Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2019 9783504386894

Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH Praxis und Regulierung von Stimmrechtsberatern DCGK 2019 – B

223 12 1MB

German Pages 250 [200] Year 2020

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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2019
 9783504386894

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Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2019 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung

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Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg.) Band 25

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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2019 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von

Prof. Dr. Ingo Drescher Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Dr. Christoph Klahold Rechtsanwalt, Wuppertal

Ulf Krause Köln

Dr. Claudia Mayfeld Rechtsanwältin, Dortmund

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider o. Professor em., Technische Universität Darmstadt Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Prof. Dr. Christoph Thole Universitätsprofessor, Universität zu Köln

2020

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62725-6 ©2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

WMTP GmbH gedruckt am 25.03.2020 10:19:43 Werk: VGR25

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Vorwort Am 8. November 2019 fand in Frankfurt am Main die 22. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit wiederum deutlich mehr als 400 Teilnehmern statt. Der vorliegende 25. Band der VGR-Schriftenreihe enthält die Referate und Diskussionsberichte dieser Veranstaltung. Wie jedes Jahr haben sich Vorstand und Beirat bemüht, aktuelle Themen aus den verschiedenen Bereichen des Unternehmensrechts zu finden und dafür hoch qualifizierte Referenten zu gewinnen. In guter Tradition stand zu Beginn der Tagung ein Überblick über die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH durch den Vorsitzenden des II. Zivilsenats, Prof. Dr. Ingo Drescher. Er stellte in diesem Jahr sieben Urteile zur GmbH und drei Urteile zur Aktiengesellschaft vor. Während die Urteile zur GmbH ein sehr weites Spektrum der Unternehmenstätigkeit abdeckten, betrafen alle Urteile des BGH zur Aktiengesellschaft Aspekte der Aufsichtsratsarbeit. Es folgte ein sehr pointiertes Referat von Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider zur Praxis und Regulierung von Stimmrechtsberatern. Der Untertitel seines Beitrags „eine nicht bewältigte systemische Herausforderung“ fasst zugleich seine Hauptthesen in wenigen Worten zusammen. Wie erwartet stellten die Thesen des Referenten eine hervorragende Basis für eine kontroverse Diskussion dar. Im Anschluss stellte Dr. Claudia Mayfeld den neu gefassten Deutschen Corporate Governance Kodex aus der Sicht einer Praktikerin vor. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in führenden Rechtsfunktionen im Unternehmen und ihrer Arbeit als Aufsichtsrätin gab sie nicht nur einen prägnanten Überblick über die neuen Empfehlungen und Anregungen des Kodex, sondern kombinierte diesen mit wertvollen Hinweisen für die Praxis zum Umgang mit dem Kodex und die Abgabe der nächsten Entsprechenserklärung. Vorstand und Beirat der VGR hatten den Eindruck, dass sich im Bereich der Durchführung interner Untersuchungen zur Aufklärung von potentiellen Compliance-Verstößen in den letzten Jahren aufgrund gesetzlicher Veränderungen (beispielsweise im Bereich des Datenschutzes), gerichtlicher Entscheidungen und einer Weiterentwicklung der Praxis viel Neues ergeben hat. Mit Dr. Christoph Klahold konnte auch für dieses Referat ein wissenschaftlich ausgewiesener erfahrener Praktiker gewonnen werden, der selbst eine Vielzahl von internen Untersuchungen verantwortet

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WMTP GmbH gedruckt am 25.03.2020 10:19:54 Werk: VGR25

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Vorwort

hat und die aktuellen Rechtsfragen und tatsächlichen Herausforderungen interner Untersuchungen mit vielen praktischen Hinweisen im Zusammenhang darzustellen vermochte. Prof. Dr. iur. Christoph Thole von der Universität zu Köln stellte im Anschluss die aktuellen Probleme rund um Gesellschafterdarlehen und ihre Besicherung in der Insolvenz vor. Die Bedeutung des Themas wird schon daran deutlich, dass der BGH sich allein im Jahr 2019 in drei Urteilen mit der Problematik beschäftigte. Im Referat und der anschließenden kontroversen Diskussion wurde deutlich, dass sich das Gesellschaftsund Insolvenzrecht weiterentwickelt und auch 10 Jahre nach Inkrafttreten des MoMiG noch eine Vielzahl praktisch wichtiger Fragen nicht abschließend geklärt sind. Den Abschluss des inhaltlichen Teils der Tagung bildete das Referat von Ulf Krause zu aktuellen praxisrelevanten Fragen zum Transparenzregister. Als Leiter Transparenzregister bei dem mit dem Betrieb des Transparenzregisters beauftragten Bundesanzeiger Verlag war Herr Krause in der Lage, den Zuhörern dieses neue und vergleichsweise technische Rechtsgebiet und seine Bedeutung gerade auch für Rechtsanwälte und Notare sehr plastisch vor Augen zu führen. Zu jedem der Referate fand eine ausführliche und teilweise kontroverse Diskussion statt, die in den Diskussionsberichten im Anschluss an den jeweiligen Vortrag zusammengefasst ist. Vorstand und Beirat der VGR danken allen, die zum Gelingen der 22. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern, den Verfassern der Diskussionsberichte sowie Frau Heike Wieland, in deren bewährten Händen auch in diesem Jahr die perfekte Vorbereitung und Organisation der Tagung lag. München, im März 2020 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Jochen Vetter

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Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Ingo Drescher Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH . . . .

