbruch, DB 2014, 2875, 2876 f. 5 Priester, NZG 2015, 529; Ulmer, ZIP 2015, 657; Schäfer, ZIP 2015, 1313 jew. m.w.N. 6 So Heckschen/Bachmann, NZG 2015, 531, 537; ähnlich Weber, ZfPW 2015, 123, 126 f.; Schiffer, BB 2015, 584, 585. 7 S. statt aller Schäfer in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 719 Rz. 28; Habermeyer in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, § 719 Rz. 8 jew. m.w.N. 8 So Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1314 f.; tendenziell auch Weber, ZfPW 2015, 123, 126 ff. 9 BGHZ 203, 77 = NJW 2015, 859 = ZIP 2014, 2231.
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Altmeppen – Der Kernbereich der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit voraussetzt, gilt … allgemein für alle Beschlussgegenstände, also auch bei so genannten ‚Grundlagengeschäften‘ oder Maßnahmen, die in den ‚Kernbereich‘ der Mitgliedschaftsrechte bzw. in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingreifen … .“
Deutlicher kann der BGH nicht sagen, dass die Mehrheit auch in unentziehbare Rechte des Gesellschafters eingreifen kann, wenn sie dabei nicht treuwidrig handelt. Deshalb wurde vermutet, hier liege ein Irrtum des BGH vor: Er habe den Unterschied zwischen unverzichtbaren und unentziehbaren Rechten nicht verstanden. Es folgt der Hinweis, „Eingriffe in unverzichtbare Rechte können auch mit einer Zustimmung des Betroffenen nicht wirksam werden.“10 Das folgt in der Tat aus dem Begriff „unverzichtbares Recht“. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der BGH dies übersehen hat. In Wirklichkeit hat der II. Zivilsenat gesagt, die materiell erforderliche Zustimmung eines Gesellschafters werde dann ersetzt, wenn der Eingriff im Gesellschaftsinteresse erforderlich und dem Betroffenen zumutbar ist, und das soll der Richter auf der Grundlage der Treuepflicht beurteilen.
II. Kritik an dem Urteil II ZR 84/13 Die gegen das Urteil II ZR 84/13 vom 21.10.2014 gerichteten Angriffe der Rezensenten richten sich sowohl gegen die Dogmatik als auch gegen das Ergebnis. In dogmatischer Hinsicht sei es ein erheblicher Unterschied, ob ein Beschluss wegen Treuwidrigkeit nur fehlerhaft oder mangels einer erforderlichen Zustimmung sogar unwirksam sei. Eine Wirksamkeitskontrolle komme gar nicht in Betracht, bei absolut unentziehbaren Rechten per se nicht, bei relativ unentziehbaren Rechten aber genauso wenig, weil es doch gerade an der nach dem Gesetz erforderlichen Zustimmung des Mitgesellschafters fehle. Das Rechtsgeschäft einer Zustimmung könne dogmatisch nicht durch eine „Inhaltskontrolle nach Treu und Glauben“ ersetzt werden.11 Im Ergebnis wird bemängelt, dass der Senat das Kriterium des Kernbereichseingriffs durch die diffuse Schranke des Treupflichtverstoßes ersetzt habe. Das begründe die Gefahr einer spürbaren Absenkung des
10 Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1314 in Fn. 15. 11 Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1315 f.; Weber, ZfPW 2015, 123, 127.
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Altmeppen – Der Kernbereich der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft
Minderheitenschutzes und der Relativierung des Kontrollmaßstabs.12 Das heißt im Klartext: Kadi-Justiz ist vorprogrammiert.13 So gut wie alle Rezensenten empfehlen dem Senat deshalb, in Zukunft wieder zum Kernbereich als primärem Kontrollmaßstab für Mehrheitsbeschlüsse zurückzukehren.14 Dies endet in der rhetorischen Frage, ob nicht die Abschaffung des Stimm- oder Gewinnrechtes eines Gesellschafters „… ernsthaft nur mit seiner Zustimmung in Betracht kommt.“15
III. Die Vorarbeit zur neuen Rechtsprechung durch Goette Doch die bisher allgemein übliche Fixierung auf den Begriff „Kernbereich“ will der BGH endgültig aufgeben. Das beweist die – in der Rechtswissenschaft als einer historischen stets ausschlaggebende – Entstehungsgeschichte: Der Vater der neuen Rechtsprechung des II. Zivilsenats ist nämlich sein ehemaliger Vorsitzender Goette. Er hat bereits im Jahr 2000 in der Festschrift Sigle die entscheidenden Weichen zum Kurswechsel gestellt.16 Goette hat sich zunächst dafür ausgesprochen, Mehrheitsklauseln – unabhängig von einer katalogartigen Aufzählung ihrer Reichweite – auf einer ersten Stufe immer so auszulegen, wie die Gesellschafter sie typischerweise verstehen: Sie wollten in aller Regel das Einstimmigkeitsprinzip „soweit zulässig“ aufheben.17 Goette hat die sog. „Zwei-Stufen-Lehre“18 sodann mit folgender Formulierung vorweggenommen: „Die eigentliche inhaltliche Überprüfung des gefassten Mehrheitsbeschlusses setzt erst auf der nächsten Stufe ein, wenn untersucht werden muss, ob ein Eingriff in unverzichtbare Mitgliedschaftsrechte vorliegt und ob – wenn es lediglich um Positionen geht, in die nur mit Zustimmung des Betroffenen eingegriffen werden kann – die allgemeinen Grenzen gesellschaftertreuen Vorgehens gewahrt sind.“19
Das deckt sich nahtlos mit den tragenden Gründen des neuen Urteils.20 12 Ulmer, ZIP 2015, 657, 659; Priester, NZG 2015, 529, 530 f. 13 Vgl. Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2066. 14 Priester, NZG 2015, 529, 530 f.; Ulmer, ZIP 2015, 657, 659; Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1315 f. jew. m.w.N. 15 Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1316. 16 Goette in FS Sigle, 2000, S. 145 ff. 17 Goette in FS Sigle, 2000, S. 145, 159. 18 Vgl. BGHZ 170, 283 = NJW 2007, 1685. 19 Goette in FS Sigle, 2000, S. 145, 158. 20 BGHZ 203, 77 Rz. 12 und 19, vgl. dazu schon unter I.
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Altmeppen – Der Kernbereich der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft
IV. Stellungnahme „Kernbereich“ und „Bestimmtheitsgrundsatz“ sind heutzutage missverstandene Begriffe, bei genauer Betrachtung nämlich nur Abbreviaturen von Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Diese kann niemand „aufgeben“.21 Es geht allein um die essentialia negotii von Mehrheitsklauseln. Danach muss die Klausel zweierlei regeln: erstens, was die Mehrheit später entscheiden darf, und zweitens, ob eine für die später erfolgende Entscheidung etwa erforderliche Zustimmung schon jetzt, gegebenenfalls antizipiert, erteilt wird. Eine ganz andere Frage lautet drittens, ob und wann das Gericht eine fehlende Zustimmung ausnahmsweise ersetzen darf: Das hat mit dem Inhalt der Mehrheitsklausel insofern nichts mehr zu tun, als es in dieser Fallgruppe gerade darum geht, dass der Betroffene nicht vorab konsentiert hat.
1. Bestimmtheitsgrundsatz Mehrheitsklauseln erfassen – entgegen verbreiteter Fehlvorstellung – keineswegs nur gewöhnliche Maßnahmen, geschweige denn müssen sie aus endlosen Anwendungskatalogen zur Konkretisierung der Beschlussgegenstände bestehen. Die allgemeine Rechtsgeschäftslehre verlangt nur hinreichende Bestimmtheit i.S.d. essentialia negotii. Die Mehrheit kann insbesondere pauschal dazu ermächtigt werden, auch eine Fülle von Grundlagenentscheidungen in der Personengesellschaft zu treffen. Dazu gehören sämtliche Statusänderungen wie Auflösung der Gesellschaft, Aufnahme und Entlassung von Gesellschaftern, Umwandlungen, Änderungen des Unternehmensgegenstands etc. Mehrheitsklauseln beziehen sich, um Flume zu zitieren, in aller Regel auf das „korporative Element“,22 insoweit sind sie jedenfalls rechtlich unbedenklich. Ähnlich betont Karsten Schmidt, der Bestimmtheitsgrundsatz verlange nur dann nach Detailregelungen, wenn Abweichungen vom Recht der Körperschaft beabsichtigt seien.23 Die Privatautonomie ist in der Personengesellschaft sogar noch größer als im Parallelfall der Körperschaft, weil jeder Gesellschafter ohnehin der Einführung einer Mehrheitsregelung zustimmen muss, wenn Ent21 Eingehend bereits Altmeppen, NJW 2015, 2065 ff. 22 Flume, BGB AT I/1, Die Personengesellschaft, 1977, S. 216. 23 K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 12; eingehend K. Schmidt, ZHR 158 (1994), S. 216 ff.
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scheidungen, die dem korporativen Element zuzurechnen sind, entgegen dem dispositiven Recht nicht einstimmig erfolgen sollen. Dann können solche Entscheidungen pauschal auch einer einfachen Mehrheit überwiesen werden. Im Zweifel ist dies gewollt.24 Nichts anderes hat Goette vor 15 Jahren gesagt, nichts anderes sagt heute der II. Zivilsenat. Die Grundlagen dazu haben Flume25 und Karsten Schmidt26 schon im vergangenen Jahrhundert entwickelt.
2. Kernbereich Soweit die Rechtsprechung in den vergangenen hundert Jahren mangelnde Bestimmtheit einer Mehrheitsklausel gerügt hat, ging es zumeist gar nicht um das korporative Element. Es ging typischerweise um Fälle von unmittelbaren Änderungen der Rechtsstellung des Gesellschafters, alias des „Kernbereichs“ der Mitgliedschaft, in denen jeder Gesellschafter hätte zustimmen müssen.27 Dann aber genügt, wie der II. Senat schon 2007 im Otto-Urteil treffend hervorgehoben hat, auch keine ausdrückliche Spezifizierung in einem Katalog der Beschlussgegenstände einer Mehrheitsklausel, um eine Mehrheitsentscheidung zu legitimieren.28 Ohne weiteres nichtig ist danach eine Klausel, nach welcher z.B. das Stimm- oder Gewinnbezugsrecht oder der Kapitalanteil eines Gesellschafters kraft Mehrheitsbeschlusses soll reduziert werden können. Denn die Vertragsfreiheit erlaubt keine Vereinbarungen zu Lasten Dritter. Das gilt übrigens keineswegs nur für den völlig unproblematischen Fall, in welchem die Mehrheit die Minderheit diskriminiert, sondern auch, wenn der Eingriff alle Gesellschafter gleichermaßen treffen soll. Ein schönes Beispiel ist etwa ein Fall aus dem Jahre 1952:29 Wenn die Dreiviertelmehrheit zu Änderungen des Gesellschaftsvertrages ermächtigt ist, kann sie dieses Quorum nicht etwa für die Zukunft herabsetzen, weil damit in das Stimmrecht der dieser Herabsetzung nicht zustim-
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Zutr. Goette in FS Sigle, 2000, S. 145, 159; K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 12. S. Fn. 22. S. Fn. 23. Hingewiesen sei beispielhaft auf die jeweils erste einschlägige Entscheidung des RG (RGZ 91, 166) und des BGH (BGHZ 8, 35). 28 BGHZ 170, 283 Rz. 10 = NJW 2007, 1685. Zur antizipierten Zustimmung aller sogleich. 29 BGHZ 8, 35.
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menden Minderheit eingegriffen wird. Eine solche Vertragsänderung verlangt Einstimmigkeit. Eine Zustimmung des Gesellschafters kann aber antizipiert erteilt werden. Im Beispielsfall mag der Gesellschaftsvertrag vorsehen, die Dreiviertelmehrheit könne das Quorum auf 2/3 herabsetzen, wenn die Familiengesellschaft z.B. auf mehr als 20 Gesellschafter angewachsen ist. Eine entsprechende Vertragsänderung, die in sein Stimmrecht eingreift, hat dann jeder Gesellschafter im Voraus mitkonsentiert. Dasselbe gilt für hinreichend bestimmte Beitragserhöhungen durch künftigen Mehrheitsbeschluss. Nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre ist der Eingriff aber nur dann Inhalt des Gesellschaftsvertrages geworden, wenn die essentialia negotii in der Mehrheitsermächtigung festgelegt worden sind. Art, Höhe und gegebenenfalls Anlass des Eingriffs müssen hinreichend bestimmt sein, ebenso wie Kaufsache und Kaufpreis im Kaufvertrag. Kein Gesellschafter kann rechtswirksam erklären, er verzichte im Voraus darauf, über seine erforderliche Zustimmung zu entscheiden, genauer: er erkläre sie im Voraus blanko, die Mehrheit möge entscheiden wann, auf welche konkret und unter welchen weiteren Voraussetzungen: Das ist nicht mehr Selbstbestimmung als Kern der Privatautonomie, sondern sittenwidrige Selbstentmachtung des Individuums, welche die Generalklausel des § 138 BGB nicht akzeptiert.30 Das Schlagwort vom „Kernbereich“ bezeichnet nach allem nichts weiter als die Grenze der essentialia einer Klausel, jenseits derer die Mehrheit allein nicht entscheidungsbefugt, sondern auf eine – zumindest antizipierte – Zustimmung jedes betroffenen Gesellschafters angewiesen ist. Insoweit gibt es – entgegen der Auffassung des II. Senats – auch keine „relativ unwirksamen“ Entscheidungen der Mehrheit, weil sie die von der Zustimmung aller abhängige Vertragsänderung gar nicht beschließen kann.31
3. Ersetzung der Zustimmung wegen Rechtsmissbrauchs Erst jetzt ist die „Stufe drei“ zu betrachten. Auf ihr wird eine erforderliche Zustimmung des betroffenen Gesellschafters gegen seinen Widerspruch durch Gerichtsurteil ersetzt. In dieser Fallgruppe spielt es keine 30 Eingehend dazu bereits Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2069 f. m.w.N. 31 Unrichtig insoweit BGHZ 203, 77 Rz. 16; dazu bereits Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2070.
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entscheidende Rolle, ob die Mehrheitsklausel etwas dazu regelt, weil sie eine erforderliche Zustimmung, die auch nicht „antizipiert“ erteilt wurde, nach zwingenden Regeln der Privatautonomie ohnehin nicht ersetzen kann. Der II. Senat will in solchen Fällen prüfen lassen, ob die Verweigerung der Zustimmung unbeachtlich, weil der Eingriff im Gesellschaftsinteresse geboten und dem davon betroffenen Gesellschafter zumutbar ist.32 Das hat nichts mehr mit der Bestimmtheit oder dem Kernbereich i.S.v. Reichweite einer Mehrheitsklausel zu tun. Dann aber ist die Prämisse des II. Senats richtig. Zwar ist mit Nachdruck zu betonen, dass die richterliche Gestaltung einer Vertragsänderung ohne die nach allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre erforderliche Zustimmung eine krasse Ausnahme bleiben muss. Doch ist bisher kein einziger Fall bekannt, in welchem der BGH seine richterliche Gestaltungsaufgabe insoweit nicht angemessen vorgenommen hätte. Zu kritisieren ist an dem neuen Urteil nach allem nur das viel zu weit geratene, den Fall überhaupt nicht mehr betreffende obiter dictum, die Gerichte seien anstelle eines seine Zustimmung verweigernden Gesellschafters immer dazu befugt, das ihm noch Zumutbare zu definieren: Es geht bei der Privatautonomie nicht darum, was nach den Vorstellungen eines Richters einer Vertragspartei noch zumutbar ist, gleich, ob die andere Partei diese Zumutung mit guten Gründen für dringend erforderlich erklärt. Es gibt hierzulande kein „richterliches Billigkeitsrecht“, wie Robert Fischer in unserem Zusammenhang schon vor sechzig Jahren gegen die Leerformel von der Treuepflicht als Quelle richterlicher Vertragsgestaltung im Gesellschaftsrecht eindringlich betont hat.33 Doch wer wollte andererseits bestreiten, dass die Pflicht zur Zustimmung eines Gesellschafters im Einzelfall aus seiner Treuepflicht folgt, wenn etwa ihre Verweigerung nur schikanöse Hintergründe haben kann. Auf die rhetorische Frage, wann wohl die Abschaffung des Stimm- oder Gewinnrechts eines Gesellschafters ohne dessen Zustimmung infrage kommen soll,34 lautet die schlichte Antwort: Nie! Doch hat der BGH auch nie anderes vertreten. 32 BGHZ 203, 77 Rz. 19. 33 Robert Fischer, LM § 114 HGB Nr. 3; s. auch Robert Fischer, NJW 1954, 777, 780. 34 Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1316.
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Die dritte – in der Terminologie des BGH zweite – Stufe der neuen Rechtsprechung im Sinne der gerichtlichen Ersetzung einer erforderlichen Zustimmung des Gesellschafters kennzeichnet also die Fälle seiner wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlichen Verweigerung. Dahingestellt bleibe hier die – vom BGH auch nicht abschließend entschiedene – Frage, ob die Zustimmung als erteilt unterstellt werden kann, wenn sie missbräuchlich verweigert wurde, was auf eine Fiktion hinausläuft, oder ob konstruktiv eine Zustimmungsklage zu fordern ist. Denn es geht nur darum, dass die missbräuchlich verweigerte Zustimmung durch Richterspruch überwunden wird, weil der Gesellschafter sich behandeln lassen muss, als hätte er zugestimmt.35 Wann das gerechtfertigt ist, kann man nicht abschließend vorhersagen. Sehr gelungen ist z.B. die Rechtsprechung zur treuwidrigen Verweigerung einer Fortsetzung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter, der ohne schutzwürdiges Interesse die Liquidation erzwingen will. Im ersten einschlägigen BGH-Fall aus dem Jahr 198536 war die Gesellschaft durch Tod aufgelöst und dem die Fortsetzung verweigernden Erben Abfindung oder Mitgliedschaft angeboten worden. Dem entspricht die mehrfach entschiedene Situation, dass saniert werden muss und dem sanierungsunwilligen, gleichwohl auf seiner Bleibe beharrenden Gesellschafter der Austritt zu Liquidationsbedingungen zur einzigen Alternativ-Option gemacht wird: Der BGH hat die fehlende Zustimmung zum Ausscheiden jeweils zu Recht für unbeachtlich gehalten.37 Der Entzug von Gesellschafterrechten ist, von den gesetzlich geregelten Fällen abgesehen, bisher nur in einem einzigen Fall problematisch geworden, in welchem die von allen guten Geistern verlassene Gesellschaftermehrheit allen Ernstes glaubte, ihrem Minderheitsgesellschafter kraft einer Mehrheitsklausel seine Informationsrechte entziehen zu dürfen. Der BGH hat im Jahre 1994 in diesem Fall ganz unnötig die „Kernbereichslehre“ bemüht,38 während der Beschluss der Mehrheit ohne weiteres wegen Verletzung des Diskriminierungsverbots nichtig war.39
35 Zur umstrittenen Dogmatik in diesen Fallkonstellationen s. Ulmer/Schäfer in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 705 Rz. 240 f. m.w.N. 36 BGH NJW-RR 1986, 256 = ZIP 1986, 91. 37 BGHZ 183, 1 = NJW 2010, 65; zuletzt BGH NZG 2015, 995 jew. m.w.N. 38 BGH NJW 1995, 194. 39 Flume, ZIP 1995, 652.
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V. Resümee Unser Resümee findet – wie schon das Eingangsbild von der verwickelten Kette – seine Parallele abermals in Shakespeares Sommernachtstraum, wo am Ende die Ordnung wiederhergestellt ist. Die Begriffe „Kernbereich“ und „Bestimmtheitsgrundsatz“ sind in Rechtsprechung und Lehre seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend missverständlich, für Wissenschaft und Praxis problematisch mehrdeutig und unklar verwendet worden. Der BGH will diese Begriffe bei der Rechtsanwendung deshalb zukünftig konsequent vermeiden. Doch haben sie unzweifelhaft ihren in der Rechtsgeschäftslehre verankerten Standort. Dort sind sie von selbstverständlicher Richtigkeit: Sie handeln nämlich nur von den essentialia negotii einer gesellschaftsrechtlichen Mehrheitsklausel. Der BGH hat also nicht den juristischen Inhalt vom sog. „Kernbereich“ und „Bestimmtheitsgrundsatz“ abgeschafft, sondern er will diese mittlerweile abgehobenen, genauer: ihrer treffenden ursprünglichen Bedeutung beraubten Begriffe wieder in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre eingeordnet wissen. Danach ist auf einer Art ersten Stufe zu erkennen, dass eine Mehrheitsklausel in der Personengesellschaft nach dem Willen der Gesellschafter in aller Regel auch solche verbandsbezogenen Grundlagenentscheidungen erfassen kann und soll, die das korporative Element der Gesellschaft betreffen, ohne die Beschlussgegenstände in endlosen Katalogen erfassen zu müssen. Wenn nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre ein Gesellschafter zustimmen muss, kann die Zustimmung bei hinreichender Bestimmtheit schon in der Klausel antizipiert erteilt werden. Verweigert ein Gesellschafter rechtsmissbräuchlich seine erforderliche Zustimmung, kann sie ausnahmsweise durch Richterspruch ersetzt werden, was bei genauer Zählung der Abstufungen wohl die dritte sein dürfte. Dies ist methodisch keine Neuigkeit, und es kam in concreto nicht darauf an, weil nur die erste Stufe – eine Maßnahme des korporativen Elements der Gesellschaft in Gestalt eines Gesellschafterwechsels – betroffen war. Das obiter dictum zur zweiten – genauer: zur dritten Stufe hat die Rezensenten aber verwirrt. Wenn der II. Senat bei passender Gelegenheit auch noch diese im Urteil angelegte Gefahr des Missverständnisses klar-
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stellen und hervorheben wird, dass er doch nur Ordnung zwischen den dargelegten drei Stufen hergestellt hat, die man bei Mehrheitsklauseln in Gesellschaftsverträgen nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Rechts unterscheiden muss, kann niemand umhin, das Grundsatzurteil des II. Zivilsenats vom 21.10.2014 uneingeschränkt für richtig zu erklären.
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Bericht über die Diskussion des Referats Altmeppen Dr. Philipp Scholz Universität Jena
I. Die Diskussion leitete Alfred Bergmann, der Vorsitzende des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Da er das Anlass gebende Urteil in seinem Vortrag zur aktuellen gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung des BGH1 mit Blick auf das Referat von Holger Altmeppen nur kurz umrissen hatte, bezog er zunächst selbst Stellung: Dem Referenten stimmte er zu, dass es sich bei „Kernbereich“ und „Bestimmtheitsgrundsatz“ um missverstandene Begriffe handele. Gerade dies sei auch der Anlass für die im Zentrum der Diskussion stehende Bemerkung in Randziffer 19 des Urteils gewesen. Bergmann erinnerte zudem daran, dass der Senat – bewusst – nicht formuliert habe, die Kernbereichslehre sei „aufgegeben“. Vielmehr heiße es im Urteil, der Senat „stelle nicht mehr darauf ab“, ob ein Eingriff in den Kernbereich gegeben sei. Hinter dieser Neuausrichtung stehe die Überlegung, dass nicht klar sei, was der Kernbereich der Mitgliedschaft sei, wo er anfange, wo er aufhöre und wo insbesondere der Bereich beginne, in welchen unter bestimmten Voraussetzungen eingegriffen werden dürfe. Dies, so Bergmann, sei vielleicht unter den Anwesenden bekannt. Der Senat habe jedoch die Gefahr vor Augen gehabt, dass auf Ebene der Instanzgerichte nach der Erkenntnis, es liege ein Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaft vor, aufgehört werde zu prüfen und etwa nicht mehr danach gefragt werde, ob eine antizipierte Zustimmung vorliege oder die fehlende Zustimmung unter den Gesichtspunkten Treupflicht und Interessenabwägung überwunden werden könne. Daher heiße das Urteil weder, man dürfe nicht mehr darüber sprechen, was zum Kernbereich gehöre, noch, dass man einen Eingriff in den Kernbereich nicht mehr als Ansatzpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit von Beschlüssen nehmen könne. Bergmann betonte jedoch, dass im Grunde auf die antizipierte Zustimmung bzw. Abwägung abzustellen sei. So gehe es etwa beim Stimmrecht regelmäßig nicht um dessen Entziehung in Gänze. Es 1 In diesem Band, S. 1 ff.
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Scholz – Bericht über die Diskussion des Referats Altmeppen
stelle sich aber die Frage, ob es nicht in bestimmten Situationen Einschränkungen geben könne. So könne man sicherlich darüber sprechen, die Ausübung des Stimmrechts aus bestimmten Gründen zu suspendieren. Bezüglich der antizipierten Zustimmung hob Bergmann hervor, dass es wiederum darauf ankomme, welche Anforderungen man an die Konkretisierung stelle. Auch darüber könne man unter Umständen streiten und etwa den Standpunkt vertreten, dass sich die Gesellschafter auch abstrakter als von Altmeppen für zulässig erachtet ihrer Rechte begeben könnten. All dies seien Fragen, über die man sprechen müsse.
II. In der Diskussion meldeten sich Johannes Wertenbruch (Marburg), Karsten Schmidt (Hamburg), Carsten Hollweg (Essen), Ekkehard Nolting (Dresden) sowie Carsten Schäfer (Mannheim) zu Wort. Wertenbruch verglich den Ansatz von Altmeppen mit einer Rakete. Diese sei im Gegensatz zu derjenigen des BGH nicht zwei-, sondern dreistufig. Letztlich gelange Altmeppen mit ihr jedoch in dieselbe Umlaufbahn. Die entscheidende Frage laute, ob es der zusätzlichen Stufe – des Kernbereichs – tatsächlich bedürfe. Dies sei zu verneinen. Unproblematisch seien sicherlich die Fälle, in denen eine eindeutige antizipierte Zustimmung im Gesellschaftsvertrag vorliege. Schwierig werde es jedoch, wenn nicht klar sei, ob ein Eingriff in den Kernbereich bzw. eine antizipierte Zustimmung tatsächlich gegeben ist. In diesen Fällen zeige sich, dass die Position des BGH vorzugswürdig sei. Auf den von Altmeppen angesprochenen Gewinnanspruch rekurrierend, bildete Wertenbruch sodann das folgende Beispiel: Der Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft enthalte – ähnlich wie im Otto-Fall2 – eine einfache Mehrheitsklausel. Änderungen des Gesellschaftsvertrages sollen dagegen einer Dreiviertelmehrheit bedürfen. Darüber hinaus enthalte der Gesellschaftsvertrag eine Regelung, wonach die jährliche Rücklagenbildung 20 Prozent betrage. Da die Gesellschaft im Ausland eine Niederlassung eröffnen wolle, brauche sie Kapital. Die Gesellschafter würden deshalb mit Dreiviertelmehrheit beschließen, die Rücklagenbildung für die Dauer von 3 Jahren auf 30 Prozent heraufzusetzen.
In diesem Fall, so Wertenbruch, könne er nicht beantworten, ob es sich um einen kernbereichsrelevanten Eingriff in das Gewinnrecht handele. Doch selbst wenn man von einem solchen Eingriff ausginge, liege die 2 BGHZ 170, 283.
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Scholz – Bericht über die Diskussion des Referats Altmeppen
Sache nicht klar. Ob die eine Dreiviertelmehrheit für eine Änderung des Gesellschaftsvertrages enthaltende Klausel eine antizipierte Zustimmung zu einem solchen Eingriff enthalte, sei nämlich nicht minder unklar. Dahingehend warf Wertenbruch die Frage auf, ob die Klausel denn den expliziten Zusatz enthalten müsse, auch für die Rücklagenbildung zu gelten, oder gar einen Rahmen – 10, 15 oder 20 Prozent –, in welchem die Mehrheit über den Umfang der Thesaurierung disponieren könne. All dies sei für den Richter nur schwer aufzulösen. Die BGH-Lösung erachtete Wertenbruch dagegen als handhabbar: Die erste Stufe der formellen Legitimation sei einfach gegeben. Es müssten also nur noch Interesse und Zumutbarkeit geprüft werden. Ob die Gesellschaft das Kapital wirklich brauche, ob sie Alternativen habe, sich das Geld zu beschaffen, könne der Richter in der Kammer für Handelssachen mit seinen ehrenamtlichen Richtern relativ einfach und für die Parteien nachvollziehbar klären. Hinsichtlich der Zumutbarkeit müsse schließlich lediglich geprüft werden, ob der Gesellschafter den Gewinn brauche, weil er sonst gleichsam verhungere oder – in der Personengesellschaft – als Mitunternehmer die Steuern nicht mehr zahlen könne. K. Schmidt stimmte den Ausführungen Altmeppens in allen Punkten zu, lehnte die Gründe des BGH dagegen explizit ab. Man sage ja, „hard cases make bad law“. Dieser Fall sei dagegen zu banal gewesen. Wenn man so viel über diesen rede, könne nur „bad law“ dabei herauskommen. Der BGH habe ausweislich der Ausführungen Bergmanns mit dem Urteil lediglich Klarheit für die Oberlandesgerichte schaffen wollen. Nun habe man jedoch ein Urteil, über dessen Inhalt sich Wissenschaft und Praxis ausführlich unterhalten müssten, um sich diesem annähern zu können. So sei es schon auf der Zivilrechtslehrertagung in Köln zu einem großen Streit mit einem Referenten darüber gekommen, was in diesem Urteil denn eigentlich stehe. Der Fall, welcher der Entscheidung zu Grunde lag, sei so einfach gewesen, dass sich die Entscheidungsgründe auf den Hinweis „Die Hose passt, die Kosten trägt der Kläger“ hätten beschränken können. Insofern habe der Sachverhalt keinen Anlass zu diesem Feuerwerk gegeben. Im Otto-Urteil stehe mehr oder weniger das Gleiche, aber mit dem Wort „Bestimmtheitsgrundsatz“, sogar im Leitsatz. Mit Altmeppen war sich K. Schmidt überdies darin einig, dass man die Kernbereichslehre gar nicht beseitigen könne. Sie sei zudem kein Phänomen des Personengesellschaftsrechts. Auch im GmbH-Recht gebe es eine Reihe von Entscheidungen, die auf den Kernbereich als Grenze einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung rekurrierten. K. Schmidt betonte, dass mit dem Begriff „Kernbereich“ nur eine Vokabel, eine Ver-
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balisierung oder Abbreviatur für einen zu definierenden Bereich gefunden werden solle, wo es nicht ohne Zustimmung des Betroffenen gehe. An diesem Grundsatz müsse festgehalten werden. Nun habe man jedoch das Unwort des Jahres produziert: In Schriftsätzen könne man die Begriffe Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereich nicht mehr verwenden, weil die Gegenseite sofort entgegnen würde, man sei ja von gestern. Bei der Formulierung von Gesellschaftsverträgen und der Vorbereitung von Beschlüssen riet K. Schmidt jedoch dazu, an diesen Kategorien festzuhalten. Die Oberlandesgerichte seien schließlich auch nicht so unkundig, dass sie mit diesen Figuren nicht umzugehen wüssten. Hollweg hielt es dagegen für sehr vernünftig, die Begriffe zu verabschieden. Mit Bergmann und Wertenbruch sah auch er die Problematik weniger im Grundsätzlichen denn bei den konkreten Fallkonstellationen angesiedelt. So stellte er die Frage, warum es nicht möglich sein sollte, ein im Gesellschaftsvertrag verankertes Mehrheitserfordernis von 90 Prozent mit einer entsprechenden Mehrheit auf 75 Prozent oder gar 50 Prozent herabzusetzen. Im Übrigen favorisierte auch Hollweg die Grenze des Rechtsmissbrauchs gegenüber der Debatte um den Kernbereich. Nolting griff die in Urteil und Referat ebenfalls angesprochene Frage nach der Möglichkeit relativ unwirksamer Beschlüsse auf. Entgegen Altmeppen plädierte er für deren Zulassung. Er sehe nicht, was dagegen spräche, den mit der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Mehrheit gefassten Beschluss als Akt gesellschafterlicher Willensbildung anzuerkennen und dem dissentierenden Gesellschafter das Wahlrecht einzuräumen, sich entweder darauf zu berufen, dem Beschluss nicht zugestimmt zu haben, oder sich diesem später doch noch zu unterwerfen und so den Eingriff in den Kernbereich nachträglich zu legitimieren. Schäfer attestierte dem Referat einen hohen Unterhaltungswert, verneinte jedoch einen Substanzgewinn in der Sache. Das Etikett des Kernbereichs habe Altmeppen lediglich gegen neue Etiketten ausgetauscht, namentlich des § 138 BGB und der essentialia negotii einer Mehrheitsklausel. Gerade deshalb zeigte sich Schäfer indes beruhigt. Denn in der Sache habe sich Altmeppen auf die Seite der herrschenden Meinung geschlagen. Insofern sei dem Referenten ebenso wie K. Schmidt zuzustimmen, dass es bestimmte Bereiche gebe, in denen eine Zustimmung erforderlich sei. Diese sogenannten „relativ unentziehbaren Rechte“ wolle der BGH auch nicht aufgeben. Daher zeigte sich Schäfer auch dankbar für die Klarstellung Bergmanns, dass sich am Niveau des Schutzes der Minderheitsgesellschafter – entgegen mancher Stellungnahmen im Schrift-
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tum – nichts geändert habe. Darüber hinaus wies er indes darauf hin, dass die relevanten Fragen damit weder vom Tisch noch entschieden seien. Es gehe weniger darum, welche Rechte zum Kernbereich gehörten. Dies seien einerseits das Stimmrecht, andererseits die Vermögensrechte. Mit Bergmann, Wertenbruch und Hollweg sah Schäfer die schwierige Frage vielmehr darin, zu bestimmen, wann abseits des gänzlichen Entzuges eine Beeinträchtigung dieser Rechte vorliege, welche gleichwohl die Zustimmung des Gesellschafters erforderlich mache. Das Beispiel von Wertenbruch sei insofern treffend gewählt. Man könne durchaus darüber streiten, ob eine solche Thesaurierungsentscheidung in den Kernbereich eingreife und daher der Zustimmung aller Gesellschafter bedürfe. Mit den von Altmeppen vorgeschlagenen Kategorien lasse sich dieser Fall indes nicht einfacher lösen. Schließlich trat Schäfer der Auffassung Wertenbruchs entgegen, dass man mit Aufgabe der Kernbereichslehre derlei Abgrenzungsschwierigkeiten verabschieden könnte. Denn nehme man das Urteil wörtlich, gebe es durchaus Unterschiede in der Beweislast. Dort heiße es, dass in den Fällen der absolut oder relativ unentziehbaren Rechte die Mehrheit beweisen müsse, treugemäß gehandelt zu haben, während sonst die Minderheit den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung führen müsse.
III. In seiner Antwort auf die Wortmeldungen sowie die einleitenden Ausführungen Bergmanns wies Altmeppen noch einmal darauf hin, dass der „Kernbereich“ ein aufgesetzter, inzwischen sinnentleerter Begriff geworden sei, auf den man deshalb gut und gerne verzichten könne, nicht aber auf den dahinter stehenden rechtlichen Inhalt. Mit K. Schmidt sprach er sich dafür aus, zu den Grundlagen zurückzukehren. Dies heiße, dass die Mehrheit grundsätzlich nicht zu Lasten Dritter Vereinbarungen treffen und Minderheitsgesellschaftern durch Beschluss ihre individuellen Rechte nehmen könne. Dass davon – gleichsam auf dritter Stufe – Ausnahmen gemacht werden könnten, habe nichts mit Kernbereich und Bestimmtheitsgrundsatz zu tun, sondern ergebe sich wiederum aus den Grundsätzen des allgemeinen Schuldrechts, namentlich dem Verbot des Rechtsmissbrauchs. Auf den Einwand Hollwegs, warum es nicht möglich sein sollte, ein im Gesellschaftsvertrag verankertes Mehrheitserfordernis mit einer entsprechenden Mehrheit noch weiter herabzusetzen, erläuterte Altmeppen, dass dies zu Recht nicht nur seine, sondern herrschende Auffassung
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sei. Denn durch eine solche Herabsetzung werde unmittelbar in das Stimmrecht der Minderheit eingegriffen. Gegen das Plädoyer Noltings für die Anerkennung relativ unwirksamer Beschlüsse führte Altmeppen an, dass sich die Minderheit derlei nicht bieten lassen müsse. Dies gelte etwa für den Erwerb von Kapitalanteilen durch die Mehrheit. Denn auch in diesem Fall sei der dissentierende Gesellschafter unmittelbar in seinen Rechten betroffen: Seine Mitgliedschaft verringere sich prozentual. Wenn in die Rechtsstellung der Einzelnen eingegriffen werde, müsse die Minderheit die Änderung des Rechtsgefüges der Gesellschafter untereinander nicht hinnehmen. Gerade deshalb bestehe ja das Erfordernis der Einstimmigkeit. Die Frage nach der relativen Unwirksamkeit stelle sich überhaupt nur, weil die Mehrheit eben nicht entscheiden könne. Insofern sei die Mehrheit richtigerweise schlicht nicht zuständig und könne daher einen solchen Beschluss überhaupt nicht allein fassen. Der Kritik Schäfers, er habe nichts Neues vorgebracht, hielt Altmeppen entgegen, dass man zur Rechtsgeschäftslehre nichts Neues sagen könne. Ihm sei es – wie auch dem II. Zivilsenat – darum gegangen, die begriffliche Unordnung zu beseitigen. So verstehe sich auch sein Vergleich zu Shakespeares verwickelter Kette. Die wesentliche und insofern doch neue Erkenntnis sei indes, dass das obiter dictum, welches nun als Hauptaussage des Urteils erscheine, nichts mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und der Kernbereichslehre zu tun habe. Hier sei das Urteil „Sanieren oder Ausscheiden“3 hineingemischt worden, in welchem es weder um den Bestimmtheitsgrundsatz noch die Kernbereichslehre gehe, sondern darum, eine fehlende, jedoch rechtsmissbräuchlich verweigerte Zustimmung zu ersetzen. Dies hätten die meisten – Schäfer in seinen diversen Urteilsbesprechungen4 ebenso wie zunächst Altmeppen selbst5 – bislang verkannt. Dabei legte sich Altmeppen gegen die Formulierung Bergmanns – der insoweit von Rechtsanwendung unter dem Gesichtspunkt von Treupflicht und Interessenabwägung sprach – darauf fest, dass die Zustimmung des Gesellschafters bei Eingriff in seine individuellen Rechte ungeachtet der Missbrauchsproblematik erforderlich sei und letztlich durch Richterspruch ersetzt werde.
