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German Pages 179 Year 2006
Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung
Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg.) Band 10
Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von
Dr. Hans Diekmann Rechtsanwalt, Düsseldorf
Prof. Dr. Wulf Goette Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe
Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer Rechtsanwalt, Köln
Prof. Dr. Gerald Spindler Universitätsprofessor, Göttingen
Prof. Dr. Rüdiger Veil Universitätsprofessor, Hamburg
2006
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel.: 02 21/9 37 38-01, Fax: 02 21/9 37 38-9 43 e-mail: [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 10: 3-504-62710-7 ISBN 13: 978-3-504-62710-2 © 2006 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Umschlaggestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Textformatierung: A. Quednau, Haan Druck und Verarbeitung: Boyens, Heide Printed in Germany
Vorwort Die 8. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung hat am 18. November 2005 mit ca. 350 Teilnehmern in Frankfurt stattgefunden. Der stets am Beginn der Jahrestagung stehende Rechtsprechungsbericht hatte seit Gründung der VGR in den Händen von Herrn Dr. Volker Röhricht, dem seinerzeitigen Vorsitzenden des II. Zivilsenats beim BGH, gelegen. Herr Dr. Röhricht ist im Jahr 2005 in den Ruhestand getreten. Die VGR ist Herrn Dr. Röhricht zu großem Dank dafür verpflichtet, dass er jahrelang die Mühe des Rechtsprechungsberichts getragen hat. Seine Berichte gehörten stets zu den Höhepunkten der Jahrestagungen und haben zum Erfolg der VGR beträchtlich beigetragen. Umso dankbarer sind Vorstand und Beirat der VGR, dass Herr Professor Dr. Wulf Goette als Nachfolger von Herrn Dr. Röhricht im Vorsitz des II. Zivilsenats sich bereit erklärt hat, die Tradition des Rechtsprechungsberichts fortzusetzen. Herr Professor Dr. Goette stellte in den Mittelpunkt seines Vortrags die aktienrechtlichen Entscheidungen zur Haftung der Vorstandsmitglieder wegen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilungen und unrichtiger Quartalsberichte (EM.TV), zur Mithaftung einer Bank wegen Gründungs- und Kapitalerhöhungsschwindels sowie zu den Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat und den Rechtsschutzmöglichkeiten der Aktionäre bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss (Mangusta/Commerzbank I und II). Aus dem Bereich des GmbH-Rechts behandelte Herr Professor Dr. Goette drei Entscheidungen zum sog. „Hinauskündigungsverbot“, das den Senat mehrfach beschäftigt hatte. Zum Abschluss ging er auf die jüngste Entwicklung zu den Auslandsgesellschaften und den offenen Folgefragen dieser Entwicklung ein. Die folgenden Referate waren unterschiedlichen, jeweils aktuellen und für die Praxis wichtigen Themen gewidmet. Herr Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen, behandelte die durch die Vorgänge bei der Deutsche Börse AG verstärkt ins Bewußtsein gedrungene Problematik der immer weiter sinkenden Präsenzquoten in den Hauptversammlungen, die es schon Inhabern relativ kleiner Beteiligungen ermöglichen, ihre Interessen gegen Vorstand und Aufsichtsrat durchzusetzen. Der Referent stellte die europäischen und deutschen Entwicklungen und Perspektiven vor und äußerte sich insbesondere kritisch gegenüber der in Deutschland geführten Diskussion um die Gewährung von Präsenzenboni für die Hauptversammlungsteilnahme. Das folgende Referat von Herrn Rechtsanwalt Dr.
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Vorwort
Hans Diekmann, Düsseldorf, zum acting in concert wandte sich den Zurechnungstatbeständen der §§ 22 Abs. 2 WpHG und 30 Abs. 2 WpÜG zu, die aufgrund ihrer Unschärfe in vielen Situationen eine gravierende Rechtsunsicherheit mit sich bringen. Die bislang vorliegenden gerichtlichen Entscheidungen sind eher geeignet, die Unsicherheit zu erhöhen als die Problematik zu entschärfen. Lücken in der Entwicklung der Haftungsgrundsätze wegen existenzvernichtenden Eingriffs zeigte Herr Professor Dr. Rüdiger Veil, Hamburg, auf und plädierte für § 826 BGB als Rechtsgrundlage sowie die Fortentwicklung durch Bildung von Fallgruppen. Im letzten Beitrag des Tages ging es um die Rechtsfragen des Cash Management. In dem Referat von Herrn Rechtsanwalt Dr. Dr. Georg Maier-Reimer, Köln, und in der anschließenden Diskussion wurden vor allem die Auswirkungen der problematischen BGH-Entscheidung vom 24.11.2003 thematisiert. Vorstand und Beirat der VGR möchten wiederum allen danken, die zum Gelingen der 8. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsteilnehmern sowie den Verfassern der Diskussionsberichte. Ein besonderer Dank gilt abermals Frau Heike Wieland, die im Sekretariat der VGR die Tagungsvorbereitung in Händen hatte. Düsseldorf, im April 2006 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Gerd Krieger
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Inhalt* Seite
Vorwort ..................................................................................................
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Prof. Dr. Wulf Goette, Karlsruhe Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht I. Einleitung .......................................................................................
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II. Aktienrechtliche Fälle ..................................................................
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III. GmbH-rechtliche Fälle .................................................................
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IV. Auslandsgesellschaften in Deutschland ......................................
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Dr. Sven H. Schneider, LL.M. (Berkeley), Frankfurt am Main Bericht über die Diskussion des Referats Goette ................................
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I. Aktienrecht ....................................................................................
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II. GmbH-Recht ..................................................................................
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III. Auslandsgesellschaften in Deutschland ......................................
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Prof. Dr. Gerald Spindler, Universität Göttingen Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung – Entwicklungen und Perspektiven in der EU und in Deutschland I. Stimmrecht und Corporate Governance ......................................
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II. Europäische Reformbestrebungen ................................................
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III. Deutsche Reformbestrebungen: Eine Prämie für die Hauptversammlungsteilnahme und Abstimmung? ....................
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IV. Zusammenfassung .........................................................................
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Assessor Endrik Kramski, Universität Göttingen Bericht über die Diskussion des Referats Spindler .............................
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Ausführliche Inhaltsverzeichnisse jeweils zu Beginn der Beiträge.
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Inhalt
Dr. Hans Diekmann, Düsseldorf Acting in Concert I. Einleitung ......................................................................................
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II. Rechtsvergleichende Betrachtung ................................................
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III. Der Tatbestand des acting in concert ..........................................
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IV. Fallgruppen ....................................................................................
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V. Zusammenfassung ........................................................................
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Dr. Marco Sustmann, Düsseldorf Bericht über die Diskussion des Referats Diekmann .........................
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Prof. Dr. Rüdiger Veil, Bucerius Law School, Hamburg Existenzvernichtungshaftung I. Einführung ..................................................................................... 103 II. Sachverhalte .................................................................................. 106 III. Legitimation einer Gesellschafterhaftung ................................... 107 IV. Dogmatik einer Gesellschafterhaftung ........................................ 113 V. Fazit ................................................................................................ 121 Florian Streiber, Rechtsanwalt, Bucerius Law School, Hamburg Bericht über die Diskussion des Referats Veil .................................... 123 Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer, Köln Rechtsfragen des Cash Management I. Einführung ..................................................................................... 127 II. Stehen gelassene Darlehen ........................................................... 136 III. Konzernrechtliche Überlagerung ................................................. 141 IV. Das obiter dictum des BGH .......................................................... 148 V. Existenzvernichtung ..................................................................... 156
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Inhalt
Dr. Günter Seulen, Köln Bericht über die Diskussion des Referats Maier-Reimer .................... 159
Stichwortverzeichnis ............................................................................ 167
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Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht Prof. Dr. Wulf Goette Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe
I. Einleitung ..................................... 1 II. Aktienrechtliche Fälle ................. 5 1. Der „EM.TV“-Fall ..................... 5 2. Beihilfe zum Gründungs- und Kapitalerhöhungsschwindel ..... 9
3. „Mangusta/Commerzbank I und II“ ...................................... 12 III. GmbH-rechtliche Fälle ............... 17 IV. Auslandsgesellschaften in Deutschland ................................ 20
I. Einleitung Der Herr Vorsitzende unserer Vereinigung hat mir rund 35 Minuten eingeräumt und zugleich seiner Erwartung Ausdruck gegeben, dass ich diesen Zeitrahmen einhalte. Ich will mich bemühen, bitte aber zugleich um Verständnis, dass ich mich unter diesen Umständen natürlich nicht zu allen Ihnen wichtig erscheinenden Erkenntnissen des II. Zivilsenats aus dem zurückliegenden Jahr äußern kann, sondern mich auf wenige, mir besonders hervorhebenswert erscheinende Urteile konzentriere. Im Mittelpunkt stehen werden die aktienrechtlichen Entscheidungen zur Haftung der Vorstandsmitglieder wegen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilungen und unrichtiger Quartalsberichte, einschließlich der Mithaftung der Gesellschaft für das Fehlverhalten ihrer Organe („EM.TV“)1, die Mithaftung einer Bank für einen Gründungs- und Kapitalerhöhungsschwindel – hierbei geht es auch um die Tragweite von Erklärungen im Rahmen des § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG2 – sowie zu den Pflichten des Vorstands und des Aufsichtsrates bei der Ausübung der ihnen erteilten Ermächtigung, das Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zu erhöhen, einerseits und zu den Kontrollbefugnissen der Aktionäre andererseits („Mangusta/Commerzbank I und II“)3. Aus dem weiten Feld des GmbH_______________
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Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270. Urt. v. 29.9.2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012. Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 und II ZR 90/03, ZIP 2005, 2205 und 2207.
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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
Rechts – zugleich mit Blick auf das Personengesellschaftsrecht, dem die Rechtsfigur entstammt – möchte ich eingehen auf das sog. „Hinauskündigungsverbot“, das den Senat in jüngerer Zeit mehrfach beschäftigt hat, zuletzt in drei Urteilen, die mit den Stichworten „Kooperationsvertrag“4, „Mitarbeiter-“5 und „Managermodell“6 gekennzeichnet werden. Zum Abschluss werde ich einen Blick auf die jüngste Judikatur zu den Auslandsgesellschaften7 und die offenen Folgefragen dieser Entwicklung werfen. Jedoch – ehe ich mich diesen Gegenständen zuwende – ein kurzer Blick auf andere Materien, die den Senat im zurückliegenden Jahr in besonderer Weise beschäftigt haben und die voraussichtlich auch im kommenden Jahr einen nicht geringen Teil unserer Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen werden: Es geht einmal um den großen Komplex der sog. Göttinger Gruppe, auch bekannt geworden mit der SECURENTE und Problemen, die mit dem Bankhaus Partin aufgetreten sind8. Kennzeichnend für dieses Anlagemodell ist der Abschluss von Verträgen, nach denen sich jeder Anleger als Stiller Gesellschafter an dem entsprechenden Unternehmen der Göttinger Gruppe beteiligt, ohne dass zwischen den zahlreichen Stillen ein eigenes rechtliches Band geknüpft ist, wie wir es sonst bei Anlagegesellschaften kennen. Der Senat hat in mehreren Entscheidungen ausgesprochen9, dass bei der Lösung aus den Bindungen eines solchen Engagements aus einer zweigliedrigen Gesellschaft – etwa wegen Täuschung des Anlegers – nicht nur die Regeln über den fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt Anwendung finden, sondern dass – unabhängig davon – der betreffende Stille Gesellschafter von seinem Vertragspartner die Rückzahlung seiner Einlage fordern kann; dann allerdings ist er gehindert, noch zusätzlich einen etwaigen Abfindungsanspruch geltend zu machen, weil mit _______________
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Urt. v. 14.3.2005 – II ZR 153/03, ZIP 2005, 706. Urt. v. 19.9.2005 – II ZR 342/03, ZIP 2005, 1920. Urt. v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, ZIP 2005, 1917. Urt. v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, ZIP 2005, 805 und Urt. v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, ZIP 2005, 1869. Urt. v. 19.7.2004 – II ZR 354/02, ZIP 2004, 1707; v. 29.11.2004 – II ZR 6/03, ZIP 2005, 254; v. 21.3.2005 – II ZR 140/03, ZIP 2005, 753 und II ZR 124/03, DStR 2005, 1064 und II ZR 310/03, ZIP 2005, 759 und II ZR 149/03, ZIP 2005, 763; v. 26.9.2005 – II ZR 314/03, ZIP 2005, 2060. Z. B. Urt. v. 19.7.2004 – II ZR 354/02, ZIP 2004, 1707; v. 29.11.2004 – II ZR 6/03, ZIP 2005, 254; v. 21.3.2005 – II ZR 140/03, ZIP 2005, 753.
Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
der Rückzahlung der Einlage der status quo ante wieder hergestellt ist10. Da hierüber offenbar Unklarheit in der Praxis entstanden ist, liegt mir daran – im Anschluss an ein neues Urteil des II. Zivilsenats11 klarzustellen: Der Senat hat sich nicht von den Regeln der fehlerhaften Gesellschaft abgewandt, sondern hält sie – auch wenn kein Gesamthandsvermögen gebildet worden ist12 – nach wie vor für unverzichtbar. Allerdings: Bei der zweigliedrigen Gesellschaft zwischen dem täuschenden Unternehmen und dem Stillen sind diese Grundsätze nicht berührt, so dass der Anleger nicht auf die Verfolgung seines – regelmäßig nicht besonders werthaltigen – Abfindungsanspruchs verwiesen ist13. Ferner rollt die Welle der Schadenersatzklagen aus dem comRoad-Komplex auf den Senat zu, der – soweit dies anhand der ersten bei uns eingegangenen Fälle gesagt werden kann – offenbar dadurch gekennzeichnet ist, dass die eingeworbenen Anlegergelder vollständig in dunklen Kanälen verschwunden sind. Das Problem der Mithaftung der Gesellschaft für die Fehlverhaltensweisen des Managements hat der Senat in der „EM.TV“-Entscheidung14 bereits – und zwar anders als eine Reihe von Oberlandesgerichten – inzwischen entschieden. Schließlich gilt es, die beiden jüngsten Urteile des EuGH15 zu den üblicherweise so genannten „Schrottimmobilien“-Fällen in engem Kontakt mit den Mitgliedern des für das Darlehensrecht nach der Geschäftsverteilung des Bundesgerichthofs primär zuständigen XI. Zivilsenats zu analysieren und zu versuchen, die für die Praxis nur schwer erträgliche Unsicherheit auszuräumen, bei Einleitung des Rechtsstreits vorauszusehen, welche der von den beiden Senaten entwickelten Linien im konkreten Rechtsstreit die Lösung des Falles bringen wird. Die ersten Gespräche sind geführt, und wir alle sind zuversichtlich, nicht nur zu sachgerech-
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10 Urt. v. 21.3.2005 – II ZR 149/03, ZIP 2005, 763, 766. 11 Urt. v. 26.9.2005 – II ZR 314/03, ZIP 2005, 2060. 12 Im Schrifttum wird dies teilweise grundsätzlich anders beurteilt, vgl. z. B. C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 182 ff.; Ulmer, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 750 Rn. 359; Goette, DStR 1996, 269. 13 Urt. v. 26.9.2005 – II ZR 314/03, ZIP 2005, 2060. 14 S. Fn. 1. 15 Urt. v. 25.10.2005 – Rs C-350/03, ZIP 2005, 1959 und Rs C-229/04, ZIP 2005, 1965.
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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
ten, sondern auch voraussehbaren, dem Erfordernis der Rechtssicherheit Rechnung tragenden Lösungen gelangen zu können16. Verhandelt hat der Senat im vergangenen Monat über die Frage, ob bei einem verbotenen Hin- und Herzahlen – etwa, wenn das Herzahlen mit der causa Darlehensgewährung von Statten geht – eine Verdoppelung der Zahlungspflicht des Inferenten (Darlehen und Einlage) eintritt; die Frage spielt auch eine Rolle beim Umgang mit Vorratsgesellschaften, deren Stammkapital darlehensweise zur Gründung neuer Vorratsgesellschaften ausgereicht wird. Hier wird ein Urteil in der kommenden Woche ergehen17. Im Januar18 kommenden Jahres wird der Senat – wenn die Revision nicht erneut zurückgenommen wird19 – über die Ordnungsgemäßheit der Kapitalaufbringung bei Vereinbarung eines cash pool-Systems zwischen Gesellschafter und Gesellschaft zu entscheiden und in einem weiteren Fall zu der im Schrifttum umstrittenen, höchstrichterlich bisher nicht ausdrücklich entschiedenen Frage Stellung zu nehmen haben, ob die Unterbilanzhaftung automatisch erlischt20, wenn die Gesellschaft später so reüssiert, dass die Stammkapitalziffer durch Gesellschaftsvermögen nachhaltig gesichert ist, oder ob die in dem „BALSAM/PROCEDO“-Fall21 für den Anspruch aus § 31 GmbHG entwickelte Linie auch in diesem Zusammenhang gelten muss.
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16 Einer besonderen Antwort auf die in zwei Rechtsstreitigkeiten geäußerten Auffassung eines Zivilsenats eines norddeutschen Oberlandesgerichts, der die Rechtsprechung des II. Zivilsenats für verfassungswidrig gehalten und deswegen geglaubt hat, sich aus der Bindung des § 563 ZPO lösen zu können, wird es in diesem Zusammenhang möglicherweise nicht bedürfen; der genannte Senat hat seine Entscheidung – auch – auf die in dem wieder eröffneten Berufungsverfahren erstmals erhobene Einrede der Verjährung gestützt, war insofern also von den Bindungen des § 563 ZPO frei. Zu dem Beifall und der Kritik, die der Vorsitzende dieses Senats als Referent des diesjährigen Bankrechtstages zu seinen Thesen erfahren hat, vgl. den Tagungsbericht in WM 2005, 1451 ff. 17 Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, ZIP 2005, 2203; s. ferner Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, GmbHR 2006, 306. 18 II ZR 75/04 und II ZR 76/04, GmbHR 2006, 477. 19 Vgl. Goette, DStR 2005, 204 in Anm. zu BGH, Urt. v. 19.7.2004 – II ZR 65/03. 20 II ZR 65/04, GmbHR 2006, 482. 21 BGHZ 144, 336.
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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
Wegen der sicher mit Spannung erwarteten Entscheidung zum acting in concert22 müssen Sie sich noch gedulden: Bisher sind die Rechtsmittel noch nicht einmal von allen Beteiligten begründet worden.
II. Aktienrechtliche Fälle 1. Der „EM.TV“-Fall23 Zwei Vorstandsmitglieder der EM.TV AG haben nach dem mangels tatrichterlicher Feststellung für die revisionsrechtliche Beurteilung zugrunde zu legenden Sachvortrag der Kläger zwischen Februar und November 2000 wiederholt – in einem Fall auf der Grundlage eines Quartalsberichts – bewusst falsche Ad-hoc-Mitteilungen herausgegeben, die die Lage der Gesellschaft in einem besonders günstigen Licht erscheinen ließen. Nach einer diese Mitteilungen in der Sache korrigierenden Gewinnwarnung Anfang Dezember 2000 lag der Aktienkurs deutlich unter 10 Euro gegenüber einem Wert von 116 Euro im Februar 2000. Die 55 – völlig unzweckmäßig24 in einem Prozess auftretenden – Kläger haben mit der Behauptung, durch diese unrichtigen Mitteilungen zum Kauf von Aktien veranlasst bzw. von einem beabsichtigten Verkauf abgehalten worden zu sein, Schadenersatz, und zwar in erster Linie gerichtet auf Naturalrestitution nicht nur von den beiden Vorständen, sondern auch von der Gesellschaft selbst gefordert. In den Tatsacheninstanzen sind die Klagen erfolglos geblieben, wobei beide Gerichte die Möglichkeit schlechthin ausgeschlossen haben, dass die Anleger Schadenersatz auf dem Wege der Naturalrestitution fordern können; den Differenzschaden hat das LG für nicht hinreichend dargelegt gehalten, während das OLG25 es für undenkbar erklärt hat, einen Differenzschaden, wie er hilfsweise gefordert worden war, zu berechnen. Der II. Zivilsenat ist beiden Vorstellungen nicht gefolgt. _______________
22 II ZR 137/05, das Berufungsurteil stammt vom OLG München – 7 U 2792/04, ZIP 2005, 856. 23 Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270; vgl. dazu C. Schäfer, NZG 2005, 985 ff.; Möllers, BB 2005, 1637 ff.; Kowalewski/Hellgardt, DB 2005, 1839 ff.; Kort, NZG 2005, 708 ff.; Gottschalk, DStR 2005, 1648 ff.; Braun, BKR 2005, 415 ff.; Bayer, EWiR 2005, 689 f. 24 Es ging ja nicht um die Feststellung der Unrichtigkeit der einzelnen Mitteilungen, sondern um die nur individuell beantwortbare Frage, ob diese Meldungen den jeweiligen Anleger zu einem ihn schädigenden Verhalten (Kauf oder Abstandnehmen vom Verkauf der EM.TV-Aktien) veranlasst haben. 25 NZG 2002, 1110.
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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
Was zunächst den Haftungstatbestand selbst anbelangt, knüpft der Senat an die „INFOMATEC“-Entscheidung26 an, in der er bekanntlich die in Frage kommenden Haftungsgrundlagen untersucht hat und zu dem Ergebnis gelangt ist, dass neben einer seinerzeit nicht in Betracht kommenden deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG vor allem § 826 BGB den Anlegern zur Seite steht. Da sich die beiden Vorstandsmitglieder in dem „EM.TV“-Fall bei einer der Adhoc-Mitteilungen nach dem revisionsrechtlich als zutreffend zu unterstellenden Vortrag der Kläger auf einen unrichtigen Quartalsbericht gestützt haben sollen – der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die strafrichterlichen Feststellungen des Landgerichts, die die Behauptungen der Kläger stützen, gebilligt27 – kommt hier auch die erstgenannte Anspruchsgrundlage in Betracht. Der erste Schwerpunkt unseres Urteils liegt in der Frage der Schadenberechnung. Dem OLG wird ein fehlerhaftes Verständnis der §§ 249 ff. BGB attestiert und ausgeführt, dass die Kläger – sollten sich in dem wieder eröffneten Berufungsverfahren die einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Haftungsnormen feststellen lassen – nicht auf die Verfolgung eines Kursdifferenzschadens verwiesen sind, sondern – wie unser BGB dies generell anordnet – Naturalrestitution fordern können. Bereits in der „INFOMATEC“-Entscheidung28 hatte der Senat ausgesprochen, dass durch unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen fehlgeleitete Anleger Schadenersatz in der Form fordern können, dass sie Erstattung des von ihnen für die Papiere gezahlten Kaufpreises verlangen können, im Gegenzug aber die Aktien übertragen bzw. – sofern diese inzwischen veräußert worden sind – sich den erzielten Veräußerungserlös anrechnen lassen müssen. Soweit es um die Haftung der beiden Vorstandsmitglieder geht, waren deswegen nähere Ausführungen nicht mehr veranlasst; anders verhält es sich mit der Haftung der EM.TV-AG selbst. Hier geht es zunächst um die Frage, ob die Gesellschaft selbst für das Fehlverhalten ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter einzustehen hat. Die Bedenken, die gegen die _______________
26 Urt. v. 19.7.2004 – II ZR 402/02, ZIP 2004, 1593, z. V. b. in BGHZ 160, 149, dazu Röhricht, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, Bd. 9, 2005, S. 17 ff. 27 Urt. v. 16.12.2004 – 1 StR 420/03, ZIP 2005, 78 ff. 28 II ZR 402/02, ZIP 2004, 1593, z. V. b. in BGHZ 160, 149, dazu Röhricht, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, Bd. 9, 2005, S. 17 ff.
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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
Heranziehung des in § 31 BGB29 niedergelegten Normbefehls aus der Sperrwirkung des § 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG a. F. hergeleitet werden könnten, stehen der Lösung des II. Zivilsenats jedoch im Hinblick auf Satz 2 der genannten Vorschrift und den zugehörigen Ausführungen in den Gesetzesmaterialien, die bei der Normauslegung heranzuziehen sind, nicht entgegen. Gewichtiger ist der Einwand – er begegnet auch in weiteren beim Senat anhängigen Verfahren aus dem comRoad-Komplex30, weil mehrere Oberlandesgerichte ihn dort für durchgreifend erachtet haben –, das aktienrechtliche Kapitalschutzsystem verbiete es, dass jedenfalls die Gesellschaft selbst Schadenersatz auf dem Wege der Naturalrestitution leiste. Die Meinungen in Rechtsprechung31 und Schrifttum32 sind bekanntlich geteilt – der II. Zivilsenat gibt – plakativ gesprochen – bei vorsätzlicher Falschinformation der Anleger, gleichgültig ob es sich um unrichtige Adhoc-Mitteilungen oder um die Veröffentlichung falscher Quartalsberichte handelt, dem Schutz der Adressaten dieser Fehlinformationen Vorrang vor demjenigen der anderen Gläubiger der Gesellschaft. Das Reichsgericht33 hatte seine ursprüngliche streng dem Klägerschutzgedanken verpflichtete Rechtsprechung später34 gelockert und die strenge Linie auf die Fallgestaltungen beschränkt, in denen die Aktien durch Zeichnung oder Ausübung des Bezugsrechts erworben worden waren, während für den Erwerb am Markt die allgemeinen Regeln gelten sollten. Der II. Zivilsenat35 hat Zweifel erkennen lassen, ob diese Differenzierung heute noch gerechtfertigt ist, die Frage aber nicht entscheiden müssen, weil sämtliche Kläger in den „EM.TV“-Fall die Papiere von dritten Marktteilnehmern erworben haben, der Ausnahmefall einer originären Begründung des Mitgliedschaftsverhältnisses durch Zeichnung oder Ausübung des Bezugsrechts also nicht gegeben war. Folgerichtig hat unser Senat die _______________
29 Vgl. dazu BGHZ 99, 298, 302. 30 II ZR 80/04 und II ZR 246/04 – der Senat hat am 28.11.2005 Hinweisbeschlüsse nach § 552a ZPO erlassen, dass er die zugelassenen Revisionen durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen beabsichtigt; vgl. auch C. Schäfer, NZG 2005, 985, 986 m. w. N. 31 Z. B. OLG Frankfurt, ZIP 1999, 1005 ff. 32 Z. B. Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 16 ff., 23 f. für die Abgrenzung zur Prospekthaftung; Henze, NZG 2005, 115 ff. 33 RGZ 54, 128, 132; RGZ 62, 29, 31. 34 RGZ 71, 97 ff.; RGZ 88, 271 ff. 35 Er hat dabei auf die Regelungen in § 15 Abs. 6 und §§ 37b und 37c WpHG und die zugehörigen Gesetzesmaterialen hingewiesen.
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Goette – Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
Haftung der Gesellschaft nicht auf das sog. freie Vermögen beschränkt, wie dies in Teilen des Schrifttums vertreten wird36. Das gilt nach diesem Urteil nicht allein für § 57 AktG, sondern in entsprechender Weise für das in § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG niedergelegte Verbot des Erwerbs eigener Aktien: Auch hier setzen sich allgemeine Prinzipien des Schadenersatzrechts – das schadenrechtliche Bereicherungsverbot – gegenüber den besonderen aktienrechtlichen Schutzvorschriften durch. Es geht nicht darum, den Aktionären auf dem Wege des Rückkaufs der Aktien ihre Einlagen zu erstatten, die unvermeidbare Verringerung des Gesellschaftsvermögens durch Rückzahlung des von dem Anleger aufgewandten Kaufpreises ist vielmehr Folge der zum Schadenersatz verpflichtenden Verhaltensweise des Vorstands, für den die Gesellschaft mithaftet. Die andere Variante der Schadenberechnung, auf die der Senat hinweist, der Ersatz des Differenzschadens macht dies deutlich, weil auch dann Gesellschaftsvermögen an den – ehemaligen – Aktionär zurückfließt, ohne dass § 71 AktG berührt wäre. Die gänzlich verfehlte Zusammenfassung der 55 Klagen in einem Prozess hat mancherlei Unklarheiten in den Urteilen der Tatsacheninstanzen hervorgerufen. Eine davon betrifft die möglicherweise zur Haftung führende Variante des Anlegerverhaltens, von einem fest beabsichtigten Verkauf der Aktien mit Rücksicht auf die die Lage der EM.TV AG beschönigenden Ad-hoc-Mitteilungen Abstand genommen und dadurch Schaden erlitten zu haben. Entsprechende Feststellungen in den Tatsacheninstanzen sind nicht getroffen worden; im Blick auf das wieder eröffnete Berufungsverfahren hat der II. Zivilsenat rein vorsorglich auch zu der Schadensabwicklung für diese Gestaltung Stellung genommen: Der Ersatz auf dem Wege der Naturalrestitution besteht hier in der Zahlung des Verkaufswerts der Aktien an dem besagten Stichtag gegen Übertragung der noch vorhandenen Papiere bzw. Anrechnung des bei einem späteren Termin erzielten Erlöses. In den Hinweisen für die künftige Sachbehandlung schließlich ist unser Senat der Auffassung entgegengetreten, ein Kursdifferenzschaden – sollten die Anleger diese Art der Schadenberechnung wählen – sei nicht ermittelbar. Die unzweifelhaft bestehenden Probleme der Schadenberechnung – der hypothetische Transaktionspreis ist die zu überwindende Hürde – lassen sich mit den Methoden der modernen Finanzwissen_______________
36 Bayer, in: MünchKomm.AktG (Fn. 32), § 57 Rn. 23 f.
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schaft37 lösen, zumindest lässt sich so viel Tatsachenmaterial ermitteln, dass eine Schätzung nach § 287 ZPO möglich wird.
2. Beihilfe zum Gründungs- und Kapitalerhöhungsschwindel In seiner Entscheidung vom 26.9.200538 hatte der II. Zivilsenat darüber zu befinden, unter welchen Voraussetzungen eine in den Kapitalaufbringungsvorgang bei Gründung und Kapitalerhöhung eingeschaltete Bank gegenüber einer Person schadenersatzpflichtig ist, die sich an einer beabsichtigten Kapitalerhöhung beteiligt, ihre „Einlagen“ eingezahlt und den gesamten Betrag verloren hat, weil die betrügerisch handelnde Empfängerin mit dem Geld nicht bestimmungsgemäß verfahren ist. Die Klägerin hat – u. a. – die beklagte Bank in Anspruch genommen, weil diese sich an einem Kapitalerhöhungs- und Gründungsschwindel beteiligt habe, indem ihr Vorstandsmitglied inhaltlich unrichtige Bestätigungen bei der Kapitalerhöhung und ebenso schon bei der Gründung der AG erteilt habe. Wäre – so der Gedankengang der Klägerin – die falsche Erklärung unterblieben, wäre es gar nicht zur Eintragung der Kapitalerhöhung bzw. – bezogen auf den Gründungszeitpunkt – nicht zur Eintragung der Gesellschaft gekommen, und sie hätte dann die eingezahlten Gelder von der Empfängerin zurückerhalten können. Dies ist vor folgendem tatsächlichen Hintergrund zu sehen: In seiner Anmeldung der Kapitalerhöhung, in deren Rahmen die Klägerin für 23.000 DM neue Aktien hat zeichnen wollen, hat der Vorstand der Gesellschaft versichert: „Insgesamt wurde ein Geldbetrag von 15.562.500,– DM bei der Gesellschaft einbezahlt, der endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht“.
Dieser Anmeldung war ein von der beklagten Bank stammendes Schreiben mit folgendem Wortlaut beigefügt: „… daß auf dem vorgenannten Konto … seit Kontoeröffnung bis 15.12.1997 Geldeingänge über DM 15.562.500,– zu verzeichnen waren und diese Mittel dem Vorstand endgültig zur freien Verfügung standen.“
In Wahrheit waren im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung nur noch rund 50.000 DM auf dem Konto der Gesellschaft vorhanden. Die AG war etwa zwei Jahre zuvor am 3.11.1995 gegründet und an dem_______________
37 S. dazu Fleischer, BB 2002, 1869 ff. m. w. N.; Reichert/Weller, ZRP 2002, 49 ff. 38 II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012; vgl. dazu das Berufungsurteil OLG München, ZIP 2004, 462.
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selben Tag unter Beifügung eines Kontoauszuges der Beklagten über das am Tag zuvor einbezahlte Grundkapital zum Handelsregister angemeldet worden. Mit Schreiben vom 7.11.1995 bestätigte die Beklagte durch ihr damaliges Vorstandsmitglied, dass auf dem Konto der AG i.G. „am 3. November 1995 DM 100.000,00 zur freien Verfügung des Vorstandes standen“.
Aufgrund von zwei Überweisungsaufträgen, die am 9.11.1995 bei der Bank eingingen, wurden von diesem Konto 99.150,00 DM an die Gründerin der AG zurück überwiesen. Das Berufungsgericht39 hat die beklagte Bank unter dem Gesichtspunkt einer Beihilfe zum vom Vorstand der Gesellschaft begangenen Kapitalerhöhungsschwindel verurteilt, der II. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen. Grundvoraussetzung für eine Verurteilung aus dem von dem OLG angenommenen Tatbestand ist die Annahme, dass der Vorstand bei der Anmeldung der Kapitalerhöhung objektiv falsche oder unvollständige Angaben im Sinne von § 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG gemacht hat. Diese Voraussetzung liegt nach Auffassung unseres Senats nicht vor. Entsprechendes gilt auch für die Bestätigung, welche die beklagte Bank abgegeben hat. Für die im Zuge einer Kapitalerhöhung eingezahlten Einlagebeträge galt schon nach der früheren, noch strengeren Rechtsprechung des II. Zivilsenats kein Thesaurierungsgebot bis zum Zeitpunkt der Anmeldung40; gefordert war allein, dass sie bei der Registeranmeldung noch wertmäßig zur freien Verfügung des Vorstandes standen41. Neuerdings ist den Kapitalschutzvorschriften genügt, wenn die Einlagen nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss in den uneingeschränkten Verfügungsbereich des Vorstandes gelangen und nicht an den Inferenten zurückfließen42. Für die Frage der Auslegung der Begriffsmerkmale „Angaben über die Einbringung des neuen Kapitals“ in § 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG kann dies natürlich nicht folgenlos bleiben: Auf die Unversehrtheit der Einlagebeträge im Zeitpunkt der Registeranmeldung erstrecken sich die Angaben des Vorstands nicht43. Im Rahmen der Bankenhaftung für die Abgabe von Be_______________
39 40 41 42 43
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ZIP 2004, 462. BGHZ 113, 335, 348; BGHZ 119, 177 ff. BGHZ 119, 177, 187 f. BGHZ 150, 197 ff. Vgl. auch BGH, Beschl. v. 30.11.1995 – 1 StR 358/95, NStZ 1996, 238.
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stätigungen nach § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG kann hinsichtlich des dort maßgeblichen Tatbestandsmerkmals „Richtigkeit der Angaben“ nichts anderes gelten. Der II. Zivilsenat hat eine zweite selbständige Begründung beigefügt und mit dieser Doppelgleisigkeit dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass vor den Instanzgerichten eine ganze Reihe weiterer Prozesse aus demselben Sachverhaltskomplex schweben. Er sagt nämlich: Selbst wenn die Erklärungen des Vorstands im Sinne von § 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG als falsch zu qualifizieren wären, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, weil es an der Kausalität fehlt – die Klägerin hatte die Papiere ja bereits vor der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung „gekauft“ und deswegen nicht, wie im Rahmen des § 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG geboten, auf die Richtigkeit der bei dem Handelsregister gemachten Angaben vertraut44. Außerdem ist der geltend gemachte Anspruch nicht vom Schutzbereich der Norm umfasst, abgesehen davon, dass die Klägerin nicht hat darlegen können, sie hätte die gezahlte „Einlage“ von der Gesellschaft zurückerlangen können, falls die Eintragung der Kapitalerhöhung mangels einer Bestätigung der beklagten Bank gescheitert wäre. In den sog. „Segelanweisungen“ geht der Senat auf den Vorwurf des Gründungsschwindels ein und gibt der Klägerin Recht, dass die Erklärungen des Vorstands bei der erstmaligen Anmeldung unrichtig im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AktG waren, weil es sich bei den absprachegemäß sofort wieder an die Inferentin zurückfließenden Einlagen nur um „Vorzeigegeld“ gehandelt hat. Für eine Haftung der beklagten Bank ist jedoch neben dem Vorsatz des Haupttäters erforderlich, dass auch das die Bestätigung ausstellende Vorstandsmitglied der Beklagten Kenntnis davon hatte, dass ein bloßes Hin- und Herzahlen45 beabsichtigt war. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Betreffende in die Verabredungen nicht eingeweiht ist und die Einlage – wie in dem entschiedenen Fall – erst nach der Ausstellung der Bestätigung „hergezahlt“ wird; denn eine nachwirkende Kontrollpflicht der Bank besteht ebenso wenig wie die Pflicht zur Abgabe einer berichtigenden Erklärung gegenüber dem Registergericht. Gleichwohl kann nach dem bisherigen, revisionsrechtlich als richtig zu unterstellenden Vortrag der Klägerin eine Haftung der Bank nicht ausgeschlossen werden, wenn es sich nämlich als richtig herausstellen sollte, dass die im Gründungsstadium erteilte Be_______________
44 Vgl. BGHZ 96, 231, 243; BGHZ 105, 121, 126. 45 Vgl. dazu jetzt Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, ZIP 2005, 2203.
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stätigung rückdatiert, in Wirklichkeit aber lange nach dem Hin- und Herzahlen ausgestellt worden ist.
3. „Mangusta/Commerzbank I und II“46 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats ist der Bezugsrechtsausschluss bei einer Kapitalerhöhung, trotz des insoweit wenig ergiebigen Gesetzestexts, nur dann zulässig, wenn er „aus einer auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung bezogenen Beurteilung – unter gebührender Berücksichtigung der für die vom Bezug ausgeschlossenen Aktionäre eintretenden Folgen – durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist“, wobei „diese Prüfung die Abwägung der Interessen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck“ einschließt47. Diese Regeln beanspruchen Geltung auch in den Fällen einer Kapitalerhöhung auf dem Wege genehmigten Kapitals; wegen der strengen Anforderungen, die der II. Zivilsenat in der „Holzmann“-Entscheidung48 aufgestellt hatte, dass nicht erst der spätere Bezugsrechtsausschluss sachlich gerechtfertigt sein musste, sondern die Gesellschaft schon vor der nach § 203 Abs. 2 AktG zu erteilenden Ermächtigung der Hauptversammlung gegenüber darzulegen hatte, dass „nach der gegenwärtigen Lage der Gesellschaft und dem Stand der Pläne für die Zukunft konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, es könne sich innerhalb der dem Vorstand eingeräumten Frist als notwendig und auch im Hinblick auf die Interessen der betroffenen Aktionäre als vertretbar erweisen“, ist in der Folgezeit das Instrument der Kapitalerhöhung auf diesem Weg praktisch bedeutungslos geworden, eine Gefahr, welche in dem damaligen Rechtsstreit bereits apostrophiert, von dem Senat jedoch nicht als bestehend angesehen worden ist49. In der „SIEMENS/NOLD“-Entscheidung50 haben wir dies – unter Darlegung der Hemmnisse, die die „Holzmann“-Doktrin für die Unternehmen mit sich gebracht hat – korrigiert und damit dafür gesorgt, dass dieser wegen seiner großen Flexibilität besonders wichtige Weg der Kapitalbeschaffung für unsere Gesellschaften wieder die ihm vom Gesetz zu_______________
46 Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, ZIP 2005, 2205 und II ZR 90/03, ZIP 2005, 2207. 47 BGHZ 71, 40, 46; BGHZ 83, 319, 321; BGHZ 120, 141, 145 f.; BGHZ 125, 239, 241. 48 BGHZ 83, 319 ff. 49 BGHZ 83, 319, 322. 50 BGHZ 136, 133 ff.
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gemessene Bedeutung erhält. Der Weg hierzu – er ist bekanntlich nicht ohne zum Teil heftige Kritik51 geblieben – bestand darin, vor allem die Forderung aufzugeben, dass die Maßnahme, auf die sich die Ermächtigung zur Ausgabe neuer Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts beziehen soll, bereits bei der Beschlussfassung der Hauptversammlung so konkretisiert sein musste, dass sie offengelegt und der Hauptversammlung eine endgültige Abwägung der Gesellschafts- und Aktionärsinteressen sowie der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck eröffnet werden kann52. Vorstand und Aufsichtsrat sind, wenn sie von der erteilten Ermächtigung Gebrauch machen wollen, an die Vorgaben der Hauptversammlung gebunden; sie dürfen sie nur ausüben, wenn die Maßnahme mit dem in der Satzung niedergelegten Unternehmensgegenstand in Übereinstimmung steht, wenn die konkreten Tatsachen der abstrakten Umschreibung des Vorhabens entsprechen und wenn die Durchführung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt. In Ausführungen, welche die Anhänger einer strengen präventiven Kontrolle des Bezugsrechtsausschlusses offensichtlich haben beruhigen sollen, hat der II. Zivilsenat seinerzeit ferner ausgeführt, dass der Vorstand nicht frei entscheiden kann, sondern dass neben der präventiven Kontrolle des Aufsichtsrates, dessen Zustimmung für die Durchführung der Maßnahme erforderlich ist, auch die Hauptversammlung im Nachhinein die Beachtung der genannten Bindungen überwacht. Ihr gegenüber ist Bericht zu erstatten und Rede und Antwort zu stehen. Reaktionen bzw. Sanktionen können die Verweigerung der Entlastung, die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen und – wie hinzuzufügen ist – die Abberufung aus dem Amt und die fristlose Kündigung des organschaftlichen Dienstverhältnisses sein. Darüberhinaus heißt es in dem „SIEMENS/NOLD“Urteil unter Hinweis auf die „HOLZMÜLLER“-Entscheidung53 wörtlich: „Ferner muß“ der Vorstand „damit rechnen, daß die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens zum Gegenstand einer Feststellungs- oder – soweit noch möglich – einer Unterlassungsklage, die beide gegen die Gesellschaft zu richten sind, gemacht wird“54. Dieser Satz hat die Phantasie mancher Aktionäre – auch die der Klägerin in den beiden Revisionsverfahren, über die ich Ihnen berichten will – beflügelt. _______________
51 Vgl. nur Marcus Lutters vielfältigen Klageruf: „Wahrlich, es ist ein Unglück, dieses Urteil“, JZ 1998, 50, 53. 52 S. BGHZ 136, 133, 136. 53 BGHZ 83, 122, 125, 133 ff. 54 BGHZ 136, 133, 140 f.
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b) In dem unter der Bezeichnung „MANGUSTA/COMMERZBANK I“ laufenden Rechtsstreit55 wurde die Forderung gestellt, im Sinne eines effektiven vorbeugenden Rechtsschutzes sei der Vorstand gehalten, ehe er von der ihm erteilten Ermächtigung Gebrauch mache, den Aktionären gegenüber Bericht zu erstatten. Anders, so war die Argumentation, lasse sich nicht verhindern, dass vollendete Verhältnisse geschaffen würden und den Altaktionären die Ausübung ihres Bezugsrechts versagt bleibe. So zutreffend dieser Befund ist, er rechtfertigt nicht die Anerkennung einer derartigen Berichtspflicht, hätte sie doch zur Folge, dass wir wieder auf den Stand vor „SIEMENS/NOLD“ zurückfallen würden und die früher um den Ermächtigungsbeschluss geführten Schlachten in ähnlicher Weise, wenn auch auf einem anderen Kriegsschauplatz geführt würden und wieder das flexible Instrument der Kapitalerhöhung auf dem Wege genehmigten Kapitals seiner Wirkungskraft – entgegen den vom Gesetzgeber anerkannten Erfordernissen – beraubt wäre. Die einzelnen Erwägungen, die die klagende Aktionärin für ihren Standpunkt vorgebracht hat, hier vorzutragen und zu würdigen, müßte den zeitlichen Rahmen sprengen; nur auf einen Punkt will ich eingehen: Unser Senat hat es nicht für erforderlich gehalten, in dieser Frage eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, obwohl der Anwalt der Klägerin mit bewegten Worten darauf hingewiesen hat, ein renommierter deutscher Aktienrechtler halte die Berichtspflicht des Vorstandes aus der Sicht von Art. 29 der 2. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie56 für unerlässlich. Wir haben gemeint, dass uns angesichts des zweifelsfreien Wortlauts der Bestimmung der acte claire-Grundsatz von einer solchen Vorlagepflicht entbindet; sollten andere EU-Staaten nach ihrem nationalen Recht eine derartige Unterrichtungspflicht vorsehen, handelte es sich nur um eine „Übererfüllung“ der europarechtlichen Vorgaben. c) In dem weiteren an demselben Tag verhandelten und entschiedenen Revisionsverfahren57 („MANGUSTA/COMMERZBANK II“) ging es, nachdem die Klägerin mit ihrem Versuch gescheitert war, die Eintragung der Kapitalerhöhung auf dem Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern – vereinfacht gesagt – um die Möglichkeit einer nachträglichen _______________
55 Urt. v. 10.1.2005 – II ZR 148/03, ZIP 2005, 220; vgl. dazu das Berufungsurteil ZIP 2003, 902 und Wälzholz, DStR 2003, 1543; Rottnauer, BB 2003, 1973; Paefgen, ZIP 2004, 145. 56 S. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2003, S. 159 f. 57 Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, ZIP 2005, 2207; vgl. dazu das Berufungsurteil ZIP 2003, 1198 mit Anm. Paefgen, ZIP 2004, 145.
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Überprüfung des Vorgehens von Vorstand und Aufsichtsrat auf dem Wege einer allgemeinen Feststellungsklage. Auch dabei hat sich die klagende Partei auf den bereits zitierten Satz aus den Entscheidungsgründen von „SIEMENS/NOLD“ berufen. Nach dem für die revisionsrechtliche Prüfung als richtig zu unterstellenden Klagevortrag hatten Vorstand und Aufsichtsrat bei der Ausübung der ihnen erteilten Ermächtigung deren Grenzen überschritten, insbesondere zu Unrecht das Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen. Unter dieser Voraussetzung hält unser Senat – anknüpfend an die Ausführungen in „SIEMENS/NOLD“ und die dort zitierte „Holzmüller“-Entscheidung – eine gerichtliche Klärung des Verhaltens der handelnden Organe nach der aktienrechtlichen Verbandsordnung für zulässig und geboten. Denn mit ihrem – unterstellt – rechtswidrigen Verhalten usurpieren die handelnden Organe der Gesellschaft eine nicht ihnen, sondern der Hauptversammlung zukommende Zuständigkeit und greifen der Sache nach in die mitgliedschaftlichen Vermögens- und Herrschaftsrechte der Aktionäre ein. Mit dem in der „SIEMENS/NOLD“-Entscheidung verwirklichten Absenken der Anforderungen an den Ermächtigungsbeschluss zur Schaffung genehmigten Kapitals sollte allein den Erfordernissen des Wirtschaftslebens Rechnung getragen werden, Beteiligungs- und Erwerbschancen schnell und flexibel nutzen zu können. Entgegen den von manchen Kritikern gehegten Befürchtungen58 sollte aber keinesfalls der vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutz der Aktionäre herabgesetzt und der Kompetenzbereich des Vorstands zu Lasten der Hauptversammlung erweitert werden. Deswegen bedingt die mit „SIEMENS/NOLD“ veranlasste Lockerung der präventiven Schranken bei der Erteilung der Ermächtigung einen Ausgleich dahingehend, dass im Rahmen der Ausübung der Ermächtigung eine angemessene, systemkonforme gerichtliche Kontrollmöglichkeit zur Verfügung steht. Und diese besteht – neben der im Hinblick auf das Zeitmoment nur beschränkt möglichen vorbeugenden und unerwünschtes Erpressungspotential erzeugenden Unterlassungsklage – nach den Vorstellungen des II. Zivilsenats in der nur im Nachhinein wirkenden allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Das für eine solche – natürlich nur inter partes wirkende – Feststellungsklage erforderliche rechtliche Interesse sieht der Senat59 darin, dass „die _______________
58 Vgl. Lutter, JZ 1998, 50 ff. 59 S. Fn. 57.
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in einem solchen Fall von dem Feststellungskläger aufgeworfene Frage nach der Rechtswidrigkeit der mit einem Bezugsrechtsauschluß verbundenen Kapitalerhöhung … dessen Stellung als Aktionär und damit sein Rechtsverhältnis zur Gesellschaft“ berührt. Eine solche Feststellung bleibt nicht ohne Auswirkung auf das Verhältnis des Aktionärs zu der Gesellschaft. Denn er darf erwarten, dass deren Organe die Feststellung der Nichtigkeit der Entschließung von Vorstand und Aufsichtsrat und damit die Pflichtwidrigkeit ihres Handelns nicht unbeachtet lassen; vielmehr hat die Gesellschaft durch ihre Organe Abhilfe zu schaffen, was – soweit der Ermächtigungsbeschluss noch nicht vollständig ausgeschöpft ist – bedeutet, dass weitere inhaltsgleiche Kapitalerhöhungen zu unterbleiben haben, und dass bereits eingetretene Schäden kompensiert werden60. Außerdem hat ein solches Feststellungsurteil – auch wenn es nur zwischen dem obsiegenden Aktionär und der Gesellschaft Rechtskraftwirkung besitzt – natürlich Auswirkungen auf die Verfolgung konkreter Sekundäransprüche im Klagewege und könnte bei der Behandlung von Anträgen in der Hauptversammlung, etwa auf Versagung der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, auf Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder (§ 103 AktG) oder auf Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 147 AktG, nicht unbeachtet bleiben. Entgegen Ausführungen, die in Zeitungen61 im Anschluss an die Presseerklärung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs zu diesen beiden Fällen verbreitet worden sind, fordert der Senat natürlich nicht, die eingetragene und vollzogene Kapitalerhöhung rückgängig zu machen. Ausdrücklich wird in den Entscheidungsgründen in diesem Zusammenhang auf die „Sekundäransprüche“ und sonstige Rechtsbehelfe verwiesen, deren Verfolgung den Aktionären erleichtert wird, wenn ein entsprechendes Feststellungsurteil ergangen ist; außerdem verweist der Senat auf einschlägige Erörterungen im Schrifttum62, in denen auseinandergesetzt wird, dass eine fehlerhafte Ausübung der erteilten Ermächtigung – anders als ein nichtiger Ermächtigungsbeschluss – die Wirksamkeit der durchgeführten Kapitalerhöhung und die dadurch entstandenen Mitgliedschaftsrechte nicht berührt. Es ist deswegen auch nicht zu befürchten, dass sich durch die Zulassung dieser nachträglichen Feststellung auf dem Klageweg ein Erpressungspotential entwickelt, welches die Gesellschaften – erneut – _______________
60 Vgl. dazu schon BGHZ 83, 122, 126, 133 (Holzmüller). 61 Vgl. Bürgers/Holzborn, in: FAZ v. 25.10.2005 „Bundesrichter geben Aktionären mehr Kontrollrechte“; zutreffend dagegen jetzt Paschos, DB 2005, 2731 f. 62 Lutter, in: KölnKomm. AktG, 2. Aufl. 1995, § 204 Rn. 25, 27 m. w. N.
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davon abhalten könnte, den Weg der Kapitalerhöhung über das genehmigte Kapital zu beschreiten. Wir glauben, auf dem skizzierten Weg eine von dem Gesetzgeber gelassene Lücke systemgerecht geschlossen zu haben, wird doch dem Aktionär, der anders als bei einer „normalen“ Kapitalerhöhung kein Anfechtungsrecht hat und mit dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes häufig zu spät kommen wird, der andererseits nicht sicher sein kann, dass bei dem notwendigen Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat die Kontrollmechanismen greifen, eine Art „Ersatzkontrollrecht“ gegeben. Das Berufungsgericht63, das die Klage als unzulässig abgewiesen hatte, wird in dem wieder eröffneten Berufungsverfahren nun die Frage prüfen müssen, ob der zulässige Feststellungsantrag begründet ist.