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I. GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Stephan Beth, M.C.L. (Mannheim/Adelaide) Bericht über die Diskussion des Referats Drescher . . . . . . . . . . . . . . .

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I. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider Praxis und Regulierung von Stimmrechtsberatern – Eine nicht bewältigte systemische Herausforderung . . . . . . . . . . . . .

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I. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Auf dem Weg in den Staatsfond- und Pensionskassenkorporatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die ausländischen institutionellen Anleger . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Stimmrechtsberatung – ein globales Geschäftsmodell . . . . . . .

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VI. Wer sind die Stimmrechtsberater? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Die rechtspolitischen Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII. Ein systemisches Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhalt

Prof. Dr. Heribert M. Anzinger Bericht über die Diskussion des Referats Schneider . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Claudia Mayfeld Der Deutsche Corporate Governance Kodex 2020 – Ein Blick aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung – derzeitige Rechtslage und Umsetzungshorizont .

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II. Wesentliche Neuerungen des Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Leitung und Überwachung (A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Besetzung des Vorstands (B) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Vorstandsvergütung (G) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Zusammensetzung des Aufsichtsrats (C) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Arbeitsweise im Aufsichtsrat (D) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII. Interessenskonflikte (E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Vergütung im Aufsichtsrat (G) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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X. Transparenz und Berichterstattung (F) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Samy G. Sharaf Bericht über die Diskussion des Referats Mayfeld . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Beitrag Bachmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Beitrag Hopt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Beitrag Kremer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Christoph Klahold Interne Ermittlungen – Aktuelle Rechtsfragen und praktische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung und Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Praktische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Ausgewählte (offene) Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Ausblick: Der aktuelle Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

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Inhalt

Dr. Theresa Lauterbach Bericht über die Diskussion des Referats Klahold . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Prof. Dr. Christoph Thole Aktuelle Entwicklungen im Gesellschafterdarlehensrecht – Die Entscheidung des BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16 und ihre Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung . . . . . . . . . . 119 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Der Meinungsstand vor dem Urteil vom 14.2.2019 . . . . . . . . . . . 121 III. Die Argumentation des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 V. Folgerungen für die Unternehmensfinanzierung . . . . . . . . . . . . . 127 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Ass. iur. Wilhelm Wucherer, B.Sc. Bericht über die Diskussion des Referats Thole . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Ulf Krause Praxisrelevante Fragen des Transparenzregisters . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Allgemeine Informationen zum Transparenzregister . . . . . . . . . 158 III. Aktuelle praxisrelevante Fragen zum Transparenzregister . . . . . 163 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Katharina Schell Bericht über die Diskussion des Referats Krause . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Meldepflicht nach § 20 GwG/Ermittlung des wirtschaftlich Berechtigten gem. § 3 GwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 III. Auskunftsrechte, § 20 Abs. 3 a GwG-RegE . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 IV. Bußgelder/Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

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WMTP GmbH gedruckt am 25.03.2020 10:19:54 Werk: VGR25

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Inhalt

V. Datenschutz/Einsichtnahme in das Transparenzregister . . . . . . 184 VI. Erfüllung von Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

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WMTP GmbH gedruckt am 25.03.2020 10:20:07 Werk: VGR25

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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH Prof. Dr. Ingo Drescher Vorsitzender Richter am BGH, Karlsruhe Rz.

Rz. I. GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Arbeitnehmereigenschaft des Fremdgeschäftsführers, Urt. v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, NJW 2019, 2086 = GmbHR 2019, 659 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, NJW 2019, 1512 = AG 2019, 422 . . . . . . . . . . . 7 3. Gesellschafterliste und Gesellschafterversammlung, Urt. v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, NJW 2019, 993 = GmbHR 2019, 335 . . . . . . . . . 10 4. Aufsichtsrat aufgrund Öffnungsklausel, Urt. v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NJW 2019, 3155 = GmbHR 2019, 988 . . . 18 5. Existenzvernichtender Eingriff und Verschmelzung, Urt. v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, NJW 2019, 589 = AG 2019, 302 . . . . . . . . . . . 35

6. Teilgewinnabführungsvertrag und Formwechsel, Urt. v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, ZIP 2019, 1857 = AG 2019, 828 . . 7. Leiharbeitnehmer und Mitbestimmung, Beschl. v. 25.6.2019 – II ZB 21/18, NJW 2019, 2856 = AG 2019, 798 . . II. Aktiengesellschaft . . . . . . . . 1. Vertretung der AG durch den Aufsichtsrat, Urt. v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, NJW 2019, 1677 = AG 2019, 298. . . . . . . 2. Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Entsprechenserklärung, Urt. v. 9.10.2018 – II ZR 78/17, NJW 2019, 669 = AG 2019, 176. . . 3. Verjährung der Aufsichtsratshaftung, Urt. v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, NJW 2019, 596 = AG 2018, 893 . . . . . . . . . . .