3 BGHZ 183, 1. 4 Schäfer, NZG 2014, 1401; Schäfer, ZIP 2015, 1313. 5 Altmeppen, NJW 2015, 2065.
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Der von Bergmann, Wertenbruch, Hollweg und Schäfer vertretenen These, die Schwierigkeit im Umgang mit den zum Kernbereich der Mitgliedschaft gehörigen Rechten bestehe in der Frage, wann ein Eingriff in eine individuelle Position eine Zustimmungspflicht auslöse, wollte Altmeppen nicht beitreten. Vielmehr verlaufe die Grenze zwischen Entscheidungen über das korporative Element und solchen über individuelle Rechtspositionen. Er schloss seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, dass man ja über alles streiten könne. Ihm sei es darum gegangen, die maßgeblichen Grundlagen für die weitere Diskussion aufzuzeigen.
IV. Bergmann versprach zum Abschluss der Diskussion mit einem Augenzwinkern, dass der II. Zivilsenat angesichts der verursachten Aufregung für die nächste Zeit vorsorglich von weiteren obiter dicta absehen werde.
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Die Neuregelung des Delistings Prof. Dr. Tim Drygala Universität Leipzig I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf und rechtspolitische Diskussion . . . . . . . . . 1. Regulierungsbedarf . . . . . . . . 2. Börsenrecht versus Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Regelung im Überblick .
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IV. Die Ausnahmetatbestände . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die einzelnen Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Marktenge . . . . . . . . . . . . . b) Marktmanipulation und Insider-Verstoß . . . . . . . . . aa) Notwendigkeit rechtskräftiger Verurteilung .
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bb) Verschuldensunabhängigkeit. . . . . . . . . . cc) Anspruch bei Ablehnung des Angebots . . .
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V. Rechtsdurchsetzung . . . . . . . 1. Kein bezifferter Antrag notwendig . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ertragsbewertung als Anspruchsziel im Musterverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praktische Schwierigkeiten . 4. Gesamtbewertung . . . . . . . .
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VI. Verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz. . . . . . . . . . . . .
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VII. Zusammenfassung . . . . . . . .
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I. Einleitung Am 1.10.2015 wurde vom Deutschen Bundestag im Zuge der Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie auch der Anlegerschutz beim Delisting neu geregelt1; die Neuregelung ist am 26.11.2015 in Kraft getreten2. Damit wurde das viel kritisierte Frosta-Urteil des BGH3, das zu einem deutlichen Abbau des Anlegerschutzes geführt hatte, vom Gesetzgeber jedenfalls in Teilen revidiert. Die Vorgeschichte dieser Entscheidung, beginnend mit der verfassungsrechtlich begründeten Macrotron-Rechtsprechung4, ihrer Verwerfung durch das BVerfG5 und der Ablehnung ei1 2 3 4 5
BT-Drucks. 16/6220, S. 41 ff. BGBl. I 2015, S. 2029 ff. BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, NZG 2013, 1342. BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47. BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1569/08, BVerfGE 132, 99.
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Drygala – Die Neuregelung des Delistings
ner zivilrechtlich fundierten Ersatzbegründung6 durch den BGH ist hinlänglich bekannt und muss hier nicht erneut referiert werden7. Stattdessen soll es Aufgabe des Beitrags sein, die Neuregelung vorzustellen und einige praktische Zweifelsfragen auszuloten.
II. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf und rechtspolitische Diskussion 1. Regulierungsbedarf Es war im Winter 2014/2015, dass in der Wirtschaftspresse und in Internet-Medien verstärkt über Fälle berichtet wurde, in denen im Anschluss an eine Delisting-Entscheidung von Aktiengesellschaften teilweise starke Kursrückgänge aufgetreten waren8. Diese gingen mit entsprechenden Verlusten der Anleger einher, und dies wurde als deutliches Problem für den Anleger- bzw. Minderheitenschutz wahrgenommen. Der dadurch aufkommende politische Druck in Richtung auf eine Verbesserung des Anlegerschutzes führte dazu, dass die Politik bald versprach, sich des Themas annehmen zu wollen. Bereits im März 2015 wurde von der Bundesregierung eine Prüfung zugesichert9. Im wissenschaftlichen Schrifttum wurde die Absicht zur Neuregelung teils positiv aufgenommen10, teils wurde auch ein Regelungsbedarf vehement bestritten11. Da der Gesetzgeber sich vorgenommen hat, die Neuregelung im Jahre 2017 zu evaluieren, kann diese Diskussion nicht als endgültig beendet angesehen werden. Insofern wird jetzt, nach der Reform, vermehrt darauf hingewiesen, dass die Schädlichkeit des Delistings für den Anleger6 Dafür insbesondere Drygala/Staake, ZIP 2013, 905, 908 ff.; Habersack, ZHR 176 (2012), 463, 466; Klöhn, NZG 2012, 1041, 1045 ff. 7 Siehe stattdessen Bayer, ZIP 2015, 853 ff. 8 Z.B. Reimann/Bergermann/Schwerdtfeger, WirtschaftsWoche 27/2014, 72 ff.; http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/delisting-und-ploetzlich-ist-dieaktie-verschwunden-13239357.html; http://www.focus.de/finanzen/boerse/de listing-bgh-duepiert-anleger_id_3472711.html; http://www.wallstreet-online. de/nachricht/7388570-deutsche-aktien-frosta-urteil; zur Delisting-Welle in den Jahren nach der Frosta-Entscheidung auch Bayer/Hoffmann, AG 2015, R55 ff. 9 BT-Drucks. 18/4349, Anl. 4. 10 Habersack, JZ 2014, 147 f.; Stöber, WM 2014, 1757, 1760 f. 11 Ablehnend insbesondere Bungert/Leyendecker-Langner, DB 2015, 2251 ff.; Rosskopf, ZGR 2014, 487, 497 ff.; Wasmann/Glock, DB 2014, 105, 106 f.; Weidemann/Weiß, BKR 2014, 168, 170; Wieneke, NZG 2014, 22, 23 f.; Goetz, BB 2015, 2691.
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schutz nicht empirisch nachgewiesen sei12 und dass auch nicht in allen Fällen Kursrückgänge feststellbar gewesen seien. Im Gegenteil, in manchen Fällen seien die Kurse sogar gestiegen13. Dennoch ist es richtig, dass der Gesetzgeber sich des Themas angenommen hat14. Natürlich ist damit eine Erschwernis für die Emittenten verbunden, aber der Kapitalmarkt lebt nicht allein von seiner Attraktivität für die Emittenten. Das Vertrauen der Anleger ist ein ebenso wichtiges Gut, das für einen funktionierenden Markt erforderlich ist. Insofern auf einen Wettbewerb der Börsenplätze zu setzen15, erscheint nicht zielführend. Denn der Anleger entscheidet sich zum Erwerb von Wertpapieren anhand von vielen Kriterien, aber nicht anhand der Tatsache, ob das Papier an einem Börsenplatz notiert ist, der für den Fall des Delistings einen wirksamen Anlegerschutz vorsieht. Ein wirksamer Wettbewerb kann sich nicht entfalten, da es sich um eine ausgesprochene Nebenbedingung handelt, die bei der Erwerbsentscheidung nicht zu Grunde gelegt wird und damit auch nicht preiswirksam werden kann. Auch ist es nicht möglich, den Anlegerschutz allein in die Hände der Börsenorgane zu legen, damit sie im Einzelfall entscheiden, ob Bedenken im Hinblick auf den Anlegerschutz bestehen16. Denn es existiert keine Möglichkeit, den kommenden Kursverlauf vor der Entscheidung über die Zulassung des Delistings zu prognostizieren. Verlässliche Kriterien, anhand derer man gefährliche von ungefährlichen Delisting-Vorgängen abgrenzen könnte, sind nicht bekannt und auch nicht zu entwickeln. So bleibt die vom Gesetzgeber jetzt eingeführte pauschale Lösung als die einzig mögliche übrig.
2. Börsenrecht versus Gesellschaftsrecht Während man sich also im Gesetzgebungsverfahren über das „ob“ der Regelung recht zügig verständigen konnte, war das „wie“ lange Zeit ausgesprochen kontrovers. Im Gesetzgebungsverfahren lieferten sich Befürworter einer gesellschaftsrechtlichen Regelung eine wahre Schlacht mit den Befürwortern eines börsenrechtlichen Ansatzes. Während die 12 Bungert/Leyendecker-Langer, DB 2015, 2251, 2252 f.; Groß, AG 2015, 812, 813. 13 Thomale/Walter, Delisting als Regulierungsaufgabe, im Erscheinen. 14 Siehe insoweit auch die empirische Studie von Doumet/Limbach/Theissen, CFR Working Paper, No. 15–14, http://www.econstor.eu/bitstream/10419/121 254/1/836336690.pdf. 15 Dafür Thomale/Walter, Delisting als Regulierungsaufgabe, im Erscheinen. 16 Auch dafür Thomale/Walter, Delisting als Regulierungsaufgabe, im Erscheinen.
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ersten an die Regelungen anknüpfen wollten, die für gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen, insbesondere den Formwechsel, gelten, fokussierten sich die letzteren darauf, dass mit der Handelbarkeit der Aktie gerade ein börsentypisches Element wegfalle, weshalb der Regelungsansatz hier, also beim Wegfall der Fungibilität, zu suchen sei. Bei allen Unterschieden im Detail divergieren die beiden Ansätze vor allem in einer zentralen Frage: Wer eine börsenrechtliche Regelung favorisiert, sieht das zentrale Element des Anlegerschutzes zwangsläufig in einer Abfindung der Minderheitsgesellschafter zum durchschnittlichen Börsenkurs vor Bekanntgabe der Maßnahme17. Die gesellschaftsrechtliche Lösung fordert hingegen neben einem Hauptversammlungsbeschluss vor allem eine Abfindung der dissentierenden Gesellschafter zum wahren Unternehmenswert und dessen Nachkontrolle im Spruchverfahren, so wie dies auch bei den üblichen gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen (etwa nach dem Umwandlungsgesetz) gilt18. Der Gesetzgeber hatte sich ursprünglich bereits auf eine rein börsenrechtliche Lösung, d.h. auf ein Pflichtangebot allein zum gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs festgelegt19. Hiergegen richtete sich jedoch erhebliche Kritik, die bemängelte, dass in vielen Fällen der Börsenkurs nicht hinreichend aussagekräftig sei und Manipulationsmöglichkeiten von Seiten des Großaktionärs bestünden20. Diese Bedenken setzten sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens durch. Sie führten zu einer Nachbesserung im Rechtsausschuss21, nämlich zu einem Kompromiss, nachdem es für die anzubietende Abfindung grundsätzlich bei der Maßgeblichkeit des Börsenkurses bleibt, in bestimmten Fällen aber Ausnahmen möglich sind. Zudem wurde durch die Anwendbarkeit des KapMuG eine kollektive Rechtsschutzmöglichkeit vorgesehen, die der rein börsenrechtliche Ansatz zuvor ebenfalls nicht kannte. Von daher handelt es sich um eine politische Kompromisslösung, die Elemente beider vorgeschlagener Ansätze in sich aufnimmt.
17 Koch/Harnos, NZG 2015, 729, 733; Brellochs, AG 2014, 633, 644 ff.; Habersack, JZ 2014, 147, 149; Habersack, ZHR 176 (2012), 463, 467; Mülbert, ZHR 165 (2001), 104, 140. 18 Drygala/Staake, ZIP 2013, 905, 908 ff.; Bayer, ZIP 2015, 853, 857. 19 BT-Drucks. 18/5010. 20 Wicke, DNotZ 2015, 488; Koch/Harnos, NZG 2015, 729; Brellochs, BörsenZeitung v. 9.5.2015, 13. 21 Siehe BT-Drucks. 18/6220, S. 41 ff., 91 ff.
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III. Die Regelung im Überblick Zur Neuregelung der Problematik wurden die Abs. 2–6 in § 39 BörsG geändert und teilweise neu eingefügt. Sie sehen vor, dass die Börsengeschäftsführung einem Antrag des Emittenten auf Widerruf der Börsenzulassung nur dann entsprechen darf, wenn im Vorfeld des Antrags ein Angebot zum Erwerb aller Wertpapiere, die Gegenstand des Antrags sind, nach den Vorschriften des WpÜG veröffentlicht wurde. Über den Zeitpunkt der Veröffentlichung findet sich im Gesetz nichts. Aus Sinn und Zweck ergibt sich jedoch, dass das Erwerbsangebot noch laufen muss, wenn der Antrag gestellt wird. Nur so ist sichergestellt, dass Aktionäre, die zu den geänderten Bedingungen an der Aktie nicht festhalten wollen, eine wirksame Exit-Möglichkeit haben. Zudem wurde die Möglichkeit, auf zeitlich zurückliegende und bereits abgeschlossene Erwerbsangebote zu verweisen, im Gesetzgebungsverfahren erörtert, aber letztlich verworfen. Auch das macht deutlich, dass es sich um ein aktuelles Angebot handeln muss22. Für die Gegenleistung ist grundsätzlich der Börsenkurs nach § 31 WpÜG maßgeblich, jedoch mit der Besonderheit, dass die Gegenleistung zwingend in Geld bestehen muss und der relevante Zeitraum, aufgrund dessen der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs ermittelt wird, nicht wie sonst im WpÜG drei, sondern sechs Monate beträgt. Zusätzlich sind bei der Preisfindung, ebenso wie im Verfahren nach dem WpÜG, Vorund Parallelerwerbe des Bieters zu berücksichtigen. Die Person des Bieters ist im Gesetz nicht geregelt, es kann sich um die Gesellschaft selbst, den Großaktionär oder einen Dritten handeln. Bietet die Gesellschaft selbst, wird allerdings bei der Prüfung der Angebotsunterlage zu berücksichtigen sein, ob sie angesichts von § 71 AktG die Aktien zulässigerweise erwerben kann. Die Pflicht zur Abgabe eines Erwerbsangebots entfällt, wenn die Wertpapiere weiterhin an einer anderen inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Damit erfasst die Regelung insbesondere auch das Downlisting vom regulierten Markt in den Freiverkehr, ohne dabei zwischen dem einfachen und dem qualifizierten Freiverkehr zu unterscheiden. Dies kann man kritisch sehen, da der qualifizierte Frei-
22 Wie hier auch Bungert/Leyendecker-Langner, ZIP 2016, 49, 52; Groß, AG 2015, 812, 817.
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verkehr durchaus einen vergleichbaren Schutzstandard bietet23. Angesichts des börsenrechtlichen Charakters der Regelung wäre es auch nicht ausgeschlossen gewesen, den qualifizierten Freiverkehr hier gleichzustellen, was allerdings erhebliche Abgrenzungsfragen aufwirft24. Diesen wollte der Gesetzgeber in dem hektisch betriebenen Gesetzgebungsverfahren offenbar nicht mehr nachgehen. Es dürfte sich jedoch anbieten, die Frage bei der durch den Gesetzgeber angekündigten Evaluierung der Neuregelung im Jahre 2017 noch einmal zu beleuchten.
IV. Die Ausnahmetatbestände 1. Überblick Für den Regelfall hat es mit dem Erwerbsangebot zum Börsenkurs im Hinblick auf den Anlegerschutz sein Bewenden. Weitergehende Regelungen sieht das Gesetz für den Normalfall nicht vor. Aus Sicht der Emittenten liegt hierin durchaus eine Entlastung im Vergleich zur Rechtslage unter der Geltung der Macrotron-Grundsätze, da insbesondere das Erfordernis des Hauptversammlungsbeschlusses entfällt und auch eine Nachprüfung im Spruchverfahren nicht stattfindet. Allerdings hat der Gesetzgeber in § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 BörsG n.F. drei Ausnahmefallgruppen hinzugefügt, in denen es doch zu einer Unternehmensbewertung kommen soll. Diese Ausnahmefallgruppen sind sämtlich auf den Sechsmonatszeitraum bezogen, der für die Ermittlung des relevanten Börsenkurses maßgeblich ist, und lassen sich wie folgt zusammenfassen: –
Verstoß gegen § 15 WpHG (Insiderverstoß);
–
Verstoß gegen § 20a WpHG (Marktmanipulation);
–
Marktenge.
In diesen Fällen ist der Bieter zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet, die sich anhand einer Unternehmensbewertung des Emittenten ergibt, wobei in den Fällen 1 und 2 hinzu kommen muss, dass durch den Insiderverstoß bzw. die Marktmanipulation der maßgebliche Durchschnittskurs nicht nur unwesentlich beeinflusst wurde. Angesichts der Länge des Beobachtungszeitraums ist dies eine nicht unerhebliche Ein23 OLG München v. 21.5.2008 – 31 Wx 62/07, ZIP 2008, 1137; Bungert/Leyendecker-Langner, DB 2015, 2251, 2255; Groß, AG 2015, 812, 816; für Beibehaltung jedoch Bayer, ZIP 2015, 853, 858, Klöhn, NZG 2012, 1041, 1045 f. 24 Zutr. Bayer, ZIP 2015, 853, 859.
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schränkung25. Insgesamt lässt die Vorschrift erkennen, dass der Gesetzgeber hier ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis vorgesehen hat. Im Normalfall soll der Börsenkurs gelten, nur ausnahmsweise soll eine Unternehmensbewertung verlangt werden. Sieht man von diesem RegelAusnahme-Verhältnis ab, lassen die normierten Ausnahmefälle aber durchaus Parallelen zum Spruchverfahren erkennen. Denn auch dort wird der Börsenkurs nicht als maßgeblich angesehen, wenn Marktenge oder Kursmanipulation vorgelegen haben26. Es ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich an diesen Ausnahmetatbeständen orientiert hat und damit einen gewissen Ersatz für das aufgrund des börsenrechtlichen Ansatzes nicht anwendbare Spruchverfahren schaffen wollte. Nicht näher ausgeführt hat der Gesetzgeber, was er sich unter einer Unternehmensbewertung vorstellt, anhand derer der Wert des Unternehmens des Emittenten festzustellen ist. Aufgrund der Tatsache, dass die Ausnahme-Fallgruppen einen Ersatz für das nicht anwendbare Spruchverfahren darstellen sollen, liegt es ausgesprochen nahe, zur Frage der Durchführung der Unternehmensbewertung auf die dort entwickelten Grundsätze zurückzugreifen. Maßgeblich ist demnach in der Regel das Ertragswertverfahren gemäß IdW S1, das jedoch je nach Lage des Einzelfalls durch Hinzuziehung weiterer Methoden ergänzt oder auch ersetzt werden kann27. Dies entspricht auch der üblichen Verfahrensweise bei der Ermittlung der Gegenleistung nach § 31 WpÜG. Eine Festlegung auf ein bestimmtes Verfahren sollte man hier ebenso wie im Spruchverfahren vermeiden. In der Rechtsfolge hat der Gesetzgeber einen individuellen Zahlungsanspruch des betroffenen Aktionärs vorgesehen. § 39 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 BörsG ist insofern deutlich als Anspruchsgrundlage formuliert28. Allerdings ist es zunächst einmal Sache jedes Aktionärs für sich, den Anspruch durchzusetzen, wobei er sich allerdings des Verfahrens nach dem KapMuG bedienen kann. 25 In der Bewertung wie hier Bungert/Leyendecker-Langner, ZIP 2016, 49, 51. 26 Siehe bereits BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 – DAT/ Altana, Rz. 67 f.; OLG Karlsruhe v. 1.4.2015 – 12a W 7/15, AG 2015, 549; OLG Frankfurt/Main v. 28.3.2014 – 21 W 15/11, AG 2014, 822; OLG München v. 26.7.2012 – 31 Wx 250/11, AG 2012, 749; OLG Stuttgart v. 17.10.2011 – 20 W 7/11, ZIP 2012, 133; KG Berlin v. 14.1.2009 – 2 W 68/07, AG 2009, 199 f. 27 Lappe/Stafflage, BB 2002, 2185, 2186; Noack in Schwarz/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 31 WpÜG Rz. 46; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 2013, § 5 WpÜG-AngVO Rz. 33. 28 Wie hier auch Bungert/Leyendecker-Langner, ZIP 2016, 51.
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2. Die einzelnen Ausnahmetatbestände a) Marktenge Der am einfachsten festzustellende und praktisch sicherlich auch wichtigste Ausnahmefall ist derjenige der Marktenge. § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG verwendet dazu dieselbe Definition, die auch in § 5 Abs. 4 der WpÜGAngebots-VO enthalten ist. Marktenge liegt danach vor, wenn an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt wurden und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 % voneinander abweichen. Dabei ist die Kursbewegung, die durch die Ankündigung der fraglichen Maßnahme (hier also das Delisting) ausgelöst wurde, in die Betrachtung mit einzubeziehen29. Liegt Marktenge vor, muss bereits die Angebotsunterlage eine Unternehmensbewertung enthalten. Allerdings muss diese, anders als bei den gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen, weder mit einem erläuternden Bericht versehen werden noch von einem Sachverständigen geprüft worden sein. Auch hat die BaFin nur zehn Werktage Zeit, um die Angebotsunterlage zu prüfen. Dieser Zeitraum reicht in Bezug auf die Unternehmensbewertung nicht aus, um eine vertiefte Prüfung durchzuführen und den Zweifelsfragen nachzugehen, die sich bei einer Unternehmensbewertung typischerweise stellen30. Auch die Gesetzesbegründung geht von einem reduzierten Prüfungsmaßstab aus31. Insofern bleibt der durch die Neuregelung vermittelte Schutzstandard hinter dem durch die gesellschaftsrechtliche Lösung vermittelten Niveau deutlich zurück. Allerdings ist der betroffene Aktionär an die Billigung der Angebotsunterlage durch die BaFin nicht gebunden. Bleibt das Ergebnis der vom Emittenten vorgenommenen Unternehmensbewertung hinter dem tatsächlichen Unternehmenswert zurück, so ergibt sich für den Aktionär der in § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG normierte Differenzanspruch, den er gegen den Bieter geltend machen kann. Ebenso wie bei § 31 WpHG ist nicht klar geregelt, ob die Definition der Marktenge gemäß § 5 Abs. 4 WpÜG-Angebots-VO abschließend ist oder ob in Einzelfällen die Marktenge auch bejaht werden kann, wenn die formalen Voraussetzungen der Definition nicht vorliegen32. 29 Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 31 WpÜG Rz. 40. 30 Bungert/Leyendecker-Langner, ZIP 2016, 51 f. 31 Begr. Rechtsausschuss, BT-Drucks. 18/6220, S. 93 f.: „Nicht offensichtlich unangemessen“. 32 Siehe dazu (befürwortend) Noack in Schwark/Zimmer, KapitalmarktrechtsKommentar, 4. Aufl. 2010, § 31 WpÜG Rz. 41; Haarmann in FrankfurtKomm.
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b) Marktmanipulation und Insider-Verstoß aa) Notwendigkeit rechtskräftiger Verurteilung Für den Anleger weniger leicht feststellbar sind die Fälle des Insider-Verstoßes und der Marktmanipulation. Diese werden im Regelfall nur dann relevant werden, wenn entsprechende Ermittlungen durch die BaFin vorgenommen worden sind. Entgegen den Ausführungen der Gesetzesbegründung setzt der Ausnahmetatbestand jedoch nicht voraus, dass es wegen Verstoßes gegen §§ 15 oder 20a WpHG zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist. Eine derartige Aussage ist zwar in der Begründung zur Änderung des Entwurfs durch den Rechtsausschuss enthalten33, aber diese ist nach allgemeinen Regeln für die Gesetzesauslegung nicht bindend. Insofern steht der Wortlaut entgegen, der eindeutig davon spricht, dass ein Verstoß gegen §§ 15 oder 20a WpHG durch den Bieter oder durch den Emittenten vorliegt, nicht aber, dass diese deswegen rechtskräftig verurteilt oder bestandskräftig mit einem Bußgeld belegt worden sind. Üblicherweise erwähnt der Gesetzgeber jedoch die rechtskräftige Verurteilung, wenn er auf sie abstellen möchte, so etwa in § 6 Abs. 2 Satz 2 GmbHG oder in § 76 Abs. 3 Satz 2 AktG. Auch ansonsten gilt in methodischer Hinsicht die Regel, dass für zivilrechtliche Ersatzansprüche eine strafrechtliche Verurteilung oder eine Bebußung im Ordnungswidrigkeitenverfahren nur Indizwirkung haben und für die Zubilligung des Anspruchs weder automatisch genügend, noch erforderlich sind34. Weiterhin wäre das Abstellen auf eine rechtskräftige Sanktionierung auch deshalb verfehlt, weil Verfahren wegen Marktmanipulation oder Insider-Verstoß nicht selten mit Einstellungen gegen Auflage nach § 153a StPO enden. Diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass der Tatbestand eigentlich erfüllt, aber die Schuld des Täters gering ist und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch die Auflage beseitigt WpÜG, § 31 Rz. 24; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, § 31 WpÜG Rz. 8; Oechsler in FS Hadding, S. 1027, 1042 ff.; (ablehnend) Krause in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 2013, § 31 WpÜG Rz. 35, § 3 WpÜG-AngVO Rz. 6; Häger/Santelmann in Steinmeyer/Häger, § 31 WpÜG Rz. 9; Habersack, ZIP 2003, 1123, 1125 ff.; Süßmann in Geibel/Süßmann, § 31 WpÜG Rz. 85, 108 ff. 33 BT-Drucks. 18/6220, S. 93. 34 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 799; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 53 f.; Hager in Staudinger, 2009, § 823 BGB Rz. G 6 aE, G 9; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 823 Rz. 387.
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werden kann. Das ändert aber nichts daran, dass der Tatbestand verwirklicht wurde. Dann wäre es aber geradezu grotesk, den dadurch geschädigten Anlegern einen Entschädigungsanspruch zu verweigern, weil es an einer förmlichen Verurteilung fehlt. Schließlich und endlich kann die Aussage, der Anspruch setzte eine rechtskräftige Verurteilung voraus, auch deshalb nicht überzeugen, weil der Gesetzgeber mit dem Anspruch auf den Differenzbetrag nach § 39 Abs. 3 BörsG eine Anspruchsgrundlage schaffen wollte, die unabhängig von den Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs nach §§ 37b oder 37c WpHG gegeben ist35. Diese Absicht würde verfehlt, wenn man die rechtskräftige Verurteilung wegen Insiderverstoßes zur Voraussetzung des Anspruchs erhebt, denn dann wäre stets auch der Anspruch aus § 37b WpHG gegeben und § 39 Abs. 3 BörsG insoweit ohne Funktion.
bb) Verschuldensunabhängigkeit Aus diesen Überlegungen ergibt sich auch, dass der Anspruch aus § 39 Abs. 3 BörsG kein Schadensersatzanspruch ist, sondern ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch eigener Art. Er ist § 31 Abs. 5 WpÜG, der Regelung über den Nacherwerb nach einem Übernahmeangebot nachgebildet36. Daraus ergibt sich, dass der Anspruch, ebenso wie derjenige aus § 31 Abs. 5 WpÜG, nur die Erfüllung des objektiven Tatbestands voraussetzt, aber weder Verschulden noch Kausalität verlangt. Insofern wirkt sich aus, dass es sich eben nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt. Vielmehr ist die Aussagekraft des Börsenkurses schon dann beeinträchtigt, wenn objektiv gegen die genannten Normen des WpHG verstoßen wurde, und mehr setzt die Norm nicht voraus. Ob der Täter insofern leicht oder grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat, ist dafür irrelevant. Genauso wenig muss eine Kausalität zwischen Handlung und Kursbewegung nachgewiesen sein. § 39 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 BörsG enthält insofern eine Spezialregelung, dass unwesentliche Auswirkungen auf den Durchschnittskurs außer Betracht bleiben. Daraus wird deutlich, dass es auf Kausalitätsfragen ansonsten nicht ankommen soll. Auch hieran zeigt sich, dass die neue Norm keine volle Verwirklichung der §§ 15, 20a WpHG voraussetzt, sondern dass die objektive Verzerrung
35 Ausdr. BT-Drucks. 18/6220, S. 93. 36 BT-Drucks. 18/6220, S. 93.
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der Börsenkurse genügt, um die Notwendigkeit einer Unternehmensbewertung auszulösen.
cc) Anspruch bei Ablehnung des Angebots Im Gegensatz zu § 31 WpÜG fehlt hier eine klare Regelung dahingehend, dass nur derjenige Aktionär den Anspruch geltend machen kann, der das Erwerbsangebot angenommen hat. Die Norm spricht nur von der Existenz eines Unterschiedsbetrags zwischen der im Angebot genannten Gegenleistung und der Gegenleistung, die sich aufgrund einer Unternehmensbewertung ergibt. Das impliziert nicht, dass das Angebot angenommen werden muss, denn dieser Unterschiedsbetrag existiert auch dann, wenn sich der Aktionär zum Halten der Aktien trotz des Delistings entschieden hat. Zudem wird der Zwang zur Annahme des Angebots in § 31 WpÜG mit beachtlichen Gründen als rechtspolitisch verfehlt kritisiert, weil er einen Druck zur Veräußerung der Aktien auf den Aktionär ausübt37. Das spricht dafür, den Spielraum, den der Wortlaut hier lässt, dahingehend auszufüllen, dass der Anspruch eine Veräußerung der Aktien nicht voraussetzt, sondern auch den in der Gesellschaft verbleibenden Aktionären zustehen kann.
V. Rechtsdurchsetzung Für den einzelnen Anleger ist der individuelle Zahlungsanspruch nach § 39 Abs. 3 BörsG freilich nur von begrenztem Wert. Der Anleger ist im Zivilprozess für die Voraussetzungen beweispflichtig, müsste also darlegen und nachweisen, dass ein Differenzbetrag zwischen dem Angebotspreis und dem Gutachtenwert des Anteils existiert. Da eine Unternehmensbewertung in der Regel eine sachverständige Begutachtung voraussetzt, ist der damit verbundene Aufwand erheblich und wird in nicht wenigen Fällen außer Verhältnis zum Anspruchsziel des einzelnen Aktionärs stehen38. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass anders als in den Fällen gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen die Unternehmensbewertung nicht bereits durch einen Bericht und ein Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen vorbereitet worden sind39, 37 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 2013, § 31 WpÜG Rz. 130, Wackerbarth in Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2011, § 31 WpÜG Rz. 82. 38 So auch die Erwägungen des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 18/6220, S. 95. 39 Siehe etwa §§ 8–12 Umwandlungsgesetz.
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so dass die Unternehmensbewertung praktisch bei null beginnt und sich nicht, wie es heute in den Spruchverfahren vorgeschrieben ist, auf Einwendungen gegen die Richtigkeit der vor der Maßnahme vorgenommenen Bewertung konzentrieren kann40. Aus diesen Gründen ist schon im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen worden, dass der individuelle Anspruch des Aktionärs durch eine Maßnahme kollektiver Rechtsdurchsetzung ergänzt werden muss41. Der Gesetzgeber hat sich insofern für die Anwendbarkeit des KapMuG entschieden und dessen § 1 Abs. 1 Nr. 3 entsprechend erweitert. Dies entspricht dem kapitalmarktrechtlichen Regelungsansatz der Novelle, in dessen Rahmen eine Anwendung des Spruchverfahrensgesetzes ein Fremdkörper gewesen wäre. Der kapitalmarktrechtliche Ansatz wirft aber auch hier einige Zweifelsfragen auf.
1. Kein bezifferter Antrag notwendig Eine erste Schwierigkeit ergibt sich für den klagewilligen Anleger insofern, als der geltend gemachte Anspruch nicht einfach zu beziffern ist. Die Höhe des Differenzbetrages wird erst nach dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen mehr oder weniger feststehen. Was das Unternehmen tatsächlich wert ist, kann vorher nur grob geschätzt werden. In Fällen dieser Art ist es aber zulässig, in Abweichung von § 253 Abs. 2 ZPO einen unbezifferten Antrag zu stellen42, da das Ergebnis der Unternehmensbewertung letztlich von einer Schätzung nach § 287 ZPO abhängt43. Der Kläger muss lediglich eine ungefähre Vorstellung von der Anspruchshöhe vermitteln und Tatsachen vortragen, die diese als möglich erscheinen lassen.
2. Ertragsbewertung als Anspruchsziel im Musterverfahren Um mit seiner Klage erfolgreich zu sein, muss ein betroffener Aktionär darlegen, dass zum einen eine der Ausnahmefallgruppen des § 39 Abs. 3 BörsG vorliegt und dass zum anderen der Anteilswert aufgrund einer 40 Siehe § 4 Abs. 2 Nr. 4 SpruchG, näher dazu Kubis in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2015, § 4 SpruchG Rz. 17. 41 Brellochs, AG 2014, 663, 645; Koch in Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses, https://www.bundestag.de/blob/373420/7f7973bb06ba786c2060c 6795ce4b7d7/koch-data.pdf, S. 8. 42 Siehe dazu Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 253 Rz. 14 mwN. 43 OLG Frankfurt/Main v. 26.1.2015 – 21 W 26/13, AG 2015, 504; OLG Stuttgart v. 17.7.2014 – 20 W 3/12, AG 2015, 580.
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Unternehmensbewertung höher liegt als der Börsenkurs. Fraglich ist, ob diese beiden Fragen überhaupt tauglicher Gegenstand eines Musterverfahrens nach dem KapMuG sein können. Nach § 1 KapMuG ist das Verfahren anwendbar zur Klärung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Tatsachen oder zur Klärung von Rechtsfragen. Das Vorliegen der Ausnahmefallgruppen ist zweifellos eine anspruchsbegründende Tatsache. In Bezug auf die Unternehmensbewertung ist aber zweifelhaft, ob es sich hier um eine Anspruchsvoraussetzung handelt. Eine Rechtsfrage liegt jedenfalls ganz klar nicht vor, denn die Frage der Unternehmensbewertung ist eindeutig eine tatsächliche Frage, die vom zuständigen Gericht mithilfe des Sachverständigen nach §§ 402 ff. ZPO zu beantworten ist44. Das KapMuG könnte daher nur anwendbar sein, wenn es sich um eine Anspruchsvoraussetzung handelt. Dies ist aber zweifelhaft, da die Vornahme der Unternehmensbewertung nach § 39 Abs. 3 BörsG als Rechtsfolge ausgestaltet ist, nämlich als Rechtsfolge des Vorliegens einer der drei Ausnahmefallgruppen. Bei formaler Betrachtung wäre daher das KapMuG nur insoweit anwendbar, als es um die Feststellung der Ausnahmefallgruppen ginge, während im Hinblick auf die Unternehmensbewertung selbst die Feststellung im Individualprozess erfolgen müsste. Dafür spricht auch, dass bei Schadensersatzansprüchen ebenso verfahren wird: Auch hier, etwa bei §§ 37b und 37c WpHG, ist nur die Frage, ob ein Insider-Verstoß vorgelegen hat, dem Verfahren nach dem KapMuG zugänglich, während sich der Schadensersatz als Rechtsfolge im Individualprozess bestimmt45. Eine solche Sichtweise würde allerdings den von der Reform angestrebten kollektiven Rechtsschutz zugunsten der Anleger nicht unerheblich entwerten. Denn dann wäre jeder Aktionär darauf verwiesen, den Unternehmenswert in seinem individuellen Prozess nachzuweisen. Eben dies ist kaum möglich und auch mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes kaum zu vereinbaren. Hinzu kommt, dass der Ausgleichsanspruch, anders als ein Schadensersatzanspruch nach §§ 37b und 37c WpHG, für alle betroffenen Aktionäre notwendig einheitlich ausfällt. Denn die Dif-
44 BVerfG v. 16.5.2012 – 1 BvR 96/09, 1 BvR 117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09, AG 2012, 625, 626; OLG Stuttgart v. 5.6.2013 – 20 W 6/1, AG 2013, 724, 725; BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90, AG 1996, 127, 128; Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 8 SpruchG Rz. 4; Fleischer, AG 2014, 97, 99. 45 Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG, 1. Aufl. 2007, § 1 Rz. 22.