III. GmbH-rechtliche Fälle Für das Personengesellschaftsrecht hat der II. Zivilsenat vor vielen Jahren den Rechtssatz aufgestellt, kein Gesellschafter dürfe der Gefahr der „Hinauskündigung“, also einer im freien Ermessen der anderen Mitglieder oder des Mehrheitsgesellschafters stehenden Ausschließung aus der Gesellschaft ausgesetzt sein64. Mit diesem auf § 138 BGB gestützten Verbot soll gewährleistet werden, dass jeder Gesellschafter ohne äußeren Druck und in freier Selbstverantwortung seine Rechte und Pflichten als Mitglied der Gesellschaft wahrnehmen kann und sich nicht etwa einem Diktat der Mehrheit beugen muss, weil er – wie der Senat formuliert hat65 – sich von dem „Damoklesschwert“ der Ausschließung bedroht fühlen muss. Später hat der II. Zivilsenat dies auch auf die GmbH übertragen66 und auch zugunsten der Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft angewandt67. Der Senat hätte den Anwendungsbereich des „Hinauskündigungsverbots“ von vornherein beschränken und mit einer in Teilen des Schrifttums _______________
63 ZIP 2003, 1198. 64 BGHZ 68, 212; BGHZ 81, 263, 266 f.; BGHZ 84, 1, 14 f.; BGHZ 104, 50, 57 f.; BGHZ 105, 213, 216 f.; BGHZ 125, 74, 79 f. 65 BGHZ 81, 263, 268. 66 BGHZ 112, 103, 107 f. 67 BGHZ 104, 50, 58 f.; BGHZ 105, 213, 217; Urt. v. 7.2.1994 – II ZR 191/92, DStR 1994, 623 m. Anm. Goette.
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verbreiteten Meinung68, die in diesem Zusammenhang – in überspitzter Form – vom „Gesellschafter minderen Rechts“ spricht69 – anerkennen können, dass es Gestaltungen gibt, in denen der Struktur des Verhältnisses der Beteiligten nach eine vertragliche Gestaltung nicht sittenwidrig ist, die zur Ausschließung eines Gesellschafters führt, ohne dass ein wichtiger Grund im klassischen Sinn vorhanden ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gelangt jedoch seit jeher zu demselben Ergebnis auf einem anderen konstruktiven Weg, indem sie Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot des „freien“ Ausschließungsrechts anerkennt. Das gilt für den Erben eines Gesellschafters, der – jedenfalls innerhalb überschaubarer Zeit – auch ohne besonderen Grund ausgeschlossen werden kann oder für die Lebensgefährtin des Gesellschafters, welcher die Mehrheitsbeteiligung mit der – schuldrechtlich begründeten Pflicht der Rückübertragung – unentgeltlich überlassen worden ist70, oder für den neu in eine Praxisgemeinschaft von Ärzten aufgenommenen Gesellschafter, dem gegenüber sich die Altgesellschafter eine zeitlich begrenzte Möglichkeit offenhalten wollen, die allseitige Verträglichkeit zu prüfen71. Ähnlich verhält es sich in dem am 14.3.2005 entschiedenen Fall72. Mehrere Personen standen in einem Franchiseverhältnis zu einer GmbH. Der Vertrag, in dem alle Rechte und Pflichten der Beteiligten geregelt waren, sah eine ordentliche Kündigungsfrist von einem Jahr vor. Alle Vertragspartner waren gleichzeitig Mitglieder der GmbH, deren Aufgabe im Wesentlichen die Steuerung des Systems war. Die Beendigung des Franchisevertrages eröffnete den Gesellschaftern der GmbH das Recht der Ausschließung des betroffenen Gesellschafters. Die Klägerin, deren Vertragsverhältnis auf diesem Wege gekündigt worden ist, wandte sich gegen die Wirksamkeit dieser Maßnahme mit dem Argument, sie führe im Ergebnis zu einer Beendigung ihrer Mitgliedschaft in der GmbH und stelle damit eine verbotene Hinauskündigung dar, die auf das Franchiseverhältnis durchschlage. Dem sind wir nicht gefolgt, weil die Mitgliedschaft der Klägerin in der GmbH nur eine Funktion des Kooperationsverhältnisses ist, mit dessen Ende die nur als Annex gedachte Gesellschafterstellung ihre sachliche Rechtfertigung verliert. Demgegenüber läuft _______________
68 Vgl. die Nachw. bei Ulmer, in: MünchKomm.BGB (Fn. 12), § 737 Rn. 18 mit Fn. 39. 69 Flume, z. B. in: Die Personengesellschaft, 1977, § 10 III S. 137 f. 70 BGHZ 112, 103 ff. 71 Urt. v. 8.3.2004 – II ZR 165/02, ZIP 2004, 903. 72 II ZR 153/03, ZIP 2005, 706; s. dazu weiter ausgreifend Habersack/Verse, ZGR 2005, 451 ff.; ferner Werner, GmbHR 2005, 623 f.; Wagner, EWiR 2005, 621 f.
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das Petitum der Klägerin darauf hinaus, dass die Mitgliedschaft in der GmbH die Hauptbedeutung besitzt und die Rechtsstellung der Beteiligten in dem Kooperationsvertrag dominieren könnte. An dieses Urteil knüpfen die beiden am 19.9.2005 ergangenen als „Mitarbeiter-“ bzw. „Managermodell“ bezeichneten Entscheidungen73 an. In dem einen Fall74 war eine leitende Mitarbeiterin mehrfach von dem Mehrheitsgesellschafter mit Teilgeschäftsanteilen versehen worden, die sie vereinbarungsgemäß gegen Zahlung des von ihr selbst entrichteten Entgelts zurückzuübertragen hatte, wenn sie aus den Diensten der Gesellschaft schied. Der Senat hat diese Konstruktion als sachlich gerechtfertigt angesehen, weil der Sinn der Beteiligung – die Bindung an das Unternehmen, die Motivationssteigerung und die in Gestalt von Gewinnausschüttungen gewährte Belohnung für geleistete Dienste – mit dem Ende der aktiven Tätigkeit entfällt und nur durch die Rückübertragung dem Mehrheitsgesellschafter die Möglichkeit eröffnet wird, andere verdiente Mitarbeiter mit Geschäftsanteilen auszustatten und das in der Satzung niedergelegte Mitarbeitermodell auch in der Zukunft fortzuführen. Nicht anders ist der Senat in dem anderen75 Fall verfahren, in welchem die Muttergesellschaft den sog. „Vor-Ort-Geschäftsführer“ mit einem 10 %igen Geschäftsanteil an „seinem“ in der Rechtsform einer GmbH geführten Markt versehen und gleichzeitig vereinbart hatte, dass die Gesellschafterstellung mit dem Ausscheiden aus dem Amt bzw. der Beendigung des Dienstverhältnisses enden solle. Auch hier hat der abberufene Kläger in Abrede gestellt, dass er durch die Annahme seines bei der Übertragung abgegebenen Rückübertragungsangebots seitens der Holding seine Gesellschafterstellung verloren habe. Demgegenüber hat unser Senat gemeint, dass eine solche Gestaltung von der Rechtsordnung anzuerkennen ist und nicht gegen das „Hinauskündigungsverbot“ verstößt. Der dasselbe rechtfertigende, mit dem Bild des „Damoklesschwertes“ umschriebene Gedanke, den Gesellschafter nicht unter unangemessenen Druck zu setzen, ist nicht berührt. Ähnlich wie bei dem Kooperationsvertrag ist die Gesellschafterstellung ein Annex zu dem organschaftlichen Verhältnis, das durch das Recht zu jederzeitiger Abberufung eine _______________
73 II ZR 324/03 und II ZR 173/04, ZIP 2005, 1920 und 1917; dazu zunächst – auf der Grundlage der Berufungsurteile – Habersack/Verse, ZGR 2005, 451 ff.; T. Schneider/Wiechers, DB 2005, 2450 ff.; Böttcher, NZG 2005, 992 ff. 74 II ZR 342/03, ZIP 2005, 1920. 75 II ZR 173/04, ZIP 2005, 1917.
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Abhängigkeit von der Mehrheitsgesellschafterin entstehen lässt, der gegenüber die weitere Folge des Verlustes der von vornherein nur auf Zeit eingeräumten Beteiligung nicht mehr entscheidend ins Gewicht fällt. Ob die Abfindung, um deren Höhe es in der Sache den beiden ausgeschiedenen Gesellschaftern in beiden Fällen ging, angemessen war, spielt für die Wirksamkeit der Regelung über die Hinauskündigung keine Rolle, weil eine unangemessen niedrige Abfindung dann lediglich durch eine der Höhe nach angemessene Zahlung ersetzt werden müsste.
IV. Auslandsgesellschaften in Deutschland Zum Abschluss ein knapper Blick auf die in Deutschland tätigen Auslandsgesellschaften. In der Entscheidung vom 14.3.200576 war darüber zu entscheiden, ob der Geschäftsführer einer in Großbritannien ordnungsgemäß gegründeten, bestimmungsgemäß aber von Anfang an nur im Inland tätigen, aber nicht als Zweigniederlassung hier eingetragenen Ltd. deren Gläubigern gegenüber in entsprechender Anwendung von § 11 Abs. 2 GmbHG haften muss. Wir haben dies – anders als das Amts- und das Landgericht – verneint, weil anderenfalls die europarechtlich gewährleistete Niederlassungsfreiheit der englischen Gesellschaft missachtet würde77. Haftbar sein kann der Geschäftsführer vielmehr nur nach den für diesen Gesellschaftstyp maßgeblichen rechtlichen Regeln, also denen des Heimatrechts oder nach deutschen Deliktsvorschriften. Die entsprechenden Ausführungen des Senats sind sogleich kritisch78 aufgenommen worden, was gewiss damit zusammenhängt, dass nicht hinreichend beachtet worden ist, dass es nach dem Sachvortrag der Klägerin in dem entschiedenen Fall um eine Haftung aus Eingehungsbetrug ging. Wir haben aber – das scheint mir hinter den kritischen Anmerkungen zu stehen – nicht gesagt und auch nicht sagen wollen, dass auf dem Wege einer Heranziehung zuvor etwa mit Kapitalschutzprinzipien angereicherten deutschen Deliktsvorschriften eine EU-Gesellschaft ihrer Niederlassungsfreiheit beraubt werden dürfe. Was die Anwendung englischen Rechts anbetrifft, werden sich die deutschen Anwälte auf die in § 293 _______________
76 II ZR 5/03, ZIP 2005, 805; dazu Wand, BB 2005, 1017 f.; Ressos, DB 2005, 1048 f.; Eidenmüller, NJW 2005, 1618; Leible, RIW 2005, 544, kritisch zur Ablehnung einer Haftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG, die allerdings eines unter europarechtlichen Gesichtspunkten nicht unproblematischen Tätigwerden des Gesetzgebers bedürfte; Rehberg, JZ 2005, 849 ff.; Wachter, DStR 2005, 1817. 77 Kritisch, aber nur de lege ferenda argumentierend Leible (Fn. 76). 78 Paradigmatisch Rehberg, JZ 2005, 849, 852.
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ZPO niedergelegten Vortragspflichten besinnen und – zur Freude unserer Rechtsvergleicher, ohne deren Hilfe es nicht gehen wird – den umständlichen Wege der Ermittlung des geschriebenen und des gelebten79 Auslandsrechts beschreiten müssen. Deutsche Gerichte werden dann die Instrumente der anderen Rechtsordnung anwenden und das im Heimatland der Gesellschaft u. U. nicht praktisch angewandte Recht mit Leben füllen. Was für die Ltd. gilt, trifft auch für US-amerikanische Gesellschaften zu, die nach dem einschlägigen Staatsvertrag ebenfalls mit ihrem Heimatrecht bei uns anerkannt werden müssen, und auch für die EWR-Gesellschaften hat unser Senat Entsprechendes kürzlich ausgesprochen80.
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79 Vgl. beispielhaft Urt. v. 21.1.1991 – II ZR 50/90, NJW 1991, 1418. 80 Urt. v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, ZIP 2005, 1869.
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Bericht über die Diskussion des Referats Goette Dr. Sven H. Schneider, LL.M. (Berkeley) Rechtsanwalt, Attorney-at-Law (New York), Frankfurt am Main
Die von Röhricht geleitete Diskussion über das Referat von Goette beschäftigte sich mit den drei angesprochenen Bereichen „Aktienrecht“ (dazu unter I.), „GmbH-Recht“ (dazu unter II.) und „Auslandsgesellschaften in Deutschland“ (dazu unter III.). Vorrangig diskutiert wurden –
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die im Rahmen der „EM.TV“-Entscheidung1 behandelten schadensersatzrechtlichen Fragen und Kapitalschutzüberlegungen im Anschluss an unterlassene bzw. fehlerhafte Ad-hoc Mitteilungen, welche bereits in den „Infomatec“-Entscheidungen2 den II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs beschäftigt hatten, die beiden „Mangusta/Commerzbank“-Entscheidungen3, die sich mit der Pflicht zur Erstellung eines vorherigen Berichts und den Möglichkeiten des Rechtsschutzes der Aktionäre gegen einen Bezugsrechtsausschluss bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital befassen, die Entscheidungen zur Möglichkeit einer „Hinauskündigung“ von Gesellschaftern einer GmbH ohne wichtigen Grund aufgrund entsprechender vertraglicher Vereinbarungen, und die Entscheidungen zur Anwendbarkeit der deutschen Vorschriften betreffend die Haftung von GmbH-Geschäftsführern auf Geschäftsführer einer ausschließlich in Deutschland tätigen Gesellschaft in der Rechtsform einer englischen Limited Liability Company.
I. Aktienrecht Als Diskussionsleiter fasste Röhricht zunächst die Ausführungen Goettes zusammen und betonte die „Infomatec“-Entscheidungen, in deren Licht _______________
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9.5.2005 – II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270 = NJW 2005, 2450. 19.7.2004 – II ZR 402/02, II ZR 217/03 und II ZR 218/03, WM 2004, 1721 ff. 10.10.2005 – II ZR 148/03 und 90/03, ZIP 2005, 2205 ff.
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Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
die „EM.TV“-Entscheidung zu sehen sei. Die „EM.TV“-Entscheidung enthalte weiterführende Ausführungen zur Frage des Differenzschadens und zum Problem der Kapitalerhaltung. Im Blick auf die von Goette referierte Entscheidung zur Bankenhaftung4 erinnerte Röhricht daran, dass schon die Pflicht zur Erteilung von Bestätigungen nach § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG und die dazu ergangenen Entscheidungen5 des BGH bei den betroffenen Banken auf großen Widerstand gestoßen seien. Weiterhin betonte Röhricht die „Mangusta/Commerzbank“-Entscheidungen. Sie seien eine Bestätigung der „Siemens/Nold“-Entscheidung6 und stellten klar, dass einerseits kein vorheriger Bericht über die Ordnungsmäßigkeit eines Bezugsrechtsausschlusses bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital erforderlich sei und dass andererseits die allgemeine Feststellungsklage den Rechtsschutz der Aktionäre gegen einen rechtswidrigen Bezugsrechtsausschluss sicherstelle. Als erster Diskussionsteilnehmer meldete sich sodann Casper und wies darauf hin, dass das Urteil in Sachen „EM.TV“ auf § 826 BGB gestützt sei. Diese Vorschrift verlange Vorsatz. Daraus ergebe sich die Folgefrage, ob die in der „EM.TV“ Entscheidung aufgestellten Grundsätze zum Verhältnis zwischen Kapitalerhaltung (§ 57 AktG) und der Haftung für fehlerhafte Information des Sekundärmarkts auch auf den Bereich der groben Fahrlässigkeit, die in §§ 37b, c WpHG ausreichend ist, ausgedehnt werden können. Schließlich liege die praktische Relevanz mit Blick auf das neue KapMuG7 im WpHG und nicht im allgemeinen Deliktsrecht. Außerdem stellte Casper im Hinblick auf die von Goette in seinem Referat dargelegten „Mangusta/Commerzbank“-Entscheidungen die Frage, inwieweit eine Feststellungsklage neben einer vorbeugenden Unterlassungsklage erhoben werden könne und zeigte auf, dass im Bereich der vorbeugenden Unterlassung ein gewisses Erpressungspotential liegen könnte. Goette wies darauf hin, dass er bezüglich der Anwendbarkeit der in „EM.TV“ entwickelten Grundsätze auf Fallgestaltungen nach § 37b, c WpHG keine Aussagen treffen könne, um nicht künftigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vorzugreifen. _______________
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29.9.2005 – II ZR 380/03, DB 2005, 2458 ff. BGHZ 133, 335, 350 = NJW 1991, 1754; BGHZ 119, 177, 180 f. = NJW 1992, 3300. BGHZ 136, 133. Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren v. 16.8.2005, BGBl. 2005 I, S. 2437 ff.
Schneider – Bericht über die Diskussion
Die „Mangusta/Commerzbank“-Entscheidungen seien dahingehend zu verstehen, so Goette, dass eine vorbeugende Unterlassungsklage bis zur Eintragung der Kapitalerhöhung möglich sei. Danach sei (nur noch) eine allgemeine Feststellungsklage möglich, welche die Form einer „Fortsetzungsfeststellungsklage“ habe. Lutter schloss sich den „Mangusta/Commerzbank“-Entscheidungen im Inhalt und Ergebnis an. Es ergäben sich allerdings Folgefragen. Fraglich sei nämlich, ob die Rechtskraft der Feststellungsklage auch für spätere Klagen nach § 147 AktG gelte, so dass in dem sich unter Umständen anschließenden Leistungsklageprozess nur noch die Schadenshöhe zu ermitteln sei. Röhricht ergänzte die Frage und führte aus, dass es auch problematisch sei, ob die Rechtskraft nur zwischen den Parteien bestünde oder ob eine Rechtskrafterstreckung auf alle Beteiligten stattfände. Goette meinte, dass von der Feststellungsklage wohl nur eine faktische Wirkung ausgehe. Jedenfalls sei eine Rechtskraft nur zwischen den Parteien der Feststellungsklage denkbar. Eine Wirkung inter omnes sei ausgeschlossen. Die faktische Wirkung sei aber im Hinblick auf die Grundsätze der „ARAG“-Entscheidung8 nicht zu unterschätzen. Krieger gab kritisch zu bedenken, dass die durch die Entscheidung „Siemens/Nold“ gewonnene Flexibilität durch die in den „Mangusta/ Commerzbank“-Entscheidungen entwickelten Grundsätzen teilweise zurück genommen werde. Teil jeder Unterlassungsklage sei die Möglichkeit zur Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes. Deshalb sei es nunmehr möglich, eine vorbeugende Unterlassungsverfügung zu erwirken. Außerdem sei aus seiner Sicht nicht eindeutig, woher das für eine Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse komme. Denn dem Kläger sei mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht geholfen. Goette entgegnete, dass ein Feststellungsinteresse sehr wohl bestehe. Es gehe nicht nur um Schadensersatz, sondern weitergehend um die Feststellung, dass die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre durch rechtswidriges Verhalten des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats verletzt worden seien, weil die Zuständigkeit der Hauptversammlung „usurpiert“ worden sei. Zu bedenken sei in diesem Zusammenhang auch der Einfluss von Art. 14 GG. Semler zeigte sich zufrieden, dass in den von Goette dargestellten Entscheidungen nicht ein einziges Mal auf angelsächsische Methoden habe _______________
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BGHZ 135, 244 ff. = DB 1997, 1068.
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zurückgegriffen werden müssen. Das deutsche Schadensersatzrecht habe sich als leistungsfähig und flexibel erwiesen. Deswegen sei im Ergebnis der Anwendung der Grundsätze der Naturalrestitution in Bezug auf die „EM.TV“-Entscheidung zuzustimmen. Fraglich sei allerdings, wie der Differenzschaden in der Praxis berechnet werden könne. Röhricht wies nochmals darauf hin, dass er nicht gegen die Anwendbarkeit der Unterlassungsklage in den Fällen, wie sie den „Mangusta/ Commerzbank“-Entscheidungen zu Grunde lagen, sei. Es dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, dass man mit Hilfe einstweiliger Verfügungen in die Befugnis der Geschäftsleitung „hineinregieren“ könne. Dies werde der Bundesgerichtshof nicht gestatten. Allerdings seien Instanzgerichte mit solchen einstweiligen Verfügungen zum Teil schnell bei der Hand. Dem stimmte Goette uneingeschränkt zu. Nach seiner Sicht muss die Unterlassungsklage die absolute Ausnahme sein. Sie komme nur dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber den Rechtsschutz der Aktionäre unzureichend geregelt hat.
II. GmbH-Recht Lutter stimmte der höchstrichterlichen Entscheidung zum möglichen Umfang und den bestehenden Grenzen der Vereinbarung von „Hinauskündigungsklauseln“ bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu. Aus seiner Sicht ergeben sich aber zwei Folgefragen: Erstens sei ihm unklar, was für im Vorfeld vereinbarte Abfindungsvereinbarungen gelte, weil das Urteil zu diesem Punkt keine Stellung habe nehmen müssen. Darüber hinaus sei zweitens offen, wie die Unterscheidung zu den berühmten „Vater/Sohn-Fällen“ getroffen werden könne. In dieser Fallgestaltung, die schon vor einiger Zeit höchstrichterlich entschieden wurde, kündigt ein Vater seinem Sohn aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung ohne sachlichen Grund die Gesellschafterstellung. Der BGH hatte dies stets als unzulässige Hinauskündigungsklausel qualifiziert. Der Unterschied zur hier dargestellten „Mitarbeiterklausel“ sei, so Lutter, nicht immer einfach zu erkennen. Im vorliegenden Fall ging es um einen Franchisevertrag, dessen Beendigung nach der Vereinbarung zwischen den Parteien die Möglichkeit zum Ausschluss des Franchisenehmers aus einer Service-GmbH, an der alle Franchisenehmer beteiligt waren, eröffnete.
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Schneider – Bericht über die Diskussion
Auch Karsten Schmidt hielt die Entscheidung im Ergebnis für richtig. Sie sei allerdings nicht uneingeschränkt verallgemeinerungsfähig. Zu bedenken sei die besondere Fallgestaltung. Der Kläger habe nämlich vorliegend nur als eine Art „Treuhänder“ über den GmbH-Anteil verfügen können. Die von ihm geleistete Zahlung zur Erlangung der Treuhänderstellung könne man als „Flaschenpfand“ begreifen. In solchen und nur in solchen Fällen müsse eine Hinauskündigung möglich sein. Goette wies darauf hin, dass in der Entscheidung ausdrücklich auf die treuhänderische Stellung hingewiesen sei. Dass hier technisch eine Vollbeteiligung erfolgt sei, könne steuerrechtlich motiviert gewesen sein. In Bezug auf den Einwand von Lutter entgegnete er, dass aus seiner Sicht eine Abfindung zum Verkehrswert keinesfalls erforderlich sein könne, weil sonst die dargestellten Modelle nicht mehr praxistauglich seien. Dies sei in einer Entscheidung des OLG Celle bereits im Jahr 1999 festgestellt worden. Damals habe der Bundesgerichtshof die Revision einer „gierigen Witwe“, die nach dem Tod ihres Mannes als Ausgleich für das Ausscheiden aus einer GmbH, deren Gesellschafter ihr Mann gewesen war, den Verkehrswert des Gesellschaftsanteils als Abfindung verlangt habe, nicht einmal zur Revision angenommen. Röhricht wies darauf hin, dass oftmals eine Vollbeteiligung erforderlich sei, um dem Geschäftsführer ein besseres „Standing“ einzuräumen und um sicherzustellen, dass dieser sich stärker engagiere und dafür eine angemessene „Tantieme“ erhalte. Dolf Weber führte aus, dass aus Sicht der Praxis die von Lutter angesprochenen ursprünglichen „Vater/Sohn“-Entscheidungen irrelevant gewesen seien. Vielmehr sei die Praxis schon immer von den Grundsätzen ausgegangen, die der BGH nunmehr aufgestellt habe. Röhricht erwiderte auf die von Lutter gestellte Abgrenzungsfrage, dass ein „geschickter Vater“ seinen Sohn wohl für eine gewisse Zeit mit einer Hinauskündigung „bedrohen“ könne. Dies führt zu einer Gesellschafterstellung „auf Probe“. Dauerhaft sei dies aber wohl nicht möglich. Heidinger wies darauf hin, dass sich in dem entschiedenen Fall die näheren Voraussetzungen der Hinauskündigung nicht in dem Gesellschaftsvertrag der GmbH wiedergefunden haben, sondern nur in eine schuldrechtliche Vereinbarung aufgenommen worden seien. Deshalb stelle sich für ihn die Frage, ob nunmehr formlose schuldrechtliche Nebenvereinbarungen geeignet seien, die korporationsrechtlichen Klauseln zu ergänzen.
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Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung
Goette trat dem mit dem Hinweis entgegen, dass vorliegend die Hinauskündigung auch im Gesellschaftsvertrag erwähnt gewesen sei. Röhricht ergänzte dies durch den Hinweis, dass vorliegend der schuldrechtliche Kooperationsvertrag die entscheidende Bedeutung gehabt habe. Die GmbH sei als reiner „Annex“ ausgestaltet gewesen. Die sei auch so im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck gekommen.
III. Auslandsgesellschaften in Deutschland Niemeier ging auf den Wettbewerb zwischen der deutschen Rechtsform der GmbH und der englischen Rechtsform der Limited Liability Company ein. Es gäbe zur Zeit nach Angaben des Statistischen Bundesamtes vielleicht 7000 bis 8000 Limited Liability Companies in Deutschland. In der Zwischenzeit melde sich allerdings fast jede zweite Gesellschaft mit dieser Rechtsform innerhalb sehr kurzer Zeit wieder ab. Dies könne ein Hinweis darauf sein, dass die Gefahr der Limited Liability Company für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in den letzten Jahren überschätzt worden sei. Er ergänzte weiterhin, dass die deutschen Behörden mit den britischen Behörden, insbesondere dem UK Companies House, eine verstärkte Zusammenarbeit vereinbart hätten. Außerdem, so Niemeier, solle die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen GmbH dadurch gestärkt werden, dass künftig mit Hilfe des deutschen elektronischen Handelsregisters die Eintragung einer GmbH in drei bis vier Tagen möglich sei. Hollweg wies im Hinblick auf eine von Goette in seinem Referat dargestellte Entscheidung9 des BGH, in der es um die Anwendbarkeit der deutschen Normen betreffend die Geschäftsführerhaftung bei einer ausschließlich in Deutschland tätigen Gesellschaft in der Rechtsform einer Limited Liability Company ging, darauf hin, dass die Praxis der Entscheidung des Senats zustimme. Es sei zu begrüßen, dass der Limited Liability Company nicht das deutsche Haftungsregime „aufgepfropft“ werde. Es stelle sich allerdings die Frage nach der Durchsetzbarkeit der deliktsrechtlichen Ansprüche, die unter Umständen gegeben seien.
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II ZR 5/03 v. 14.3.2005, ZIP 2005, 805 = NJW 2005, 1648.
Schneider – Bericht über die Diskussion
Röhricht hielt dem entgegen, dass der BGH an die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes gebunden sei. Goette ergänzte dies durch den Hinweis, dass die deutsche Anwaltschaft zukünftig gefordert sei, dem Gericht das ausländische Recht in ausreichender Art und Weise darzulegen.
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Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung – Entwicklungen und Perspektiven in der EU und in Deutschland – Prof. Dr. Gerald Spindler Universität Göttingen
I. Stimmrecht und Corporate Governance ................................. 31 II. Europäische Reformbestrebungen .............................. 1. Notwendigkeit einer Richtlinie? ............................... 2. Der Richtlinienvorschlag der EU ...................................... a) Anwendungsbereich ............ b) Der „ultimate investor“ ..... c) Informationspflichten vor der Hauptversammlung ...... d) Gleichbehandlung ............... e) Teilnahme an der Versammlung ............................ f) Stimmrechte ........................ g) Die Stellung der Intermediäre ................................
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h) Mitteilungspflichten nach der Hauptversammlung ....... 51 i) Nicht geregelte Fragen ........ 51 j) Zusammenfassung ............... 52 III. Deutsche Reformbestrebungen: Eine Prämie für die Hauptversammlungsteilnahme und Abstimmung? ............................. 1. Ökonomische Rationalität eines Präsenzbonus ................. 2. Legitimation durch Verfahren? ...................................... 3. Rechtliche Fragen .................... a) De lege lata .......................... b) De lege ferenda ....................
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IV. Zusammenfassung ...................... 64
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I. Stimmrecht und Corporate Governance Das Verhältnis von Aktionär, Hauptversammlung und Verwaltung steht seit den ersten aktienrechtlichen Gesetzgebungen mit wenigen Unterbrechungen im Zentrum der rechtspolitischen Diskussion, heute modern „Corporate Governance“. Die Trennung von Eigentum und Kontrolle, die spätestens seit den klassischen Arbeiten von Berle und Means1, aber _______________
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Berle, Adolf A. Jr./Means, Gardiner C., The modern corporation and private property, 1933.
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Spindler – Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung
auch schon vorher im deutschen Schrifttum bekannt war, führt immer wieder zu der Frage, wie der Einfluss der Aktionäre und die Kontrolle über die Verwaltung sinnvoll geregelt und verbessert werden kann2. Die Förderung des Interesses des Aktionärs an „seiner“ Gesellschaft, die Möglichkeit, über seine Stimme die Geschicke der Gesellschaft zu beeinflussen und über die Geschehnisse Auskunft zu verlangen – all’ dies hat stets das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs geprägt. Meilensteine dieser lang anhaltenden Diskussion und prägend für ihre jeweilige Zeit sind solche Schlagwörter wie der „Aktionärsdemokratie“ für das AktG 19653 oder die im Rahmen des Deutschen Juristentages 1996 erneut geführte Debatte um das Depotstimmrecht der Banken4. Allen Bemühungen zum Trotz, die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre und damit die Aktionärsbeteiligung zu stärken, musste in den letzten Jahren jedoch eine stetig sinkende Präsenzquote von Aktionären verzeichnet werden5 – was schon Mitte der neunziger Jahre befürchtet worden war6. So stellte etwa die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz DSW ein durchschnittliches Absinken um ca. 15 % auf 45,87 % bei den DAX 30-Unternehmen in den Jahren von 1998 bis 2005 fest7. Bei _______________
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Einen ausgezeichneten rechtsvergleichenden Überblick bieten Baums/ Wymeersch (eds.), Shareholder Voting rights and Practice in Europe and the United States, 1999. S. hierzu die Begründung des Regierungsentwurfs in Kropff, AktG 1965, S. 14 ff.; Wilhelmi, AG 1965, 153 ff.; später Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, 1974. Vgl. den Sitzungsbericht über die Verhandlungen der Abteilung Wirtschaftsrecht in Teil N des Bandes II/2 der Sitzungsberichte zu den Verhandlungen des 61. Deutschen Juristentages in Karlsruhe, 1996, insbesondere das Gutachten von Mülbert, Empfehlen sich gesetzliche Regelungen zur Einschränkung des Einflusses von Kreditinstituten auf Aktiengesellschaften; s. auch Hopt, Corporate Governance und deutsche Universalbanken, in: Feddersen/Hommelhoff/ U. H. Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996, S. 243, 256 ff. m. w. N.; zu den entsprechenden Beratungen auf dem 61. Juristentag 1996 vgl. Raiser, NJW 1996, 2257 sowie Hirte, NJW 1996, 2827, 2832; ferner Baums/v. Randow, AG 1995, 145; Baums, AG 1996, 11. Bericht des Bundesministeriums der Justiz über die Entwicklung der Stimmrechtsausübung börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland seit InKraft-Treten des Namensaktiengesetzes am 25.1.2001, NZG 2004, 948 ff.; s. auch den Bericht von Seibert, AG 2004, 529 ff. S. etwa H. P. Westermann, Vollmachtsstimmrecht und Streubesitzaktionäre, in: Feddersen/Hommelhoff/U. H. Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996, S. 264, 267 f. m. w. N. HV-Präsenzen der DAX 30-Unternehmen (1998–2005), http://www.dsw-info. de/Hauptversammlungspraesenzen.70.0.html.
Spindler – Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung
der Allianz Holding AG beispielsweise hat sich die HV-Präsenz von ca. 70 % im Jahre 1998 auf knapp 35 % im Jahre 2005 sogar halbiert. Die Deutsche Bank AG oder die Adidas-Salomon AG erreichen gerade noch die Marke von 25 % und nur in wenigen Fällen wie bei der Fresenius AG oder der SAP AG hat sich der Anteil derjenigen Aktionäre, die die Hauptversammlung besuchten, – zum Teil allerdings auf niedrigem Niveau – gehalten. Diese Entwicklungstendenz ist aller Wahrscheinlichkeit nach zwei Umständen zu verdanken: der schwindenden Attraktivität des Depotstimmrechts für Banken sowie der zunehmenden Internationalisierung der Aktionärsstrukturen8, insbesondere hinsichtlich der institutionellen Anleger wie Fondsgesellschaften9: Während früher das Depotstimmrecht als Mittel der Machtverstärkung der Banken im Wesentlichen kritisch betrachtet wurde, stehen heute vielmehr sogar Überlegungen im Raum, die Banken zur Stimmrechtsausübung für ihre Depotaktionäre zu verpflichten10. Diese auf den ersten Blick radikale Wendung spiegelt letztlich fundamentale Änderungen in den Kapital- und Finanzmärkten wider, die durch den Abschied von einer Überwachung der Unternehmen durch Banken (fremdkapitaldominierte Märkte) und den langsamen Übergang zu einer kapitalmarkt- bzw. eigenkapitaldominierten Marktsteuerung geprägt sind. Online-Banken, aber auch andere Banken wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind nicht mehr länger gewillt, ohne unmittelbaren Nutzen, aber mit zusätzlichen Kosten die Stimmrechte für ihre Kunden wahrzunehmen11. Hinzu _______________
8 Vgl. Deutsches Aktieninstitut, Dax-Aktionärsstrukturen, 2005, S. 7, 19. 9 S. auch Bericht des Bundesministeriums der Justiz (o. Fn. 5), NZG 2004, 948, 950 (sub. A.2.); Noack, ZIP 2005, 325, 326. 10 Zum Wandel der Überzeugungen s. noch Mülbert, Empfehlen sich gesetzliche Regelungen zur Einschränkung des Einflusses der Kreditinstitute auf Aktiengesellschaften?, 61. DJT 1996, E 18 ff.; Körber, Die Stimmrechtsvertretung durch Kreditinstitute, 1989, S. 28 ff.; dagegen schon auf den Vergleich zum proxy-system angelegt Tuerks, Depotstimmrechtspraxis vs. US proxy-system, 2000, S. 35 ff., 165 ff.; Marsch-Barner, FS Peltzer, 2001, S. 261 ff.; vgl. auch Hopt, AG 1997, Sonderheft zur Aktienreform, S. 42, 46. 11 Noack, FS Lutter, 2000, S. 1463, 1467; Baums, AG 1996, 11, 13; Hopt (o. Fn. 10), S. 259; s. auch Bericht des Bundesministeriums der Justiz (o. Fn. 5), NZG 2004, 948, 950 f. (sub. A.3.), der darauf hinweist, dass auch die Möglichkeit der Dauervollmacht diesem Trend nicht entgegen zu wirken vermochte, dort auch zu dem Vorschlag des ZKA, für Kapitalanlagegesellschaften bzw. Fonds entgegen dem bisherigen § 32 Abs. 1 Satz 4 InvestmentG weisungslose Vollmachten an Depotbanken zuzulassen.
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Spindler – Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung
kommen besondere Gefahrenlagen für Kreditinstitute, etwa wenn Sanierungsfragen oder andere umstrittene Beschlusspunkte auf der Tagesordnung stehen12, die das Kreditinstitut unter Umständen in die Gefahr einer Treupflichtverletzung infolge einer potentiellen Interessenkollision mit ihrer Stellung als Fremdkapitalgeber bringen können13. Die zunehmende Internationalisierung der Kapitalmärkte wiederum führte dazu, dass zahlreiche Aktionäre, insbesondere institutionelle Anleger, im Ausland ansässig sind. Viele Anleger waren aufgrund der erforderlichen Anmeldung zur Hauptversammlung offenbar der Meinung, dass Deutschland ein „shareholder (trade) blocking“-Land war, da vermeintlich der kurzfristige Handel vor der Hauptversammlung nicht mehr möglich erschien. Ob die Einführung des „record date“ durch das UMAG hier einen Umschwung bewirkt14, wird sich erst im Laufe der Zeit erweisen. Zu den Hemmnissen zählt offenbar auch die Informationsverbreitung, die nach wie vor nur in Papierform stattfindet15, so dass insgesamt viele ausländische Anleger abgeschreckt werden, an Hauptversammlungen schon allein aufgrund der damit verbundenen Kosten teilzunehmen16. Oftmals erfährt ein ausländischer Anleger von der Hauptversammlung erst, nachdem diese schon stattgefunden hat17. Selbst die Einführung der (mittelbaren) _______________
12 Ebenso Vetter, AG 2006, 32, 34. 13 Grundsätzlich können auch den Stimmrechtsvertreter Treuepflichten bei der Abstimmung treffen, s. dazu grundlegend BGH, NJW 1995, 1739 („Girmes“); dazu Hirte, NJW 1996, 2827, 2837 f.; Behnke, NZG 2000, 665, 667, ferner Tuerks, Depotstimmrechtspraxis vs. US proxy-system, 2000, S. 13 ff.; vgl. zu diesem Problem auch schon die Diskussion im Gesetzgebungsprozess zum AktG 1965 das in der Regierungsbegründung wiedergegeben wird, abgedruckt bei Kropff, AktG 1965, S. 194. 14 Zur Einführung des record date-Systems durch das UMAG s. Spindler, NZG 2005, 825, 826 f.; Simon/Zetzsche, NZG 2005, 369, 370 ff.; Diekmann/ Leuering, NZG 2004, 249, 256 f.; Seibert, BB 2005, 1457, 1457 f. 15 Vgl. Bericht des Bundesministeriums der Justiz (o. Fn. 5), NZG 2004, 948, 952 (sub. A.4.). 16 S. dazu die Feststellungen der Europäischen Kommission, Second Consultation by the Services of the Internal Market Directorate General, Fostering an Appropriate Regime for Shareholder’s Rights, http://europa.eu.int/comm/ internal_market/company/docs/shareholders/consultation2_en.pdf. 17 Vgl. hierzu Lutter, ZGR 2000, 1, 11: „Stimmrecht und Stimmrechtsausübung durch Vertreter: Die Unterschiede in Europa könnte kaum größer sein und geben dem dänischen Anleger in Kopenhagen derzeit nicht die geringste Chance, seine Beteiligungsrechte als Aktionär der italienischen Sozietà per Azioni auszuüben – von Fragen etwa einer schriftlichen Stimmabgabe kaum zu reden“.
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Spindler – Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung
elektronischen Bevollmächtigung und Stimmabgabe18 hat bislang noch nicht die erhofften Auswirkungen gehabt19; kurioserweise machen hiervon offenbar mehr Privatanleger als institutionelle Investoren Gebrauch20. Hält man das Banner der Aktionärsdemokratie hoch, kann dieser Zustand nur beklagt werden. Indes beruht er bei Lichte besehen auf einem aus ökonomischer Sicht völlig rationalen, aber auch lange bekannten Verhalten: der rationalen Apathie der (Klein-)Aktionäre. Für einen Aktionär einer an der Börse oder einem Markt notierten Aktiengesellschaft besteht keineswegs nur die Möglichkeit, seine Meinung nur durch sein Stimmrecht wahrzunehmen; vielmehr kann er seinen Anteil an den Märkten verkaufen („exit“)21 und über die dadurch ausgeübte Kursbeeinflussung mittelbar einen, wenn auch kleinen Einfluss ausüben. Die rationale Apathie ist daher nur Ausdruck eines ökonomischen Kalküls, das die Kosten einer Stimmrechtsausübung, ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit, der Kosten der gemeinsamen Aktion („collective action“) anderen Strategien gegenüber abwägt – und in der Regel dazu führt, dass es ökonomisch effizient ist, nicht an einer Hauptversammlung teilzunehmen und abzustimmen22. Nun werden zentrale Bestandteile dieser rationalen Apathie heutzutage durch die Neuen Medien und die radikale Senkung bestimmter Kosten modifiziert bzw. aufgehoben, insbesondere die Kosten der Informationsbeschaffung, aber auch des Informationstransports selbst. Demgemäß _______________
18 Die reine Internet-Hauptversammlung ist nicht zulässig, wohl aber eine Hauptversammlung, die nicht physisch präsente Aktionäre in die Abstimmung über Stimmrechtsvertreter einbezieht, s. dazu Hüther, MMR 2000, 521, 526; Zetzsche, ZIP 2001, 682; Noack, NZG 2004, 297, 301; ders., NZG 2003, 241, 245 f., 247; Muthers/Ulbrich, WM 2005, 215; Mimberg, ZGR 2003, 21; Than, FS Peltzer, 2001, S. 577; Spindler, ZGR 2001, 385. 19 S. schon die Prognose von v. Rosen, Repräsentanz der Streubesitzaktionäre, in: Feddersen/Hommelhoff/U. H. Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996, S. 299 ff. 20 S. Bericht des Bundesministeriums der Justiz (o. Fn. 5), NZG 2004, 948, 954 (sub. A.6b). 21 Zu diesem klassischen Paradigma des „exit or vote“ s. etwa Schlitt, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 35 WpÜG Rn. 6. 22 Statt vieler Easterbrook/Fischel, Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 66; Cheffins, Company Law: Theory, Structure, and Operation, 1997, S. 241; Mülbert, Gutachten 61. DJT 1996, E 92 m. w. N.; Tuerks, Depotstimmrechtspraxis vs. US proxy-system, 2000, S. 178 ff.; Deutsches Aktieninstitut, Verhalten und Präferenzen deutscher Aktionäre, 2005, 28 ff., 37; Zetsche, BKR 2003, 736, 736 f.
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Spindler – Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung
stellt es – vordergründig – kein Problem dar, sich notwendige Angaben über Beschlussgegenstände und grundlegende Daten über die Gesellschaft zu beschaffen. Ebenso wenig wäre es bei einer rein elektronischen Hauptversammlung ein Hindernis, sich daran zu beteiligen; die Kosten der physischen Präsenz entfielen (electronic voting). Zwar ist zweifelhaft, ob andere Elemente im ökonomischen Kalkül unberührt bleiben, insbesondere das Problem der collective action, nämlich die Ungewissheit, ob die einzelne Stimme tatsächlich etwas bewirken kann. Doch spielen auch hier die Neuen Medien eine Rolle, die die spontane Selbstorganisation erheblich vereinfachen, damit unter Umständen eines der Basisprobleme der collective action beseitigen können; diesem Gedanken hat der deutsche Gesetzgeber bereits mit der Schaffung des elektronischen Aktionärsforums23 nach § 127a AktG Rechnung getragen24. Vor allem Kleinaktionäre erhalten damit die Möglichkeit miteinander in Kontakt zu kommen, ihre Interessen zu bündeln und gegebenenfalls eine gemeinsame Strategie zu entwickeln25. Als Fernziel für die Installation eines Aktionärsforums ist die Stärkung und weitere Verbreitung des Streubesitzes in der deutschen Aktienkultur trotz der fortschreitenden Internationalisierung angegeben26. Bislang kaum beachtet, gilt es aber auch ein anderes Phänomen der Internet-Kommunikation zu berücksichtigen: Mit der Senkung der Zugangskosten zur Information und der Organisation steigen indes andererseits die Kosten, die mit der Evaluation der Qualität einer Information verbunden sind – ein Phänomen, das jeder Internetnutzer kennt, der in der Flut von oftmals unbrauchbaren Informationen ertrinkt. Die Kosten _______________
23 Am 1. Dezember 2005 ist mit der Aktionärsforumsverordnung (AktFoV v. 22.11.2005), BGBl I., 3193 in Kraft getreten. Mittels des Aktionärsforums des elektronischen Bundesanzeigers können Aktionäre im Internet zu einem gemeinsamen aktienrechtlichen Antrag oder zur Ausübung des Stimmrechts in einer Hauptversammlung aufrufen. Das Aktionärsforum soll als „Pinnwand mit Kontaktadresse“ zu verstehen sein, Seibert, AG 2006, 126, 128. 24 S. dazu Spindler, NZG 2005, 825, 827 f. m. w. N.; Noack, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 37, 48 f.; Siems, ZGR 2003, 218, 224 f.; als „Interventions- und Reaktionsmöglichkeit“ von vorbereitender Natur sieht das Aktionärsforum ferner Seibert, AG 2006, 16, 18 (rechte Spalte). 25 BegrRegE BT-Dr 15/5092, S. 15 ff.; Spindler, NZG 2005, 825, 827 f.; Fleischer, NJW 2005, 3525, 3527; kritisch hingegen Diekmann/Leuering, NZG 2004, 249, 253. 26 Begr. der Verordnung über das Aktionärsforum (AktFoV), veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 241 v. 21. Dezember 2005 (S. 16869), S. 1.
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der Information verlagern sich daher: von dem Zugang zur Information auf die Qualitätseinschätzung der Information. Daher bleiben die Informationsungleichgewichte zwischen dem Kleinaktionär und professionellen und institutionellen Anlegern grundsätzlich bestehen, das Problem der collective action verlagert und akzentuiert sich nur. Ziel der Verbesserung der Aktionärsbeteiligung kann daher realistischerweise nicht der Kleinaktionär oder der Privatanleger, sondern nur der institutionelle Anleger, insbesondere die Finanzintermediäre und Fondsanlagegesellschaften sein; nur hier gilt es überhaupt Anreize zu prüfen und gegebenenfalls zu schaffen. Neben den schon teilweise umgesetzten Neuerungen in Richtung einer virtuellen Hauptversammlung stehen vor allem die Hindernisse ausländischer Anleger zur Teilnahme an der Hauptversammlung sowie – besonders aus deutscher Sicht – zusätzliche Anreize für Aktionäre im Zentrum der neueren Diskussionen, die im folgenden zu beleuchten ist:
II. Europäische Reformbestrebungen Die oben beschriebenen Hindernisse vor allem für ausländische Investoren haben zu zahlreichen Reformüberlegungen geführt, die mittlerweile nach zwei durchgeführten Konsultation durch die EU in einen neuen Richtlinienvorschlag der Kommission über Aktionärsrechte, insbesondere Stimmrechte und den Informationen vor und nach der Hauptversammlung mündeten27. Für Deutschland ist vor allem das neue record dateVerfahren hervorzuheben, das das in vielen Stellungnahmen besonders betonte „shareholder blocking“ beseitigen soll.
1. Notwendigkeit einer Richtlinie? Bevor man sich indes dem neuen Richtlinienvorschlag zuwendet, sollte man kurz inne halten und die Notwendigkeit einer europaweiten Regulierung und neuen Normen überdenken. So sprechen zwar auf den ersten Blick die Nöte ausländischer Anleger deutlich dafür, europaweit die _______________
27 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre von Gesellschaften, die ihren eingetragenen Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/109/EG, COM 2005 (685), abrufbar unter http://europa.eu. int/comm/internal_market/company/docs/shareholders/draft_directive_de.pdf.
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Aktionärsrechte zu harmonisieren. Doch sind bei genauerer Betrachtung erhebliche Zweifel angebracht, ob tatsächlich eine zwingende Mindestharmonisierung geboten ist: Haben Aktiengesellschaften ein Interesse daran, gerade auch für ausländische Investoren attraktive Bedingungen zu bieten, kann es im Grundsatz dem Wettbewerb um solche Investoren überlassen bleiben, wie die Teilnahme und Stimmrechtsausübungen gestaltet werden28. Voraussetzung wäre allerdings, dass zwingende nationale Vorschriften, die die Beteiligung ausländischer Investoren behindern, zugunsten einer weitergehenden Satzungsfreiheit aufgehoben würden29. Insgesamt wäre demnach zunächst zu untersuchen, in welchen Bereichen tatsächlich ein Marktversagen eintritt, bevor breitflächig und unflexibel Mindestregelungen eingeführt werden. Denkbar wäre zudem durchaus, derartige Fragen einem nationalen Kodex oder zumindest dem Wettbewerb der nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen zu überlassen30. Auf die Probleme, die mit einer partiellen die Stimmrechtsausübung betreffenden Harmonisierung verbunden sind, wird auch in verschiedenen Stellungnahmen zur EU-Konsultation hingewiesen, die eher Lösungen zwischen den beteiligten Akteuren favorisieren31. Allerdings ist einzuräumen, dass auch die US-amerikanische Erfahrung eher für eine zwingende Harmonisierung spricht, da die Proxy-FightRegeln im bundesstaatlichen Kapitalmarktrecht angesiedelt sind32 – und nicht in den einzelstaatlichen Gesellschaftsrechten33; Gleiches gilt für die elektronische Hauptversammlung34. Auch im Detail stellen sich vergleichbare Fragen: Die Konzentration des Richtlinienvorschlags auf bestimmte technische Lösungen, etwa der Web_______________
28 S. auch Siems, EBOR 6 (2005), 539, 549. 29 Zu den Problemen eines Übergangs von einem zwingenden Aktienrecht auf ein System mit weitgehender Satzungsfreiheit Spindler, AG 1998, 53, 58 ff. 30 Dafür jetzt prononciert Siems, EBOR 6 (2005), 539, 545 ff. 31 Stellungnahme Zentraler Kreditausschuss 11. Juli 2005, S. 2. 32 S. hierzu sec. 14 und sec. 14a des US-amerikanischen Securities Exchange Act of 1934 sowie die sog. interstate commerce clause in Art. 1 Sect. 8 der Amerikanischen Verfassung; ferner die von der U.S. Securities and Exchange Comission (SEC) erlassene General Rules and Regulations zu sec. 14 § 240.14a, die regelmäßig überarbeitet werden (abrufbar unter http://www.sec.gov/about/ laws/secrulesregs.htm; http://www.law.uc.edu/CCL/34ActRls/reg14A.html); ferner Loss/Seligman, Fundamentals of Securities Regulation, 5th ed., 2004, S. 529 ff.; ausführlich Tuerks, Depotstimmrecht, 2000, S. 75. 33 Anders offenbar Siems, EBOR 6 (2005), 539, 547, der für einen Wettbewerb der Rechtsordnungen plädiert. 34 Dazu Spindler/Hüther, RIW 2000, 329.
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Seite eines Unternehmens, bedingt eine Starrheit gegenüber zukünftigen Kommunikationswegen. Ratsamer wäre hier eine Anpassungsmöglichkeit auf Verordnungsebene, vergleichbar dem Lamfalussy-Verfahren35 – will man auch hier nicht Satzungsfreiheit einräumen. Schon in der Transparenz-Richtlinie36 finden sich bereits in Art. 17 einige Vorgaben für Aktionärsrechte, so z. B. die Ausübung der Stimmrechte durch Vertreter (shareholder proxy voting) nach Maßgabe des Rechts der Mitgliedstaaten. Art. 17 Abs. 3 sieht darüber hinaus bereits den Einsatz elektronischer Medien zur Information der Aktionäre vor, sofern die Hauptversammlung sich dafür entschieden hat und (neben anderen Bedingungen) die Identifizierung des Aktionärs gesichert ist, damit Aktionäre, die Weisungen ausüben bzw. abstimmen, tatsächlich informiert werden (Art. 17 Abs. 3b). Allerdings muss der Aktionär (Art. 17 Abs. 3c) zuvor schriftlich zugestimmt haben, wobei Schweigen auch als Zustimmung gewertet wird. Die Bedingung der Zustimmung jedes einzelnen Aktionärs ist zu Recht kritisiert worden, da fraglich ist, wozu die Hauptversammlung noch generell den Einsatz elektronischer Mittel beschließen muss37. Gegenüber den Regelungen der Transparenz-Richtlinie ist zu Recht kritisiert worden, dass sie den zweiten Schritt vor dem ersten mache, da nicht bekannt sei, an wen die Informationen gehen müssten, da die Aktionäre bei papierlosen Systemen bzw. Anteilen an einer Globalurkunde und Verbuchung allein über Depotkonten nicht unbedingt bekannt sind38. Vielmehr ist eine Kette von Intermediären involviert, die bei dem zentralen Verwahrer (central securities depositary) als ClearingStelle im Börsenhandel beginnt, über die diesem angeschlossene Wertpapierdienstleister (intermediaries) bis hin zu weiteren Intermediären, wie weitere Banken oder Vermögensverwalter, und zum Endkunden reicht39.
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35 Hierfür zu Recht Siems, EBOR 6 (2005), 539, 543. 36 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl v. 31.12.2004, L 390, S. 38. 37 Noack, ZIP 2005, 325, 327. 38 Noack, ZIP 2005, 325, 327; Noack/Zetzsche, WM 2004, 1, 3, 9. 39 Cross-border voting Report, 2002, S. 14 f.; s. auch das Beispiel bei Noack, ZIP 2005, 325, 327.