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I. GmbH 1. Arbeitnehmereigenschaft des Fremdgeschäftsführers, Urt. v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, NJW 2019, 2086 = GmbHR 2019, 659 Sachverhalt: 1 Der 1955 geborene Kläger war seit 2005 Geschäftsführer der beklagten GmbH. Der Anstellungsvertrag enthält zu der Vertragsdauer in § 7 folgende Regelung: „1. Dieser Dienstvertrag wird für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 31.08.2010 abgeschlossen; über eine Anschlussregelung werden frühzeitig Gespräche aufgenommen. 2. Erfolgt keine Wiederbestellung, endet dieser Vertrag mit Ablauf der Bestellung. 3. Unabhängig davon behalten sich beide Vertragsschließenden vor, mit Ihrem Eintritt in das 61. Lebensjahr das Dienstverhältnis durch eine einseitige Erklärung mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende zu beenden. Eine solche Beendigung des Dienstverhältnisses gilt als Übergang in den Ruhestand und löst die Leistungen nach den Versorgungszusagen aus. Hinsichtlich der Höhe der Versorgungszusagen wird bei einer Beendigung durch die Gesellschaft unterstellt, das Dienstverhältnis hätte bei der regulären Laufzeit des Vertrages geendet. Diese Ankündigung der z.Z. geltenden Regelung steht unter dem Vorbehalt einer etwaigen Änderung.“

2 Der Vertrag wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 31.8.2018. Mit Gesellschafterbeschluss vom 3.8.2015 wurde der Kläger nach einem Kontrollwechsel als Geschäftsführer der Beklagten abberufen und freigestellt. Mit Schreiben vom 23.6.2016 erklärte die Beklagte die Kündigung des Dienstvertrags des Klägers zum 31.12.2016. 3 Der Kläger verlangt mit seiner Klage die Feststellung, dass sein Dienstvertrag durch die Kündigung nicht beendet wurde. Rechtliche Würdigung: 4 Die Vereinbarung, mit Eintritt in das 61. Lebensjahr das Dienstverhältnis des Klägers durch eine einseitige Erklärung mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende beenden zu können, enthält eine Entlassungsbedingung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Entlassungsbedingungen werden vom Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 AGG nicht erfasst. Der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist über § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG bei einem Fremdgeschäftsführer eröffnet.

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WMTP GmbH gedruckt am 25.03.2020 10:20:17 Werk: VGR25

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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist bei europarechtskonformer Auslegung Arbeitnehmer i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG. Da die Richtlinie nicht auf den Arbeitnehmerbegriff des deutschen Rechts verweist, ist der Begriff Arbeitnehmer in § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich auszulegen (sog. europarechtlicher Arbeitnehmerbegriff). Die Kündigung ist eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers i.S.v. § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 1 AGG wegen des Alters. Damit stellt sich die Frage, ob diese Ungleichbehandlung des Klägers nach § 10 AGG gerechtfertigt ist. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.

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Die Gründe, mit denen das Berufungsgericht eine solche Rechtfertigung 6 der Ungleichbehandlung angenommen hat, hielten der revisionsrechtlichen Nachprüfung aber nicht stand. Ein Erfahrungssatz, dass wegen des hohen Anforderungsprofils an Unternehmensleiter ein Bedürfnis für die Vereinbarung einer unterhalb des gesetzlichen Renteneintrittsalters liegenden Altersgrenze besteht, existiert nicht. Ob im konkreten Fall ein solches Bedürfnis bestand und Grundlage der Vereinbarung der Kündigungsmöglichkeit war, war nicht festgestellt worden. Auch ein Bedürfnis der Gesellschaft, frühzeitig einen Nachfolger in der Unternehmensleitung zu installieren, war nicht konkret festgestellt worden. Die vertragliche Zusage einer Versorgung ab Kündigung macht die Vereinbarung nicht zulässig. Nach § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG ist eine Vereinbarung zulässig, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann. In der hier abgeschlossenen Vereinbarung war aber eine Beendigung durch eine, nicht ohne eine Kündigung vorgesehen.

2. Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, NJW 2019, 1512 = AG 2019, 422 Sachverhalt: Die Klägerin ist eine GmbH. Ihre beiden Gesellschafter hielten jeweils einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag von 12.500 t an dem Stammkapital der Klägerin und beschlossen die Auflösung der Gesellschaft zum

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WMTP GmbH gedruckt am 25.03.2020 10:20:17 Werk: VGR25

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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