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ferenz zwischen dem angebotenen Börsenkurs und dem höheren inneren Wert des Anteils ist grundsätzlich gleich, wenn man von der Möglichkeit absieht, dass aufgrund der bei der Unternehmensbewertung bestehenden Interpretationsspielräume verschiedene Gerichte den inneren Wert nach § 287 Abs. 2 ZPO unterschiedlich einschätzen werden. Grundsätzlich ist es aber möglich, den Ausgleichsanspruch aufgrund einer Begutachtung und einer Bewertung durch das entscheidende Gericht einheitlich festzulegen. Diese Einheitlichkeit des Ergebnisses ist ein starkes Indiz dafür, dass die betroffene Frage sich für das Musterverfahren eignet46. In dogmatischer Hinsicht kann man das Problem umschiffen, indem man das Bestehen einer Wertdifferenz den Anspruchsvoraussetzungen zurechnet, und nur deren konkrete Höhe als Rechtsfrage im Sinne des § 1 Abs. 1 KapMuG ansieht. Tut man das nicht, besteht die Gefahr, dass der intendierte kollektive Rechtsschutz in erheblichem Maße leer läuft.
3. Praktische Schwierigkeiten In praktischer Hinsicht wird die Durchführung eines Verfahrens nach dem KapMuG jedoch keinesfalls einfach werden. In der Ausnahmefallgruppe der Marktenge wird die Verfahrensdurchführung zumindest dadurch erleichtert, dass das Vorliegen der Marktenge unter den Voraussetzungen von § 5 Abs. 4 WpÜG-Angebots-VO aufgrund der Marktdaten und der Überprüfung durch die BaFin jedenfalls in der Regel von vornherein feststeht. Dadurch ist von vornherein klar, dass eine Unternehmensbewertung erforderlich wird. Die Angebotsunterlage muss dann eine solche auch wenigstens in Grundzügen enthalten. Damit ist im Verfahren nach dem KapMuG im Wesentlichen nur zu klären, ob die vorgenommene Bewertung richtig ist oder ob sich möglicherweise ein höherer Anspruch zugunsten der betroffenen Aktionäre ergibt. Dies ist mit den üblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten in Bezug auf die Ermittlung des Unternehmenswerts verbunden, die auch aus den Spruchverfahren bekannt sind47, bringt für das Verfahren jedoch keine zusätzlichen Herausforderungen48.
46 Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG, 1. Aufl. 2007, § 1 Rz. 23. 47 Zu diesen insbesondere Fleischer, AG 2014, 97, 110; Drygala in Drygala/ Wächter, Bilanzgarantien bei M&A-Transaktionen, 2014, S. 123, 126 ff. 48 Wie hier Buckel/Glindemann/Vogel, AG 2015, 373, 380; Brellochs, AG 2014, 633, 645.
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Weit unübersichtlicher stellt sich die Lage in den beiden anderen Ausnahmefallgruppen dar. Hier muss zuerst festgestellt werden, ob überhaupt ein objektiver Verstoß gegen §§ 15 oder 20a WpHG vorgelegen hat, bevor in die eigentliche Unternehmensbewertung eingetreten werden kann. Ansonsten besteht die Gefahr, eine aufwändige Unternehmensbewertung vorzunehmen, auf die es letztlich mangels Vorliegens einer Ausnahmefallgruppe gar nicht ankommt. Die Frage des Vorliegens der Ausnahmefallgruppen ist insofern logisch vorrangig und muss rechtskräftig entschieden werden, bevor die Begutachtung des Unternehmenswerts vorgenommen wird. Ist die Frage strittig, muss das Gericht im Zuge des KapMuG diesen Komplex gegebenenfalls durch Erlass eines Zwischenfeststellungsbescheides nach § 14 KapMuG iVm. § 303 ZPO vorab entscheiden49. Hiergegen ist die Rechtsbeschwerde nach § 15 KapMuG zulässig. Diese Verfahrensweise führt freilich zu einem Zwischenverfahren im Zwischenverfahren und lässt erwarten, dass ein KapMuGVerfahren wegen Verstoßes gegen § 39 Abs. 3 BörsG noch länger dauern wird als die üblichen Musterverfahren, die auch schon aufgrund ihrer langen Verfahrensdauer Gegenstand von erheblicher Kritik geworden sind50. Speziell in Bezug auf die Frage der Unternehmensbewertung ist es zudem von erheblichem Nachteil, dass in den Ausnahmefallgruppen des Verstoßes gegen §§ 15, 20a WpHG keinerlei vorbereitende Unterlagen zur Unternehmensbewertung vorliegen, da sowohl der Emittent als auch die BaFin in Fällen dieser Art regelmäßig davon ausgehen werden, dass allein der Börsenkurs maßgeblich ist. Das bedeutet, dass ein beauftragter Gutachter unter Umständen nach Jahren feststellen muss, wie hoch der Anteilswert im Zeitpunkt des Delistings mutmaßlich gewesen ist. Diese Aufgabe ist fast nicht lösbar, denn Unternehmen sind lebende Organismen, die sich im Zeitablauf rasch verändern. Eine rückwirkende Bewertung bezogen auf einen mehrere Jahre zurückliegenden Stichtag ist daher von vornherein mit erheblichen faktischen Hindernissen verbunden. Hinzu kommt, dass die Unternehmensbewertung in erheblichem Umfang auf Annahmen und Prognosen beruht51, die sich ebenfalls auf den Zeitpunkt des Delistings zurück beziehen müssten. Da der Gutachter aber den tatsächlichen späteren Verlauf kennt, entsteht das Pro49 Siehe dazu OLG München v. 1.7.2015 – 20 W 1116/15, NZG 2015, 1032. 50 Sustmann/Schmidt-Bendun, NZG 2011, 1207 ff.; Mahler, AG 2011, R115 f. 51 BGH v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136, 140; LG München I v. 21.6.2013 – 5 HK O 19183/09, 5 HKO 19183/09, NZG 2014, 498, 501.
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blem des hindsight bias52, d.h. der Tatsache, dass die Kenntnis der später eingetretenen tatsächlichen Entwicklung eine unbefangene Begutachtung aufgrund der damaligen Prognosen erschwert. Im Vergleich zu einem Spruchverfahren zeigt das hier vorgesehene Verfahren nach dem KapMuG insoweit deutliche Schwächen. Denn das Spruchverfahren ist in seiner heutigen Ausgestaltung dadurch gekennzeichnet, dass die Unternehmensbewertung umfassend vorbereitet wird. Dies findet seinen Niederschlag nicht nur in den vorbereitenden Dokumenten, sondern auch in der Tatsache, dass der Unternehmenswert bereits vor der Vornahme der fraglichen Maßnahme durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen überprüft wird (vgl. § 10 Abs. 1 UmwG). Zudem ist der Antragsteller verpflichtet, konkrete Einwendungen gegen die Richtigkeit der Unternehmensbewertung vorzutragen (§ 4 Abs. 4 Nr. 4 SpruchG), nur diese sind Gegenstand des Verfahrens. Eine vollständige Begutachtung, wie sie hier im Verfahren nach dem KapMuG erforderlich werden wird, ist im Spruchverfahren heutiger Prägung nur noch ganz ausnahmsweise anzutreffen53.
4. Gesamtbewertung Angesichts dieses Befundes verwundert es erheblich, wenn in der Literatur die Anwendung des KapMuG anstelle des SpruchG in dieser Frage gerade mit dem Argument befürwortet wird, das Verfahren nach dem KapMuG würde die Unternehmen weniger belasten54. Das ist allenfalls insofern richtig, als aufgrund der eng gefassten Ausnahmefallgruppen damit zu rechnen ist, dass es im Regelfall bei der Abfindung aufgrund des Börsenkurses bleibt und eine Unternehmensbewertung gar nicht erforderlich wird. Kommt es aber doch zum Verfahren nach dem KapMuG, so ist die Unternehmensbewertung aufgrund der schlechten Vorbereitung sehr viel beschwerlicher und auch die zu erwartende Verfahrensdauer wird deutlich über dem liegen, was heute in einem vernünftig geführten Spruchverfahren üblich ist. Von daher sollte man bei der Überprüfung des Gesetzes im Jahre 2017 auch noch einmal der Frage nach-
52 Siehe Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 228; Fleischer, ZGR 2001, 1, 24; Veil in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 305 Rz. 78. 53 Siehe Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 8 SpruchG Rz. 8. 54 So insbes. Buckel/Glindemann/Vogel, AG 2015, 373, 380; Brellochs, AG 2014, 633, 645.
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gehen, ob sich die Anwendbarkeit des KapMuG tatsächlich bewährt hat und ob nicht trotz des im Grundsatz börsenrechtlichen Ansatzes die entsprechende Anwendung des SpruchG die bessere Lösung gewesen wäre55.
VI. Verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz Neu geregelt und teilweise geklärt ist auch die Frage, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsschutz nach Verwaltungsrecht stattfindet. § 39 Abs. 6 BörsG bestimmt insofern, dass die Voraussetzungen des Abs. 3 die Rechtmäßigkeit des Widerrufs nicht berühren. Die Frage, ob der Börsenkurs aussagekräftig ist oder ob eine Unternehmensbewertung erforderlich wird und zu welchem Ergebnis diese führt, kann daher nicht im Wege des Verwaltungsrechtsstreits geklärt werden, sondern ist ausschließlich dem zivilrechtlichen Verfahren nach Abs. 3 vorbehalten, d.h. diese Frage ist durch Erhebung einer Zahlungsklage, gerichtet auf einen Differenzbetrag, vor dem Zivilgericht zu klären56. Für das Verwaltungsgericht bleiben die Fragen des § 39 Abs. 2 BörsG. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist daher insbesondere einschlägig, wenn überhaupt kein Erwerbsangebot gemacht wurde oder wenn die Frage der weiteren Zulassung an einem anderen regulierten Markt im In- oder Ausland (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 BörsG) falsch beurteilt wurde57. In Fällen dieser Art sollte man allerdings nicht zögern, auch den betroffenen Anleger als klagebefugt anzusehen, da er durch die Genehmigung des Delistings trotz Fehlens der Voraussetzungen unmittelbar und selbst in seinen Rechten betroffen ist. § 39 BörsG entfaltet jedenfalls insofern eine aktionärsschützende Wirkung, als der Aktionär vor einem Verlust der Börsenzulassung ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen geschützt werden soll58. Der anlegerschützende Charakter des gesamten Normkomplexes, der in der Reform deutlich zum Ausdruck gekommen ist, wird daher nicht ohne Auswirkung auf die verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis bleiben.
55 Dafür Bayer, ZIP 2015, 853, 858; Koch/Harnos, NZG 2015, 729, 736 f. 56 Wie hier auch Groß, AG 2015, 812, 819; Bungert/Leyendecker-Langner, ZIP 2016, 49, 53 f. 57 So auch Groß, AG 2015, 812, 819. 58 BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, NZG 2013, 1342 – FROSTA, Rz. 13–16; Thomale, ZGR 2013, 686, 711 f., 717 ff.; ablehnend allerdings VG Frankfurt/Main v. 25.3.2013 – 2 L 1073/13.F, ZIP 2013, 1886.
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VII. Zusammenfassung 1. Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des Delistings eine Kompromisslösung verfolgt, die grundsätzlich dem börsenrechtlichen Ansatz folgt, dabei aber in Ausnahmefällen eine Abfindung anhand einer Unternehmensbewertung vorsieht. 2. Im Vergleich zur Macrotron-Rechtsprechung wird die Position des Emittenten durch den Wegfall der Hauptversammlung und die Beschränkung der Unternehmensbewertung auf Ausnahmefälle verbessert. 3. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 39 Abs. 3 BörsG setzt nicht voraus, dass ein Verstoß gegen Normen des WpHG zuvor rechtskräftig festgestellt wurde. Die Geltendmachung des Verstoßes ist auch inzident im Verfahren nach dem KapMuG möglich. 4. Angesichts der hohen Voraussetzungen für die Einleitung eines Musterverfahrens ist nicht damit zu rechnen, dass der Differenzanspruch nach § 39 Abs. 3 BörsG häufig geltend gemacht werden wird. Kommt es freilich zu einer Geltendmachung, ist aufgrund der Komplexität der Materie und der Notwendigkeit, vorab über den Verstoß gegen das WpHG zu entscheiden, mit einer ausgesprochen langen Verfahrensdauer zu rechnen. Von daher ist das vorgesehene Rechtsschutzverfahren dem traditionellen Spruchverfahren im Hinblick auf die Effizienz der Rechtsdurchsetzung unterlegen. 5. Da der Regelungsbedarf zum Thema Delisting in der Literatur weiterhin bestritten wird und auch die jetzige Ausgestaltung des Verfahrens nicht in jeder Hinsicht überzeugt, ist damit zu rechnen, dass das Thema weiterhin aktuell bleibt und spätestens anlässlich der Evaluation des Gesetzes im Jahre 2017 wieder auf der Tagesordnung steht.
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Bericht über die Diskussion des Referats Drygala Tobias von Bressensdorf Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Leipzig
I. Der Diskussionsleiter Marsch-Barner eröffnete die Aussprache, indem er die inhaltliche Tiefe des Vortrags hinsichtlich der Anwendung des Ertragswertverfahrens hervorhob. Zugleich stellte er aber die Frage, ob damit nicht Ausnahmefälle zu sehr in den Fokus gerückt würden.
II. Zunächst meldete sich von Falkenhausen zu Wort. Er betonte, dass zukünftig ein Angebot zum Erwerb aller Wertpapiere, die Gegenstand des Widerrufantrags sind, abzugeben (§ 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG n.F. i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 WpÜG) und eine entsprechende Angebotsunterlage zu veröffentlichen sei (§ 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BörsG n.F. i.V.m. § 14 Abs. 2 WpÜG). Die Angebotsunterlage werde vor Antragstellung von der BaFin geprüft (vgl. §§ 14 Abs. 1, 15 WpÜG). Prüfungsgegenstand sei dabei auch die Berechnung der Gegenleistung (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 WpÜG, § 39 Abs. 3 Satz 2 BörsG i.V.m. § 31 WpÜG). Kleinaktionäre seien daher nicht schlechter geschützt als bei jedem anderen Erwerbs- und Übernahmeangebot. Abschließend warf er die Frage auf, ob auch den Aktionären, die das Angebot ablehnen, ein Klagerecht zustehe.
III. In der zweiten Wortmeldung stellte Thomale die gesetzliche Regelung grundsätzlich in Frage. Diese sei nicht nur ineffizient und unvollständig, sondern rechtspolitisch schon gar nicht geboten. Im Sinne einer marktwirtschaftlichen Grundordnung sei es vielmehr den Börsen zu überlassen, Regeln für das Delisting aufzustellen. In dem so entstehenden Wettbewerb der Börsenplätze werde sich die attraktivste Regelung durchsetzen. Dass die gesetzliche Lösung in § 39 BörsG n.F. nicht sachgerecht sei, lasse sich auch daran ablesen, dass an keiner Börse in Deutschland mit Ausnahme Düsseldorfs eine vergleichbare Regelung
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gelte. An der New Yorker Börse sei ein Delisting sogar innerhalb von 21 Tagen ganz ohne Pflichtangebot durchführbar. Es sei daher zu hoffen, dass der Finanzausschuss im Rahmen der für 2017 angesetzten Evaluierung (vgl. BT-Drucks. 18/6620, S. 79) die Regelung des Delisting noch einmal grundlegend überdenkt.
IV. Decher knüpfte an das Eingangsstatement Marsch-Barners an. Gerade die Marktenge i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 4 BörsG n.F. lasse sich leicht feststellen. Die Bieter seien wegen des auf den Differenzanspruch anfallenden Strafzinses i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) hinreichend motiviert, ein angemessenes Angebot auf Grundlage der Ertragswertmethode abzugeben. Da Verstöße gegen § 15 WpHG und § 20a WpHG eher die Ausnahme seien, prognostiziere er, dass die Verfahren in der Regel sehr zügig verlaufen werden. Insgesamt sei der Kompromiss, den die gesetzliche Lösung darstelle, doch konsequent.
V. Dem widersprach Harnos. Verstöße gegen Ad-hoc-Mitteilungspflichten und Marktmanipulationen kämen oft erst spät ans Licht. Die Anordnung der langwierigen KapMuG-Verfahren in diesen Fällen sei ineffizient und überzeuge nicht. Des Weiteren verknüpfte er die Beiträge von Falkenhausens und Dechers: Insbesondere durch die Prüfungspflicht der BaFin sei gewährleistet, dass bei Marktenge von vornherein ein Angebot auf Grundlage der Ertragswertmethode abgegeben werde. Des Weiteren bestehe zumindest hinsichtlich der Frage, ob ein Angebot nach § 39 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 lit. b BörsG n.F. entbehrlich ist, weiterhin verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz.
VI. Auch Verse kritisierte die Anordnung des KapMuG-Verfahrens und die Anlehnung an den unausgereiften übernahmerechtlichen Rechtsschutz. Die bereits von Drygala genannten Kritikpunkte ergänzte er um drei weitere Aspekte: Erstens kenne das KapMuG-Verfahren anders als das Spruchverfahren (§ 13 SpruchG) keine inter-omnes-Wirkung. Zweitens fehle es an einer Regelung für den Fall, dass sich die Unangemessenheit
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des Angebots erst nachträglich im gerichtlichen Verfahren herausstellt; auch insoweit hätten sich die im Zusammenhang mit dem Spruchverfahren bekannten Bestimmungen (z.B. § 305 Abs. 4 Satz 3 AktG, § 209 Satz 2 UmwG) als Regelungsvorbild angeboten. Drittens sei die KapMuG-Lösung auch systematisch unstimmig, da sie im Widerspruch zum Rechtsschutz beim kalten Delisting stehe; dort sei das Angebot gemäß § 34 UmwG im Spruchverfahren zu überprüfen. Insgesamt bestehe daher hinsichtlich des zivilrechtlichen Rechtsschutzes noch erheblicher Nachbesserungsbedarf für den Gesetzgeber.
VII. Anschließend zeichnete Maume die jüngeren Entwicklungen im Vereinigten Königreich nach. Dort habe die Kapitalmarktbehörde im Jahr 2013 die Listing Rules nach fünfjährigen Konsultationen dahingehend geändert, dass zukünftig eine Mehrheit der unabhängigen Anleger für ein Delisting stimmen muss. Hinter dieser gesellschaftsrechtlichen Lösung stehe der Gedanke, dass Anlegervertrauen auch Anlegerschutz voraussetze. Insofern sei den Forderungen Thomales zu widersprechen.
VIII. Habersack ergänzte einen weiteren Aspekt. Die vom Bundestag beschlossene Lösung erfasse auch die in Deutschland gelisteten Auslandsgesellschaften. Auch wenn deren Zahl nicht besonders hoch sei, sei dies doch ein Vorteil der kapitalmarktrechtlichen Lösung.
IX. In der letzten Wortmeldung wies Büchel noch auf den zivilprozessrechtlichen Grundsatz hin, nach dem ein Antrag nicht exakt zu beziffern ist, wenn dessen Höhe erst im Zuge des Verfahrens von einem Sachverständigen bestimmt wird. In diesem Fall sei lediglich die ungefähre Größenordnung anzugeben. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO stehe daher einer Rechtsdurchsetzung nicht im Weg.
X. In seiner abschließenden Stellungnahme nahm Drygala bezüglich der anfangs von Marsch-Barner aufgeworfenen Frage eine vermittelnde Posi-
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tion ein. Es sei zuzugeben, dass es sich nach der gesetzlichen Konzeption beim Ertragswertverfahren um den Ausnahmefall handle. Angesichts der nicht ganz unerheblichen Zahl von Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen § 15 WpHG und § 20a WpHG sei aber durchaus zu erwarten, dass die Regelungen in der Praxis Anwendung finden werden. Thomales Ansatz hielt er für theoretisch interessant, praktisch aber wenig brauchbar. Bei den Kaufentscheidungen spielten die in den Börsenordnungen verankerten Regeln über das Delisting nur selten eine Rolle. Zu den aufgeführten rechtsvergleichenden Aspekten ergänzte Drygala, dass international kein einheitlicher Standard existiere, an dem man sich orientieren könne. Dennoch wäre ein Blick über den Tellerrand im Gesetzgebungsverfahren wünschenswert gewesen.
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Praxisfragen der Frauenquote Dr. Georg Franzmann Rechtsanwalt, Ludwigshafen am Rhein I. Einleitung – Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Akzeptanz des Quotengesetzes im Unternehmensbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
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II. Zielsetzung und Bedarf einer Quotengesetzgebung . . . . . . .
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IV. Festlegung von Zielgrößen . . 102 V. Geschlechterquote im Aufsichtsrat. . . . . . . . . . . . . . . . . 110 VI. Geschlechterquote im Aufsichtsrat der paritätisch mitbestimmten SE . . . . . . . . 113
I. Einleitung – Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Am 1.5.2015 ist das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, das sog. Quotengesetz, in seinen wesentlichen Teilen in Kraft getreten1. Beschränkt man den Blick auf die Bereiche Führungspositionen in der Privatwirtschaft, enthält das Gesetz zwei grundlegende Regelungen: 1. die Vorgabe einer verbindlichen Geschlechterquote von 30 Prozent für die Zusammensetzung von paritätisch aus Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsräten börsennotierter Gesellschaften; und 2. die Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsräten, Geschäftsführungsorganen und obersten Führungsebenen börsennotierter oder der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaften.
1 Gesetz v. 24.4.2015 – BGBl. I 2015, S. 642 ff.
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Diese beiden Regelungen entsprechen inhaltlich fast vollständig der Festlegung von CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vom 16.12.20132.
II. Zielsetzung und Bedarf einer Quotengesetzgebung Ausweislich der Gesetzesbegründung ist es das primäre Ziel des Gesetzes, den grundgesetzlichen Handlungsauftrag an den Staat, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern3. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll dies bezogen auf das Wirtschaftsleben durch eine signifikante Erhöhung des Frauenanteils an Führungspositionen erreicht werden, „sodass letztlich eine Geschlechterparität besteht“4. Im Vordergrund steht mit der Frauenförderung ein gesellschaftspolitischer Ansatz. Aber mit dem Gesetz soll auch den Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt etwas Gutes getan werden. Studien belegten, dass eine heterogene Zusammensetzung in Führungsgremien einen besseren Entscheidungsprozess gewährleistet und damit auch bessere wirtschaftliche Ergebnisse einhergehen können. Und es sei ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Anteil von Frauen in Aufsichtsräten und der Unternehmensperformance deutscher großer Aktiengesellschaften festgestellt worden5. Fazit der Gesetzesbegründung ist, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesteigert werden können, wenn der Anteil von Frauen an Führungspositionen zunimmt6. Dies gelte gerade auch mit Blick auf den wachsenden Fachkräftebedarf und mit Blick auf die demographische Entwicklung. In diesem letzten Punkt treffen sich der eher genderpolitische Ansatz des Gesetzes und unternehmerische Interessen an der Einbeziehung von Frauen. Auch ohne gesetzliche Vorgabe sollte es ein selbstverständlicher Bestandteil der Leitungsaufgabe von Vorständen und Geschäftsführungen sein, sich um Einbeziehung und Förderung von Frauen im Unternehmen zu kümmern, nicht in erster Linie als gender- oder sozialpolitisches Gleichberechtigungsthema, sondern als unternehmerische 2 Deutschlands Zukunft gestalten – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD – 18. Legislaturperiode vom 16.12.2013, S. 102 f., abrufbar unter http:// www.bundesregierung.de. 3 BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 40. 4 BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 42. 5 BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 42. 6 BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 42.
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Aufgabe, die besten verfügbaren Mitarbeiter und Führungskräfte mit den richtigen fachlichen und persönlichen Qualifikationen und Erfahrungen für das Unternehmen zu erschließen. Und da nun einmal die Hälfte der Menschheit Frauen sind und diese heute nicht schlechter qualifiziert sind als die Männer, ist das schon für sich Grund genug, sich mit Frauenförderung im Unternehmen zu beschäftigen7. Was muss ich als Unternehmer tun, um mir diesen Talent Pool zu erschließen? Hier liegt offensichtlich noch einiges im Argen, jedenfalls wenn man das an der zumindest in Deutschland nach wie vor flächendeckenden Unterrepräsentation von Frauen auf den Führungsebenen von Unternehmen festmacht. Daran haben jedenfalls nach weitverbreiteter Wahrnehmung auch die verschiedenen Selbstverpflichtungen von Teilen der deutschen Wirtschaft8 und auch die seit dem Jahr 2010 bestehenden Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex zur angemessenen Berücksichtigung von Frauen bei der Besetzung von Aufsichtsrat, Vorstand und Führungsfunktionen im Unternehmen9 nichts Entscheidendes geändert. Vielleicht bedarf es daher tatsächlich des fürsorglich patriarchalischen Anschubs durch den Gesetzgeber, mit dem in der breiten Fläche zumindest größeres Bewusstsein geschaffen wird, auch wenn dies von vielen Unternehmen und den Wirtschaftsverbänden ganz anders gesehen wird10. Auf politischer Seite jedenfalls scheinen die Erwartungen und die Einschätzung der Bedeutung des Quotengesetzes nicht größer sein zu können, schaut man auf die Aussagen, mit denen sich der Bundesminister der Justiz Heiko Maas auf der Website seines Hauses zitieren lässt11: „Die Frauenquote ist der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit Einführung des Frauenwahlrechts.“
7 Vgl. nur Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V., Frauen in Führungspositionen – Zentraler Faktor für den unternehmerischen Erfolg, Juni 2013. 8 Zuletzt beispielsweise Selbstverpflichtung der DAX-30-Unternehmen vom 30.3.2011: Gemeinsame Erklärung „Frauen in Führungspositionen“; Frauen in Führungspositionen – Status Quo und Zielsetzungen der Dax-30-Unternehmen vom 17.10.2011. 9 Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Empfehlungen Ziff. 4.1.5, 5.1.2 Satz 1, 5.4.1 Abs. 2 Satz 2 (Kodex Fassung 26.5.2010). 10 Vgl. nur Bundesverband der Industrie (BDI), Faktencheck Frauen in Führungspositionen, Mai 2014. 11 Zitiert nach: Website Bundesministerium der Justiz.
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und, und damit soll es genug sein: „Mit der Quote geben wir den Anstoß zu einem notwendigen Kulturwandel in Deutschlands Unternehmen.“
Lässt man die ersten beiden Aussagen einmal einfach unkommentiert stehen, kommen bei der dritten Aussage aber erhebliche Zweifel auf, ob die darin liegende implizite Rollenverteilung zwischen den Guten („wir“) und den Bösen, Uneinsichtigen („Deutschlands Unternehmen“) so einfach und berechtigt ist. Man kann vielmehr mit gutem Gewissen behaupten, dass das Gegenteil der Fall ist: Der vom Gesetzgeber angemahnte notwendige Kulturwandel ist bei vielen Unternehmen und bei den großen Unternehmen, ungeachtet ob börsennotiert oder nicht, fast flächendeckend über das vergangene Jahrzehnt längst in Gang gekommen. Förderung und Entwicklung von Frauen und die Schaffung eines darauf ausgerichteten organisatorischen Umfeldes sind heute ein selbstverständlicher Bestandteil vorausschauender Unternehmensentwicklung und Personalplanung. Diese Förderung fängt nicht erst auf der zweiten Führungsebene unterhalb der Geschäftsführung an. Entscheidend ist nämlich, Frauen in ausreichender Anzahl bis an diese Stufe zu entwickeln, um dann aus einem entsprechenden Kandidatinnenpool die Besetzung der obersten Ebenen im Unternehmen vornehmen zu können. Nicht ohne Grund setzen viele Unternehmen ihre Ziele für einen sehr viel weiteren Kreis von Führungsebenen. Hier sind die entscheidenden Weichen zu stellen und es muss die Frage gestellt werden, warum nach wie vor relativ wenige Frauen in den Führungsebenen der Unternehmen ankommen, obwohl der Frauenanteil bei den Universitätsabsolventen mittlerweile bei über 50 % liegt. Jedenfalls scheint es in der harten, kompetitiven Wirklichkeit der Unternehmen trotz vielfältiger Bemühungen und unternehmensindividueller Programme zur Frauenförderung einschließlich Teilzeitmodellen und Kinderbetreuungsangeboten nicht einfach zu sein, den Frauenanteil signifikant zu erhöhen.
III. Akzeptanz des Quotengesetzes im Unternehmensbereich Frage 1: Akzeptanz einer Quotengesetzgebung Wie stehen nun die Unternehmen zum Quotengesetz? Es scheint, als könne man diese Frage mit der Aussage: „von der grundsätzlichen Ab-
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lehnung zur pragmatischen Akzeptanz“ beantworten. In der Gesetzgebungsphase herrschte eine sehr grundsätzliche Ablehnung von fester Geschlechterquote und Festsetzung von Zielgrößen vor, die sich zum Teil auf verfassungsrechtliche Argumente12 und das Unbehagen gegen weitere staatliche Eingriffe in die Unternehmenswelt stützte. Ein weiterer Einwand insbesondere aus dem Bereich der international aufgestellten Großunternehmen betraf den Bezugspunkt der Zielgrößenfestlegung, nämlich die rein gesellschaftsbezogene Definition der mit Zielgrößen zu belegenden Führungsebenen13. Diese Orientierung ist aus Sicht des deutschen Gesetzgebers und auch des bisher sehr weitgehend auf die Einzelgesellschaft ausgerichteten deutschen Gesellschaftsrechts konsequent und nachvollziehbar, geht aber an der tatsächlichen Organisation weltweit aufgestellter Unternehmen oftmals meilenweit vorbei. Nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, treten diese grundsätzlichen Bedenken in den Hintergrund und es hat die pragmatische Umsetzung begonnen, deren erste Phase mit dem Datum 30.9.2015 abgeschlossen ist: Bis zum 30.9.2015 mussten die vom Gesetz erfassten Unternehmen die ersten Zielgrößen für den Frauenanteil im Aufsichtsrat, Vorstand bzw. Geschäftsführung und der 1. und 2. Führungsebene darunter festlegen. Blickt man nur auf die im DAX vertretenen Gesellschaften, was zugegebenermaßen ein sehr selektiver und keinesfalls repräsentativer Blick ist, sind die Unternehmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen und haben Ziele gesetzt. Für die DAX-Gesellschaften kann man das deshalb so sicher sagen, da diese sich in der Vorbereitungsphase darauf verständigt hatten, auch ohne eine gesetzliche Verpflichtung zum 30.9.2015 die von ihnen gesetzten Zielgrößen jedenfalls für die Konzernobergesellschaft zu veröffentlichen. Fast alle DAX-Gesellschaften sind dem nachgekommen und haben ihre Zielgrößen im Wege einer Presseinformation oder auf der Website des Unternehmens veröffentlicht. Schon eine kurze Durchsicht zeigt: das Gesetz wird erfüllt, aber es gibt erhebliche Unterschiede bei der Frage, wie erfüllt wird.
12 Siehe hierzu nur Habersack/Kersten, BB 2014, 2819, 2822 ff. 13 Z.B. Bundesverband der Industrie (BDI), „Geschlechterquote: Richtiges Ziel, falscher Weg“, Stellungnahme zum Regierungsentwurf, Januar 2015.
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IV. Festlegung von Zielgrößen Auch wenn das Thema „harte 30 %-Quote im Aufsichtsrat“ in der öffentlichen politischen Diskussion im Vordergrund stand, waren für die Praxis die Fragen um die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil angesichts des Termins 30.9.2015 vordringlich. Hier blieb nicht viel Zeit zur Vorbereitung zwischen der Beschlussfassung im Bundestag im März 2015 und dem Ende der Frist für die Festlegung der ersten Zielgrößen am 30.9.2015. Frage 2: Anwendungsbereich Die Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen gilt nach den verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen für Gesellschaften, die entweder börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen. Betroffene Rechtsformen sind im Wesentlichen Aktiengesellschaft, KGaA, GmbH und Genossenschaft und über die Normanwendungsregelung in Art. 9 SEVerordnung im Prinzip auch die SE mit Sitz in Deutschland. Während das Merkmal „börsennotiert“ mit Blick auf § 3 Abs. 2 AktG keine größeren Probleme bereitet, ist beim Merkmal der Mitbestimmung nicht so eindeutig, welche Gesellschaften tatsächlich erfasst sind. Das Gesetz spricht an den verschiedenen einschlägigen Stellen, z.B. in § 76 Abs. 4, § 111 Abs. 5 AktG und § 36 GmbHG, nur knapp von „Gesellschaften, die der Mitbestimmung unterliegen“. Demgegenüber wir § 52 Abs. 2 GmbHG für die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in der Geschäftsführung einer GmbH genauer: „Ist nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (Verf.: bzw. nach MitbestG, MontanMitbestG, MitbestErgG) ein Aufsichtsrat zu bestellen.“ Für die Verpflichtung zur Festlegung einer Zielgröße für den Frauenanteil in einer GmbH-Geschäftsführung wird der Anwendungsbereich jedenfalls schon einmal auf Gesellschaften im Anwendungsbereich der deutschen Mitbestimmungsgesetze beschränkt. Gesellschaften mit freiwilliger Beteiligung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat fallen nicht darunter. Für die genannten aktienrechtlichen Normen ist das nicht so eindeutig. Auch die Gesetzesbegründung führt hier nicht weiter. Da Mitbestimmung aber weitgehend als die gesetzlich angeordnete Unternehmensmitbestimmung verstanden wird, sollten Gesellschaften mit einer freiwilligen Mitbestimmung im Aufsichtsrat, wie dies beispielsweise oftmals bei Gesellschaften mit substantieller kommunaler Beteiligung (Stadtwerke)
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der Fall ist, nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen14. Keine freiwillige Mitbestimmung ist allerdings die auf gesetzlicher Anordnung basierende Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangenen Aktiengesellschaft oder einer SE, deren maßgebliche Grundlage die in diesen Gesellschaften abgeschlossene Beteiligungsvereinbarung ist und nicht die deutschen Mitbestimmungsgesetze. Die weitere viel entscheidendere Frage ist allerdings, ob die Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen nur für Gesellschaften gilt, die nach den mitbestimmungsrechtlichen Normen einen Aufsichtsrat gebildet haben, oder für alle Gesellschaften, die in den Anwendungsbereich der mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften fallen, ungeachtet dessen, ob ein Aufsichtsrat eingerichtet worden ist. Beantwortet man die Frage mit Blick auf § 52 Abs. 2 GmbHG, scheint es ausreichend zu sein, dass ein Aufsichtsrat gebildet werden müsste. Auch der Wortlaut von §§ 76 Abs. 4, 111 Abs. 5 AktG und § 36 GmbHG kann in diesem Sinne verstanden werden. Maßgeblich wäre dann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nach den mitbestimmungsrechtlichen Normen erfüllt sind. Demgegenüber wird in der Literatur u.a. von Seibt15 und Drygala16 vertreten, dass entscheidend sei, ob ein Aufsichtsrat tatsächlich gebildet worden ist. Es komme auf den Ist- und nicht auf den Sollzustand an17. Dies folge aus dem Status quo-Prinzip der §§ 97 ff. AktG und diene der Vermeidung von Rechtsunsicherheit. Die Rechtswidrigkeit der Zusammensetzung des Aufsichtsrats könne nur im Statusverfahren geltend gemacht werden18. Diese Frage ist allerdings kein akademisches Randthema. Schaut man nur auf die jüngste Untersuchung von Bayer/Hoffmann19 zur tatsächlichen Anwendung des Drittelbeteiligungsgesetzes, die zu dem Ergebnis kommt, dass bei einer nicht unbedeutenden Anzahl von Gesellschaften, die die Schwelle von 500 Arbeitnehmern überschreiten, kein Aufsichts14 Siehe nur Seibt, ZIP 2015, 1193, 1204; Fromholzer/Simon, AG 2015, 457, 458. 15 Seibt in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 45; Seibt, ZIP 2015, 1193, 1204. 16 Drygala in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 111 AktG Rz. 67a. 17 Hierzu auch Bayer/Hoffmann, GmbHR 2015, 909, 917 f.; Müller-Bonanni/ Forst, GmbHR 2015, 621, 622. 18 Seibt, in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 45; Seibt, ZIP 2015, 1193, 1204. 19 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2015, 909 ff.