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2. Der Richtlinienvorschlag der EU Die eigentlichen Impulse erhielt der neue Richtlinienvorschlag der Kommission aber durch eine Expertengruppe, die sich den Problemen des Cross-Border-Voting unter Federführung von Winter40 annahm, und die teilweise sich auch in den Empfehlungen der High Level Group of Experts41 und dem sich anschließenden EU-Action-Plan zur Reform des Gesellschaftsrechts niedergeschlagen haben, der in vielen Teilen die Einführung von elektronischen Stimmabgaben und Vorgaben für die Information vor und nach der Hauptversammlung enthält.42 Alle drei Empfehlungen – mit Nuancen in den Einzelheiten – ist die Beschreibung der Problemkreise gemeinsam, welche sich zu drei Problemkreisen zusammenfassen lassen: 1) die Rechtsinhaberschaft „entitlement to control the voting right“ 2) die Ausübung des Stimmrechts 3) die Information43. Diese Impulse nahm die EU-Kommission in zwei Konsultationen44 auf, die in der zweiten Fassung schon die geplanten Konturen der nun vorgeschlagenen Richtlinie über die Ausübung der Stimmrechte erkennen ließ.
a) Anwendungsbereich Zunächst beschränkt sich die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag auf börsennotierte Unternehmen45. Nicht-börsennotierte Aktiengesellschaften werden dagegen nicht erfasst, so dass es den Mitgliedstaaten freisteht, die Regelungen der Richtlinie auf diese zu übertragen. Auch die _______________
40 Cross-Border Voting in Europe – Final report of the Expert Group on Cross Border Voting in Europe, August 2002; s. auch die umfangreichen rechtsvergleichenden Analysen zu den Rechten der Aktionäre in Baums/Wymeersch (Fn. 2). 41 Abrufbar unter http://www.kpmg.de/audit-committee-institute/751_884.htm. 42 EU-Action-Plan KOM (2003) 284 endg. v. 21.5.2003 abrufbar unter http:// europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/shareholders/draft_direc tive_de.pdf. 43 Cross-border voting Report, 2002, S. 22 f., zust. Bericht des Bundesministeriums der Justiz (o. Fn. 5), NZG 2004, 948, 952 (sub. A.4.e). 44 Erste Konsultation, abrufbar unter http://europa.eu.int/comm/internal_mar ket/company/docs/shareholders/consultation_de.pdf., zweite Konsultation abrufbar über http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/share holders/consultation2_en.pdf. 45 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 1, Nr. 1.
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Fonds nach der UCITS- bzw. OGAW-Richtlinie können nach Art. 1 Nr. 2 durch die Mitgliedstaaten von der Anwendung der Richtlinie ausgenommen werden46, auch wenn in der Konsultation immer noch von „securities“ statt von „shares“ die Rede war47. Der Richtlinienvorschlag sieht lediglich eine Mindestharmonisierung vor, indem in Art. 3 den Mitgliedstaaten ausdrücklich der Erlass strengerer Bestimmungen freigestellt wird.
b) Der „ultimate investor“ Kritischer ist die Bestimmung des „ultimate investor“ als derjenigen Person, die letztlich als wirtschaftlicher Eigentümer bzw. Aktionär über Stimmrecht entscheidet. Denn jeglicher Versuch, den Aktionär besser zu informieren und zur Teilnahme an der Hauptversammlung zu bewegen, hängt davon ab, ihn ansprechen bzw. ihm die Informationen zuleiten zu können. Schon die Winter-Gruppe hatte dies klar erkannt48; doch wurde ihr an sich gut nachvollziehbarer Vorschlag einer Differenzierung danach, ob ein Finanzintermediär noch der Aufsicht unterliegt, weitgehend abgelehnt. Dagegen lässt die EU jetzt Sympathie für den UNIDROITVorschlag49 erkennen, steht aber einer umfassenden Definition reserviert gegenüber, da erstens der Gewinn an Rechtssicherheit angesichts der Vielzahl an Möglichkeiten, wie Anteile gehalten werden können, gering sei, zweitens in der Praxis die Ermittlung des ultimate inverstor keine unüberwindlichen Hindernisse bereiteten und schließlich das crossborder voting nur von vorheriger Information und der Möglichkeit der Stimmabgabe abhänge, einerlei wer diese ausübe. Die EU will damit die intrikaten Probleme umgehen, die mit der Bestimmung des „wahren“ Aktionärs angesichts der zahlreichen Gestaltungen in der Praxis bestehen, wie treuhänderische Verwahrung etc50. Demgemäß verwundert es nicht, dass die Praxis in Stellungnahmen der EU in dem Verzicht auf eine einheitliche Definition zustimmt51. _______________
46 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Begründung zu Art. 1; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 1 S. 4 f. 47 Krit. dazu Stellungnahme ZKA 11. Juli 2005, S. 3. 48 Cross-border voting Report, 2002, S. 24 ff.; Noack, ZIP 2005, 325, 328. 49 „the legal or natural person that holds a securities account for its own account shall have the right to determine how votes attached to shares credited to its securities account are to be cast“. 50 Second Consultation (o. Fn. 44), No. 2 S. 5–7. 51 Stellungnahme Deutsches Aktieninstitut 15. Juli 2005, S. 3 f.: Rechtsunsicherheit durch abstrakte Definition.
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In der Tat kann man es den vertraglichen Beziehungen zwischen dem Aktionär und seinem Finanzintermediär oder Vermögensverwalter überlassen, ob und wie er die Informationen erhält; sicherzustellen ist allerdings, dass die Informationen bis zu einem gewissen Punkt in der Finanzintermediärkette weitergeleitet werden müssen – und hier ist der WinterGruppe und der entsprechenden Kritik an den EU-Vorhaben beizupflichten, da dies offenbar bewusst ausgespart wird52. Leider wurde daher aus der ersten Konsultation der Vorschlag offenbar nicht weiter verfolgt, die Intermediäre zu verpflichten, den Endanleger eindeutig zu identifizieren, auch wenn dies anonym geschehen kann53. Daher enthält auch nunmehr der Richtlinienvorschlag nichts näheres dazu, wer als „ultimate investor“ anzusehen ist. Stattdessen beschränkt sich Art. 2c im Rahmen der Begriffsdefinitionen darauf, den Aktionär als denjenigen zu umschreiben, der Aktien des Emittenten hält, sei es im eigenen Namen und für eigene Rechnung oder im eigenen Namen, aber für Rechnung einer anderen natürlichen oder juristischen Person, womit auch die Treuhandverhältnisse erfasst werden. Keine Aufnahme haben dagegen die Vorstellungen der Kommission zur Aktienleihe (stock lending) gefunden, wonach der Finanzintermediär dem Kunden bei einer Leihe an Dritte zwingend mitteilen sollte, was mit den Stimmrechten geschehe54. Mehr als ein Drittel der Befragten hielt eine solche Regel für überflüssig, da üblicherweise nur professionelle Marktteilnehmer eine solche Leihe vornähmen und der Leihnehmer üblicherweise die Stimmrechte ausüben könne55. Ebensowenig umfasst die jetzige Definition die Inhaber von Aktienzertifikaten, was die Kommission in einer späteren Empfehlung regeln möchte56.
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52 Noack, ZIP 2005, 325, 327. 53 Vgl. den Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27); krit. Noack, ZIP 2005, 325, 329, der für eine Identifizierung und Authentifizierung durch das jeweilige depotführende Institut (direct approach) entsprechend § 123 Abs. 3 Satz 2 AktG plädiert, nicht dagegen für eine Zusammenführung durch den Zentralverwahrer (sog. chain approach). 54 Second Consultation (o. Fn. 44), No. 3.1 S. 7. 55 Stellungnahme ZKA 11. Juli 2005, S. 4 f.; ähnlich Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 4. 56 Begründung Richtlinienvorschlag (o. Fn. 27), S. 5 Ziff. 2.1.2.
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c) Informationspflichten vor der Hauptversammlung Verbreitet war die Kritik an Art. 17 der Transparenz-Richtlinie, der lediglich vorschreibt, dass in den Mitgliedstaaten die relevanten Informationen verfügbar sein müssen57. Die Kommission will daher in verschiedener Weise eine Harmonisierung erreichen: So findet sich jetzt in Art. 5 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags die zwingende Mitteilung von Ort, Zeit und Tagesordnung und Rechte der Aktionäre sowie die Angabe des Ortes, wo die Informationen zur Hauptversammlung erhalten oder herunter geladen werden können, insbesondere aller Abstimmungsvorschläge und Dokumente, die der Hauptversammlung vorgelegt werden sollen58. Ferner wird eine klare Beschreibung der Abstimmungsverfahren für erforderlich gehalten59. Die teilweise vertretene Auffassung, dass die Unterlagen für die Hauptversammlung zugesandt werden müssen („push“), fand jedoch keinen Niederschlag im Richtlinienvorschlag. Zwingend vorgesehen ist ferner, dass der Emittent auf seiner Web-Seite neben der Einladung zur Hauptversammlung und der Gesamtzahl der Aktien und Stimmrechte die beantragten Beschlüsse und Unterlagen zur Verfügung hält, ebenso wie Formulare zur Verwendung bei Abstimmung per Brief oder in Stimmrechtsvertretung60. Ähnlich sah schon das zweite Konsultationspapier vor, dass die Informationen auf der Website der Gesellschaft nach dem Vorbild des Art. 6 der Marktmissbrauchs-Richtlinie61 vorab verfügbar sein sollten62. Schon Ziff. 2.3.1 Dt. Corporate Governance Kodex verlangt, dass alle der HV vorzulegenden oder auszulegenden Dokumente auf der jedermann zugänglichen Webseite präsentiert werden müssen63. Die Kommission legt sich jetzt aber demgegenüber _______________
57 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Allgemeine Begründung. 58 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 5 Abs. 2a) – e). 59 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 5 Abs. 2c); Second Consultation (o. Fn. 44), No. 4 S. 10; für die Dokumente, die der Hauptversammlung vorgelegt werden sollen, war hier sogar noch eine Frist von mindestens 15 Werktagen vorgesehen. 60 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 5 Abs. 3. 61 Richtlinie 2003/6/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), Abl. L 96/16 v. 12.4.2003. 62 Second Consultation (o. Fn. 44), No. 4 S. 11. 63 Dazu Peltzer, Deutsche Corporate Governance, 2. Aufl. 2004, Rn. 276 ff.; Kremer, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Aufl. 2005, Ziff. 2.3.1, Rn. 299 ff.; Noack, NZG 2004, 241, 243.
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offenbar auf ein „Pull“-Modell fest, indem der Aktionär sich die Informationen besorgen muss – im Gegensatz noch zum Stand der Diskussion nach der zweiten Konsultation, erst recht wurden die entsprechenden Vorschläge aus der ersten Konsultation nicht wieder aufgenommen64. Gangbar wäre hier der Vorschlag gewesen, dass als best practice Rule der Aktionär sich in eine E-Mail-Liste eintragen kann, so dass er bei neuen Web-Site-Meldungen benachrichtigt wird65, z. B. entsprechend dem Vorschlag der Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht66 als Grundsätze guter Website-Information entsprechend von Kodex-Empfehlungen. Ebensowenig hat sich der Richtlinienvorschlag die Anregung zu eigen gemacht, dass die Informationen auch über ein zentrales elektronisches Informationsmedium abrufbar sein müssen, um eine entsprechende Authentizität zu gewährleisten67; vielmehr spricht Art. 5 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags nur davon, dass die Informationen zu versenden sind, in Art. 5 Abs. 3 nur von der Web-Seite des Emittenten. Eine heftig umstrittene Frage betraf ferner die Mindestfrist für die Einladung zur Hauptversammlung: Hier sieht Art. 5 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags eine Zeitspanne von spätestens 30 Kalendertagen für die „erstmalige Einladung“ vor68. Keine Aufnahme hat dagegen – wohl auch aufgrund der heftigen Kritik – die noch im Konsultationsprozess vorgesehene Frist von 10 Werktagen für außerordentliche Versammlungen gefunden; zu Recht, da gerade außerordentliche Versammlungen oftmals mehr Zeit zur Vorbereitung benötigen69. Keine Aufnahme fand schließlich ein anderer – wie immer in der EU – heikler Punkt: die Sprachenfrage. Nach der ursprünglichen Vorstellung der Kommission sollten die Dokumente in eine Sprache übersetzt werden müssen, die in der „sphere of international finance“ gebräuchlich ist, _______________
64 S. dazu First Consultation (o. Fn. 44), No. 6.1. S. 18. 65 Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts, Stellungnahme der Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht (Group of German Experts on Corporate Law), ZIP 2003, 863, 866 (sub III.2.2.). 66 Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts, Stellungnahme der Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht (Group of German Experts on Corporate Law), ZIP 2003, 863, 866. 67 Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht (Group of German Experts on Corporate Law), ZIP 2003, 863, 866 (sub. III.2.1.). 68 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 5, Nr. 1; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 4 S. 9; s. auch Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 5. 69 Second Consultation (o. Fn. 44), No. 4 S. 9; s. auch Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 5.
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außer wenn die Hauptversammlung sich mit Mehrheit dagegen ausspricht70. Es ist nicht verwunderlich, dass die Reaktionen auf diesen Vorschlag sehr verhalten ausfielen, da mit den Übersetzungen erhebliche Kosten, aber auch Rechtsrisiken verbunden sind, etwa der Frage, welche Wortlautauslegung verbindlich ist71. In der Tat wäre es wenig verständlich, warum Gesellschaften gezwungen werden sollten, ihre Dokumente in bestimmte Sprachen zu übersetzen; der Investor hat bewusst in eine bestimmte Gesellschaft investiert, die einem anderen Sprachkreis angehört. Zudem wäre fraglich, warum dann nicht auch eine Übersetzung und eine Abhaltung der Hauptversammlung etwa in englischer Sprache verlangt würden. Die Kommission will dies nun in einer Empfehlung regeln72. Insgesamt ist nicht ersichtlich, warum abgesehen von freiwilligen, von den Gesellschaften im Rahmen der Investor’s relations oft vorgenommenen Übersetzungen eigenständig Übersetzungsleistungen erbracht werden sollen.
d) Gleichbehandlung Der Richtlinienvorschlag zurrt ferner einen Grundsatz fest, der für das deutsche Aktienrecht selbstverständlich ist73: die Gleichbehandlung aller Aktionäre (Art. 4). Demgemäß ist hiergegen aus deutscher Sicht wenig zu erinnern. Allerdings verwundert die enge Fassung des Richtlinienvorschlags, da die Gleichbehandlung sich nur auf die Teilnahme und das Stimmrecht auf den Hauptversammlungen bezieht; ein genereller Gleichbehandlungsgrundsatz wird dagegen nicht statuiert.
e) Teilnahme an der Versammlung Einem in der Praxis immer wieder beklagte Hindernis, nämlich der Anmeldung zur Hauptversammlung, will die Kommission auch europaweit die Zähne ziehen: Das record date-System, das das UMAG gerade auch in _______________
70 71 72 73
Second Consultation (o. Fn. 44), No. 4 S. 11. Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 7. Begründung zum Richtlinienvorschlag, S. 3 (Ziff. 1.2.). BGHZ 33, 175, 186 = NJW 1961, 26; BGHZ 44, 245, 246 = NJW 1966, 43; ferner BGHZ 120, 141, 150 f. („Bremer Bankverein“); Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, 1958, S. 35 ff.; 44 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 301 ff.; Hüffer, AktG, 6. Aufl. 2004, § 53a Rn. 1; Bungeroth, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 53a Rn. 2; Lutter, in: KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 53a Rn. 2; Henze/ Notz, in: Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2004, § 53a Rn. 3.
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§ 123 Abs. 2 und 3 AktG verankert hat74, soll nunmehr zwingend für die EU eingeführt werden75 – was schon in der Konsultation auf breitflächige Zustimmung gestoßen ist, wobei Einzelheiten indes nach wie vor umstritten sind.76 Ebenso wenig Widerstand ernteten die – vorsichtigen – Vorschläge der Kommission für die elektronische Beteiligung an den Hauptversammlungen: Aufgrund der Kosten einer Partizipation der Aktionäre via Internet soll kein Emittent gezwungen sein, eine solche Beteiligung anzubieten; andererseits sollen die Mitgliedstaaten auch keine Hürden aufstellen, wie Art. 8 des Richtlinienvorschlags unmissverständlich festhält77. Die kritischen Fragen der Sicherheit, insbesondere der Identifizierung, hat die Kommission indes nicht näher aufgegriffen, sondern nur klargestellt, dass diese nicht als Hindernisse zu begreifen sind78. Hier sollte es im Sinne der Flexibilität entsprechenden Normungsverfahren überlassen bleiben, allgemein umschriebene Sicherheitsanforderungen zu konkretisieren, vergleichbar dem Ansatz der EU im Bereich der Produktsicherheit. In vergleichbarer Weise will der Richtlinienvorschlag auch die elektronische Stimmrechtsausübung erleichtern, ohne Emittenten zu deren Einführung zu zwingen, Art. 12 Abs. 2. Das Fragerecht soll ebenfalls als fundamentales Mitgliedschaftsrecht harmonisiert werden79, wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist, wenn man den Harmonisierungsansatz überhaupt teilt. Wenig überraschend ist es allerdings auch, dass die Bewältigung des häufig zu beobachtenden Missbrauchs Probleme aufwirft80. Die Kommission will hier entsprechende Vorbehalte für die Mitgliedstaaten zulassen81 – was letztlich aufgrund der zahlreichen Konstellationen nicht anders möglich ist, anderer_______________
74 S. dazu Simon/Zetsche, NZG 2005, 369; Spindler, NZG 2005, 825, 826 f. 75 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 7 Abs. 1. 76 S. etwa die Stellungnahmen des DAI 15. Juli 2005, S. 8 sowie des ZKA 11. Juli 2005, S. 8. 77 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 8; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 6.1 S. 12 f.; zust. auch Noack, ZIP 2005, 325, 331; s. auch Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht (Group of German Experts on Corporate Law), ZIP 2003, 863, 867 (sub. III.5.1.). 78 Vgl. den Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 8. 79 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 9. 80 Stellungnahme ZKA 11. Juli 2005, S. 9; s. ferner jüngst Noack, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 37, 46 ff. m. w. N. 81 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 9, Nr. 2; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 6.2 S. 13: good order of General Meetings, protection of confidentiality and strategic interests of issuers.
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seits aber auch die Möglichkeit eröffnet, über den EuGH zu einer Harmonisierung zu gelangen. Schwieriger sind die Vorhaben der Kommission, auch Fragen vor der Präsenzversammlung zuzulassen sowie die Antworten auf alle Fragen vor und während der Hauptversammlung jedem Aktionär zugänglich zu machen, indem sie auf der Internet-Webseite der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden müssen82. Kritisiert wurde hier insbesondere der Aufwand (etwa ein stenographisches Protokoll etc.) und das entstehende Anfechtungsrisiko (z. B. im Hinblick auf exakte Wiedergabe der mündlichen Frage auf der Webseite der Gesellschaft)83. Aber auch die direkte Kommunikation könnte mit Art. 9 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags aufgehoben werden: Denn wenn eine Antwort bereits als erteilt gilt, wenn sie auf der Webseite unter den „Häufig gestellten Fragen“ auftaucht, bedarf es keiner Antwort im Hauptversammlungssaal mehr, auch bei Präsenzveranstaltungen. Probleme wirft aber auch der mögliche Missbrauch des Fragerechts vor der Hauptversammlung auf, insbesondere die Möglichkeit einer Lahmlegung der Verwaltung mit ständigen Anfragen84. Das UMAG hat dagegen einen vernünftigen Kompromiss für das Bedürfnis, Fragen und Antworten bereits vor der Hauptversammlung zu bündeln, gefunden, indem nunmehr gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AktG solche Fragen auf der Hauptversammlung nicht mehr beantwortet werden müssen, soweit die Auskunft hierzu bereits auf der Internetseite der Gesellschaft über mindestens sieben Tage vor Beginn und in der Hauptversammlung durchgängig zugänglich ist85. Weniger Kritik zog auch der Vorschlag der Kommission auf sich, das Recht auf Ergänzung der Tagesordnung und auf Stellung entsprechender Beschlussanträge zu harmonisieren86. Problematisch erschien hier nur, welche Quoren für diese Rechte angesetzt werden sollen und innerhalb welcher Fristen die Rechte ausgeübt werden müssen, damit andere Aktionäre noch Kenntnis von den Anträgen erhalten können. Die Kommission sieht hierfür jetzt höchstens 5 % des Grundkapitals oder höchstens 10 Mio. Euro des Nennwertes vor87. Damit wurde der zuvor ge_______________
82 83 84 85
Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 9 Art. 3. Stellungnahme ZKA 11. Juli 2005, S. 9. Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 9. S. dazu Schütz, NZG 2005, 5, 11; Spindler, NZG 2005, 825, 826; zuvor Noack, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 37, 47 ff.; jüngst Göz/Holzborn, WM 2006, 157, 164. 86 Vgl. hierzu jetzt Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 6. 87 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 6 II; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 6.3. S. 14.
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äußerten Kritik an den unpräzisen Referenzgrundlagen Rechnung getragen, da weder marktbezogene Werte noch das Kapital insgesamt sinnvolle Größen bilden können, wenn es um das stimmberechtigte Kapital geht88. Allerdings sieht der Richtlinienvorschlag auch in Art. 6 Abs. 3 vor, dass die Rechte zur Ergänzung der Tagesordnung und zur Stellung neuer Beschlussanträge „rechtzeitig“ vor der Hauptversammlung ausgeübt werden müssen, so dass andere Aktionäre vor der Hauptversammlung Zugang zu ihnen erlangen können; was dies im einzelnen bedeutet, bleibt im Richtlinienvorschlag offen.
f) Stimmrechte Für das Stimmrecht will die Kommission auf jeden Fall die elektronische Ausübung ermöglichen, aber wegen der damit verbundenen Kosten nicht zwingend vorschreiben89. Allerdings trennt die Kommission zwischen direkter elektronischer Stimmabgabe und der Stimmabgabe über einen Stimmrechtsvertreter, so dass die Kritik, ob überhaupt eine Notwendigkeit für eine solche Harmonisierung, nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist90. Auch hier fehlt es indes wieder an der Harmonisierung entscheidender Voraussetzungen für die elektronische Stimmrechtsausübung, den Sicherheits- und Identifikationsanforderungen; nur so kann überhaupt die Frage beantwortet werden, was als Barriere für die elektronische Stimmrechtsausübung qualifiziert werden kann. Mit der Einführung einer optionalen direkten elektronischen Stimmrechtsausübung öffnet die Kommission aber auch für die Zukunft entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten, etwa einer eigenständigen Internet-Hauptversammlung. Noack91 hat zu Recht daraufhin gewiesen, dass damit die bisherigen Grundlagen für die Hauptversammlung grundlegend geändert werden. Schließlich sind zahlreiche Einzelheiten nach wie vor offen, etwa ob die Stimmabgabe schon im Vorfeld der Versammlung erlaubt
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88 S. dazu die Antworten auf die Second Consultation (o. Fn. 44), No. 6.3. S. 14. 89 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 12 Abs. 2; anders Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht (Group of German Experts on Corporate Law), ZIP 2003, 863, 867 sub. III.4.1.: obligatorische elektronische Abstimmung. 90 Weitergehend noch Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 10: nur elektronische Stimmabgabe über elektronisch erteilte Stimmrechtsvollmachten. 91 Noack, ZIP 2005, 325, 331.
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wird und wie diese sich dann zu neuen Beschlussvorlagen und Informationen verhält92. Breitflächige Zustimmung haben auch die Vorschläge der Kommission zur Harmonisierung der Stimmrechtsvertretung gefunden93, wonach anders als in der Transparenz-Richtlinie die Rahmenbedingungen der Vollmachtserteilung und der Ausübung in dem Richtlinienvorschlag nun zwingend geregelt sind94. So will die Kommission auf schriftliche bzw. eigenhändige Vollmachten („wet“ signature) oder notarielle Beglaubigungen verzichten und eine elektronische Bevollmächtigung ausreichen lassen95. Eine von der Kommission erwogene einheitliche EU-Vollmacht ist dagegen nicht in den Richtlinienvorschlag eingegangen96 Allerdings liegt auch hier der Teufel im Detail, wiederum welche Anforderungen an eine wirksame elektronische Bevollmächtigung zu stellen sind oder wer die Beweislast für eine unwirksame Bevollmächtigung trägt. Ob die EU hier tatsächlich neben den bestehenden Regelungen wie der Signatur-Richtlinie zusätzliche (oder andersartige) Anforderungen aufstellen sollte, erscheint eher zweifelhaft97. Auch die inhaltliche Ausgestaltung der Ausübung der Stimmrechte durch den Vertreter hat die Kommission nun zwingend vorgeschrieben, um eine Einschränkung des Frage- und Antragsrechts für Vertreter zu unterbinden98. So kann ein Stimmrechtsvertreter explizit mehrere Aktionäre vertreten und auch kollidierend die Stimmrechte ausüben, Art. 10 Abs. 2. Ebenso werden ihm nach Art. 10 Abs. 3 dieselben Rechte wie einem Aktionär eingeräumt. Dagegen haben die Bedenken der Kommission gegen die Stimmrechtsvertretung durch die Gesellschaft99 breitflächig Kritik hervorgerufen, da die von der Kommission befürchtete Interessenkollision nicht auftrete und zu hohe Kosten durch die Beauftra_______________
92 Darauf weist zutr. Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht (Group of German Experts on Corporate Law), ZIP 2003, 863, 867 sub. II.4.1. hin. 93 Einen rechtsvergleichenden Überblick bietet Becker, Die institutionelle Stimmrechtsvertretung der Aktionäre in Europa, 2001. 94 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 10 ff. 95 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 11 Abs. 2. 96 Second Consultation (o. Fn. 44), No. 6.4. S. 15. 97 S. auch Stellungnahme ZKA 11. Juli 2005, S. 11. 98 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 10; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 6.4. S. 15. 99 Allerdings wird nicht klar, ob die Kommission nicht bloß die „Einsammlung“ von proxies meint, die der Gesellschaft ein Bild über die zu erwartenden Trends auf der Hauptversammlung erlauben, s. Second Consultation (o. Fn. 44), No. 6.4. S. 15.
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gung neutraler dritter Parteien entstünden100. Dennoch hat die Kommission an ihren Vorstellungen partiell festgehalten, indem jetzt Art. 10 Abs. 1c den Mitgliedstaaten offen lässt, die Stimmrechtsvertretung durch Mitglieder der Geschäftsführung des Emittenten101 oder der eines Mehrheitsaktionärs zu untersagen. Insgesamt wirken die Vorstellungen der Kommission zur Stimmrechtsvertretung durch die Gesellschaft noch unklar, etwa welche Anforderungen an Weisungen zu stellen sind oder ob die Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft auch nach eigenem Ermessen abstimmen können. Will man indes eine weitgehende Stimmrechtsvertretung durch die Gesellschaft zulassen, muss diese aufgrund der zu befürchtenden Interessenkollisionen kapitalmarktrechtlich durch entsprechende Regelungen zu den dann zu erwarten „proxy contests“ nach US-amerikanischem Vorbild102 flankiert werden.
g) Die Stellung der Intermediäre Auch die Rechtsstellung der Intermediäre soll nach dem Richtlinienvorschlag geregelt und harmonisiert werden, wobei die Kommission103 offenbar die Definition der UNIDROIT übernommen hat104, wonach jede Rechtsperson, die „securities accounts“ auf Rechnung einer anderen Person hält, als Intermediär zu begreifen ist – was nicht überall auf Zustimmung stieß. Gleiches gilt für die von der Kommission propagierte Pflicht zur Registrierung im Aktionärsregister für Intermediäre als Treuhänder, da das Register nicht die Rechtspositionen reflektieren könne105. Im Zweifel soll der Intermediär wiederum jeder Person eine Stimmrechtsvertretung erteilen, für deren Rechnung er Anteile auf seinem Konto führt bzw. jedem von einer solchen Person bestellten Dritten106. Ebenso sollen Intermediäre für jeden einzelnen Investor gesplittete Stimmen_______________
100 Stellungnahme ZKA 11. Juli 2005, S. 12: Vertretung durch Gesellschaftsvertreter sei bei ausdrücklicher Weisung zu erlauben; ebenso Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 11. 101 Ob hierunter auch der deutsche Aufsichtsrat fiele, ist ebenso unklar. 102 Dazu Loss/Seligman, Fundamentals of Securities Regulation, 5th ed., 2004, S. 534 ff.; Tuerks, Depotstimmrecht, 2000, S. 111 f. 103 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 2 (e); Second Consultation (o. Fn. 44), No. 7. S. 16. 104 S. dazu www.unidroit.org/english/publications/proceedings/2004/study/78/ s-78-18.pdf. 105 Second Consultation (o. Fn. 44), No. 7. S. 17. 106 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 13 Abs. 5; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 7. S. 17.
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abgaben vornehmen dürfen107. Ob dagegen Intermediäre nach eigenem Ermessen abstimmen können oder nur bei ausdrücklicher Weisung, bleibt im Richtlinienvorschlag dunkel: So spricht Art. 13 Abs. 3 davon, dass die Intermediäre, die Wertpapiere für Rechnung einer anderen Person halten, nicht an der Abgabe der mit den Anteilen verbundenen Stimmen gehindert sind – sofern der Anteilseigner eine entsprechende Anweisung erteilt hat. Damit müsste indes jedenfalls teilweise das deutsche Depotstimmrecht geändert werden, das nur eine generelle Bevollmächtigung, aber (unterhalb der Schwellen des § 135 Abs. 1 Satz 3 AktG) keine ausdrückliche Einzelweisung des Anteilseigners verlangt; was der Richtlinienvorschlag daher hier unter einer „Anweisung“ verlangt, ob z. B. auch eine allgemeine Bevollmächtigung genügt, bleibt unklar. Unstreitig sollte jedenfalls sein, dass der Intermediär seine Stimme nur im Interesse des Aktionärs bzw. Investors ausüben darf108.
h) Mitteilungspflichten nach der Hauptversammlung Schließlich hat die Kommission vor, die Informationspflichten nach der Hauptversammlung generell zu harmonisieren, indem 15 Kalendertage nach der Versammlung die Abstimmungsergebnisse auf der Webseite des Unternehmens zugänglich gemacht werden müssen109. Die Mitteilung hat für jede Beschlussvorlage die genaue Zahl des stimmenden Kapitals zu enthalten (Art. 15 Abs. 2), was einige für zu viel, andere für zu wenig erachten110. Vorzugswürdig ist der Vorschlag Noack’s, dies einer KodexEmpfehlung zu überlassen, wie viel an Inhalt veröffentlicht wird111. Allein die Webseite als Publikationsorgan dürfte jedoch nicht ausreichen, da wie bei der Einladung und Bekanntmachung der Tagesordnung eine möglichst authentische Information erforderlich ist.
i) Nicht geregelte Fragen Fast noch wichtiger als die von der Kommission anvisierten Fragen sind diejenigen, die die Kommission bislang nicht berücksichtigt hat oder teilweise explizit abgelehnt hat: So wurde wiederholt vorgeschlagen, eine _______________
107 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 10 Abs. 2; Second Consultation (o. Fn. 44), No. 7. S. 17. 108 Vgl. Second Consultation (o. Fn. 44), No. 7. S. 16: „that they hold securities on other people’s behalf“. 109 Richtlinienvorschlag der Kommission (o. Fn. 27), Art. 15 Abs. 1. 110 Etwa Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 14. 111 Noack, ZIP 2005, 325, 331.
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Stimmpflicht für institutionelle Investoren festzulegen, um die Hauptversammlungspräsenz zu erhöhen112. Dem steht die Kommission mit Recht skeptisch gegenüber, da die Gefahr besteht, dass die institutionellen Anleger nur abstimmen, um ihren Pflichten nachzukommen113, was im Folgenden noch darzulegen sein wird. Sinnvoller erscheint es daher, das Abstimmungsverhalten und die Abstimmungs- und Anlagestrategien transparenter zu gestalten114. Ebenso wenig wurde die Frage des „one share – one vote“ thematisiert – auch dies zu Recht, da damit im wesentlichen das Recht der Unternehmensübernahmen angesprochen ist und auch rechtsökonomisch eine solche Regel nur schwer zu begründen ist, allenfalls hinsichtlich (unzulässiger bzw. ineffizienter) nachträglicher Einführungen von verschiedenen Stimmrechtsklassen und bei fehlender Informationseffizienz von Kapitalmärkten115.
j) Zusammenfassung Aus deutscher Sicht enthält die geplante Richtlinie wenig Überraschendes und wird kaum Änderungen herbeiführen116. Selbst die kritischen Fragen der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft werden den Mitgliedstaaten überlassen; einzig in einigen Detailfragen, wie dem Fragerecht oder der elektronischen Teilnahme sowie dem Depotstimmrecht, werden sich noch Abstimmungsprobleme ergeben.
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112 So Stellungnahme DAI 15. Juli 2005, S. 14; Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V., Pressekonferenz vom 2.8.2005, S. 2, abrufbar unter http://sdk. softbox.de/pdf/presse/2005/dividendenbonus.pdf. 113 Aktionsplan der EU-Kommission (o. Fn. 42), Ziff. 3.1.1. S. 16. 114 Aktionsplan der EU-Kommission (o. Fn. 42), Ziff. 3.1.1. S. 15 f.; OECD – Principles of Corporate Governance, 2004, II.F.1, http://www.oecd.org/dataoecd/ 32/18/31557224.pdf; Corporate Governance Kodex für Asset ManagementGesellschaften, Stand April 2005, hrsg. v. „The German Working Group on Corporate Governance for Asset Managers“, hier Teil IV Ziff. 2, abrufbar unter http://www.ecgi.org/codes/documents/code_am_companies_apr2005_ de.pdf. 115 Ausführlich dazu Ferrarini, Vortrag gehalten auf dem Symposium zu Ehren von Klaus Hopt, 1.9.2005, erscheint demnächst, m. w. N. 116 S. schon für die ersten Konsultationen Noack, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 37, 52.
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III. Deutsche Reformbestrebungen: Eine Prämie für die Hauptversammlungsteilnahme und Abstimmung? Aber auch in Deutschland hat die Diskussion um die Belebung der Hauptversammlung neue Nahrung erhalten durch die Vorgänge um die Deutsche Börse AG, bei der bekanntlich die geringe Hauptversammlungspräsenz und die Aktivitäten einiger Hedge-Fonds-Anleger zum erzwungenen Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden führten. Im Rahmen des Absinkens der Präsenzen und den befürchteten Zufallsmehrheiten plädiert die Industrie für ein Gegensteuern117, wobei inzwischen der Vorschlag der Arbeitsgruppe „Finanzmarktgesetzgebung“ des Justiz- und Finanzministeriums im Vordergrund steht, durch ökonomische Anreize für Aktionäre, insbesondere einem Präsenzbonus, Zufallsmehrheiten auf Hauptversammlungen und einen signifikanten Einfluss von kleinen Minderheiten zu verhindern118. In der Diskussion spielt vor allem das Vorbild des spanischen Gesellschaftsrechts eine Rolle, das entsprechende Boni (prima de asistencia)119 gewährt und damit eine Steigerung der Hauptversammlungspräsenzen erreicht120; andere Länder haben offenbar noch keine derartigen Instrumente eingeführt121. Aber auch die Pflicht von Vermögensverwaltern (Fonds) und Depotbanken, die Interessen ihrer Kunden zu wahren, kann unter Umständen dazu herangezogen werden, eine Pflicht zur Stimmrechtsausübung anzunehmen122. _______________
117 S. Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., www.bdi-online.de/de/fach abteilungen/4924.htm. 118 S. auch bereits Bericht des Bundesministeriums der Justiz (o. Fn. 5), NZG 2004, 948, 956 (sub. C.1.): denkbarer Ansatz, der aber der „vertieften wissenschaftlichen Aufbereitung“ bedarf. 119 S. dazu Font Galan, in: Estudios de Derecho Bancario y Bursatil, Homenaje al Profesor Evelio Verdera, 1994, s. 771 ff.; s. auch Hermida, in: Baums/ Wymeersch (o. Fn. 2), S. 264 f. 120 S. etwa Klühs, ZIP 2006, 107 ff. = Arbeitspapier Nr. 124 (12/2005), Institut für Bankrecht, Universität Frankfurt, abrufbar unter http://www.jura.uni-frank furt.de/fb/fb01/ifawz1/baums/Bilder_und_Daten/Arbeitspapiere/124Aufsatz_ prn.pdf. 121 S. dazu die – allerdings nicht mehr unbedingt aktuellen – Länderberichte in Baums/Wymeersch (Fn. 2) (Österreich S. 10 f., Belgien S. 37, Dänemark S. 69, Frankreich S. 103, Italien S. 166 f.; in Irland spielt die Diskussion keine Rolle, S. 142, 151). 122 So für Österreich etwa Koppensteiner/Rüffler, in: Baums/Wymeersch (Fn. 2), S. 1, 17, s. für das belgische Recht Wymeersch, ebd., S. 51, der aber auf die Einzelfallbetrachtung verweist, für das französische Recht Guyon, ebd., S. 108, der auf eine – allerdings nur auf dem Papier bestehende – Pflicht für
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1. Ökonomische Rationalität eines Präsenzbonus Hält man sich das ökonomische Kalkül, das der „rationalen Apathie“ zugrunde liegt, vor Augen, wird deutlich, dass der Präsenzbonus nur wenig an der Lage für Kleinaktionäre ändern wird, sondern primär auf die institutionellen Anleger zielt. Denn wenn Kleinaktionäre genügend Anreize für die Teilnahme an einer mehrstündigen Hauptversammlung haben sollen, müsste der Bonus derart hoch ausfallen, dass er die anfallenden Kosten einschließlich der Opportunitätskosten (der Ausübung einer anderweitigen, gewinnbringenden Tätigkeit) kompensieren würde. Dies wird in der Regel nicht der Fall sein, da schon bei einer fünfstündigen Hauptversammlung und einem in seinem normalen Beruf etwa als Handwerker tätigen Kleinaktionär ein Stundensatz von mindestens 40 Euro anfallen dürfte, mithin neben allen anderen Transaktionskosten mindestens 200 Euro Präsenzbonus gegeben werden müsste, um selbst solche Kleinanleger zur Teilnahme zu motivieren123. Ganz abgesehen von diesen verbleibenden Kosten wird durch einen Präsenzbonus auch nicht das Problem der collective ation gelöst, da auch der Anreiz zur Teilnahme nicht zur vereinfachten Selbstorganisation führt. Selbst die mögliche Lösung der Stimmrechtsvertretung löst beim Kleinanleger Kosten aus, da der Stimmrechtsvertreter sich seine Tätigkeit vom Anleger in aller Regel vergüten lassen würde. Der Bonus müsste daher auch diese Kosten kompensieren. Auch der Hinweis, dass Depotbanken bzw. Vermögensverwalter aufgrund ihrer Pflichten zur vermögensmehrenden Verwaltung gehalten wären, an der Hauptversammlung teilzunehmen124, verfängt kaum, da die Vermögensverwalter letztlich diese Kosten dem Anleger rückbelasten125. Es ist gerade Aufgabe der Vermögensverwalter zu entscheiden, welche Anlage- und Abstimmungsstrategie wirtschaftlich effizient ist, so dass eine Pflicht per se nicht aus der Vermögensbetreuungspflicht abgeleitet werden kann. _______________
Pensionfonds zur Stimmrechtsausübung hinweist, für das irische Recht Murphy ebd., S. 154 (no obligation), für Italien differenzierend Marchetti/ Carcano/Ghezzi, ebd. S. 180 (grundsätzlich Pflicht, aber in Praxi oftmals beschränkt auf exit), ähnlich für Großbritannien Davies, ebd. S. 338 f. (nur in Ausnahmefällen Pflicht). 123 Ähnlich auch Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite. 124 S. oben Fn. 122. 125 Allerdings wäre zu prüfen, ob auf den Märkten der Verwalter der Wettbewerb zu einer Reduktion der Kosten führen könnte.
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Relevant dürften daher allein institutionelle Anleger (Fonds) sein, die de facto gezwungen werden, teilzunehmen, sowie Stimmrechtsvertreter und Aktionärsvereinigungen, die durch diese Zahlungen indirekt bezahlt werden. Über diese Intermediäre könnte das Problem der „collective action“ und der hohen Informationskosten für (Klein-)Aktionäre überwunden werden. Auch wenn das Problem der „collective action“ für diese Anlegergruppen nicht oder kaum besteht, ändert dies jedoch nichts daran, dass das grundlegende ökonomische Kalkül (Abwägung der Vor- und Nachteile einer Teilnahme und des „Voting“) auch für institutionelle Anleger besteht. Vielmehr ist es gerade für professionelle Anleger charakteristisch, dass sie genau abwägen, ob eine aktive Teilnahme als „voice“ oder eine Veräußerung ihrer Aktien am Markt als „exit“ für sie sinnvoller ist126. Damit stellt sich aber die Frage, ob zusätzliche Anreize überhaupt ökonomisch sinnvoll sind oder nicht vielmehr sogar als ineffizient zu qualifizieren sind. Denn institutionelle Anleger unterliegen in wesentlich geringerer Weise dem Problem der Informationsasymetrie und der collective action; nehmen sie dennoch nicht an einer Abstimmung bzw. einer Hauptversammlung teil, kann dies im Grundsatz nur als Ausdruck einer bestimmten Anlagepolitik gewertet werden. Das Anlageziel bzw. die Investitionspolitik von Anlegern – ob am Unternehmen mittel- und langfristig und damit auch an grundlegenden Entscheidungen interessiert oder nur kurzzeitig und rein am Kurs orientiert – wird sich nicht durch derartige Sonderzahlungen ändern. Zusätzliche Anreize zur Teilnahme von – eigentlich desinteressierten – institutionellen Anlegern würden daher tendenziell zu einer Verzerrung der marktmäßigen Prozesse und Entscheidungen führen. Einzuräumen ist allerdings von vornherein, dass die Beseitigung von Hindernissen an der Teilnahme an einer Hauptversammlung, insbesondere für ausländische institutionelle Anleger, eine notwendige Voraussetzung ist; sofern aber infolge der EU-Konsultationen derartige Hindernisse beseitigt wären, besteht aus rechtsökonomischer Sicht ein Gleichgewicht, das durch Präsenzboni gestört würde. Daher wäre erst abzuwarten, ob nicht der Abbau von Hindernissen gerade für ausländische Anleger127,
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126 Forstmoser, FS Wiegand, 2005, S. 785, 805 ff. Zust. Vetter, AG 2006, 32, 33. 127 BegrRegE BT-Dr 15/5092, S. 14; Gantenberg, DB 2005, 207, 208; Seibert, WM 2005, 157, 158; Holzborn/Bunnemann, BKR 2005, 51, 53; Noack/Zetzsche, AG 2002, 651, 656; Spindler, NZG 2005, 825, 827.
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wie etwa durch die Einführung des record date in § 123 Abs. 3 AktG, dazu führt, dass die Hauptversammlungspräsenzquoten wieder steigen128. Hinter der vermeintlich marktadäquaten Einführung von Präsenzboni dürfte denn auch letztlich ein fundamentaler Zweifel an kapitalmarktorientierten Regulierungskonzepten stehen: Denn „Zufallsmehrheiten“ und -entscheidungen, die nicht im Interesse der „breiten Masse der Aktionäre“ liegen, sollten an sich bei einigermaßen effizienten Kapitalmärkten zu entsprechenden negativen Kursreaktionen führen und daher für ausreichende Impulse zur Korrektur solcher Entscheidungen sorgen. Anders ausgedrückt hätten gerade „Heuschrecken“ oder aggressive Hedge Fonds keinen Anlass, „Zufallsmehrheiten“ herbeizuführen, wenn dies ihre Investitionen entwertet. „Zufallsmehrheiten“ könnten daher allenfalls bei Anomalien in Märkten zu negativen Entwicklungen für die Gesellschaft führen, indem zwar kurzfristig Kurssteigerungen einträten, die die „Zufallsmehrheitsaktionäre“ ausnützen könnten, aber mittelfristig zu Verlusten führen; hierfür fehlt es bislang jedoch an entsprechenden empirischen Anhaltspunkten. Der Begriff der Zufallsmehrheit suggeriert, dass es „logisch richtige“ Mehrheiten gibt, von denen die „Zufallsmehrheit“ abweicht; gerade diese unterschwellige Annahme ist jedoch mehr als zweifelhaft, kann doch die „objektiv richtige“ Entscheidung nicht abgelesen werden – will man unter ihr nicht einfach nur die Meinung der Verwaltung der Gesellschaft oder eines größeren Aktionärs verstehen. Vielmehr deuten zahlreiche Fälle daraufhin, dass die Märkte eher positiv und mit erheblichen Wertzuwächsen auf den Einfluss der „Heuschrecken“ und auf die vermeintlichen „Zufallsmehrheiten“ reagiert haben129. Sollten die „Zufallsmehrheiten“ dagegen tatsächlich negativen Einfluss haben, so müsste dies im statistischen Sinne positiv mit einer sinkenden Hauptversammlungspräsenz korreliert sein. Ob daher tatsächlich ein Bedürfnis besteht, „Zufallsmehrheiten“ zu verhindern, ist fraglich und bedürfte der rechtstatsächlichen und vergleichenden Untersuchung mit britischen und spa_______________
128 Vetter, AG 2006, 32, 34. 129 S. etwa beispielhaft zur Kursentwicklung der Deutschen Börse AG nach dem Rücktritt von Seifert http://www.postbank.de/pbde_ag_home/pbde_pr_ presse/pbde_pr_mm_exklusiv/pbde_pr_mm_verteilerseite_boersenalltag/1101 978615702.html; oder zur Kursentwicklung von Daimler Chrysler nach dem Rücktritt von Schrempp unter http://www.welt.de/data/2005/07/29/752 289.html; vgl. ferner auch Handelsblatt Nr. 204 vom 21.10.2005, S. 11.
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nischen Ergebnissen, insbesondere ob zu erwartende „Zufallsmehrheiten“ zu negativen Kursreaktionen geführt haben130. Kennzeichnend ist ferner, dass der Bericht des Bundesjustizministeriums vor allem die mangelnde Anteilnahme ausländischer Anleger als Ursache für die geringe Hauptversammlungspräsenz ausmacht131; hier stehen aber im wesentlichen die Probleme des – vermeintlichen – shareholder blocking, das durch den record date weitgehend beseitigt wurde, sowie der Informationsflüsse im Vordergrund, die auch durch die geplante EURichtlinie beseitigt werden sollen und auch schon nach deutschem Recht weitgehend elektronisch erfolgen können. Strategien, Unternehmen aufgrund niedriger Hauptversammlungspräsenzen zu beherrschen, kann ferner durch rechtliche Instrumente Rechnung getragen werden. Absprachen zwischen Aktionären, durch gemeinsame Beschlüsse bestimmte Einflüsse auf die AG auszuüben, sind nicht per se unzulässig, sondern erst wenn sie die Schwelle des acting in concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG bzw. 22 Abs. 2 WpHG überschreiten132. Voraussetzungen eines solchen acting in concert ist demnach ein über den Einzelfall hinausgehendes abgestimmtes Verhalten133. Nicht vergessen werden sollte, dass auch die einfache Hauptversammlungsmehrheit genügt, um als beherrschend im Sinne von § 17 AktG qualifiziert werden134, was auch für einen Zusammenschluss aus Aktionären angenommen werden kann135. Das Ausnützen einer „Zufallsmehrheit“, um die AG zu beherrschen, ist daher schon von Rechts wegen mit erheblichen Risiken für „aggressive“ Aktionäre verbunden, etwa eines obligatorischen Übernah_______________
130 Ebenso jetzt Vetter, AG 2006, 32, 33. 131 Bericht des Bundesministeriums der Justiz (o. Fn. 5), NZG 2004, 948, 956 (sub. C.1.). 132 v. Bülow, in: KölnKomm.AktG, 2003, § 30 WpÜG Rn. 106; U. H. Schneider, in: Assmann/Pötzsch/U. H. Schneider, WpÜG, 2005, § 2 Rn. 116 ff.; ausführlich Liebscher, ZIP 2002, 1005; vgl. ferner die Regierungsbegründung in BTDr 14/7034, S. 54. 133 Sehr streng hierbei OLG München, NZG 2005, 848, 849; kritisch dazu wiederum Casper/Bracht, NZG 2005, 839; ferner zum Einfluss der Übernahmerichtlinie Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 111; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 215 f. 134 BGHZ 69, 334, 347; BGHZ 135, 107, 114; Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 17 Rn. 26, 35; Koppensteiner, in: KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 Rn. 40 f. 135 Vgl. hierzu BGHZ 122, 123, 125 f.; OLG Düsseldorf, AG 1994, 36; Bayer, in: MünchKomm.AktG (Fn. 134), § 17 Rn. 37 f.; Koppensteiner, in: KölnKomm. AktG (Fn. 134), § 17 Rn. 45 ff.
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meangebots. Schwachstellen sind mit Sicherheit nicht zu leugnen, insbesondere bei der Feststellung des acting in concert136; diese sollten jedoch eher Anlass geben, über Reformen in diesem Bereich nachzudenken, als breitflächig unter Umständen ineffiziente Anreize „im Schrotschuss“Verfahren zu setzen. Schließlich ist die Zahlung von Boni auf die gewährten Dividenden von dem ausschüttungsfähigen Bilanzgewinn abhängig, da – wie unten noch darzulegen ist – eine Zahlung als gewinnunabhängige Prämie sowohl an §§ 57, 62 AktG als auch an zwingenden europarechtlichen Vorgaben scheitert. Ist jedoch kein Bilanzgewinn vorhanden, entfiele trotz wichtiger Beschlusspunkte, etwa bei einer Sanierung, der Anreiz zur Teilnahme137; eine offenkundig widersinnige Anreizstruktur, da gerade bei prosperierenden Gesellschaften der Markt und die Kursentwicklung Steuerungsfunktionen entfalten dürften, während bei Gesellschaften in der Krise offenbar die internen Kontrollmechanismen von größerem Gewicht sein dürften138. Wie die Ergebnisse der Behavioral Economics Forschung zeigen, tendieren gerade Kleinanleger dazu, in die Verlustzone geratene Aktien zu lange zu halten (sog. Dispositionseffekt)139, so dass Märkte hier an Wirkkraft und Informationseffizienz verlieren. In einem kapitalmarktorientierten Ansatz bedarf es daher im Grunde keiner Sonderzahlungen an Aktionäre bzw. Stimmrechtsvertreter; wichtiger wären demgegenüber Überlegungen zur Legitimation der jeweiligen institutionellen Vertreter, insbesonderer ihrer Corporate Governance und
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136 S. hierzu Casper, in: Veil/Drinkuth, Reform im Übernahmerecht, 2005, S. 45 ff.; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 215 ff.; Jahn, AG 2005, R 507. Zu Überlegungen im BMF hinsichtlich einer Ausweitung der Kontrollrechte der BaFin s. ZIP 2005, A 84 (Heft 43). 137 Dies räumt auch Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite ein. 138 Allerdings sind hier sowohl theoretische als auch kapitalmarktempirische Arbeiten, die z. B. die Hauptversammlungspräsenzen und Kursreaktionen im Zusammenhang mit Unternehmen in der Krise beobachten, bislang Mangelware. 139 Grundlegend Shefrin/Statman, 40 J. Fin. 777 (1985); danach etwa Ferris/ Haugen/Makhija, 43 J. Fin. 677 (1988); Weber, DBW 1993, 479; Weber/ Camerer, 33 J. Econ. Behav. & Org. 167 (2000); zuletzt Jordan/Diltz, 5 J. Behav. Fin. 192 (2004); Kirchler/Maciejovsky/Weber, 6 J. Behav. Fin. 90 (2005). S. hierzu auch Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 100 f. m. w. N. (im Erscheinen).
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der Kontrolle durch Märkte, was bislang eher stiefmütterlich behandelt wurde140.