31.12.2013. Beide Gesellschafter wurden alleinvertretungsberechtigte Liquidatoren. 8 Ein Gesellschafter zeigte sich am Erwerb des Betriebsgrundstücks interessiert. Der andere ließ über einen Makler und einen Rechtsanwalt Kaufvertragsverhandlungen mit dem Beklagten führen. Am 16.9.2014 schlossen die Klägerin, vertreten durch den nicht am Erwerb interessierten Liquidator, und der Beklagte einen Kaufvertrag über das Betriebsgrundstück. Am 15.10.2014 wurde eine Auflassungsvormerkung zugunsten des Beklagten eingetragen. Die Klägerin behauptet, dass der am Erwerb des Grundstücks interessierte Gesellschafter bereits mit Schreiben vom 18.7.2014 dem Beklagten gegenüber mitgeteilt habe, dass er dem Verkauf des Grundstücks nicht zustimme und es an einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss fehle. Rechtliche Würdigung: 9 Die Veräußerung ist nicht in entsprechender Anwendung von § 179a AktG unwirksam. § 179a AktG ist auf die GmbH nicht entsprechend anwendbar. Die Vorschrift ist auf Schutz der Aktionäre ausgerichtet. Bei der GmbH besteht jedoch eine andere Struktur als bei der AG. Bei ihr ist die Zustimmung der Gesellschafterversammlung für wichtige Geschäfte ohnehin im Innenverhältnis erforderlich. Eine Außenwirkung der Beschränkung im Innenverhältnis widerspricht § 37 Abs. 2 GmbHG und dem Grundsatz der Unbeschränktheit der handelsrechtlichen Vertretungsbefugnis. Die Gesellschafter, die vom Geschäftsführer nicht beteiligt werden, sind im Einzelfall bei einem evidenten Missbrauch der Vertretungsmacht geschützt.

3. Gesellschafterliste und Gesellschafterversammlung, Urt. v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, NJW 2019, 993 = GmbHR 2019, 335 Sachverhalt: 10 Der Kläger, sein Vater und W. waren Gesellschafter der Beklagten. Der Kläger hielt Geschäftsanteile i.H.v. 62.000 t (31 %), sein Vater Geschäftsanteile i.H.v. 40.000 t (20 %) und W. Geschäftsanteile i.H.v. 98.000 t (49 %) des Stammkapitals. Geschäftsführer der Beklagten waren der Kläger und W. Am 5.3.2014 übertrug der Vater des Klägers seinen Anteil auf den Kläger. Am 7.3.2014 wurde in einer Gesellschafterversammlung die Einziehung der Geschäftsanteile des Klägers „im Nennbetrag von

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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

EUR 62.000 sowie EUR 40.000“ und des Geschäftsanteils seines Vaters „im Nennbetrag von EUR 40.000“ sowie die Aufstockung des Geschäftsanteils W. um 102.000 t beschlossen. Zu Beginn der Versammlung hatte der bevollmächtigte Vertreter des Klägers die Anteilsübertragung auf den Kläger geltend gemacht und eine entsprechend geänderte notarielle Gesellschafterliste vom 5.3.2014 vorgelegt, die allerdings erst am 13.3.2014 im Handelsregister aufgenommen war. Gegen die Einziehung der Anteile haben sowohl der Kläger als auch sein 11 Vater Klage erhoben. Auf die Klage des Klägers wurden die Beschlüsse über die Einziehung seines Geschäftsanteils im Nennbetrag von 62.000 t und über die Aufstockung des Geschäftsanteils W. für nichtig erklärt, hinsichtlich der Einziehung des Geschäftsanteils im Nennbetrag von 40.000 t wurde seine Klage abgewiesen. Die Klage seines Vaters gegen die Einziehung des Geschäftsanteils im Nennbetrag von 40.000 t hatte ebenfalls keinen Erfolg. Die entsprechend aktualisierte Gesellschafterliste wurde am 15.8.2016 im Handelsregister aufgenommen. Zuvor fand am 28.7.2015 eine Gesellschafterversammlung der Beklagten statt, in der W. gegen den Widerspruch des Klägers die Versammlungsleitung übernahm und in der Beschlüsse zu verschiedenen Tagesordnungspunkten gefasst wurden.

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Bei den Abstimmungen wurden die Stimmen W. jeweils mit „98.000 t“, 13 die Stimmen des Klägers mit „62.000 t“ gezählt. Bis auf die Beschlüsse betreffend ihre eigene Entlastung als Geschäftsführer für das Jahr 2014 (Tagesordnungspunkte 6.1 und 6.3), bei denen sie sich jeweils der Stimme enthielten, stimmte W. stets für, der Kläger stets gegen den vorgeschlagenen Beschluss. W. stellte jeweils die Beschlussfassung gemäß dem Beschlussvorschlag fest, außer zu Tagesordnungspunkt 6.3, bei der ihm nach seiner Feststellung keine Entlastung erteilt wurde. Der Kläger erhob Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse der Gesellschaf- 14 terversammlung vom 28.7.2015 und begehrt die Feststellung, dass der Geschäftsanteil von 40.000 t nicht eingezogen ist und er Mehrheitsgesellschafter ist. Rechtliche Würdigung: Die Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung vom 28.7.2015 sind anfechtbar, soweit die Stimmen des Klägers von W. als Versammlungsleiter nicht mitgezählt wurden. Der Kläger war mit Geschäftsanteil von