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rat gebildet ist, wird klar, dass die Frage des Anwendungsbereichs von höchst praktischer Bedeutung ist. Möglicherweise ist die neue Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen aber bei einigen Gesellschaften ein Auslöser, zukünftig den nach den Mitbestimmungsgesetzen zu bildenden Aufsichtsrat auch tatsächlich einzurichten. Ein Sonderthema, das unter dem Aspekt „Qualität von Gesetzgebung“ nicht unerwähnt bleiben soll, ist die Anwendung der Zielgrößenverpflichtung auf die monistisch strukturierte SE. Während für die dualistisch strukturierte SE, wie Allianz, BASF, E.ON die Geltung und damit auch die dort verorteten Pflichten zur Zielgrößenfestlegung über die allgemeine Verweisung des Art. 9 SE-Verordnung eindeutig ist, gilt das für die monistische SE gerade nicht. § 20 SEAG bestimmt sogar ausdrücklich, dass die §§ 76 bis 116 AktG der aktienrechtlichen Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen nach §§ 76 Abs. 4 und 111 Abs. 5 AktG nicht gelten. Das hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung zwar auch gesehen. Er war aber der Meinung, das Quotengesetz gelte gleichwohl20 (arg. § 22 Abs. 6 SEAG)21. Das wird mit Blick auf § 20 SEAG von Teichmann22 bestritten. Also: keine Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen bei der börsengehandelten oder mitbestimmten monistischen SE, und zwar auch nicht für die 1. und 2. Führungsebene unterhalb des Verwaltungsrats? Entscheidend für die Beantwortung ist neben der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers das Verständnis des Anwendungsbereichs der Nichtanwendungsanordnung des § 20 SEAG. Der systematische Zusammenhang dieser Norm legt nahe, dass das in den §§ 76 bis 116 AktG enthaltene Organisationsrecht von Vorstand und Aufsichtsrat bei der monistischen SE nicht anwendbar sein soll. Dieses Organisationsrecht wird durch die §§ 20 ff. SEAG für die monistische SE ersetzt. Andere die Zusammensetzung und Organisation des Verwaltungsorgans nicht berührende Regelungen sollten demgegenüber durch das für das deutsche
20 BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 54; so auch Stüber, DStR 2015, 947, 952; Junker/Schmidt-Pfitzner, NZG 2015, 929, 934. 21 § 22 Abs. 6 SEAG: „Rechtsvorschriften, die außerhalb dieses Gesetzes dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Rechte oder Pflichten zuweisen, gelten sinngemäß für den Verwaltungsrat, soweit nicht in diesem Gesetz für den Verwaltungsrat und für geschäftsführende Direktoren besondere Regelungen enthalten sind.“ 22 Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, 2. Aufl. 2015, Art. 43 SE-VO Rz. 7; Teichmann/Rüb, BB 2015, 898, 905.
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Recht neuartige Organisationsrecht des Verwaltungsrats in einem monistischen System nicht ausgeschlossen sein, auch wenn sie zufällig oder fehlerhaft in den §§ 76 ff. AktG enthalten sind. Für diese Normen besteht kein Unterschied zu sonstigen Vorstands- und Aufsichtsratspflichten wie z.B. die Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung in § 161 AktG. Folgt man dieser Argumentation, gilt auch in der monistischen SE die Pflicht des § 76 Abs. 4 AktG zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Verwaltungsrats und der geschäftsführenden Direktoren. Demgegenüber besteht bei der nicht-paritätisch mitbestimmten monistischen SE keine Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil im Verwaltungsrat oder bei den geschäftsführenden Direktoren, da hier das Organisationsrecht der Gesellschaftsorgane betroffen ist. Die Geltung von § 111 Abs. 5 AktG wird durch § 20 SEAG ausgeschlossen. Frage 3: Führungsebenen Und damit zur 3. praxisrelevanten Frage: Wie sind die relevanten Führungsebenen unterhalb von Vorstand und Geschäftsführung zu bestimmen? Die gesetzliche Regelung in den §§ 76 Abs. 4 AktG und 36 GmbHG führt nicht weiter und lautet schlicht: „Der Vorstand legt für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands Zielgrößen fest.“
Die Gesetzesbegründung führt hierzu aus: „Die von den Festlegungen des Vorstands betroffenen beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands sind nicht nach betriebswirtschaftlichen Lehren (Top-Management, Middle-Management und Low-Management) zu definieren, sondern meinen die tatsächlich im konkreten Unternehmen eingerichteten Hierarchieebenen unterhalb des Vorstands. Unter einer Hierarchieebene sind organisatorische Einheiten zu verstehen, welche zueinander gleichberechtigt, aber einer gemeinsamen Führung untergeordnet sind“23.
Ergänzt wird dies durch die erstaunlichen Ausführungen der Beschlussempfehlung der beratenden Ausschüsse des Bundestages: „Der Ausschuss (…) unterstreicht, dass Bezugspunkt für die Ermittlung der Führungsebenen zwar die juristische Person und nicht das Unternehmen oder der Konzern insgesamt ist, dass aber gleichwohl angesichts der Vielgestaltigkeit der Unternehmenswirklichkeit ein sehr großer Spielraum bei der Festlegung dieser
23 BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 119.
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Franzmann – Praxisfragen der Frauenquote Führungsebenen besteht. Jedes Unternehmen kann hier also die für seine Gegebenheiten passende und angemessene Lösung wählen. Rechtliche Konsequenzen ergeben sich aus einer gewählten Definition der Zielgrößen nicht, auch wenn sie nicht allen plausibel oder einleuchtend erscheint“24.
Tatsächlich gibt es in den Unternehmen eine sehr große Vielfalt von Abgrenzungsvarianten, die von den tatsächlichen Führungsstrukturen geprägt sind25. Die Hauptschwierigkeiten liegen dabei nicht bei der konzernfreien Einzelgesellschaft, gewissermaßen dem Grundfall des deutschen Gesellschaftsrechts, oder beim einfachen Konzern aus weitgehend organisatorisch unintegrierten Gesellschaften, bei denen typischerweise eine auf die Gesellschaft bezogene Unternehmensorganisation besteht. Gesellschaftsorganisatorische formalrechtliche Führungsebenen stimmen hier zumeist mit der tatsächlichen Unternehmensorganisation und den unternehmerischen Berichtslinien überein. Größere Probleme bei der Bestimmung von Führungsebenen treten dagegen bei stärker organisatorisch integrierten Unternehmensgruppen auf, zumal wenn ihre Organisation international aufgestellt ist. Konzern ist jedenfalls bei größeren Unternehmen eben mehr als eine Ansammlung durch Mehrheitsbeteiligungen miteinander verbundener Unternehmen, die ansonsten unternehmerisch und organisatorisch weitgehend autonom sind. Der Mehrwert besteht eben gerade in einer gesellschaftsüberspannenden Unternehmensorganisation. Der Blick auf die Einzelgesellschaft geht verloren. Hier treten die Spannungen zur gesellschaftsbezogenen Ausrichtung des Quotengesetzes offen zutage. Auf der Ebene der Konzernobergesellschaft oder in einem sehr dezentral organisierten Konzern erscheint die Bestimmung der Führungsebenen noch am leichtesten, da dann echte für die Unternehmensführung relevante Führungsstrukturen in einer Gesellschaft angesiedelt sind und diese auch einen echten Bezug zu der Gesellschaft haben. Aber auch hier gibt es Zweifelsfragen: 1. Disziplinarische und funktionale Führung können voneinander abweichen. Was ist dann die maßgebliche Führungsart? 2. Führungsebenen können auch im Sinne von Wertigkeit innerhalb des Konzerns nach Systemen wie Hay-Points oder Strata-Grades eingeteilt sein.
24 BT-Drucks. 18/4227, Bericht S. 21 f. 25 Siehe hierzu nur Seibt in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 46.
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3. Führungskräfte, jedenfalls im Sinne einer funktionalen Führung, sind gar nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft, sondern einer anderen Konzerngesellschaft, die möglicherweise nicht in Deutschland angesiedelt ist. Letzteres ist beispielsweise bei der BASF SE der Fall, wo einzelne Leiter sog. Unternehmensbereiche, die auf Konzernebene die direkte Führungsebene unterhalb des Vorstands bilden, nicht bei der BASF SE beschäftigt sind und beispielsweise in Hongkong, Nordoder Südamerika angesiedelt sind. Eine unmittelbar hierarchisch folgende Führungskraft kann dann wiederum bei der BASF SE beschäftigt sein. Ist dann dieser Mitarbeiter im Sinne des Quotengesetzes eine Führungskraft der ersten oder der zweiten Führungsebene nach dem Vorstand? Schwieriger wird es nochmals auf der Ebene der nachgelagerten Tochtergesellschaften, insbesondere in Konzernen mit einer matrixartigen Führungsstruktur. In diesen Führungsstrukturen haben die einzelnen Gesellschaften für die Unternehmensorganisation des Konzerns eine eher untergeordnete Bedeutung. Die Gesellschaften sind neudeutsch nur noch „legal entities“, die aus bestimmten steuerlichen und rechtlichen Gründen bestehen, aber nur eine sehr untergeordnete Funktion im Hinblick auf die echte Unternehmensführung haben. Wer mit welcher Funktion und Hierarchiestufe in einer bestimmten Tochtergesellschaft beschäftigt ist, folgt dann einer Logik, die jedenfalls nichts mit Führungsstrukturen der Einzelgesellschaft zu tun hat. Wie kann man dann aber sinnvoll im Sinne des Gesetzes auf die Einzelgesellschaft bezogene Führungsebenen bestimmen, die eine Bedeutung für die Förderung von Frauen und die Festsetzung von Zielgrößen für diese Führungsebenen haben? Eine gewisse Linie scheint sich hier in der Praxis herauszubilden. Es wird verbreitet abgestellt auf Kriterien: –
Arbeitsverhältnis mit der Gesellschaft als erstes Auswahl- und Ausschlusskriterium;
–
Führung wird anhand von disziplinarischen oder funktionellen Berichtslinien bestimmt. Welchen Weg man geht, macht insbesondere in einer gesellschaftsüberprüfenden Unternehmensorganisation einen ganz erheblichen Unterschied. Stellt man auf die disziplinarische (arbeitsrechtliche) Betriebsstruktur ab, entkoppelt sich die Ebenenbestimmung vor allem bei intensiv konzerneingebundenen Tochtergesellschaften vielfach vollständig von der tatsächlich gelebten Unternehmensführung im Konzern;
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–
Als letzte Stufe wird vereinzelt auch die Zugehörigkeit zu einem Mindestlevel auf Gesamtunternehmensebene verlangt. Nur wer im Unternehmen ein bestimmtes Führungslevel erreicht hat, kann auf Gesellschaftsebene einer Führungsebene angehören. Hierdurch wird bei konzerneinbezogenen Gesellschaften im beschränkten Umfang eine Gesamtkonzernbetrachtung eingeführt, die in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Einzelgesellschaftssicht steht.
Frage 4: Höhe der Zielgrößen Wie soll nun ein Unternehmen die Zielgrößen für Aufsichtsrat, Geschäftsführung und Führungsebenen bestimmen? Hier kommt es ganz entscheidend darauf an, welcher Stellenwert und welche Bedeutung für das Handeln des Unternehmens den gesetzlichen Zielgrößen beigemessen werden. Wird die Setzung von Zielgrößen aufgrund der Verpflichtung des Quotengesetzes als ein Instrument der tatsächlichen Frauenförderung angesehen? Oder sieht man die Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen auf der Ebene der einzelnen Gesellschaften überhaupt nicht als Instrument der Frauenförderung im eigenen Unternehmen an bzw. der betroffenen Einzelgesellschaft und man beschränkt sich daher auf eine schlichte Erfüllung des Gesetzes und setzt Ziele, die dem gesetzlichen Mindestmaß entsprechen? Beide Wege sind rechtlich möglich und werden anscheinend auch beschritten. Auf der eher praktischen Ebene ist darüber hinaus bei der Festlegung der Zielgrößen zu berücksichtigen, welche Ziele mit Blick auf die realistischerweise vorhersehbare Fluktuation des Führungspersonals und die Auswahl qualifizierter Bewerberinnen für die gerade zu besetzende Führungsposition ernsthaft mit Aussicht auf eine Zielerreichung gesetzt werden können. Je einfacher die organisatorische Struktur und Konzerneinbindung einer Gesellschaft ist, desto besser ist es möglich, unternehmerische Programme und Zielsetzungen zur Mitarbeiterentwicklung und damit auch Frauenförderung mit gesellschaftsbezogenen Zielgrößen in Einklang zu bringen. Je komplexer und internationaler ein Unternehmen organisiert ist und je integrierter eine Konzernorganisation angelegt ist, desto schwieriger wird eine sinnhafte Zielgrößenfestlegung auf der Ebene der Einzelgesellschaft. Schaut man auf die Zielgrößen bei den DAX-Gesellschaften, so scheinen alle Varianten vertreten zu sein. Hier schließt sich die Frage an, ob die Festsetzung des Status quo als Zielgröße und als besondere Ausprägung die Zielgröße „0“ gesetzeskonforme Festlegungen sind. Die Ant-
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wort scheint mir ungeachtet der Zielsetzung des Gesetzgebers sehr klar zu sein: ja, diese Festsetzungen entsprechen dem Gesetz26. Dies gilt auch für die eher technische Frage, ob die Zielgröße in Form einer Prozentangabe festgelegt werden muss oder ob auch eine absolute Zahl genannt werden kann. Das Gesetz erfordert eine quantitative Festlegung. Lediglich rein qualitative Angaben sind nicht zulässig. Die Gesellschaften sind bei der Festlegung ihrer Zielgrößen frei. Ausnahme ist ausschließlich das Verbot, Zielgrößen unterhalb des Ist-Standes des Frauenanteils festzulegen, sofern dieser unter 30 % liegt. Liegt dieser Frauenanteil bereits bei oder über 30 %, kann die Zielgröße auch wieder unter 30 % und auch auf „0“ fallen. Auch der tatsächlich erreichte Frauenanteil darf unter dem Quotengesetz absinken. Das Gesetz enthält kein zwingendes Frauenförderungsgebot, sondern ausschließlich die Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen. Die Option, den Status quo als Zielgröße zu sehen, haben viele Gesellschaften vor allem für die Zielgrößen für den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung wahrgenommen. Bei Aufsichtsrat und Vorstand bzw. Geschäftsführung spielte dabei ganz wesentlich die geringe Anzahl von personellen Veränderungen in der absehbaren Zukunft eine Rolle, da die erste Zielerreichungsfrist längstens bis zum 30.6.2017 dauern darf. Steht bis zu diesem Zeitpunkt kein Wechsel in der Organbesetzung an, weil entweder die Aufsichtsratsperiode erst nach diesem Zeitpunkt endet oder die Vorstands-/Geschäftsführerbestellungen und die zugehörigen Dienstverträge bis nach diesem Zeitpunkt laufen, kann vernünftigerweise nur der Status quo als Zielgröße festgelegt werden. Dies ist i.S.d. Gesetzgebers zwar nicht ambitioniert, demgegenüber aber realistisch. Ein zweiter Faktor ist aber auch, dass man sich nicht ohne wirkliche Not durch eine wenn auch rechtlich unverbindliche Selbstverpflichtung für die spätere Besetzungsentscheidung Fesseln anlegen will27. Auch bei den Zielgrößen von Tochtergesellschaften wird man sehr oft, vielleicht noch öfter als bei der Muttergesellschaft, den erreichten Status quo als Zielgröße sehen. Das ist keine Missachtung der gesetzgeberischen Zielsetzung, sondern angesichts der Ausgestaltung von Personalentwicklung und Besetzungsentscheidungen schlichtweg sinnvoll.
26 Siehe hierzu Junker/Schmidt-Pfitzner, NZG 2015, 929, 935 f. 27 Zu den Organpflichten von Vorstand und Aufsichtsrat und der Bindungswirkung der Zielgrößenfestlegung s. Drygala, NZG 2015, 1129, 1133 ff.
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Frage 5: Bestimmung der (ersten) Zielerreichungsfrist Kurz zur ersten Zielerreichungsfrist. Hier gibt es keine einheitliche Vorgehensweise. Hauptsächlich werden die Termine 30.7.2017, also der letztmögliche Termin, oder der 31.12.2016 gewählt. Anzutreffen ist aber auch der 31.12.2015. Dieser Termin zwingt gerade dazu, den Status quo als Zielgröße festzulegen, da in so kurzer Zeit eine Erhöhung des Frauenanteils kaum erreicht werden kann. Er erlaubt aber eine recht frühzeitige Festlegung von Folgezielgrößen, die mit der dann zugelassenen Frist von 5 Jahren die realistische Möglichkeit eröffnet, auf eine Steigerung des Frauenanteils und damit eine echte Zielerreichung im Sinne des Quotengesetzes hinzuarbeiten. Die Wahl des 30.7.2017 oder 31.12.2016 ist dagegen vor allem durch die Pflicht zur erstmaligen Berichterstattung über die Zielverordnung nach § 289a Abs. 2 Nr. 4 bzw. Abs. 4 HGB begründet. Berichtet werden muss im ersten Jahresabschluss nach Ende des für die Zielerreichung festgelegten Zeitraums, also entweder im Jahresabschluss 2016 bei Fristende 31.12.2016 oder 2017 bei Fristende 30.6.2017. Interessant ist, dass einzelne Gesellschaften das Dilemma, für die erste kurze Zielerreichungsphase ein Status quo-Ziel setzen zu müssen, dadurch kompensieren wollen, dass bereits jetzt Erhöhungsziele für einen Folgezeitraum angekündigt werden28.
V. Geschlechterquote im Aufsichtsrat Verlassen wir nun den großen Fragenkreis der Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil und kommen zu dem Thema, bei dem der Gesetzgeber auch die Männer berücksichtigt hat, die Geschlechterquote im Aufsichtsrat. Hier beschränke ich mich auf die Gesamterfüllung oder Widerspruchslösung. Frage 6: Gesamterfüllung oder Widerspruchslösung § 96 Abs. 2 AktG bestimmt: „Bei börsennotierten Gesellschaften, die den Mitbestimmungsgesetzen unterliegen, setzt sich der Aufsichtsrat zu mindestens 30 Prozent aus Frauen und zu mindestens 30 Prozent aus Männern zusammen.“
28 So z.B. Allianz SE und Deutsche Post AG jeweils für den Vorstand.
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Dann geht es weiter: „Der Mindestanteil ist vom Aufsichtsrat insgesamt zu erfüllen. Widerspricht die Seite der Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter aufgrund eines mit Mehrheit gefassten Beschlusses vor der Wahl der Gesamterfüllung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, so ist der Mindestanteil für diese Wahl von der Seite der Anteilseigner und der Seite der Arbeitnehmer getrennt zu erfüllen.“
Für die Unternehmen stellen sich die Fragen, ob und wann der Gesamterfüllung widersprochen werden soll und wie die Entscheidung für eine der Lösungen rechtssicher gemacht werden kann. Gesetzlicher Grundfall für die Erfüllung der Quote im Aufsichtsrat ist die Gesamterfüllung. In diesem Grundfall wird die Rechtsfolge einer quotenwidrigen Besetzung immer die Anteilseignerseite treffen, da die Aufsichtsratswahl der Anteilseignervertreter durch die Hauptversammlung der organisatorisch aufwendigen und zeitlich gestreckten mitbestimmungsrechtlichen Bestellung der Arbeitnehmervertreter typischerweise nachfolgt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, endet die Wahlperiode des bisherigen Aufsichtsrats und beginnt die neue Mandatsperiode mit Ablauf der Hauptversammlung, in der die ordentliche turnusgemäße Wahl der neuen Anteilseignervertreter stattfindet. Die Bestellung, die zur Quotenverfehlung führt, ist damit immer die eines von der Hauptversammlung gewählten Kandidaten. Weder das Aktiengesetz noch das Mitbestimmungsgesetz enthalten Rechtsfolgen für die von den Arbeitnehmern bestellten Aufsichtsratsmitglieder29. Es ist daher konsequent, dass das Gesetz im Fall der Gesamterfüllung mit der Nichtigkeitsanordnung in § 250 Abs. 1 Nr. 5 AktG Rechtsfolgen nur für die Anteilseignerseite vorsieht. Gerade für die Anteilseignerseite stellt sich daher die Frage, ob und wann der Gesamterfüllung widersprochen werden soll und wie die Entscheidung für eine der Lösungen rechtssicher gemacht werden kann. Das „ob“ wird immer eine Entscheidung aus der spezifischen Unternehmenssituation sein. Jede Seite wird prüfen, wie die eigene Besetzungsund Kandidatenlage und der Stand der Gesamterfüllung im Aufsichtsrat sind. Würde eine Seite ihre Getrenntquote nicht erfüllen, schließt das für sie von vornherein den Widerspruch aus. Allerdings wird es zusätzlich ihr Bestreben sein, die Beibehaltung der Gesamterfüllung, jedenfalls bis zum Abschluss der maßgeblichen Aufsichtsratswahl, rechtlich abzusichern, um nicht durch einen späteren, aber noch vor der Wahl er29 § 10 f. MitbestG enthält ausdrücklich eine Rechtsfolgenregelung nur für den „Fall des § 96 Abs. 2 Satz 3 des Aktiengesetzes“, also die Aufsichtsratsbesetzung nach Widerspruch gegen die Gesamterfüllung.
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klärten Widerspruch in den eigenen Besetzungsentscheidungen gestört zu werden. In der Literatur hierzu wird vertreten, dass ein bindender Verzicht der Seiten im Aufsichtsrat möglich sei, quasi das negative Gegenstück zum Widerspruch gegen die Gesamterfüllung. Das sollte als Selbstbindung der widerspruchsberechtigten Teilorgane rechtlich möglich sein. Aber reicht das aus? Letztendlich basiert die Verzichtsentscheidung auf einer gemeinsamen Annahme, wie viele Frauen sowohl von den Aktionären als auch den Arbeitnehmern gewählt werden. Kann diese Besetzungsquote verbindlich in dem Sinne vereinbart werden, dass die Rechtsfolgen einer Abweichung nur auf der Seite entstehen, die ihre Besetzungsquote nicht einhält? Das ist für die Anteilseignerseite von höchster Bedeutung, da infolge der zeitlichen Abfolge der Aufsichtsratswahlen die Konsequenz des „leeren Stuhls“ bei einer Nichterfüllung durch die Arbeitnehmer immer auf der Anteilseignerseite eintreten würde. Eine derartige Vereinbarung ist aber anders als der Verzicht auf den Widerspruch deutlich mehr als eine Selbstbindung der verzichtenden Teilorgane. Vielmehr sollen die Wahlorgane der zukünftigen Aufsichtsratsmitglieder gebunden werden. Außerdem würde für den Fall des Verstoßes gegen die Vereinbarung eine von § 250 AktG abweichende neue Rechtsfolge etabliert. Das bedarf einer gesetzlichen Grundlage; und die besteht gerade nicht. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass eine Vereinbarung der Anteilseignerseite und der Arbeitnehmerseite über die von der jeweiligen Seite bei der anstehenden Wahl darzustellende Teilquote jedenfalls bei der satzungsstrengen Aktiengesellschaft rechtlich nicht möglich ist. Für die Anteilseignerseite wird es typischerweise die vorzugswürdige Lösung sein, der Gesamterfüllung zu widersprechen, selbst wenn auf der eigenen Seite übererfüllt wird. Frage 7: Zeitpunkt des Widerspruchs Kommen wir zum zweiten Teil der Frage zur Widerspruchslösung: Wann muss der Widerspruch erklärt werden? Das Gesetz gibt scheinbar klare Auskunft: „vor der Wahl“ (§ 96 Abs. 2 Satz 3 AktG). Nur, wann ist vor der Wahl?30 Ist das vor Beginn des gesamten Wahl- bzw. Bestellungs30 Siehe hierzu nur Drygala in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 96 AktG Rz. 45 f.
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verfahrens, bis zum Beginn des jeweiligen Wahlaktes oder sogar bis kurz vor Beendigung des Wahlverfahrens durch die maßgebliche Feststellung des Wahlergebnisses? Letzteres wird von verschiedenen Autoren vertreten und würde bedeuten, dass z.B. die Anteilseignerseite noch in der Hauptversammlung in Kenntnis des Wahlergebnisses unmittelbar vor der Verkündung des Wahlbeschlusses durch den Versammlungsleiter den Widerspruch gegen die Gesamterfüllung erklären könnte. Diese Lösung würde insbesondere der Anteilseignerseite erheblichen Handlungsspielraum gewähren, da die Wahl der Anteilseignervertreter typischerweise der Arbeitnehmerwahl zeitlich nachfolgt. Dies würde jetzt die Arbeitnehmerseite dazu zwingen, der Gesamtlösung zu widersprechen, da zum Zeitpunkt ihres Bestellungsaktes nicht sicher wäre, ob die Bestellung gesetzeskonform ist bzw. bleibt. Das kann jedoch nicht die richtige Lösung sein. Sowohl die Neuregelung des § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG31, wonach bei der Wahlbekanntmachung mitgeteilt werden muss, ob der Gesamterfüllung widersprochen wurde, als auch die quotenrelevanten Bestimmungen des MitbestG, die überhaupt nur im Falle der Getrennterfüllung gelten, legen nahe, dass der Widerspruch bereits vor Beginn des Wahlprozesses erklärt werden muss. Es muss vor der Wahl für beide Seiten erkennbar sein, welche Zusammensetzungsregeln bei der Aufsichtsratswahl gelten. Es spricht also einiges dafür, bei einer turnusmäßigen Aufsichtsratswahl bereits zu Beginn des mitbestimmungsgesetzlichen Wahlverfahrens über den Widerspruch zu entscheiden. Insgesamt führt an einem Widerspruch gegen die Gesamterfüllung kein Weg vorbei. Der gesetzliche Grundfall wird voraussichtlich die Ausnahme bleiben.
VI. Geschlechterquote im Aufsichtsrat der paritätisch mitbestimmten SE Frage 8: Gestaltung der Geschlechterquote in der SE-Beteiligungsvereinbarung Zu guter Letzt soll noch ein Sonderfall betrachtet werden: die dualistisch strukturierte SE. Hier soll nichts zu übergeordneten Fragen wie der Gesetzgebungskompetenz des deutschen Gesetzgebers gesagt werden. Dazu
31 So auch Drygala in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 96 AktG Rz. 45.
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gibt es mittlerweile einige sehr kluge Stellungnahmen in Gutachten und Fachbeiträgen32. Die im DAX vertretenen SEs sind schlussendlich sehr pragmatisch zu der Haltung gelangt, dass die Einbeziehung in das Quotengesetz mit der 30 %-Quote eher besser für sie sei als alleingelassen einer zukünftigen möglicherweise schärferen EU-Quotenregelung ausgeliefert zu sein. Eine denkbare und von Deutschland m.W. ins Gespräch gebrachte Ausnahme für Gesellschaften, die einer nationalen Quote unterliegen, wäre bei einer Herausnahme aus dem Anwendungsbereich des Quotengesetzes für die SE nicht anwendbar, und außerdem würde der Druck des Zeitgeistes ohnehin zur faktischen Anwendung der deutschen 30 %-Quote führen. Der Gesetzgeber einschließlich des Bundesjustizministeriums hat die SE im ganzen Gesetzgebungsverfahren sehr stiefmütterlich behandelt. Außer dem eindeutigen Bekenntnis, die Quote müsse auch für den Aufsichtsrat der SE gelten, war da nicht viel33. Das Gesetzgebungsverfahren erscheint von außen betrachtet als eine Mischung aus Interesse- und Ratlosigkeit. Im Prinzip besteht die gesamte gesetzliche Regelung zur Geschlechterquote im Aufsichtsrat der dualistisch strukturierten SE im ersten Satz des neuen § 17 Abs. 2 SEAG: „Besteht bei einer börsennotierten SE das Aufsichtsorgan aus derselben Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern, müssen in dem Aufsichtsorgan Frauen und Männer jeweils mit einem Anteil von mindestens 30 Prozent vertreten sein.“
Diese Regelung, so die Gesetzesbegründung, trage „den Besonderheiten des europäischen Rechts Rechnung“34. Die gemeinte Besonderheit ist die Nichtgeltung der deutschen nationalen Mitbestimmungsgesetze und das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung über die paritätische Mitbestimmung im europäischen Recht. Die Mitbestimmung in der SE basiert eben ganz weitgehend auf einer Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Arbeitnehmervertretung. Das soll ausweislich der Gesetzesbegründung auch für die Umsetzung der deutschen 30 %-Quote in der SE genutzt werden35: „Der europäische Gesetzgeber hat die Rahmenbedingungen für die Verhandlungen festgelegt und den Verhandlungsparteien im Übrigen einen weiten Gestaltungsspielraum gelassen. Diesen Verhandlungsspielraum nutzen die Verhand32 33 34 35
Siehe nur Habersack/Kersten, BB 2014, 2819 ff. BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 43, 46, 134. BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 134. BT-Drucks. 18/3784, Begr. RegE, S. 134.
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Franzmann – Praxisfragen der Frauenquote lungspartner insbesondere dazu, die Internationalität der europäischen Gesellschaft durch eine entsprechende Zusammensetzung des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans für die Arbeitnehmerseite widerzuspiegeln. Diesen Gestaltungsspielraum gilt es auch zu nutzen, um gemeinsam mit der Anteilseignerseite eine der Quotenregelung entsprechende geschlechtergerechte Besetzung des paritätisch mitbestimmten Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der börsennotierten SE nach Abs. 2 Satz 1 zu erreichen.“
Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass die Quotenregelung in der Beteiligungsvereinbarung gestaltet werden kann. Das scheint große Freiheit zu eröffnen, sofern nur die 30 %-Quote eingehalten wird. Aber ist das tatsächlich so? Zweifel entstehen durch die Begründung der Beschlussempfehlung, die Grundlage des Gesetzesbeschlusses des Bundestages ist. Obwohl der Gesetzestext gerade zum Thema Gesamt- oder Getrennterfüllung nichts sagt, wird dort ergänzend begründet36: „Für die SE kommt nur eine Gesamterfüllung der Quote in Betracht, weil die Mitbestimmung regelmäßig zwischen Arbeitnehmerseite und der Leitung der Gesellschaft ausgehandelt wird. Ein einseitiger Widerspruch wäre damit nicht vereinbar.“
Dieser Gedanke hat allerdings anders als im vergleichbaren Fall der aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangenen Aktiengesellschaft (im DAX: Münchener Rückversicherung AG), für die das durch die Verweisungen in § 96 Abs. 3 AktG ausdrücklich so geregelt ist, keinen Eingang in die gesetzliche Regelung zur SE gefunden. In der Gesamtschau gehe ich daher davon aus, dass die Getrennterfüllung und ihre Ausgestaltung auch über die reine Widerspruchsmöglichkeit hinaus in der Beteiligungsvereinbarung geregelt werden können. Dies gilt m.E. auch für die Vereinbarung einer zwingenden Getrennterfüllung oder eine disparitätischen Quotenzuordnung, z.B. drei von vier Mandaten durch Frauen der Anteilseignerseite zu besetzen und eins von vier Mandaten durch Frauen der Arbeitnehmerseite. Ob allerdings die gesetzliche 30 %-Quote ganz abgeschafft werden könnte, wie einzelne Stimmen in der Literatur behaupten37, bezweifle ich. Dies ist jedenfalls nicht der Weg, den die BASF beschreitet. Ziel ist hier, in der Beteiligungsvereinbarung eine Lösung zu vereinbaren, die weitgehend vergleichbar mit der gesetzlichen Regelung im Aktiengesetz und zugleich den Besonderheiten der SE, d.h. insbesondere der internationalen Besetzung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat und deren Bestellungsregeln angepasst ist. 36 BT-Drucks. 18/4227, Begr. RegE, S. 22. 37 Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, 2. Aufl. 2015, Art. 40 SE-VO Rz. 16.
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Sehr spannend und regelungsbedürftig ist die Frage nach den Rechtsfolgen bei einer Nichterfüllung der Quote auf Arbeitnehmerseite. Da, anders als es die gesetzliche Grundregel in Art. 40 Abs. 2 der SE-Verordnung vorsieht, die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der SE nicht von der Hauptversammlung gewählt, sondern nach einem in der Beteiligungsvereinbarung individuell gestalteten Wahl- und Bestellungsverfahren durch die Arbeitnehmer oder ihre Organe bestimmt werden, gilt die Nichtigkeitsfolge für quotenwidrige Hauptversammlungsbeschlüsse nicht. Und was gilt im Fall der Getrennterfüllung nach einem Widerspruch? Anders als im Mitbestimmungsgesetz gibt es für die SE wenig verwunderlich keine spezifische Rechtsfolgenregelung, und ob die reine Anfechtungsregelung in § 37 Abs. 2 SEBG einschlägig ist und auch mit Blick auf die Rechtsfolgenvorstellungen des Gesetzgebers bei der Aktiengesellschaft ausreichend wäre, erscheint mit zweifelhaft. Sie wäre als eine reine Anfechtung nicht angemessen, da die Durchsetzung der Quotenverpflichtung in das zeitlich befristete Belieben weniger Anfechtungsberechtigter gestellt würde. Dies führt zu dem Ergebnis, auch für die Rechtsfolgenfrage eine Ausgestaltungskompetenz der Beteiligungsvereinbarung jedenfalls im Fall der Getrennterfüllung nach einem Widerspruch anzunehmen. Diese kann sich beispielsweise an die Rechtsfolgenregelung im Mitbestimmungsgesetz anlehnen, wird aber ganz entscheidend von der spezifischen Situation der jeweiligen SE hinsichtlich der vor allem internationalen Zusammensetzung der Arbeitnehmerseite und den in der Beteiligungsvereinbarung verankerten Wahl- bzw. Bestellungsregelungen abhängen. Vielfach entscheidend wird die Sonderfrage der Behandlung der aus dem Ausland bestellten Arbeitnehmervertreter sein. Das ist genau die Frage, vor deren Lösung der deutsche Gesetzgeber zurückgeschreckt ist. Nach verbreitetem Verständnis können die ausländischen Arbeitnehmervertreter in der Rechtsfolgenregelung nicht mitberücksichtigt werden, da die Auswahlkompetenz und deren rechtliche Gestaltung nicht dem deutschen Recht sondern dem Recht des Staates unterlägen, aus dem der Arbeitnehmervertreter entsandt wird. Das ist sicherlich eine Herausforderung für die Verhandlung der Beteiligungsvereinbarung; aber auch diese sollte letztendlich lösbar sein. Für die betroffenen Unternehmen drängt die Zeit. Bis zum 31.12.2015 muss idealerweise eine Vereinbarung getroffen werden, um die zwingende Gesamterfüllung zu vermeiden. Diese würde beispielsweise für die BASF bedeuten, dass bei einem Ausscheiden eines Anteilseignervertreters aus dem Aufsichtsrats zwingend eine Frau nachzubestellen wäre, obwohl bereits zwei von sechs Anteilseignervertretern Frauen sind.
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Bericht über die Diskussion des Referats Franzmann PD Dr. Gerrit Forst, LL.M. (Cambridge) Rechtsanwalt, Düsseldorf Die von Mathias Habersack geleitete Diskussion begann mit einer Analyse der betrieblichen Realität. Der Referent und eine Teilnehmerin waren sich darin einig, dass es in den Unternehmen stärkerer Anstrengungen bedürfe, um zu verhindern, dass der hohe Frauenanteil unter den Absolventinnen nahezu aller Studiengänge, auch der naturwissenschaftlichen, und den Berufseinsteigerinnen im Laufe des Berufslebens immer mehr absinke. Georg Franzmann betonte, es sei in der betrieblichen Praxis nicht schwer, geeignete Mitarbeiterinnen zu identifizieren, die mit Blick auf ihre fachliche Qualifikation, Persönlichkeit und Einsatzbereitschaft das Potential für eine Führungskraft auch bis in die oberste Führungsebene aufweisen. Auch hätten die Unternehmen ein wirtschaftliches Eigeninteresse daran, die besten Mitarbeiter zu gewinnen und weiterzuentwickeln und nicht die Hälfte der Bevölkerung als potentielle Mitarbeiter und Führungskräfte auszuschließen. Es falle in der Praxis aber nicht leicht, Förderprogramme und betriebliche Anforderungen so auszugestalten, dass diese den spezifischen Lebensbedingungen jüngerer Potentialkandidatinnen, d.h. vor allem Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gerecht würden und tatsächlich zum gewünschten Ergebnis von mehr weiblichen Führungskräften führen. Für unberechtigt hielt der Redner die im Publikum geäußerte Vermutung, dafür seien Altherrenclubs bzw. Old School-Denken in den Führungsebenen der Unternehmen verantwortlich. Dieses gehöre auch in den Aufsichtsräten schon lange der Vergangenheit an. Die rechtliche Aussprache begann Eberhard Vetter, der sich gegen die These des Referenten wandte, für die Frage, ob eine Gesellschaft mitbestimmt sei, komme es auf die objektive Rechtslage und nicht auf die konkrete Existenz eines mitbestimmten Aufsichtsrats an. Auf die objektive Rechtslage abzustellen, führe zu einer Reihe von Problemen. So stelle sich die Frage, ob jeder einzelne Arbeitnehmer einen Verstoß gegen die Vorgaben zu Zielgrößen bzw. Frauenquoten klageweise geltend machen könne. Daran schließe sich die Frage nach dem richtigen Rechtsweg an, also ob die ordentliche Gerichtsbarkeit oder die Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig sei. Vor allem könne eine solche Klage aber
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Forst – Bericht über die Diskussion des Referats Franzmann
keine Wirkung erga omnes entfalten, anders als das Statusverfahren nach den §§ 98 f. AktG, denn dies müsse der Gesetzgeber – wie z.B. in § 99 Abs. 5 AktG – ausdrücklich anordnen. Franzmann konzedierte, dass er sich mit den Rechtswegfragen noch nicht befasst habe. Es sei aber nicht einzusehen, dass ein Unternehmen, das gegen seine Pflicht zur Errichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrats verstoßen habe, dafür auch noch belohnt werde. Zudem spreche der Wortlaut des § 52 Abs. 2 GmbHG davon, dass nach den darin genannten Gesetzen lediglich „ein Aufsichtsrat zu bestellen“ sei. Die Durchführung eines Statusverfahrens sei darin nicht vorgesehen. E. Vetter wandte dagegen ein, dass nicht jedes Unternehmen, das keinen mitbestimmten Aufsichtsrat eingerichtet habe, bewusst rechtswidrig handle. Häufig sei zum Beispiel unklar, wie viele Arbeitnehmer ein Unternehmen tatsächlich beschäftige, welche Tochtergesellschaften und welche Arbeitnehmer mitzuzählen seien. Den Betroffenen stehe es in dieser Situation frei, ein Statusverfahren anzustrengen, wenn sie die Antragsberechtigung gemäß § 98 Abs. 2 AktG erfüllten. Habersack fragte den Referenten, wann bei einer SE von einer „Mitbestimmung“ i.S.d. §§ 76 Abs. 4, 96 AktG auszugehen sei. Der Referent differenzierte zwischen der dualistisch verfassten SE und der monistisch verfassten SE: Auf die dualistisch verfasste SE fänden über Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO die für Aktiengesellschaften geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung. Insoweit bestehe die Besonderheit der SE lediglich darin, dass sie aufgrund einer Beteiligungsvereinbarung (§ 21 SEBG) mitbestimmt sein könne. Richtigerweise sei zwar eine freiwillige Form von Mitbestimmung nicht geeignet, die Tatbestände der §§ 76 Abs. 4, 96 AktG zu erfüllen. Eine Beteiligungsvereinbarung werde in der SE jedoch nicht freiwillig geschlossen, sondern sie sei eine Form von gesetzlicher Mitbestimmung, die lediglich an die Stelle der gesetzlichen Auffanglösung (§§ 34 ff. SEBG) trete. Deshalb sei sie „Mitbestimmung“ im Sinne der aktienrechtlichen Vorschriften. Das eigentliche Problem sei, dass durch das Vorher-Nachher-Prinzip (ErwG 18 SE-RL) die Schwellenwerte, ab denen eine Mitbestimmung gegeben sei, massiv abgesenkt würden – im Fall Schwedens beispielsweise auf nur sieben Arbeitnehmer. Auch könnten geringere Beteiligungsformen als die Drittelbeteiligung vereinbart werden. Fraglich sei, ob auch in diesen Fällen unterhalb der Schwellenwerte des deutschen Drittelbeteiligungsgesetzes „Mitbestimmung“ i.S.d. §§ 76 Abs. 4, 96 AktG vorliege und Zielgrößen festgelegt werden müssen.