2. Legitimation durch Verfahren? Steht man einer kapitalmarktorientierten Regulierung eher skeptisch gegenüber, liegt es nahe, eine gesteigerte Präsenz als Ausdruck einer Legitimation durch Verfahren zu begreifen141 – einer alten demokratietheoretischen Vorstellung142. Dieser Gedanke, der offenbar gerade bei den Diskussionen um das AktG 1965 vor dem Hintergrund einer verstärkten Mitbestimmung der Arbeitnehmer und der Legitimation des Privateigentums eine Rolle gespielt hat143, ist auf den ersten Blick ohne weiteres einleuchtend: Warum sollte eine Mehrheitsentscheidung bei einer äußerst geringen Beteiligung des „Wahlvolkes“ Aktionäre die Rechtfertigung der Richtigkeit in sich tragen? Indes verfängt die unterschwellig gezogene Parallele zu demokratischen Verfahren für die börsennotierte AG kaum: Fraglich ist zunächst selbst für Abstimmungen im staatlichen Bereich die Annahme, dass nur bestimmte Beteiligungen oder Mindestpräsenzen eine Legitimation begründen144. Selbst in halbdirektdemokratischen Systemen wie der Schweiz findet man kaum Mindestvorgaben für Wahlbeteiligungen145. Bezeich_______________
140 S. auch Forstmoser, FS Wiegand, 2005, S. 785, 805 ff., 810, 821, der sich gegen eine Stimmpflicht ausspricht, wohl aber doch für Anreize plädiert. 141 So vor allem Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite; zust. Kropff in einem Diskussionsbeitrag auf dem VGR-Forum am 18.11.2005. 142 Dazu grundlegend Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 27 ff.; ferner Hagen, JuS 1972, 485 ff.; Machura, ZfRSoz 1993, 97 ff.; Zippelius, FS Larenz, 1973, S. 293 ff. 143 So Kropff in seinem Diskussionsbeitrag auf der VGR-Veranstaltung am 18.11.2005. 144 Auch das GG enthält keine Regelungen über die Beschlussfähigkeit, sondern überlässt dies der Geschäftsordnung des Bundestages. Zwar bestimmt § 45 Abs. 1 GO BT, dass Beschlussfähigkeit bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder vorliegt; doch hat dessen Abs. 2, wonach die Beschlussfähigkeit bei Zweifeln überprüft werden kann, zur Folge, dass Beschlüsse auch mit einer äußerst geringen Zahl von Abgeordneten wirksam gefasst werden können (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Loseblatt, Art. 42 Rn. 87 f.). 145 Vgl. Art. 142 der Schweizer Verfassung; Näheres auch unter http://www. swissinfodesk.ch; http://www.swisspolitics.org; http://www.admin.ch/ch/d/ pore/; ferner unter http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/ politik/uebersicht/blank/panorama/wahl-_und_stimmbeteiligung/wahlbeteili gung.html.
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nenderweise hat selbst für den Bundestag146 das BVerfG darauf verwiesen, dass die repräsentative Demokratie zwar grundsätzlich verlange, dass alle Abgeordneten teilnehmen; doch könne eine allzu starre Anwendung den Geist des politischen Lebens eher vertreiben, als bewahren, da die Wahrnehmung anderer Aufgaben wichtiger sein könne als eine ständige Präsenz; entscheidend sei, dass jedem Abgeordneten die Mitwirkung möglich sei147. Entscheidend ist aber im Alter der Globalisierung der Kapitalmärkte und der Aktionärsstrukturen, das gerade die AG, für die die Vermeidung von Zufallsmehrheiten gefordert wird, nicht als „closed shop“ charakterisiert werden kann, in der Anteilseigner nur über ihre Stimme („vote“) Einfluss ausüben können, sondern auch durch Verkauf am Markt („exit“) und so indirekt über den Kurs zur marktorientierten Kontrolle über die AG beitragen. Eine Fixierung auf Legitimation durch Verfahren würde gerade diese Exit-Option ausblenden. Die Legitimation von Entscheidungen des – marktgängigen – Privateigentums werden nicht allein durch Abstimmungen, sondern auch durch Marktprozesse begründet. Bei der börsenbzw. marktnotierten AG sind beide Verfahren „exit“ und „voice“ komplementär, so dass die nötige Legitimation gerade auch durch Marktprozesse und damit durch die oben beschriebenen ökonomischen Kalküle gewonnen wird. Die Konzentration auf Legitimation durch Verfahren mag richtig gewesen sein in einer Ära, die durch die „Deutschland AG“ und vorwiegend nationale Kapitalmärkte charakterisiert werden konnte, nicht aber bei globalisierten Kapitalmärkten und – funktionierenden – Marktmechanismen.
3. Rechtliche Fragen a) De lege lata Einigkeit sollte darüber bestehen, dass die Zahlung von Prämien an Aktionäre, die an Hauptversammlungen teilnehmen und abstimmen, nur als Sonderzahlung oder als Dividende qualifiziert werden können, nicht dagegen als Bezahlung von Dienstleistungen oder als Erstattung von Aufwendungen. Denn die Wahrnehmung von seinen eigenen Mitgliedschaftsrechten erfolgt im eigenen Interesse des Aktionärs, nicht im Inte_______________
146 Demgegenüber stellt Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite auf die Kostenerstattung für die Parteien ab; Letzteres führt aber ersichtlich nicht zu höheren Präsenzen bei der Abstimmung. 147 BVerfGE 44, 308.
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resse der Gesellschaft, der er angehört148. Eine Präsenzprämie, die nicht als Teil der Dividende gedacht wäre, würde eine nach § 57 Abs. 1 AktG verbotene Einlagenrückgewähr darstellen149. Vorschläge, die dahin gehen, die Erhaltung einer bestimmten Hauptversammlungspräsens als ein legitimes Interesse der Gesellschaft zu sehen, sind abzulehnen150. Das AktG schreibt gerade keine notwendigen Quoren vor und alleine die Zahl der erscheinenden Stimmrechtsvertreter gewährleistet keine für die Gesellschaft vorteilhaften Beschlüsse151. Daher kann auch § 128 Abs. 6 Nr. 2 AktG nicht analog herangezogen werden, der den Kreditinstituten, die im Auftrag der Gesellschaft den Aktionären die Informationen übermittelt, einen Kostenerstattungsanspruch zuerkennt152. § 57 Abs. 1 und 3 AktG sperrt daher jegliche Sonderzahlungen an Aktionäre außerhalb des ausschüttungsfähigen Bilanzgewinns153. Auch eine Satzungsbestimmung, die eine Sonderdividende ohne Rücksicht auf einen Bilanzgewinn verspräche, verstieße gegen § 57 Abs. 2 AktG und wäre nichtig154. Diese Einschränkungen kann der deutsche Gesetzgeber auch nicht ohne weiteres aufheben: Denn er kann aufgrund der zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie nicht die strikte Kapitalbindung beseitigen155. _______________
148 So bereits U. H. Schneider/Burgard, FS Beusch, 1990, S. 782, 790, 798 f.; im Anschluss daran Vetter, AG 2006, 32, 34; unklar Singhof, NZG 1998, 670, 674; dagegen aber Baums/v. Randow, AG 1995, 145, 161; Raiser, NJW 1996, 2257, 2262. 149 So auch U. H. Schneider/Burgard, FS Beusch, 1990, S. 782, 799. 150 So aber Singhof, NZG 1998, 670, 674, der in Ausnahmefällen ein legitimes Interesse der Gesellschaft an einer ausreichenden Hauptversammlungspräsens anerkennt und damit eine verbotene Gewinnausschüttung verneint, da sie auch im Interesse der Gesellschaft erfolgt. Als Richtwert für ein solches legitimes Interesse der Gesellschaft will Singhof an ein dauerhaftes Absinken der Präsens auf unter 50 % anknüpfen; abwägend aber letztlich ablehnend U. H. Schneider/Burgard, FS Beusch, 1990, S. 782, 802. 151 So auch Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite. 152 Zutr. Vetter, AG 2006, 32, 34. 153 So Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 114; Hüffer, AktG (Fn. 73), § 57 Rn. 22; im Ergebnis wohl auch Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite; Vetter, AG 2006, 32, 34. 154 Hüffer, AktG (Fn. 73), § 57 Rn. 21; Bayer, in: MünchKomm.AktG (Fn. 153), § 57 Rn. 99; Lutter, in: KölnKomm.AktG (Fn. 73), § 57 Rn. 51; Henze, in: Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 57 Rn. 162. 155 Art. 15 Abs. 1a-d, 16 der Richtlinie 77/91 EWG, ABl. L 26 v. 31.1.1977; auch der Vorschlag einer Änderung sieht nichts dergleichen vor, s. Vorschlag der EU-Kommission vom 21.9.2004 zur Änderung der Richtlinie 77/91 EWG,
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Daher käme nur eine Satzungsbestimmung in Betracht, die eine von der Regel abweichende Gewinnverteilung gem. § 60 Abs. 3 AktG vorsähe. Jedoch schiebt der Gleichbehandlungsgrundsatz für Aktionäre und der mit einer Änderung der Gewinnverteilung verbundene unmittelbare Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre einer Sonderdividende (im Rahmen des ausschüttungsfähigen Bilanzgewinns) einen erheblichen Riegel vor, da hier Einstimmigkeit für einen derartigen Beschluss erforderlich wäre156. Auf derselben Ebene liegt der Einwand, dass die Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht ihre Sonderbehandlung einer höheren Dividende als Kompensation verlören, wenn auch „normale“ Aktionäre für ihr Stimmrecht mit einer höheren Dividende belohnt würden157. Denkbar wäre allerdings de lege ferenda, dass die Kosten eines Stimmrechtsvertreters von der Gesellschaft zu tragen sind, und zwar nicht nur diejenigen, die von der Gesellschaft selbst benannt worden sind, sondern von sämtlichen Stimmrechtsvertretern.
b) De lege ferenda Selbst wenn man demnach Präsenzboni einführt, ist damit noch nicht die Frage beantwortet, in welcher Weise dies geschehen soll. Eine gleichermaßen für alle Aktiengesellschaften wirkende gesetzliche Regelung wäre zu undifferenziert und auch unverhältnismäßig, um der nur bei Publikumsaktiengesellschaften auftretenden befürchteten „Gefahr“ der Zufallsmehrheiten entgegenzuwirken. Selbst bei börsennotierten Gesellschaften hängt die Präsenzquote von den Mehrheitsverhältnissen ab, so dass grundsätzlich die Gesellschaften selbst im Wege einer Satzungsklausel über die Einführung solcher Boni entscheiden sollten158. Auch sollte der Bonus nicht an die Stimmabgabe, sondern an die Teilnahme an der Hauptversammlung selbst geknüpft werden, da sich hier zum einen Berechnungsprobleme ergeben159, zum anderen der Gedanke _______________
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http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/docs/capital/2004-pro posal/proposal_de.pdf, darauf weist zu Recht Klühs, ZIP 2006, 107, 110 f. hin. Allg.M., s. nur Hüffer, AktG (Fn. 73), § 60 Rn. 8; Bayer, in: MünchKomm. AktG (Fn. 153), § 60 Rn. 19; Lutter, in: KölnKomm.AktG (Fn. 73), § 60 Rn. 16; Henze, in: Großkomm.AktG (Fn. 154), § 60 Rn. 21; U. H. Schneider/ Burgard, FS Beusch, 1990, S. 782, 798; bezogen auf den Dividendenbonus: Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite; Vetter, AG 2006, 32, 34; Klühs, ZIP 2006, 107, 111. So Vetter, AG 2006, 32, 34. Zutr. Klühs, ZIP 2006, 107, 108 f. Dazu Klühs, ZIP 2006, 107, 109.
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der Legitimation durch Verfahren nicht verlangt, dass der Aktionär tatsächlich sich für oder gegen einen Beschluss ausspricht; es genügt, dass er die Gelegenheit hierzu hat, sei es persönlich oder durch einen Vertreter160. Ob dagegen nur den stimmberechtigten Aktionären oder auch den Vorzugsaktionären der Bonus gewährt wird, sollte dem Satzungsgeber überlassen werden161, da auch Vorzugsaktionäre außer ihrem fehlenden Stimmrecht sämtliche Mitgliedschaftsrechte ausüben können, wie das Fragerecht, das Antragsrecht etc162. Wegen des Ziels, die Präsenz in der Hauptversammlung zu stärken, kann es auch nur darauf ankommen, die Teilnahmeberechtigten zum Zeitpunkt der Hauptversammlung zu begünstigen und nicht den „wahren“ Aktionär163. Aus diesem Grund wird aber auch eine Anknüpfung an § 60 Abs. 3 AktG ausscheiden müssen, die allein auf die Dividendenverteilung an die Aktionäre (im Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses) abstellt164, mithin keine Bevorzugung von nur Teilnahmeberechtigten erlaubt, abgesehen zudem vom Verhältnis zu den Vorzugsaktionären165. Vorgeschlagen wurde daher zu Recht die Ergänzung von § 58 Abs. 3 Satz 2 AktG, der eine „andere Verwendung“ des Bilanzgewinns als die Ausschüttung per Dividende erlaubt166, was gerade per Satzungsvorgabe möglich ist167. Probleme ergeben sich indes nach wie vor hinsichtlich des in § 53a AktG verankerten Gleichbehandlungsgebots der Aktionäre168: Denn wie gezeigt können gerade Kleinaktionäre nicht in ausreichendem Maße durch den Präsenzbonus ihre sonstigen Kosten der Teilnahme kompensieren – außer wenn der Bonus exorbitant hoch wäre. Dies gilt auch, wenn die _______________
160 Noack, BB 2005, Heft 42, Erste Seite; zust. Klühs, ZIP 2006, 107, 109. 161 Zutr. Klühs, ZIP 2006, 107, 109. 162 Dazu Hüffer, AktG (Fn. 73), § 139 Rn. 4; Volhard, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 139 Rn. 1; Bezzenberger, in: Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 139 Rn. 4. 163 Ausführlich dazu und zu den aus dem record date-Verfahren sich ergebenden Fragen Klühs, ZIP 2006, 107, 109 f. 164 Bayer, in: MünchKomm.AktG (Fn. 153), § 58 Rn. 97; Hüffer, AktG (Fn. 73), § 60 Rn. 1, 6; Lutter, in: KölnKomm.AktG (Fn. 73), § 58 Rn. 82. 165 Eingehend Klühs, ZIP 2006, 107, 111 f. 166 So Klühs, ZIP 2006, 107, 112, dort auch zur praktischen Ausgestaltung der Prämie für die Teilnahme. 167 Dazu Lutter, in: KölnKomm.AktG (Fn. 73), § 58 Rn. 75; Henze, in: Großkomm.AktG (Fn. 154), § 58 Rn. 83. 168 Eigenartig erschiene es auch, den Verwaltungsmitgliedern, die über Stock Options Aktionäre geworden sind, einen Präsenzbonus zu gewähren, obwohl sie von Gesetzes wegen an der Hauptversammlung teilnehmen müssen.
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Möglichkeit der Stimmrechtsvertretung einbezogen wird, da die hierfür anfallenden Kosten (bislang) ebenfalls vom Kleinaktionär zu tragen sind. Faktisch wird damit eine dritte Klasse von Aktionären geschaffen, neben den Vorzugsaktionären mit höherer Dividende, aber ohne Stimmrecht, den teilnehmenden Aktionären mit Dividende plus Bonus und den „normalen“ Aktionären, die abgesehen von der ökonomischen Irrationalität ihrer Stimmrechtswahrnehmung auch noch Abschläge in der Werthaltigkeit ihres Kleinanteils hinnehmen müssen. Indes kann man den nötigen sachlichen Grund schon darin sehen, dass die Sicherung einer Präsenz notwendigerweise zwischen den Aktionärsgruppen und -interessen zu Unterschieden führen muss; darüber hinaus kann man darauf verweisen, dass Kleinaktionäre auch Anteile erwerben können, um in den Genuss des Bonus zu kommen169.
IV. Zusammenfassung Das Recht der Hauptversammlung befindet sich im Umbruch, sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene. Trotzdem sich inzwischen die elektronischen Medien breitflächig durchgesetzt haben, bestanden nach wie vor zahlreiche Hindernisse für ausländische Investoren, an Hauptversammlung teilzunehmen. Ein großer Teil dieser Hindernisse wird indes durch das UMAG beseitigt, insbesondere durch die Einführung des record-date Verfahrens. Weitere Hürden dürften durch die geplante EU-Shareholder-Richtlinie abgebaut werden. Ob daher tatsächlich ein Anlass besteht, durch einen Präsenz- oder Dividendenbonus zusätzliche Anreize für die Teilnahme an Hauptversammlungen zu schaffen, erscheint zweifelhaft, zumal die Abstinenz von institutionellen Investoren durchaus ökonomisch effizient sein kann. Das häufig gehörte Anliegen, „Zufallsmehrheiten“ zu verhindern, ist mit großer Skepsis zu betrachten, da gerade in der Vergangenheit diese „Zufallsmehrheiten“ zu einer positiven Kursentwicklung geführt haben. Angesichts der Komplementarität von Markteinflüssen und Stimmrecht besteht auch keine Notwendigkeit einer zusätzlichen Legitimation durch Verfahren.
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169 So Klühs, ZIP 2006, 107, 113 f. unter Bezugnahme auf BGHZ 138, 71, 81.
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Bericht über die Diskussion des Referats Spindler Assessor Endrik Kramski Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Göttingen
Im Anschluss an den Vortrag Spindlers wurde die gesetzliche bzw. satzungsmäßige Einführung einer Sonderdividende für die Hauptversammlungspräsenz lebhaft diskutiert. Ebenso wie der Referent kritisierte Bachmann, Universität Trier, die Einführung einer Sonderdividende. Er betonte, dass ein Aktionär sein Teilnahmerecht nur dann effektiv wahrnehmen könne, wenn er sich vorab umfassend über die Beschlussgegenstände und die Lage der Gesellschaft informiert habe. Es bedeute einen gravierenden Nachteil der Sonderdividende, dass sie ohne Rücksicht auf die hinreichende Information der Hauptversammlungsteilnehmer fällig werde. Da nicht nur die Teilnahme, sondern auch die Einholung der erforderlichen Informationen mit erheblichen Opportunitätskosten verbunden sei, bestehe die Gefahr, dass Aktionäre oder Intermediäre vor ihrer Hauptversammlungsteilnahme darauf verzichteten, sich umfassend zu informieren. Die Stimmabgabe unzureichend informierter Aktionäre, die durch eine Sonderdividende in die Hauptversammlung „gelockt“ worden seien, begünstige ihrerseits Zufallsmehrheiten. Vor diesem Hintergrund plädierte Bachmann dafür, die Zahlung einer Sonderdividende besser nicht zu regeln. Bachmann verwies darauf, dass einige Vorstandsmitglieder börsennotierter Gesellschaften – aufgeschreckt durch den Fall „Deutsche Börse AG“ – eine Sonderdividende für die Hauptversammlungsteilnahme wohl vor allem deshalb befürworteten, um den aus ihrer Sicht unerwünschten Einfluss internationaler Beteiligungsgesellschaften und Hedge-Fonds auf die Geschäftsführung leichter abwehren zu können. Es sei fraglich, ob dieses partikulare Vorstandsinteresse stets im Einklang mit dem Gesellschaftsinteresse stünde. Spindler stimmte den Ausführungen Bachmanns zu. Kropff, Universität Bonn, meldete Zweifel an der These Spindlers an, wonach der Gesetzgeber auf den Erlass zwingender Regelungen zur Steigerung der Hauptversammlungspräsenz verzichten und stärkeres Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte funktionierender Kapitalmärkte
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Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung
setzen solle. Die Beschlüsse der Hauptversammlung müssten durch das Verfahren legitimiert sein, wozu auch eine möglichst hohe Präsenz der Anteilseigner gehöre. Bei dieser Gelegenheit erinnerte Kropff an die Debatte der 1960er-Jahre: Aus damaliger Sicht habe der massive Einsatz von Stimmrechtsvertretern der Banken die erforderliche Legitimation von Hauptversammlungsbeschlüssen durch den dahinter stehenden Aktionär (ultimate investor) in Frage gestellt. Dieser Befund habe den späteren Bundesminister Hans Matthöfer gar zu der provokanten These veranlasst, deutsche Unternehmen hätten keinen wirklichen Eigentümer. Die damaligen Einsichten seien, so Kropff, vor dem Hintergrund der aufgekeimten „Heuschrecken-Debatte“ weiterhin aktuell. Er halte eine weiter sinkende Hauptversammlungspräsenz für gefährlich und stehe deshalb Maßnahmen zur Steigerung der Hauptversammlungspräsenz aufgeschlossen gegenüber. Spindler verwies darauf, dass die Kontrolle durch die modernen Kapitalmärkte im Vergleich zu den 1960er-Jahren weitaus stärker ausgeprägt sei. Der deutsche Kapitalmarkt befände sich in Konkurrenz vor allem mit angelsächsischen Märkten, deren Kontrolle weniger durch gesetzliche Reglementierungen als durch das Investitionsverhalten gut informierter Aktionäre garantiert werde. Der nationale Gedanke einer „Legitimation durch Verfahren“, wie er etwa in gesetzlichen Maßnahmen zur Steigerung der Hauptversammlungspräsenz zum Ausdruck komme, besitze im Zeitalter international agierender Investoren abnehmende Bedeutung für die Effizienz der Kapitalmärkte. Entscheidend sei vielmehr das Investitionsverhalten hinreichend informierter Aktionäre, die ihre Aktien bei Zweifeln an einer funktionierenden „Unternehmensdemokratie“ stets verkaufen könnten. Spindler bewertete das Auftreten internationaler „Heuschrecken“-Investoren eher postiv, da der Blick der Praxis auf die nach wie vor bestehende – aus internationaler Sicht unzeitgemäße – Verflechtung deutscher börsennotierter Gesellschaften gelenkt werde. Ebenso wie Bachmann sah Krieger, Rechtsanwalt in Düsseldorf, den Grund für das gesteigerte Interesse einiger Vorstandsmitglieder an einer Sonderdividende darin, die Gesellschaft vor feindlicher Einfluss- und Übernahme zu schützen. Allerdings vertrat Krieger anders als der Referent die Ansicht, dass die Steigerung der Hauptversammlungspräsenzen aus gesellschaftspolitischer Sicht erforderlich sei, um das Entstehen von Zufallsmehrheiten zu verhindern. Die Vorschläge auf der Grundlage der zweiten Konsultation der Europäischen Kommission zur Stärkung der Aktionärsrechte seien aber eine zu „kleine Münze“ zur Zielerreichung.
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Kramski – Bericht über die Diskussion
Insbesondere die elektronische Teilnahme dürfte in der Praxis keine Rolle spielen, da es kaum denkbar sei, dass ein Aktionär oder Intermediär eine neunstündige Hauptversammlung vor dem Bildschirm verfolge. Krieger gab der Einführung einer Sonderdividende für die Hauptversammlungsteilnahme den Vorzug vor einem Kampf der professionellen Stimmrechtsvertreter nach dem Vorbild der US-amerikanischen Proxy Fights. Doralt, Wirtschaftsuniversität Wien, lenkte das Interesse auf den Zusammenhang zwischen nationalen Hauptversammlungspräsenzen auf der einen und dem Schwellenwert für Pflichtangebote nach dem jeweiligen nationalen Übernahmerecht auf der anderen Seite. In Großbritannien, dass eine 30 %ige Beherrschungsschwelle zur Abgabe eines Pflichtangebots vorsehe, seien die im Streubesitz befindlichen Aktien in der Hauptversammlung zu etwas unter 50 % präsent. In Deutschland sei der Free Float in der Hauptversammlung bei gleicher – allerdings erst kürzlich eingeführter – gesetzlicher Pflichtangebotsschwelle zu immerhin 25 %– 30 % vertreten. Demgegenüber besuchten Streuaktionäre die Hauptversammlungen in Österreich, dessen Recht derzeit keine fixe, sondern eine bewegliche Schwelle für das Pflichtangebot vorsehe, nur zu ca. 15 %. Doralt stellte die These auf, dass die übliche Hauptversammlungspräsenz von Streuaktionären bei Umsetzung der Übernahmerichtlinie durch den nationalen Gesetzgeber sorgfältig zu beachten sei, da sonst der Zweck der Richtlinie, dem Streubesitz einen Konzerneingangsschutz zu sichern, leicht verfehlt werden könnte. Skeptisch äußerte sich Vetter, Rechtsanwalt in Köln, zur Einführung einer Sonderdividende für die Hauptversammlungsteilnahme. Das Instrument der Sonderdividende versage vor allem in der Krise der Gesellschaft, in der eine hohe Präsenz der Aktionäre zwar besonders erwünscht, die Zahlung der Dividende allerdings wegen der schlechten Bilanzlage ausgeschlossen sei. Zudem könnten Vorzugsaktionäre durch die Einführung einer Sonderdividende für Stammaktionäre in rechtswidriger Weise benachteiligt werden, denn die Vorzugsdividende werde gerade als Ausgleich für das fehlende Stimmrecht gezahlt, während Stammaktionäre die Sonderdividende für die bloße Ausübung eines ihnen ohnehin zustehenden Rechts gutgeschrieben bekämen. Schließlich sei es sehr unwahrscheinlich, dass die Hauptversammlung im Gesellschaftsinteresse eine einmal eingeführte Sonderdividende wieder abschaffen werde, da die abstimmenden Aktionäre durch ihre Anwesenheit selbst von der Dividende profitierten.
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Stimmrecht und Teilnahme an der Hauptversammlung
Niemeier, scheidender Leiter der Abteilung Handels- und Wirtschaftsrecht im Bundesministerium der Justiz, erklärte, dass der deutsche Gesetzgeber derzeit nicht die Einführung einer Sonderdividende plane. Zunächst müssten wohl die praktischen Erfahrungen aus der Einführung des Record Date durch das UMAG abgewartet werden. Der EG-Normgeber tendiere wohl dazu, die nationale Autorisierung zur Regelung der Sonderdividende durch die Gesellschaftssatzung zu tolerieren. Die Kapitalmarktakzeptanz einer Sonderdividende beurteilte Niemeier indes skeptisch. Spindler stimmte Niemeier hinsichtlich der zweifelhaften Kapitalmarktakzeptanz einer Sonderdividende zu. Kursrelevante Informationen, die die Entscheidung zur Teilnahme oder Nichtteilnahme an einer Hauptversammlung beeinflussten, seien in einem funktionierenden Kapitalmarkt stets, wenn auch in zuweilen schwacher Ausprägung, verfügbar. Der Aktionär, der sich in Kenntnis dieser Informationen gegen die Teilnahme an der Hauptversammlung entscheide, treffe eine rationale Entscheidung, denn die Opportunitätskosten für die Teilnahme überträfen aus seiner Sicht die Bedeutung der in der Hauptversammlung zu behandelnden Themen. Jeder Aktionär könne auf die für seine Teilnahmeentscheidung relevanten Informationen jederzeit zugreifen. Hinsichtlich des Gebots der „Legitimation durch Verfahren“ stellte Spindler einen Vergleich zur direkten Demokratie in der Schweiz her, wo sich an einigen Abstimmungen lediglich weniger als 5 % der Abstimmungsberechtigten beteiligten. Durch das bewusste Fernbleiben von der Abstimmung in Abwägung der Opportunitätskosten und der persönlichen Bedeutung der zu treffenden Entscheidung entstünden gerade keine Zufallsmehrheiten. Letztlich könnten nur rechtsvergleichende Betrachtungen, vor allem zum spanischen Recht, Aufschlüsse darüber bringen, ob die Zahlung einer Sonderdividende die Hauptversammlungspräsenzen signifikant erhöht.
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Acting in Concert Dr. Hans Diekmann Rechtsanwalt, Düsseldorf
I. Einleitung ................................... 69 II. Rechtsvergleichende Betrachtung ................................ 1. Europäisches Recht ................. 2. Vereinigtes Königreich ........... 3. Vereinigte Staaten von Amerika ................................... 4. Schweiz .................................... 5. Österreich ................................ III. Der Tatbestand des acting in concert ........................................ 1. Das Verhältnis des acting in concert in § 22 Abs. 2 WpHG zu dem acting in concert in § 30 Abs. 2 WpÜG .................. 2. Der Tatbestand im Einzelnen a) Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft ................... b) Abstimmung ........................ aa) Vereinbarung ................. bb) Abstimmung in sonstiger Weise/ koordiniertes Verhalten . cc) Gentleman’s agreement ...................... dd) Beteiligte der Abstimmung ..............................
71 71 73 73 74 74 74
74 76 76 78 78
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c) Keine Abstimmung in Einzelfällen .......................... aa) Kontinuität ..................... bb) Formale Betrachtung – materielle Betrachtung .. d) Umfang der Zurechnung ..... 3. Beweislast ................................ 4. Verhältnis von § 30 Abs. 2 zu § 2 Abs. 5 WpÜG ................ 5. Übernahmerichtlinie ............... IV. Fallgruppen ................................. 1. Kettenzurechnung ................... 2. In-Sich-Abstimmung ............... 3. Absprache über die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat ................................... 4. Verhaltensabstimmungen im Hinblick auf einen möglichen Exit ........................ 5. Standstill-Vereinbarungen ...... 6. Back-to-Back-Verträge ............. 7. Parallelerwerb von Aktien ...... 8. Legitimationszession .............. 9. Familien ...................................
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V. Zusammenfassung ...................... 95
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I. Einleitung Acting in concert ist ein internationaler Begriff, der zunächst durch die Vorschrift im Wertpapierhandelsgesetz (§ 22 Abs. 2 WpHG) und sodann durch die Vorschrift im Übernahmerecht (§ 30 Abs. 2 WpÜG) in das deutsche Recht eingeführt worden ist. Nach dem Wertpapierhandelsge-
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setz ist grundsätzlich bei dem Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten von Stimmrechtsanteilen (5 %, 10 %, 25 %, 75 %) an Gesellschaften mit Sitz im Inland, deren Aktien an einem organisierten Markt zum Handel zugelassen sind, mitzuteilen, wie hoch der Stimmrechtsanteil des betreffenden Aktionärs ist. Im Rahmen der Bestimmung des Stimmrechtsanteils wird dabei nicht nur auf das Halten der Stimmrechte abgestellt. Es erfolgt darüber hinaus eine so genannte Zurechnung von Stimmrechtsanteilen, die dem Meldepflichtigen nicht direkt zustehen, sondern die von einem Dritten gehalten werden (vgl. §§ 22 WpHG, 30 WpÜG). Einer dieser Zurechnungstatbestände ist das so genannte acting in concert, das in § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG gleichlautend wie folgt lautet: „Dem Meldepflichtigen [Bieter] werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien der börsennotierten Gesellschaft [Zielgesellschaft] in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Meldepflichtige [Bieter] oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die börsennotierte Gesellschaft [Zielgesellschaft] aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten in Einzelfällen.“
In der dem § 22 Abs. 2 WpHG vorangehenden Regelung in § 22 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a. F. hieß es „Für die Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. 1 und 1 a stehen den Stimmrechten der Meldepflichtigen Stimmrechte aus Aktien der börsennotierten Gesellschaft gleich, … 3. die einem Dritten gehören, mit dem der Meldepflichtige oder ein von ihm kontrolliertes Unternehmen eine Vereinbarung getroffen hat, die beide verpflichtet, langfristig gemeinschaftliche Ziele bezüglich der Geschäftsführung der börsennotierten Gesellschaft zu verfolgen, indem sie ihre Stimmrechte einvernehmlich ausüben …“
Die Bezeichnung dieses Zurechnungstatbestandes als acting in concert folgt u. a. einem Hinweis im Gesetzentwurf zum WpÜG1, wonach die Vorschrift dem internationalen Begriff des acting in concert nachgebildet worden ist. International ist der Begriff des acting in concert zwar anerkannt, eine einheitliche Definition existiert aber nicht. Im deutschen Recht hat die Anwendung des acting in concert zu erheblichen Unsicherheiten geführt. _______________
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BT-Drucks. 14/7034, S. 54.
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Genannt sei nur die Pixelpark-Entscheidung des OLG Frankfurt a. M.2 sowie zwei neuere Entscheidungen des OLG München3 und des OLG Stuttgart4. Trotz dieser neueren Rechtsprechung ist der Begriff des acting in concert nach wie vor unscharf, und es besteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit in der Praxis.
II. Rechtsvergleichende Betrachtung 1. Europäisches Recht Die Wertpapierzulassungsrichtlinie5 sieht vor, dass bei der Bestimmung der Stimmrechtsanteile einer Gesellschaft auch solche Stimmrechte berücksichtigt werden, die von einer Person gehalten werden, mit der der Stimmrechtsinhaber seine Interessen bei der Stimmrechtsausübung koordiniert (Art. 92 lit. c) der Wertpapierzulassungs-Richtlinie). Auch solche Unternehmen sind dabei kontrollierte Unternehmen, bei denen ein Aktionär durch Stimmrechtskoordination mit anderen Aktionären über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt (Art. 87 Abs. 1 lit. c) der Wertpapierzulassungs-Richtlinie). Zielsetzung der Wertpapierzulassungs-Richtlinie ist es, dass Stimmrechtskoordination offengelegt wird. Die Stimmrechtsinhaber einer Gesellschaft sollen wissen, wo Stimmrechte gebündelt und koordiniert werden und wie sich dementsprechend Mehrheiten bilden können. Darüber hinaus findet sich in der Übernahmerichtlinie6 der Begriff der gemeinsam handelnden Personen. Dies sind natürliche oder juristische Personen, die mit dem Bieter der Zielgesellschaft aufgrund einer Vereinbarung zusammenarbeiten, um die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erhalten oder zu behalten. Dies stellt ab auf die — auch schon bisher im _______________
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OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 25.6.2004, ZIP 2004, 1309 ff. OLG München, Urt. v. 27.4.2005, BB 2005, 1411 ff. u. OLG München, Beschl. v. 17.2.2005, ZIP 2005, 615 ff. OLG Stuttgart, Urt. v. 10.11.2004, AG 2005, 125 ff. Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.5.2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABl. EG L 184, S. 1 ff. (ursprünglich Transparenzrichtlinie RL 88/627/EWG des Rates v. 12.12.1988). RL 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU L 142, S. 12 ff.
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deutschen Recht vorhandenen — gemeinsam handelnden Personen (§ 2 Abs. 5 WpÜG), die aber zunächst von dem acting in concert zu unterscheiden sind7. Die Übernahme-Richtlinie ist in deutsches Recht bis Mai 2006 umzusetzen. Für den deutschen Gesetzgeber könnte daher die Umsetzung der Übernahme-Richtlinie eine Gelegenheit sein, die Definition des acting in concert im WpÜG zu überdenken und insofern eine Angleichung vorzunehmen8. Der Entwurf für ein Umsetzungsgesetz, das so genannte Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, liegt mit Datum vom 17.3.2006 vor9. Eine Änderung des § 30 Abs. 2 WpÜG ist danach nicht beabsichtigt. Lediglich die Definition des Begriffs „gemeinsam handelnde Personen“ in § 2 Abs. 5 WpÜG soll neu gefasst werden. Definiert werden zukünftig nicht mehr nur die mit dem Bieter, sondern auch die mit der Zielgesellschaft gemeinsam handelnden Personen. Damit wird Art. 2 Abs. 1 lit d) der Übernahmerichtlinie umgesetzt. Außerdem sollen in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie Tochterunternehmen und die sie kontrollierende Person immer als gemeinsam miteinander handelnde Personen gelten. Damit wird die unwiderlegliche Vermutung, dass Tochterunternehmen des Bieters mit dem Bieter gemeinsam handeln, erweitert. Neu ist auch, dass Tochterunternehmen auch untereinander als gemeinsam handelnde Personen gelten. Darüber hinaus sollen im Rahmen des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes die Ermittlungsbefugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in § 40 WpÜG erweitert werden, da – so der Regierungsentwurf – Erfahrungen in der Praxis gezeigt hätten, dass die bestehenden Ermittlungsbefugnisse für eine effektive Durchsetzung der Verpflichtungen nach dem WpÜG nicht ausreichend seien; dies gelte insbesondere für die Pflicht zur Abgabe eines Angebots bei einer Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 2 WpÜG (acting in concert).
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S. unten III.4, S. 87. S. auch unten III.5, S. 88. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 17.3.2006, BT-Drucksache 16/1003.
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2. Vereinigtes Königreich Im City Code wird acting in concert definiert als: „… persons who, pursuant to an agreement or understanding (whether formal or informal) actively co-operate, through the acquisition by any of them of shares in a company, to obtain or consolidate control (…) of that company“10.
Diese Definition bezieht sich auf rule 9.1 und erfasst als acting in concert nur das abgestimmte Verhalten von Personen, die zwischen 30 % und 50 % der Stimmrechte halten und zusätzlich hierzu weitere Anteile erwerben, um ihren Stimmrechtsanteil auszubauen11. Der City Code erfasst daher nur den abgestimmten Aktienerwerb und nicht das abgestimmte Abstimmverhalten12. Darüber hinaus muss ein Zusammenwirken gerade mit dem Zweck erfolgen, Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erlangen oder diese zu verstärken. Kontrolle ist dann gegeben, wenn 30 % oder mehr der Stimmrechte gehalten werden13. Folglich geht die Regelung des § 30 Abs. 2 WpÜG, die neben dem auf den Aktienerwerb gerichteten Handel auch und insbesondere das abgestimmte Stimmverhalten erfasst, über das acting in concert nach dem City Code hinaus.
3. Vereinigte Staaten von Amerika Nach dem Securities Exchange Act von 1934 sind Beteiligungen von Gruppen offen zu legen, die ihr Verhalten in bestimmter Weise gegenüber der Zielgesellschaft abstimmen14. Dazu müssen mindestens zwei Personen übereinkommen, im Hinblick auf den Erwerb, das Halten oder die Veräußerung von Wertpapieren eines Emittenten oder den damit verbundenen Stimmrechten zusammenzuwirken15.
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10 Baums/Thoma (Hrsg.), Takeover Laws in Europe, 2003, Definitions City Code, UK. 11 Baums/Thoma (Hrsg.), Takeover Laws in Europe, 2003, Rule 9.1 City Code, UK. 12 Casper, ZIP 2003, 1469, 1470. 13 Baums/Thoma (Hrsg.), Takeover Laws in Europe, 2003, Definitions City Code, UK. 14 Section 13 (d) (3) Securities Exchange Act 1934; v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 674. 15 Rule 13 (d) – 5 Securities Exchange Act 1934.
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4. Schweiz In der Schweiz wird abgestellt auf eine gemeinsame Absprache16. Damit sind Verhaltensweisen erfasst, die sich auf den Erwerb oder die Veräußerung von Aktien oder die Stimmrechtsausübung beziehen17.
5. Österreich In Österreich wird die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots dann begründet, wenn es einem Bieter nur aufgrund eines gemeinsamen Vorgehens mit Dritten im Hinblick auf den Erwerb von Aktien und die Ausübung von Stimmrechten der Zielgesellschaft möglich ist, einen beherrschenden Einfluss auf die Zielgesellschaft auszuüben18. Dort wird die Abstimmung über die Wahl zum Aufsichtsrat als ausschließlicher Fall eines abgestimmten Verhaltens genannt. Anders als das deutsche Recht geht damit das österreichische Recht von einem so genannten gemeinsamen Vorgehen aus. Jedoch reicht eine Abstimmung in sonstiger Weise — wie es der Wortlaut der Vorschrift vermuten lässt — nicht aus, um ein acting in concert zu begründen.
III. Der Tatbestand des acting in concert 1. Das Verhältnis des acting in concert in § 22 Abs. 2 WpHG zu dem acting in concert in § 30 Abs. 2 WpÜG Der Wortlaut der Vorschriften zum acting in concert im WpHG und im WpÜG ist im Wesentlichen identisch. Trotzdem ist es fraglich, ob diese Vorschriften gleich auszulegen sind oder ob im Ergebnis in Einzelfällen eine Zurechnung von Stimmrechten nach der einen Vorschrift zu bejahen sein könnte, während eine Zurechnung nach der anderen Vorschrift abzulehnen wäre. Für eine unterschiedliche Auslegung und Behandlung der Vorschriften spricht ihr unterschiedlicher Zweck, nämlich einerseits Transparenz bei den Meldepflichten nach dem WpHG, und andererseits die Gewährung _______________
16 Art. 28 (lit. f) i. V. m. Art. 11, Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Verordnung der eidgenössischen Bankenkommission über die Börse und den Effektenhandel (BEHVEBK); v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 673; Casper, ZIP 2003, 1469, 1470. 17 Art. 32 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel (BEHG) i. V. m. Art. 26, 9 Abs. 3 BEHV-EBK. 18 § 9 Übernahme-Verordnung, §§ 22 Abs. 3, 23 Übernahmegesetz; vgl. v. Bülow/ Bücker, ZGR 2004, 669, 672 ff.; Casper, ZIP 2003, 1469, 1470 ff.
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eines Austrittsrechts im WpÜG, wenn die Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2 WpÜG überschritten wird. Deshalb soll § 30 Abs. 2 WpÜG enger auszulegen sein als § 22 Abs. 2 WpHG19. Die Regelung des WpHG soll sogar möglichst weit auszulegen sein, da sie eine möglichst umfassende Transparenz gewährleisten soll20. Für eine unterschiedliche Auslegung des acting in concert in § 22 Abs. 2 WpHG gegenüber dem acting in concert in § 30 Abs. 2 WpÜG könnte auch sprechen, dass die Meldepflichten in § 22 Abs. 2 WpHG der Umsetzung der Transparenz-Richtlinie dienen. Für das acting in concert in § 30 Abs. 2 WpÜG gibt es – anders als für die Definition der gemeinsam handelnden Personen (persons acting in concert) in § 2 Abs. 5 WpÜG21 – keine europarechtliche Vorgaben22. Eine einheitliche Zurechnung hätte – so wird argumentiert – zur Folge, dass auch § 30 WpÜG richtlinienkonform anhand der Transparenz-Richtlinie auszulegen sei, wofür aber bei einer nationalen Regelung wenig sprechen soll23. Dem ist entgegenzuhalten, dass beide Normen, also sowohl § 22 Abs. 2 WpHG als auch § 30 Abs. 2 WpÜG, Auffangtatbestände sind, die Umgehungen erfassen sollen. Tatsächliche Stimmblöcke sollen im Hinblick auf den ausgeübten unternehmerischen Einfluss auf die Gesellschaft festgestellt werden24. Auch wollte der deutsche Gesetzgeber mit dem acting in concert Zurechnungslücken schließen. Darüber hinaus beabsichtigte er – auch zur Vermeidung von Irritationen – eine einheitliche Auslegung der Normen25. Nur so ist es zu erklären, dass mit der Einführung des WpÜG – und damit auch des acting in concert im WpÜG – die Zurechnungsnormen des WpHG – und damit auch das acting in concert im WpHG – auch im Hinblick auf einen identischen Wortlaut angepasst wurden. Deshalb ist von einem Gleichlauf des acting in concert im WpHG und im WpÜG auszugehen26.
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OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129. v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 706. Hierzu s. unter III.4, S. 87. Nach Art. 5 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie bestimmt sich die Art der Berechnung der Kontrollschwelle nach den Vorschriften des Mitgliedsstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Casper, ZIP 2003, 1469, 1472; vgl. auch Casper, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 45, 48 f. Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 609. BT-Drucks. 14/7034, S. 53, 70. So auch Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 608.
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Dem wird zwar entgegengehalten, dass § 30 WpÜG mit dem drohenden Pflichtangebot schwerwiegendere Konsequenzen als eine Meldung der Stimmrechte nach § 22 Abs. 2 WpHG habe27. Die „Schwere“ der Rechtsfolge kann aber grundsätzlich kein Indiz für eine unterschiedliche Auslegung entgegen dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers sein28. Im Ergebnis ist daher das acting in concert in § 22 WpHG und § 30 WpÜG gleich auszulegen.
2. Der Tatbestand im Einzelnen Der Tatbestand des acting in concert lässt sich in folgende einzelne Voraussetzungen aufteilen: – – –
Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft Abstimmung Kein Einzelfall
a) Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft Der Tatbestand des acting in concert verlangt zunächst ein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft. Dabei ist zunächst zu fragen, welche Anforderungen an dieses Verhalten zu stellen sind. Zielsetzung des Übernahmerechts ist es, nach der Erlangung der Kontrolle durch eine Person den außenstehenden Minderheitsaktionären ein Austrittsrecht zu gewähren29. Das acting in concert als Zurechnung der Stimmrechte erfolgt daher deshalb, da der Zurechnungsempfänger auf die Ausübung des Stimmrechts durch den jeweiligen Aktieninhaber Einfluss nehmen kann. Im Rahmen der Meldepflichten des Stimmrechtsanteils nach dem WpHG sollen nicht mehr tatsächliche (im Hinblick auf die Stimmrechtsinhaber), sondern auch konkret potentielle Stimmrechtsherrschaften offengelegt werden. Geschützt wird auch hier der Minderheitsaktionär. Dieser soll sich über entsprechende Stimmrechtspositionen anderer Aktionäre, die ggf. deshalb entsprechende Mehrheiten bilden können, ausreichend informieren können. _______________
27 Vgl. Casper, ZIP 2003, 1469, 1473; v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 704; v. Bülow, in: KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 8. 28 In diesem Sinne auch Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 609. 29 OLG Frankfurt/Main, ZIP 2004, 1309, 1312.
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Es soll daher eine Transparenz und eine Information des Aktionärs und des Kapitalmarkts gewährleistet werden, indem vorher bestehende Lücken in der Zurechnung geschlossen werden30. Der Zurechnungsgrund für ein acting in concert liegt daher vor allem in der Möglichkeit der Einflussnahme des Zurechnungsempfängers auf die Ausübung der Stimmrechte durch den jeweiligen Aktieninhaber und der aus Gründen des Minderheitenschutzes erforderlichen Transparenz31. Das abgestimmte Verhalten muss daher die Interessen der übrigen Aktionäre berühren. Dies ist der Fall, wenn auf die Gesellschaft Einfluss genommen werden kann, so dass auch die Interessen der übrigen Aktionäre berührt sind. Eine solche Einflussnahme liegt vor, wenn das Verhalten die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft betrifft, das heißt, wenn Einfluss auf die Führung und Leitung der Gesellschaft genommen werden kann, z. B. im Rahmen eines Vertrags oder einer Absprache über die Ausübung von Stimmrechten auf der Hauptversammlung32. Insofern kann auch auf den Wortlaut der Vorgängerregelung im WpHG33 zurückgegriffen werden, wonach langfristig gemeinsame Ziele bezüglich der Geschäftspolitik verfolgt werden mussten34. Dementsprechend können Absprachen über die zukünftige Geschäftstätigkeit sowie über den Sitz und den Standort wesentlicher Unternehmensteile ein Verhalten im Sinne des acting in concert begründen. Dies folgt im Übrigen auch daraus, dass der Bieter im Rahmen der Angebotsunterlage entsprechende Absichten über die zukünftige Geschäftstätigkeit sowie Sitz und Standort wesentlicher Unternehmensteile darzustellen hat (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 3 WpÜG). So liegt auch ein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft vor, wenn eine Abstimmung hinsichtlich einer etwaigen Zerschlagung der Zielgesellschaft besteht oder aber auch eine gemeinsame Absicht, den Sitz der Zielgesellschaft zu verlegen35. Die Abstimmung muss sich daher auf ein Verhalten beziehen, das die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft betrifft.
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BT-Drucks. 14/7034, S. 53. Vgl. Seibt, ZIP 2004, 1829, 1831. Zur insofern erforderlichen Abstimmung s. unten III.2.b), S. 78 ff. S. oben I., S. 69 ff. Dieser Wortlaut wurde geändert, um bestehende Zweifelsfragen aufzuheben, vgl. v. Bülow, KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 106; zu den Problemen des § 22 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a. F. s. Burgard, BB 1995, 2069, 2072 ff. 35 Presse-Mitteilung BaFin v. 23.1.2004.
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Darüber hinaus fragt sich aber, ob eine entsprechende Absprache allein ausreicht oder ob zusätzlich gefragt werden muss, wie dies Verhalten ausgeübt wird. Die §§ 21, 22 WpHG sowie die §§ 29, 30 WpÜG stellen ab auf Stimmrechte. Nur ein 30 %iger Stimmrechtsanteil begründet ein Austrittsrecht i. S. d. WpÜG und nur die Stimmrechtsbündelung verlangt Transparenz i. S. d. WpHG. Deshalb muss sich das Verhalten auf die Ausübung von Stimmrechten beziehen. Nur dies begründet ein acting in concert. Denn sowohl §§ 21, 22 WpHG als auch §§ 29, 30 WpÜG stellen auf die Zurechnung von Stimmrechten ab und nicht auf anderweitiges Verhalten. Die Einflussnahme muss daher grundsätzlich über die Stimmrechtsausübung erfolgen36 und auf die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft zielen.
b) Abstimmung Weitere Voraussetzung für den acting in concert-Tatbestand ist eine Abstimmung. Diese Abstimmung kann durch eine Vereinbarung oder in sonstiger Weise erfolgen.
aa) Vereinbarung Vereinbarungen sind zunächst rechtlich bindende Verträge oder auch Organbeschlüsse. Dies sind die eindeutigen Fälle der Abstimmung, da der Zurechnungstatbestand rechtlich bindend erfolgt37.
bb) Abstimmung in sonstiger Weise/koordiniertes Verhalten Neben der Vereinbarung bzw. dem Organbeschluss kann eine Abstimmung aber auch in sonstiger Weise erfolgen. Dabei geht es zunächst mit dem Charakter einer Abstimmung einher, dass ein kommunikativer Prozess stattfinden muss und die Beteiligten zusammenwirken müssen38; _______________
36 Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, Loseblatt, § 30 Rn. 73; a. A. Strunk/ Lücke, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 23. 37 Vgl. auch Seibt, ZIP 2004, 1829, 1832; Uwe H. Schneider, in: Assmann/ Pötzsch/U. H. Schneider, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2005, § 30 Rn. 99; Casper, ZIP 2003, 1469 ff., 1475; v. Bülow, in: KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 112. 38 Uwe H. Schneider, in: Assmann/Pötzsch/U. H. Schneider, Wertpapiererwerbsund Übernahmegesetz, 2005, § 30 Rn. 100; Weiler/Meyer, NZG 2003, 909; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 583.
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die Parteien müssen sich verständigen. Ansonsten ist eine Abstimmung auch in sonstiger Weise zu verneinen. Eine Verständigung bedeutet aber auch, dass das Verhalten koordiniert ist. Sofern die Verhaltensabstimmung nicht koordiniert, sondern nur zufällig erfolgt, geht eine Zurechnung nach Sinn und Zweck der Normen zu weit. Dies folgt allein daraus, dass aufgrund der Zurechnung Stimmrechte letztlich so zu behandeln sind, als würde sie der Zurechnungsempfänger selbst und unmittelbar halten. Sofern eine Koordination nicht erfolgt, hat der Zurechnungsempfänger keinen Einfluss. Deshalb kann nur koordiniertes Verhalten die Zurechnung der Stimmrechte, also die Behandlung der Stimmrechte, als würden sie dem Zurechnungsempfänger selbst und unmittelbar gehören, begründen. In diesem Sinne führt auch ein lediglich gleich gerichtetes, aber nicht gemeinsames Verhalten nicht zu der für ein acting in concert zu fordernden Koordination. Denn gleich gerichtetes Verhalten, das nicht koordiniert ist, verlangt keine entsprechende Transparenz nach § 22 Abs. 2 WpHG bzw. ein Austrittsrecht nach § 30 Abs. 2 WpÜG. Folglich kann ein gleich gerichteter Wille, der sich zum Beispiel auf eine gleich gerichtete strategische Ausrichtung der Gesellschaft bezieht, für sich genommen noch kein acting in concert darstellen. Außenstehende Aktionäre sind nicht schützenswert, da die Stimmrechte zwar gleichgerichtet, aber nicht gebündelt werden. Transparenz bzw. ein etwaiges Austrittsrecht sind daher nicht zu fordern. Es fehlt insofern an der für ein acting in concert erforderlichen Abstimmung. Dem entspricht im Übrigen auch die Wertung bei so genannter mehrfacher Abhängigkeit. Nach diesem Begriff aus dem Konzernrecht liegt eine Abhängigkeit der gemeinsamen Tochter von mehreren Müttern dann nicht vor, wenn die Mütter ihre Mitgliedschaftsrechte unkoordiniert, d. h. unabhängig voneinander, wahrnehmen39, so dass ein Interessengleichlauf grundsätzlich keine gemeinsame Beherrschung40 begründet. Von der Rechtsprechung wurde in diesem Sinne ein acting in concert abgelehnt, wenn die neuen Aktionäre ein bestimmtes Sanierungskonzept _______________
39 Vgl. Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 17 Rn. 80; Hüffer, AktG, 6. Aufl. 2004, § 17 Rn. 15; Koppensteiner, in: KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 Rn. 90. 40 Vgl. Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000, § 17 Rn. 79; Hüffer, AktG, 6. Aufl. 2004, § 17 Rn. 16; Koppensteiner, in: KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 Rn. 92.