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40.000 t stimmberechtigt. Zwar war dieser Geschäftsanteil materiellrechtlich wirksam eingezogen. Maßgebend für die Stimmberechtigung ist aber nach § 16 Abs. 1 GmbHG, dass dieser Geschäftsanteil in der Gesellschafterliste enthalten und ihm zugeordnet ist. § 16 Abs. 1 GmbHG bewirkt eine formelle Legitimation durch die Gesellschafterliste im Verhältnis des Gesellschafters zur Gesellschaft. Die Berufung auf die Gesellschafterliste ist nicht deshalb nach § 242 BGB treuwidrig, weil die Einziehung, wie später rechtskräftig festgestellt wurde, wirksam war. 16 Der Beschluss, den Kläger nicht zu entlasten, ist allerdings wirksam getroffen. Bei einem Beschluss, der seine Nichtentlastung als Geschäftsführer zum Gegenstand hat, unterliegt ein Gesellschafter ebenso einem Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 GmbHG, wie wenn Beschlussgegenstand seine Entlastung ist. Die in der Versammlung vom 28.7.2015 gefassten Beschlüsse sind außerdem nicht schon deshalb anfechtbar, weil W. zu Unrecht die Versammlung leitete. Die unberechtigte Übernahme der Versammlungsleitung ist für eine sachgerechte Meinungsbildung und -ausübung der Gesellschafter nicht relevant, sondern nur Fehler bei der Durchführung der Versammlung. 17 Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Einziehung ist unbegründet. Da die Anfechtungsklage gegen den Einziehungsbeschluss abgewiesen ist, steht rechtskräftig fest, dass der Einziehungsbeschluss nicht für nichtig zu erklären ist und nicht nichtig ist. Die Rechtskraftwirkung der Abweisung der Anfechtungsklage steht auch der jetzt behaupteten Nichtigkeit entgegen, soweit der Lebenssachverhalt identisch. Es ist eine rechtliche Würdigung, ob ein Beschluss nichtig oder für nichtig zu erklären ist, keine Frage des Streitgegenstandes. Der Einziehungsbeschluss ging auch nicht ins Leere, weil der Anteil des Vaters bereits an den Kläger abgetreten war. Auch insoweit gilt die Legitimationswirkung der Eintragung in die Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 1 GmbHG. Offengelassen wurde, ob die Legitimationswirkung auch im Verhältnis der Gesellschaft zum Gesellschafter zwingend ist. Jedenfalls darf sich Gesellschaft grundsätzlich auf die Liste berufen.

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4. Aufsichtsrat aufgrund Öffnungsklausel, Urt. v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NJW 2019, 3155 = GmbHR 2019, 988 Sachverhalt: Die Beklagte ist eine GmbH. Mehrheitsgesellschafter war mit mehr als 18 60 % des Stammkapitals F. S., dessen Sohn Geschäftsführer war. Eine vom Kläger, ebenfalls Geschäftsführer, beherrschte GmbH hielt Geschäftsanteile von ca. 15 %. In § 9 des Gesellschaftsvertrags war den Gesellschaftern gestattet, einen Aufsichtsrat zu errichten:

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„(1) Die Gesellschafter können beschließen, dass die Gesellschaft einen aus drei oder sechs Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat erhält. (2) Auf den Aufsichtsrat finden § 52 Abs. 1 GmbHG und die dort genannten aktienrechtlichen Bestimmungen nur Anwendung, falls und soweit die Gesellschafter dies mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschließen. (3) Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung. Die Gesellschafter können dem Aufsichtsrat durch Beschluss weitere Aufgaben und Befugnisse zuweisen, insbesondere das Recht gewähren, Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen, Anstellungsverträge mit diesen abzuschließen, zu ändern und zu beendigen, Geschäftsführer zu ermächtigen, die Gesellschaft allein zu vertreten, eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführer festzulegen und diesen Weisungen zu erteilen. (4) Die Gesellschafter können jederzeit beschließen, dass durch Gesellschaftsbeschluss gemäß Absatz 2 für anwendbar erklärte aktienrechtliche Bestimmungen keine Anwendung mehr finden oder dass dem Aufsichtsrat Aufgaben und Befugnisse, die ihm gemäß Absatz 3 durch Gesellschafterbeschluss zugewiesen wurden, nicht weiter zustehen.“

Im Oktober 2014 fand eine Gesellschafterversammlung statt, in der gegen 20 die Stimmen des Klägers die Errichtung eines Aufsichtsrats u.a. mit der Befugnis zur Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern und Abschluss und Beendigung von Anstellungsverträgen beschlossen wurde. Die ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 wurden als Aufsichtsratsmitglieder bestellt. Über die gegen diese Beschlüsse erhobene Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage wurde bisher nicht entschieden. Im Dezember 2014 beschloss der Aufsichtsrat einstimmig die Abberu- 21 fung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten und die sofortige Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund. Der Kläger hat mit seiner Klage die Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse des Auf-