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Forst – Bericht über die Diskussion des Referats Franzmann
Tim Drygala richtete an den Redner schließlich die Frage, wie sich die Neuregelung auf die Pflichten der Organe auswirke. Das Gesetz lese sich so, als ob es ausreiche, alle vier Jahre eine Zielgröße zu verkünden. Er könne sich nicht vorstellen, dass dies richtig sei. Aus der Kundgabe einer Zielgröße müsse eine Pflicht folgen, konkrete Schritte zu ergreifen, um diese auch tatsächlich zu erreichen. Franzmann stimmte dem grundsätzlich zu, wies aber auf zwei Punkte hin: Wichtig sei zunächst die Frage, wie man eine Zielvorgabe verstehe. Wer diese als bloße Gesetzesumsetzung ohne spezifischen Beitrag zur eigenen unternehmerischen Zielsetzung der Frauenförderung begreife, werde sich vielleicht auf den Standpunkt stellen, dass es ausreiche, alle vier Jahre eine Zielvorgabe zu verkünden. Wer dagegen die Erhöhung des Frauenanteils in der Belegschaft und unter Führungskräften als wichtige wirtschaftliche Maßnahme für das Unternehmen anerkenne, werde die Zielgröße so festlegen, dass sie auch realistischerweise erreicht werden könne. Das könne dazu führen, dass der schon vorhandene Frauenanteil als Zielgröße festgelegt werde. Daran schließe sich die zweite Frage an, nämlich welche Schritte konkret zu ergreifen seien. Sicher gebe es keine „Erfolgspflicht“, also keine Pflicht, die Zielvorgabe herbeizuführen. Werde der vorhandene Frauenanteil als Zielgröße definiert, erschöpfe sich die Pflicht der Organe darin, zu kontrollieren, dass der vorhandene Frauenanteil nicht unter die erreichte Zielgröße absinke.
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Rechtsschutz gegen die Gesellschafterliste* Prof. Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard) Universität Kiel I. Bedeutung und Konfliktpotential der Gesellschafterliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Praktische Bedeutung . . . . . . 122 2. Forensisches Konfliktpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 II. Hauptsacheverfahren . . . . . . 1. Leistungsklage . . . . . . . . . . . . a) Klagbarer Anspruch und Rechtsschutzbedürfnis . . . b) Passivlegitimation . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . bb) Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Gesellschafter und GmbH . . . . . . . . . . . . . cc) Höchstpersönlichkeit der Einreichungszuständigkeit . . . . . . . . . dd) Zwangsvollstreckung . ee) Praxishinweis . . . . . . . c) Kein formelles Konsensprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Feststellungsklage . . . . . . . . . a) Feststellung der Gesellschafterstellung. . . . . . . . . b) Rechtsstreit zwischen Rechtsinhaber und Listengesellschafter . . . . . . . . aa) Feststellungsklage . . . bb) Leistungsklage . . . . . . c) Feststellung einzelner Gesellschafterrechte und -pflichten . . . . . . . . . .
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d) Zwischenfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Passivprozess . . . . . . . . . . . . a) Haftung des Scheingesellschafters . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessuale Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erledigung . . . . . . . . . bb) Widerklage . . . . . . . . . 4. Beschlussmängelklagen . . . . a) Eingetragener Scheingesellschafter . . . . . . . . . . aa) Grundsatz. . . . . . . . . . bb) Fortführung des Rechtsstreits nach Listenkorrektur . . . . . b) Nichteingetragener Rechtsinhaber. . . . . . . . . . aa) Allgemeine Feststellungsklage . . . . . . . . . bb) Beschlussmängelklage nach Listenkorrektur . . . . . . . . . . III. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Korrektur der Gesellschafterliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfügungsanspruch. . . . . b) Verfügungsgrund . . . . . . . c) Vorwegnahme der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand. . . . . . bb) Geltung des Vorwegnahmeverbots. . . . . . .
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* Der Beitrag ist in zwei Teilen in nahezu unveränderter Form in GmbHR 2016, 189 und GmbHR 2016, 271 erschienen.
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Lieder – Rechtsschutz gegen die Gesellschafterliste cc) Minderinvasive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . d) Pflegschaft . . . . . . . . . . . . . 2. Verhinderung der Listenkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . a) Korrekturbefugnis des Geschäftsführers . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . bb) Keine Verfahren analog § 67 Abs. 5 AktG. . cc) Kein formelles Konsensprinzip . . . . . . . . . b) Einstweilige Verfügung gegen die Listenkorrektur. . . 3. Eintragung eines Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfügungsanspruch . . . . . b) Verfügungsgrund . . . . . . . .
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aa) Meinungsstand. . . . . . bb) Dispens vom Verfügungsgrund . . . . . . . . . cc) Keine Selbstwiderlegung . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsbefugnis von Mitgesellschaftern und Geschäftsführern . . . . . . .
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IV. Überlegungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Ausschließliche Mitwirkung des Notars . . . . . . . . . . 165 2. Erweiterte Widerspruchswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 V. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
I. Bedeutung und Konfliktpotential der Gesellschafterliste 1. Praktische Bedeutung Die Gesellschafterliste ist durch ihre Aufwertung im Zuge des MoMiG1 aus dem Schatten ins Licht getreten. Sie ist der neue Star des GmbHRechts, trägt zuweilen aber auch divenhafte Züge. Mit Recht gilt sie heute als das bedeutendste GmbH-Dokument abgesehen vom Gesellschaftsvertrag.2 Ihre Relevanz bezieht sie im Innenverhältnis daraus, dass nur derjenige gegenüber der GmbH als Gesellschafter gilt, der in die zum Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste eingetragen ist (§ 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Nur der Eingetragene kann seine mitgliedschaftlichen Rechte wahrnehmen. Umgekehrt knüpft auch die Gesellschafterhaftung, einschließlich der Haftung des Anteilserwerbers gem. § 16 Abs. 2 GmbHG, an die aus der Liste ersichtliche Gesellschafterstellung an. 1 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 28.10.2008, BGBl. I, 2026. 2 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 1; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 5; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 22; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1; Löbbe, GmbHR 2012, 7.
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Im Außenverhältnis fungiert die Liste als Rechtsscheinträger:3 Der Erwerber darf sich darauf verlassen, dass der Eingetragene Inhaber des Gesellschaftsanteils ist und ermöglicht auf diese Weise einen redlichen Anteilserwerb vom Nichtberechtigten (§ 16 Abs. 3 GmbHG). Der nichteingetragene (wahre) Gesellschafter kann seinen Geschäftsanteil demnach durch Übertragung an einen gutgläubigen Dritten verlieren.
2. Forensisches Konfliktpotential Alle Beteiligten müssen vor diesem Hintergrund ein erhebliches Interesse daran haben, eine fehlerhafte Gesellschafterliste so schnell wie möglich zu korrigieren. Dass sich dieses Interesse in der forensischen Praxis in vielfältiger Hinsicht und durchaus zahlreich Bahn bricht, belegen die rund 40 Entscheidungen, die seit Ende 2008 in Fachzeitschriften und Datenbanken veröffentlicht worden sind.4 Dabei betreffen die einzelnen Verfahren ganz unterschiedliche prozessuale Konstellationen. In der klassischen Fallgestaltung verlangt der Kläger unter Behauptung seiner (vermeintlichen) materiellen Berechtigung die Eintragung seiner Person in die Gesellschafterliste (dazu unter II. 1.).5 Beispielhaft dafür steht der Fall des OLG Hamm6, in dem vinkulierte Geschäftsanteile abgespalten worden sind.7 Der übertragende Rechtsträger bestritt den Rechtsübergang und verlangte – nach der im Zuge der Umwandlung erfolgten Listenkorrektur – seine (Wieder-)Aufnahme in die Gesellschafterliste. Aber auch die umgekehrte Konstellation hat bereits die Gerichte beschäftigt. So hatte das OLG Frankfurt8 über die Klage des Insolvenzverwalters auf Leistung der (vermeintlich) rückständigen Einlage gegen den 3 Zu den Grundproblemen der Gesellschafterliste als Rechtsscheinträger ausf. Lieder, AcP 210 (2010), 857, 898 ff.; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 481 ff., 530 ff., 627 ff. 4 Siehe die Nachweise in den folgenden Fußnoten. 5 Vgl. OLG München GmbHR 2011, 429; OLG Brandenburg GmbHR 2013, 309; OLG Jena GmbHR 2013, 1258; OLG Hamm GmbHR 2014, 935. 6 OLG Hamm GmbHR 2014, 935. 7 Zur Behandlung vinkulierter Gesellschaftsanteile (und Forderungen) in der umwandlungsrechtlichen Universalsukzession s. ausf. Lieder/Scholz, ZIP 2015, 1705 ff.; speziell zu vinkulierten Namensaktien Lieder, Rechtsstreitigkeiten über vinkulierte Namensaktien in TFM Ticaret ve Fikri Mülkiyet Hukuku Dergisi (Journal of Commercial and Intellectual Property Law) 2015, Heft 1, S. 133, 135 f. 8 OLG Frankfurt v. 19.3.2013 – 5 U 220/12, juris = ZIP 2013, 1429 (Ls.).
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in der Liste ausgewiesenen Gesellschafter zu entscheiden. Der Beklagte machte geltend, niemals Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin geworden zu sein. Widerklagend verlangte er unter Hinweis auf seine mangelnde Rechtsinhaberschaft die Austragung aus der Gesellschafterliste (dazu unter II. 3.). Hinzu kommen die von (vermeintlich) übergangenen Gesellschaftern erhobenen Beschlussmängelklagen.9 In einem Fall des OLG Bremen10 ging der (nicht mehr) Eingetragene mittels allgemeiner Feststellungsklage gegen einen seine Person betreffenden Gesellschafterbeschluss vor (dazu unter II. 4.). Auch im Übrigen ist in der forensischen Praxis – namentlich im Prätendentenstreit – bereits auf das Instrument der Feststellungsklage zurückgegriffen worden (dazu unter II. 2.).11 Von besonderer praktischer Bedeutung sind die Fälle des einstweiligen Rechtsschutzes, in denen es bisher überwiegend um die Zuordnung eines Widerspruchs zur (vermeintlich unrichtigen) Gesellschafterliste ging (dazu unter III. 3.).12 Konfliktträchtig ist dabei namentlich die Listenkorrektur nach Einziehung eines Geschäftsanteils.13 Nur vereinzelt wurde die vorläufige Anordnung von Korrekturmaßnahmen verlangt (dazu unter III. 1.),14 während die vorläufige Verhinderung einer beabsichtigten Listenkorrektur (dazu unter III. 2.) bisher keine Rolle spielte. Das könnte sich nach Anerkennung der weiten Korrekturbefugnis der Geschäftsführer durch den BGH15 – selbst für vom Notar eingereichte Listen – in Zukunft ändern. Der ganz überwiegende Teil der Fälle spielt sich schließlich im Registerverfahren ab.16 Dennoch bleiben solche Handelsregistersachen im Fol9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. BGH GmbHR 2014, 198; OLG Bremen GmbHR 2012, 687. OLG Bremen GmbHR 2012, 687. Vgl. OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, juris. Vgl. OLG Jena GmbHR 2013, 145; OLG Nürnberg GmbHR 2014, 1153. Vgl. KG ZIP 2010, 2047. OLG München GmbHR 2015, 1214. BGH GmbHR 2014, 198. Vgl. BGH GmbHR 2011, 474; 2011, 1269; 2014, 248; 2015, 526; OLG München GmbHR 2009, 825; 2009, 1211; 2011, 425; 2012, 39; 2013, 269; OLG Hamm GmbHR 2010, 205; 2012, 38; OLG Bamberg GmbHR 2010, 594; OLG Jena GmbHR 2010, 598; 2010, 1038; 2011, 980; OLG Köln GmbHR 2011, 141; 2014, 28; OLG Hamburg GmbHR 2011, 32; 2014, 1321; OLG Frankfurt GmbHR 2011, 198; 2011, 823; OLG Düsseldorf GmbHR 2011, 417; OLG Zweibrücken GmbHR 2012, 689; LG Köln GmbHR 2009, 1215; LG München I GmbHR 2010, 149; 2010, 151.
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genden ausgeblendet. Zum einen sind in diesem Zusammenhang kaum prozessuale Probleme aufgetreten. Zutreffend ist insbesondere die Entscheidung, mit welcher das OLG Hamburg17 es ablehnte, die Einstellung der geänderten Gesellschafterliste bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Wirksamkeit der Änderung nach § 21 Abs. 1 FamFG auszusetzen.18 Zum anderen geht es in diesen Verfahren auch nicht um Rechtsschutz gegen die Gesellschafterliste, sondern primär um die Frage, ob eine Gesellschafterliste in das Handelsregister aufgenommen wird oder nicht. Solche Verfahren sind vom thematischen Rahmen der hiesigen Untersuchung folglich nicht mehr gedeckt.
II. Hauptsacheverfahren 1. Leistungsklage Im Aktivprozess des Gesellschafters mit dem Ziel der Listenkorrektur ist die Erhebung einer Leistungsklage das Mittel der Wahl. Das gilt unabhängig davon, ob der Gesellschafter seine Eintragung in die Gesellschafterliste oder seine Austragung begehrt. Der Klageantrag ist in beiden Fällen zweckmäßig auf die Einreichung einer Gesellschafterliste mit dem vom Kläger begehrten Inhalt (Person und Umfang der Beteiligung) zum Handelsregister zu richten.
a) Klagbarer Anspruch und Rechtsschutzbedürfnis Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen bedarf es im Rahmen der Zulässigkeit der Leistungsklage keiner gesonderten Feststellung eines berechtigten Rechtsschutzinteresses.19 Nur ausnahmsweise fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein einfacherer oder kostengünstigerer Weg zur Rechtsdurchsetzung ersichtlich ist20 oder wenn der Beklagte sich einer missbräuchlichen Klage gegenübersieht, wenn also der Klä-
17 OLG Hamburg GmbHR 2014, 1321. 18 Erwähnenswert ist noch OLG Köln GmbHR 2011, 141, das eine Beschwerdebefugnis des Notars im Registerverfahren ablehnte. 19 BGHZ 195, 174 Rz. 51; BGH MDR 1993, 1190; BGH GRUR 1987, 568, 569; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, Vor § 253 Rz. 7. 20 Bacher in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2015, § 253 Rz. 29; Foerste in Musielak/ Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, Vor § 253 Rz. 8; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 74. Aufl. 2016, Grundz § 253 Rz. 34; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, Vor § 253 Rz. 27.
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ger etwa das ausschließliche Ziel verfolgt, den Beklagten zu schikanieren21. Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Rede davon ist, der einzelne Gesellschafter habe aufgrund der Bedeutung der Gesellschafterliste22 ein „schutzwertes Interesse an seiner konkreten Aufnahme in diese Liste“23, zielt diese Feststellung nicht auf die Begründung des für die Zulässigkeit der Klage relevanten Rechtsschutzinteresses ab, sondern begründet den im Rahmen der Begründetheitsprüfung entscheidenden klagbaren Anspruch des Gesellschafters auf seine korrekte Eintragung respektive Löschung. Dieser Anspruch des wahren Berechtigten auf Listenkorrektur ist heute allgemein anerkannt.24
b) Passivlegitimation aa) Meinungsstand Umstritten ist allerdings die Frage, wer Anspruchsgegner des Korrekturanspruchs und folglich in einem solchen Rechtsstreit passivlegitimiert ist. Namentlich das OLG Brandenburg ist der Ansicht, eine Klage sei ausschließlich gegen den Geschäftsführer zu richten; die Gesellschaft selbst sei hingegen nicht passivlegitimiert.25 Zentrales Argument ist der höchstpersönliche Charakter der die Geschäftsführer treffenden Einreichungspflicht aus § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Demgegenüber sieht die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung26 sowie die hM im Schrifttum27 die Gesellschaft selbst als passivlegitimiert an. Denn der 21 Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, Vor § 253 Rz. 94; BeckerEberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, Vor § 253 Rz. 12, 25; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vor § 253 Rz. 18d; Saenger in Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, Vor § 253 Rz. 30. 22 Dazu bereits oben I. 1. 23 OLG Jena GmbHR 2013, 1258, 1259. 24 Vgl. OLG Jena GmbHR 2013, 1258, 1259; OLG Hamm GmbHR 2014, 935, 937; OLG München GmbHR 2015, 1214, 1215; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 18; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 60; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 40 Rz. 53; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 36; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 84. 25 OLG Brandenburg GmbHR 2013, 309, 310. 26 OLG München GmbHR 2011, 429 f.; OLG Jena GmbHR 2013, 1258, 1259; OLG Hamm GmbHR 2014, 935, 937. 27 Implizit Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 40 Rz. 12; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 18; Löbbe in
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Gesellschafter habe einen klagbaren Anspruch allein gegen die GmbH; zum Geschäftsführer stehe er hingegen in keiner unmittelbaren Rechtsbeziehung.
bb) Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Gesellschafter und GmbH Tatsächlich ergibt sich aus dem zwischen dem Gesellschafter und der GmbH bestehenden Rechtsverhältnis die Passivlegitimation allein der Gesellschaft. Das entsprach seit jeher der herrschenden Auffassung zu § 40 GmbHG aF28 und hat sich auch durch die Aufwertung der Gesellschafterliste nicht geändert.29 Die zum neuen Recht vertretene Gegenauffassung, die für einen Anspruch gegen die Geschäftsführer eintritt,30 ist abzulehnen.31 Zum einen entspricht die Annahme einer „einklagbare(n) Verpflichtung der Gesellschaft“ der – in der Regierungsbegründung32 zum Ausdruck gelangten – Vorstellung des Reformgesetzgebers. Zum anderen folgt der Anspruch auf Listenkorrektur letztlich aus dem
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Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 60; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 40 Rz. 53; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 36; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 30, 84; Kort, GmbHR 2009, 169, 172 f.; Mayer, DNotZ 2008, 403, 414; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 395; ausf. Heinze, GmbHR 2013, 1261 f. Zur alten Fassung vgl. nur BayObLG DB 1991, 1270, 1273; Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 40 Rz. 7; Paefgen in Ulmer, GmbHG, 1. Aufl. 2006, § 40 Rz. 21; Terlau/Schäfers in Michalski, GmbHG, 1. Aufl. 2002, § 40 Rz. 23; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 40 Rz. 14. Im Ergebnis wie hier Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 40 Rz. 12; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 18; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 60; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 40 Rz. 53; Verse in Henssler/ Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 36; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 30, 84; Kort, GmbHR 2009, 169, 172 f.; Mayer, DNotZ 2008, 403, 414; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 395. Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 88; Preuß, ZGR 2008, 676, 679; Hasselmann, NZG 2009, 486, 489. Abzulehnen ist aus den im Text genannten Gründen auch die vereinzelt vertretene Auffassung von Bednarz, BB 2008, 1854, 1857, die überhaupt keinen Anspruch auf Listenkorrektur zulassen will. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 38.
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mitgliedschaftlichen Verhältnis,33 das nach allgemeinen Grundsätzen allein zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft und gerade nicht unmittelbar zum Geschäftsführer besteht.34 Nichts anderes gilt im Übrigen auch für den Anspruch auf Eintragung der Rechtsänderung in das Aktienregister.35
cc) Höchstpersönlichkeit der Einreichungszuständigkeit Hieran vermag auch die primäre Pflicht des Geschäftsführers zur unverzüglichen Einreichung einer aktuellen Gesellschafterliste und deren höchstpersönlicher Charakter nichts zu ändern.36 Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber die Einreichungszuständigkeit als höchstpersönliche Verpflichtung der Geschäftsführer ausgestaltet37 und sie mit der indivi-
33 Zur Grundlage des Anspruchs in der Mitgliedschaft wie hier Löbbe in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 60; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 104; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 40 Rz. 53; Omlor/Spies, MittBayNot 2011, 353, 362 f.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 394. – Soweit die Regierungsbegründung (BTDrucks. 16/6140, 38) und das Schrifttum (Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 40 Rz. 8; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 791) zuweilen auf ein „gesetzliches Schuldverhältnis“ verweisen, ist damit im Vergleich zum mitgliedschaftlichen Verhältnis des Gesellschafters zur Gesellschaft nichts gewonnen. Stattdessen wird man davon ausgehen müssen, dass die von dieser Auffassung postulierte Sonderverbindung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft ihre dogmatische Grundlage gleichwohl in der Mitgliedschaft findet. In diesem Sinne auch Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 733 f. 34 Gleiches gilt für den Notar. Allerdings kann sich ein unmittelbarer Anspruch auf Einreichung einer geänderten Notarliste aus dem zwischen dem Betroffenen und dem Notar geschlossenen Vertrag ergeben. Der Korrekturanspruch kann auf einer ausdrücklichen Regelung beruhen oder aber aus einer leistungsbezogenen Schutzpflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB folgen. 35 Vgl. Bayer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 AktG Rz. 91; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. 2015, § 67 Rz. 77; Koch in Hüffer, AktG, 11. Aufl. 2014, § 67 Rz. 20; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 67 AktG Rz. 103; Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 67 Rz. 99; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, 3. Aufl. 2015, § 67 AktG Rz. 15; Noack, ZIP 1999, 1993, 1997; Bayer/Lieder, NZG 2009, 1361; Baums in FS Hüffer, 2010, S. 15, 19. 36 So aber OLG Brandenburg GmbHR 2013, 309, 310; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 88; Preuß, ZGR 2008, 676, 679; Hasselmann, NZG 2009, 486, 489. 37 OLG Jena GmbHR 2011, 980, 981; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 17; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leit-
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duellen Haftungssanktion des § 40 Abs. 3 GmbHG bewehrt hat. Daraus folgt zwar, dass sich der Geschäftsführer bei der Einreichung38 der korrigierten Liste nicht vertreten lassen darf.39 Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Geschäftsführer bei Listenerstellung und Einreichung als Organ und Repräsentant der Gesellschaft tätig wird, gegen die zugleich der materielle Anspruch auf Listenkorrektur gerichtet ist. Zudem geht mit einer angenommenen Passivlegitimation der Geschäftsführer ein erhöhtes Missbrauchspotential einher,40 weil durch Personalentscheidungen das Verfahren – womöglich gesteuert durch den Mehrheitsgesellschafter – in die Länge gezogen werden kann.
dd) Zwangsvollstreckung Schlussendlich sind auch die mit der hM verbundenen Schwierigkeiten im Rahmen der Zwangsvollstreckung – Urteil gegen die Gesellschaft, Durchsetzung gegen den Geschäftsführer41 – durchaus lösbar. Zum einen wird sich der Geschäftsführer regelmäßig von sich aus an dem Richterspruch orientieren. Zum anderen kann die Verpflichtung zur Einreichung der entsprechend geänderten Gesellschafterliste – ebenso wie bei den in § 78 GmbHG niedergelegten Anmeldepflichten42 – auf dem Klagewege von der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer durchgesetzt werden. Die Vertretung der GmbH erfolgt nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG
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hoff, 5. Aufl. 2013, § 40 Rz. 12; Wachter in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 40 Rz. 20. Rechtsanwälte oder Notare können beauftragt werden, einen Entwurf zu fertigen, der dann von den Geschäftsführern in vertretungsberechtigter Zahl zu unterzeichnen ist; vgl. Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 115; Wachter, ZNotP 2008, 378, 386. OLG Jena GmbHR 2011, 980, 981; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 17; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 116; Terlau in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 40 Rz. 21; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 35; Hasselmann, NZG 2009, 486, 487; Mayer, DNotZ 2008, 403, 413; a.A. Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 40 Rz. 7. Vgl. Heinze, GmbHR 2013, 1261, 1262; Wolfer, GWR 2014, 130. Darauf verweist insbesondere Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 88, der die Gegenauffassung – zu Unrecht – durch BGH GmbHR 2014, 198 bestätigt sieht. Casper in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2008, § 78 Rz. 19; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 78 Rz. 4; Wicke in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 78 Rz. 9.
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durch die Gesellschafter.43 Ein gegen die Geschäftsführer in dieser Angelegenheit ergehendes Urteil wird in Anbetracht des höchstpersönlichen Charakters der Einreichungspflicht nicht nach § 894 ZPO, sondern als unvertretbare Handlung nach § 888 Abs. 1 ZPO44 durch Festsetzung eines Zwangsgeldes und ersatzweise Zwangshaft vollstreckt.
ee) Praxishinweis Da sich inzwischen sowohl in der obergerichtlichen Rechtsprechung als auch im Schrifttum die Passivlegitimation der GmbH durchgesetzt hat, wird man dem Praktiker ohne Bedenken anraten können, die Korrekturklage ausschließlich gegen die Gesellschaft zu richten. Die im Schrifttum – vor allem im Nachgang zur vereinzelt gebliebenen Entscheidung des OLG Brandenburg45 – angeratene Vorgehensweise, neben der GmbH auch die Geschäftsführer zu verklagen,46 produziert nur unnötige Kosten und erscheint vor dem Hintergrund des heutigen Meinungsstandes nicht mehr opportun.
c) Kein formelles Konsensprinzip In der obergerichtlichen Rechtsprechung47 und auch im Schrifttum48 ist in der Vergangenheit vielfach die Auffassung vertreten worden, dass eine Veränderung der Gesellschafterliste durch den Geschäftsführer nur vorgenommen werden darf, wenn sie von dem bisher Eingetragenen bewilligt worden ist. Dieses formelle Konsensprinzip wird aus der (vermeintlichen) strukturellen Vergleichbarkeit von Gesellschafterliste und Grundbuch hergeleitet. Ganz ähnlich verlangt ein Großteil des Schrift-
43 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 78 Rz. 12; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 78 Rz. 11; zu den Grundlagen und der praktischen Durchführung Lieder, NZG 2015, 569, 577 f. 44 Herrler in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 78 Rz. 41; Rühland in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 78 Rz. 10. 45 OLG Brandenburg GmbHR 2013, 309. 46 So etwa Nikoleyczik/Gubitz, GWR 2013, 162; Peetz, GmbHR 2013, 310, 311. 47 OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, juris, Rz. 53; OLG Frankfurt v. 19.3.2013 – 5 U 220/12, juris, Rz. 56 = ZIP 2013, 1429 (Ls.). 48 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 20; Wiegand-Schneider in MünchHdb. GesR VII, 2016 (im Erscheinen), § 36 Rz. 7 f.; Lange, GmbHR 2012, 986, 990; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 730.
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tums49 für den Fall, dass die besagte Veränderung i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zwischen den Beteiligten streitig sei, wie z.B. zwischen den Parteien des Übertragungsgeschäfts, dass die Frage zunächst unter ihnen geklärt werden müsse.50 Prozessuale Konsequenz dieser Auffassung ist, dass die gegen die GmbH gerichtete Leistungsklage stets mit einer weiteren Leistungsklage gegen den Eingetragenen verbunden werden muss. Andernfalls wäre eine Rechtsdurchsetzung aufgrund der Weigerung des Listengesellschafters, seine Zustimmung zur Listenkorrektur zu erteilen, zum Scheitern verurteilt. Das erscheint wenig prozessökonomisch und auch in der Sache nicht überzeugend. Denn im Rahmen der Begründetheit der auf Listenkorrektur gerichteten Leistungsklage hat das Gericht ohnehin zu prüfen, ob der Kläger materieller Berechtigter ist. Hat er die Veränderung der Person oder des Umfangs der Beteiligung mitgeteilt und nachgewiesen, besteht kein Anlass, darüber hinaus auch noch eine Zustimmung des zuvor Eingetragenen zu verlangen. Denn Voraussetzung des Zustimmungsanspruchs gegen den Eingetragenen ist ausschließlich die materielle Gesellschafterstellung des Klägers. Umgekehrt kann der Listengesellschafter seine berechtigten Interessen im Rechtsstreit durch Nebenintervention nach § 66 ZPO und Beitritt aufseiten der GmbH hinreichend wahren.51 Für ein – aus der vermeintlichen Geltung eines formellen Konsensprinzips folgendes – Doppelstreitverfahren besteht demnach kein sachliches Bedürfnis.
2. Feststellungsklage a) Feststellung der Gesellschafterstellung Neben der gegen die GmbH gerichteten Leistungsklage kommt der allgemeinen Feststellungsklage keine Bedeutung zu. Namentlich fehlt einer Klage des (vermeintlichen) Gesellschafters gegen die GmbH auf 49 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 45; Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rz. 6; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 103; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 41; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 30; Wiegand-Schneider in MünchHdb. GesR VII, 2016 (im Erscheinen), § 36 Rz. 7; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 38; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 734. 50 Dazu auch unten II. 2. b). 51 Zutreffender Hinweis von Wertenbruch in der Diskussion im Anschluss an den VGR-Vortrag.
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Feststellung der Inhaberschaft eines bestimmten GmbH-Geschäftsanteils das notwendige Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO.52 Aufgrund der unwiderleglichen Vermutung53 des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ist stets der Eingetragene als Gesellschafter legitimiert. Daran vermag auch eine gerichtliche Feststellung der Berechtigung eines Nichteingetragenen nichts zu ändern. Denn selbst wenn die Beteiligten von der Unrichtigkeit der Liste sichere Kenntnis haben, bleibt der Listeninhalt aufgrund der Legitimationswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG für die Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten uneingeschränkt maßgeblich.54 Erst durch die Änderung der Gesellschafterliste vermag der Rechtsschutzsuchende sein Ziel zu erreichen. Hierfür bedarf es indes der Erhebung einer Leistungsklage. Der Rechtsinhaber kann so auf zumutbare Weise ein Urteil erstreiten, das seinem Feststellungsinteresse entspricht55 und aus dem auch vollstreckt werden kann.56 Die Feststellungsklage ist demgegenüber subsidiär.57 Dafür spre52 OLG Hamm GmbHR 2014, 935, 936; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 88; Krauss, GWR 2014, 260. 53 So die vorherrschende Deutung der Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG: OLG Zweibrücken GmbHR 2012, 689 f.; Altmeppen in Roth/ Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 5; Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 27; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 16 Rz. 11; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 2, 14; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 18; a.A. (Fiktion) Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 16 Rz. 51; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 6; (zum früheren Recht) BGHZ 84, 47, 49; 112, 103, 113; BGH GmbHR 2009, 38 Rz. 7. 54 Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 134, 137 f.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 5. Aufl. 2013, § 16 Rz. 9; Pfisterer in Saenger/ Inhester, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 13. 55 BGHZ 134, 201, 208 f.; 200, 20 Rz. 54; BGH NJW-RR 2002, 1377, 1378; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 12; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 256 Rz. 7a. 56 BGHZ 134, 201, 208 f.; OLG Celle NJW-RR 2007, 676, 678; Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 49; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 256 Rz. 18; Saenger in Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 256 Rz. 16. 57 Zur Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage vgl. Bacher in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2015, § 256 Rz. 26 ff.; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 256 Rz. 7a f.; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 256 Rz. 34, 77; Wassermann in AK, ZPO, 1987, § 256 Rz. 6; kritisch Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 12; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 256 Rz. 12.
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chen prozesswirtschaftliche Erwägungen, weil hiermit eine doppelte Befassung der Gerichte vermieden wird sowie Zeit und Kosten eingespart werden können.58
b) Rechtsstreit zwischen Rechtsinhaber und Listengesellschafter aa) Feststellungsklage Davon abgesehen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung aber vereinzelt die gegen den Veräußerer gerichtete Klage des Erwerbers auf Feststellung der materiellen Berechtigung als zulässig angesehen.59 Mit einer solchen Feststellungsklage werde ein von der Leistungsklage verschiedenes Klageziel verfolgt, das auf die „Klärung der dinglichen Rechtslage“ gerichtet sei und „sogar ein über den möglichen Leistungsantrag hinausgehendes Ziel“ verfolge.60 Ganz allgemein wird im Schrifttum vielfach davon gesprochen, der Prätendentenstreit zwischen den Beteiligten, wie z.B. zwischen den Vertragsparteien eines Erwerbsgeschäfts oder zwischen Miterben, sei durch Feststellungsklage zu entscheiden.61 Mit dem Feststellungsurteil sei zugleich der nach § 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG erforderliche Nachweis gegenüber den Geschäftsführern erbracht.62 Selbst in den Gesetzesmaterialien heißt es, Uneinigkeit zwischen mehreren Prätendenten sei auf zivilrechtlichem Wege zu klären.63 Dem kann mit Blick auf die vorausgegangenen Überlegungen zur grundsätzlichen Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungs-
58 RGZ 21, 382, 387 f.; 23, 224, 232; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 190; Bacher in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2015, § 256 Rz. 30; Geisler in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. 2014, § 256 Rz. 12, 14; Lepa, VersR 2001, 265, 267. 59 OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, juris. 60 OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, juris, Rz. 52. 61 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 48; Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rz. 6; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 103; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 41; Wiegand-Schneider in MünchHdb. GesR VII, 2016 (im Erscheinen), § 36 Rz. 7; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 38; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 734. 62 So Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 734; dem folgend Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 103. 63 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 39.
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klage64 schwerlich gefolgt werden, soweit es dem Kläger primär um die Korrektur der Gesellschafterliste geht. In diesem Zusammenhang ist die „Klärung der dinglichen Rechtslage“, also die Feststellung der materiellen Gesellschafterstellung nur eine Voraussetzung für die durch den Geschäftsführer zu besorgende Listenkorrektur. Die auf Erstreiten eines vollstreckbaren Urteils gerichtete Leistungsklage ist auch in dieser Beziehung die zielführende Klageart. Diese Leistungsklage ist nach allgemeinen Grundsätzen gegen die GmbH zu richten; ein Titel gegen den Veräußerer genügt nicht, um die Eintragung des wahren Berechtigten in der Gesellschafterliste und deren Aufnahme in das Handelsregister zu realisieren.65
bb) Leistungsklage In Betracht kommt aber freilich eine Leistungsklage des Rechtsinhabers gegen den Listengesellschafter auf Unterlassung der Ausübung von mitgliedschaftlichen Rechten. Dieser Unterlassungsanspruch kann entweder aus dem schuldrechtlichen Kausalgeschäft eines Anteilserwerbs resultieren oder aus einem quasi-negatorischen Abwehranspruch. Aufgrund der Legitimationswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG muss der Erwerber bei einem Anteilskauf alle Rechtshandlungen, die der mittels Eintragung (noch) legitimierte Veräußerer in Ansehung des Gesellschaftsverhältnisses nach Rechtsübergang tätigt, gegen sich gelten lassen.66 Daher resultieren aus dem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft – soweit die Frage nicht kautelarjuristisch ohnehin geregelt ist67 – nebenvertragliche Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, die darauf gerichtet sind, dem Erwerber die vollumfängliche Ausübung der übertragenen Rechte zu gewährleisten sowie sämtliche Handlungen zu unterlassen, die die Vertragsdurchführung beeinträchtigen oder ge64 Zu diesem Prinzip vgl. Bacher in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2015, § 256 Rz. 26 ff.; Greger in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 256 Rz. 7a f.; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 256 Rz. 34, 77; Wassermann in AK, ZPO, 1987, § 256 Rz. 6; kritisch Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 12; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 256 Rz. 12. 65 Im Ergebnis auch Wiegand-Schneider in MünchHdb. GesR VII, 2016 (im Erscheinen), § 36 Rz. 7. 66 Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 70. 67 Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 154 f.; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 71; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 40.