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fortführen wollen und diesbezüglich einen gleich gerichteten, aber nicht koordinierten Willen haben41. In dem so genannten Pixelpark-Fall hätten sich zwei Einflussmöglichkeiten auf die Pixelpark AG eröffnet. Diese wurden aber nicht genutzt, da die sich abstimmenden Personen letztendlich zwar einen gleich gerichteten Willen und auch gleich gerichtete Interessen verfolgten, es aber an einer geforderten Koordination der Stimmrechtsausübung fehlte. Auch leisteten die Parteien völlig unterschiedliche Sanierungsbeiträge. Unabhängig ist dabei, ob der Bieter bzw. Meldepflichtige sich mit dem Dritten abstimmt oder umgekehrt. Bieter bzw. Meldepflichtiger und Dritter müssen ihr Verhalten nur in „Gleichklang bringen“42.
cc) Gentleman’s agreement Eine Abstimmung in sonstiger Weise verlangt jedoch keinen Rechtsbindungswillen, so dass ein so genanntes gentleman’s agreement auch eine Abstimmung in sonstiger Weise begründet43. Dies folgt daraus, dass der acting in concert-Tatbestand auch durch eine Abstimmung in sonstiger Weise erfüllt werden kann und nicht nur durch eine Vereinbarung, wie es § 22 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a. F. vorsah44. Folglich sind Tatbestände erfasst, bei denen sich die Beteiligten der Abstimmung nicht rechtlich binden wollen. Die Beteiligten schließen keinen Vertrag oder eine weitere Vereinbarung ab. Sie vereinbaren auch keine Rechtsfolgen für den Fall, dass sich eine der Beteiligten nicht an Absprachen hält. Ein so genanntes lediglich informelles Verständnis, dem die Parteien keine rechtliche Bindung zukommen lassen wollen, genügt, um eine Abstimmung im Sinne des acting in concert zu begründen. So reicht für eine Abstimmung in sonstiger Weise eine Absprache aus, z. B. durch Zeichen in der Hauptversammlung, sofern die Beteiligten sich darüber einig sind, dass sie entsprechend den Zeichen in der Hauptversammlung ihr Abstimmungsverhalten in der Hauptversammlung ausüben. Denn dies begründet ein bewusst praktiziertes Zusammenwirken45. Auch reicht es aus, wenn zwar nicht aufgrund eines eindeutigen _______________
41 So genannte Pixelpark-Entscheidung, OLG Frankfurt/Main, ZIP 2004, 1309 ff. 42 S. hierzu Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, Loseblatt, § 30 Rn. 70. 43 Casper, ZIP 2003, 1469, 1475; v. Bülow, in: KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 112. 44 S. oben I., S. 69 ff. 45 Zum darüber hinaus erforderlichen kontinuierlichen Verhalten s. unten III.2.c)aa), S. 83.
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Festhalten des Willens, aber ansonsten, auch nur durch konkludentes Verhalten, zwischen den Parteien klargestellt ist, wie sie auf Veranlassung von wem ihre Stimmrechte ausüben. So genügt eine stillschweigende Verständigung, das Abstimmungsverhalten zu koordinieren. Das gentleman’s agreement muss aber bewiesen werden46, so dass der Verdacht einer Absprache grundsätzlich nicht ausreicht, um ein gentleman’s agreement zu bejahen47. Dies soll aus der restriktiven Auslegung des Tatbestandes des acting in concert folgen48. Dem ist allerdings nicht zu folgen: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bzw. im Zivilprozess der Anspruchsteller haben nachzuweisen, dass eine Abstimmung in sonstiger Weise vorliegt49. Auf die geplante Verschärfung der Überwachungsbefugnisse der BaFin durch den Entwurf eines Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes wurde bereits hingewiesen50.
dd) Beteiligte der Abstimmung Voraussetzung einer Abstimmung ist, dass mindestens zwei Personen handeln. Dementsprechend findet eine Abstimmung z. B. zwischen dem Meldepflichtigen bzw. dem Bieter und einem seiner Tochterunternehmen einerseits und einem Dritten andererseits statt. Bieter im Sinne des WpÜG sind natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften, die allein oder gemeinsam mit anderen Personen ein Angebot abgeben, ein solches beabsichtigen oder zur Abgabe verpflichtet sind (§ 2 Abs. 4 WpÜG). Tochterunternehmen sind Unternehmen, die als Tochterunternehmen im Sinne des § 290 HGB gelten oder auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann, ohne dass es auf die Rechtsform oder den Sitz ankommt (§ 2 Abs. 6 WpÜG). Bei § 22 Abs. 2 WpHG sind, soweit ein Tochterunternehmen von mehreren Mutterunternehmen abhängig ist, jedem Mutterunternehmen die Stimmrechte des Tochterunternehmens in voller Höhe zuzurechnen51. Der Bieter bzw. der Meldepflichtige müssen nicht Aktionär sein bzw. Stimmrechte müssen ihnen auch nicht anderweitig nach § 30 Abs. 1 _______________
46 47 48 49 50 51
Zur Beweislast s. unten III.3, S. 85 ff. OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129. OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129. Zur Beweislast s. unten III.3, S. 85 ff. S. oben II.1, S. 72. OLG München, ZIP 2005, 615, 616.
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WpÜG bzw. § 22 Abs. 1 WpÜG zuzurechnen sein52. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Norm. Einfluss auf die Herrschaftsstrukturen kann es auch ohne Aktionärsstellung geben. Allerdings wird man grundsätzlich – es sei denn, etwas anderes ist vereinbart – davon ausgehen können, dass ein Aktionär, der seine Stimmrechte mit anderen Aktionären in einer Stimmrechtsvereinbarung gebündelt hat, mit Veräußerung seiner Stimmrechte, also mit Aufgabe seiner Stellung als Aktionär, aus der Aktionärsvereinbarung ausscheidet und ihm dann die Stimmrechte der anderen Aktionäre über ein acting in concert nicht mehr zuzurechnen sind. Als Dritter kommt jedes mit dem Bieter nicht vollständig identische Rechtssubjekt in Betracht, das entweder selbst Aktionär der Zielgesellschaft ist oder dem Stimmrechte an der Zielgesellschaft gemäß § 30 Abs. 1 WpÜG oder gemäß § 22 Abs. 1 WpHG zugerechnet werden. Sofern allerdings dem Dritten Stimmrechte an der Zielgesellschaft nicht nach § 30 Abs. 1 WpÜG bzw. § 22 Abs. 1 WpHG zugerechnet werden, kommt dieser Dritte als Beteiligter einer Abstimmung im Sinne des acting in concert nicht in Betracht53. Am acting in concert haben daher zwei Personen teilzunehmen, eine Höchstzahl gibt es jedoch nicht54.
c) Keine Abstimmung in Einzelfällen Der acting in concert-Tatbestand ist insbesondere dann ausgeschlossen, wenn die Vereinbarung sich nur auf den Einzelfall bezieht. Damit soll sichergestellt werden, dass der acting in concert-Tatbestand auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Bei einer Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten in einem Einzelfall ist demnach grundsätzlich eine Zurechnung nicht gegeben55.
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52 Vgl. v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 696; anderer Ansicht wohl Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1007, der ohne nähere Begründung eine Gesellschafterstellung verlangt. 53 Vgl. v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 696; noch strenger Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1007, der — ohne nähere Begründung — davon ausgeht, dass auch der Bieter bzw. Meldepflichtige Aktionär ist; zur Kettenzurechnung s. aber auch unten IV.1, S. 88 ff. 54 Vgl. Uwe H. Schneider, in: Assmann/Pötzsch/U. H. Schneider, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2005, § 30 Rn. 95. 55 Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 217.
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aa) Kontinuität Das Verhalten, das sich auf die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft richtet und das koordiniert sein muss56, muss daher eine Kontinuität aufweisen. Im Sinne der Transparenz würde es eher zu Verwirrung führen, wenn zunächst eine Zurechnung gemeldet wird, die dann, nach Abschluss dieses Verhaltens auch wieder abgemeldet werden müsste. Im Sinne des Übernahmerechts kommt es darauf an, den Aktionären ein Austrittsrecht zu gewähren. Ein Austrittsrecht kann aber nicht allein deshalb gewährt werden, weil nur eine vereinzelte und keine kontinuierliche Verhaltensabstimmung erfolgt. Die Einflussnahme muss daher nachhaltig und beständig sein, sie muss auf eine gewisse Dauer angelegt sein57; sie muss kontinuierlich sein. Abzulehnen ist daher eine Kontinuität und damit ein acting in concert, wenn Aktionäre sich in mehreren, nacheinander auftretenden Einzelfällen im Rahmen der Stimmrechtsausübung abstimmen, sofern dem ein Gesamtplan nicht zugrunde liegt. Denn dann fehlt es an der Kontinuität. In diesem Sinne muss ein Fortsetzungszusammenhang bestehen, d. h. ein Wille, eine Abstimmung auch für zukünftige Fälle herbeizuführen58. Deshalb führt z. B. die Besprechung im Rahmen der Hauptversammlung über einzelne Tagesordnungspunkte grundsätzlich nicht zum acting in concert59. Es ist zwar ein kommunikativer, aber kein kontinuierlicher Prozess der Abstimmung60.
bb) Formale Betrachtung – materielle Betrachtung Der Einzelfall, für den ein acting in concert nicht vorliegt, soll nicht formal, sondern materiell verstanden werden61. So soll z. B. die Abstimmung über die Zustimmung zum Beherrschungsvertrag zu einem acting in concert führen können, obwohl eine Abstimmung nur über die Zustimmung zu dem einzelnen Fall, die Zustimmung zu dem Beherrschungsvertrag, vorliegt. In der Rechtsprechung ist dazu die Meinung vertreten worden, dass ein acting in concert schon dann vorläge, wenn die Ab_______________
56 S. oben Ziffer III.2.a) und III.2.b) bb), S. 76 ff. 57 Casper, ZIP 2003, 1469, 1476; Seibt, ZIP 2004, 1829, 1833; Schockenhoff/ Schumann, ZGR 2005, 568, 587 f. 58 Vgl. Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, Loseblatt, § 30 Rn. 75. 59 Vgl. auch Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1007. 60 Zur Abstimmung in sonstiger Weise s. oben III.2.b)bb), S. 78 ff. 61 OLG München, BB 2005, 1411, 1413; v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 700.
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stimmung nur die Zustimmung zum Beherrschungsvertrag betrifft62. Es reiche aus, wenn von dem Bieter und dem Drittem bewusst ein Fernziel oder ein Gesamtplan verfolgt werde, welche über die einzelne Maßnahme mit nachhaltiger Wirkung hinaus auf die Herrschaftsverhältnisse der Zielgesellschaft abziele. Dadurch sei bereits die Kontinuität des Zusammenwirkens erfüllt63. Grundsätzlich ist es richtig, dass acting in concert materiell auszulegen ist. Deshalb kann grundsätzlich auch die Abstimmung in einem (formalen) Einzelfall zu einem acting in concert führen. Die Abstimmung muss dann aber über den Einzelfall hinaus dazu führen, dass die Beteiligten weiterhin die Kontrolle bzw. ihre Stimmrechte entsprechend nutzen wollen64. Nur dann besteht nach Sinn und Zweck des Gesetzes das Recht zum Austritt bzw. das Gebot zur Transparenz. Ansonsten würde dem Sinn und Zweck (Austrittsrecht bzw. Transparenz) nicht Rechnung getragen. Im Falle des Beherrschungsvertrags kommt es daher darauf an, ob über die Zustimmung zum Beherrschungsvertrag hinaus Einfluss genommen werden soll. Nur dann ist die geforderte Kontinuität gegeben, so dass ein acting in concert bejaht werden kann. Sofern daher der Dritte nur als Mehrheitsbeschaffer für die Zustimmung zum Beherrschungsvertrag dienen soll, ist ein acting in concert abzulehnen. Erforderlich ist eine kontinuierliche, über den Einzelfall hinausgehende Absprache im Sinne des acting in concert65, die darüber hinaus ein Verhalten im Sinne des acting in concert begründet66.
d) Umfang der Zurechnung Der Umfang der Zurechnung erfolgt grundsätzlich in voller Höhe. Das heißt jeder – z. B. in einem Stimmrechtspool – Beteiligter, hat sich die Stimmrechte jedes Mitgliedes in voller Höhe zuzurechnen67. Sofern allerdings ein Poolmitglied seine Auffassung auch gegen den Willen der übrigen Poolmitglieder in keiner Weise einbringen kann, hat es sich die _______________
62 Vgl. OLG München, BB 2005, 1411, 1413. 63 OLG München, BB 2005, 1411, 1413. 64 Vgl. auch Strunk/Linke, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, S. 3, 20. 65 Zur Absprache s. oben III.2.b), S. 78 ff. 66 Zum Verhalten s. oben III.2.a), S. 76 ff. 67 Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 30 Rn. 87; Lange, ZBB 2004, 22, 26 f.
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Stimmrechte der übrigen Poolmitglieder nicht zuzurechnen68. Dieses Poolmitglied hat keinen Einfluss auf die Herrschaftsrechte in der Gesellschaft. Es besteht daher vom Sinn und Zweck der Norm kein Gebot zur Transparenz bzw. für dieses Poolmitglied die Pflicht zum Angebot nach dem WpÜG an die außenstehenden Aktionäre. Allein die anderen Poolmitglieder, die den Pool beherrschen, sind Bieter bzw. meldepflichtig aufgrund des acting in concert.
3. Beweislast Der Verstoß gegen die Meldepflicht bzw. die Nichtveröffentlichung des Angebots stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die bußgeldbewehrt ist (§§ 39 Abs. 1 Nr. 2 e) WpHG, 35 Abs. 2 WpÜG). Dementsprechend hat die BaFin grundsätzlich das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zu beweisen69. Dies folgt allein daraus, dass im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten die Ordnungsbehörde grundsätzlich die Beweislast für das Vorliegen des Tatbestandes trifft70. Nichts Anderes folgt im Übrigen auch für die zivilrechtlichen Ansprüche wie die Geltendmachung des Rechtsverlustes aus den Aktien einschließlich des Dividendenrechts (§ 28 Satz 1 WpHG). Sofern diese Rechtsverluste im Rahmen von aktienrechtlichen Anfechtungsklagen geltend gemacht werden, hat der Anfechtungskläger darzulegen, dass Stimmrechte aus den Aktien wegen eines Verstoßes gegen die Meldepflichten aufgrund des Vorliegens eines acting in concert nicht ausgeübt werden durften. Im Rahmen des Dividendenanspruchs gilt grundsätzlich Gleiches, auch wenn hier die Dividende den Berechtigten dann zusteht, wenn die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist. Lediglich für den Nachweis des Nichtverschuldens (kein vorsätzliches Unterlassen und rechtzeitige Nachholung) trägt der Dividendenberechtigte die Beweislast71. Sofern daher die Gesellschaft die Dividende von dem Aktionär zurückverlangt, hat sie grundsätzlich nachzuweisen, dass ein acting in concert vorliegt. _______________
68 Vgl. aber Casper, ZIP 2003, 1469, 1474; Pentz, ZIP 2003, 1478, 1488; Casper, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 45, 52. 69 Vgl. v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 702; Seibt, ZIP 2004, 1829, 1834; Pentz, ZIP 2003, 1478, 1481; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 594; zur vorgeschlagenen Änderung im Rahmen des Übernahme-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes s. oben II.1, S. 71 f. 70 BVerfG, DVBI 1959, 362, 363; OLG Hamm v. 18.9.2003, OWi 595/03. 71 Vgl. Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 599.
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Entsprechendes gilt im Übernahmerecht. Im Rahmen unterlassener Pflichtangebote haben die außenstehenden Aktionäre einen Anspruch auf Verzinsung (§ 38 WpÜG). Im Übrigen besteht hier auch ein Rechtsverlust aus Aktien, sofern die Kontrollschwelle überschritten worden ist und das Pflichtangebot nicht unterbreitet worden ist (§ 59 Satz 1 WpÜG). Auch hier hat der Anspruchsteller grundsätzlich nachzuweisen, dass die Voraussetzungen eines acting in concert vorliegen. Aus der gesetzgeberischen Formulierung des § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG ergibt sich im Übrigen eine grundsätzliche Beweislastverteilung wie folgt: Derjenige, der eine Zurechnung behauptet, muss das Vorliegen eines abgestimmten Verhaltens beweisen. Gelingt dies, kann sich der Gegner darauf berufen, dass es sich um eine einzelfallbezogene Absprache handelt und die Voraussetzungen dieser Ausnahme beweisen72. Es fragt sich, ob darüber hinaus Beweiserleichterungen in Form von Vermutungen möglich sind. So könnte man z. B. bei verwandten Aktionären oder bei Aktionären in einem sonstigen Näheverhältnis an eine tatsächliche Vermutung dahingehend denken, dass die Aktionäre ihr Verhalten aufgrund ihrer Verbindung koordinieren. Gleiches könnte man bei Aktionären, die in der Vergangenheit schon öfter Vereinbarungen über ihr Stimmrechtsverhalten getroffen haben, annehmen. Dafür könnte auch sprechen, dass es für die Anspruchsteller im Zweifel schwierig sein wird, einen acting in concert-Tatbestand nachzuweisen. Jedoch sind solche Vermutungen abzulehnen. Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass verwandte Aktionäre ihr Verhalten grundsätzlich koordinieren73 oder dass Aktionäre, die in der Vergangenheit Absprachen getroffen haben, dies auch in Zukunft tun werden74. Der BaFin als zuständiger Behörde stehen entsprechende Ermittlungsbefugnisse zu, die durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz noch verschärft werden sollen (vgl. § 40 WpÜG — Entwurf). Auch wenn das Ordnungswidrigkeitenverfahren vom Zivilrechtsverfahren zu trennen ist, besteht grundsätzlich keine weitere Möglichkeit für Beweiserleichterungen75.
_______________
72 73 74 75
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Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 599 f. OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129 (zu § 22 Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 603. Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 594 f.
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4. Verhältnis von § 30 Abs. 2 zu § 2 Abs. 5 WpÜG Neben dem acting in concert in § 30 Abs. 2 WpÜG sowie § 22 Abs. 2 WpHG76 sieht das Übernahmerecht in § 2 Abs. 5 WpÜG das so genannte gemeinsame Handeln von Personen vor, „die ihr Verhalten im Hinblick auf ihren Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft oder ihrer Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft mit dem Bieter und einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmen (…).“
Gemeinsam handelnde Personen sind in der Angebotsunterlage zu nennen (§ 2 Nr. 1 WpÜG-AngV). Ihr Handeln ist im Rahmen der Festlegung der Gegenleistungen im Hinblick auf Vor- und Nacherwerbe (§ 31 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 WpÜG) zu berücksichtigen. Sie haften im Übrigen gemeinsam für den Inhalt der Angebotsunterlage77. Das Verhältnis zwischen den gemeinsam handelnden Personen und einem acting in concert-Tatbestand ist umstritten78. Vom Wortlaut erfasst § 2 Abs. 5 WpHG zunächst die acting in concert-Tatbestände, sofern eine Abstimmung über die Ausübung von Stimmrechten erfolgt, so dass insofern im Falle eines acting in concert auch eine gemeinsam handelnde Person vorliegt. Dies folgt daraus, dass für die gemeinsam handelnde Person die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise verlangt wird. Darüber hinaus greift der Tatbestand der gemeinsam handelnden Personen aber über ein acting in concert hinaus, indem er auch schon vorliegen kann – ohne dass ein acting in concert zu bejahen ist – wenn die Personen ihr Verhalten im Hinblick auf den Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft abstimmen. Diese Abstimmung im Hinblick auf den Erwerb stellt für sich genommen kein Verhalten im Hinblick auf die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft dar79. Ein acting in concert ist insofern zu verneinen. Erst wenn die (neuen) Aktionäre ihr weiteres Ver-
_______________
76 Zum Verhältnis von § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG s. oben III.1, S. 74 ff. 77 Bosch/Meyer, in: Assmann/Pötzsch/U. H. Schneider, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2005, § 11 Rn. 132; Geibel, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, 2002, § 11 Rn. 82. 78 v. Bülow, in: KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 135; Schüppen/Walz, in: Haarmann/Schüppen, FrankfurterKomm.WpÜG, 2. Aufl. 2005, § 30 Rn. 70 ff. 79 S. oben III.2.a), S. 76 ff.; vgl. auch Casper, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 45, 49 f.
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halten in Bezug auf die Zielgesellschaft (konkret) abstimmen, kommt ein acting in concert in Betracht80.
5. Übernahmerichtlinie Die bis Mai 2006 umzusetzende Übernahmerichtlinie81 enthält nur Vorgaben für die Definition der gemeinsam handelnden Personen (persons acting in concert). Die Richtlinie geht aber – wie auch schon bisher im europäischen Recht82 – auf eine Zurechnung zur Abgabe eines Pflichtangebots nicht ein. Die Regelung der Zurechnungstatbestände bleibt nach Art. 5 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie den Mitgliedstaaten vorbehalten. Das eigentliche acting in concert in § 30 Abs. 2 WpÜG behandelt die Richtlinie damit nicht. Der deutsche Gesetzgeber könnte – obwohl der Entwurf bereits vorliegt83 – dies als Anlass nutzen, um den acting in concert-Tatbestand sowohl im WpHG als auch im WpÜG zu überarbeiten. So könnte er das acting in concert so gestalten, wie es in etwa im City Code vorgesehen ist.
IV. Fallgruppen Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze zum acting in concert sind einzelne Fallgruppen wie folgt zu behandeln84:
1. Kettenzurechnung Im Rahmen der Kettenzurechnung werden Stimmrechte eines Vierten, die dem Dritten bei Anwendung der in Absatz 1 des § 30 WpÜG bzw. § 22 WpHG genannten Fälle zugerechnet würden, wiederum dem Bieter über die Verhaltensabstimmung im Rahmen des acting in concert zugerechnet.
_______________
80 Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, Loseblatt, § 30 Rn. 82, 84; Strunk/Linke, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 22 f. 81 Richtlinie 2004/25/EG des europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote. 82 S. oben II.1, S. 71 f. 83 S. oben II.1, S. 72. 84 Für weitere Fallgruppen s. Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, Loseblatt, § 30 Rn. 79 ff.
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Bieter 20%
Dritter 40% gem. § 30 Abs. 2 WpÜG
5%
Vierter
15% gem. § 30 Abs. 1 WpÜG
15%
So hält z. B. der Dritte 5 % der Stimmrechte. Der Bieter selbst hält 20 % der Stimmrechte. Ein Vierter ist ein Tochterunternehmen des Dritten und hält einen 15 %igen Stimmrechtsanteil. Dieser Stimmrechtsanteil wird dem Dritten zugerechnet. Wenn nun der Bieter und der Dritte ihr Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft i. S. d. § 30 Abs. 2 WpÜG koordinieren, so bezieht sich die Zurechnung auf alle Stimmrechte des Bieters (20 %), des Dritten (5 %) sowie des Vierten (15 %), also auf insgesamt 40 %85. Dies folgt aus § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG bzw. § 22 Abs. 2 Satz 2 WpHG, der ausdrücklich klarstellt, dass für den Stimmrechtsanteil des Dritten Abs. 1 des § 30 WpÜG bzw. § 22 WpHG gilt. Im Rahmen der Zurechnung beim acting in concert sind daher nicht nur die Stimmrechte zu berücksichtigen, die der Dritte direkt hält, sondern auch die Stimmrechte, die dem Dritten nach Abs. 1 des § 22 WpHG bzw. des § 30 WpÜG zuzurechnen sind. Eine solche mehrstufige Zurechnung beim Bieter findet aber dann nicht statt, wenn dem Dritten die Stimmrechte nicht nach § 30 Abs. 1 WpÜG, sondern nach § 30 Abs. 2 WpÜG (bzw. § 22 Abs. 2 WpHG) zugerechnet werden. Denn § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG (bzw. § 22 Abs. 2 Satz 2 WpHG) stellen klar, dass sich die Verhaltensabstimmung nur auf die nach § 30 Abs. 1 WpÜG (bzw. § 22 Abs. 1 WpHG) zugerechneten Stimmrechte beziehen. Wenn also der Dritte und der Vierte sich ausschließlich nach § 30 Abs. 2 WpÜG (bzw. § 22 Abs. 2 WpHG) koordinieren, werden dem Dritten zwar die 15 % des Vierten zugerechnet, so dass dem Dritten sowohl die 15 % des Vierten als auch die 20 % des Bieters zuzurechnen sind. Dem Dritten stehen daher nach wie vor 40 % zu86. _______________
85 Vgl. zur Kettenzurechnung auch Casper, ZIP 2003, 1469, 1476. 86 S. auch Casper, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 45, 54 f.
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Für die Stimmrechte des Bieters werden jedoch die weiteren 15 %, die dem Dritten nur nach § 30 Abs. 2 WpÜG bzw. § 22 Abs. 2 WpHG zugerechnet werden, im Rahmen des acting in concert nicht berücksichtigt87. Dies folgt daraus, dass die Verhaltensabstimmung sich nur auf die – im obigen Beispiel – 25 % (20 % des Bieters und 5 % des Dritten) beziehen und die 15 % (des Vierten) insofern ausgelassen worden sind. Denn der Dritte kann mit den 15 %, die nur ihm zugerechnet werden, anders abstimmen als mit den im Rahmen des acting in concert von ihm direkt gehaltenen 5 % der Stimmrechte. Eine Kettenzurechnung, d. h. auch eine Berücksichtigung der 15 % des Vierten beim Bieter, ist nur dann möglich, wenn der Dritte gezielt die Rolle eines Mittelsmannes einnehmen soll, um es dem Bieter und dem Vierten zu ermöglichen, ihr Verhalten über ihn, den Dritten, zu koordinieren88.
2. In-Sich-Abstimmung Eine In-Sich-Abstimmung liegt vor, wenn dieselbe Person für mehrere Rechtssubjekte die Stimmrechte ausübt. Hier kommt es darauf an, ob die Person zur einheitlichen Stimmausübung bevollmächtigt worden ist, und dies nicht nur für den Einzelfall.
Vollmacht zur einheitlichen Stimmrechtsausübung
C 20%
A
40% gem. § 30 Abs. 2 WpÜG
Vollmacht zur einheitlichen Stimmrechtsausübung
D 20%
_______________
87 Vgl. v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 713 f. 88 v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 713; Pentz, ZIP 2003, 1478, 1484; Lange, ZBB 2004, 22, 26; Casper, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 45, 56.
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Sofern also C und D den A bevollmächtigten, einheitlich abzustimmen und dies nicht nur für den Einzelfall i. S. d. acting in concert-Tatbestands, haben C und D ihre Stimmrechte sich gegenseitig zurechnen zu lassen. Denn über A stimmen sich C und D ab, wie sie ihre Stimmrechte in der Zielgesellschaft ausüben und damit auf Herrschaftsverhältnisse einwirken. Zu verneinen ist eine Stimmrechtszurechnung allerdings dann, wenn es eine Vollmacht an A zur einheitlichen Stimmrechtsausübung nicht gibt89. Auch wenn ein und dieselbe Person die Stimmrechte in der Zielgesellschaft sowohl als gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter als auch aufgrund eigenen Aktienbesitzes ausübt, liegt keine In-Sich-Abstimmung vor und die Stimmrechte werden nicht gegenseitig zugerechnet. Der Vertreter hat unter Berücksichtigung seiner verschiedenen wahrzunehmenden Positionen (zum Einen als Organvertreter und zum Anderen als rechtsgeschäftlicher Vertreter oder aus seinem Eigenbesitz) zu entscheiden, wie er mit den Aktien im Einzelfall umgeht. Ein koordiniertes Verhalten ist daher zu verneinen. Ein acting in concert i. S. d. § 22 Abs. 2 WpHG bzw. § 30 Abs. 2 WpÜG liegt nicht vor90.
3. Absprache über die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat Einer der streitigsten Punkte im Rahmen des acting in concert sind Absprachen über die Wahl der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat91. Um dem acting in concert-Tatbestand zu erfüllen, wird ein so genannter Gesamtplan gefordert, d. h. neben der Vereinbarung der Wahl eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder müssen weitere Absprachen mit dem Ziel der Dominanz der Großaktionäre über die Gesellschaft hinzukommen92. Eine Zurechnung ist für die Wahl der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat zunächst zu verneinen, sofern sie sich nur auf den Einzelfall bezieht. Dies ist auch der Fall bei wiederholten Absprachen vor verschiedenen Aufsichtsratswahlen, sofern sie jeweils einzelfallbezogen sind und auf einem jeweils neuen Willen der Beteiligten auch zur Abstimmung _______________
89 v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 717. 90 v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 718. 91 Vgl. OLG München, BB 2005, 1411; v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 714; Casper/Bracht, NZG 2005, 839; Uwe H. Schneider, in: Assmann/Pötzsch/ U. H. Schneider, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz 2005, § 30 Rn. 111; Weiler/Meyer, NZG 2003, 909. 92 Vgl. OLG München, BB 2005, 1411, 1413.
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(und nicht nur über den Inhalt der Abstimmung) basieren. Denn dann fehlt es an der Kontinuität der Verhaltensabstimmung93. Ein acting in concert verlangt ein Verhalten in Bezug auf die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft. Es muss die Interessen der übrigen Aktionäre berühren. Insofern reicht auch eine Absprache über die Wahl zum Aufsichtsrat für sich genommen nicht aus, um ein acting in concert i. S. d. § 30 Abs. 2 WpÜG bzw. § 22 Abs. 2 WpHG zu begründen. Denn Aufsichtsratsmitglieder sind grundsätzlich allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet94. Hinzukommen muss — um ein acting in concert zu begründen — ein Gesamtplan, der über die Wahl an sich hinausgeht95. Dies ist zu bejahen, wenn weitere Absprachen, etwa über die Besetzung des Vorstands und die zukünftige Strategie des Unternehmens, getroffen werden. Nur dann wird auf die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft nachhaltig und kontinuierlich, d. h. nicht nur im Einzelfall, eingewirkt96.
4. Verhaltensabstimmungen im Hinblick auf einen möglichen Exit Im Rahmen des Erwerbs von Stimmrechtsanteilen wird vereinbart, dass sich verschiedene Aktionäre möglichst gleichgerichtet im Falle der so genannten Weiterveräußerung von Anteilen durch einen Aktionär verhalten. So können Mitveräußerungsrechte und Mitveräußerungspflichten begründet werden, aber auch Vorkaufs- und Vorerwerbsrechte. Alle diese Verhaltensweisen begründen kein acting in concert. Eine auf die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft ausgerichtete koordinierte Ausübung von Mitgliedschaftsrechten liegt nicht vor. Es handelt sich vielmehr ausschließlich um Abreden über die Veräußerung von Anteilen, die keinen Einfluss auf die Gesellschaft an sich haben. Ein Einfluss kann nur mittelbar aufgrund des entsprechenden Erwerbs begründet werden. Hierfür gibt es dann aber in der Person des Erwerbers die entsprechenden Zurechnungspflichten zur Wahrung der Transparenz im Sinne des WpHG und des Austrittsrechts im Sinne des WpÜG.
_______________
93 Zur Kontinuität s. oben III.2.c)aa), S. 83. 94 Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, Loseblatt, § 30 Rn. 80. 95 Vgl. auch Strunk/Linke, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 21. 96 S. auch Casper, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 45, 55.
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5. Standstill-Vereinbarungen Im Rahmen so genannter Standstill-Vereinbarungen verständigen sich die Beteiligten darüber, dass sie ihre Beteiligung an der Gesellschaft weder erhöhen noch über diese verfügen. Bei solchen Vereinbarungen und informellen Verständnissen fehlt es an einem Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft im Sinne der Einwirkung auf Herrschaftsstrukturen. Die Beteiligten verpflichten sich nicht, bzw. stimmen sich nicht darüber ab, wie sie ihre Stimmrechte oder anderen Einfluss auf die Zielgesellschaft ausüben wollen. Stattdessen verpflichten sie sich auf das Halten bzw. darauf, das Unterlassen von Verfügungen über ihre Anteile zu beschränken97.
6. Back-to-Back-Verträge Im Rahmen von so genannten Back-to-Back-Verträgen wird im Hinblick auf den Erwerb von Anteilen an der Gesellschaft mit einem Dritten, der selbst keine Stimmrechtsanteile hält, vereinbart, dass dieser Dritte später z. B. bestimmte Geschäftsbereiche der Zielgesellschaft erwirbt. Dieses Verhalten könnte zwar auf den ersten Blick die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft betreffen und damit ein Verhalten im Sinne des acting in concert sein. Die Veräußerung bestimmter Geschäftsbereiche berührt die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft und mittelbar auch Interessen außenstehender Aktionäre. Das Verhalten ist aber nicht koordiniert im Hinblick auf Herrschaftsstrukturen. Der Dritte verpflichtet sich lediglich, gewisse Vermögensgegenstände von dem (zukünftigen) Aktionär zu erwerben. Der Dritte nimmt insofern keinen Einfluss auf die Gesellschaft; er steht nur, wie ggf. auch andere potentielle Marktteilnehmer bereit, z. B. einen Geschäftsbereich zu erwerben. Ein acting in concert liegt daher nicht vor98.
7. Parallelerwerb von Aktien Beim Parallelerwerb von Aktien erwerben mehrere Personen im zeitlichen Zusammenhang Aktien an der Zielgesellschaft. Es fragt sich dabei, ob dies bereits ein acting in concert begründet, insbesondere dann, wenn _______________
97 In diesem Sinne auch v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 716; Schockenhoff/ Schumann, ZGR 2005, 568, 579; v. Bülow, in: KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 124. 98 Vgl. auch v. Bülow, in: KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 134.
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die Erwerber Aktien aus einem größeren, bisher von einem Aktionär gehaltenen Paket kaufen. Wie oben dargestellt, bedarf es für ein acting in concert eines koordinierten Verhaltens. Ein paralleles, wenn auch gleichgerichtetes Verhalten reicht daher für ein acting in concert grundsätzlich nicht aus99. Der Parallelerwerb von Aktien führt daher grundsätzlich nicht zu einem acting in concert100.
8. Legitimationszession Im Rahmen der Legitimationszession wird jemand bevollmächtigt, Rechte aus Aktien wahrzunehmen. Zwischen diesem Bevollmächtigten und dem Aktionär wird kein acting in concert begründet, da der Bevollmächtigte grundsätzlich kein Ermessen im Rahmen der Ausübung der Rechte hat101.
9. Familien Wie schon dargestellt102, besteht bei verwandten Aktionären grundsätzlich keine Vermutung dafür, dass diese ihr Stimmverhalten im Sinne eine acting in concert aufeinander abstimmen103. Also kann auch hier nur ein acting in concert vorliegen, wenn die Familienmitglieder aufgrund einer konkreten Absprache ihr Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft abstimmen. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber in § 30 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG eine Zurechnung von Stimmrechten von Tochterunternehmen des Bieters anordnet. Hierunter fallen keine natürliche Personen. Hätte der Gesetzgeber eine Einbeziehung ihrer Stimmrechte gewünscht, spricht viel dafür, dass er auch diese ausdrücklich geregelt hätte104. _______________
99 S. oben III.2.b)bb), S. 78 ff. 100 v. Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 715 f.; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 577 f.; v. Bülow, in: KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 Rn. 121 f. 101 Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 582. 102 S. oben III.3, S. 85 ff. 103 OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129 (zu § 22 Abs. 1 Nr. 1 WpHG); Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 30 Rn. 68; a. A. Uwe H. Schneider, in: Assmann/ Pötzsch/U. H. Schneider, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2005, § 30 Rn. 110. 104 Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 593.
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V. Zusammenfassung Vor dem Hintergrund des europäischen Rechts ist zu überlegen, ob das sogenannte acting in concert in § 22 Abs. 2 WpHG sowie § 30 Abs. 2 WpÜG überarbeitet werden sollte105. Der Tatbestand des acting in concert verlangt ein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft mit einer Abstimmung, das sich nicht nur auf einen Einzelfall beziehen darf. Das Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck des acting in concert als ein Verhalten zu verstehen, das sich auf die Herrschaftsstrukturen der Zielgesellschaft auswirkt. Dabei ist allerdings davon auszugehen, dass dieses Verhalten über die Stimmrechtsausübung verfolgt werden muss. Die Abstimmung über das Verhalten kann im Rahmen einer Vereinbarung oder aber auch in sonstiger Weise, d. h. durch einen kommunikativen Prozess, der zu einer Verständigung der Parteien führt, begründet werden. Das Verhalten muss daher koordiniert sein, d. h. zufälliges oder nur gleichgerichtetes Verhalten reicht nicht, um ein acting in concert zu begründen. Dabei reicht ein sogenanntes gentleman’s agreement, d. h. eine rechtlich unverbindliche Absprache aus. Die Abstimmung darf sich nicht nur auf Einzelfälle beziehen, wobei der Einzelfall materiell, und nicht nur formal auszulegen ist. Ein Einzelfall liegt daher nicht vor und ein acting in concert ist begründet, sofern die Abstimmung nur eine einzelne Abstimmung betrifft, darüber hinaus aber einen Gesamtplan bzw. ein Fortsetzungszusammenhang besteht. Das acting in concert ist durch die BaFin bzw. durch den Anspruchsteller im Zivilrecht zu beweisen. Beweiserleichterungen gibt es grundsätzlich nicht; zu verweisen ist allerdings auf die Änderung des § 40 WpÜG im Rahmen des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes.
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105 Vgl. auch Casper, in: Veil/Drinkuth (Hrsg.), Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 45, 57.
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Bericht über die Diskussion des Referats Diekmann Dr. Marco Sustmann Rechtsanwalt, Düsseldorf
Die Diskussion im Anschluss an das Referat von Diekmann stand unter der Leitung von Doralt und konzentrierte sich auf die Frage, ob der Begriff des acting in concert im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) und im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) in gleicher Weise auszulegen sei (I.), sowie auf die Bewertung der Einflussnahme der britischen Fondsgesellschaft TCI (The Children’s Investment Fund Management (UK) LLP) auf die Deutsche Börse AG zu Beginn des Jahres 2005 und damit im Zusammenhang stehende weitergehende Fragestellungen (II.). Aus Gründen der Verständlichkeit weicht die nachfolgende Zusammenfassung vereinzelt von der Reihenfolge der Redebeiträge ab.
I. Burgard eröffnete die Diskussion mit der Frage, ob der Begriff des acting in concert in § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG in gleicher Weise auszulegen sei und trat in seinen Ausführungen sodann für einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt der beiden Normen ein. Da das WpÜG eine Konzerneingangskontrolle bezwecke und den Aktionären der Zielgesellschaft bei Überschreiten der Kontrollschwelle ein Austrittsrecht gewähre, müsse die zu einem acting in concert führende Abrede im Übernahmerecht auf eine einheitliche Leitung zugeschnitten sein. Anders sei die Situation hingegen im WpHG, wo es für eine Stimmrechtszurechnung ausreichen könne, wenn mehrere Parteien ihren gemeinsamen Einfluss auf andere Ziele, d. h. nicht unbedingt auf eine einheitliche Leitung hin, ausrichteten. Im Ergebnis fordere das WpÜG für eine Zurechnung aufgrund eines acting in concert weitergehende gemeinsame Pläne als das WpHG. In Erwiderung auf Burgard merkte Diekmann an, dass der Gesetzgeber die Zurechnungsvorschriften des § 22 Abs. 1 und 2 WpHG mit Erlass des WpÜG denen des neu geschaffenen § 30 Abs. 2 WpÜG angepasst habe.
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Acting in Concert
Aus einer historischen Auslegung beider Vorschriften – die ihre Grundlage jeweils im Europarecht fänden – könne gefolgert werden, dass beide Normen gleich auszulegen seien, wobei auch Diekmann im Hinblick auf die möglichen Rechtsfolgen des § 30 Abs. 2 WpÜG (Pflichtangebot!) für eine restriktive Auslegung der Norm eintrat. Als weiteres Argument für einen Gleichklang beider Vorschriften führte Diekmann den identischen Aufbau und Wortlaut beider Normen an, was es argumentativ erschwere, das WpHG insoweit anders auszulegen als das WpÜG. An dieser Stelle schaltete sich Doralt in die Diskussion ein, der zunächst darauf hinwies, dass er die deutsche Entwicklung nicht im Detail kenne. Er meine jedoch, dass die Brüchigkeit des Gleichklangs zwischen einem acting in concert im Sinne des WpHG und einem solchen im Sinne des WpÜG daraus folge, dass beide Normen auf unterschiedlichen europarechtlichen Quellen beruhten. Die Transparenz-Richtlinie sei viel vorsichtiger als die vom Recht des Vereinigten Königreichs beeinflusste Übernahmerichtlinie1. Dies spreche dafür, das acting in concert im Sinne des WpHG großzügiger auszulegen. Es handele sich um ein Beispiel zweier Normen aus unterschiedlichen Quellen, die nicht voll harmonisiert worden seien. In einem erneuten Redebeitrag betonte auch Burgard, dass man bei einer historischen Auslegung nicht stehen bleiben dürfe, sondern nach allgemeinen Auslegungsregeln vor allem den – hier eben unterschiedlichen – Sinn und Zweck der Vorschriften berücksichtigen müsse.
II. Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion war der Fall Deutsche Börse AG. Im Fall Deutsche Börse AG hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nicht feststellen können, dass sich die Fondgesellschaften um die britische Fondsgesellschaft TCI so abgestimmt hätte, dass sie nach deutschem Recht zur Abgabe eines Übernahmeangebots an die anderen Aktionäre der Deutsche Börse AG verpflichtet gewesen wären; dies hatte die BaFin am 19.10.2005 zum Abschluss ihrer mehrmonatigen Untersuchung des Falls im Wege einer Pressemitteilung bekannt gegeben. In dieser Pressemitteilung hatte die Aufsichtsbehörde _______________
1
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Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, Amtsblatt Nr. L 142 vom 30.4.2004 S. 12.
Sustmann – Bericht über die Diskussion
auch ausgeführt, dass sie keine Tatsachen habe ermitteln können, die eindeutig bewiesen, dass sich die Fondgesellschaften untereinander koordiniert hätten, um nachhaltig und beständig Einfluss auf die Deutsche Börse AG zu nehmen. Die vorliegenden Indizien rechtfertigten nach Ansicht der BaFin nicht zweifelsfrei die Annahme, dass die betreffenden Fonds ein weitergehendes unternehmerisches Interesse oder einen Gesamtplan für die Deutsche Börse AG gehabt hätten. Casper betonte zunächst, dass § 30 Abs. 2 WpÜG zu weit gefasst sei und dringend korrigiert werden müsse. Es sei zu hoffen, dass die Vorschrift ähnlich wie die maßgeblichen Regelungen im City Code auf den abgestimmten Aktienerwerb beschränkt werde, sobald die Übernahmerichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werde. Er betonte sodann, dass eine Einflussnahme auf den Aufsichtsrat keinesfalls ausreichen könne. Eine solche Einflussnahme auf dasjenige Organ, das den Vorstand bestelle, sei gerade Ausdruck guter Corporate Governance. Ein solches Zusammenwirken dürfe nicht verboten sein, insbesondere könne es für die Annahme eines acting in concert nicht ausreichend sein, wenn der Vorstandsvorsitzende abgesetzt werde. Erforderlich sei in jedem Fall ein Gesamtplan, der darauf abziele, den Aufsichtsratsvorsitzenden ausschließlich zum Sachwalter der Aktionärsinteressen zu machen. Casper wandte sich abschließend auch gegen eine einheitliche Auslegung von § 22 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG. Er teilte die Auffassung von Doralt, dass die Normen zwar gleichlautend seien, aber völlig unterschiedliche Rechtsfolgen hätten. Krieger betonte, dass die Rechtsfigur des acting in concert erforderlich sei. Das Hauptproblem sehe er in Beweisschwierigkeiten, wie gerade auch der Fall Deutsche Börse AG verdeutliche. Wie die Praxis zeige, werde als Reaktion auf die Beweisschwierigkeiten die Schwelle an den Nachweis eines acting in concert gesenkt, indem man Indizien für eine Stimmrechtszurechnung ausreichen lasse. Vor diesem Hintergrund sei das Urteil des OLG München2 zu sehen. Dieses Urteil zeige in besonderer Deutlichkeit, wie das Gericht versucht habe, einen Gesamtplan zu finden. Die Ableitung einer besonderen Machtstellung aus dem Umstand, dass man den Aufsichtsratsvorsitzenden bestimmt habe, sei falsch und nicht nachvollziehbar. Doralt berichtete, dass bereits anlässlich einer Konferenz vor mehreren Jahren mit Vertretern der Schweizer Übernahmekommission und dem _______________
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OLG München, Urt. v. 27.4.2005 – 7 U 2792/04, DB 2005, 1264 ff.
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Acting in Concert
Vorsitzenden des Takeover Panel festgestellt worden sei, dass das acting in concert und die damit im engen Zusammenhang stehenden Stimmbindungsverträge künftig eines der Hauptprobleme sein würden. Doralt warnte davor, den handelnden Organen im Rahmen der Gesetzgebung zu starre Schranken aufzuerlegen. Er empfehle eine fallweise Fortentwicklung des Rechts, um flexible Handlungsmöglichkeiten zu gewährleisten. Oberstes Ziel müsse es sein, Rechtssicherheit für die Beteiligten zu schaffen. Doralt bewertete den Fall Deutsche Börse AG sodann aus der österreichischen Perspektive. Er führte aus, dass in diesem Fall sicher eine ernsthafte Untersuchung durch die Aufsichtsbehörde in Österreich durchgeführt worden wäre. Man müsse bedenken, dass die strategische Entscheidung der Deutsche Börse AG, nämlich die Übernahme der London Stock Exchange, für die nächsten Jahre verhindert worden sei. Außerdem sei es zu wesentlichen Änderungen sowohl im Aufsichtsrat als auch im Vorstand der Gesellschaft gekommen. Wenn man bedenke, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft Schutzobjekt der Regeln zum acting in concert seien, hätte man wohl aus Sicht der BaFin auch mutiger sein können. Eine besondere Schwierigkeit sehe er darin, dass der Zeitpunkt, ab dem die Zurechnung erfolge, letztendlich auch maßgeblich für etwaige Vorerwerbe und damit für die Festlegung des Referenzpreises im Rahmen eines Pflichtangebots sei. In Erwiderung auf Doralt wies Krieger darauf hin, dass nicht nur die Aktionäre der Zielgesellschaft schutzwürdig seien, sondern dass ein Schutzbedürfnis gerade auch für diejenigen bestehe, die ggf. ein Pflichtangebot abgeben müssten. Würden beispielsweise drei von zwölf Mitgliedern eines mitbestimmten Aufsichtsrats ausgewechselt, sei es fraglich, ob darin eine nachhaltige und beständige Einflussnahme zu sehen sei. Möglicherweise liege der Fall anders, wenn der Aufsichtsrat nicht mitbestimmt sei. Letztendlich handele es sich aber immer um eine Einzelfallentscheidung. Unter Bezugnahme auf den Fall Deutsche Börse AG führte Diekmann aus, dass TCI sicherlich Einfluss auf den Aufsichtsrat ausgeübt habe. Fraglich sei allerdings, ob dies mit dem Ziel einer kontinuierlichen Einflussnahme erfolgt sei, was abschließend allein auf Grundlage der Presseveröffentlichungen zum Fall Deutsche Börse AG nicht bewertet werden könne. Casper kam in seinem anschließenden Redebeitrag zu dem Schluss, dass er im Fall Deutsche Börse AG erhebliche Vorbehalte gehabt hätte, wenn die BaFin ein acting in concert im Sinne des § 30 Abs. 2 WpÜG mit der
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Folge eines Pflichtangebots angenommen hätte. Es müsse möglich sein, strategische Entscheidungen zu kippen, denn es sei nichts Anrüchiges dabei, wenn Aktionärsdemokratie ausgeübt werde. Insoweit sei die Sanktion eines Pflichtangebots für die Ausübung der Aktionärsrechte gefährlich und konterkariere die von Spindler in seinem Referat dargestellten Bemühungen, die Aktionäre zur Ausübung ihres Stimmrechts in der Hauptversammlung zu bewegen. Abschließend trat Diekmann für eine Präzisierung des Tatbestands des § 30 Abs. 2 WpÜG ein, da gerade in diesem Bereich mehr Rechtssicherheit erforderlich sei, wenn man die schwerwiegenden Folgen eines Pflichtangebots berücksichtige. Keinesfalls wäre es zu empfehlen, dass man in Deutschland über die internationalen Anforderungen zum acting in concert hinausgehe.
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Existenzvernichtungshaftung Prof. Dr. Rüdiger Veil Bucerius Law School, Hamburg*
I. Einführung ................................ 103 II. Sachverhalte ............................. 1. Bilanziell nicht wirksame bzw. erfassbare Maßnahmen 2. Dominoschäden .................... 3. Spekulative Maßnahmen ...... III. Legitimation einer Gesellschafterhaftung ......................... 1. Grundlagen ............................ 2. Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens .................. 3. Solvenzschutz im System der gesetzlichen Kapitalbindung 4. Folgerungen für die Strukturen einer Gesellschafterhaftung ...................................
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IV. Dogmatik einer Gesellschafterhaftung ...................................... 113 1. Stand der Rechtsprechung .... 113
2. Durchgriffshaftung (analog § 128 HGB) versus Deliktshaftung (§ 826 BGB) .. 114 a) Bedürfnis für eine beschränkte Haftung ............. 114 b) Rechtssystematische Einordnung ......................... 115 3. Voraussetzungen ................... 118 a) Eingriff des Gesellschafters in die Solvenz ..................... 118 b) Insolvenz der Gesellschaft 118 c) Keine angemessene Rücksichtnahme auf die Solvenz der Gesellschaft ................. 119 d) Subsidiarität gegenüber den Regeln der Kapitalerhaltung (§§ 30, 31 GmbHG) ... 119 4. Rechtsfolgen .......................... 120 V. Fazit ........................................... 121
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I. Einführung Eine (nicht juristische) Internet-Recherche mit Google zum Begriff der Existenzvernichtung ergibt ein facettenreiches Bild. An der Spitze von ungefähr 13000 Ergebnissen1 wird die brisante Frage präsentiert, ob eine Frau wegen Existenzvernichtung ihres früheren Ehemanns zum Schadensersatz verpflichtet ist2. Die Rechtsprechung des BGH zur Haftung _______________
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Inhaber des Alfried Krupp-Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches und Internationales Unternehmens- und Wirtschaftsrecht. Ergebnis der Recherche unter www.google.de am 17.11.2005. Vgl. die Homepage „Zweitfrauengeschichten“ unter http://danysch.blogspot. com (letzter Zugriff am 17.11.2005).
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wegen existenzvernichtenden Eingriffs ist gleichfalls prominent vertreten. Im sog. Hausarbeits-Archiv werden Magisterarbeiten zu diesem Thema angeboten, man findet Vorlesungsfolien, und Anwaltskanzleien weisen auf ihrer Homepage auf die Gefahren einer Gesellschafterhaftung hin. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es sich um Rechtsprechungsgrundsätze handelt, die im Dickicht der Gesellschafterhaftung einen festen Platz gefunden haben. Dieser Eindruck trifft zumindest teilweise zu. Seit dem mit der Entscheidung Bremer Vulkan3 endgültig vollzogenen Abschied vom qualifizierten faktischen Konzern4 sind mittlerweile sechs weitere Urteile des BGH5 ergangen. Eine Reihe von Fragen können als geklärt gelten. So sind reine Binnenhaftungsmodelle ad acta gelegt6. Ferner begründen bloße Managementfehler bei dem Betrieb des Gesellschaftsunternehmens keine Haftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs. Erforderlich ist vielmehr ein gezielter, betriebsfremden Zwecken dienender Eingriff des Gesellschafters in das Gesellschaftsvermögen7. Auch ist von Bedeutung, dass ein Gesellschafter wegen existenzvernichtenden Eingriffs zwar der Höhe nach unbeschränkt haftet. Ihm muss aber der Nachweis gestattet werden, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögenslage bei redlichem Verhalten nur ein begrenzter Nachteil entstanden ist8. Trotz dieser Fortschritte sind die höchstrichterlichen Haftungsgrundsätze noch nicht ausgereift. Die Rechtsprechung hat bislang kein konsistentes Anspruchssystem entwickelt. Die Frage, wo die Gesellschafterhaf_______________
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BGHZ 149, 10. Zur Haftung im sog. qualifizierten faktischen Konzern vgl. BGHZ 95, 330, 339, 345 ff. (Autokran); 107, 7, 15 ff. (Tiefbau); 115, 187, 189 (Video). Der Abschied von diesen Grundsätzen hat sich bereits mit dem TBB-Urteil (BGHZ 122, 123) angedeutet. Vgl. Mülbert, DStR 2001, 1937. BGHZ 150, 61 (L-Kosmetik); 151, 181 (KBV); BGH, ZIP 2004, 2138 (Klinik); BGH, ZIP 2005, 117 (BMW-Vertragshändler); BGH, ZIP 2005, 250 (Handelsvertreter); BGH, NZG 2005, 886. Vgl. auch BAG, ZIP 2005, 1174; OLG Rostock, ZIP 2004, 118. Grundlegend für die Entwicklung der Existenzvernichtungshaftung Röhricht, FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 83. Eine systematische Zusammenfassung der Sachverhalte und Entscheidungsaussagen findet sich bei Raiser/ Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 29 Rn. 30 ff. So noch K. Schmidt, NJW 2001, 3577; Ulmer, ZIP 2001, 2021; Burgard, ZIP 2002, 827. Mit der KBV-Entscheidung (BGHZ 151, 181) hat der BGH diese Lösung implizit verworfen. BGH, ZIP 2005, 250, 252 (Handelsvertreter). BGH, ZIP 2005, 117, 118 (BMW-Vertragshändler); BGH, ZIP 2005, 250, 252 (Handelsvertreter).