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sichtsrats über seine Abberufung und die Kündigung seines Anstellungsvertrags begehrt. 22 Auf Gesellschafterversammlungen im Januar 2015, zu denen der Kläger eingeladen hatte, wurde die Einziehung des Geschäftsanteils des Mehrheitsgesellschafters beschlossen. Gegen die Einziehungsbeschlüsse sind Klagen rechtshängig. 23 Das LG Berlin untersagte im Januar 2015 im Wege der einstweiligen Verfügung aufgrund der Gesellschafterbeschlüsse vom Januar 2015 eine neue Gesellschafterliste, welche den Mehrheitsgesellschafter nicht mehr als Gesellschafter der Beklagten ausweist, beim AG zur Veröffentlichung im Handelsregister einzureichen. 24 Danach reichte der die Gesellschafterversammlungen 2015 beurkundende Notar dennoch eine Gesellschafterliste zum Handelsregister ein, die den Mehrheitsgesellschafter nicht mehr als Gesellschafter der Beklagten auswies. Diese Gesellschafterliste wurde im August 2015 in den Registerordner aufgenommen. 25 Das LG hat der Klage stattgegeben. Gegen das Urteil haben die Beklagte sowie die ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 Berufung eingelegt. Berufungsbegründungen sind innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist von der ehemaligen Nebenintervenientin zu 2 und von den ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 eingereicht worden. 26 Im August 2015 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten im Umlaufverfahren ohne Beteiligung des Mehrheitsgesellschafters u.a. die Unwirksamkeit der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer, vorsorglich seine Wiederbestellung zum Geschäftsführer sowie die Abberufung des Sohnes des Mehrheitsgesellschafters als Geschäftsführer. Die Eintragung dieses Geschäftsführers wurde im Handelsregister gelöscht. 27 Mit Schriftsatz vom 27.8.2015 hat sich für die Beklagte, vertreten durch den Kläger, Rechtsanwalt H. gemeldet und die Rücknahme der Berufung erklärt. Im April 2016 legten die ehemaligen Nebenintervenienten zu 3 bis 5 ihre Aufsichtsratsämter nieder. 28 In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im September 2017 hat Rechtsanwalt S. unter Vorlage einer von dem im Gerichtssaal anwesenden Sohn des Mehrheitsgesellschafters unterschriebenen Ter-

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minvollmacht beantragt, das Urteil des LG abzuändern und die Klage abzuweisen. Mit Schriftsatz vom 27.10.2017 hat Rechtsanwalt H. angezeigt, dass er 29 nunmehr auch von dem mit wiederum ohne Beteiligung des Mehrheitsgesellschafters gefassten Umlaufbeschluss vom Oktober 2017 nach § 46 Nr. 8 GmbHG bestimmten besonderen Vertreter der Beklagten, dem Prokuristen K. T., bevollmächtigt sei, und namens der Beklagten erklärt, dass diese das angefochtene Urteil anerkenne, die Einlegung der Berufung nicht genehmige und das Rechtsmittel vorsorglich nochmals zurücknehme. Rechtliche Würdigung: Zunächst war zu klären, wer die GmbH im Rechtsstreit vertritt, und damit auch die Zulässigkeit bzw. Rücknahme der Berufung. Wenn ein Aufsichtsrat eingerichtet und ihm die Personalkompetenz durch die Satzung übertragen ist, ist dieser zwar primär zur Vertretung berufen. Der Aufsichtsrat war nach dem Rücktritt seiner Mitglieder aber nicht mehr vorhanden und keiner versuchte eine Neubesetzung. Damit fiel die Vertretung an die Gesellschafterversammlung zurück bzw. den Geschäftsführer, wenn die Gesellschafterversammlung von ihrer Kompetenz keinen Gebrauch macht.

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Hier hat die Gesellschafterversammlung zwar davon Gebrauch gemacht 31 und einen besonderen Vertreter bestimmt. Der Beschluss zu seiner Bestellung war aber nichtig, weil der Mehrheitsgesellschafter nicht beteiligt war. Die Nichtladung eines Gesellschafters ist ein Einberufungsmangel, der entsprechend § 241 Nr. 1 AktG zur Nichtigkeit der in der Versammlung gefassten Gesellschafterbeschlüsse führt. Das gilt für die fehlende Beteiligung an Gesellschafterbeschlüssen, die im Umlaufverfahren gefasst werden, in gleicher Weise wie für die Präsenzversammlung. Der Mehrheitsgesellschafter war zu beteiligen. Ein Gesellschafter, der nicht (mehr) in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist, muss zwar grundsätzlich nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG an einem Umlaufbeschlussverfahren wie auch an der Präsenzversammlung nicht beteiligt werden. § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG entfaltet eine negative Legitimationswirkung zu Lasten des nach dem Einzug seines Geschäftsanteils nicht mehr in die Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafters. Dies gilt ungeachtet einer Unwirksamkeit des Einziehungsbeschlusses. Wird einer GmbH nach Einziehung eines Geschäfts-