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fährden könnten.68 Dieser Unterlassungsanspruch kann mittels Leistungsklage gegen den Listengesellschafter durchgesetzt werden. Darüber hinaus ist außerdem ein verschuldensunabhängiger quasi-negatorischer Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch analog §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB anzuerkennen.69 Zu unterlassen und zu beseitigen ist die Beeinträchtigung der als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB geschützten Mitgliedschaft70 des zu Unrecht nicht in der Gesellschafterliste eingetragenen – wahren – Berechtigten durch den Scheingesellschafter. Voraussetzung ist allerdings, dass der rechtswidrige Zustand dem Anspruchsgegner auch zugerechnet werden kann. Er muss zu diesem Zweck an der Schaffung des Zustands entweder aktiv mitgewirkt haben, oder die Aufrechterhaltung des von einem Dritten geschaffenen Zustands muss zumindest mittelbar auf den Willen des Eingetragenen zurückgehen.71 Hiervon wird man bei einer unrichtigen Eintragung auch dann ausgehen müssen, wenn der Scheingesellschafter ohne seine aktive Mitwirkung in die Gesellschafterliste eingetragen worden ist.72 Der Anspruch ist darauf gerichtet, den durch die unrichtige Eintragung geschaffenen Rechtsschein zu beseitigen und die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte zu unterlassen, soweit dies die Gesellschafterstellung des wahren Berechtigten beeinträchtigen könnte.73
c) Feststellung einzelner Gesellschafterrechte und -pflichten Unzulässig ist weiterhin eine Feststellungsklage, mit welcher der Eingetragene oder ein Dritter festgestellt haben möchte, dass ihm bestimmte mit der Gesellschafterstellung verbundene Rechte und Pflichten zustehen oder nicht zustehen.74 Zwar sind auch einzelne Rechte und Pflichten im Grundsatz feststellungsfähig.75 Allerdings fehlt es im vor68 Vgl. Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 71; zum Kausalvertrag der Forderungsabtretung eingehend Lieder in BeckOGK BGB, Stand: 1.9.2015, § 398 Rz. 77. 69 So auch Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 703. 70 RGZ 100, 274, 278; 158, 248, 255; BGHZ 110, 323, 327, 334; Mertens in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 43 Rz. 105. 71 Vgl. BGH NJW 2005, 1366, 1368; 2007, 432 Rz. 14. 72 Ebenso Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 703. 73 Vgl. Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 703. 74 OLG Hamm GmbHR 2014, 935, 939. 75 BGH NJW 1990, 2627, 2628; BAGE 47, 238, 245; BAG NZA 1994, 35, 36; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 2; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 256 Rz. 26.
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liegenden Fall an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO notwendigen Feststellungsinteresse. Dieses setzt voraus, dass dem Recht des Klägers eine aktuelle rechtliche Gefahr der Unsicherheit droht.76 Dies kommt aber gerade nicht in Betracht, weil die mit der Eintragung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG verbundene Legitimationswirkung eine unwiderlegliche Vermutung der Gesellschafterstellung nebst sämtlicher hiermit verbundener Rechte und Pflichten begründet.77 Demgegenüber kommt der materiellen Rechtslage gerade keine Bedeutung zu. Etwas anderes kann nur in besonders gelagerten Fällen gelten, wenn die Ungewissheit nicht aus der – womöglich fehlenden – materiellen Gesellschafterposition resultiert, sondern beispielsweise aus dem höchstpersönlichen Charakter der in Rede stehenden Rechte und Pflichten, der einem Rechtsübergang im konkreten Einzelfall möglicherweise entgegenstand.78
d) Zwischenfeststellungsklage Zulässig – und in vielen Fällen auch zweckmäßig – ist hingegen die Verbindung der Leistungsklage gem. § 260 ZPO mit einer Zwischenfeststellungsklage nach Maßgabe des § 256 Abs. 2 ZPO.79 Mittels dieser besonderen Feststellungsklage, die kein besonderes Feststellungsinteresse voraussetzt,80 kann die Gesellschafterstellung des Klägers als vorgreifliches Rechtsverhältnis rechtskräftig festgestellt werden. Entgegen dem missverständlichen Wortlaut braucht das Rechtsverhältnis nicht erst „im Laufe des Prozesses“ streitig geworden zu sein.81 Nach dem Norm76 BGHZ 69, 144, 147; BGH NJW 1986, 2507; 2010, 1877, 1878; Bacher in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2015, § 256 Rz. 20; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 8; Greger in Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 256 Rz. 7. 77 Zur Reichweite der Legitimationswirkung näher Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rz. 8 ff.; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 18 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 5. Aufl. 2013, § 16 Rz. 24; Wilhelmi in BeckOK GmbHG, Stand: 15.11.2015, § 16 Rz. 16 ff.; Winter in Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 15 ff. 78 Vgl. OLG Hamm GmbHR 2014, 935, 939. 79 Zur Zulässigkeit OLG Hamm GmbHR 2014, 935, 936. 80 RGZ 144, 54, 59; BGH NJW 1977, 1637; 1992, 189; 2011, 2195, 2196; OLG Hamm GmbHR 2014, 935, 936; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 42; Saenger in Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 256 Rz. 30. 81 BGH NJW-RR 1990, 318, 319 f.; OLG Hamm NJW-RR 1998, 424; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 351; Foerste in Musielak/ Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 41; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO,
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zweck des § 256 Abs. 2 ZPO, der auf eine Erweiterung der Rechtskraft in Abhängigkeit von den Präferenzen der Prozessparteien abzielt, genügt es vollkommen, dass das vorgreifliche Rechtsverhältnis von vornherein zwischen den Beteiligten streitig war.82 Zulässig ist auch die Stellung eines entsprechenden Feststellungsantrags später im Rahmen einer Tatsacheninstanz83 im Hauptklageverfahren (vgl. § 261 Abs. 2 ZPO). Nach dem Hauptprozess richtet sich auch die örtliche Zuständigkeit, es sei denn, es besteht ein ausschließlicher Gerichtsstand.84 In sachlicher Hinsicht kann die Erhebung der Zwischenfeststellungsklage den Streitwert durch Zurechnung zur Hauptsache gem. § 5 ZPO erhöhen. Hieran hat sich sodann die sachliche Zuständigkeit zu orientieren (vgl. noch §§ 504, 506 ZPO).
3. Passivprozess Der zu Unrecht in die Liste eingetragene (Schein-)Gesellschafter kann den besagten Anspruch auf Listenkorrektur auch im Rahmen einer Widerklage gegen die GmbH geltend machen. Paradigmatisch ist die Konstellation, dass der Listengesellschafter nach § 16 Abs. 2 GmbHG als Erwerber des Geschäftsanteils für rückständige Einlageschulden des Veräußerers in Anspruch genommen wird. Die materiell-rechtliche Lösung dieser Fragestellung ist seit jeher sehr umstritten. Auch nach Aufwertung der Gesellschafterliste ist das Meinungsbild durchaus komplex.
a) Haftung des Scheingesellschafters Einig ist man sich zunächst darüber, dass vom Gesellschafter während seiner Eintragung auf die Einlageschuld erbrachte Leistungen wegen der 36. Aufl. 2015, § 256 Rz. 30; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 256 Rz. 102. 82 Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 78; Bacher in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2015, § 256 Rz. 46; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 256 Rz. 30; Saenger in Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 256 Rz. 29. 83 Zur Unzulässigkeit in der Revisionsinstanz BGHZ 28, 131, 136 f.; BGH NJW 1961, 777, 779; BAGE 36, 105, 111; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 379; Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 77; zweifelnd Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 256 Rz. 40. 84 Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 78; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 256 Rz. 113 f.; differenzierend Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 256 Rz. 382.
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Legitimationswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GmbHG mit Rechtsgrund erbracht worden sind und daher nicht – widerklagend – von der Gesellschaft kondiziert werden können.85 Der Ausgleich muss sich zwischen dem Listengesellschafter und dem wahren Gesellschafter vollziehen.86 Zudem herrscht Einigkeit darüber, dass der Scheingesellschafter jedenfalls für erst nach seiner Löschung fällig gestellte Einlageschulden nicht mehr in Anspruch genommen werden kann.87 Für die zuvor entstandenen, noch offenen Einlageforderungen ist das Schrifttum gespalten. Teilweise wird unter Hinweis auf Gläubigerschutzerwägungen88 die Auffassung vertreten, dass der zu Unrecht Eingetragene für vor der Listenkorrektur begründete Ansprüche auch nach Einreichung einer zutreffenden Gesellschafterliste weiterhafte.89 Die Gegenauffassung geht demgegenüber – mit Recht – davon aus, dass der zu Unrecht eingetragene (Schein-)Gesellschafter nicht in Anspruch genommen werden kann, sobald ihm gegen die GmbH aufgrund der fehlerhaften Eintragung ein Anspruch auf Listenkorrektur zusteht;90 ohne Be85 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 47; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 39; Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rz. 35; Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 16 Rz. 150; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 218; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 85; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 29. 86 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 47; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 39. 87 Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 16 Rz. 153; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 230; Wiersch, ZGR 2015, 591, 608; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 39. 88 Zur Bedeutung der Gesellschafterliste für den Gläubigerschutz vgl. BGH GmbHR 2015, 532 Rz. 21; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 8; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 24. 89 Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 16 Rz. 153; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 226 ff.; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 56; Theiselmann GmbHR 2009, 1260, 1261 ff. 90 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 39 ff.; Altmeppen, ZIP 2009, 345, 352; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 47; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 39; Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rz. 35; Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 16 Rz. 24; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 118; ausf. Wiersch, ZGR 2015, 591, 610 ff.
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lang ist dabei, wann die korrigierte Gesellschafterliste tatsächlich zum Handelsregister eingereicht wird. In rechtsmethodischer Hinsicht ist die Legitimationswirkung nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG teleologisch zu reduzieren, weil der Regelungszweck – die Gesellschaft und die Mitgesellschafter vor Unsicherheiten über die Gesellschafterstellung zu schützen91 – nicht tangiert ist, wenn feststeht, dass der in der Liste Eingetragene tatsächlich nicht Gesellschafter ist und dieser Umstand im Rahmen des Streitverfahrens auch nachgewiesen werden kann. Davon abgesehen erscheint es auch nach den Grundsätzen eines materiell verstandenen Gerechtigkeitsprinzips nicht gerechtfertigt, der Gesellschaft neben dem forthaftenden Veräußerer einen weiteren Schuldner zu verschaffen, der selbst niemals Gesellschafter gewesen ist. Zwar kann der Scheingesellschafter vom wahren Gesellschafter im Innenverhältnis Ausgleich verlangen, hat dabei aber stets das Insolvenzrisiko des wahren Gesellschafters zu tragen. Ein darüber hinausgehendes Vertrauen der GmbH respektive der Gesellschaftsgläubiger auf den Scheingesellschafter als zusätzlichen Schuldner ist vor diesem Hintergrund – und vor allem ohne das Hinzutreten besonderer, eine Rechtsscheinhaftung nach allgemeinen Grundsätzen begründender Umstände – nicht zu rechtfertigen.
b) Prozessuale Implikationen aa) Erledigung Als prozessuale Schlussfolgerung ergibt sich aus den vorstehenden materiell-rechtlichen Überlegungen, dass sich der Scheingesellschafter, solange er noch mittels Eintragung gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft legitimiert ist, gegen die Leistungsklage der GmbH in der Hauptsache nicht unter Hinweis auf seine fehlende – materielle – Gesellschafterstellung verteidigen kann. Erst mit der Listenkorrektur wird die Klage mangels Passivlegitimation unbegründet.92 Die Parteien können daraufhin das Verfahren übereinstimmend für erle-
91 Vgl. Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 13; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 8; Pfisterer in Saenger/Inhester, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 1; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 1. 92 Vgl. Wiersch, ZGR 2015, 591, 616.
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digt erklären.93 Daraufhin hat das Gericht nach Maßgabe des § 91a ZPO nur noch durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Für die Verteilung der Kostenlast ist primär der voraussichtliche Ausgang des ursprünglichen Rechtsstreits maßgeblich.94 Umgekehrt ist der Kläger regelmäßig nicht schutzwürdig und ihm sind die Kosten aufzuerlegen, wenn er seiner Klage selbst die Erfolgsaussichten nimmt.95 Hier handelt die Gesellschaft, die den materiell Berechtigten in die Gesellschafterliste einträgt und somit die Erfolgsaussichten ihrer Klage zunichte macht, indes nicht willkürlich. Vielmehr erfüllen die Geschäftsführer mit der Listenkorrektur nur ihre gesetzliche Verpflichtung aus § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Deshalb wird man im Rahmen der Billigkeitserwägungen auch entscheidend diejenigen Umstände berücksichtigen müssen, die für die Verzögerung der Listenkorrektur verantwortlich waren. Lagen diese Umstände zuvörderst in der Einfluss- und Verantwortungssphäre der Gesellschaft begründet, entspricht es der Billigkeit – ungeachtet der tatsächlichen Löschung des Scheingesellschafters – der Gesellschaft auch die Kosten für den Rechtsstreit aufzubürden. Beruhte die fortwährende Eintragung des Scheingesellschafters hingegen maßgeblich auf seinem eigenen Verhalten, kommt eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten in Betracht. Sind die Umstände ungewiss, ist analog § 92 ZPO an eine Kostenteilung zu denken.96
93 Denkbar ist freilich auch eine nur einseitige Erledigterklärung der Gesellschaft. Weil sich der Rechtsstreit durch die Löschung des Scheingesellschafters aus der Gesellschafterliste aber tatsächlich erledigt hat, wird sich der Scheingesellschafter der Erledigterklärung anschließen oder nach Maßgabe des § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO innerhalb einer Notfrist von 2 Wochen zumindest nicht widersprechen, um die negative Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO zu vermeiden. Zu den Kosten bei der übereinstimmenden Erledigterklärung nach § 91a ZPO sogleich im Text. 94 Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 91a Rz. 47; Bork in Stein/ Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 91a Rz. 29, 33. 95 Lindacher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 91a Rz. 49; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 91a Rz. 23. 96 Zu deren prozessualen Zulässigkeit vgl. OLG Koblenz NJW-RR 1999, 943; Hausherr in Gehrlein/Prütting, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 91a Rz. 31; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 91a Rz. 48; Lackmann in Musielak/ Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 91a Rz. 23.
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bb) Widerklage Widerklagend kann der zu Unrecht Eingetragene aber jedenfalls seinen Anspruch auf Löschung aus der Gesellschafterliste durchsetzen.97 Nach allgemeinen Grundsätzen ist die Widerklage auf Listenkorrektur gem. § 33 Abs. 1 ZPO beim Gericht der Hauptsache zu erheben. Der erforderliche Sachzusammenhang i.S.d. § 33 Abs. 1 ZPO98 ist aufgrund der für beide Streitfragen entscheidenden (mangelnden) Rechtsinhaberschaft des Widerklägers und der Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ohne weiteres zu bejahen. Zudem wird man auch eine (negative) Zwischenfeststellungswiderklage99 auf Feststellung der fehlenden Gesellschaftereigenschaft des Widerklägers als zulässig ansehen müssen, weil dessen Eigenschaft als Inhaber des GmbH-Geschäftsanteils vorgreifliche Bedeutung100 für die Haftungsklage in der Hauptsache zukommt. Nicht durchdringen wird der Beklagte indes mit einer Widerklage, die auf Rückgewähr der während seiner Eintragung in der Gesellschafterliste an die GmbH erbrachten Leistungen gerichtet ist, weil deren Rückforderung aus materiell-rechtlichen Gründen ausscheidet.101
4. Beschlussmängelklagen a) Eingetragener Scheingesellschafter aa) Grundsatz Gegenüber der GmbH ist nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ausschließlich der ordnungsgemäß in der Gesellschafterliste Eingetragene legitimiert. Er ist daher auch berechtigt, an der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung teilzunehmen und das Stimmrecht auszu-
97 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 43, 52. 98 Zum Begriff des Sachzusammenhangs ausf. Toussaint in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2015, § 33 Rz. 11 ff.; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 33 Rz. 2 ff.; Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 33 Rz. 1 f. 99 Zur Zulässigkeit im Allgemeinen BGHZ 69, 37, 41; Bendtsen in Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 33 Rz. 21; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 33 Rz. 16; Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 33 Rz. 25; Wern in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 33 Rz. 21; Schneider, MDR 1973, 270 ff.; Ott, Die Parteiwiderklage, 1999, S. 43 f. 100 Zur Bedeutung der Vorgreiflichkeit s. oben II. 2. d). 101 Siehe nochmals oben II. 3. a).
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üben.102 In der Konsequenz ist ihm gegen fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse in Form von Beschlussmängelklagen auch Rechtsschutz zu gewähren.103 Umgekehrt kann der unter Mitwirkung eines eingetragenen Scheingesellschafters gefasste Gesellschafterbeschluss nicht mit der Begründung angegriffen werden, der Listengesellschafter sei nicht der wahre Inhaber des Geschäftsanteils gewesen und habe daher nicht mitstimmen dürfen.104 Es sind gerade solche Fallgestaltungen, für welche die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG im Interesse der GmbH und der Mitgesellschafter für Rechtssicherheit sorgen will.105
bb) Fortführung des Rechtsstreits nach Listenkorrektur Wird nach Rechtshängigkeit, aber vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung über die Beschlussmängelklage des Listengesellschafters die Gesellschafterliste geändert und der wahre Anteilsinhaber eingetragen, verliert der Kläger im Grundsatz seine aus der Eintragung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG resultierende Aktivlegitimation und die Klage müsste im Grundsatz als unbegründet abgewiesen werden. Allerdings ist für die Veräußerung des Geschäftsanteils als solchen nach Klageerhebung anerkannt, dass der Veräußerer nach § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO als
102 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 32; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 16 Rz. 14; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 142; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 66; vgl. (zum alten Recht) BGHZ 15, 324, 331; BayObLG BB 1990, 85, 86 = GmbHR 1990, 216; OLG Düsseldorf DB 1996, 568, 569 = GmbHR 1996, 443. 103 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 6; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 142; Löbbe in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 66; vgl. (zum alten Recht) BGH NJW 1969, 133; OLG Düsseldorf DB 1996, 568, 570 = GmbHR 1996, 443. 104 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 23; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 218; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 36; ebenso für das Aktienregister und § 67 Abs. 2 AktG Leuering, ZIP 1999, 1745, 1749; Lieder, NZG 2005, 159, 161. 105 Zum Normzweck des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vgl. nur Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 1; Brandes in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 16 Rz. 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 3; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 13; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 8.
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gesetzlicher Prozessstandschafter des Erwerbers das Beschlussmängelverfahren fortführen kann.106 Gleiches muss für den zwischenzeitlichen Verlust der Aktivlegitimation durch Löschung des Klägers in der Gesellschafterliste gelten.107 Zwar geht es hier nicht um den Verlust einer materiellen Rechtsposition, der bereits in den unmittelbaren sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift fiele. Allerdings bedingt der primäre Regelungszweck des § 265 Abs. 2 ZPO,108 wonach der gegnerischen Partei die Früchte der bisherigen Prozessführung erhalten109 und etwaige Nachteile, die ihr aus dem Verlust der Sachlegitimation während des Zivilverfahrens drohen, vermieden werden sollen,110 dafür, den Regelungsgedanken auf die Nachfolge in die – aus der Listeneintragung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG resultierende – Legitimationswirkung zu übertragen. Zudem werden durch die analoge Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO auch unwirtschaftliche Doppelprozesse111 und damit verbundene Mehrbelastungen der Gerichte112 vermieden. Dass es sich hierbei nicht um einen klassischen Fall der Sukzession nach materiellem Recht handelt,113 ist ohne Belang. Denn zum einen unterscheidet sich der prozessuale Nachfolgebegriff substantiell von dem ma-
106 Vgl. BGHZ 169, 221 Rz. 15 (zum Squeeze-out); OLG Düsseldorf GmbHR 2001, 1049, 1052; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 72; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 169; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 133; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh § 47 Rz. 137. 107 So auch Nolting, GmbHR 2010, 584, 588. 108 Eingehend zum Ganzen Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 824 ff. 109 Vgl. BGH NJW 1998, 156, 158; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 265 Rz. 1, § 266 Rz. 1; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 265 Rz. 2; Saenger in Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 265 Rz. 1; kritisch Bork/Jacoby, JZ 2000, 135, 138. 110 RGZ 20, 420, 422; 102, 177, 179; BGHZ 29, 329, 331; 61, 140, 142 f.; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2014, § 265 Rz. 3. 111 BGHZ 28, 153, 157; BGH NJW-RR 1998, 1504, 1505; 2001, 181; Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 265 Rz. 3; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 265 Rz. 1. 112 Vgl. nur Merle, JA 1983, 626, 627; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 827. 113 Zum materiell-rechtlichen Sukzessionsbegriff ausf. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 20 ff.
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teriell-rechtlichen Nachfolgebegriff.114 Zum anderen ist für die Anwendbarkeit des § 265 Abs. 2 ZPO nach allgemeiner Auffassung allein entscheidend, dass die Sachlegitimation wechselt.115 Dies ist mit Einreichung der geänderten Gesellschafterliste der Fall. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass weder der nun als Prozessstandschafter tätige Kläger116 noch die beklagte Gesellschaft ein berechtigtes Interesse an der Fortführung des Verfahrens hat. Von einem solchen Mangel sollte indes nicht vorschnell ausgegangen werden.117 Vielmehr bedarf es einer gründlichen Prüfung anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Im Übrigen kann der neu eingetragene Gesellschafter mit Zustimmung der Gesellschaft (§ 265 Abs. 2 Satz 2 ZPO analog) und des ausgetragenen Gesellschafters (§ 269 Abs. 1 ZPO analog) den Rechtsstreit im Wege des Parteiwechsels übernehmen.118
b) Nichteingetragener Rechtsinhaber Im Gegensatz dazu kann der wahre Gesellschafter – vorbehaltlich der Sonderregelung des § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG119 – keine mitgliedschaftlichen Rechte ausüben, wenn er nicht ordnungsgemäß in der Gesellschafterliste eingetragen ist. Mangels Eintragung ist er insbesondere an
114 Zum prozessrechtlichen Sukzessionsbegriff eingehend Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 20 f., 834 ff. 115 Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 265 Rz. 3; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 265 Rz. 6; Schink, Jura 1985, 291, 293; Schwab, ZZP 87 (1974), 97; ausf. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 835 f. 116 Diesen Aspekt bei der Anteilsveräußerung betonend RGZ 66, 134, 138; BGHZ 43, 261, 266 f.; 169, 221 Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 72; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 169; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 133; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh § 47 Rz. 137. 117 So aber Nolting, GmbHR 2010, 584, 588. 118 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 72; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 169; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 133; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh § 47 Rz. 137. 119 Zur Bedeutung vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 36 ff.; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 86 ff.; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 45 ff.; Mayer, MittBayNot 2014, 24, 29 ff.; Nolting, GmbHR 2010, 584, 585 ff.; Wolff, BB 2010, 454, 457 ff.
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der Mitwirkung bei Beschlussfassungen gehindert.120 Der unter unberechtigter Mitwirkung des materiellen Berechtigten gefasste Beschluss ist anfechtbar.121 Beschlüsse, die sich auf mitgliedschaftliche Rechte eines Nichteingetragenen beziehen, sind auf einen rechtlich unmöglichen Erfolg gerichtet und damit gegenstandslos. Eingetragene Gesellschafter können gegen den förmlich festgestellten122 Beschluss analog § 241 Nr. 3 AktG mittels Nichtigkeitsklage vorgehen, weil ein solcher Beschluss gegen Grundregeln des geltenden Rechts verstößt, die im öffentlichen Interesse bestehen.123
aa) Allgemeine Feststellungsklage Dem Nichteingetragenen fehlt – in diesem besonderen Fall124 wie auch im Allgemeinen125 – nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bereits die erforderliche Aktivlegitimation für eine GmbH-rechtliche Beschlussmängelklage. Die Unwirksamkeit wirkungsloser Beschlüsse kann er – wie jeder andere Dritte, der ein Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO darlegen kann,126 – allein mittels allgemeiner Feststellungsklage geltend machen.127 Im Fall des wirkungslosen Beschlusses kann das notwendige Feststellungsinteresse nicht zweifelhaft sein, weil der Beschluss un120 Vgl. OLG Zweibrücken GmbHR 2012, 689 f.; a.A. offenbar Wolff, BB 2010, 454, 456 f.: Anfechtbarkeit des ohne seine Mitwirkung gefassten Beschlusses, wenn Geschäftsführer seiner Pflicht zur Einreichung einer korrigierten Liste nicht ordnungsgemäß nachkommt. 121 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 23; ebenso für das Aktienregister und § 67 Abs. 2 AktG Lieder, NZG 2005, 159, 161. 122 Vgl. zum zweispurigen Beschlussmängelregime des GmbH-Rechts nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 39; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh. § 47 Rz. 116 ff. – Mangels förmlicher Feststellung müssen die Gesellschafter mittels isolierter Beschlussfeststellungsklage vorgehen; vgl. nur BGH GmbHR 1999, 477, 478. 123 Im Ergebnis auch Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 29; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 40, 71; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh. § 47 Rz. 24; a.A. offenbar OLG Bremen GmbHR 2012, 687, 688: allgemeine Feststellungsklage. 124 OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, juris, Rz. 89 f. 125 Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 138, 142. 126 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 30; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 93, 278, 281; vgl. noch BGH WM 2009, 141 = GmbHR 2009, 39. 127 OLG Bremen GmbHR 2012, 687, 689; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 138, 142.
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mittelbar die Rechtsstellung des Nichteingetragenen berührt.128 Die Rechtskraft des Feststellungsurteils beschränkt sich – entgegen § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG – auf die Parteien des Rechtsstreits.129 Im Übrigen kann sich der Nichteingetragene unter Hinweis auf die Nichtigkeit des Beschlusses in einem gegen ihn gerichteten Rechtsstreit verteidigen.130
bb) Beschlussmängelklage nach Listenkorrektur Die vom Nichteingetragenen erhobene Beschlussmängelklage hat ausnahmsweise Erfolg, wenn der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung131 in die Gesellschafterliste aufgenommen worden ist. Voraussetzung ist dafür allerdings, dass er bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung wirklicher Inhaber des Geschäftsanteils war.132 Demgegenüber kommt es weder auf seine materiell-rechtliche Gesellschafterstellung bei der Fassung des angegriffenen Beschlusses133 noch darauf an, ob ein Fall des § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG gegeben ist.134 Im Falle einer Anfechtungsklage ist der Nichteingetragene im Grundsatz gleichfalls gehindert, innerhalb der – auch im GmbH-Recht als Leitbild geltenden135 – Monatsfrist nach dem Rechtsgedanken des § 246 Abs. 1 Satz 1 AktG Anfechtungsgründe vorzutragen. Nach dem Rege-
128 Vgl. Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 281. 129 Vgl. BGHZ 76, 154, 159 f.; BGH NZG 2003, 127, 129 = GmbHR 2003, 171; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 283; a.A. OLG München GmbHR 1996, 451, 452; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 47 Rz. 132; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh. § 47 Rz. 182; K. Schmidt, GmbHR 1992, 9, 12. 130 Zur Drittwirkung der Nichtigkeitsfolge vgl. Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 92. 131 Nolting, GmbHR 2010, 584, 588; a.A. (Klageerhebung) Wolff, BB 2010, 454, 461. 132 Vgl. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 130; Nolting, GmbHR 2010, 584, 588. 133 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh § 47 Rz. 138. 134 Nolting, GmbHR 2010, 584, 588. 135 Vgl. BGH NZG 2009, 1110; Casper in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 47 Rz. 80; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 5. Aufl. 2013, § 47 Rz. 139, 144; Puszkajler in Saenger/Inhester, GmbHG, 2. Aufl. 2013, Anh § 47 Rz. 95 f.; Teichmann in Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, 2. Aufl. 2015, Anh § 47 Rz. 64; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294 f.
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lungsziel des § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, dem Anteilserwerber unmittelbar nach dem Rechtsübergang die Ausübung seiner Gesellschafterrechte zu gestatten, ohne auf Vollmachtskonstruktionen angewiesen zu sein,136 muss aber auch dem (noch) nichteingetragenen Erwerber das Vorbringen von Anfechtungsgründen gestattet werden, soweit seine Eintragung in die Gesellschafterliste unverzüglich erfolgt.137
III. Einstweiliger Rechtsschutz Die gesteigerte praktische Bedeutung der Gesellschafterliste und die sich für den zu Unrecht (Nicht-)Eingetragenen hieraus ergebenden Nachteile begründen das unabweisbare Bedürfnis nach einer Sicherung und Regelung von Rechtsverhältnissen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
1. Korrektur der Gesellschafterliste Schon in den Materialien zum MoMiG138 sprach der Reformgesetzgeber explizit davon, dass der Anspruch des materiell berechtigten Gesellschafters auf Einreichung einer korrigierten Gesellschafterliste nach den Regeln des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden könne. Das entspricht heute einhelliger Auffassung.139 Der einstweiligen Listenkorrektur kommt neben der Eintragung eines Widerspruchs gem. § 16 Abs. 3 Satz 4 GmbHG vor allem deshalb eigenständige Bedeutung zu, weil sich die Widerspruchswirkung auf den Gutglaubenserwerb nach § 16 Abs. 3 GmbHG beschränkt, der unrichtigen Gesellschafterliste aber
136 Zum Normzweck des § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG: Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 36; Heidinger in MünchKomm/ GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 17; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 7; Wolff, BB 2010, 454, 459; vgl. noch DAV, NZG 2007, 211, 214. 137 Im Ergebnis ebenso Nolting, GmbHR 2010, 584, 588. 138 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 38. 139 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 18; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 88; Löbbe in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 60; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 104; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 40 Rz. 53; Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 40 Rz. 8; Dittert, NZG 2014, 221, 223; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 791; Kort, GmbHR 2009, 169, 174; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 733; zu Unrecht zweifelnd allein Bednarz, BB 2008, 1854, 1857.
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nicht ihre Legitimationswirkung gegenüber der Gesellschaft nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nimmt.140
a) Verfügungsanspruch Der Anspruch auf Listenkorrektur ist nach allgemeinen Grundsätzen glaubhaft zu machen.141 Die Glaubhaftmachung erfolgt durch Vorlage präsenter Beweismittel, wie z.B. eidesstattliche Versicherungen (§ 294 ZPO)142, schriftliche Zeugenerklärungen143 oder notarielle Urkunden, aus denen sich die Gesellschafterstellung des Antragstellers ergibt.144
b) Verfügungsgrund In gleicher Weise ist der Verfügungsgrund glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung ist hier – anders als bei Eintragung eines Widerspruchs145 – nicht analog § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG entbehrlich.146 Da es sich um eine Regelungsverfügung handelt, muss die vorläufige Listenkorrektur nach § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig sein. Daran fehlt es, wenn eine andere – gleich wirksame – Anordnung für den Verfügungsschuldner mit einer geringeren Beeinträchtigung verbunden ist. Es gilt der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs.147 Im Übrigen ist anhand einer umfassenden Abwägung der tangierten Interessen zu entscheiden.148 Insbesonde140 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 39; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 71; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 104; Harbarth, ZIP 2008, 57, 60; Kort, GmbHR 2009, 169, 175. 141 Dazu näher unten III. 3. a). 142 OLG Nürnberg GmbHR 2014, 1153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 73; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 93. 143 Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 93; Werner, GmbHR 2014, 1155. 144 Vgl. Prasse/Strotmann, BB 2010, 1747, 1748; Werner, GmbHR 2014, 1155. 145 Zu den streitigen Einzelheiten unten III. 3. b). 146 So auch Dittert, NZG 2015, 221, 223. 147 Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 938 Rz. 1, 17; Thümmel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2014, § 935 Rz. 30; Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 938 Rz. 4; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. 2010, § 76 Rz. 8. 148 OLG Hamm NJW-RR 2001, 105, 107; OLG Naumburg BeckRS 2011, 25202; OLG München BeckRS 2012, 20300; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 935 Rz. 9, § 940 Rz. 12.
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re darf die vorläufige Anordnung die Hauptsache nicht in unzulässiger Weise vorwegnehmen:
c) Vorwegnahme der Hauptsache aa) Meinungsstand Uneinheitlich wird beantwortet, ob die einstweilige Durchsetzung des Korrekturanspruches eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellt, wonach vorgreifliche Maßnahmen nur in Betracht kommen, wenn andernfalls eine Existenzgefährdung oder eine irreparable Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Rechtsstellung droht. Zum Teil wird eine entsprechende Leistungsverfügung – zumindest für den Regelfall – ungeachtet der weitreichenden Regelungsfolgen für zulässig gehalten.149 Andere betrachten eine solche Verfügung als „eine Vorwegnahme der Hauptsache par excellence“.150
bb) Geltung des Vorwegnahmeverbots Das in Rechtsprechung und Schrifttum vorherrschende Vorwegnahmeverbot beruht auf dem vorläufigen Charakter der einstweiligen Verfügung.151 Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sollen nur einstweilen – bis zur abschließenden Entscheidung in der Hauptsache – die Verhältnisse zwischen den Parteien geregelt, aber keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden.152 Von Bedeutung ist daher, ob sich die begehrte Anordnung im Nachhinein wieder schnell und unkompliziert rückgängig machen lässt. Dies ist gerade bei der vorläufigen Regelung gesellschaftsrechtlicher Sachverhalte vielfach nicht gewährleistet, so dass im Schrifttum nicht ohne Grund eine tendenzielle Zurückhaltung angemahnt wird.153 149 Dittert, NZG 2015, 221, 223; Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 701 ff., 704; tendenziell auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 91; ähnlich, im Ergebnis für eine Abwägungslösung Wagner, Der Status des GmbH-Gesellschafters nach der Zwangseinziehung, 2015, S. 187 ff., 190. 150 Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 9. 151 Vgl. OLG Dresden NJW 2001, 1433, 1434; Thümmel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2014, § 938 Rz. 9. 152 Vgl. Huber in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 938 Rz. 4; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 9; Wolfer/Adams, GWR 2014, 339, 340; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, 1967, S. 49, 72 ff. 153 Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 9.
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Auf der anderen Seite ist in der modernen Literatur154 – und auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung155 – anerkannt, dass selbst im Gesellschaftsrecht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dem Erlass einstweiliger Anordnungen jedenfalls nicht generell entgegensteht. In Übereinstimmung mit den allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen kommt eine Ausnahme in Betracht, wenn ohne die begehrte Maßnahme eine Existenzgefährdung des Antragstellers oder die Gefahr eines endgültigen Rechtsverlustes droht.156 Falls das in der Hauptsache erstrebte Urteil den zwischenzeitlich drohenden (und endgültig wirkenden) Rechtsverlust nicht rückgängig machen kann,157 gebietet die verfassungsrechtlich verbürgte Gewährleistung effektiven Rechtschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um den geltend gemachten Verfügungsanspruch des Antragstellers wirksam zu sichern.158
cc) Minderinvasive Maßnahmen Angesichts des vorläufigen Charakters der einstweiligen Verfügung sowie der hohen allgemeinen Anforderungen an Regelungsverfügungen wird der zu Unrecht nicht in der Gesellschafterliste Eingetragene regelmäßig keine Chance haben, seinen Anspruch auf Listenkorrektur oder auch nur seine Anerkennung als Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft – entgegen § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG – mittels einstweiliger Verfügung durchzusetzen. Dafür reicht es regelmäßig nicht aus, dass der wahre Berechtigte an der Ausübung seines Stimmrechts gehindert ist.159 154 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 90; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 286 f.; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 183; ausf. Nietsch, GmbHR 2006, 393 ff.; Damm, ZHR 154 (1990), 413 ff.; a.A. Wertenbruch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, Anh. § 47 Rz. 295. 155 OLG München NZG 1999, 407; OLG Düsseldorf NZG 2005, 633, 634. 156 KG ZIP 2010, 2047, 2051; Fischer in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 940 Rz. 5; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 940 Rz. 6; Thümmel in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2014, § 940 Rz. 15; Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 940 Rz. 6. 157 Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 938 Rz. 9 ff.; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 938 Rz. 4; Damm, ZHR 154 (1990), 413, 417; v. Gerkan, ZGR 1985, 167, 170. 158 Vgl. OLG München NZG 1999, 407; OLG Düsseldorf NZG 2005, 633, 634; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 90; Nietsch, GmbHR 2006, 393, 396. 159 Im Ergebnis ebenso KG ZIP 2010, 2047, 2051 f.