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tung verortet werden muss, ist daher immer noch aktuell: Sollte der eingeschlagene Weg eines Haftungsdurchgriffs weiter verfolgt werden9, oder ist es vorzugswürdig, die Möglichkeiten einer Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB auszuloten10? Schließlich ist es immer noch nicht gelungen, die zahlreichen, auf der Tatbestandsebene anzutreffenden generalklauselhaften Wendungen zu konkretisieren11. Es ist ungeklärt, wann ein Gesellschafter keine angemessene Rücksicht auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens nimmt. Auch die weitere Voraussetzung, dass die der Gesellschaft zugefügten Nachteile nicht nach den Regeln der §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden können, muss noch mit Leben erfüllt werden. Zu diesen beiden Problemkomplexen soll im Folgenden Stellung genommen werden. Dazu werden zunächst die Sachverhalte aufgezeigt, die möglicherweise mit einer Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs bewältigt werden können (unter II.). Danach wird die Legitimation einer solchen Haftung auf dem Prüfstand stehen (unter III.). Die Kritik an der Rechtsprechung des BGH kommt aus mehreren Richtungen. Ich beschränke mich heute auf den Einwand, im System des gesetzlichen Kapitalschutzes sei kein Raum für einen Haftungsdurchgriff12. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse können die Strukturen der Gesellschafterhaftung entfaltet werden. Den Schluss meiner Überlegungen bildet eine Analyse der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs (unter IV.).
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9 Zum Haftungsdurchgriff des Gläubigers auf den Gesellschafter hat sich der BGH erstmals in der KBV-Entscheidung bekannt, indem er aus dem Missbrauch der Rechtsform der GmbH auf den Verlust des Haftungsprivilegs geschlossen hat. Vgl. BGHZ 151, 181, 187. Generell den Weg eines Haftungsdurchgriffs befürwortend Bitter, WM 2001, 2133, 2139 f. 10 In der Klinik-Entscheidung hat der BGH die Haftung ausschließlich auf § 826 BGB gestützt. Vgl. BGH, ZIP 2004, 2138, 2139. 11 Vgl. Raiser/Veil (Fn. 5), § 29 Rn. 35 ff. m. w. N. 12 Vgl. Haas, WM 2003, 1929, 1940; Rubner, „Solvat socius“ statt „caveat creditor“?, 2005; ders., DStR 2005, 1694, 1695; in der Tendenz auch Schön, ZHR 168 (2004), 268, 282 ff.; noch weitergehend Nasall, ZIP 2003, 969, 975. Eine verbreitete Ansicht reklamiert dagegen, dass die Gesellschafterhaftung analog § 43 GmbHG zu entwickeln bzw. im Kontext des Haftungsdurchgriffs wegen Vermögensvermischung einzuordnen sei. Vgl. Altmeppen, ZIP 2001, 1837; ders., ZIP 2002, 1553; ders., ZIP 2005, 119; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981; ders., NJW 2003, 175.
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II. Sachverhalte Die folgenden, in drei Kategorien unterteilten möglichen Anwendungsfälle einer Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs haben gemein, dass die der Gesellschaft zugefügten Nachteile typischerweise nicht oder nur unzureichend von den Vorschriften der §§ 30, 31 GmbHG erfasst werden.
1. Bilanziell nicht wirksame bzw. erfassbare Maßnahmen Ein breites Anwendungsfeld für eine Gesellschafterhaftung stellen die bilanziell nicht wirksamen Maßnahmen bzw. solche Maßnahmen dar, deren Folgen für das Betreiben des Gesellschaftsunternehmens bilanziell nicht erfasst werden. Sie geschehen häufig im Rahmen von GmbHStafetten13. Denkbar ist beispielsweise ein Abzug des (qualifizierten) Personals, das für die Erzielung des Umsatzes benötigt wird14, ein Zugriff auf Geschäftschancen der Gesellschaft15, ein faktischer Verzicht auf Forderungen der Gesellschaft16 und eine Veräußerung von Produktionsmitteln oder sonstiger Vermögensgegenstände, die für die Verfolgung des Unternehmensgegenstands unentbehrlich sind17. Diese Fälle kennzeichnet, dass eine Auszahlung von Gesellschaftsvermögen i. S. v. § 30 Abs. 1 GmbHG mangels eines bilanziellen Niederschlags des Vorgangs nicht stattfindet18. Die Voraussetzungen für eine Restitution gem. § 31 GmbHG sind daher nicht erfüllt. _______________
13 Vgl. BSGE 56, 76; BGHZ 151, 181 (KBV); BGH, ZIP 2004, 2138 (Klinik). 14 Vgl. BGHZ 150, 61, 68 (L-Kosmetik): Vereinnahmung eines Beraterstammes; im entschiedenen Fall kam es aber nur zum Versuch einer Abwerbung; BGH, ZIP 2004, 2138 (Klinik): Mit Blick auf die Fortführung der Klinik durch eine andere Gesellschaft wurde die Massenkündigung von Mitarbeitern nicht verhindert, außerdem wurden die für den Betrieb der Klinik erforderlichen Verträge gekündigt. 15 Vgl. BGH, ZIP 2005, 117, 120 (BMW-Vertragshändler): Übernahme der Kundendatei durch eine Nachfolgegesellschaft (an welcher der Gesellschafter beteiligt war) und damit Zugriff auf die Kunden zu möglicherweise unangemessenen Bedingungen. 16 Vgl. BGH, ZIP 2005, 117, 119 (BMW-Vertragshändler): Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB nicht geltend gemacht; zweifelhaft, vgl. Wackerbarth, ZIP 2005, 877, 879. 17 Vgl. Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 414 f. Sofern solche Vermögensverlagerungen zu einer Unterbilanz führen, können sie auch der unter II.2. dargestellten Fallgruppe zugeordnet werden. 18 Vgl. Röhricht (Fn. 5), S. 83, 93 f.; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 286.
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2. Dominoschäden Anders präsentieren sich stammkapitalschutzrelevante Zugriffe eines Gesellschafters auf das Gesellschaftsvermögen19, die weitere Schäden zur Folge haben. Kennzeichnend ist, dass die vom Gesellschafter getätigten Entnahmen zwar restitutionsfähig sind (§ 31 GmbHG). Doch sind die aufgrund eines Dominoeffekts entstandenen sog. Kollateralschäden einem Schadensausgleich nicht zugänglich20. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist der Abzug einer für die Produktion wichtigen Maschine mit der Folge eines Produktionsausfalls und der weiteren Folge, dass die Gesellschaft in Bedrängnis kommt, sich gegenüber ihren Gläubigern schadensersatzpflichtig macht und insolvent wird21. Auch die Übertragung sonstigen Vermögens kommt in Betracht22.
3. Spekulative Maßnahmen Zu nennen ist weiterhin das Eingehen unverhältnismäßiger Risiken bei geschäftlichen Entscheidungen, auch als „Spekulation auf Kosten der Gläubiger“ bezeichnet. Solche Fälle sind vielgestaltig. Das griffigste Schulbeispiel sind verlustreiche Warenterminkontrakte23. Denkbar sind aber auch dauerhafte Umgestaltungen des Gesellschaftsunternehmens im Zuge einer neuen Geschäftspolitik24. Auch diese Fälle werden vom gesetzlichen Stammkapitalschutz (§§ 30, 31 GmbHG) nicht erfasst.
III. Legitimation einer Gesellschafterhaftung 1. Grundlagen Bevor einer Rechtsfortbildung das Wort geredet wird, ist ins Auge zu fassen, ob die beschriebenen Probleme durch eine erweiternde Auslegung _______________
19 Vgl. BGHZ 151, 181, 184 f. (KBV): einverständlich durchgeführte Vermögenstransaktionen zugunsten von Gesellschaftern, die sich zulasten von Gesellschaftsgläubigern ausgewirkt haben. 20 Vgl. Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 421 ff.: Entnahmen mit der Folge weiterer Schäden; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 288. 21 Vgl. Rubner (Fn. 12), S. 96 (Beispiel 1). Zur Existenzvernichtung im Liquiditätsverbund vgl. BGHZ 149, 10 (Bremer Vulkan). 22 Vgl. BGH, ZIP 2005, 250, 252 (Handelsvertreter): Übertragung des Warenlagers, des Vertriebssystems und des Kundenstamms auf eine andere GmbH, an welcher der Gesellschafter ebenfalls beteiligt war. 23 Vgl. Rubner (Fn. 12), S. 96 (Beispiel 3). 24 Vgl. Raiser/Veil (Fn. 5), § 29 Rn. 35.
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oder analoge Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG gelöst werden können25. Dass auf diesem Wege ein Gläubigerschutz verwirklicht werden kann, hat der BGH erst jüngst bewiesen. Ein werthaltiger Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Empfänger hat nach einem Urteil vom 24.11.2003 bei der Prüfung, ob infolge der Ausreichung einer Darlehensvaluta das Gesellschaftsvermögen noch die Stammkapitalziffer deckt, unberücksichtigt zu bleiben26. Dieses Verständnis des Stammkapitalschutzes ist auf die Vorstellung zurückzuführen, dass eine handelsbilanzielle Beurteilung nicht geeignet ist, den erforderlichen Gläubigerschutz zu verwirklichen27. Ein ähnlicher Ausgangspunkt für eine Problemlösung könnte für die existenzvernichtenden Eingriffe gewählt werden. So erscheint es denkbar zu sein, in der Bilanz, die zur Beurteilung einer Unterbilanz (§ 30 Abs. 1 GmbHG) aufzustellen ist28, Liquidations- anstatt Fortsetzungswerte in Ansatz zu bringen oder zumindest die aus einer Ausschüttung resultierenden Risiken zu berücksichtigen29. Solche Lösungen hätten aber zur Folge, dass wohl nahezu jede Auszahlung oder Vorgang der Unternehmensumstrukturierung regelmäßig nach § 30 Abs. 1 GmbHG verboten wäre. Ein solches Ergebnis wäre sicherlich systemwidrig bzw. mit dem geltenden Bilanzrecht nicht in Einklang zu bringen. Erfolgversprechender könnte der Ansatz sein, dem Gebot der Stammkapitalerhaltung einen individualschützenden Charakter beizumessen, sodass eine Schadensersatzpflicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB begründet wäre. Auf diese Weise könnten zumindest einige der Fälle bewältigt werden, für die eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs in Betracht kommt30. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1990 hat es der BGH abgelehnt, § 30 GmbHG als ein Schutzgesetz zu begreifen, soweit die Vorschrift den Gesellschaftern verbietet, eine Auszahlung entgegenzunehmen oder in der Gesellschafterversammlung auf eine solche hinzu_______________
25 Prononciert in diesem Sinne v. a. Mülbert, DStR 2001, 1937, 1941 ff.; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 286. 26 Vgl. BGHZ 157, 72; jüngst verteidigt von Goette, ZIP 2005, 1481, 1484. Siehe hierzu den Beitrag von Maier-Reimer in diesem Band, S. 127 ff. 27 Vgl. BGHZ 157, 72, 75 f.; in diesem Sinne bereits Stimpel, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 335, 349; vgl. auch Schön, ZHR 159 (1995), 351, 361 f. 28 Vgl. Raiser/Veil (Fn. 5), § 37 Rn. 10. 29 Vgl. hierzu und zur Möglichkeit eines gegenständlichen Vermögensschutzes Kleffner, Erhaltung des Stammkapitals und Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG, 1994, S. 95 ff.; Westermann, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 30 Rn. 16; Ulmer, FS Pfeiffer, 1988, S. 853, 868 f. Kritisch gegen die Tauglichkeit solcher Lösungswege vor allem Röhricht (Fn. 5), S. 83, 95 f. 30 Siehe die unter II.2. dargestellten Fälle.
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wirken31. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass ein Gläubiger im Wege der Pfändung auf den Erstattungsanspruch der Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter (gemäß § 31 GmbHG) zugreifen könne. Es verbiete sich, auf dem Umweg über § 823 Abs. 2 BGB eine Außenhaftung zu begründen32. Diese Sichtweise ist geprägt von der Konzeption des GmbH-Gesetzes, einen Binnenausgleich herbeizuführen; ein Verfolgungsrecht der Gläubiger wie in § 62 Abs. 2 AktG normiert, ist nicht vorgesehen33. Meines Erachtens ist damit auch vorgezeichnet, ob bei einem existenzvernichtenden Eingriff ein Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz begründet sein kann. Wenn ein Gesellschafter noch nicht einmal im Innenverhältnis zum Ausgleich des Kollateralschadens verpflichtet ist, dann kann er erst recht nicht gegenüber einem Gläubiger der Gesellschaft verantwortlich sein34. Als ein erster Zwischenbefund kann somit festgehalten werden, dass eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG an Grenzen stößt. Es verbleiben signifikante Schutzdefizite. Dennoch bedarf die rechtsfortbildende Ausarbeitung von Haftungsregeln einer besonderen Begründung.
2. Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens Der BGH führt seine Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff bekanntlich auf eine Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zurück35. Um es vorwegzunehmen: Mich überzeugt diese Argumentation. Einerseits wird zu Recht hervorgehoben, dass das Gesellschaftsvermögen in einer Kapitalgesellschaft zur Befriedigung der Gläubiger vorgesehen ist. Andererseits wird auch anerkannt, dass die Gesellschafter in einer GmbH über das Gesellschaftsvermögen grundsätzlich frei verfügen können36. Es wird ein eingeschränkter Bestandsschutz reklamiert, der die Be_______________
31 BGHZ 110, 342, 360; h. L.; vgl. Westermann, in: Scholz, GmbHG (Fn. 29), § 30 Rn. 10 m. w. N. 32 BGHZ 110, 342, 360. 33 BGHZ 110, 342, 360; h. L.; vgl. Westermann, in: Scholz, GmbHG (Fn. 29), § 31 Rn. 8 m. w. N. 34 I. E. ebenso Rubner (Fn. 12), S. 259 ff. 35 Pointiert erstmals in BGHZ 151, 181, 186 (KBV). Dieser Gedanke findet sich aber bereits in den Entscheidungen BGHZ 122, 123 (TBB), BGHZ 149, 10 (Bremer Vulkan) und BGHZ 150, 61, 67 (L-Kosmetik). 36 Grundlegend hierzu Röhricht (Fn. 5), S. 83, 103 ff.
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fugnis der Gesellschafter, das Unternehmen zu beenden, nicht in Abrede stellt. Die Beendigung der Gesellschaft muss aber im vom Gesetz dafür vorgesehenen Liquidationsverfahren geschehen37. Es gibt, wie der II. Senat treffend formuliert, keinen Anspruch der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter auf Gewährleistung ihres Bestands38. Mit dieser Auslegung gelangt der BGH zu einem weit reichenden Solvenzschutz, was er in der KBV-Entscheidung auch unverblümt zum Ausdruck gebracht hat: „Den Gesellschaftern steht innerhalb wie außerhalb der Liquidation nur der Zugriff auf den zur Erfüllung der Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht benötigten Überschuss zu“39. Damit propagiert der II. Senat eine Vermögensbindung, die derjenigen in einer Aktiengesellschaft angenähert ist40. Er ist mit dieser Aussage auch nicht mehr weit von einem Solvenzschutz entfernt, den man in zahlreichen ausländischen Gesellschaftsrechten – etwa in vielen Bundesstaaten in den USA und in Neuseeland – antrifft41. Dort hat man auf das Nennwertsystem verzichtet und gewährleistet die Kapitalerhaltung durch einen zweistufigen Test, nämlich einen balance sheet test und einen solvency test, der zukunftsorientiert ist und die Liquidität der Gesellschaft gewährleisten soll42. Die Gesellschaft muss nach einer Auszahlung in der Lage sein, ihre im gewöhnlichen Geschäftsgang fällig werdenden Verbindlichkeiten zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund drängt sich geradezu die Frage auf, ob im System des gesetzlichen Kapitalschutzes einer GmbH überhaupt Raum ist für den vom BGH vertretenen haftungsrechtlichen Solvenzschutz. _______________
37 BGHZ 151, 181, 186 (KBV); grundlegend hierzu M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 203 ff.; Priester, ZGR 1993, 512, 521 ff. 38 BGHZ 151, 181, 186 (KBV). 39 BGHZ 151, 181, 186 (KBV). 40 Treffend Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, 2004, S. 135. 41 Auf diesen Aspekt hat Röhricht bereits mehrere Male hingewiesen. Vgl. zuletzt in ZIP 2005, 505, 514. Vgl. auch Wiedemann, ZGR 2003, 283, 293; Drygala, GmbHR 2003, 729, 734. 42 Eine aus rechtspolitischen Gründen erfolgte Analyse ausländischer Kapitalerhaltungssysteme (mit primär solvenzorientierten Sperren) präsentiert Rickford, Reforming Capital – Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, EBLR 2004, 919; vgl. hierzu Veil, Kapitalerhaltung – Das System der Kapitalrichtlinie versus situative Ausschüttungssperren, erscheint demnächst.
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3. Solvenzschutz im System der gesetzlichen Kapitalbindung Die Frage müsste an sich verneint werden. Der Gläubigerschutz wird in einer GmbH durch das versprochene Kapital verwirklicht. Im Zentrum steht das Gebot der Kapitalerhaltung (§ 30 Abs. 1 GmbHG), das durch die Anknüpfung an die Handelsbilanz eine besondere Prägung erhält. So ist vor allem das Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) vom Gedanken des Gläubigerschutzes geprägt43. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Stammkapitalschutz durch eine vergangenheitsbezogene Sichtweise geprägt ist. Ausnahmen wie das Rückstellungsgebot bestätigen nur die Regel. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, für das Vorfeld der Insolvenz einen zusätzlichen solvenzrechtlichen Ansatz zu entwickeln. Auch die den Stammkapitalschutz ergänzenden Regeln über kapitalersetzende Darlehen (§§ 32a, 32b GmbHG) begründen für dieses Szenarium eine erweiterte Solvenzhaftung44. Es erscheint daher vorstellbar zu sein, auch andere (existenzgefährdende) Eingriffe in die Solvenz ausnahmsweise haftungsrechtlich zu sanktionieren. Voraussetzung muss sein, dass der handelsbilanziell fundierte Stammkapitalschutz Lücken aufweist. Nur unter dieser Prämisse ist auch in einem System des gesetzlichen Stammkapitalschutzes Raum für einen haftungsrechtlichen Solvenzschutz.
4. Folgerungen für die Strukturen einer Gesellschafterhaftung Aus diesem Begründungsmuster müssen die Strukturen einer Gesellschafterhaftung abgeleitet werden. Dabei ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass selbstverständlich nicht sämtliche Eingriffe in die Solvenz der Gesellschaft sanktioniert werden können. Es muss sich vielmehr um Eingriffe handeln, welche die Fähigkeit der Gesellschaft, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, in existenzgefährdender Weise berührt. Erst dann findet ein Solvenzschutz in Gestalt einer umfassenden Vermögensbindung statt. Die Eingriffe können bilanzneutral sein. In Betracht kommen aber auch offene oder verdeckte Entnahmen, die zu weiteren Schäden der Gesellschaft führen45. Erforderlich ist zudem ein Vermögenstransfer zugunsten des Gesellschafters bzw. der mit ihm verbundenen Unternehmen. Dies folgt aus der Funktion der Gesellschafterhaftung, den Stammkapital_______________
43 Vgl. hierzu Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 252 Rn. 10 ff. 44 In diesem Sinne argumentierend bereits Schön, ZHR 168 (2004), 268, 285 f. 45 Siehe die Fallgruppen unter II.1. und II.2.
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schutz (§§ 30, 31 GmbHG) und das Kapitalersatzrecht (§§ 32a, 32b GmbHG)46 zu ergänzen, soweit diese Normenkomplexe Schutzdefizite aufweisen47. Es bleibt die Frage, ob auch Spekulationen „auf Kosten der Gläubiger“ mit der Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs bewältigt werden können. Der BGH hat die Frage meines Erachtens noch nicht abschließend beantwortet. In der Handelsvertreter-Entscheidung hat er sich auf die Aussage beschränkt, „unternehmerische Fehlleistungen“ bzw. „Managementfehler im Rahmen des Betriebs des Unternehmens im weitesten Sinne“ würden vom Haftungstatbestand nicht erfasst48. Das betriebsfremde Eingehen möglicherweise unverantwortlicher Risiken, etwa der Abschluss von Warenterminkontrakten, dürfte damit nicht gemeint sein. Die wohl herrschende Lehre lehnt eine Haftung des Gesellschafters wegen sorgfaltswidriger Geschäftsführung generell ab49. Ich halte diese Position für überzeugend. Allerdings ist es nicht weiterführend, zu argumentieren, die Rechtsform der GmbH sei geschaffen worden, um ein risikoaverses Verhalten zu verhindern50. Dies zeigt schon der Blick auf den Geschäftsleiter einer Aktiengesellschaft, dem die Rechtsordnung einen Haftungsfreiraum einräumt, damit er risikofreudig agieren kann51. Bei schlechthin unvertretbarem Geschäftsleiterhandeln ist dieser safe harbour aber nicht eröffnet52. Ebenso könnte dies auf der Ebene der Gesellschafter gesehen werden. Eine Haftung wäre dann zu bejahen, wenn der Gesellschafter seine Ermessensgrenzen überschritten hat53. Die Fälle hochspekulativer Geschäfte sind vielmehr deshalb nicht dem Bereich der _______________
46 Zur Haftung Dritter im Rahmen des Stammkapitalschutzes und des Rechts kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen vgl. Raiser/Veil (Fn. 5), § 37 Rn. 33 und § 38 Rn. 24 ff. 47 Siehe oben III. 1. 48 BGH ZIP 2005, 250, 252. 49 Vgl. Röhricht (Fn. 5), S. 83, 107 (reines Abzugsverbot); ders., ZIP 2005, 505, 514; Wackerbarth, ZIP 2005, 877, 884; Weller (Fn. 40), S. 1250; wohl auch Schön, ZHR 168 (2004), 268, 289 f. (möglicherweise aber Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung). A.A. Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1842 ff.; Drygala, GmbHR 2003, 729, 735 f.; Emmerich, AG 2004, 423, 427; vgl. auch Wiedemann, ZGR 2003, 283, 293, 295. 50 In diese Richtung vor allem Rubner (Fn. 12), S. 194 ff. 51 Vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG n. F. durch das UMAG. 52 Vgl. Raiser/Veil (Fn. 5), § 14 Rn. 76. 53 In diesem Sinne etwa Drygala, GmbHR 2003, 729, 736; Emmerich, AG 2004, 423, 427.
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Existenzvernichtungshaftung zuzuordnen, weil diese Grundsätze das gesetzliche Kapitalerhaltungsrecht ergänzen. Ihre Strukturen müssen daher aus den §§ 30, 31 und den §§ 32a, 32b GmbHG gewonnen werden. Es muss sich um einen Solvenzeingriff zugunsten eines Gesellschafters oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens handeln54. Dies ist bei den hochriskanten Spekulationsgeschäften nicht der Fall55.
IV. Dogmatik einer Gesellschafterhaftung 1. Stand der Rechtsprechung Mit diesen Überlegungen steht allerdings noch nicht fest, welche Anspruchsgrundlage heranzuziehen ist. Die Rechtsprechung des BGH gibt immer noch Rätsel auf. In einigen Urteilen hat sich der II. Senat zu einer teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG bekannt und für einen Haftungsdurchgriff ausgesprochen56. Als Rechtsgrundlage müsste dann § 128 HGB analog herangezogen werden57. Allerdings hat der BGH in anderen Urteilen ausgeführt, die Haftung ergebe sich aus den dargelegten Gründen auch aus § 826 BGB58, und in einem Urteil hat er eine Haftung sogar ausschließlich auf diese Anspruchsgrundlage gestützt59. Welcher Weg ist nun der Richtige? Die Frage wird im Schrifttum auch mit Blick auf die Scheinauslandsgesellschaften erörtert. Manchen Autoren erscheint die Existenzvernichtungshaftung ein geeignetes Instrument zu sein, um möglichen Gefahren zu begegnen, die von solchen Gesellschaften für den Rechtsverkehr ausgehen können. Dies wird möglich, indem die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens auf die Liquidationsvorschriften und Insolvenzvorschriften zurückgeführt wird60, sodass die Gesellschafterhaftung insolvenzrechtlich qualifiziert und gemäß Art. 4 EuInsVO angeknüpft wird61. _______________
54 Vgl. zuletzt auch Wackerbarth, ZIP 2005, 877, 879. 55 Die Fälle hochspekulativer Geschäfte können somit haftungsrechtlich allenfalls durch eine Durchgriffshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung bewältigt werden. In diesem Sinne Raiser, ZGR 1995, 156, 162 ff.; sympathisierend Schön, ZHR 168 (2004), 268, 290. 56 Vgl. BGHZ 151, 181, 187 (KBV); BGH, ZIP 2005, 117 (BMW-Vertragshändler); BGH, ZIP 2005, 250 (Handelsvertreter). 57 So die h. L.; vgl. Raiser/Veil (Fn. 5), § 29 Rn. 38. 58 BGHZ 151, 181, 187 (KBV). 59 BGH, ZIP 2004, 2138 (Klinik). 60 Weller (Fn. 40), S. 146. 61 Weller (Fn. 40), S. 247 ff.
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Auf diese Weise gelangt man zu dem Recht des Staates, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Art. 3 EuInsVO). Ein anderer, vielgepriesener Weg ist es, die Haftung im Deliktsrecht, insbesondere in § 826 BGB zu verorten62, mit der Folge, dass das Recht des Staates anwendbar ist, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat bzw. wo der Erfolg eingetreten ist (Art. 40 EGBGB).
2. Durchgriffshaftung (analog § 128 HGB) versus Deliktshaftung (§ 826 BGB) Die Frage, wie die Gesellschafterhaftung kollisionsrechtlich zu qualifizieren ist, kann ich heute nicht beantworten. Wohl aber möchte ich zur Frage Stellung nehmen, wo die Haftungsgrundsätze beheimatet sein sollten. Dabei steht vor allem zur Debatte, ob eine Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB begründet sein kann. Anlass für diese Frage ist vor allem das Rechtsfolgensystem, das der BGH erst vor kurzem präzisiert hat.
a) Bedürfnis für eine beschränkte Haftung In der BMW- und in der Handelsvertreter-Entscheidung vom 13.12.2004 hat der II. Senat das Tor für eine beschränkte Haftung geöffnet: Der Gesellschafter haftet wegen existenzvernichtenden Eingriffs „der Höhe nach unbeschränkt, sofern nicht die zugefügten Nachteile bereits nach den Regeln der §§ 30 f. GmbHG ausgeglichen werden können oder der Gesellschafter nachweist, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögenslage bei redlichem Verhalten nur ein begrenzter – und dann in diesem Umfang auszugleichender – Nachteil entstanden ist. Eine masselose Insolvenz der Gesellschaft schließt einen solchen Nachweis nicht aus“63. Aus dieser Aussage kann zunächst die Vorstellung des Gerichts entnommen werden, dass die Folgen eines existenzvernichtenden Eingriffs möglicherweise bestimmt werden können. Eine unbegrenzte Haftung würde dann über das Ziel weit hinaus schießen. Ein Gesellschafter sollte in diesem Fall nur für die konkret verursachten Nachteile haftbar gemacht werden können. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Existenzvernichtende Eingriffe in die Solvenz der Gesellschaft sind vor allem in last period_______________
62 Vgl. Haas, WM 2003, 1929, 1940 f.; vgl. auch Westermann, NZG 2002, 1129, 1135. 63 BGH, ZIP 2005, 117, 118 und ZIP 2005, 250, 252 (kursive Hervorhebungen nicht im Original).
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Szenarien zu beklagen. Dann könnten Gesellschafter geneigt sein, die „Schäfchen ins Trockene zu bringen“. Ist die Gesellschaft angeschlagen, sind die Forderungen der Gläubiger aber nicht mehr voll werthaltig64. Anders gewendet: Die Gläubiger würden besser gestellt, wenn sie aufgrund eines existenzvernichtenden Eingriffs zu ihrem finanziell angeschlagenen Schuldner einen neuen, möglicherweise leistungsfähigen, voll haftenden Schuldner in Gestalt des Gesellschafters erhalten würden65. Dieses bereits zur Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung diskutierte Phänomen66 tritt auch und gerade bei der Haftung wegen Existenzvernichtung auf, die häufig „lediglich“ zur Sanktion von Einzeleingriffen benötigt wird67. Resümierend kann festgehalten werden, dass der BGH zu Recht einer möglicherweise nur beschränkten Gesellschafterhaftung das Wort geredet hat68. Wie kann aber dieses differenzierte Rechtsfolgensystem rechtssystematisch eingeordnet werden? Finden die Gedanken zur Haftungsbeschränkung Platz in der von der Rechtsprechung bislang favorisierten Durchgriffshaftung? Wie soll man sich das Haftungskonzept vorstellen? Handelt es sich um eine Innenhaftung nach Maßgabe der §§ 30, 31 GmbHG, die in eine durchgriffsrechtlich strukturierte unbeschränkte Außenhaftung umschlägt, und dann auf entsprechenden Nachweis des Beklagten in eine verschuldensabhängige Schadensersatzhaftung mündet69? Und weiter: Haben wir es auf dieser letzten Stufe noch mit einer Außenhaftung zu tun, oder handelt es sich wieder um eine Innenhaftung70?
b) Rechtssystematische Einordnung Ausgangspunkt für ein zutreffendes Verständnis des Haftungskonzepts muss die Erkenntnis sein, dass einem Gesellschafter auch die Möglichkeit eingeräumt werden muss, ein rechtmäßiges Alternativverhalten geltend zu machen. Ihm ist im Prozess der Nachweis zu gestatten, dass der _______________
64 Vgl. Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2028. 65 Vgl. Vetter, ZIP 2003, 601, 605; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 288. 66 Zur Diskussion über eine bloße Auffüllungshaftung vgl. Möller, Die materiell unterkapitalisierte GmbH, 2005, S. 65 f. 67 Pointiert in diesem Sinne bereits Vetter, ZIP 2003, 601, 604. 68 Noch weitergehend Wackerbarth, ZIP 2005, 877, 884 mit der Forderung, die Haftung generell auf die erlangten Vorteile zu begrenzen. A.A. Lutter/ Banerjea, ZGR 2003, 402, 431 sowie Hölzle, ZIP 2003, 1376, 1382. 69 Vgl. Goette, ZIP 2005, 1481, 1487. 70 Vgl. Altmeppen, ZIP 2005, 119, 120.
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Gläubiger mit seiner Forderung auch dann ausgefallen wäre, wenn die Gesellschaft ordnungsgemäß liquidiert worden wäre. Im Ergebnis bedeutet dies eine Beschränkung der Haftung auf den der Gesellschaft zugefügten Schaden71. Dieser Einwand kann aber nur in einer Schadensersatzhaftung eine Berücksichtigung finden. Der vom BGH eingeschlagene Weg, eine unbeschränkte Haftung auf Nachweis des Gesellschafters zu beschränken, kann in einem akzessorischen Haftungskonzept (analog § 128 HGB) keinen Platz finden72. Auch ist diese Differenzierung weder mit dem Ansatz der Missbrauchslehre noch mit dem Ansatz der Normzwecklehre vereinbar, einem Gesellschafter die Berufung auf das Schutzschild des § 13 Abs. 2 GmbHG zu verwehren73. Dies geht entweder ganz oder gar nicht. Will man sich weiterhin im kodifizierten Recht bewegen, bleibt nur der Weg, statt einer teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG die Gesellschafterhaftung auf § 826 BGB zu stützen. Diese Schadensersatzhaftung kann eine vollständige Haftung sein. Sie kann aber auch nur eine Haftung für den Betrag des Forderungsausfalls sein. Es bleibt die Frage, ob die Grundsätze über das Verbot existenzgefährdender Eingriffe den Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens zu begründen vermögen. Um es vorwegzunehmen: Ich meine ja. Bereits anerkannt hat der BGH, dass eine planmäßige Entziehung von Gesellschaftsvermögen und Verlagerung auf eine Schwestergesellschaft den Tatbestand einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung erfüllt74. Meines Erachtens können auch andere Eingriffe, die zu Kollateralschäden führen, als sittenwidrig qualifiziert werden. Grundlage hierfür ist ein funktionales Verständnis des deliktsrechtlichen Sittenwidrigkeitsbegriffs75. Es betont die _______________
71 Vetter, ZIP 2003, 601, 603 ff.; Ihrig, RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 2003, S. 27, 53; Röhricht, ZIP 2005, 505, 515. Vgl. auch Bruns, WM 2003, 815, 822 mit dem Vorschlag, die Haftung auf die Stammkapitalziffer zu begrenzen. A.A. Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 431. 72 Auch dem Vorschlag, den Einwand eines Höchstschadens auf eine Analogie zu § 129 HGB zu stützen (vgl. Weller [Fn. 40], S. 183 f.), kann meines Erachtens nicht gefolgt werden. 73 Ebenso Haas, WM 2003, 1929, 1940; zur Durchgriffshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung ebenso bereits Ulmer, in: Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, Anh. § 30 Rn. 62; Möller (Fn. 66), 141. A.A. Vetter, ZIP 2003, 601, 605: „Methodisch sollte eine solche Beschränkung der Haftung keine Probleme bereiten.“ 74 Vgl. BGH, ZIP 2004, 2138, 2139 (Klinik). 75 Vgl. Wagner, in: MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 826 Rn. 10.
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Ergänzungsfunktion des § 826 BGB im Gesamtkontext der Rechtsordnung76. So muss sich aus gesellschaftsrechtlichen und/oder insolvenzrechtlichen Wertungen ermitteln lassen, dass ein Schutz der vermögensrechtlichen Interessen geboten ist. Diese selektive Einbeziehung von Vermögensschäden in den Schutzbereich des Deliktsrechts77 ist mit Blick auf den Gläubigerschutz zu beurteilen, der im GmbH-Recht durch das System der gesetzlichen Kapitalbindung verwirklicht wird. Dieses System weist im Falle von bestimmten, die Existenz der Gesellschaft vernichtenden Eingriffe signifikante Schwachstellen auf78. Dabei handelt es sich um einseitige, nämlich zu Lasten der Gläubiger erfolgende Verlagerungen von Risiken79. Es ist verwerflich, in dieser Weise unter Ausnutzung der gesetzlichen Schutzdefizite vorzugehen. Die Sittenwidrigkeit ist somit darin zu sehen, dass ein Gesellschafter ohne Rücksicht auf die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Schulden zu erfüllen, die Schutzdefizite des gesetzlichen Gläubigerschutzes ausnutzt und Maßnahmen veranlasst, die sich notwendig ausschließlich zu Lasten der Gläubiger auswirken. Darauf muss sich sein Vorsatz beziehen. Es genügt allerdings, wenn er sich bewusst ist, dass sein Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen in die Insolvenz führen kann80. Die Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs kann und sollte, so mein Petitum, in Zukunft auf § 826 BGB gestützt werden81. In der Insolvenz sollte sie vom Insolvenzverwalter analog § 93 InsO geltend gemacht werden82. Ob es daneben noch eines Haftungsdurchgriffs analog § 128 HGB bedarf, bleibt abzuwarten.
_______________
76 Vgl. Oechsler, in: Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1998, § 826 Rn. 20, 32 ff. (Auftrag an den Richter zur Rechtsfortbildung). 77 Vgl. Wagner, in: MünchKomm.BGB (Fn. 75), § 826 Rn. 10. 78 Siehe oben III. 79 Zum Aspekt der einseitigen Risikoverlagerung vgl. Möller (Fn. 66), S. 77. 80 Schwieriger gestaltet sich demgegenüber der Nachweis des Vorsatzes bei einer materiellen Unterkapitalisierung der Gesellschaft. Vgl. Möller (Fn. 66), S. 78 ff. 81 Vgl. auch Goette, DStR 2005, 197, 199 f.; ders., ZHR Beiheft Nr. 20 (2002), S. 11, 23; Wilhelmi, DZWiR 2003, 45, 51; Rubner (Fn. 12), S. 236 ff. A.A. Lutter/ Banerjea, ZGR 2003, 402, 429; Drygala, GmbH 2003, 729, 731; Vetter, ZIP 2003, 601, 603. 82 In diesem Sinne bereits BAG, ZIP 2005, 1174, 1176 (allerdings ohne klar auszuführen, ob die Binnenhaftung auf eine analoge Anwendung des § 93 InsO zu stützen ist); für Altfälle verneinend BGH, NZG 2005, 886, 889.
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3. Voraussetzungen Es ist Aufgabe der Judikatur, die Voraussetzungen einer Schadensersatzhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs weiter zu konkretisieren. Es können aber einige Grundlinien benannt werden, die Berücksichtigung finden sollten.
a) Eingriff des Gesellschafters in die Solvenz Der Begriff des existenzvernichtenden Eingriffs wird erst durch eine Fallgruppenbildung Konturen erhalten. Sie kann sich an den eingangs aufgezeigten Kategorien orientieren83. In Betracht kommen somit offene und verdeckte Entnahmen sowie bilanzneutrale Vorgänge. Es muss aber ein Zufluss in das Vermögen des Gesellschafters bzw. eines mit ihm verbundenen Unternehmens stattgefunden haben84. Dagegen können unverantwortliche Spekulationsgeschäfte oder sonstige unangemessen risikoreiche Geschäfte mit den Grundsätzen einer Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs nicht bewältigt werden. Entscheidende Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die betreffende Maßnahme Auswirkungen auf die Fähigkeit der Gesellschaft haben muss, ihre Schulden zu erfüllen. Es werden nur „ins Gewicht fallende Beeinträchtigungen“ erfasst85. Dieses einschränkende Merkmal soll gewährleisten, dass nur solche Zugriffe auf das Gesellschaftsvermögen sanktioniert werden, die möglicherweise in die Insolvenz der Gesellschaft führen.86
b) Insolvenz der Gesellschaft Voraussetzung ist ferner, dass sich die Gesellschaft in der Insolvenz befindet. Vorher besteht kein Bedürfnis für eine Gesellschafterhaftung. Der Eingriff muss ferner kausal für die Insolvenz sein87. Dieses Erfordernis hat in der Gerichtspraxis bislang keine große Rolle gespielt. Es kann (und sollte) bejaht werden, wenn zwischen dem existenzvernichtenden Eingriff und der Insolvenz ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht88. _______________
83 84 85 86 87 88
Siehe oben II.1. und II.2. Siehe hierzu bereits oben III. 4. Vgl. BGHZ 151, 181 (KBV). Vgl. auch Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 415; Rubner (Fn. 12), S. 83. Vgl. Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 418; Bruns, WM 2003, 815, 820. Vgl. Raiser/Veil (Fn. 5), § 29 Rn. 36.
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c) Keine angemessene Rücksichtnahme auf die Solvenz der Gesellschaft Der BGH verlangt für eine Haftung außerdem, dass der betreffende Gesellschafter keine angemessene Rücksicht auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens genommen hat. Dieses bereits im TBB-Urteil89 vorzufindende Tatbestandsmerkmal soll nach manchen Stimmen mit Blick auf seinen Zweck ausgelegt werden, Bagatelleingriffe haftungsfrei zu stellen. Demnach wären jedenfalls typische Tagesgeschäfte nicht erfasst90. Ähnlich ist die Sichtweise von Röhricht, der verlangt, ein Gesellschafter müsse vortragen können, dass er bei der Entnahme davon ausgegangen sei, die Gesellschaft bleibe in der Lage, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen91. Ob es des einschränkenden Merkmals einer fehlenden angemessenen Rücksichtnahme überhaupt bedarf, wenn der Eingriff „ins Gewicht fallende Beeinträchtigungen“ zur Folge haben muss, erscheint mir zweifelhaft zu sein92. Stützt man die Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung auf § 826 BGB, so wird der Aspekt, dass ein Gesellschafter von der weiteren Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft ausgegangen ist, bereits im Rahmen des Vorsatzes berücksichtigt.
d) Subsidiarität gegenüber den Regeln der Kapitalerhaltung (§§ 30, 31 GmbHG) Die Subsidiarität einer Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs folgt aus der eingangs skizzierten Begründung für eine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschaffene haftungsrechtliche Verantwortlichkeit von Gesellschaftern einer GmbH: Ein Solvenzschutz ist im geltenden System des Kapitalschutzes nur gerechtfertigt, soweit die §§ 30, 31 GmbHG Schutzdefizite aufweisen93. Eine Existenzvernichtungshaftung kommt daher erst dann in Betracht, wenn eine Restitution gem.
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89 BGHZ 122, 123. 90 Vgl. K. Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580; Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 415. 91 Röhricht, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002, 2003, S. 1, 29. 92 Vgl. auch Ulmer, JZ 2002, 1049, 1050 f. 93 Siehe hierzu bereits oben III.
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§ 31 GmbHG nicht möglich oder nicht ausreichend ist94. Dies ist auch bei einer Schadensersatzhaftung gemäß § 826 BGB zu berücksichtigen, nämlich im Zusammenhang mit der Frage, wie die Ergänzungsfunktion der deliktsrechtlichen Schadensersatzpflicht zu bestimmen ist.
4. Rechtsfolgen Schwieriger stellt sich die Frage dar, welche Rechtsfolgen aus einem existenzvernichtenden Eingriff resultieren. Die von mir favorisierte Gesellschafterhaftung ist eine Schadensersatzhaftung. Der Schaden des Gläubigers liegt im Forderungsausfall bzw. Verkürzung der Masse95, was an sich vom Gläubiger nachzuweisen wäre96. Es wird aber notwendig sein, ihm insoweit Beweiserleichterungen zuzugestehen97. Ist ihm ein sittenwidriges Verhalten in Gestalt eines insolvenzverursachenden Eingriffs nachgewiesen worden98, so kann davon ausgegangen werden, dass die Forderung hätte erfüllt werden können. Die Schadensersatzhaftung umfasst in diesem Fall den gesamten Forderungsbetrag. Allerdings kann der Gesellschafter nachweisen, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögenslage bei redlichem Verhalten nur ein begrenzter Nachteil entstanden ist. Dies ist vom BGH bereits anerkannt worden99. Es ist Aufgabe des in Anspruch genommenen Gesellschafters, darzulegen und zu beweisen, dass er nur zum Ausgleich des verursachten Schadens verpflichtet ist. Dies wird ihm am ehesten gelingen, wenn ein Eingriff in die Solvenz individualisierbar und in der Schadenshöhe quantifizierbar ist.
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94 Vgl. hierzu Henze, AG 2004, 405, 413, wonach eine Existenzvernichtungshaftung sogar dann gegeben sein soll, wenn Restitutionsansprüche bestehen würden, aber nicht geltend gemacht worden seien. Kritisch zur laxen Handhabung dieses Kriteriums durch den BGH Vetter, ZIP 2003, 601, 606; Rubner (Fn. 12), S. 89 ff. 95 Vgl. zur Haftung gem. § 826 BGB bereits BGH, ZIP 2004, 2138, 2139 (Klinik). 96 BGH, NZG 2005, 886, 889 (Kausalität des sittenwidrigen Verhaltens für den Ausfallschaden im Konkurs); vgl. auch Rubner, DStR 2005, 1694, 1695. 97 Vgl. hierzu auch Rubner (Fn. 12), S. 254 f. 98 Die Insolvenzverursachung kann nach hier vertretener Auffassung bei einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem existenzvernichtenden Eingriff und der Insolvenz vermutet werden. Siehe oben IV.3.b). 99 BGH, ZIP 2005, 117, 118 (BMW-Vertragshändler); BGH, ZIP 2005, 250, 252 (Handelsvertreter).
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V. Fazit Als Fazit meiner Überlegungen möchte ich die Forderung herausstellen, die vom BGH entwickelte Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs in Zukunft auf § 826 BGB zu stützen und durch Bildung von Fallgruppen weiter zu entwickeln. Auch für andere existenzvernichtende Eingriffe hat sich das Deliktsrecht bereits bewährt. So hat das OLG Nürnberg die eingangs erwähnte Ehefrau wegen der Existenzvernichtung ihres früheren Ehemanns ebenfalls gemäß § 826 BGB zum Schadensersatz verurteilt100. Gemeinsame Haftungsgrundsätze lassen sich aber beim besten Willen nicht feststellen.
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100 Siehe oben unter I.; Urteil des OLG Nürnberg v. 26.5.1994 – Az. 2 U 2174/93.
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Bericht über die Diskussion des Referats Veil Florian Streiber, Rechtsanwalt Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Bucerius Law School, Hamburg
I. Die Diskussion über den Vortrag von Veil zur Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs wurde von Priester geleitet. Im Vordergrund stand die dogmatische Grundlage dieser Haftungsfigur (II.). Daneben wurden die Frage der Darlegungs- und Beweislast im Prozess (III.) sowie der Problemkomplex einer der Existenzvernichtungshaftung nahestehenden Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung kontrovers erörtert (IV.). Schließlich wandte sich die Diskussion vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber angekündigten GmbH-Reform möglichen gesetzlichen Änderungen de lege ferenda zu (V.).
II. In seiner die Diskussion einleitenden Stellungnahme unterstrich Priester die in Zukunft erforderliche genauere Konkretisierung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen, was wegen der noch nicht abschließend geklärten Rechtsgrundlage der Existenzvernichtungshaftung sowie der Problematik deren Anwendung auf Scheinauslandsgesellschaften von besonderer Bedeutung sei. Auch darüber hinaus zeigte sich Priester gegenüber den von Veil vertretenen Thesen aufgeschlossen. So habe sich der BGH hinsichtlich der Rechtsgrundlage zwar für eine Durchgriffshaftung ausgesprochen, jedoch sollte man der von Veil vertretenen Ansicht einer Anwendung der Existenzvernichtungshaftung im Rahmen von § 826 BGB positiv gegenüberstehen. Während die traditionelle Meinung in Rechtsprechung und Lehre gegenüber dem Tatbestand des § 826 BGB von Zurückhaltung geprägt gewesen sei, habe sich mittlerweile gezeigt, dass der Begriff der Sittenwidrigkeit einem funktionalen Verständnis im Sinne einer Verhinderung von Eingriffen in die Solvenz einer Gesellschaft durchaus zugänglich sei. Hinsichtlich der dogmatischen Grundlage unterstützte Karsten Schmidt zu Beginn der Diskussion in seinen Ausführungen die von Veil vertretene
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Schadensersatzlösung. Er selber favorisiere als dogmatische Grundlage der Existenzvernichtungshaftung zwar weiterhin das von ihm propagierte schadensersatzrechtliche Binnenhaftungsmodell einer Pflichtverletzung des mitgliedschaftlichen Sonderrechtsverhältnisses. Nur über ein Schadensersatzmodell sei nämlich der auftretende Konflikt zwischen Außenund Binnenhaftung adäquat zu lösen. Während man im Insolvenzfall zu einer Binnenhaftung gelangen müsse, sei bei masseloser Insolvenz der Außenhaftung der Vorzug zu geben. Eben dieses Ergebnis werde nach Ansicht von Karsten Schmidt zutreffend auch mit der von Veil vertretenen Lösung einer Haftung über § 826 BGB erreicht. Der Tatbestand des § 826 BGB sei seiner Meinung nach zwar weiterhin unscharf konturiert, aber in den einschlägigen Durchgriffsfällen bereits traditionell von Rechtsprechung und einigen Stimmen in der Literatur herangezogen worden. Demgegenüber plädierte Röhricht für eine unmittelbare Außenhaftung und erläuterte die vom BGH beschriebene Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens als Haftungsgrundlage des von ihm maßgeblich mitgestalteten Instituts der Existenzvernichtungshaftung. Der Existenzvernichtungshaftung liege ein universelles Prinzip zugrunde, nach welchem das Gesellschaftsvermögen als Haftungsfonds zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung stehe. Der Gesellschaft seien die Mittel zu belassen, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötige. Haftungsgrundlage sei damit die Verletzung dieser Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens. Da der Gesetzgeber eine Haftung für bilanzunwirksame Vermögenseingriffe nicht vorgesehen habe, sei diese Lücke durch die Rechtsprechung zu schließen gewesen. Dabei habe sich der BGH nicht für eine erweiternde bilanzielle Betrachtungsweise, sondern für ein neues Konzept im Sinne einer Pflicht zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Verbindlichkeiten der Gesellschaft entschieden und die Existenzvernichtungshaftung unter Aufgabe der Rechtsprechung zum qualifiziert faktischen Konzern auf ein konzernunabhängiges Fundament gestellt. Daran anknüpfend bekräftige Veil nochmals die von ihm vertretene Lösung einer Haftung über § 826 BGB und verwies auf die mögliche funktionale Auslegung der Sittenwidrigkeit. Wie die Rechtsprechung in den Fällen Infomatec und EM.TV gezeigt habe, könnten kapitalmarktund gesellschaftsrechtliche Wertungen in § 826 BGB berücksichtigt werden. Außerdem sei über dieses Konzept eine Binnenhaftung im Rahmen der Insolvenz analog § 93 InsO gewährleistet, wohingegen außerhalb eines Insolvenzverfahrens eine reine Außenhaftung – u. U. begrenzt auf
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Streiber – Bericht über die Diskussion
einen Höchstschaden der Gesellschaft – vorliege. Auf Grundlage dieses Konzepts bejahte Veil auf die Frage von Weller auch eine Teilnehmerhaftung nach § 830 BGB.
III. Burgard, der ebenfalls eine Schadensersatzlösung vertritt, lenkte die Diskussion sodann auf die Frage der Darlegungs- und Beweislast. Von besonderer Problematik sei seiner Ansicht nach dabei nicht nur die Frage der Schadensberechnung im Einzelfall, sondern – nach Anerkennung einer höhenmäßigen Haftungsbeschränkung durch den BGH – auch die Frage, was der Gesellschafter hierfür im einzelnen darzulegen und zu beweisen habe. Auch Veil bestätigte, dass die Frage der Darlegungs- und Beweislast tatsächlich Schwierigkeiten bereite, aber auch im Rahmen von § 826 BGB durch Beweislastumkehrungen zu lösen sei. Diese müssten jedoch im einzelnen von der Rechtsprechung ausgestaltet werden. Röhricht sprach sich hingegen dafür aus, die Frage der Beweislastumkehr im materiellen Gesellschaftsrecht zu lösen und das Haftungskonzept der Existenzvernichtungshaftung auch weiterhin gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. Auszugehen sei nämlich davon, dass den Gesellschafter die volle Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf einen etwaigen bei der Gesellschaft eingetretenen Höchstschaden treffen müsse. Während der Gläubiger außerhalb der Gesellschaft stehe, könne nur der Gesellschafter selbst zur hypothetischen Geschäftsentwicklung substantiiert vortragen. Da der Gläubiger grundsätzlich die Haftungsvoraussetzungen darzulegen und zu beweisen habe, frage sich, wie diese Beweislastverteilung im Sinne einer Beweislastumkehr am besten zu verwirklichen sei. Vor diesem Hintergrund äußerte sich Röhricht skeptisch bezüglich einer Anwendung der Existenzvernichtungshaftung im Rahmen von § 826 BGB. Während den Anspruchsteller bei § 826 BGB die volle Darlegungs- und Beweislast treffe, sei deren partielle Umkehrung in einem gesellschaftsrechtlichen Institut besser anzusiedeln. Zur Veranschaulichung verwies Röhricht auf die Vermutungsregelungen und die Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast nach der Rechtsprechung zum qualifiziert faktischen Konzern in den Urteilen Video und TBB.