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anteils durch eine einstweilige Verfügung aber untersagt, eine neue Gesellschafterliste, die den von der Einziehung Betroffenen nicht mehr als Gesellschafter ausweist, beim AG zur Veröffentlichung im Handelsregister einzureichen, ist die Gesellschaft nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zu berufen, wenn entgegen der gerichtlichen Anordnung eine veränderte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht und im Registerordner aufgenommen worden ist. Hat ein Notar an der Veränderung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG mitgewirkt, umfasst die Beachtung des gerichtlichen Verbots der Einreichung einer neuen Liste auch die Verpflichtung der Gesellschaft, den Notar von der Verbotsverfügung zu unterrichten, damit dieser nicht in Unkenntnis eine verbotswidrige Gesellschafterliste einreicht. Wird dennoch nach Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Gesellschaft eine verbotswidrige Liste eingereicht und im Handelsregister aufgenommen, ist der Geschäftsführer nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, die gegen das Verbot eingereichte Gesellschafterliste zu korrigieren bzw. vom Notar korrigieren zu lassen und eine Gesellschafterliste einzureichen, in der der eingezogene Geschäftsanteil enthalten ist, um den Zustand wiederherzustellen, der mit der einstweiligen Verfügung gegen die Gesellschaft gesichert werden sollte. 33 Mangels wirksamer Bestellung eines besonderen Vertreters waren die Geschäftsführer zur Vertretung der GmbH befugt. Der Kläger als einer der Geschäftsführer konnte die GmbH aber nicht vertreten und die Berufung zurücknehmen, da er selbst Partei ist. Damit konnte die GmbH durch den Sohn des Mehrheitsgesellschafters als Geschäftsführer vertreten werden, da dessen Abberufung aus den genannten Gründen – Nichtbeteiligung des Mehrheitsgesellschafters am Umlaufverfahren – nicht wirksam war. 34 Die Feststellungsklage hinsichtlich der Abberufung war unbegründet. Die Abberufung durch den Aufsichtsrat war wirksam, weil der Aufsichtsrat wirksam bestellt war. Wenn es eine Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag einer nicht mitbestimmten GmbH zulässt, kann ein fakultativer Aufsichtsrat durch einen nicht notariell beurkundeten Mehrheitsbeschluss ohne Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister eingerichtet werden. Der Beschluss bedarf vorbehaltlich strengerer Anforderungen im Gesellschaftsvertrag keiner qualifizierten Stimmenmehrheit und keiner notariellen Beurkundung nach § 53 Abs. 2 GmbHG; zu seiner Wirksamkeit ist die Eintragung in das Handelsregister nach § 54 Abs. 3

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GmbHG nicht erforderlich. Eine die Gesellschafterversammlung zur Einrichtung eines Aufsichtsrats ermächtigende Öffnungsklausel muss nicht jede Einzelheit regeln, sondern kann die nähere Ausgestaltung den Gesellschaftern überlassen. Es ist notwendig, aber auch ausreichend, wenn neben der Grundsatzentscheidung über die Möglichkeit der Einrichtung eines Aufsichtsrats die wesentliche Aufgabe des Aufsichtsrats, die Überwachungsfunktion, eine Satzungsgrundlage hat und, sofern weitere Kompetenzen übertragen werden sollen, diese jedenfalls in den Grundzügen schon in der Satzung aufgeführt sind.

5. Existenzvernichtender Eingriff und Verschmelzung, Urt. v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, NJW 2019, 589 = AG 2019, 302 Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH, über deren Vermögen im April 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Beklagte war Mehrheitsgesellschafter.

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Im August 2011 schlossen die Schuldnerin als übernehmende und eine 36 weitere GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte war, als übertragende Gesellschaft einen Verschmelzungsvertrag. Der Kläger behauptet, die übertragende GmbH sei seit dem August 2011 zahlungsunfähig und sowohl am Verschmelzungsstichtag (30.12.2010) als auch bei Abschluss des Verschmelzungsvertrags überschuldet gewesen, und verlangt Schadensersatz vom Beklagten. Rechtliche Würdigung: Eine Differenzhaftung der Gesellschafter des übertragenden Rechtsträ- 37 gers hat der BGH abgelehnt. § 55 Abs. 1 UmwG schließt die Anwendung von § 56 Abs. 2, § 9 GmbHG bei der Kapitalerhöhung zur Durchführung einer Verschmelzung zwar nicht ausdrücklich aus. Die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers geben aber keine Kapitaldeckungszusage und übernehmen keine Verpflichtung zur Leistung einer werthaltigen Sacheinlage. Der Anteilserwerb am übernehmenden Rechtsträger geschieht originär, soweit überhaupt Anteile gewährt werden. Die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers sind dadurch geschützt, dass sie eine Verschmelzungsprüfung verlangen und Anfechtungsklage gegen den Verschmelzungsbeschluss erheben können.

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38 Dagegen kommt bei der Verschmelzung einer insolventen Gesellschaft auf eine GmbH eine Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter des übernehmenden Rechtsträgers in Betracht. Ein existenzvernichtender Eingriff kann auch die Belastung mit Verbindlichkeiten sein. Eine Bereicherung des Gesellschafters ist nicht erforderlich. Kennzeichnend für die Sittenwidrigkeit ist die Missachtung des Prinzips der Vermögenstrennung und der Kapitalbindung. Wenn die Verschmelzung zu Lasten des zweckgebundenen Vermögens des übernehmenden Rechtsträgers für eine liquidationslose Abwicklung des insolventen Rechtsträgers ausgenutzt wird, kann darin eine solche Missachtung des Prinzips der Vermögenstrennung und der Kapitalbindung liegen.