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Stattdessen kann der wahre Berechtigte eine Sicherungsverfügung erwirken, mit der dem eingetragenen Gesellschafter die Nichtausübung seiner Gesellschafterrechte aufgegeben wird. Diese Sicherungsanordnung ist geeignet, die dem wahren Berechtigten aus der Beschlussfassung drohenden wesentlichen Nachteile weitestgehend abzuwenden, und bedeutet auch keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.160 In materiell-rechtlicher Hinsicht stützt sich diese Verfügung auf den – gegen den Scheingesellschafter gerichteten, aus der Beeinträchtigung der Mitgliedschaft des wahren Berechtigten folgenden – quasi-negatorischen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch analog §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB.161 Soweit die Beteiligten als Vertragspartner eines Erwerbsgeschäfts miteinander verbunden sind, kann der Veräußerer die aus dem schuldrechtlichen Kausalgeschäft resultierenden Schutz- und Rücksichtnahmepflichten162 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Anteilserwerber durchsetzen.163 Darüber hinaus kann der Rechtsinhaber Eingriffe in seine Rechtsposition im Wege des nachgelagerten Rechtsschutzes abwehren, namentlich durch Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage164, aber auch durch eine einstweilige Verfügung, gerichtet auf die vorläufige Untersagung des Vollzugs eines nachteiligen Gesellschafterbeschlusses.165 Keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache bedeutet umgekehrt die einstweilige Anordnung der Befolgung eines zuvor mit der GmbH vereinbarten Wettbewerbsverbots, das allein der Sicherung der Gesellschafterstellung des wahren Berechtigten dient und zugleich die wirtschaftliche Aushöhlung des behaupteten Geschäftsanteils des Antragstellers verhindern soll.166
160 161 162 163
So auch Wolfer/Adams, GWR 2014, 339, 341. Dazu oben II. 2. b) bb). Dazu näher oben II. 2. b) bb). Vgl. nur Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 72; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 40. 164 Siehe oben II. 2. 165 Vgl. OLG Hamm NJW-RR 2001, 105, 107; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 10; allgemein zum Vorrang des Rechtsschutzes auf Vollzugsebene OLG Hamm GmbHR 1993, 163, 164; OLG München AG 2007, 335, 336; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh. § 47 Rz. 91; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 288, 290; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 45 Rz. 183; Zöllner in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh. § 47 Rz. 194. 166 So etwa im Fall KG ZIP 2010, 2047, 2052.
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Nur wenn alle diese Maßnahmen keinen Erfolg versprechen oder zur effektiven Rechtsgewährleistung nicht ausreichend sind, kommt im Ausnahmefall unter Abwägung sämtlicher Umstände und Interessen des konkreten Einzelfalls der Erlass einer einstweiligen Verfügung auf vorläufige Listenkorrektur in Betracht. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Rechtsprechungslinie, die eine einstweilige Behandlung als Gesellschafter ebenfalls nur ausnahmsweise zulässt.167 Gleiches gilt für den Fall, dass der nichteingetragene Antragsteller Rechte auf Ladung zur Gesellschafterversammlung, Teilnahme und Stimmabgabe im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzusetzen sucht.
d) Pflegschaft Als weitere Sicherungsmaßnahme kommt für den zu Unrecht nicht in der Gesellschafterliste Eingetragenen die Anordnung einer Pflegschaft für unbekannte Beteiligte gem. § 1913 BGB in Betracht. Der Anwendungsbereich dieser Pflegschaft ist eröffnet, soweit der Eingetragene mittels einstweiliger Verfügung an der Ausübung der aus dem Geschäftsanteil fließenden Gesellschafterrechte effektiv gehindert ist. Dann kommt auch der gesetzlichen Vermutungswirkung nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG keine Bedeutung zu. Insbesondere beseitigt die Legitimationswirkung nicht die rechtliche Ungewissheit in Bezug auf die materielle Gesellschafterstellung.168 Diese Ungewissheit über die wahre Berechtigung einer von mehreren Personen bildet vielmehr den zentralen Anwendungsfall des § 1913 BGB.169 Dementsprechend ist die Anwendbarkeit einer solchen Pflegschaft auch im Gesellschaftsrecht anerkannt und kommt für den Prätendentenstreit über die wahre Inhaberschaft des – durch einstweilige Sicherungsanordnung „eingefrorenen“ – Geschäftsanteils in Betracht.170 Davon abgesehen unterliegt auch das Fürsorgebedürfnis für eine gegenwärtige Angelegenheit keinen Bedenken, weil durch die Pflegschaft ver167 OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1271, 1272: Ausnahme wegen drohender wesentlicher Nachteile; OLG Hamm NJW-RR 2001, 105, 107: im Grundsatz keine einstweilige Verfügung. 168 So auch Wolfer/Adams, GWR 2014, 339, 341. 169 BGH MDR 1968, 484; BayObLGZ 1956, 440, 445; OLG Düsseldorf Rpfleger 1976, 358 f.; Götz in Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 1913 Rz. 2; Schwab in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 1913 Rz. 10. 170 Vgl. Wolfer/Adams, GWR 2014, 339, 341; Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 707.
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hindert werden kann, dass bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Funktions- und Handlungsfähigkeit der GmbH, insbesondere die Willensbildung im Rahmen der Gesellschafterversammlung, beeinträchtigt wird. In der Folge obliegt es dem Pfleger insbesondere, das Stimmrecht aus dem einstweilen blockierten Geschäftsanteil im wohlverstandenen Interesse des wahren Berechtigten auszuüben.171
2. Verhinderung der Listenkorrektur Von der vorläufigen Durchsetzung eines Anspruchs auf Listenkorrektur ist die Fallgestaltung zu unterscheiden, in welcher der (noch) in der Liste eingetragene Gesellschafter einstweilen verhindern will, dass die Geschäftsführer eine geänderte – nunmehr für den bisherigen Eingetragenen nachteilige – Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichen.
a) Korrekturbefugnis des Geschäftsführers aa) Meinungsstand Mit Urteil vom 17.12.2013 hat der II. Zivilsenat des BGH die seit langem umstrittene Frage, wer zur Korrektur einer durch den Notar zum Handelsregister eingereichten Gesellschafterliste zuständig ist, mit der schon bisher hM172 zugunsten einer Berichtigungskompetenz des Geschäftsführers entschieden.173 Zwar sind die Geschäftsführer zur Anhörung der bisherigen Listengesellschafter verpflichtet. Sie dürfen die Liste – entgegen der bisher vorherrschenden Literaturauffassung174 – aber auch dann in ihrem Sinne korrigieren, wenn die Gesellschafter einer Änderung widersprochen haben.175 Die Entscheidung hat im Schrifttum 171 Zur Rechtsstellung des Pflegers allgemein vgl. Schwab in MünchKomm/ BGB, 6. Aufl. 2012, § 1913 Rz. 18; Bienwald in Staudinger, BGB, 2013, § 1913 Rz. 3; Zimmermann in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, § 1913 Rz. 7. 172 Für eine Zuständigkeit neben dem Notar: Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 22, 33; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 99, 144; Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 40 Rz. 16; Preuß, ZGR 2008, 676, 681; a.A. Heidinger in MünchKomm/ GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 124; Herrler, GmbHR 2013, 617, 620. 173 BGH GmbHR 2014, 198 Rz. 33 ff. 174 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 22b; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 38; Altmeppen in Roth/Altmeppen, 7. Aufl. 2012, § 16 Rz. 46; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 39; a.A. Liebscher/C. Goette, DStR 2010, 2038, 2042 f. 175 BGH GmbHR 2014, 198 Rz. 36 ff.
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ein gespaltenes Echo erfahren.176 In der Sache hat der BGH richtig entschieden.177
bb) Keine Verfahren analog § 67 Abs. 5 AktG Zunächst kann die Gegenauffassung nicht auf eine analoge Anwendung des § 67 Abs. 5 AktG gestützt werden, denn der Reformgesetzgeber, obgleich er in den Materialien178 für das Erfordernis der Anhörung auf die Regelung verweist, hat die aktienrechtliche Sondervorschrift gerade nicht ins modernisierte GmbH-Recht übernommen. Das ist im Hinblick auf das in der Praxis als schwerfällig und zeitintensiv empfundene Berichtigungsverfahren nach § 67 Abs. 5 AktG auch durchaus nachvollziehbar. In rechtsmethodischer Hinsicht fehlt es daher bereits an der Planwidrigkeit der Regelungslücke.179 Zudem fehlt es auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage, denn die gespaltene Kompetenzzuweisung an Geschäftsführer und Notare findet bei dem ausschließlich in Verantwortung des Vorstands geführten Aktienregister keine Entsprechung.180 Und schließlich darf auch die diffuse Missbrauchsgefahr, die im Schrifttum immer wieder in diesem Zusammenhang beschworen wird, nicht daran vorbeigehen, dass die Korrekturbefugnis des Geschäftsführers eine ökonomisch sinnvolle und zugleich unkomplizierte Listenkorrektur für den praktischen Regelfall gewährleistet. Das gilt umso 176 Zustimmend Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 7; Lieder, NZG 2014, 329, 331; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 144; Paefgen/Franke, EWiR 2014, 205 f.; Schiemzik/Jänig, NWB 2014, 855, 859; Wiersch, GWR 2014, 117, 118 ff.; kritisch Bayer, GmbHR 2014, 202 ff.; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 125 ff.; Leyendecker-Langner, ZGR 2015, 516, 524; Seebach, DNotZ 2014, 413, 415 f.; Tebben, DB 2014, 585, 586 f. – Ohne auch nur die Grundsatzentscheidung des BGH zu erwähnen, vertritt OLG München GmbHR 2015, 1214, 1215 f. die Auffassung, dass analog § 67 Abs. 5 Satz 2 AktG eine Löschung der Eintragung bei Widerspruch des Betroffenen nicht in Betracht kommt, wenn infolge einer Mitteilung bereits eine Änderung der Liste erfolgt ist. 177 Dazu bereits ausf. Lieder, NZG 2014, 329, 331. 178 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 44: „Bereits aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten der Geschäftsführer folgt, dass in diesem Fall – wie in § 67 Abs. 5 AktG für das Aktienregister ausdrücklich ausformuliert – den Betroffenen vor Veranlassung der Berichtigung die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben ist.“ 179 So auch Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 144; Liebscher/C. Goette, DStR 2010, 2038, 2042. 180 So auch Wiersch, GWR 2014, 117, 119.
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mehr, als sorgfaltswidrig handelnden Geschäftsführern haftungsrechtliche Sanktionen drohen und dem Eingetragenen Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stehen.181
cc) Kein formelles Konsensprinzip Ernst zu nehmen ist allerdings der Hinweis der Gegenauffassung auf die allgemeinen Voraussetzungen der Listenkorrektur,182 die nach Maßgabe des § 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG auf Mitteilung und Nachweis erfolgt. Allerdings dürfen an beide Voraussetzungen im Interesse der materiellen Richtigkeit der Gesellschafterliste keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist es – entgegen der hM183 – nicht erforderlich, dass die Mitteilung tatsächlich von einem Betroffenen herrührt. Man denke nur an die Konstellation des verstorbenen Mitgesellschafters.184 Weigern sich die übrigen Gesellschafter, dem Geschäftsführer die durch den Tod ihres Mitgesellschafters erfolgte Veränderung mitzuteilen, bestünde nach dieser Auffassung keine Möglichkeit eine Korrekturmaßnahme zugunsten des testamentarisch bedachten Nachfolgers in die Gesellschafterstellung einzuleiten.185 Im Übrigen äußert sich § 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG gerade nicht dazu, wer Mitteilung zu machen hat. Insbesondere ist der Vorschrift nicht zu entnehmen, dass die Mitteilung vom Listengesellschafter oder einem Mitgesellschafter herrühren muss. Es gilt gerade kein formelles Konsensprinzip.186 Das im Grundbuchrecht verankerte Voreintragungsprinzip (vgl. § 39 GBO) hat in den §§ 16, 40 GmbHG gerade keine Entsprechung gefunden. Auch eine analoge Anwendung muss ausscheiden, weil die Gesellschafterliste in zentralen Punkten vom Grundbuch ab181 Hierzu sogleich unten III. 2. b). 182 Vgl. Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 91; Wiersch, GWR 2014, 117, 120. 183 Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 93 ff.; Oetker in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 40 GmbHG Rz. 15; Terlau in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 40 Rz. 15; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 20; Bednarz, BB 2008, 1854, 1858 f.; Götze/ Bressler, NZG 2007, 894, 895. 184 Zum Problem ausf. Lange, GmbHR 2012, 986, 989 f. 185 Für eine – wenig stringente – Abweichung vom strengen Mitteilungserfordernis (Listenprinzip) der hM im Erbfall Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 96; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 40 Rz. 42; Terlau in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 40 Rz. 15. 186 Dazu ausf. oben II. 1. c).
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weicht.187 Insbesondere fehlt es für die Gesellschafterliste an einem Verfahren, das – in Parallele zum grundbuchrechtlichen Eintragungsverfahren – eine vergleichbare Gewähr für die Richtigkeit und Verlässlichkeit der Eintragungen in die Gesellschafterliste vermitteln könnte. Während die Grundbücher von einer staatlichen Stelle geführt werden und die Mitwirkung des Notars eine besondere Richtigkeitsgewähr verbürgt,188 liegt die Führung der Gesellschafterliste nach dem gesetzlichen Regelfall in den Händen der Geschäftsführer mit allen bekannten Schwächen und genießt daher keine vergleichbare Richtigkeitsgewähr.189 Erschwerend kommt hinzu, dass die Eintragung der Rechtsänderung – anders als im Immobiliarsachenrecht (vgl. § 873 Abs. 1 BGB) – auch keine konstitutive Wirkung entfaltet und es daher vielfach zu einem Auseinanderfallen von materieller Rechtslage und Listeninhalt kommt. Aus diesem Grund erscheint es wenig sinnvoll, für eine Listenkorrektur die Zustimmung des Listengesellschafters oder eines anderen (eingetragenen) Gesellschafters zu verlangen. Vor diesem Hintergrund ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass die Mitteilung in dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt durch Beschluss der Gesellschafterversammlung erfolgte. Diese Mitteilung darf nicht mit einer etwaigen Weisung der Gesellschafterversammlung verwechselt werden. Denn die Gesellschafterversammlung ist dem Geschäftsführer in Fragen der Listenerstellung und Einreichung zum Handelsregister nach zutreffender hM190 gerade nicht weisungsbefugt. Umgekehrt han187 Dementsprechend wird im Schrifttum mit Recht davon gesprochen, dass es sich bei der Gesellschafterliste nicht um ein „kleines Grundbuch“ handele; vgl. Mayer, MittBayNot 2014, 24, 25; Vossius, DB 2007, 2299; Wachter, NZG 2009, 1001, 1005. 188 Dazu eingehend Lieder, AcP 210 (2010), 857, 869 ff.; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 466 ff. 189 Dazu ausf. Lieder, AcP 210 (2010), 897, 904 f.; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 484 ff.; vgl. weiter Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 4, 10; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 348 ff.; Harbarth, ZIP 2008, 57, 61 ff.; Kort, GmbHR 2009, 169, 175; Mayer, DNotZ 2008, 403, 430 ff.; Preuß, ZGR 2008, 676, 693 ff.; Schüßler, Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen, 2011, S. 104 ff.; a.A. (keine Bedenken) Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 125; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 63; Wiersch, Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Anteilen, 2009, S. 186 f. 190 OLG Brandenburg GmbHR 2013, 309, 310; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 17; Bayer in Liber Amicorum M. Winter,
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delte der Geschäftsführer aber sorgfaltswidrig, wenn er einen belastbaren Hinweis der Gesellschafterversammlung auf die nachweisliche Unrichtigkeit der Gesellschafterliste einfach übergeht. Stattdessen ist er verpflichtet, die erlangten Informationen und Nachweise191 sorgfältig zu prüfen und sich – ggf. unter Hinzuziehung sachverständigen Rates192 – ein eigenes Urteil über die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises zu bilden und daraufhin die neue Gesellschafterliste zu erstellen. Hat der Geschäftsführer demnach sichere Kenntnis von einer Veränderung i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, ist er auch berechtigt, die Listen entsprechend zu ändern und zur Aufnahme in das Handelsregister einzureichen.193
b) Einstweilige Verfügung gegen die Listenkorrektur Davon abgesehen werden die berechtigten Interessen des (noch) Eingetragenen durch die Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes hinreichend gewahrt.194 Hier kommt zunächst die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit der Gesellschafterliste195 in Betracht.
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2011, S. 9, 38; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 120; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 101; im Ergebnis auch Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 40 Rz. 39; Hasselmann, KSzW 2013, 46, 53; a.A. Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, MoMiG Nachtrag, § 40 Rz. 18 aE. Zu den Anforderungen im Einzelnen Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 19 ff.; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 105 ff. Zur Zulässigkeit ungeachtet der Höchstpersönlichkeit der Listenerstellung vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 40 Rz. 17; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 115; Wachter in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl. 2015, § 40 Rz. 21. Wie hier auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 40 Rz. 7; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 51, 99; Hasselmann, NZG 2009, 486, 488; Lange, GmbHR 2012, 986, 990; Wachter, ZNotP 2008, 378, 383; wohl auch Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 40 Rz. 10a; a.A. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 40 Rz. 26; differenzierend Wiersch, GWR 2014, 117, 120: Korrektur einer ursprünglich fehlerhaften Liste durch Geschäftsführer ist zulässig; Korrektur einer nachträglichen Fehlerhaftigkeit erfolgt nur nach Mitteilung und Nachweis. Vgl. auch Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 40 Rz. 144; Liebscher/C. Goette, DStR 2010, 2038, 2042. Dazu näher unten III. 3.
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Ob darüber hinaus auch eine einstweilige Untersagung der Listenkorrektur erwirkt werden kann196, ist demgegenüber zweifelhaft. Zwar liegt der Verfügungsanspruch vor, wenn der Antragsteller wahrer Inhaber des von der beabsichtigten Änderung betroffenen Geschäftsanteils ist und die angestrebte Listenkorrektur daher zu einer Unrichtigkeit der Gesellschafterliste führen würde. Schwierigkeiten bereiten aber erneut die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes und das Vorwegnahmeverbot. An den Verfügungsgrund sind auch bei der hier vorliegenden Sicherungsanordnung keine geringen Anforderungen zu stellen. Nach Maßgabe des § 935 ZPO muss zu besorgen sein, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist durch Interessenabwägung zu ermitteln.197 Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt eine Sicherungsanordnung nur in Betracht, wenn keine weniger einschneidenden Maßnahmen zur Verfügung stehen.198 In Betracht kommt wiederum nachträglicher Rechtsschutz, der sich nicht unmittelbar gegen die Listenkorrektur richtet, sondern einstweilen zu verhindern sucht, dass der neu eingetragene Gesellschafter die mit dem Geschäftsanteil verbundenen Mitgliedschaftsrechte ausüben kann.199 Weiterhin kann er nachgelagerten Rechtsschutz dergestalt begehren, dass er sich gegen den Vollzug ohne seine Mitwirkung gefasster Beschlüsse zur Wehr setzt. Zusätzlich könnte für den „eingefrorenen“ Anteil eine Pflegschaft für unbekannte Beteiligte nach § 1913 BGB angeordnet werden. Nur wenn dieser nachträgliche Rechtsschutz in Kombination mit der Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit der Gesellschafterliste200 im Ausnahmefall nicht ausreicht, um die Rechtsposition des durch die Listenkorrektur Benachteiligten zu gewährleisten, erfordert die verfassungsrechtlich verankerte Garantie eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise die vorläufige Untersagung der Korrekturmaßnahme.201
196 So ausdrücklich BGH GmbHR 2014, 198 Ls. 3 und Rz. 36, 39; ebenso Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 704; a.A. Voß, jurisPR-HaGesR 4/2014, Anm. 3. 197 Dazu bereits oben III. 1. b). 198 Siehe nochmals oben III. 1. b). 199 Zum Ganzen s. oben III. 1. b). 200 Siehe unten III. 3. 201 Für eine entsprechende Ausnahme auch Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 8.
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Dass eine einstweilige Untersagungsverfügung auf Ausnahmefälle beschränkt sein muss, ergibt sich darüber hinaus bereits aus der grundsätzlichen Anerkennung der Korrekturkompetenz des Geschäftsführers: Könnte der Gesellschafter nämlich in jedem Fall die Einreichung der geänderten Gesellschafterliste im Wege vorläufigen Rechtsschutzes unterbinden, würde die dem Geschäftsführer durch den BGH aus gutem Grund zuerkannte Korrekturbefugnis funktionell ausgehöhlt. Der einstweilige Rechtsschutz würde dann im GmbH-Recht die Funktion wahrnehmen, die dem Widerspruch nach § 67 Abs. 5 AktG im Aktienrecht zukäme. Der Nichteingetragene müsste demnach aktiv seine Eintragung in die Gesellschafterliste betreiben – ein Ergebnis, das der BGH durch Anerkennung der Korrekturzuständigkeit der Geschäftsführer gerade vermeiden wollte. Folgt man dem BGH – mit guten Gründen202 – in diesem Punkt, dann muss diese Wertung des materiellen Rechts auch auf die Gewährleistung einstweiligen Rechtsschutzes durchschlagen. Dementsprechend kommt eine vorläufige Unterlassungsverfügung regelmäßig nicht in Betracht.203
3. Eintragung eines Widerspruchs Die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit der Gesellschafterliste nach Maßgabe des § 16 Abs. 3 Satz 4 GmbHG ist das Mittel der Wahl, um den redlichen Erwerb eines Geschäftsanteils von dem zu Unrecht in der Gesellschafterliste Eingetragenen zu verhindern.204 Die Zuordnung des Widerspruchs erfolgt entweder aufgrund einer Bewilligung des Eingetragenen oder aufgrund einstweiliger Verfügung. Letztere ist gegen denjenigen zu richten, der nach Auffassung des Antragstellers zu Unrecht in der Gesellschafterliste eingetragen ist.205 Zuständig ist das Prozessgericht der Hauptsache (§§ 937 Abs. 1, 943 Abs. 1 ZPO).
202 Siehe nochmals oben III. 2. a). 203 Im Ergebnis ebenso Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 8. 204 Zur Legitimationswirkung nach § 16 Abs. 1 GmbHG s. oben I. 1., II. 2. b), II. 4. a). 205 OLG Jena GmbHR 2013, 145, 146; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 73; Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 16 Rz. 37; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 286, 291; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 93; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 84; Wicke, GmbHG, 3. Aufl. 2016, § 16 Rz. 25; abweichend Prasse/Strotmann, BB 2010, 1747, 1748: zumindest in Ausnahmefällen auch die Geschäftsführer.
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a) Verfügungsanspruch Der Verfügungsanspruch setzt voraus, dass der Antragsteller gegen die GmbH einen Anspruch auf Listenkorrektur hat. Zu diesem Zweck muss er seine materielle Rechtsstellung als Inhaber des fraglichen Geschäftsanteils glaubhaft machen können.206 Die Glaubhaftmachung erfolgt durch Vorlage präsenter Beweismittel, wie z.B. eidesstattliche Versicherungen (§ 294 ZPO)207, schriftliche Zeugenerklärungen208 oder notarielle Urkunden, aus denen sich die Gesellschafterstellung des Antragstellers ergibt.209
b) Verfügungsgrund Darüber hinaus braucht der Antragsteller – im Rahmen des Verfügungsgrundes (§§ 935, 940 ZPO) – nach Maßgabe des § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG keine Gefährdung seines Rechts glaubhaft zu machen.
aa) Meinungsstand Die Dringlichkeitsvermutung gilt nach hM auch für innerhalb der Dreijahresfrist des § 16 Abs. 3 Satz 2 GmbHG erlassene, einstweilige Verfügungen.210 Zuweilen wird die Vermutung aus § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG – in Übereinstimmung mit einer zu § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB vertretenen Auffassung211 – sogar insgesamt für unwiderleglich gehal-
206 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 39; OLG Jena GmbHR 2013, 145, 146; OLG Nürnberg GmbHR 2014, 1153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 73; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 93. 207 OLG Nürnberg GmbHR 2014, 1153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 73; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 93. 208 Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 93; Werner, GmbHR 2014, 1155. 209 Vgl. Prasse/Strotmann, BB 2010, 1747, 1748; Werner, GmbHR 2014, 1155. 210 KG ZIP 2010, 2047, 2051; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 73; Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 282; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 183; vgl. weiter Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 16 Rz. 37; Wiegand-Schneider in MünchHdb. GesR VII, 2016 (im Erscheinen), § 36 Rz. 33. 211 Vgl. Gursky in Staudinger, BGB, 2013, § 885 Rz. 29; Kohler in MünchKomm/ BGB, 6. Aufl. 2013, § 885 Rz. 7; Peters/Jacoby in Staudinger, BGB, 2014, § 648
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ten.212 Demgegenüber plädiert das OLG Nürnberg213 dafür, den Antragsteller nur von der Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes zu dispensieren, nicht aber von dem Vorliegen des Verfügungsgrundes als solchen. Soweit der Antrag innerhalb der Dreijahresfrist gestellt werde, müsse die konkrete Gefahr eines redlichen Anteilserwerbs mittels Sachvortrags substantiiert werden.214
bb) Dispens vom Verfügungsgrund Die vom OLG Nürnberg vertretene teleologische Reduktion des § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG ist abzulehnen. Weder kann der wahre Berechtigte auf die Erhebung der Hauptsacheklage noch auf Verhandlungen mit dem Eingetragenen verwiesen werden. Dem Gesetzeswortlaut ist für eine solche Einschränkung kein Anhaltspunkt zu entnehmen. Die Vorschrift spricht im Allgemeinen davon, dass die „Gefährdung des Rechts des Widersprechenden (…) nicht glaubhaft gemacht werden“ muss. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich nur auf die Glaubhaftmachung, nicht aber auf das Vorliegen des Verfügungsgrundes als solchen verzichten wollen, hätte er dies sprachlich klar zum Ausdruck bringen können und müssen. Angesichts des Umstandes, dass der Verfügungsgrund nach Maßgabe des §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO nach allgemeinen Grundsätzen glaubhaft zu machen ist, suggeriert die gesetzliche Formulierung, dass das im Regelfall notwendige Erfordernis bei der Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste schlichtweg entfallen soll. Für diese Auffassung spricht auch die getrennte Regelung der Dreijahresfrist im Zusammenhang mit dem Zurechnungserfordernis in § 16 Abs. 3 Satz 2 GmbHG. Wollte der Gesetzgeber tatsächlich an der konkreten Gefährdung des Rechtsverlusts festhalten, hätte eine integrierte Regelung in Verbindung mit der Dreijahresfrist nahegelegen. Dass ihm dieser Gedanke in Wahrheit fremd war, belegen indes die Gesetzesmaterialien, wenn es dort heißt: Der wahre Berechtigte habe „nach Eintritt Rz. 40; Wilhelm, Sachenrecht, 4. Aufl. 2010, Rz. 2258; Assmann, Die Vormerkung, 1998, S. 344 f.; zur Gegenauffassung näher unten III. 3. b) bb). 212 Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 84. 213 OLG Nürnberg GmbHR 2014, 1153; zustimmend Eickelberg/Ries, NZG 2015, 1103, 1107; Werner, GmbHR 2014, 1155 f.; ablehnend Dittert, NZG 2015, 221, 222 f.; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 6 f.; März, GmbH-StB 2014, 317, 318 f.; Wettich, GWR 2014, 434. 214 Zumindest für einen abstrakten Vortrag der Möglichkeit eines redlichen Erwerbs durch Dritte Prasse/Strotmann, BB 2010, 1747, 1748.
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der Unrichtigkeit drei Jahre Zeit, die Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste zu veranlassen oder auf Korrektur der Liste hinzuwirken und auf diese Weise einen gutgläubigen Erwerb des ihm zustehenden Anteils auszuschließen“. Weiter spricht die Regierungsbegründung zum MoMiG davon, die einstweilige Verfügung werde nur erlassen, „wenn der Anspruch auf Einreichung einer korrigierten Liste glaubhaft gemacht ist“, ohne als weitere Voraussetzung zumindest das Vorliegen des Verfügungsgrundes zu erwähnen.215 Die gegenteilige Auffassung führt hingegen dazu, dass die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung innerhalb der Dreijahresfrist – entgegen dem in den Materialien zum Ausdruck kommenden Willen des Reformgesetzgebers – faktisch ausgeschlossen ist. Hinzu kommt, dass mit Blick auf den herannahenden Ablauf der Dreijahresfrist gerichtlich festgestellt werden muss, wann im Einzelfall eine konkrete Gefährdung des Gesellschafterrechts gegeben ist. Die hiermit verbundenen Schwierigkeiten einer (zeitlichen) Grenzziehung sind – eingedenk der für das Hauptsacheund Vollstreckungsverfahren notwendigen Dauer – mit Händen zu greifen. Zudem würde es dem gesetzlichen Grundgedanken evident zuwiderlaufen, die konkrete Gefährdung erst nach Ablauf der Dreijahresfrist anzunehmen.216 Zudem wird der Antragsteller auf Grundlage der Gegenauffassung mit der Begründungslast für das Vorliegen einer konkreten Anspruchsgefährdung und ggf. der Zurechenbarkeit für die Unrichtigkeit der Gesellschafterliste belastet, was sich schwerlich mit der Systematik des hybriden Gutglaubenstatbestands des § 16 Abs. 3 GmbHG in Einklang bringen lässt. Mit Blick auf die schwerwiegenden Folgen eines redlichen Erwerbs muss es dem wahren Berechtigten stattdessen möglich sein, auch bei Zweifeln über die Zurechnung der Unrichtigkeit i.S.d. § 16 Abs. 3 Satz 3 GmbHG den Rechtsverlust schnell und effektiv gerichtlich auszuschließen.217 Für die hier vertretene Position spricht weiter ein Blick auf das vorherrschende Verständnis der §§ 885 Abs. 1 Satz 2, 899 Abs. 2 BGB, denen § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG nachgebildet ist.218 Auch für die Eintragung der Vormerkung und des Widerspruchs im Immobiliarsachenrecht ist eine Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes nicht notwendig. Beide 215 Beide Zitate: Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 39. 216 So aber OLG Nürnberg GmbHR 2014, 1153, 1154; wie hier im Ergebnis hingegen KG ZIP 2010, 2047, 2051. 217 So auch Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 6. 218 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 39.
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Vorschriften werden in dem Sinne verstanden, dass es keines Verfügungsgrundes als solchen bedarf und gerade nicht nur auf die Geltendmachung verzichtet wird. Daher kann eine Vormerkung nach § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB219 ebenso wie ein Widerspruch nach § 899 Abs. 2 Satz 2 BGB220 auch dann erlassen werden, wenn es im Einzelfall an einer konkreten Gefährdung des Gläubigers fehlt.
cc) Keine Selbstwiderlegung Umgekehrt hindert die Dreijahresfrist daran, aus einem Zuwarten vor der Antragstellung darauf zu schließen, dass die Dringlichkeitsvermutung durch eigenes Verhalten des Antragstellers widerlegt sei (Selbstwiderlegung).221 Namentlich bei § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB lässt die Rechtsprechung eine Widerlegung der Vermutung nach Ablauf eines Zeitraums von 18 bis 36 Monaten zu.222 Diese Auffassung kann indes schwerlich auf § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG übertragen werden, weil angesichts des besonderen Zurechnungserfordernisses innerhalb der Dreijahresfrist des § 16 Abs. 3 Satz 2 GmbHG für den wahren Berechtigten kein Anlass besteht, den Widerspruch möglichst schnell eintragen zu lassen, soweit keine Rechtsnachteile zu besorgen sind. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist der wahre Gesellschafter zunächst durch das Zurechnungserfordernis geschützt. Diese Überlegung steht auch in Einklang zur hier vertretenen Auffassung, § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG dispensiere von dem Erfordernis des 219 OLG Königsberg SeuffA 63 Nr. 44; OLG Hamm MDR 1966, 236; OLG Koblenz MDR 2007, 1307; Gursky in Staudinger, BGB, 2013, § 885 Rz. 29; Kohler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 885 Rz. 7; Stamm in jurisPK/BGB, 7. Aufl. 2014, § 885 Rz. 62 f. 220 Gursky in Staudinger, BGB, 2013, § 899 Rz. 60; vgl. weiter Protokolle zum BGB, Bd. 3, 1899, S. 115 f.; OLG Schleswig Rpfleger 2006, 536, 538; Kohler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 899 Rz. 9. 221 Im Ergebnis ebenso KG ZIP 2010, 2047, 2050 f.; Prasse/Strotmann, BB 2010, 1747, 1749 unter Hinweis auf LG München I v. 7.9.2009 – 29 O 14970/09, juris (Ls.); vgl. noch OLG Nürnberg GmbHR 2014, 1153, 1154; Dittert, NZG 2015, 221, 222 f. 222 Vgl. KG MDR 1994, 1011, 1012; OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 825, 826; 2013, 798, 799; OLG Hamm NJW-RR 2004, 379; ebenso Bassenge in Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 885 Rz. 5; Drescher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935 Rz. 23; a.A. Gursky in Staudinger, BGB, 2013, § 885 Rz. 29; Kohler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 885 Rz. 7; Peters/Jacoby in Staudinger, BGB, 2014, § 648 Rz. 40; Wilhelm, Sachenrecht, 4. Aufl. 2010, Rz. 2258; Assmann, Die Vormerkung, 1998, S. 344 f.
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Verfügungsgrundes. Denn es entspricht dem – in den Materialien zum Ausdruck gelangten – legislatorischen Grundverständnis, dass der Berechtigte volle drei Jahre lang Zeit haben soll, um den Widerspruch eintragen zu lassen. Die hiermit verbundene Stärkung der Rechtsposition des zu Unrecht Nichteingetragenen ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die Gesellschaft infolge der Einreichungskompetenz der Geschäftsführer keine hinreichende Gewähr für die Richtigkeit und Verlässlichkeit ihrer Eintragungen bietet.223 Dieses Legitimationsdefizit erklärt sowohl das besondere Zurechnungskriterium innerhalb der ersten drei Jahre (§ 16 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) als auch das gesteigerte Redlichkeitserfordernis, wonach auch grobfahrlässige Unkenntnis schadet (§ 16 Abs. 3 Satz 3 GmbHG), – auch wenn es durch diese zusätzlichen Anforderungen nicht vollständig kompensiert wird.224 Stattdessen verlangt die mangelnde Richtigkeitsgewähr der Gesellschafterliste außerdem nach der Gewährleistung eines möglichst weitreichenden Schutzes der berechtigten Interessen des wahren Berechtigten. In diesem Kontext ist auch der Verzicht auf den Verfügungsgrund zur Zuordnung eines Widerspruchs nach § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG als auch die Unwiderlegbarkeit der Dringlichkeitsvermutung zu erklären.
c) Antragsbefugnis von Mitgesellschaftern und Geschäftsführern Im Gegensatz zum wahren Berechtigten sind Mitgesellschafter225 und Geschäftsführer226 nach zutreffender, wenn auch sehr umstrittener Auf223 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 484 ff. 224 Dazu im Einzelnen Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 486 f. 225 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 74; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 185; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 94; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 85; Harbarth, ZIP 2008, 57, 61; Werner, GmbHR 2014, 1155; wohl auch Heidinger in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 290; a.A. Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 16 Rz. 228; Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 701; abweichend auch Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 7 für vorkaufsberechtigte Mitgesellschafter. 226 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 16 Rz. 74; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 16 Rz. 94; Verse in Henssler/Strohn, 2. Aufl. 2014, § 16 GmbHG Rz. 85; Werner, GmbHR 2014, 1155; Wiersch, Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Anteilen, 2009, S. 125; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 16 Rz. 84; Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 16 Rz. 228; Heidinger in MünchKomm/ GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 16 Rz. 290; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe,
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fassung nicht zur Antragstellung befugt. Das erklärt sich für Geschäftsführer zwanglos aus deren – inzwischen auch vom BGH anerkannten – Befugnis zur Listenkorrektur.227 Sie sind nicht darauf verwiesen, einen Widerspruch gegen die Richtigkeit der Gesellschafterliste mittels einstweiliger Verfügung durchzusetzen, sondern können selbst aus eigener Machtvollkommenheit eine geänderte Liste zur Aufnahme beim Handelsregister einreichen. Davon abgesehen ist den Geschäftsführern ein eigener Anspruch auf Listenkorrektur auch deshalb abzusprechen, weil sie, soweit sie nicht zugleich Gesellschafter sind, nicht in einem mitgliedschaftlichen Verhältnis zur GmbH stehen, das die rechtsdogmatische Grundlage des Anspruchs auf die Korrekturmaßnahme bildet.228 Die Mitgesellschafter stehen zwar in einem Mitgliedschaftsverhältnis zur GmbH, können aber ebenso wenig einen eigenen Korrekturanspruch gegen die Gesellschaft geltend machen, weil nicht ihre Rechtsposition betroffen ist und von einem redlichen Dritten erworben werden könnte, sondern ausschließlich die Rechtsposition des wahren Berechtigten. Aber selbst wenn man den Verfügungsanspruch bejahen würde, fehlte es Mitgesellschaftern bereits an der abstrakten Möglichkeit eines Rechtsverlusts, weil ihre Gesellschafterstellung zutreffend in der Gesellschafterliste vermerkt ist und daher auch kein Rechtsverlust infolge der Verfügung eines Nichtberechtigten droht. Auch wenn man mit der zutreffenden hM auf einen Verfügungsgrund bei dem vom wahren Berechtigten gestellten Antrag verzichtet,229 scheidet eine Antragsbefugnis der Mitgesellschafter aus teleologischen Gründen von vornherein aus.
IV. Überlegungen de lege ferenda 1. Ausschließliche Mitwirkung des Notars Die Betrachtungen zum Konflikt- und Streitpotential der Gesellschafterliste haben einmal mehr die Schwächen der geltenden Regelungen zum Vorschein kommen lassen. Der zentrale Mangel der Gesellschafterliste besteht darin, dass mit der Einreichungs- und Korrekturzuständigkeit des Geschäftsführers keine hinreichende Gewähr für die Richtigkeit und Verlässlichkeit der Gesellschafterliste als Legitimationsgrundlage GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 16 Rz. 184; Prasse/Strotmann, BB 2010, 1747, 1748; Schlosser in FS Roth, 2011, S. 695, 701. 227 Dazu eingehend oben III. 1. 228 Siehe oben II. 1. 229 Siehe nochmals oben III. 3. b).