IV. Im weiteren Verlauf der Diskussion betonte Karsten Schmidt den Vorrang der §§ 30, 31 GmbHG vor der Existenzvernichtungshaftung. Sofern
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Existenzvernichtungshaftung
ein Einzelausgleich über diese Normen möglich sei, erübrige sich nämlich ein Bedürfnis für eine Lückenfüllung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung. Problematisch sei aber, wo die genaue Grenzziehung beider Regelungskomplexe vorzunehmen sei, weshalb in Zukunft eine Fallgruppenbildung erforderlich werde. Da auch ein existenzvernichtender Eingriff durch Unterlassen in Betracht zu ziehen sei, könne die Entwicklung nach Meinung von Karsten Schmidt durchaus dahin gehen, dass sich die materielle Unterkapitalisierung als Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung herausbilden könnte. In Bezug auf die Kapitalausstattung der Gesellschaft sprachen sich Veil und Priester gegen die Anerkennung einer Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung aus, da es vor allem immer noch nicht gelungen sei, den im Einzelfall erforderlichen Kapitalbedarf betriebswirtschaftlich hinreichend genau zu ermitteln. Veil bekräftigte dabei, dass die Fälle einer materiellen Unterkapitalisierung in dem von ihm propagierten Verständnis der Existenzvernichtungshaftung keinen Raum hätten. Priester räumte jedoch ein, dass in Extremfällen eine Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung vorstellbar sei, wenn die Gesellschaft evident über zu wenig Eigenkapitalausstattung verfüge, was gerade in Existenzvernichtungsfällen möglich sei.
V. Vor dem Hintergrund der angekündigten GmbH-Reform sprach sich Bachmann für eine de lege ferenda einzuführende Nachschusspflicht im Falle der masselosen Insolvenz aus. Da ein Insolvenzverfahren in den meisten Fällen nach einem existenzvernichtenden Eingriff mangels Masse nicht eröffnet würde, sei eine für diesen Fall vorgesehene Nachschusspflicht seiner Meinung nach eine Alternative zur ungeschriebenen Existenzvernichtungshaftung. In ähnlicher Weise appellierte Goette zum Abschluss der Diskussion an den Gesetzgeber, die GmbH-Reform dafür zu nutzen, den Gläubigerschutz über ein effektives Drei-Säulen-Modell zur Kapitalaufbringung, -erhaltung und Liquidation abzusichern. Da eine Existenzvernichtungshaftung überwiegend in last-period-Szenarien auftritt, wäre hierdurch dem Gläubigerschutz Genüge getan und ein Rückgriff auf ungeschriebenes Richterrecht damit entbehrlich.
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Rechtsfragen des Cash Management Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer Rechtsanwalt, Köln
I. Einführung ................................ 1. Bedeutung des Cash Management .......................... 2. Die Entscheidung vom 24. November 2003 ............... 3. Mögliche Folgen .................... 4. Ausnahmen? .......................... 5. Anwendbarkeit auf Cash Management? ........................ 6. Cash Pool bei Schwestergesellschaft ............................ II. Stehen gelassene Darlehen ...... 1. Tatbestand der Auszahlung .. 2. Doppelte Auszahlung? .......... a) Sonderrücklage .................. b) Vermögensbindung für die Darlehensforderung ..... c) Einforderung nach Bedarf .. 3. Folgerungen für das Cash Management .......................... III. Konzernrechtliche Überlagerung .................................... 1. Aktienkonzern ...................... a) Faktischer AG-Konzern .... b) Vertragskonzern ................ aa) Verlustausgleich nach Bilanzergebnis .............. bb) Werthaltigkeit des Anspruchs auf Verlustausgleich ......................
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2. GmbH-Konzern ..................... a) Faktischer Konzern ............ b) Vertragskonzern ................. 3. Zweistufiger Vermögensschutz in der AG? .................. a) Darlehen aus strikt gebundenem Vermögen ..... b) Darlehen aus ausschüttungsfähigem Vermögen ... c) Gleichlauf von AG und GmbH ................................. d) Anderes Thema .................. IV. Das obiter dictum des BGH ..... 1. Beweislast für Geschäftsführer ...................................... 2. Kumulative Anforderungen .................................... 3. Interesse der Gesellschaft ..... 4. Drittvergleich ........................ 5. Sicherheit ............................... a) Kreditwürdigkeit ............... b) Sicherheiten ....................... c) Überwachung ..................... 6. Ausnahme bei Erfüllung der Kriterien ...........................
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V. Existenzvernichtung ................. 156
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I. Einführung Mit dem Thema Rechtsfragen des Cash Management sind Fragen des zentralen Cash Management in einem Konzern gemeint. Darunter ver-
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Maier-Reimer – Rechtsfragen des Cash Management
steht man ein System zur Herstellung eines konzernweiten Liquiditätsverbundes, bei dem alle Konzerngesellschaften überschüssige Liquidität an einen gemeinsamen Pool abliefern. Dieser Pool stellt dann den Konzerngesellschaften, die von ihnen jeweils benötigte Liquidität zur Verfügung1. Rechtsfragen des Cash Management betreffen die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit und Grenzen der Zulässigkeit eines solchen Systems vor allem aus der Sicht der Gesellschaft die Mittel in den Pool einlegt. Je nach Lage der beteiligten Gesellschaften können Ausleihungen von dem Pool auch als Eigenkapitalersatz gelten und dadurch die in den Pool eingelegten Mittel gefährdet sein2. Vormals stellte sich auch die Frage der bankaufsichtsrechtlichen Zulässigkeit. Diese Frage ist seit langem geklärt: Diejenige Konzerngesellschaft, die den Pool betreibt – gleich ob es die Konzernmutter oder eine gesonderte Betreibergesellschaft ist –, betreibt kein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft, weder Einlagegeschäft, noch Kreditgeschäft3.
1. Bedeutung des Cash Management Das zentrale Cash Management ist ein wesentliches Instrument der Finanzierungssteuerung eines Konzerns4. Diese wiederum wird als der Kern der Konzernleitung angesehen5. Solange die beteiligten Gesellschaften gesund sind, bringt das Cash Management allen Beteiligten Vorteile. Die einlegenden Gesellschaften erwirtschaften höhere Zinsen, als sie sonst erwarten könnten, während die geldaufnehmenden Gesellschaften einen niedrigeren Zins zahlen, als sie es am Markt müssten6. Aufgrund _______________
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Zur genaueren Funktionsweise und den einzelnen Varianten vgl. Henze, WM 2005, 717 f.; Reidenbach, WM 2004, 1421, 1423; Morsch, NZG 2003, 97 f. Vgl. hierzu Uwe H. Schneider, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 25 Rn. 25.37 ff. So die heute ganz herrschende Meinung nach der 6. KWG-Novelle, vgl. statt vieler Uwe H. Schneider, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 25 Rn. 25.84 ff.; Vetter/Stadler, Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling, 2003, Rn. 9 Fn. 3. Vetter, in: Lutter, Holding-Handbuch, 4. Aufl. 2004, § 8 Rn. 1; Morsch, NZG 2003, 97; ausführlich Wehlen/Uwe H. Schneider, in: Lutter/Scheffler/ Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 23 Rn. 23.3 ff. Vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, § 18 AktG Rn. 10; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, 6. Aufl.1995 ff., § 18 AktG Rn. 33. Decher, DB 1989, 965, 970; Hoffmann-Becking, in: Probleme des Konzernrechts, 1989, S. 68, 80; Jula/Breitbarth, AG 1997, 256, 257; Hahn, Der Konzern 2004, 641, 644; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1318.
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der vorangegangenen Gesamtvereinbarung bedarf es für die Anlage und Aufnahme von Geldern auch keiner besonderen Vereinbarungen, vielmehr vollzieht sich alles, gleichsam automatisch, täglich ohne weiteren Aufwand. Den Vorteilen des Liquiditätsverbundes entspricht jedenfalls bis zu einem gewissen Grade auch ein Verbund der Risiken. Wird eine der wesentlichen beteiligten Gesellschaften – insbesondere die Konzernobergesellschaft – insolvent, so zieht das oft über einen sogenannten Dominoeffekt die Insolvenz der übrigen Konzerngesellschaften nach sich7. Das konzernweite Cash Management liefert einen wesentlichen Beitrag zu dieser – dann unfreiwilligen – Solidarität in der Insolvenz. Dass der Liquiditätsverbund auch einen Risikoverbund begründet, ist nicht neu8. Deshalb mussten die Leitungsorgane der beteiligten Gesellschaften schon immer darauf achten, dass ihre Einlagen in den Konzernpool einigermaßen sicher waren, soweit sie nicht aus ungebundenem Vermögen erfolgten9. Hier nun bringt die bekannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.11.2003 („November-Entscheidung“) eine einschneidende Änderung. Der Bundesgerichtshof entschied, dass Darlehen einer Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter grundsätzlich wie Ausschüttungen zu behandeln seien, die deshalb zu Lasten des gebundenen Vermögens nicht zulässig seien10. Die Reaktion auf die Entscheidung ist lebhaft, aber geteilt. Einerseits wird sie als „Paukenschlag mit verstärkendem Echo“ apostrophiert, das sich aber für Cash Management-Systeme als viel Lärm um nichts erweise und aus einer Mücke einen Elefanten mache11. Andererseits wird der Bundesgerichtshof als „rocher de bronze“ gefeiert, der sich mit dieser Entscheidung mutig dem Strom einer verantwortungslosen Praxis entgegenstemme12. In der Praxis überwiegt die Sorge über _______________
7 Bayer, FS Lutter, 2000, S. 1011, 1015; Oser, WPg 1994, 312, 315; vgl. als Beispiel die Insolvenz der AEG/Neff-Gruppe, hierzu insbes. den Bericht von Wellensiek, ZIP 1982, 1370, 1371. 8 Vgl. nur BGHZ 149, 10 ff. (Bremer Vulkan). 9 Vgl. hierzu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1133 f. 10 BGHZ 157, 72, 75. 11 Ulmer, ZHR 169 (2005), 1, 3 ff. 12 Kerber, ZGR 2005, 437, 440; auch Engert, BB 2005, 1951 ff. begrüßt im Grundsatz die BGH-Entscheidung, will sie aber auf Cash Pool-Systeme nicht anwenden.
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die Auswirkungen13. Der BDI hat deshalb die Herstellung von Rechtssicherheit beim Cash Pooling als eines seiner wesentlichen Anliegen an die künftigen Regierungsparteien formuliert14. In den knapp zwei Jahren seit dieser Entscheidung ist die Literatur gerade zu dieser Frage zu einem kaum mehr überschaubaren Volumen angeschwollen. Dabei geht es auch um grundlegende Fragen des Kapitalschutzes im Konzern, deren Behandlung den Rahmen des mir gegebenen Themas sprengen würde. Ich werde die Entscheidung kurz zusammenfassen und dann drei Komplexe erörtern, nämlich: – – –
Die Behandlung stehen gelassener Darlehen, die konzernrechtliche Überlagerung der Entscheidung und Fragen der Besicherung.
Zum Schluss werde ich die selbständige Grenze der Existenzgefährdung kurz ansprechen. Cash Management in unserem Sinn gibt es nur in Konzernlagen. Darlehen einer Gesellschaft an Gesellschafter außerhalb einer Konzernlage bleiben deshalb außer Betracht. Ich beschränke mich auf die Auswirkungen der November-Entscheidung. Ebenfalls außer Betracht lasse ich deshalb Fragen der Kapitalaufbringung bei Bestehen eines Cash Pools, Fragen des Eigenkapitalersatzes durch die Ausleihungen von dem Cash Pool und Fragen des Minderheitenschutzes; denn um all dies ging es in der November-Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht.
2. Die Entscheidung vom 24. November 2003 Diese Entscheidung betraf kein Cash Management-System, sondern zwei nach Lage der Dinge von vornherein problematische Darlehen im Gesamtbetrag von 1 Mio. Euro einer schon bei Darlehensgewährung finanziell angespannten GmbH, die nicht lange vorher mit einem Kapital von gerade einmal 50000 Euro gegründet worden war. Der BGH nahm diesen Fall zum Anlass, sich grundsätzlich zu der Frage der Gewährung von Dar_______________
13 Cahn, Der Konzern 2004, 235, 245, befürchtet einen volkswirtschaftlichen Schaden; Heidenhain, LMK 2004, 68, spricht von einer erheblichen Belastung der Praxis mit Unsicherheiten; vgl. auch Fuhrmann, NZG 2004, 552, 553; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1323. 14 Vgl. BDI, Für ein wettbewerbsfähiges Unternehmensrecht - Forderungen der Industrie an die Bundesregierung, im Internet unter http://www.bdi-online. de/dokumente/recht-wettbewerb-versicherungen/microsoft_wordbdiwettbewerbs faehigesunternehmensr.pdf.
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lehen der Gesellschaft an ihre Gesellschafter zu äußern. Er nahm für die rechtliche Beurteilung solcher Darlehen von der bislang vorherrschenden bilanziellen Betrachtungsweise Abschied15. Nach dieser Betrachtung kam es nur darauf an, ob die Darlehensforderung als vollwertig anerkannt werden konnte. War dies anzunehmen, so war die Gewährung des Darlehens als reiner Aktiventausch neutral und führte nicht zu einer Minderung des ausgewiesenen Eigenkapitals, so dass es nach der bisher ganz überwiegenden Meinung nicht zu einem Konflikt mit den Kapitalerhaltungsvorschriften kam16. Gewichtige Zweifel hatte Stimpel schon 1992 geäußert und die Auffassung vertreten, bei Unterbilanz der Gesellschaft könne es bei dieser rein bilanzbezogenen Beurteilung nicht verbleiben17. Dies nimmt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung auf, geht aber weit darüber hinaus. Er judiziert, dass ohne Rücksicht auf die Werthaltigkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs im Grundsatz die Gewährung des Darlehens als Kapitalauszahlung zu werten und deshalb unzulässig sei, soweit sie nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zu Lasten des gebundenen Vermögens der Gesellschaft erfolge18. Die Gründe des Bundesgerichtshof sind kurz gefasst die folgenden: (1) Das Darlehen beeinträchtige die Liquidität; auch eine noch so gute Forderung gegen den Gesellschafter mit hinausgeschobener Fälligkeit sei weniger als bares Geld19.
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15 BGHZ 157, 72, 75. 16 Für die GmbH: RGZ 150, 28, 34 ff.; Sieger/Hasselbach, BB 1999, 645, 650 f.; Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 30 Rn. 7, 16; Westermann, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 30 Rn. 25; K. J. Müller, BB 1998, 1804, 1805 f.; Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern, 1998, S. 250 ff.; für die AG: OLG Hamm, ZIP 1995, 1263, 1270; Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 81; Henze, in: Großkomm. z. AktG, 4. Aufl. 2001, § 57 Rn. 49. 17 Stimpel, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 335, 340 f., 347 ff.; so auch Schön, ZHR 159 (1995), 351, 357 ff.; Bayer, FS Lutter, 2000, S. 1011, 1021 f. 18 BGHZ 157, 72, 75 f. 19 BGHZ 157, 72, 76. Der BGH beruft sich dazu auch auf die „Sonnenring“Entscheidung (BGHZ 81, 311 ff.). Der dortige Sachverhalt, bei dem eine GmbH ihren Grundbesitz zur Abdeckung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen erfüllungshalber an den Gesellschafter übereignet hatte, ist mit dem Fall eines isolierten oder im Rahmen des Cash Management gewährten aufsteigenden Darlehens jedoch nicht vergleichbar.
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Maier-Reimer – Rechtsfragen des Cash Management
Dagegen wird eingewandt: Die Kapitalerhaltungsvorschriften schützen nicht die Liquidität, sondern den Wert der Substanz20. Wenn die Gesellschaft ein Aktivum von dem Gesellschafter kaufen würde, wäre die Liquidität ebenso beeinträchtigt; eine Einlagenrückgewähr läge darin nicht, wenn der Kaufpreis nicht überhöht sei21. (2) Die Darlehensgewährung vermische die Vermögenssphären. Die Gläubiger des Gesellschafters hätten zufolge des Darlehens Zugriff auf Vermögen, auf das sie sonst nur nachrangig, nämlich über die Beteiligungen des Gesellschafters Zugriff hätten22. Auch dieses Argument trägt nicht. Es greift von vornherein nur, soweit die Darlehensvaluta oder ein identifizierbares Surrogat noch bei dem Gesellschafter vorhanden ist. Das Argument würde auch bedeuten, dass die Gesellschaft aus gebundenem Vermögen überhaupt keine Darlehen gewähren dürfte, weil sie hinsichtlich des als Darlehen ausgezahlten Betrages immer den Gläubigern eines Dritten, nämlich des Darlehensnehmers, den Zugriff auf diese Mittel eröffnen würde. Der sogenannte „strukturelle Nachrang“ des Gesellschaftergläubigers ist Folge, nicht eigenständiger Zweck der Trennung des Vermögens der Gesellschaft von dem des Gesellschafters. Außerdem ist die Argumentation aus der Verbesserung der Lage der Gläubiger des Gesellschafters irrelevant, wenn die Bonität des Gesellschafters zweifelsfrei ist23. Auf diese Bonität soll es aber nach der Entscheidung gar nicht ankommen. (3) Wenn tatsächlich die Einlage zurückgewährt worden wäre, wäre die Folge ein sofort fälliger Erstattungsanspruch gewesen. Die Darlehensgewährung müsse unzulässig sein, weil sonst die Gefahr bestünde, dass unzulässige Auszahlungen nachträglich als Darlehen gebucht und verschleiert werden und dadurch der stärkere Erstattungsanspruch durch einen schwächeren Darlehensanspruch verdrängt werde24. Auch dies überzeugt nicht. Ein rechtsgeschäftlich begründeter Anspruch lässt sich nicht mit der gesetzlichen Rechtsfolge eines unzulässigen Verhaltens gleichsetzen; aus der strukturellen Ähnlichkeit – _______________
20 Schilmar, DB 2004, 1411, 1412; Cahn, Der Konzern 2004, 235, 238 f.; Helmreich, GmbHR 2004, 457, 460; Reidenbach, WM 2004, 1421, 1422. 21 Cahn, Der Konzern 2004, 235, 238. 22 BGHZ 157, 72, 76 mit Verweis auf Schön, ZHR 159 (1995), 351, 361. 23 Ähnlich Cahn, Der Konzern 2004, 235, 241. 24 BGHZ 157, 72, 76 f.
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in beiden Fällen besteht ein Anspruch – kann daher nicht hergeleitet werden, dass der rechtsgeschäftlich begründete Anspruch nicht hätte begründet werden dürfen und deshalb sofort fällig sein müsse. Die Verhinderung von Verschleierungsmanövern könnte nur de lege ferenda die Ausdehnung des Verbots legitimieren. Das präventive Verbot der Einlagenrückgewähr impliziert nicht, dass Maßnahmen, die keine Einlagenrückgewähr darstellen, von diesem Verbot nur deshalb erfasst wären, weil die Beteiligten sonst einen Verstoß nachträglich in eine (nicht verbotene) Darlehensgewährung umzumünzen versuchen könnten.
3. Mögliche Folgen Die Entscheidung ist deshalb so brisant, weil sie nicht nur die unmittelbaren Folgen einer – unterstellt – unzulässigen Einlagenrückgewähr betrifft. Denn der Gesellschafter – die Konzernobergesellschaft – haftet aufgrund des Darlehens ohnehin auf Rückzahlung. Der Sinn der Entscheidung liegt nicht darin, diesen Rückzahlungsanspruch zu begründen; er liegt allenfalls in zweiter Linie darin, die sofortige Fälligkeit und Unverzichtbarkeit des Anspruchs darzutun25. Der Sinn und die Wirkung der Entscheidung liegen hauptsächlich darin, das Leitungsorgan der Gesellschaft persönlich in die Haftung zu nehmen – und sie betraf ja auch die Schadensersatzklage gegen eine Geschäftsführerin26. Die Entscheidung kann aber auch zu Schwierigkeiten bei dem Testat der Abschlussprüfer27 und möglicherweise zu einer Ausfallhaftung der Minderheitsgesellschafter28 führen. Die Unternehmen können es sich also unter keinem Aspekt leisten, in der Annahme, es werde schon gut gehen, von den Grundsätzen dieser Entscheidung abzuweichen. Um so wichtiger ist es, ihre genaue Reichweite und ihre Grenzen auszuloten.
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25 Vgl. § 31 Abs. 4 GmbHG sowie Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 31 Rn. 17. 26 BGHZ 157, 72, 73. 27 Vgl. Hentzen, ZGR 2005, 480, 484 unter Hinweis auf die entsprechende Stellungnahme des Hauptfachausschusses des Instituts der Wirtschaftsprüfer (HFA) vom 14.10.2004; Binz, DB 2004, 1273, 1274, spricht von einer „Redepflicht“ der Abschlussprüfer; zu den Anforderungen der Darstellung im Abhängigkeitsbericht vgl. Hüffer, AG 2004, 416, 421 f. 28 Hierauf verweist Heidenhain, LMK 2004, 68.
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Maier-Reimer – Rechtsfragen des Cash Management
4. Ausnahmen? In einem obiter dictum lässt der Senat ausdrücklich offen, ob Darlehen aus gebundenem Vermögen ausnahmsweise zulässig sein können, wenn neben anderen Voraussetzungen die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters auch bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht oder die Rückzahlung des Darlehens durch werthaltige Sicherheiten gewährleistet ist29. Auf die Einzelheiten dieses obiter dictum ist später einzugehen. Es ist aber schon bei der Beurteilung anderer Fragen im Auge zu behalten, wie sich noch gleich zeigen wird.
5. Anwendbarkeit auf Cash Management? Ob das Judikat überhaupt auf Cash Management-Systeme anwendbar ist, ist gelegentlich mit dem Argument in Zweifel gezogen worden, die Einlage in den Cash Pool stelle kein Darlehen, sondern einen Auftrag zur unregelmäßigen Verwahrung dar30. Mit dieser Argumentation lässt sich die Fragestellung nicht lösen. Schon vom Sinn der Einlage in den Cash Pool her geht es nicht darum, Geld in Verwahrung zu geben, sondern darum, zur Deckung des Liquiditätsbedarfs anderer Konzerngesellschaften beizutragen. Die Rechtsfolge der unregelmäßigen Verwahrung ist in jedem Fall dieselbe wie im Falle des Darlehens31. Die vom BGH gegebene Begründung knüpft auch nicht an der Rechtsnatur des Darlehens an, sondern daran, dass liquide Mittel durch einen in der Fälligkeit hinausgeschobenen Anspruch ersetzt werden. Diese Begründung trifft die unregelmäßige Verwahrung in gleicher Weise wie ein Darlehen. Nur soweit der BGH die hinausgeschobene Fälligkeit des Darlehensanspruchs hervorhebt, trifft die Argumentation auf täglich fällige Cash-Einlagen nicht zu32. Nach Äußerungen aus dem Senat hat dieser bei seiner Entscheidung nicht an die Fälle eines Cash Pool gedacht. Andererseits erörtert Goette die Entscheidung in einem Rechtsprechungsbericht vom August dieses Jahres unter der Überschrift „Kapitalerhaltung und cash-pooling“33. In dem Bericht lässt allerdings ein Passus aufhorchen. Goette führt aus: _______________
29 BGHZ 157, 72, 77. 30 Ulmer, ZHR 169 (2005), 1, 4 f.; ebenso Schäfer, GmbHR 2005, 133, 135 f., der das BGH-Urteil aber gleichwohl anwenden will. 31 § 700 BGB. 32 Hahn, Der Konzern 2004, 641, 643 f.; Schäfer, GmbHR 2005, 133, 137. 33 Goette, ZIP 2005, 1481 ff.
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Maier-Reimer – Rechtsfragen des Cash Management „Nicht entschieden ist damit aber wohl der andere Fall, dass das Stammkapital durch Gesellschaftsvermögen – etwa ein Grundstück – voll gedeckt ist und ein Kontoguthaben der Tochter besteht, aus dem sie ein Darlehen an die Mutter ausreicht. Es ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum in diesem jenseits der durch §§ 30, 31 GmbHG gezogenen Grenze liegenden Stadium der werthaltige Anspruch gegen die Mutter nicht soll aktiviert und damit zum bilanziellen Ausgleich anderer Verbindlichkeiten der Tochter soll herangezogen werden dürfen; denn dann ist nicht nur die bilanzmäßige Rechnungsziffer garantiert, sondern auch die die Stammkapitalziffer deckende Haftungsmasse vorhanden“34.
Im Klartext scheint dies zu bedeuten, dass die verschärften Grundsätze der November-Entscheidung nur bei Bestehen einer Unterbilanz gelten. Damit hätte sich das Thema weitgehend erledigt. Für die Praxis ist das aber zunächst wohl nur ein Strohhalm, denn in der November-Entscheidung heißt es ausdrücklich, dass im Grundsatz Darlehen an den Gesellschafter nur aus ungebundenem Vermögen gewährt werden dürfen. Allerdings passt die Entscheidung aus anderen Gründen nicht für Cash Management-Systeme. Eine Reihe der vom BGH gegebenen Argumente treffen das Cash Management je nach seiner Ausgestaltung nicht35. Sieht der Cash Pool-Vertrag vor, dass die Konzerngesellschaften nicht nur ihre täglichen Liquiditätsüberschüsse abzuliefern haben, sondern ihren Bedarf auch täglich im Cash Pool decken dürfen, so fällt – immer unter der Voraussetzung der Zahlungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen – der vom BGH an die erste Stelle gerückte Liquiditätsaspekt weg36. Gewiss kann die Konzernleitung ihre Leitungsmacht in der Weise ausüben, dass der Liquiditätsbedarf der Tochtergesellschaft möglichst gering gehalten wird. Wenn diese deshalb zu ihrem eigenen Nachteil mit der Folge einer Minderung ihres Liquiditätsbedarfs Maßnahmen ergreift oder unterlässt, kann das zu einer Haftung der Obergesellschaft führen. Mit dem Cash Management selbst hat dies unmittelbar nichts zu tun. Auch das Argument der Verhinderung von Verschleierungsmanövern wäre bezogen auf ein Cash Management-System von vornherein deplaziert. Denn in solchen Systemen wird in der Regel minutiös Buch geführt, wer welche Beträge in das System eingezahlt und daraus entnommen hat. Anderenfalls würde ein derartiges System binnen weniger Tage _______________
34 Goette, ZIP 2005, 1481, 1484. 35 Schäfer, GmbHR 2005, 133, 137 ff.; anders Langner, GmbHR 2005, 1017, 1019 ff. 36 Schäfer, GmbHR 2005, 133, 137; Hahn, Der Konzern 2004, 641, 643 f.; anders Langner, GmbHR 2005, 1017, 1019 f.
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zusammenbrechen und alle Beteiligten würden wegen Vermögensvermischung und nicht wegen einer Einzelrückzahlung haften. Schon wegen der oben genannten Erörterung der Entscheidung durch Goette unter dem Stichwort „Kapitalerhaltung und cash-pooling“37 kann die Praxis jedoch nicht davon ausgehen, dass aus diesen Gründen die November-Entscheidung Cash Pool-Systeme nicht treffe; die von Goette angedeutete Beschränkung auf Darlehensgewährung bei Bestehen einer Unterbilanz ist auch angesichts der vorsichtigen Formulierung von Goette („wohl nicht entschieden“) nicht hinreichend belastbar. Für die Praxis ist deshalb bis auf weiteres davon auszugehen, dass die Entscheidung auch einen Cash Pool erfasst38. Ihre Grundsätze werden aber konzernrechtlich überlagert.
6. Cash Pool bei Schwestergesellschaft Die November-Entscheidung betraf ein Darlehen an den Gesellschafter. Wird der Cash Pool – wie es aus anderen Gründen häufig geschieht – nicht bei der Muttergesellschaft, sondern einer gesonderten konzernangehörigen Betreibergesellschaft geführt, so stellen die Einlagen in den Pool Darlehen an Schwestergesellschaften dar. Dies wird eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. Denn das Darlehen an die Schwestergesellschaft ist ohne die Einbindung in den gemeinsamen Konzern nicht denkbar. Sie ist durch die Gesellschafterstellung der gemeinsamen Obergesellschaft motiviert und beruht auf dieser. Ob die Gesellschaft deshalb (auch) einen Rückzahlungsanspruch gegen die Konzernmutter hat, ist hier nicht zu erörtern39.
II. Stehen gelassene Darlehen 1. Tatbestand der Auszahlung Das Urteil basiert auf dem Verbot der Einlagenrückgewähr und hat dieses zum Gegenstand. Die Qualifikation der Darlehengewährung als Auszahlung beschränkt sich auf den Anwendungsbereich des Auszahlungsverbotes, in der GmbH also auf § 30 GmbHG und in der AG auf § 57 AktG. Die Entscheidung besagt z.B. nichts darüber, ob ein solches Darlehen _______________
37 Goette, ZIP 2005, 1481, 1484. 38 So auch Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1318 m.w.N. 39 Vgl. dazu BGHZ 122, 333; Westermann, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 30 Rn. 34 ff.
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auch gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen könnte. Dies ist vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung der Werthaltigkeit des Darlehens zu beurteilen40. Trotz dieses thematischen Bezugs der Fragestellung sind immer noch zwei Fragen zu trennen: Liegt eine Auszahlung vor, und wenn ja: ist sie zulässig? Unterschiedliche Voraussetzungen für eine zulässige Auszahlung durch eine GmbH einerseits und eine AG andererseits oder im faktischen Konzern einerseits und im Vertragskonzern andererseits betreffen nicht die Frage, ob überhaupt eine Auszahlung vorliegt, sondern die Frage nach der Zulässigkeit der Auszahlung41. Zum Tatbestand der Auszahlung hat der Bundesgerichtshof nicht entschieden, der Schutz des Auszahlungsverbots sei auf Maßnahmen vorzuverlegen, die im Interesse eines Gesellschafters getroffen wurden und das Gesellschaftsvermögen gefährden können42. Er hat auch nicht entschieden, aus dem Auszahlungsverbot ergebe sich eine Verpflichtung der Geschäftsleitung, solche potentiell gefährdenden Maßnahmen zu unterlassen. Sondern er hat entschieden, die Darlehensgewährung sei bereits eine Auszahlung43. Das hat Folgen.
2. Doppelte Auszahlung? Beträge in Höhe des ungebundenen Vermögens dürfen nach wie vor dem Gesellschafter als Darlehen zur Verfügung gestellt werden. Für die Bemessung dieses ungebundenen Vermögens gilt weiterhin die bilanzielle Betrachtung, mit einer Ausnahme: Darlehen an den Gesellschafter müssen dabei grundsätzlich außer Betracht bleiben. Eine Gesellschaft, die freies Vermögen von 20 hat, kann also nicht zunächst 20 als Darlehen ausreichen, danach aufgrund ihrer Bilanz feststellen, dass sie immer noch ein freies Vermögen von 20 hat, und dann nochmals 20 als Darlehen an den Gesellschafter ausreichen. _______________
40 Vgl. hierzu Winter, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 14 Rn. 40 ff.; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 14 Rn. 30 ff. 41 Zu der insoweit vergleichbaren Frage, ob bezüglich aufsteigender Sicherheiten in der AG und der GmbH derselbe oder ein unterschiedlicher Begriff der Auszahlung gelte, siehe Maier-Reimer, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 16 Rn. 16.26 ff.; Mülbert, ZGR 1995, 578, 598 Fn. 71. 42 Präventionsgesichtspunkte haben bei der Urteilsfindung aber eine Rolle gespielt, jedoch bei der Subsumption nicht über eine Analogie; vgl. auch Hentzen, ZGR 2005, 480, 487. 43 BGHZ 157, 72, 75 (Leitsatz); im Grundsatz zustimmend Engert, BB 2005, 1951 ff.
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Wenn diese Gesellschaft die 20 als Darlehen ausreicht, so tut sie das, was sie auch nach der November-Entscheidung darf. Was ist nun aber, wenn danach ihr Reinvermögen, durch Verluste, schrumpft? Nach der bisher überwiegenden Literaturmeinung muss die Gesellschaft dann auf sofortiger Rückzahlung des Darlehens bestehen, um auch ohne Berücksichtigung des verbliebenen Darlehens an den Gesellschafter ein Eigenkapital in Höhe ihres Stammkapitals darzustellen44. Diese Auffassung teile ich nicht. Die Frage ist nicht vergleichbar mit der bekannten Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Gesellschafter den Regeln über eigenkapitalsersetzenden Darlehen dadurch unterworfen wird, dass er ein bereits gewährtes Darlehen in der Krise stehen lässt. Denn der Gesellschafter, der ein solches Darlehen stehen lässt, setzt eine finanzielle Unterstützung der Gesellschaft fort. Daran knüpft die Umqualifizierung an45. Die Lage ist bei dem aufsteigenden Darlehen grundlegend anders. Das zulässig aus freiem Vermögen gewährte Darlehen begründet einen vertraglichen Rückzahlungsanspruch gemäß § 488 BGB. Dieser verwandelt sich nicht nachträglich in einen Anspruch auf Erstattung einer unzulässigen Einlagenrückgewähr gemäß § 31 GmbHG. Der Geschäftsführer leistet auch keine unzulässige Auszahlung dadurch, dass er das Darlehen nicht zurückfordert. Nähme man eine solche Auszahlung an, so müssten sich die Ansprüche der Gesellschaft verdoppeln: Neben dem Darlehensanspruch hätte sie auch noch einen Erstattungsanspruch aus § 31 GmbHG, dessen Erfüllung allerdings wohl auch das Darlehen tilgen würde. Wichtiger als diese Konstruktionsschwierigkeiten ist Folgendes: Der Bundesgerichtshof behandelt die Darlehensgewährung als Auszahlung. Diese Qualifikation folgt nicht daraus, dass das Darlehen aus gebundenem Vermögen gewährt wurde; dies betrifft nur die Zulässigkeit der Auszahlung. Die Auszahlung ist also bereits mit der Gewährung des Darlehens erfolgt46. Hat die Gesellschaft – in der Sicht des Bundesgerichtshofs – einen Betrag einmal ausgezahlt, so kann sie ihn nicht erneut auszahlen; sie müsste ihn zunächst einmal zurückholen, bevor sie ihn wieder ausschütten kann. Da in diesem Beispiel im Zeitpunkt der Darlehensgewährung die Auszahlung zulässig war, hat es damit sein Bewen_______________
44 Reidenbach, WM 2004, 1421, 1423; Seidel, DStR 2004, 1130, 1131; Wessels, ZIP 2004, 793, 795; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1320; Hentzen, ZGR 2005, 480, 487; Heidenhain, LMK 2004, 68. 45 Vgl. hierzu statt aller Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 32a Rn. 37 ff. 46 BGHZ 157, 72, 75 (Leitsatz); vgl. auch Engert, BB 2005, 1951, 1955.
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den. Jede andere Entscheidung dieses Falles stünde im Widerspruch zu der Behandlung der Darlehensgewährung als Auszahlung. Diese Konsequenz ergibt sich nur hinsichtlich des vom Bundesgerichtshof angenommenen zusätzlichen Auszahlungstatbestandes, der eine Auszahlung im Grundsatz unabhängig von der Werthaltigkeit des Darlehensanspruchs annimmt. Daneben ist die reale Situation, wie sie in der Bilanz darzustellen ist, zu berücksichtigen. Dies hat mehrere Konsequenzen:
a) Sonderrücklage Wenn das gesamte freie Vermögen zulässig als Darlehen an den Gesellschafter ausgereicht wurde, dann kann nicht noch einmal auf der Grundlage der bilanziellen Darstellung eine Dividende ausgezahlt werden. Denn das freie Vermögen ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs durch die Darlehensgewährung „verbraucht“. Die Gesellschaft muss also faktisch eine Art Sonderrücklage in Höhe der Darlehensforderung bilden. Allerdings kann sie die Darlehensforderung selbst als Sachdividende ausschütten47.
b) Vermögensbindung für die Darlehensforderung Wenn sich das Eigenkapital nach der Darlehensgewährung durch Verluste mindert, so ändert die Annahme des Bundesgerichtshof nichts daran, dass die Darlehensforderung tatsächlich noch ein – ggf. werthaltiger – Vermögenswert der Gesellschaft ist. Die Gesellschaft kann deshalb die Darlehensforderung auch nicht mehr als Sachdividende ausschütten, soweit sie in der Bilanzdarstellung zur Deckung des Stammkapitals benötigt wird.
c) Einforderung nach Bedarf Wenn das Darlehen in der Bilanz wegen ursprünglicher oder später eingetretener Zweifel an seiner Werthaltigkeit abzuwerten und das Eigenkapital der Gesellschaft durch Verluste gesunken ist, dann ist der Geschäftsführer verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung des Vermögensbestands zu ergreifen. Dazu muss er ggf. das Darlehen zurück_______________
47 § 58 Abs. 5 AktG.
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fordern48. Gleiches gilt, wenn die Gesellschaft die liquiden Mittel benötigt, die sie dem Gesellschafter mittels des Darlehens zur Verfügung gestellt hat.
3. Folgerungen für das Cash Management Für das Cash Management bedeutet dies Folgendes: Die Gesellschaft kann im Cash Management den Betrag des festgestellten freien Vermögens in den Cash Pool einbringen. Wenn sich durch spätere Rückführung der Betrag des gewährten Darlehens verringert, kann sie ihn auf den ursprünglichen Betrag aber nur dann wieder aufstocken, wenn sie in diesem Zeitpunkt noch das entsprechende freie Vermögen hat. Solange sie dagegen nur die einmal zulässig abgeführten Beträge im Cash Pool belässt, ist sie nicht gehalten, zur Vermeidung einer unzulässigen Kapitalrückzahlung die Mittel jeweils in dem Maße zurückzufordern, dass die verbleibende Darlehensforderung den Betrag ihres freien Vermögens nicht übersteigt. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Mittel dem Cash Pool als Termindarlehen oder auf Sicht, d. h. täglich abrufbar, je nach Bedarf der Gesellschaft, zur Verfügung gestellt werden. Allerdings können Termindarlehen und Sichteinlagen in den Pool mittelbar zu einer unterschiedlichen Behandlung führen. Wenn nämlich die anlegende Gesellschaft Mittel aus dem Pool entnimmt, so ist dies die Rückzahlung ihrer Sichteinlagen im Sinne eines Kontokorrentverhältnisses. Für die Wiederaufstockung auf den ursprünglichen Betrag gilt deshalb das soeben Gesagte: sie ist nur zulässig, wenn im Zeitpunkt der Wiederaufstockung noch entsprechendes freies Vermögen vorhanden ist. War das erste Darlehen ein Termindarlehen, das nicht in ein Kontokorrentverhältnis gestellt wurde, und nimmt die Gesellschaft dann vor der Fälligkeit des Darlehens Mittel aus dem Pool auf, so liegt darin ein Darlehen des Pools an die Gesellschaft. Vorbehaltlich der Regeln zum Eigenkapitalersatz49 kann dieses Darlehen zurückgeführt werden, auch _______________
48 Zu den Sorgfaltspflichten des GmbH-Geschäftsführers allgemein vgl. Zöllner/ Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 43 Rn. 7 ff.; zu den Sorgfaltspflichten bei der Kreditvergabe LG Köln, NJW-RR 2000, 1056 f. 49 Weil der Gesellschaft der – später, bei Fälligkeit aufrechenbare – Anspruch aus dem Termindarlehen zusteht, wird das Darlehen an die Gesellschaft in einem solchen Fall in der Regel kein Eigenkapital ersetzen.
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wenn im Zeitpunkt der Rückführung kein entsprechendes freies Vermögen mehr vorhanden ist. Das ursprüngliche Termindarlehen bleibt davon unberührt.
III. Konzernrechtliche Überlagerung Der Kern unseres Themas liegt in dem Verhältnis des Konzernrechts zu dem neuen Auszahlungstatbestand durch Darlehensgewährung.
1. Aktienkonzern a) Faktischer AG-Konzern Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zum Teil dahin verstanden worden, dass eine aufsteigende Darlehensgewährung im faktischen Aktienkonzern wegen der strengeren Kapitalbindung bei der Aktiengesellschaft insgesamt unzulässig wäre50. Diese Auffassung teile ich nicht. Der Kapitalschutz ist im faktischen Aktienkonzern mindestens teilweise durch § 311 AktG ausgesetzt. Für Nachteile aus Maßnahmen, die von dem herrschenden Aktionär veranlasst wurden, ist bis zum Ende des Geschäftsjahres ein Ausgleich zu vereinbaren. Ob sich daraus etwas für die Zulässigkeit der Einlagen von Mitteln in den Cash Pool ergibt, ist strittig51. Dies wird insbesondere mit der Begründung bezweifelt, der Nachteil aus der Weggabe der liquiden Mittel sei nicht quantifizierbar und nicht ausgleichsfähig52. Meines Erachtens muss die Argumentation aber am anderen Ende ansetzen. Dabei gehe ich davon aus, dass nach den typischen Bedingungen der Cash Pool-Verträge die eingelegten Mittel angemessen verzinst werden und die Fälligkeiten so bestimmt sind, dass die Gesellschaft Anspruch auf Rückzahlung der Mittel zu den Zeitpunkten und in den Beträgen hat, wie sie die Mittel selbst benötigt. Bei dieser Lage bleibt als potentieller Nachteil die Gefahr, dass der Gesell-
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50 So Wessels, ZIP 2004, 793, 796; auf diese mögliche Auslegung des Urteils weisen auch Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1318, und Hüffer, AG 2004, 416, 418, hin. 51 Von einer Anwendbarkeit des § 311 AktG gehen z.B. Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 692 f.; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1318 f. aus; vorsichtiger Hüffer, AG 2004, 416, 418; Cahn, Der Konzern 2004, 235, 245. 52 Schön, ZHR 159 (1995), 351, 372; Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 131.
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schafter seinen Verpflichtungen nicht genügen kann53. Diese Gefahr und der sich aus ihr ergebende Nachteil ist allerdings nicht quantifizierbar. Aber: Für den Nachteilsausgleich genügt nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die Einräumung eines schuldrechtlichen Anspruchs. Dieser braucht auch nicht sofort fällig zu sein, solange er angemessen verzinst wird54. Wäre eine Auszahlung sine causa erfolgt, so wäre dem § 311 AktG durch Einräumung eines Anspruchs auf Ausgleich (mit Zinsen) genügt55. Die Lage unterscheidet sich also von § 31 GmbHG gerade in dem Punkt, auf den der Bundesgerichtshof das entscheidende Gewicht gelegt hat. Wollte man die Darlehensgewährung mit Rücksicht auf die hinausgeschobene Fälligkeit für unzulässig halten, so läge darin ein Widerspruch zu der ausdrücklichen gesetzlichen Wertung56. Vorausgesetzt ist dabei natürlich die Werthaltigkeit des Anspruchs auf Nachteilsausgleich. Es wäre aber widersprüchlich, wenn an die Werthaltigkeit des Darlehens höhere Anforderungen gestellt würden als an den vertraglich eingeräumten Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 311 Abs. 2 AktG57. Wenn der nach § 311 AktG zu fordernde Bonitätsstandard nicht mehr gewährleistet ist, dann ist der Vorstand der abhängigen AG verpflichtet, von weiteren Einlagen in den Cash Pool abzusehen und die bestehende Forderung zu kündigen. Für diesen Fall sollte in dem Cash Pool-Vertrag ein Kündigungsrecht vorgesehen werden. Nun ist zu einer vergleichbaren Frage, nämlich der Zulässigkeit aufsteigender Sicherheiten ausgeführt worden, die herrschende Gesellschaft könne die abhängige Gesellschaft nicht gegen die Nachteile ihrer eigenen Insolvenz absichern und deshalb sei eine solche aufsteigende Sicherheit
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53 Nach Ansicht von Reidenbach, WM 2004, 1421, 1428; ist dieses Risiko bei einer Darlehensvergabe nicht höher als bei anderen Geschäften. Die vorübergehende Gefährdung nehme § 311 AktG aber gerade in Kauf. So auch Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 693. 54 Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1318 f., 1322; Hüffer, AktG, 6. Aufl. 2004, § 311 Rn. 46 f. 55 Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 130; Henze, in: Großkomm. z. AktG, 4. Aufl. 2001, § 57 Rn. 194 ff. 56 Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1319; Hentzen, ZGR 2005, 480, 509 f.; a.A. Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 149. 57 Im Ergebnis so auch Reidenbach, WM 2004, 1421, 1428; Schäfer, GmbHR 2005, 133, 138.
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sogar im Vertragskonzern unzulässig58. Ich habe mich diesen Ausführungen auch angeschlossen59. Sie widersprechen dem, was ich eben sagte, nach meiner Einschätzung nicht. Denn es besteht ein entscheidender Unterschied. Das Cash Management dient der optimalen Nutzung der im Konzern vorhandenen Liquidität und hat auch Vorteile für die einlegende Gesellschaft. Im Gegensatz dazu ist die aufsteigende Sicherheit nach ihrem typischen Sinn gerade für den Fall gestellt, dass die Obergesellschaft in Schwierigkeiten ist und ihre Verbindlichkeiten nicht mehr aus eigener Kraft pünktlich erfüllen kann.
b) Vertragskonzern Besteht bei der AG ein Beherrschungsvertrag, so gelten Maßnahmen aufgrund des Beherrschungsvertrages nicht als verbotene Einlagenrückgewähr (§ 291 Abs. 3 AktG). Aufsteigende Darlehen aufgrund einer Weisung im Beherrschungsvertrag sind deshalb grundsätzlich zulässig60. Das Korrelat zu der Aufhebung der Vermögensbindung liegt in der Verpflichtung zum Verlustausgleich gemäß § 302 AktG.
aa) Verlustausgleich nach Bilanzergebnis Bei der Bemessung des auszugleichenden Verlustes ist die Darlehensforderung nach den allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen zu bewerten. Anderes ergibt sich auch nicht aus der November-Entscheidung. Der Bundesgerichtshof hat keine bilanzrechtliche Entscheidung getroffen, sondern sich ausdrücklich von der bilanzbezogenen Betrachtung gelöst. Der Entscheidung ist daher auch nicht zu entnehmen, dass der Darlehensanspruch unabhängig von der Solvenz des Gesellschafters gleichsam mit Null zu bewerten sei. So hat der BGH mittlerweile auch aus_______________
58 Schön, ZHR 159 (1995), 351, 372; Henze, in: Großkomm. z. AktG, 4. Aufl. 2001, § 57 Rn. 197; differenzierend Schilmar, DB 2004, 1411, 1415, und Wessels, ZIP 2004, 793, 797, nach deren Ansicht die Bestellung schuldrechtlicher Sicherheiten weiterhin bilanziell zu betrachten, die Bestellung dinglicher Sicherheiten dagegen stets als Auszahlung zu werten sei. 59 Maier-Reimer, in: Lutter/Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 16 Rn 16.61. 60 Seidel, DStR 2004, 1130, 1133; Fuhrmann, NZG 2004, 552, 554; Wessels, ZIP 2004, 793, 797; Reidenbach, WM 2004, 1421, 1426, 1428; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 150; Henze, WM 2005, 717, 723; Hentzen, ZGR 2005, 480, 514 ff.; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1321; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 690 f.
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drücklich entschieden, dass der Erstattungsanspruch im Falle einer unzulässigen Einlagenrückgewähr im Überschuldungsstatus zu aktivieren ist61. Die Höhe des auszugleichenden Verlusts wird also durch die November-Entscheidung nicht betroffen. Nun hat der Bundesgerichtshof allerdings auch entschieden, dass sich die Höhe des Verlustausgleichs nicht auf den Verlust beschränkt, der sich aus dem festgestellten Jahresabschluss ergibt, sondern dass der „wirkliche Verlust“ auszugleichen sei62. Auch diese Entscheidung führt indessen nicht dazu, dass der Darlehensanspruch bei der Bemessung des auszugleichenden Verlusts außer Betracht zu bleiben hätte. Denn aus der Entscheidung ergibt sich, dass die „richtige Bilanzierung“ und damit der „wirkliche Verlust“ durch die Entscheidung nicht betroffen ist. Bei der Bemessung der ausgleichspflichtigen Verluste ist der Darlehensanspruch also nach den allgemeinen Bilanzierungsregeln als Aktivum zu berücksichtigen. Das bedeutet in der Sache eine Verlagerung des Risikos in die Folgejahre. Wenn in der Zukunft der Darlehensanspruch ausfällt oder abzuwerten ist, so ergibt sich daraus dann ein entsprechender ausgleichspflichtiger Verlust.
bb) Werthaltigkeit des Anspruchs auf Verlustausgleich Wenn Zweifel an der Fähigkeit der Obergesellschaft zum Ausgleich des Verlustes bestehen, darf der Vorstand die verlustverursachende Weisung nicht befolgen und ist u. U. berechtigt oder sogar verpflichtet, den Beherrschungsvertrag insgesamt zu kündigen63. Es fragt sich nun, welche Anforderungen an die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Verlustausgleichsanspruchs zu stellen sind. Nach dem obiter dictum in der NovemberEntscheidung sollen Darlehen aus gebundenem Vermögen an den Gesellschafter allenfalls zulässig sein, wenn neben sonstigen Voraussetzungen bei Anlegung strengster Maßstäbe die Realisierbarkeit der Darlehensforderung außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht. Würde dieser Standard allgemein für den Anspruch auf Verlustausgleich gelten, so würden damit neue Voraussetzungen für den vom Gesetz favorisierten Vertragskonzern eingeführt. Diese Konsequenz kann aus der Entscheidung gewiss nicht entnommen werden. Ebenso wenig kann ihr entnommen werden, dass im Falle einer Darlehensgewährung ein höherer Stan_______________
61 BGH, ZIP 2005, 1734, 1736. 62 BGH, ZIP 2005, 854 f.; dagegen Krieger, NZG 2005, 787. 63 Vgl. § 297 Abs. 1 Satz 2 AktG.
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dard für die Sicherheit des Verlustausgleichsanspruchs zu gelten habe als für andere nachteilige Weisungen. Ist die AG deshalb einem Beherrschungsvertrag unterworfen, so kann sie sich in derselben Weise und mit den selben Grenzen wie bisher an dem Cash Management beteiligen. Allenfalls wird man aus der Darlehensaufnahme und deren Größenordnung Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass sich die Frage nach der Zuverlässigkeit des Verlustausgleichs verschärft stellt.
2. GmbH-Konzern Zur GmbH kann ich mich kurz fassen.
a) Faktischer Konzern Im faktischen GmbH-Konzern gibt es kein besonderes Konzernprivileg.64 Die Grundsätze der November-Entscheidung des Bundesgerichtshofs sind uneingeschränkt anwendbar.65 Das freie Vermögen besteht nur aus den Teilen des Eigenkapitals, die das Stammkapital übersteigen.
b) Vertragskonzern Zum GmbH-Vertragskonzern ist bekanntlich umstritten, ob der Kapitalschutz durch das Bestehen eines Beherrschungsvertrages wie im Falle der Aktiengesellschaft außer Kraft gesetzt ist66. Diese Streitfrage überschrei_______________
64 Vgl. BGHZ 95, 330, 340 (Autokran); Emmerich, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, Anh. KonzernR Rn. 75; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, Anh. § 13 Rn. 16. 65 Bayer, FS Lutter, 2000, S. 1011, 1031; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 695; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1319; im Ergebnis auch Henze, WM 2005, 717, 722. 66 Vgl. zur herrschenden Meinung, die § 291 Abs. 3 AktG analog anwendet Fleck, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 391, 395 f.; Schön, ZHR 159 (1995), 351, 373; Jula/Breitbarth, AG 1997, 256, 263; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 30 Rn. 75; Westermann, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 30 Rn. 35; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 30 Rn. 55; Cahn, Der Konzern 2004, 235, 241 f.; Fuhrmann, NZG 2004, 552, 554; Reidenbach, WM 2004, 1421, 1426; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689, 691; Seidel, DStR 2004, 1130, 1133; Hentzen, ZGR 2005, 480, 521 ff.; Henze, WM 2005, 717, 722; wohl auch Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1321; vgl. auch BGHZ 103, 1, 6, 10; a.A. Peltzer, GmbHR 1995, 15, 17; Goerdeler/Müller, in: Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 30 Rn. 72; Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl. 2001, § 54 Rn. 50; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, Anhang Konzernrecht Rn. 184; Sonnenhol/ Stützle, DB 1979, 925, 927; zweifelnd Langner, GmbHR 2005, 1017, 1021.