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und Rechtsscheinträger verbunden ist. Daraus resultiert für den wahren Berechtigten die große praktische Bedeutung eines leistungsfähigen prozessualen Instrumentariums zur Sicherung seiner Rechtsposition gegenüber der Gesellschaft und dem Listengesellschafter. Konfliktträchtig ist außerdem die gespaltene Einreichungszuständigkeit von Notar und Geschäftsführer nach Maßgabe des § 40 Abs. 1 und 2 GmbHG und die hiermit verbundenen Abgrenzungsfragen. Auch aus der Einbindung ausländischer Notare ergeben sich Friktionen bei der Einreichung von Gesellschafterlisten.230 Und schließlich begründet die Grundsatzentscheidung des BGH eine nicht gering zu schätzende Missbrauchsgefahr bei der Listenkorrektur durch den Geschäftsführer.231 De lege ferenda können alle diese Probleme leicht durch eine ausschließliche Mitwirkung des Notars gelöst werden.232 Dies würde der Gesellschafterliste die nötige Gewähr für die materielle Richtigkeit und Verlässlichkeit geben233 und die mit der gespaltenen Einreichungszuständigkeit verbundenen Schwierigkeiten beseitigen, namentlich soweit der Notar an Übertragungsvorgängen nur mittelbar beteiligt ist.234 Auch das mit der Einreichung von Gesellschafterlisten durch den Geschäftsführer verbundene Missbrauchspotential würde beseitigt und Fälschungen der Gesellschafterliste weitgehend vermieden.235
230 Zur grundsätzlichen Einreichungszuständigkeit ausländischer Notare: BGHZ 199, 270 Rz. 12 f.; dazu Heckschen, BB 2014, 466; Hermanns, RNotZ 2014, 229 ff.; Herrler, GmbHR 2014, 225 ff.; Leitzen, ZNotP 2014, 42 ff.; Lieder/Ritter, notar 2014, 187 ff.; Tebben, DB 2014, 585 ff.; Weller, ZGR 2014, 865 ff.; vgl. weiter Bayer, GmbHR 2013, 897 ff. 231 Siehe nochmals ausf. oben III. 2. a). 232 So schon Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 14; Bayer, notar 2012, 267, 268; Bednarz, BB 2008, 1854, 1859; Flesner, NZG 2006, 641, 643; Grunewald/Gehling/Rodewig, ZIP 2006, 685, 686; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1450; Lieder, AcP 210 (2010), 857, 905; Omlor, WM 2009, 2105, 2108, 2112. – Für eine notarielle Beglaubigung der Unterschriften der Geschäftsführer als Mindestlösung: Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 16/6140, 61, 66 f.; Bayer, notar 2012, 267, 268; Bednarz, BB 2008, 1854, 1858; Bohrer, DStR 2007, 995, 1000. 233 Für Einzelheiten s. Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 488. 234 Vgl. Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 13; Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 488 f. 235 Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 14 unter Hinweis auf Lieder, AcP 210 (2010), 857, 898 ff.
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Zugegeben: Eine obligatorische Notarbeteiligung wäre mit einer höheren Kostenbelastung und (geringfügigen) Verzögerungen der Eintragung verbunden.236 Diese Nachteile würden aber nicht nur durch eine gesteigerte Richtigkeitsgewähr der Gesellschafterliste, sondern auch durch weniger Rechtsstreitigkeiten und so eingesparte Streitbewältigungskosten mehr als aufgewogen. Zugleich könnte auch das – im Hinblick auf den Verfügungsgrund des Widerspruchs nach § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG problematische – Zurechnungserfordernis des § 16 Abs. 3 Satz 2 GmbHG entfallen.237
2. Erweiterte Widerspruchswirkung Davon abgesehen haben die im Zusammenhang mit der Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG diskutierten Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes Defizite für eine effektive Sicherung der nichteingetragenen Berechtigten offenbart, insbesondere die Interessenabwägung im Einzelfall und die unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. In diesem Zusammenhang besteht das Kernproblem darin, dass die Widerspruchswirkung auf die Verhinderung des redlichen Anteilserwerbs beschränkt ist. Deshalb muss der beschwerliche Weg des einstweiligen Rechtsschutzes beschritten werden. De lege ferenda spricht daher viel dafür, den Wirkungsbereich des Widerspruchs auf die Legitimation im Innenverhältnis nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zu erweitern,238 um die mit dem einstweiligen Rechtsschutz verbundenen Rechtsschutzdefizite im Interesse eines effektiven Schutzes des wahren Berechtigten zu beseitigen. Eine sachliche Erweiterung der Widerspruchswirkung ist auch der Forderung nach einer normativen Verankerung des in § 67 Abs. 5 AktG festgeschriebenen Korrekturverfahrens im GmbH-Recht239 vorzuziehen. Ergänzt werden sollte die erweiterte Widerspruchswirkung durch eine dem Notar zuerkannte Befugnis zur Eintragung eines Amtswiderspruchs in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 53 Abs. 1 GBO.240 Dem Registergericht kann diese Befugnis solange nicht an die Hand gegeben wer-
236 Dazu Wiersch, Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Anteilen, 2009, S. 64. 237 Dazu näher Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 2015, S. 531 ff. 238 Vgl. auch Wolfer/Adams, GWR 2015, 339, 341: „erweiterte Widerspruchsmöglichkeit analog zu § 16 Abs. 3 S. 3 GmbHG“. 239 Dafür aber Wiersch, GWR 2014, 117, 120. 240 So schon Link, RNotZ 2009, 193, 219.
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den, als es auf die formelle Prüfung der Gesellschafterliste beschränkt bleibt.241
V. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesen 1. Die Gesellschafterliste ist nach ihrer Aufwertung durch das MoMiG das wichtigste GmbH-Dokument neben dem Gesellschaftsvertrag und birgt gerade deshalb ein erhebliches forensisches Konfliktpotential. 2. Der wahre Berechtigte hat gegen die Gesellschaft einen Anspruch auf Korrektur einer zu seinen Ungunsten falschen Gesellschafterliste. Der Korrekturanspruch ist im Hauptsacheverfahren mittels Leistungsklage gegen die GmbH, nicht etwa gegen die Geschäftsführer durchsetzbar. 3. Zur Listenkorrektur bedarf es keiner Zustimmung des eingetragenen Gesellschafters. Das aus dem Grundbuchrecht bekannte formelle Konsensprinzip findet auf die Gesellschafterliste keine Anwendung. 4. Einer Klage auf Feststellung der Gesellschafterstellung des Nichteingetragenen gegen die GmbH fehlt das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO. Gleiches gilt für die Feststellungsklage zwischen den Prätendenten des streitbefangenen Geschäftsanteils. Zulässig ist allerdings eine Leistungsklage des wahren Berechtigten gegen den Listengesellschafter auf Unterlassung der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten. Gleichermaßen kann mittels Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO die Gesellschafterstellung verifiziert oder falsifiziert werden. 5. Im Passivprozess haftet der Listengesellschafter auf bis zur Listenkorrektur entstandene Einlageschulden. Die Haftung entfällt mit seiner Löschung in der Gesellschafterliste. Den hierauf gerichteten Anspruch kann er widerklagend geltend machen. Die gegen ihn gerichtete Leistungsklage erledigt sich mit der Listenkorrektur. 6. Nur der Listengesellschafter kann GmbH-rechtliche Beschlussmängelklagen erheben. Nach der Listenkorrektur kann der Gelöschte den Rechtsstreit analog § 265 Abs. 2 ZPO fortführen. Der Nichteingetragene kann keine gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelklage geltend ma241 Zur beschränkten Prüfungsbefugnis des Registergerichts vgl. Begr. RegE, BTDrucks. 16/6140, 44; Terlau in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 40 Rz. 22; Bednarz, BB 2008, 1854, 1858; Harbarth, ZIP 2008, 57, 58; Kort, GmbHR 2009, 169, 171. – Zur mangelnden Möglichkeit, die Eintragung bis zur Klärung eines Rechtsstreits über die zugrunde liegende Veränderung der Gesellschafterliste auszusetzen, vgl. OLG Hamburg GmbHR 2014, 1321.
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chen, sondern nur mittels allgemeiner Feststellungsklage die Beschlussnichtigkeit feststellen lassen. Erst nach Listenkorrektur kommt eine rückwirkende Zulässigkeit der gesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelklage analog § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG in Betracht. 7. Der wahre Berechtigte kann seinen Anspruch auf Listenkorrektur regelmäßig nicht mittels einstweiliger Verfügung durchsetzen. Stattdessen kann er eine vorläufige Sicherungsanordnung gegen den Eingetragenen auf Nichtausübung der Gesellschafterrechte erwirken und sich gegen Eingriffe in seine Rechtsposition durch nachgelagerten Rechtsschutz, wie z.B. durch einstweilige Untersagung des Vollzugs nachteiliger Beschlüsse, zur Wehr setzen. Für den gesperrten Geschäftsanteil kann Pflegschaft nach § 1913 BGB angeordnet werden. Nur wenn alle diese Maßnahmen für eine effektive Rechtsgewährleistung nicht ausreichen, kommt ausnahmsweise die einstweilige Korrektur der Gesellschafterliste in Betracht. 8. Der Geschäftsführer ist nach zutreffender Auffassung des BGH befugt, eine als unrichtig erkannte Gesellschafterliste zu korrigieren, auch wenn sie von einem Notar eingereicht worden ist. Der (noch) Eingetragene kann regelmäßig keine einstweilige Untersagung der Listenkorrektur erwirken, sondern nur die vorläufige Nichtausübung der Gesellschafterrechte durch den (neu) Eingetragenen erwirken sowie nachgelagerten Rechtsschutz suchen. 9. Die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit der Gesellschafterliste setzt weder die Glaubhaftmachung noch überhaupt das Vorliegen eines Verfügungsgrundes voraus. Zudem kommt selbst innerhalb der Dreijahresfrist keine Selbstwiderlegung durch Zuwarten vor der Antragstellung in Betracht. Vielmehr ist die Dringlichkeitsvermutung des § 16 Abs. 3 Satz 5 GmbHG unwiderleglich. Geschäftsführer und Mitgesellschafter können keinen Widerspruch erwirken. 10. Das besondere Konfliktpotential der Gesellschafterliste ist auf die Schwächen der geltenden Regelung (§§ 16, 40 GmbHG) zurückzuführen. De lege ferenda sollte daher zum einen ausschließlich der Notar für die Einreichung der Gesellschafterliste zuständig sein. Zum anderen sollten die Widerspruchswirkungen auf die Legitimation im Innenverhältnis nach § 16 Abs. 1 GmbHG ausgedehnt werden. Schließlich sollte ein Amtswiderspruch für Notare nach dem Vorbild des § 53 Abs. 1 GBO geschaffen werden.
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Bericht über die Diskussion des Referats Lieder Philipp Hohmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität zu Kiel Die Diskussion im Anschluss an das von Jan Lieder vorgetragene Referat wurde von Walter Bayer, Friedrich-Schiller-Universität Jena, geleitet, der zunächst selbst das Wort ergriff und darauf hinwies, dass die Möglichkeit, das Thema in einer der Größe nach vergleichbaren Runde zu diskutieren, in Deutschland so noch nicht gegeben war. Einleitend ging Bayer auf vielfältige Fragestellungen ein, die sich aus dem seiner Meinung nach sehr ertragreichen Vortrag des Referenten ergäben. Im Hinblick auf die Legitimationswirkung stelle sich auf materieller Ebene die Frage, ob der Geschäftsführer das Recht zur Listenkorrektur – Herstellung des status quo (der alten Liste) – habe, etwa weil die Änderung nicht eingetreten sei, oder ob der Geschäftsführer jedwede neue Liste einreichen könne, weil er meine, es habe sich etwas geändert, was indes zu einem Konflikt mit dem Gesetzeswortlaut des § 40 Abs. 1 GmbHG führe. Ferner sei zu bedenken, ob die bislang herrschende Meinung zu § 67 AktG von Rechtsprechung und Schrifttum weiterhin auf §§ 40, 16 GmbHG übertragen werden könne. Bisher sei die Wirkung der Legitimation verneint worden, wenn ein Unzuständiger die Liste geändert habe. Nach der Grundsatzentscheidung des BGH vom 17.12.20131 bestehe Anlass, diese Frage neu zu diskutieren. Weiterhin wies der Diskussionsleiter auf prozessuale Fragen der Aktiv- und Passivlegitimation sowie auf die Bedeutung von einstweiliger Verfügung und Glaubhaftmachung hin. Zudem müsse man sich fragen, ob die Listeneinreichung durch den Geschäftsführer die Beweislast verändere und was konkret bewiesen werden müsse: der Änderungseintritt oder die Unrichtigkeit der Liste. Letztlich sei auch problematisch, welche Möglichkeiten bestünden, um sich gegen die Listenänderung zu wehren2 und was genau erforderlich 1 BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, GmbHR 2014, 198 mit Komm. Bayer. 2 An dieser Stelle bildete Bayer folgendes Beispiel: Es hat eine Zwangseinziehung stattgefunden und der Geschäftsführer geht von der Wirksamkeit derselben aus. Der Gesellschafter ist der Meinung, dass kein wichtiger Grund vorgelegen hat, klagt in der Hauptsache, will aber natürlich nicht aus seiner Gesellschafterposition verdrängt werden. Wer muss hier was glaubhaft machen? Dazu nä-
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sei, um einen Widerspruch im Hinblick auf einen gutgläubigen Erwerb nach § 16 Abs. 3 GmbHG in das Handelsregister eintragen lassen zu können. Zunächst schloss sich Johannes Wertenbruch, Philipps-Universität Marburg, der Meinung des Referenten an, dass im Rahmen der Leistungsklage auf Listenkorrektur nur die Gesellschaft selbst passivlegitimiert sei, so dass kein Bedürfnis für eine Doppelklage – bzgl. der Zustimmung des Listengesellschafters – bestehe. Komme es zu einem Rechtsstreit, werde es im Regelfall so sein, dass der (noch) eingetragene Gesellschafter nicht damit einverstanden sein werde, aus der Gesellschafterliste gestrichen zu werden. Er sei auch nicht zur Zustimmung verpflichtet, da – in Übereinstimmung mit dem Referenten – die Gesellschafterliste kein formelles Konsensprinzip beinhalte. Allerdings, so Wertenbruch, müsse eine Nebenintervention nach § 66 ZPO des (noch) eingetragenen Listengesellschafters möglich sein, denn er habe ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Verfahrens. Die verklagte GmbH müsse dann den betreffenden Gesellschafter informieren, was der ZPO zwar nicht expressis verbis zu entnehmen sei, jedoch aus dem Mitgliedschaftsverhältnis abgeleitet werden könne. Ein Beitritt des betreffenden Gesellschafters aufseiten der GmbH obliege sodann ihm selbst, im Regelfall werde er das aber tun, wenn er mit der Streichung aus der Gesellschafterliste nicht einverstanden sei. Lieder teilte die Auffassung Wertenbruchs und wies darauf hin, dass die Nebenintervention in diesem Zusammenhang bislang nicht diskutiert wurde, es allerdings evident sei, dass der noch eingetragene Gesellschafter ein Interesse am Ausgang des Verfahrens habe. Dadurch komme es auch nicht zu einem doppelten Verfahren, sondern der Gesellschafter sei in dem ursprünglichen Verfahren mitbeteiligt. Der Referent stellte noch einmal heraus, dass – obwohl es in der Literatur und auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung häufig vertreten werde3 – es kein doppeltes Klageverfahren geben dürfe und dieser Entwicklung entgegengewirkt werden müsse.
her Kamiyar-Müller, Die fehlerhafte Zwangseinziehung von GmbH-Geschäftsanteilen (Diss. Jena 2015). 3 OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, juris, Rz. 53; OLG Frankfurt v. 19.3.2013 – 5 U 220/12, juris, Rz. 56 = ZIP 2013, 1429 (Ls.); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 40 GmbHG Rz. 20; Lange, GmbHR 2012, 986 (990); Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723 (730).
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In der weiteren Diskussion meldete sich Carsten Müller, Rechtsanwalt aus Düsseldorf, zu Wort und äußerte eine Frage zur Einreichungszuständigkeit bei einer Klage gegen die Gesellschaft hinsichtlich einer Neueintragung eines Gesellschafters. Grundsätzlich seien die Geschäftsführer für die Einreichung der Listen zuständig. Bei einer Neueinreichung müsse man dann konsequenterweise eine Parallelzuständigkeit des mitwirkenden Notars und des Geschäftsführers annehmen, denn andernfalls könnte der Geschäftsführer bei einer gegen ihn gerichteten Klageerhebung entgegnen, dass er nicht die notwendige Kompetenz für die Einreichung einer neuen bzw. nicht korrigierten Liste innehabe. Bisher sei dies nur für die korrigierte Liste entschieden, jedoch nicht für die Neueinreichung unter der Mitwirkung eines Notars. Denn hier stellte sich das Problem, ob man gegen den Notar vorgehen müsste, wenn dieser – was in praxi häufiger vorkomme – sagt, es lägen materielle Voraussetzungen für einen Anteilsübergang vor, die ein Notar gar nicht beurteilen könne. Als Beispiele nannte Müller etwaige Zwangseinziehungen sowie die Beurteilung des Vorliegens eines gewichtigen Grundes bzw. die Frage, was in der Vergangenheit bereits vorgefallen sei, und ob das ausreiche, um eine Zwangseinziehung nach dem Gesellschaftsvertrag durchzusetzen. All diese Fragen seien verknüpft mit der Passivlegitimation bei Klageeinreichung. Lieder merkte zunächst an, die Leistungsklage auf Listenkorrektur sei gegen die Gesellschaft zu richten. Nur diese werde verklagt und nur sie müsse sicherstellen, dass die Gesellschafterliste entsprechend korrigiert werde. Wenn der Notar für die Korrektur zuständig gewesen sei, dann müsse die Gesellschaft an den Notar herantreten und diesen zur Änderung der Gesellschafterliste bewegen. Zu dem zweiten streitigen Punkt, ob der Geschäftsführer nicht bloß die Liste korrigieren dürfe, sondern auch eine gänzlich neue einreichen könne, stellte der Referent klar, dass letzteres eine Grundsatzfrage sei. Denke man jedoch die Argumentation des BGH4 konsequent zu Ende, dann müsse man zu dem Ergebnis gelangen, dass es dem Geschäftsführer auch erlaubt sein müsse, eine gänzlich neue Gesellschafterliste einzureichen. Dies sei de lege lata die Folge des defizitären Legitimationszustands der Gesellschafterliste und der Einreichungs- und Korrekturzuständigkeit der Geschäftsführer. Sodann ergriff Lars Böttcher, Rechtsanwalt aus Gotha, das Wort und lobte zuvörderst den Beitrag des Referenten dahingehend, dass überhaupt
4 Siehe Fn. 1.
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aufgezeigt wurde, wie problematisch die Gesellschafterliste in der praktischen Handhabung sei. Dem rechtspolitischen Vorschlag des Referenten, de lege ferenda solle der Notar ausschließliche Einreichungskompetenz haben, stehe er indes kritisch gegenüber. Im Anschluss an Bayers Eingangsbeispiel zur Zwangseinziehung5, bemerkte Böttcher, dort sei bereits kein Notar beteiligt. Ein weiteres Problem zeige sich, wenn der Gesellschaftsanteil eingezogen werde. Dann stehe noch ein (vermeintlicher) Gesellschafter in der Liste mitsamt einem Geschäftsanteil, der überhaupt nicht mehr existiere. Im Hinblick darauf stelle sich die Frage, ob der hinter dem eingezogenen Anteil stehende Gesellschafter noch Gesellschafterrechte ausüben dürfe und ob der vorherige Mehrheitsgesellschafter die Gesellschafterversammlung einberufen könne. Problematisch sei auch, ob die Möglichkeit bestehe, dass er nochmal abstimme, obwohl der BGH6 2012 entschieden habe, der „Störenfried“ müsse sofort ausscheiden, und ob die Einziehung bereits vor dem Zeitpunkt der Abfindungszahlung wirksam werde. Ferner müsse man sich – so Böttcher – Gedanken um die Rechtssicherheit machen, wenn der Geschäftsführer die Gesellschafterliste einreicht. Das OLG Hamburg habe entschieden, das Handelsregister dürfe nicht die Richtigkeit der Liste überprüfen7, während das OLG Köln entgegengesetzt entschied8. Abschließend betonte Böttcher in seinem Diskussionsbeitrag, dass die vom Referenten aufgeworfenen Fragen alle sehr dringend seien, jedoch nur ansatzweise darstellten, welch umfangreiche Problematik das Thema aufzeige. Insbesondere seien die Konfliktpunkte, die außerhalb der Gesellschafterliste und überhaupt außerhalb der notariellen Tätigkeit liegen, noch nicht thematisiert worden, zugleich machten erst diese Probleme deutlich, was der Gesetzgeber anno 2008 geschaffen habe. Zu den verschiedenen von Böttcher aufgeworfenen materiell-rechtlichen Fragestellungen betonte Lieder, dass als Vorgabe des Referatsthemas deutlich der Schwerpunkt auf dem Prozessrecht liegen sollte. Es sei daher nicht möglich gewesen, alle großen Problemfelder der GmbH-Gesellschafterliste anzusprechen. Zur Prüfungskompetenz des Registers führte der Referent weiter aus, dass der BGH in der Sache Auslandsbeur-
5 6 7 8
Siehe Fn. 2. BGHZ 192, 236 = GmbHR 2012, 387. OLG Hamburg, GmbHR 2014, 1321. OLG Köln, GmbHR 2014, 1206.
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kundung9 eine derartige Kompetenz sehr restriktiv handhabe. Es sei ein rein formelles Verfahren, dass der Gesetzgeber im Vergleich zum Grundbuch völlig anders angelegt habe. Lieder kritisierte diesen Missstand, der beseitigt werden müsse. Dogmatik allein könne hier nicht helfen; die Gesellschafterliste selbst bedürfe einer Auffrischung. Sodann rekurrierte Franz Enderle, Rechtsanwalt aus München, nochmals auf den rechtspolitischen Vorschlag des Referenten, de lege ferenda die Rolle der Notare zu verstärken. Enderle stimmte dem Vorschlag nicht zu, da die praktische Erfahrung gezeigt habe, dass die Geschäftsführer sehr viel vorsichtiger seien als Notare. Letztere unterlägen in der praktischen Realität einer wesentlich eingeschränkteren Haftung, da sie lediglich nach § 839 BGB iVm. § 19 Abs. 1 BNotO herangezogen werden könnten. Im Ergebnis führe das dazu, dass die von Notaren eingereichten Gesellschafterlisten weniger genau seien als diejenigen der Geschäftsführer. Bevor der Referent dazu Stellung nahm, machte Diskussionsleiter Bayer nochmal darauf aufmerksam, dass es bezüglich der Notarhaftung noch drastischer kommen könne, denn laut BGH sei es auch einem – möglicherweise gar nicht haftenden – Auslandsnotar möglich, eine Gesellschafterliste einzureichen, für dessen Fehler dann niemand herangezogen werden könne. Lieder konterte die Auffassung Enderles, indem er auf die – häufig von Mehrheitsgesellschaftern abhängige – Position des Geschäftsführers aufmerksam machte. Eine perfekte Lösung werde in diesem Zusammenhang nicht zu finden sein, aber man müsse zumindest daran arbeiten, die Situation sukzessive zu verbessern. Und dabei gewährleiste der Notar, der – im Gegensatz zum Geschäftsführer – im Regelfall Jurist sei, zumindest eine gewisse Absicherung von Mindeststandards. Weiterhin fragte Enderle, gegen wen in der praktischen Rechtsanwendung eine einstweilige Verfügung auf Unterlassen der Ausübung der Gesellschafterrechte zu richten sei. Schließlich ging er noch auf eine Situation ein, in der die Rechtsänderung und deren Inhalt der Gesellschaft bereits länger bekannt seien, ohne dass die Gesellschafterliste geändert werde. Würden in der Zwischenzeit mehrere Beschlüsse gefasst, die dem grundlos nicht in die Liste Eingetragenen gegenüber abträglich seien, stelle sich die Frage, ob er sich im Rahmen des Anfechtungs- oder Nichtigkeitsverfahrens entgegenhalten lassen müsse, dass er sich nicht 9 BGHZ 199, 270 = GmbHR 2014, 248; dazu ausführlich Lieder/Ritter, notar 2014, 187 ff.
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auf eine vorgenommene Änderung berufen könne, für die es keinerlei Erklärung gebe. Sei dies der Fall, fragte sich der Redner, ob dann alternativ für den Nichteingetragenen zumindest die Möglichkeit der allgemeinen Feststellungsklage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bestehe. Zunächst nahm Lieder zu der Frage Stellung, was passiere, wenn lange gewartet werde, bis eine Änderung erfolgte oder gegebenenfalls gar nicht geändert werde. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sei problematisch, dass eine Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bestehe und bei dieser bleibe es zunächst. Die Sicherungsanordnung sei ohne weiteres möglich und gegen den Prätendenten zu richten. Der Eingetragene dürfe nicht die Gesellschafterrechte ausüben, denn er verletze entweder das Vertragsverhältnis beim Kauf oder die Rechtsstellung des Mitgliedschaftsrechts. Der quasi-negatorische Abwehranspruch analog §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB sei – so Lieder – relativ unproblematisch und bei entsprechender Glaubhaftmachung auch durchsetzbar. Als weitere Möglichkeit existiere lediglich der nachgelagerte Rechtsschutz, indem die Vollziehung der von Enderle genannten Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgesetzt werde. Umstritten sei jedoch, ob im Vorfeld der Beschlussfassung die Möglichkeit bestehe, diesen abzuwenden. Die herrschende Meinung sehe darin wiederum das Problem der Vorwegnahme der Hauptsache, so dass es nur die Möglichkeit gebe, den Vollzug im einstweiligen Rechtsschutz zu unterbinden. Allerdings betonte der Referent, dass bei entsprechender Glaubhaftmachung sodann zumindest ein Minimum an Schutz gewährleistet sei. Die allgemeinen Grundsätze führten zu der sehr restriktiven Handhabung des Instruments der einstweiligen Verfügung, so dass dies hinzunehmen sei. Letztlich müsse man sich vergegenwärtigen, dass die Gesellschafterliste ein Legitimationsdefizit habe und man nicht davon ausgehen könne, dass sie richtig sei. Schlussendlich meldete sich Benjamin Wagner, Hamburg, zu Wort und äußerte sich zu dem Themenkreis Zwangseinziehung und Gesellschafterliste. Kritisch merkte der Redner an, dass der Referent grundsätzlich eine einstweilige Änderung der Listenkorrektur ablehnte. Es müsste jedoch nach der Ansicht Wagners10 Ausnahmen geben, insbesondere für den Fall der Zwangseinziehung. Der betroffene Anteilsinhaber, dessen Anteil zwangsweise eingezogen wurde, müsse einstweiligen Rechtsschutz dahingehend verlangen können, wieder in die Gesellschafterliste 10 Wagner, Der Status des GmbH-Gesellschafters nach der Zwangseinziehung, S. 187 ff.
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eingetragen zu werden. Das Problem bei der Zwangseinziehung sieht Wagner darin, dass zwischen materiell-rechtlich wirkender Gesellschafterstellung – die laut BGH unabhängig davon eintrete, ob die Abfindung gezahlt wurde oder andere Anpassungsmaßnahmen getroffen wurden – und formeller Gesellschafterstellung unterschieden werden müsse. Mit anderen Worten, wann die Gesellschaft den Anteilsinhaber nicht mehr als Gesellschafter zu behandeln brauche, wofür die Listenlage nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eine Rolle spiele. Anfechtbare Einziehungsbeschlüsse seien zunächst wirksam; bis sie für nichtig erklärt würden, könne viel Zeit vergehen. Es stelle sich nun für den betroffenen Anteilsinhaber die Frage, wie er verhindern könne, dass in der Zwischenzeit Beschlüsse gefasst werden, die er letztlich nach langjähriger prozessualer Klärungsdauer der berechtigten oder unberechtigten Zwangseinziehung nicht gegen sich gelten lassen müsse. Hier sieht der Diskutant ein eklatantes Bedürfnis dafür, durch einstweilige Verfügung die Liste zu korrigieren, nachdem sie geändert wurde. Maßgeblich dafür ist jedoch nach der Auffassung Wagners, dass der Gesellschafter darlegen müsse, die Einziehung sei zu Unrecht erfolgt bzw. die Listenlage sei falsch. Dann könne es keinen Unterschied machen, ob man im Hauptsacheverfahren oder im einstweiligen Rechtsschutz sei, denn in beiden Fällen müsse die Gesellschaft darlegen, dass der Einziehungsgrund bestanden habe. Wagner befürwortete schließlich, diesen Punkt weiter zu diskutieren, da hier auf Seiten der Gesellschaft ein erhebliches Missbrauchspotential liege, die einfach einen Einziehungsgrund vorschieben könne und so den Gesellschafter formell durch Listenänderung aus der Gesellschaft herausdrängen könnte. Lieder stimmte dem Redebeitrag Wagners insoweit zu, dass die Frage der Beweislast in diesem Zusammenhang von enormer Bedeutung sei. Die Grundlage der Legitimationswirkung bleibe aber § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, die solange gelten müsse, bis die Liste geändert werde. An dieser Stelle ist der Referent nicht bereit Abstriche zu machen. Die neue Rechtsprechung zur Zwangseinziehung solle gerade gewährleisten, dass der ungeliebte Gesellschafter durch Beschlüsse aus der Gesellschaft ausscheide und nicht länger den Geschäftsbetrieb stören könne. Dies dürfe auch nicht durch Zulassung einer einstweiligen Änderung der Gesellschafterliste ermöglicht werden. Davon abgesehen werde man in Zukunft aber jedenfalls über die Beweislastverteilung diskutieren müssen. Für eine generelle Beweislastumkehr konnte sich der Referent indes nicht erwärmen. Er plädierte eher für eine behutsame Anwendung der Grundsätze der sekundären Beweislast, so dass die Gesellschaft plausi-
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bel machen müsse, dass es eine Änderung gegeben habe. Ist das der Fall, müsse nach den allgemeinen Grundsätzen der Gesellschafter den vollen Beweis dafür erbringen, dass die Liste fehlerhaft sei bzw. dass er in die Liste wieder aufgenommen werden müsse. In puncto Sonderfall der Zwangseinziehung stimmte Lieder dem Diskussionsredner zu. Die Grundsätze des materiellen Rechts, also der Frage der Beweislast für den wichtigen Grund, müssten in das Annexverfahren eines Rechtsschutzes gegen die Gesellschafterliste bzw. auf Listenkorrektur mit einbezogen werden. Allerdings führe auch das nicht dazu, dass gegen den Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache verstoßen werden dürfe. Die Beweislastverteilung werde zukünftig vielfach das „Zünglein an der Waage“ sein.
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Stichwortverzeichnis Allgemeine Rechtsgeschäftslehre – Bestimmtheitsgrundsatz 59 f. – Kernbereichslehre 60 f. Anlegerschutz – Delisting 76 ff. Aufsichtsrat – Geschlechterquote 110 ff. BGH – Absage Hauptversammlung 9 ff. – Aktienrecht 8 ff., 20 f. – Beratungsvertrag mit Vorstandsmitglied 15 f. – Bestimmtheitsgrundsatz 59 f., 67 f. – Frosta-Urteil 75 ff. – GmbH-Recht 6 ff., 18 ff. – Hauptversammlungsort im Ausland 8 – Kernbereichslehre 55 ff., 67 f. – masseschmälernde Zahlungen 5, 6 ff. – Personengesellschaftsrecht 1 ff., 17 f. – Protokollierung Hauptversammlung 8 f. – Sanieren oder Ausscheiden, Fortführung 2 ff., 72 – Testamentsvollstreckervermerk 7 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – Emittentenleitfaden 27 f. Compliance – Kapitalmarkt-Compliance 36 f. Delisting – Anlegerschutz 76 ff. – Ausnahmetatbestände 80 ff. – Börsenkurs, Maßgeblichkeit 79 – Musterverfahren 86 – Spruchverfahren 86 – Unternehmensbewertung 81 – Verwaltungsrecht 91
Directors’ Dealings – Closed Period 34 ff. Finanzmarktnovellierungsgesetz – Prozessstabilität 25 ff. – Risikomanagement 25 ff. Frauenquote – Akzeptanz in Unternehmen 100 ff. – Bestimmung Führungsebenen 105 ff., 117 – gesetzliche Regelung 97 ff. – gesetzliche Zielsetzung 98 ff. – Zielgrößen, Frauenanteil 102 ff. – s. auch Geschlechterquote Geschlechterquote – Aufsichtsrat 110 ff. – Gesamterfüllung 110 ff. – Societas Europaea (SE), dualistisch strukturiert 113 ff. – Widerspruchslösung 110 ff. – s. auch Frauenquote GmbH-Gesellschafter – GmbH-Gesellschafterliste, Korrekturanspruch 125 ff., 131 ff., 147 ff. GmbH-Gesellschafterliste – Anteilserwerber, Haftung 122 – Korrekturanspruch, einstweiliger Rechtsschutz 147 ff. – Korrekturanspruch, Feststellungsklage 131 ff. – Korrekturanspruch, Leistungsklage 125 ff. Kapitalmarkt-Compliance – Vorstand, Haftung 37 ff. Kernbereichslehre – Aufgabe 56 ff., 67 f. – Grundlagengeschäfte 56 ff. – Otto-Urteil 60 Marktmissbrauchsverordnung (MAR) – Directors’ Dealings 34 ff.
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Stichwortverzeichnis – Naming and Shaming 30 f. – Prozessstabilität 24 ff. – Risikomanagement 24 ff. Mehrheitsbeschluss – s. Mehrheitsklauseln Mehrheitsklauseln – Einstimmigkeitsprinzip 58 ff. – Entzug Gesellschafterrechte 63 – Ersetzung Zustimmung des Gesellschafters 61 ff. – essentialia negotii 61, 70 – Zustimmung des Gesellschafters, antizipierte 61, 67 – Zwei-Stufen-Lehre 58 ff. Mitgliedschaft in der Personengesellschaft – Kernbereich 55 ff., 67 f.
Transparenzrichtlinie – Beteiligungspublizität 26 ff. – Meldesäulen 26 ff. – Naming and Shaming 30 f. – Prozessstabilität 24 ff. – Risikomanagement 24 ff. – Stimmrechtsmitteilungspflicht 26 f. Treuepflichten, gesellschaftsrechtliche – ARAG/Garmenbeck-Grundsätze 41 ff. Unternehmensbewertung – Ertragswertverfahren 81, 94 Unternehmensgeldbuße – Regress 39
Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insiderhandel und Marktmanipulation (CRIM-MAD) – Directors’ Dealings 34 ff. – Prozessstabilität 24 ff. – Risikomanagement 24 ff.
Vorstand – Business Judgment Rule 38 – D&O-Versicherung 46 f. – Festlegung Zielgrößen 102 ff. – Haftung 37 ff. – Haftungsfreistellung 48 – Innenregress 38
Scheingesellschafter – Haftung 137 ff. Societas Europaea (SE) – Beteiligungsvereinbarung 113 ff., 118 – Drittelbeteiligung 118 – Geschlechterquote 113 ff.
Zielgrößen, Frauenanteil – Höhe 108 ff. – matrixartige Führungsstruktur 107 – Societas Europaea (SE), monistisch strukturiert 104 – Status quo 109 – Zielerreichungsfrist 110
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Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 1 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 1999, 146 S., brosch. 29,80 7. ISBN 978-3-504-62701-0 Bd. 2 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2000, 281 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62702-7 Bd. 3 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2000 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 200 S., brosch. 38,– 7. ISBN 978-3-504-62703-4 Bd. 4 – Umwandlungen in den neuen Bundesländern nach der Rechtsprechung des BGH Von RiLG Dr. Guido Wißmann, RiLG Dr. Markus Märtens und VorsRiLG Dr. Enno Bommel. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 171 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62704-1 Bd. 5 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2002, 205 S., brosch. 42,80 7. ISBN 978-3-504-62705-8 Bd. 6 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 204 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62706-5 Bd. 7 – Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling Von RA Dr. Jochen Vetter und RA Dr. Christoph Stadler. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 168 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62707-2
Bd. 8 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2004, 195 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62708-9 Bd. 9 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2005, 187 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62709-6 Bd. 10 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 179 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62710-2
Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 11 – Die GmbH-Reform in der Diskussion Sondertagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62711-9 Bd. 12 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2007, 226 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62712-6 Bd. 13 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2008, 196 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62713-3 Bd. 14 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2009, 206 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62714-0 Bd. 15 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2010, 182 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62715-7 Bd. 16 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2011, 254 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62716-4 Bd. 17 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2012, 215 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62717-1 Bd. 18 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2013, 205 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62718-8 Bd. 19 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2014, 166 S., brosch. 44,80 7. ISBN 978-3-504-62719-5 Bd. 20 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2015, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62720-1