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tet die Grenzen meines Themas. Ich kann nur auf den Meinungsstand verweisen. Ist der Kapitalschutz nicht außer Kraft gesetzt, so gelten die Schranken der Darlehensgewährung im GmbH-Vertragskonzern in gleicher Weise, wie im faktischen Konzern. Geht man dagegen mit der wohl herrschenden und m.E. zutreffenden Meinung davon aus, dass ein Beherrschungsvertrag mit der GmbH wie bei der Aktiengesellschaft den Kapitalschutz suspendiert, so ergeben sich dieselben Fragen wie im AGKonzern.
3. Zweistufiger Vermögensschutz in der AG? Es bleibt die Frage nach der Stimmigkeit des Gesamtsystems: Wenn im Vertragskonzern die Vermögensbindung der AG mit Rücksicht auf den Verlustausgleichsanspruch und im faktischen AG-Konzern mit Rücksicht auf einen zu versprechenden Nachteilsausgleich aufgehoben ist, ergibt sich ein gewisser Wertungswiderspruch daraus, dass an die Darlehensgewährung außerhalb der konzernrechtlichen Lage strengere Anforderungen gestellt werden sollen als an die Sicherheit des Verlustausgleichsanspruchs67 oder den Anspruch auf Nachteilsausgleich. Diese Unstimmigkeit wäre vermieden, wenn man in Anlehnung an einige jüngere Meinungsäußerungen den Vermögensschutz in der AG zweistufig verstünde. In jüngster Zeit ist im Aktienrecht die Auffassung vertreten worden, auch hier sei der Vermögensschutz zweistufig zu verstehen68. Zu unterscheiden sei zwischen ausschüttungsfähigem Vermögen, d. h. dem Bilanzgewinn und den freien Rücklagen einerseits und Vermögen, das _______________
67 Vgl. Cahn, Der Konzern 2004, 235, 245; Schäfer, GmbHR 2005, 133, 138; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 152, rechtfertigen diese Differenzierung mit der Überlegung, aus der Eintragung des Beherrschungsvertrages im Handelsregister wisse der Rechtsverkehr, dass die Bonität der Untergesellschaft nicht besser sein könne als die der beherrschenden Obergesellschaft; auch Hentzen, ZGR 2005, 480, 515, stellt u.a. auf die Publizität der Eintragung des Vertrages ab; ebenso Langner, GmbHR 2005, 1017, 1022; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1321, begründen die Anwendbarkeit damit, dass der Gesetzgeber Unternehmen mit konzernrechtlichen Regelungen die Möglichkeit geben wollte, trotz rechtlicher Selbstständigkeit wirtschaftlich als Einheit aufzutreten. Insoweit gehe der Wille des Gesetzgebers – trotz des vergleichbaren Risikos – vor; ebenso Seidel, DStR 2004, 1130, 1133. 68 Henze, WM 2005, 717, 720 f.; ders., AG 2004, 405 ff.; ders., NZG 2005, 115, 118 ff.; Schön, FS Röhricht, 2005, S. 559 ff.; ebenso bereits Bayer, FS Lutter, 2000, S. 1011, 1030 f.; ders., in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 24, 133; gegen eine Aufspaltung Fuhrmann, NZG 2004, 552, 554; Wessels, ZIP 2004, 793, 796; Seidel, DStR 2004, 1130, 1132.
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auch aufgrund eines Zusammenwirkens von Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung nicht ausgeschüttet werden kann, nämlich Grundkapital, gesetzlichen Rücklagen und Kapitalrücklagen andererseits69. Das Verbot der Einlagenrückgewähr gemäß § 57 AktG umfasst bekanntlich das gesamte Vermögen. Soweit es dabei aber um die Rückgewähr aus ausschüttungsfähigem Vermögen geht, diene das Verbot nicht dem Schutz der Gläubiger, sondern der Sicherung der Gleichbehandlung der Aktionäre und der Wahrung der Zuständigkeit der Hauptversammlung70. Eine solche Differenzierung wird für den vorliegenden Zusammenhang vertreten71, aber auch etwa in dem Verhältnis der Haftung für Kapitalmarktinformationen zum Verbot der Einlagenrückgewähr72. Legt man eine solche Differenzierung zugrunde, so ergeben sich daraus für unsere Frage weitere Konsequenzen:
a) Darlehen aus strikt gebundenem Vermögen Im Bereich des nicht ausschüttungsfähigen Vermögens gilt die strikte Bindung. Es wäre denkbar, die Suspendierung des Kapitalschutzes durch § 311 AktG73 und evtl. auch § 291 Abs. 3 AktG teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie nur für das ausschüttungsfähige, aber nicht für das strikt gebundene Kapital der AG gälte, also nicht gälte für Grundkapital und gesetzliche Rücklagen. In dem Bereich der strikten Bindung wären dann aufsteigende Darlehen (einschließlich des Cash Managements) nicht oder nur unter den Bedingungen der besonderen Ausnahme gemäß dem obiter dictum zulässig, und zwar auch im faktischen Konzern und im Vertragskonzern.
b) Darlehen aus ausschüttungsfähigem Vermögen Im Bereich des ausschüttungsfähigen Vermögens der AG könnte demgegenüber ein gelockerter Standard Platz greifen. Aufsteigende Darlehen _______________
69 Henze, WM 2005, 717, 720; Schön, FS Röhricht, 2005, S. 559, 562 ff. 70 Schön, FS Röhricht, 2005, S. 559, 564 f.; Henze, WM 2005, 717, 720. 71 So erwägt Reidenbach, WM 2004, 1421, 1427 f., im Rahmen des § 311 AktG einen Vorrang des § 57 AktG, soweit das Grundkapital oder die gesetzlichen Rücklagen betroffen seien; so auch Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 133; ders., FS Lutter, 2000, S. 1011, 1030 f. 72 Bayer, in: MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 24; Zöllner/Winter, ZHR 158 (1994), 59, 78; Henze, NZG 2005, 115, 118 f.; ders., AG 2004, 405, 407 f. 73 Bayer, FS Lutter, 2000, S. 1011, 1030 f.
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zu Lasten des ausschüttungsfähigen Vermögens wären danach im AGKonzern zulässig. Für die Grenzen gälten nicht die erhöhten Bonitätsstandards, die der Bundesgerichtshof (möglicherweise) in der NovemberEntscheidung postuliert hat, sondern die allgemeinen Grundsätze des Konzernrechts. Dies gälte wiederum sowohl im faktischen wie auch im Vertragskonzern.
c) Gleichlauf von AG und GmbH Auf der Grundlage eines solchen zweistufigen Vermögensschutzes in der AG bestünde ein vollständiger Gleichlauf zwischen AG und GmbH. Die Frage, ob § 291 Abs. 3 AktG im GmbH-Vertragskonzern analog anwendbar ist, würde sich nicht mehr stellen.
d) Anderes Thema Ob entsprechend den vorgenannten neueren Meinungen zum Aktienrecht der Kapitalschutz in der AG in diesem Sinne zu differenzieren ist, ist nicht Gegenstand meines Beitrags. Ich vertrete auch die skizzierte Auffassung nicht. Ich weise nur auf die mögliche Perspektive einer solchen Relativierung hin, die dann auch Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Cash Pool-Systemen und deren Grenzen haben würde.
IV. Das obiter dictum des BGH Der Bundesgerichtshof macht in einem obiter dictum einen Vorbehalt. Auf diesen Vorbehalt kommt es nach dem Vorgesagten nur in dem Bereich der strengen Vermögensbindung an, also in erster Linie im faktischen GmbH-Konzern. Der BGH formuliert: „Es kann dahinstehen, ob die Gewährung eines Darlehens aus gebundenem Vermögen ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn die Darlehensvergabe im Interesse der Gesellschaft liegt, die Darlehensbedingungen dem Drittvergleich standhalten und die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels steht oder die Rückzahlung des Darlehens durch werthaltige Sicherheiten voll gewährleistet ist. Für die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmetatbestandes, der im Streitfall ersichtlich nicht eingreift, wäre indes der Gesellschafter darlegungs- und beweispflichtig“74.
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74 BGHZ 157, 72, 77.
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1. Beweislast für Geschäftsführer Zunächst zum letzten Punkt: Das Problem der Entscheidung ist kein Problem des Gesellschafters, sondern primär ein solches des Geschäftsführers. Die Bemerkung, beweispflichtig sei der Gesellschafter, begründet auch die Beweislast des Geschäftsführers75.
2. Kumulative Anforderungen Diese offen gehaltene Ausnahme besteht aus drei Elementen – von denen das dritte zwei Varianten hat76. Diese drei Elemente müssen, wie Goette in seinem eingangs genannten Rechtsprechungsbericht klarstellt, kumulativ erfüllt sein77. Nicht nur deshalb warnt Goette davor, zu große Hoffnungen auf diese Ausnahme zu setzen78. In Wirklichkeit geht es nur um eine einzige Frage, nämlich die Frage, ob das Darlehen dem Interesse der Gesellschaft dient. Die drei vom BGH genannten Kriterien konkretisieren diese Frage. Der Bundesgerichtshof hat nicht positiv entschieden, dass aufsteigende Darlehen aus gebundenem Vermögen unter den drei von ihnen genannten Voraussetzungen zulässig sind. Er hat dies vielmehr ausdrücklich offen gelassen79. Die Literatur, die sich mit der Entscheidung befasst, geht aber überwiegend davon aus, dass der Vorbehalt als Ausnahme zu verstehen sei, wenn die Kriterien erfüllt sind80. Diese Frage soll zunächst zurückgestellt bleiben. Ich komme auf sie nach der Erörterung der drei Kriterien zurück.
3. Interesse der Gesellschaft Bei dem ersten der drei Kriterien geht es darum, ob die Darlehensvergabe im Interesse der Gesellschaft liegt. Dies kann nicht mit der angemessenen Verzinsung begründet werden – denn das ist das Thema des zweiten _______________
75 76 77 78 79 80
Hierauf weisen Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 134 zutreffend hin. Schilmar, DB 2004, 1411, 1414; Hentzen, ZGR 2005, 480, 498. Goette, ZIP 2005, 1481, 1484. Goette, ZIP 2005, 1481, 1484 f. „Es kann dahinstehen,...“, BGHZ 157, 72, 77. Reidenbach, WM 2004, 1421, 1424; Langner/Mentgen, GmbHR 2004, 1121, 1124; wohl ebenso Langner, GmbHR 2005, 1017, 1022; Schilmar, DB 2004, 1411, 1414; Hentzen, ZGR 2005, 480, 494; vorsichtiger Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1322; Cahn, Der Konzern 2004, 235, 242; Henze, WM 2005, 717, 719.
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Kriteriums81. Vielmehr sind die allgemeinen Vorteile eines Cash Management-Systems maßgebend und in der Regel ausreichend. Die Gesellschaft hat einen dauerhaften Rahmen für die Anlage kurzfristiger Mittel ohne vorherige Absprache und deren Abzug nach Bedarf zu Zinssätzen, die mindestens marktgerecht (in der Regel günstiger als marktgerecht) sind. Sie erhält gleichzeitig die Gelegenheit, nach Bedarf auch Mittel aufzunehmen, wiederum ohne Bereitstellungsprovision, Anmeldung und dergleichen und zu Sätzen, die für sie als Kreditnehmerin günstiger sind, als sie sie am Markt bezahlen müsste82. Die Einzelheiten regelt der Cash Pool-Vertrag, der dies jedenfalls in dieser Weise vorsehen kann. Das Interesse der Gesellschaft an dem Gesamtpaket und damit auch an ihrer Darlehensvergabe ist daher offenkundig gegeben83. Um diesem Kriterium zu genügen, muss das Cash Management-System allerdings auch so ausgestaltet werden, dass es – hinreichende Bonität der Betreibergesellschaft vorausgesetzt – den Liquiditätsbedarf der Gesellschaft sichert. D. h. die Gesellschaft muss das Recht haben, mindestens die von ihr eingelegten Mittel je nach eigenem Bedarf wieder zu entnehmen, sei es durch Rückzahlung an sie oder, wenn sie ein Termindarlehen gewährt hat, durch Aufnahme entsprechender Darlehen ihrerseits bei der Betreibergesellschaft.
4. Drittvergleich Nach dem zweiten Kriterium müssen die Darlehensbedingungen dem Drittvergleich standhalten. Der Bundesgerichtshof hat hier präzise formuliert. Es muss nicht die Darlehensvergabe dem Drittvergleich standhalten. Denn natürlich würde die Gesellschaft ein Arrangement der hier in Frage stehenden Art mit einem Dritten aus den verschiedensten Gründen nicht abschließen, nicht zuletzt wegen der Konzentration des Risikos auf ein sogenanntes Klumpenrisiko und weil die Gesellschaft typischerweise ja kein Bankgeschäft betreibt, sondern nur die kurz- oder mittelfristige Anlage ihrer liquiden Mittel sucht. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sie ein solches Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen hätte, sondern nur darauf, ob die Konditionen, d.h. die Zinsen, _______________
81 So auch Langner/Mentgen, GmbHR 2004, 1121, 1124. 82 Vgl. die Nachweise in Fn. 6. 83 Fuhrmann, NZG 2004, 552, 554; Cahn, Der Konzern 2004, 235, 243; wohl auch Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1322.; vgl. auch Reidenbach, WM 2004, 1421, 1424 f.
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dem Drittvergleich standhalten84. Das ist unter Berücksichtigung etwa vereinbarter Laufzeit, Zinsbindungen und der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers zu beurteilen.
5. Sicherheit Sind die beiden ersten Kriterien relativ leicht zu erfüllen, so macht das dritte Kriterium eher Schwierigkeiten85. Danach muss die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels stehen oder die Rückzahlung des Darlehens muss durch werthaltige Sicherheiten voll gewährleistet sein. Dazu ganz kurz:
a) Kreditwürdigkeit aa) Für die Kreditwürdigkeit wird zum Teil angenommen, die Darlehen dürften nur gewährt werden, wenn die Betreibergesellschaft ein über jeden Zweifel erhabenes Rating, etwa AAA, habe86. Damit würden die Anforderungen gewiss überspannt. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass nicht einmal die bedeutendsten Geschäftsbanken in Deutschland ein solches Rating vorweisen können87. Dieser Hinweis ist allerdings deshalb nicht unbedingt zwingend, weil für die Sicherheit der Einlage bei einer Bank nicht nur das Rating der jeweiligen Bank maßgebend ist, sondern aufgrund der Existenz des Einlagensicherungsfonds im Regelfall und in gewissen quantitativen Grenzen die Bonität der Gesamtheit der deutschen Privatbanken. bb) Die Frage nach der Kreditwürdigkeit darf nicht abstrakt gestellt werden: Zu berücksichtigen sind auch die Größenordnung des von der Gesellschaft in den Pool gestellten Betrages und die vorgesehenen Fälligkeiten. Wird der Gesellschaft das Recht eingeräumt, die von ihr in den Pool gestellten Beträge bei sich abzeichnenden nachteiligen Veränderungen zurückzufordern, so ist auch dies zu berücksichtigen. _______________
84 Reidenbach, WM 2004, 1421, 1424. 85 So auch Habersack/Fuhrmann, NZG 2004, 689, 695; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 144, die dieses Ausnahmemerkmal noch als „konkretisierungsbedürftig“ bzw. „klärungsbedürftig“ bezeichnen; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1322, sprechen von einem erheblichen Unsicherheitsrisiko. 86 Fuhrmann, NZG 2004 552, 554; dagegen Cahn, Der Konzern 2004, 235, 243; Engert, BB 2005, 1951, 1954; offen gelassen von Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 144; Reidenbach, EM 2004, 1421, 1424. 87 Cahn, Der Konzern 2004, 235, 243.
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cc) Die Gesellschaft muss mit ihrer Liquidität auch wirtschaften, d. h. sie muss die liquiden Mittel auch für Zeiträume, für die sie sie nicht benötigt, sinnvoll anlegen. Dies verbindet sich notwendig mit einem gewissen Risiko. Im Grundsatz muss daher eine Kreditwürdigkeit genügen, die dem Standard eines Investment Grade entspricht.
b) Sicherheiten Wenn die Kreditwürdigkeit der Betreibergesellschaft den zu fordernden Standards nicht genügt, kann mit Sicherheiten nachgeholfen werden. aa) Konzernexterne Sicherheiten, etwa Bankbürgschaften oder dergleichen, kommen aus faktischen Gründen nicht in Betracht. Sie würden die Vorteile des Cash Managements weitgehend aufzehren88. bb) In geeigneten Fällen könnte die Konzernobergesellschaft oder – im Rahmen des ausschüttungsfähigen freien Vermögens – eine konzernangehörige Gesellschaft eine Grundschuld oder Gesamtgrundschuld an ihrem Grundbesitz zur Besicherung aller Forderungen von Konzerngesellschaften gegenüber dem Cash Pool bestellen89. Das setzt praktisch allerdings voraus, dass entweder die Grundschuld einem Dritten als Treuhänder gewährt wird oder dass der Pool bei einer gesonderten Betreibergesellschaft geführt und die Grundschuld dieser bestellt wird. cc) Typischer Zweck des Cash Management ist es, die Fluktuation von Liquiditätsüberhang und Liquiditätsbedarf, wie sie im normalen Produktions- und Absatzzyklus eines Unternehmens entstehen, zwischen den Konzerngesellschaften auszugleichen und damit das Umlaufvermögen zu finanzieren90. Mit dieser Zwecksetzung kommt eine Besicherung auch nach einem anderen Modell in Betracht, das ich kurz skizzieren will. Dieses Modell setzt voraus, dass der Pool bei einer gesonderten Betreibergesellschaft geführt wird. Dieser Betreibergesellschaft würden alle in das Cash Management einbezogenen Konzerngesellschaften jeweils ihr _______________
88 Hüffer, AG 2004, 416, 419; Schilmar, DB 2004, 1411, 1414, 1415; Langner, GmbHR 2005, 1017, 1022; Hentzen, ZGR 2005, 480, 498; Reidenbach, WM 2004, 1421, 1424; vgl. auch Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1322. 89 Nach Ansicht von Langner/Mentgen, GmbHR 2004, 1121, 1126, ist eine Sicherheitsleistung, die sich am Gesamtbetrag des ausgereichten Darlehens orientiert, vom Kapitalerhaltungsgrundsatz nicht gefordert. Deshalb sei eine Sicherheitsleistung in Höhe der durch die betreffende Darlehensgewährung jeweils entstehenden oder vertieften Unterbilanz ausreichend. 90 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Wehlen, in: Lutter/Scheffler/ Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 23 Rn. 23.16 ff.
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Maier-Reimer – Rechtsfragen des Cash Management
gesamtes Umlaufvermögen zur Besicherung ihrer eigenen Kreditaufnahmen bei der Betreibergesellschaft übertragen. (1) Vorausgesetzt ist dabei, dass die in den Pool einbezogenen Gesellschaften ihr Umlaufvermögen nicht zur Besicherung eigener konzernexterner Kredite benötigen. (2) Die gesonderte Betreibergesellschaft hat in diesem Modell kein operatives Geschäft und deshalb keine konzernexternen Gläubiger. Ihre Gläubiger sind ausschließlich die einlegenden Konzerngesellschaften. Solange die gewährten Sicherheiten die Aufnahmen aus dem Pool abdecken, ist damit auch die Leistungsfähigkeit der Betreibergesellschaft gesichert; das gilt dann entsprechend für die ihr von den am Cash Pool teilnehmenden Gesellschaften gewährten Kredite. (3) Wenn die Konzerngesellschaften, wie es der Üblichkeit entspricht, einen extern aufgenommenen Kredit mit aufsteigenden Bürgschaften oder auch dinglichen Sicherheiten stützen sollen, ist dies nur aus freiem Vermögen zulässig. Nach den heutigen Begrenzungen durch sogenannte limitation language wird üblicherweise das Zugriffsrecht auf das jeweils vorhandene freie Vermögen beschränkt91. Die (vorrangige) Besicherung der im Cash Pool aufgenommenen Mittel ist damit voll vereinbar. Die externe Kreditfähigkeit des Konzerns wird also durch eine solche Sicherheit nicht beeinträchtigt. (4) Um die Kreditwürdigkeit der Betreibergesellschaft auf die Höhe der Kreditwürdigkeit der Konzernmutter zu bringen, sollte die Konzernmutter gegenüber allen konzernangehörigen Gesellschaften zusätzlich eine Bürgschaft für die Verpflichtungen der Betreibergesellschaft übernehmen. dd) Dieses Modell beruht auf der Annahme, dass der Pool von einer gesonderten Betreibergesellschaft geführt wird. Nur dadurch wird vermieden, dass sonstige Konzerngläubiger auf das Vermögen des Pools, nämlich seine Forderungen gegen die aufnehmenden Gesellschaften, Zugriff haben. Auch die gesonderte Betreibergesellschaft hätte für ihre Ausleihungen an andere Konzerngesellschaften die Grundsätze der BGH-Entscheidung zu beachten. Die Aktivseite ihrer Bilanz wird (fast) ausschließlich aus Konzernkrediten bestehen. Auch die Passivseite würde außer dem gezeichneten Kapital praktisch nur Verbindlichkeiten gegenüber _______________
91 Vgl. zu dieser Tendenz insbesondere im Zusammenhang der Vermeidung von existenzvernichtenden Eingriffen die Beiträge von Freitag, WM 2003, 805 ff. und Weitnauer, ZIP 2005, 790, 796 f.
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Konzerngesellschaften ausweisen. Diese müssen bei der Bemessung ihres freien Vermögens voll berücksichtigt werden. Sie dürfte daher die Mittel nur unter den gleichen Voraussetzungen der zweifelsfreien Kreditwürdigkeit ausreichen. Auf der Grundlage des Modells müssten dafür die Sicherheiten genügen. Ergeben sich Zweifel, so kann eine ausländische Gesellschaft als Betreibergesellschaft eingesetzt werden.
c) Überwachung Voraussetzung für die Einlage gebundener Mittel in den Pool wird jedenfalls sein, dass die Geschäftsleitung des einlegenden Unternehmens die Voraussetzungen der Zulässigkeit dieser Einlage ständig überprüft92. Ein solches Überprüfungsrecht ist in dem Cash Pool-Vertrag vorzusehen. Dabei ist auch zu regeln, wie auf Verschlechterungen zu reagieren ist. Bezüglich des Modells der vorgeschlagenen Sicherungsübertragung des jeweiligen Umlaufvermögens der aufnehmenden Gesellschaft könnte z. B. folgendes vorgesehen werden: aa) Die Betreibergesellschaft meldet regelmäßig (z. B. zum jeweiligen Monatsende) die Salden der an die einzelnen Gesellschaften ausgereichten Beträge. bb) Die aufnehmenden Gesellschaften melden zu denselben Stichtagen – – –
den Saldo ihrer Entnahmen aus dem Pool, die Gesamtposition der Buchwerte ihres Umlaufvermögens, also Vorräte und Forderungen, die Gesamtposition ihrer Lieferantenverbindlichkeiten (zur Abdeckung etwaiger Eigentumsvorbehalte einschließlich verlängerter Eigentumsvorbehalte).
cc) Wenn diese Meldungen nicht erfolgen oder sich nicht eine bestimmte Überdeckung der Entnahmen durch die gewährten Sicherheiten ergibt, scheidet die einzelne Konzerngesellschaft aus dem Pool aus und hat ihr Darlehen zurückzuführen. dd) Wird dem nicht Genüge getan, kann jede Gesellschaft mit sofortiger Wirkung ihre Guthaben im Pool kündigen. Es wäre ineffizient, wenn jede einzelne Konzerngesellschaft die Überprüfung vornehmen müsste. Statt dessen kann eine zentrale Meldestelle eingerichtet werden, die dann allen beteiligten Gesellschaften bestätigt, _______________
92 Hentzen, ZGR 2005, 480, 502.
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dass die Meldungen abgegeben wurden und den Anforderungen genügen. Dafür bietet sich der Abschlussprüfer an. Er wird durch eine derartige rein registrierende und ggf. meldende Funktion nicht als Abschlussprüfer disqualifiziert.
6. Ausnahme bei Erfüllung der Kriterien Die Frage, ob bei Erfüllung der drei Kriterien tatsächlich eine Ausnahme gilt, habe ich oben zurückgestellt. Sie ist jetzt zu behandeln. Der Grund für die kritische Behandlung von Darlehen an Gesellschafter liegt darin, dass typischerweise das Darlehen nicht wegen des geschäftlichen Interesses der Gesellschaft, sondern eben um der Gesellschaftereigenschaft des Darlehensnehmers willen gewährt wird. Der dadurch gegebenen Gefahrenlage begegnet üblicherweise das Kriterium des Drittvergleichs des Geschäfts, nicht nur seiner Bedingungen. Dieser Vergleich kann nicht nach dem Test angestellt werden, ob auch ein Dritter, etwa eine Bank, ein entsprechendes Geschäft mit dem Gesellschafter abgeschlossen hätte, sondern vielmehr nur danach, ob ein pflichtgemäß handelnder Geschäftsführer ein entsprechendes Geschäft mit einem Dritten abgeschlossen hätte. Diese Frage wird man für die Darlehensgewährung im Rahmen eines Cash Management vorbehaltlos verneinen müssen. Eine entsprechende Lage besteht mit einem Dritten nicht und kann auch nicht hergestellt werden. Die Einlage von liquiden Mitteln in den Cash Pool hält also einem Drittvergleich nicht stand. Deshalb ist konkret zu prüfen, ob diese Einlage gleichwohl dem Interesse der Gesellschaft dient. Die vom Bundesgerichtshof in seinem obiter dictum genannten drei Kriterien sind Unterkriterien zur Beantwortung dieser einen Frage: Liegt die Gewährung dieses Darlehens unter den gegebenen Umständen im Interesse der Gesellschaft? Ist dies der Fall, so besteht kein Grund, dieses Darlehen anders zu behandeln als Darlehen an Dritte. Der Bundesgerichtshof hat in seinem obiter dictum offen gelassen, ob auch bei Erfüllung der drei Kriterien die Darlehensgewährung als Auszahlung zu werten ist. Sind die von ihm genannten Kriterien erfüllt, so folgt daraus, dass die Gewährung des Darlehens dem Interesse der Gesellschaft dient. Sie kann deshalb keine Auszahlung darstellen. Für die von dem obiter dictum erfassten Fälle muss daher eine Ausnahme gelten.
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V. Existenzvernichtung Selbstverständliche Grenze des Cash Management ist die Existenzgefährdung der Gesellschaft93. Der Rang, den die Betonung dieser Grenze in der Diskussion einnimmt, erklärt sich daraus, dass in dem „Leading Case“ für die Existenzvernichtung, Bremer Vulkan, zweckgebundene Mittel in dreistelliger Millionenhöhe in den konzernweiten Liquiditätsverbund eines angeschlagenen Konzerns eingebracht worden waren94. Ähnliches ist in anderen spektakulären Fällen geschehen95. Dies ist indessen nicht der typische Fall des konzernweiten Cash Management. Für die Grenze der Existenzvernichtung ist zu differenzieren: Auch wenn nur Mittel aus freiem Vermögen in den Cash Pool gestellt wurden, kann sich daraus eine Existenzgefährdung für die Gesellschaft ergeben, nämlich dann, wenn die Gesellschaft die Liquidität nicht zu den Zeitpunkten und in dem Umfang zurückerhält, wie sie sie benötigt. Dies kann aus zwei Gründen der Fall sein: – –
Nach den Bedingungen, zu denen sie die Mittel in den Cash Pool eingebracht hat, kann sie sie nicht nach Bedarf zurückfordern oder sie kann die Mittel zwar nach Bedarf zurückverlangen, der Anspruch ist aber mangels Liquidität der Betreibergesellschaft nicht oder nicht schnell genug realisierbar.
Gegen das erste Risiko muss sich die Gesellschaft durch entsprechende vertragliche Vorkehrungen schützen. Gegen das zweite Risiko hilft nur die Prüfung und laufende Überwachung der Zahlungsfähigkeit der Betreibergesellschaft96. Wenn diese nicht hinreichend sicher ist, kann die Einstellung der Mittel auch aus freiem Vermögen als Existenzgefährdung unzulässig sein. Dies gilt dann auch im Vertragskonzern, weil das Wei_______________
93 Selbst § 291 Abs. 3 AktG gewährt nämlich nach einhelliger Meinung nicht das Recht, die Existenz der Tochtergesellschaft zu gefährden, vgl. Habersack/ Schürnbrand, NZG 2004, 689, 690 f.; Fuhrmann, NZG 2004, 552, 554; Seidel, DStR 2004, 1130, 1133; Wessels, ZIP 2004, 793, 797; Reidenbach, WM 2004, 1421, 1426, 1428; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133, 150 f.; Henze, WM 2005, 717, 722 ff.; Hentzen, ZGR 2005, 480, 515, 521 f.; Kiethe, DStR 2005, 1573, 1575; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317, 1321; Maier-Reimer, in: Lutter/ Scheffler/Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, § 16 Rn 16.64. 94 BGHZ 149, 10 ff. 95 Siehe z.B. Kerber, DB 2004, 1027 ff. 96 Vgl. hierzu bereits Vetter/Stadler, Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling, 2003, Rn. 194 ff.
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sungsrecht nach allgemeiner Meinung seine Grenze an der Existenzgefährdung findet97. Ein Grund zu intensiver Überprüfung unter diesem Aspekt kann sich insbesondere aus der Größenordnung und ggf. auch der Zweckbindung und der Herkunft der in den Pool eingestellten Mittel ergeben. Je höher die eingelegten Mittel sind, desto höhere Anforderungen sind an die Sicherheit der Forderung zu stellen. Soweit Mittel aus gebundenem Vermögen in den Cash Pool eingestellt werden, liegt die Möglichkeit einer Existenzgefährdung näher. Dies hat Auswirkungen darauf, ob das Konzernprivileg im faktischen oder im Vertragskonzern die Bindung suspendieren kann. Wenn sich die Gefährdung nicht aus den Bedingungen der Einlage im Pool, sondern aus Zweifeln an der Zahlungsfähigkeit der Betreibergesellschaft ergeben, liefert der Aspekt der Existenzgefährdung nur einen weiteren Grund für die ohnehin schon anzunehmende Unzulässigkeit. Der Gedanke der Existenzvernichtung ist deshalb im Zusammenhang mit Cash Management insgesamt wenig ergiebig.
_______________
97 Vgl. die Nachweise in Fn. 93.
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Bericht über die Diskussion des Referats Maier-Reimer Dr. Günter Seulen Rechtsanwalt, Köln
Die ausführliche Diskussion im Anschluss an das Referat von MaierReimer wurde von Lutter geleitet. Wie in dem Referat wurden auch hier ausschließlich die Konsequenzen der BGH-Entscheidung vom 24. November 20031 für Cash Pool-Systeme thematisiert. Im Einzelnen konzentrierte sich die Diskussion insbesondere auf die Anwendbarkeit der vom BGH entwickelten Grundsätze auf Cash PoolSysteme und mögliche Reaktionen des Gesetzgebers (I.), die Bedeutung des vom BGH in einem obiter dictum im genannten Urteil angedeuteten Ausnahmetatbestandes (II.), die Bewertung des Phänomens „Cash Pooling“ (III.), die bilanzielle Behandlung aufsteigender Darlehen, insbesondere bei der Ermittlung des verbliebenen freien Vermögens der Gesellschaft (IV.), die Rechtslage im faktischen Konzern (V.), das von MaierReimer in seinem Referat vorgeschlagene Sicherheiten-Modell (VI.) sowie die Anwendbarkeit der Grundsätze der BGH-Entscheidung auf Gesellschaften ausländischer Rechtsform (VII.).
I. Einleitend erinnerte Lutter daran, dass der BGH in seiner Entscheidung nicht über ein Cash Pool-System entschieden habe, sondern über ein individuelles Darlehen an einen Gesellschafter. Auch wenn die Liquiditätshingabe im Cash Pool ebenfalls darlehensweise erfolge, liege den Überlegungen der Literatur zu den Folgen der BGH-Entscheidung für Cash Pool-Systeme somit ein ganz anderer Fall zugrunde. Auch Goette wies darauf hin, dass sich das genannte Urteil weder mit einem Cash Pool noch mit einer konzernierten Gesellschaft beschäftigt habe. Es sei vor dem Hintergrund des zugrunde liegenden Sachverhaltes zu betrachten, bei dem zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung an den _______________
1
Az. II ZR 171/01.
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Rechtsfragen des Cash Management
Gesellschafter bereits eine Unterbilanz bestanden habe. In solchen Situationen müsse in Anlehnung an Gedanken von Stimpel und Schön von der sonst gebotenen bilanziellen Betrachtung abgewichen werden. Falls die Kapitalziffer gedeckt sei, könne es dagegen nach seiner Auffassung bei der bilanziellen Betrachtungsweise bleiben. Hierdurch werde das Problem der Zulässigkeit von Cash Pool-Systemen entschärft, eine gesetzliche Neuregelung sei nicht erforderlich. Goette stellte jedoch ausdrücklich klar, dass dies seine persönliche Ansicht sei und er nicht für den gesamten zweiten Zivilsenat des BGH sprechen könne. Röhricht nahm später den Hinweis von Goette auf, dass die BGH-Entscheidung weder einen Cash Pool noch eine Konzernsituation zum Gegenstand hätte. Naturgemäß gebe es aber einen potentiellen und naheliegenden Konflikt zwischen der Einrichtung eines Cash Pools und den Regeln der Kapitalaufbringung und -erhaltung, der zu lösen sei. Grundsätzlich sollten Cash Pool-Systeme, da sie ökonomisch sinnvoll seien, weiterhin möglich sein. Maier-Reimer begrüßte, dass Goette die Grundsätze der BGH-Entscheidung auf Cash Pool-Systeme offenbar nicht anwenden wolle, warf aber die Frage auf, wo der entscheidende Unterschied zu dem vom BGH entschiedenen Fall liege. Letztlich könne man gegenwärtig wohl nur davon ausgehen, dass die Frage der Übertragbarkeit der Grundsätze der BGHEntscheidung auf Cash Pool-Systeme offen und noch nicht entschieden sei, bis dem BGH ein passender Fall vorliege. Reuter teilte das Unbehagen von Maier-Reimer über die BGH-Entscheidung. Solange der BGH noch nicht über die Anwendbarkeit der von ihm aufgestellten Grundsätze auf Cash Pool-Systeme entscheiden konnte, müsse die Praxis nach Wegen suchen, das Haftungsrisiko für Gesellschafter und insbesondere Geschäftsführer zu vermeiden. Auch Karsten Schmidt meinte, dass die in der BGH-Entscheidung aufgeworfene Problematik offensichtlich auch Cash Pool-Systeme betreffe, so dass es zwangsläufig zu der gegenwärtigen Diskussion kommen musste. Niemeier wies darauf hin, dass die Praxis aus Sicht der Politik mit den durch die BGH-Entscheidung entstandenen Unsicherheiten, insbesondere mit dem Kriterium der „außerhalb jedes vernünftigen Zweifels“ stehenden Kreditwürdigkeit des Gesellschafters, nicht leben könne. Hierdurch gingen der deutschen Wirtschaft hohe Zinsvorteile verloren, die etwa bei einem im M-DAX notierten Konzern durchaus 10 Mio. Euro oder mehr betragen könnten. Gleichzeitig biete die neue Rechtsprechung Anreiz,
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Seulen – Bericht über die Diskussion
deutsche Tochtergesellschaften mit einem niedrigen Stamm- bzw. Grundkapital auszustatten. Schließlich handele es sich um eine deutsche Sonderproblematik, die für ausländische Betrachter irritierend wirken und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland beeinträchtigen könne. Die neue Bundesregierung wolle sich daher des Themas annehmen. Ein möglicher Denkansatz sei, den Liquiditätsschutz auf langfristige Darlehen an den Gesellschafter zu beschränken, bei kurzfristigen Darlehen, etwa mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren, dagegen die bilanzielle Betrachtungsweise festzuschreiben. Alternativ wies er darauf hin, dass in dem besonders sensiblen Bereich der Kapitalaufbringung die Einzahlung von einem Viertel des Stammkapitals ausreiche (§ 7 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 36a Abs. 1 AktG). Es sei denkbar, die Regelungen über die Kapitalerhaltung an diese Vorschrift anzupassen. Niemeier forderte die Teilnehmer auf, das Bundesjustizministerium mit kreativen Vorschlägen zu versorgen.
II. Zur Bedeutung der vom BGH in einem obiter dictum erwogenen ausnahmsweisen Zulässigkeit von Darlehen aus dem gebundenen Vermögen meinte Goette, der Senat habe lediglich zeigen wollen, dass grundsätzlich, unter bestimmten Umständen, eine Ausnahme von den in der BGHEntscheidung aufgestellten Grundsätzen möglich sei. Hierauf solle aber nicht zuviel Gewicht gelegt werden. Ähnlich meinte Röhricht, das obiter dictum in der BGH-Entscheidung sei als „salvatorische Klausel“ zu verstehen. Darauf könne allerdings keinesfalls eine vollständige Rückkehr zur bilanzmäßigen Betrachtung gestützt werden. Er verwies darauf, dass auch bei einer verbotenen Kapitalrückzahlung der Erstattungsanspruch nach § 31 GmbHG/§ 62 AktG bilanziert werden müsse, soweit er werthaltig sei, die Bilanzneutralität des Vorgangs das Vorliegen einer verbotenen Kapitalauszahlung also gerade nicht ausschließe. Die bilanzielle Betrachtungsweise sei daher nicht zielführend. Der Konflikt zwischen dem gebotenen Kapitalschutz und dem ökonomischen Bedarf nach einem Liquiditätsmanagement im Konzern müsse vielmehr auf materieller Ebene aufgelöst werden.
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III. Anders als die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer zeichnete Kerber ein kritisches Bild zur Praxis des Cash Pooling. Cash Pool-Verträge seien angesichts der pathologischen Fälle nicht per se betriebswirtschaftlich für alle Beteiligten stets vorteilhaft, sondern häufiger als bisher angenommen gefahrengeneigt. Allen bekannt gewordenen Gerichtsentscheidungen zu diesem Fragenkreis lägen Sachverhalte zugrunde, bei denen bereits bei Einrichtung des Cash Pools wirtschaftliche Schwierigkeiten der jeweiligen Obergesellschaft verschleiert worden seien und in der Folge das Management der Obergesellschaft in strafrechtlich relevanter Weise auf das Vermögen der jeweiligen Tochtergesellschaft zugegriffen habe, wodurch diese in die Illiquidität getrieben worden sei. Die Beispiele Bremer Vulkan und Babcock/HDW zeigten, dass selbst bei einem zunächst ordnungsgemäß errichteten Cash Pool eine unterstellte anfängliche Solvenz des Cash Pool-Führers nachträglich wegfallen könne. Kerber begrüßte, dass der vom BGH diskutierte Ausnahmetatbestand die Diskussion um den Liquiditätsschutz im Konzern anschiebe. Maier-Reimer entgegnete, dass naturgemäß vor allem pathologische Fälle ihren Weg zu den Gerichten fänden, tatsächlich aber die bei weitem überwiegende Zahl der Cash Pool-Systeme ordnungsgemäß abgewickelt werde. Wegen der kleinen Zahl problematischer Fälle dürfe man nicht in jedem Fall die Geschäftsführer und Gesellschafter mit erheblichen Haftungsrisiken belasten. Hentzen pflichtete Maier-Reimer bei und führte außerdem aus, der wesentliche Unterschied zwischen einem Darlehen an den Cash PoolFührer und einer Anlage bei einer Bank sei in dem „Klumpenrisiko“ zu sehen, das durch die Konzentration der konzernweiten Liquidität an einer Stelle entstehe. Dem könne jedoch dadurch hinreichend begegnet werden, dass, wie es im obiter dictum der BGH-Entscheidung bereits angedeutet sei, ein Frühwarnsystem mit Berichtspflichten und außerordentlichen Kündigungsrechten installiert werde. Auf diese Weise könnten Cash Pool-Systeme mit hinreichender Sicherheit für die Teilnehmer ausgestattet werden, ohne dass die ökonomischen Vorteile verloren gingen.
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IV. Lutter warf die Frage auf, wie in der Bilanz der betroffenen Gesellschaft deutlich gemacht werden könne, dass aufsteigende Darlehen für Kapitalerhaltungszwecke außer Acht zu lassen sind, etwa durch eine entsprechende Fußnote. Maier-Reimer war der Ansicht, die Darlehensansprüche müssten grundsätzlich mit ihrem Nennwert aktiviert werden, solange kein Abwertungsbedarf entstehe. Um das für Ausschüttungen oder weitere aufsteigende Darlehen zur Verfügung stehende freie Vermögen zu ermitteln, solle eine Sonderbilanz aufgestellt werden, in der bestehende Darlehensforderungen gegen den Gesellschafter durch entsprechende Sonderrücklagen neutralisiert werden. Karsten Schmidt dagegen schlug vor, Darlehensforderungen gegen den Gesellschafter in einer solchen Sonderbilanz schon gar nicht zu aktivieren. Er wies darauf hin, dass ein ähnlicher Vermögensstatus auch bei der Kreditvergabe an Geschäftsführer, § 43a GmbHG, erstellt werden müsse.
V. Gegen die von Maier-Reimer aufgestellte These, dass im faktischen AGKonzern an die Werthaltigkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs keine höheren Anforderungen gestellt werden dürften als an den Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 311 Abs. 2 AktG, äußerte Karsten Schmidt Bedenken: dies führe zu einer Privilegierung des herrschenden gegenüber dem nichtherrschenden Gesellschafter. Maier-Reimer verwies darauf, dass sich diese Privilegierung aus dem Gesetz, nämlich eben aus den §§ 311 ff. AktG ergebe. Wenn es im Falle einer schlichten Kapitalrückzahlung durch eine faktisch konzernierte Gesellschaft gemäß §§ 311 ff. AktG genüge, dass bis zum Jahresende ein schuldrechtlicher Anspruch auf Erstattung eingeräumt wird, könne bei der Darlehensvergabe an den Gesellschafter kein strengerer Maßstab angelegt werden. Reuter begrüßte die genannte Ansicht von Maier-Reimer. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze seien sehr starr; bilanzielle Prinzipien, bei denen es auf Werthaltigkeit ankomme, würden hier weiterhelfen. Kropff wies darauf hin, dass es sich bei der Einrichtung eines Cash Pools aus Sicht der Teilnehmer um einen Geschäftsvorfall handele, der nicht zwingend nachteilig sei. Der ursprüngliche Sinn des Cash Pools liege
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darin zu vermeiden, dass teure Bankkredite in Anspruch genommen oder Devisengeschäfte vorgenommen werden müssen, obwohl im Konzern entsprechende Mittel vorhanden sind. Dies könne, müsse aber nicht für alle Beteiligten vorteilhaft sein. Falls der Cash Pool für die faktisch konzernierte Gesellschaft nachteilig sei, was im Einzelfall die entscheidende Frage wäre, handele es sich um eine nach den §§ 311 ff. AktG auszugleichende Nachteilszufügung. Stelle der Vorstand der abhängigen Gesellschaft überwiegende Nachteile fest, so müsse er die Teilnahme am CashPool vom Ausgleich dieser Nachteile z. B. durch Kontrollrechte, Sicherheitsleistung oder Gegendarlehen abhängig machen. Kropff wies weiter darauf hin, dass sich vergleichbare Probleme wie bei der Darlehensvergabe auch bei Sachleistungen an den Gesellschafter ergäben. Insgesamt stelle der BGH die hier fraglichen Fälle zu Unrecht einer Kapitalauszahlung gleich. Semler erinnerte an die Diskussion der Konzernrechtskommission in den 1960er Jahren darüber, dass die abhängige Gesellschaft die Verantwortung trüge, im Falle einer beabsichtigten Nachteilszufügung durch den Gesellschafter einzuschreiten. Er stellte allerdings in Frage, ob der Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft stets ausreichend Rückgrat habe, um sich gegen den Gesellschafter durchzusetzen. Es könne daher nicht unterstellt werden, dass die Geschäftsführung der Cash Pool-Teilnehmer in einer Krise des Gesellschafters stets eigenverantwortlich handeln würden. Denkbar sei, die Überwachung dadurch zu verbessern, dass ein Wirtschaftsprüfer halbjährlich bestätigen müsse, dass die Rückzahlung der an den Cash Pool-Führer ausgereichten Darlehen nicht gefährdet sei.
VI. Karsten Schmidt warf die Frage auf, wie man das Urteil des BGH in den Griff bekommen könne, um die Möglichkeit des Cash Pooling aufrecht zu erhalten. Da das Konzernvermögen nicht als nur insgesamt zu schützende Einheit betrachtet werden könne, weil der Kapitalschutz beim einzelnen Rechtsträger ansetze, sei es denkbar, den Cash Pool-Führer so solvent auszustatten, dass die gegen ihn gerichteten Forderungen ähnlich sicher seien wie Guthaben auf einem Gemeinschafts-Girokonto der teilnehmenden Gesellschaften bei einer Bank. Letztlich müsse die Bank, bei der die Gesellschaften die Liquidität andernfalls anlegen würden, durch eine Treuhandlösung substituiert werden. Karsten Schmidt zeigte sich
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Seulen – Bericht über die Diskussion
skeptisch, ob eine solche bankähnliche Sicherheit der Forderungen gegen den Cash Pool-Führer mit dem von Maier-Reimer vorgeschlagenen Sicherheiten-Modell zu erreichen wäre. Maier-Reimer entgegnete, dass von ihm vorgeschlagene Modell solle keineswegs eine Bank nachzeichnen, führe aber zu einem relativ hohen Maß an Sicherheit, das den vom BGH in seinem obiter dictum genannten Anforderungen genügen könne.
VII. Spindler verwies darauf, dass das Thema auch eine internationale Dimension habe, wenn an dem Cash Pool sowohl inländische als auch ausländische Gesellschaften beteiligt seien. Im Lichte der europäischen Insolvenzordnung stelle sich daher die Frage, ob originär insolvenzrechtliche Ansprüche mit den von Maier-Reimer und dem BGH betrachteten gesellschaftsrechtlichen Ansprüchen konkurrierten. Spindler warf außerdem die Frage auf, ob sich durch den Einsatz von Gesellschaften ausländischer Rechtsform, etwa englischer Limiteds, die Konsequenzen der BGH-Entscheidung vermeiden ließen. Maier-Reimer meinte hierzu, dass sich die Zulässigkeit der Mittelgewährung an den Cash Pool nach dem Gesellschaftsstatut des jeweiligen Cash Pool-Teilnehmers richte, unabhängig von der Rechtsform des Cash Pool-Führers. Bei Gesellschaften deutscher Rechtsform käme daher stets deutsches Gesellschaftsrecht – und damit die Grundsätze der BGH-Entscheidung – zur Anwendung, bei einer englischen Limited dagegen englisches Recht. Ebenso richte sich die Zulässigkeit der Darlehensvergabe durch den Cash Pool-Führer an andere Gruppengesellschaften nach dessen Gesellschaftsstatut. Er wies daraufhin, dass auch ein Cash Pool-Führer ausländischer Rechtsform, etwa eine englische Limited mit Sitz in Deutschland, das vom BGH in seinem obiter dictum diskutierte Solvenzkriterium erfüllen könne. Abschließend dankte Lutter allen Rednern für ihre Beiträge.
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Stichwortverzeichnis Acting in Concert 69 ff. – Aufsichtsratsmitglieder 91 f. – Beweislast 85 ff. – Familie 94 – koordiniertes Verhalten 57 f., 78 ff. – Legitimationszession 94 – Verhältnis §§ 21 ff. WpHG zu § 30 WpÜG 74 ff. Ad-hoc-Mitteilungen 1, 5 ff. Aktien, Parallelerwerb 93 Aktionäre – Beteiligung 32 ff. – Bezugsrecht 1, 7, 14 – Kontrollbefugnisse 1, 13 ff., 32 – verwandte 86, 94 Aktionärsforum 36 Anlagepolitik 55 Aufsichtsrat – Pflichten bei Kapitalerhöhung 1, 12 ff. Auslandsgesellschaften 2, 20 f., 28 f. Babcock/HDW-Entscheidung 162 Back-to-Back-Verträge 93 BaFin 58, 72, 77, 81, 85, 95, 98 ff. Bank – Haftung für Gründungsschwindel 1, 9 ff. Bezugsrechtsausschluss 1, 12 ff., 24 Bilanz 61 ff. Bilanzielle Betrachtung 106 f., 124, 131, 137 ff., 159 ff. Bremer Vulkan-Entscheidung 104, 107, 109, 156, 162
Bundesjustizministerium 57, 161 Bundesregierung 130, 161 Cash Management 127 ff. – Existenzvernichtung 156 f. Cash Pool – Schwestergesellschaften 136 – Systeme 4, 134, 148, 159 ff. – Überwachung 154 f. Collective action 35 ff., 55 ComRoad 3, 7 Deutsche Börse AG 98 ff. Dividendenrecht 60 ff., 85 Dominoschäden 107 Einlagenrückgewähr 132 ff., 143 Elektronische Hauptversammlung 36, 39 Elektronische Stimmabgabe 48 EM.TV-Entscheidung 1, 5 ff., 23 ff., 124 Existenzvernichtungshaftung 103 ff. – Beweislast 125 – Kapitalerhaltung 107 ff., 125 f. – Sittenwidrigkeit 116 ff., 123 Faktischer AG-Konzern 141 ff. Feststellungsklage 15 f., 24 f. Frühwarnsystem 162 Gemeinschafts-Girokonto 164 Gentleman´s agreement 80 f., 95 Geschäftsführer – Beweislast 149 – Haftung 20 ff., 28, 162
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Stichwortverzeichnis
Gleichbehandlung 45, 62 f., 137 GmbH-Konzern 145 ff. Göttinger Gruppe 2 f.
Pflichtangebote 67, 86 Pixelpark-Entscheidung 71, 80 Präsenzbonus 53 f., 63
Handelsvertreter-Entscheidung 112 ff. Hauptversammlungsteilnahme 31 ff., 65 ff. Hinauskündigungsverbot 2, 17 ff., 26 f. Hin- und Herzahlen 4, 11 Holzmüller-Entscheidung 13, 15 f.
Quartalsberichte 1, 5 ff.
Infomatec-Entscheidungen 6, 23, 124 In-Sich-Abstimmung 90 f. Intermediäre 50 ff. Kapitalaufbringung 9 Kapitalerhöhungsschwindel – Beihilfe durch Bank 1, 9 ff. KBV-Entscheidung 105 ff., 118 Kettenzurechnung 88 ff. Klumpenrisiko 150, 162 Konzernvermögen 164 Kooperationsvertrag 2, 19, 28 Managermodell 2, 19 Mangusta/CommerzbankEntscheidungen 1, 12 ff., 23 ff. Marktmissbrauchs-Richtlinie 43 Mitarbeitermodell 2, 19 Nachteilsausgleich 146 ff., 163 November-Entscheidung 129 ff., 159 ff. – obiter dictum 134, 144, 147 ff., 161 ff.
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Record date 34, 37, 45 ff., 56 f., 63 f., 68 Sachleistungen an die Gesellschafter 164 Schrottimmobilien-Fälle 3 f. Shareholder proxy voting 39 Sicherheiten-Modell 152 ff. Siemens/Nold-Entscheidung 12 ff., 24 ff. Sonderbilanz 163 Sonderdividende 61 f., 65 ff. Sonderrücklage 139 Sprache 44 f. Stammkapitalschutz 107 ff. Standstill-Vereinbarung 93 Stiller Gesellschafter 2 f. Stimmrechtspool 84 f. Stimmrechtsvertreter 48 ff., 61 ff., 66 TBB-Entscheidung 119 Termindarlehen 140 f. Transparenz-Richtlinie 39, 49, 98 Übernahmerichtlinie 71 ff., 88 Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz 72, 95 Überwachung 33, 81, 154, 156, 164 Ultimate investor 41 ff., 66 UMAG 34, 45, 47, 64, 68, 112
Stichwortverzeichnis
Vorratsgesellschaften 4 Vorstand – Berichtspflicht 14 – Pflichten bei Kapitalerhöhung 1, 12 ff. Vorstandsmitglieder – Haftung 1, 5 ff.
Wertpapierzulassungs-Richtlinie 71 Zufallsmehrheiten 53, 56 f., 60, 62, 64 ff. Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens 109 f.
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