6. Teilgewinnabführungsvertrag und Formwechsel, Urt. v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, ZIP 2019, 1857 = AG 2019, 828 Sachverhalt: 39

Die aus einer LPG hervorgegangene Klägerin schloss mit der beklagten GmbH, die im Zug der Umstrukturierung gegründet wurde, eine Vereinbarung, wonach sich die Beklagte verpflichtete, einem Kreditvertrag der Klägerin beizutreten und ihren Jahresüberschuss i.H.v. bis zu 20 % an die Klägerin abzutreten. Die Gesellschafterversammlung der Beklagten stimmte zu.

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Die Beklagte kündigt die Vereinbarung nach Jahren fristlos und wurde in eine AG umgewandelt. Die Klägerin verlangt Zahlung von 20 % des Jahresüberschusses. Rechtliche Würdigung:

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Die Vereinbarung zwischen den Parteien ist ein Teilgewinnabführungsvertrag. Ein Teilgewinnabführungsvertrag kann wirksam ohne notarielle Form und Handelsregistereintragung abgeschlossen werden. Unternehmensverträge i.S.v. § 291 Abs. 1 AktG mit einer GmbH sind beurkundungspflichtig, weil die Grundstruktur der beherrschten GmbH geändert wird. Anders ist dies bei einem Teilgewinnabführungsvertrag, wenn er eine satzungsüberlagernde Wirkung hat. Offengeblieben ist, ob von einer satzungsüberlagernden Wirkung auszugehen ist, wenn der überwiegende Anteil des Gewinns abgeführt wird.

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Der Formwechsel in eine AG führt nicht zur Unwirksamkeit des Teilgewinnabführungsvertrags. Der Teilgewinnabführungsvertrag besteht fort,

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da der Rechtsträger nach dem Formwechsel fortbesteht. Zwar ist bei der AG jetzt eine Eintragung erforderlich, § 294 Abs. 1 AktG. Auf die Wirksamkeit des Teilgewinnabführungsvertrags wirkt sich das aber nicht aus, weil die Eintragung nur deklaratorisch ist. Die Beklagte konnte den Vertrag auch nicht durch die Kündigung beenden. Zwar ist ein Teilgewinnabführungsvertrag als Dauerschuldverhältnis bei einem wichtigen Grund kündbar, ein wichtiger Grund besteht aber nicht.

7. Leiharbeitnehmer und Mitbestimmung, Beschl. v. 25.6.2019 – II ZB 21/18, NJW 2019, 2856 = AG 2019, 798 Sachverhalt: Antragsgegnerinnen sind eine GmbH, ein Logistik-Unternehmen, und 43 ihre nicht operativ tätige Muttergesellschaft, zwischen denen ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht. Die GmbH beschäftigt zum überwiegenden Teil fest angestellte Arbeitnehmer sowie daneben im Umfang von etwa einem Drittel der Belegschaft Leiharbeitnehmer, deren Anzahl in Abhängigkeit von der Auftragslage schwankt. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerinnen betrug die Zahl der fest angestellten Arbeitnehmer und der Leiharbeitnehmer mit einer tatsächlichen oder prognostizierten Beschäftigungsdauer von mehr als sechs Monaten an den Stichtagen 28.2.2017 und 19.5.2017 ebenso wie im Zeitraum von Januar 2017 bis März 2018 im Durchschnitt insgesamt nie mehr als 1.878 Beschäftigte, wohingegen die Zahl der fest angestellten Arbeitnehmer und sämtlicher Leiharbeitnehmer, d.h. auch solcher mit einer Beschäftigungsdauer von weniger als sechs Monaten, an beiden Stichtagen und im angegebenen Zeitraum im Durchschnitt jeweils über 2.000 Beschäftigten lag. 44

Der Gesamtbetriebsrat hat ein Statusverfahren beantragt. Rechtliche Würdigung:

Die Gesellschaft ist, vertreten durch ihre Geschäftsführer, beschwerdebe- 45 fugt. Vorstand (bzw. Geschäftsführer) haben gesetzlich eine Antragsbefugnis für die Gesellschaft und in der Folge auch die Beschwerdebefugnis. Die Beschwerde der Gesellschaft wird in § 99 Abs. 4 Satz 4 AktG ausdrücklich erwähnt. Die Mindesteinsatzdauer von sechs Monaten nach § 14 Abs. 2 Satz 6 46 AÜG ist arbeitsplatz-, nicht arbeitnehmerbezogen zu verstehen. Das folgt einmal aus dem systematischen Zusammenhang. Der Anwendungs-

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schwellenwert nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG bestimmt sich nach den „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmern, so dass eine personenbezogene Regelung systemfremd wäre. Es entspricht aber auch Sinn und Zweck der Regelung. Die persönliche Eingliederung ist für die regelmäßige Beschäftigtenzahl ohne Belang. Wird der regelmäßige Personalbedarf durch Leiharbeitnehmer gedeckt, prägt dies die Größe des Unternehmens. Schließlich könnte die Mitbestimmung durch eine regelmäßig wechselnde Beschäftigung von weniger als sechs Monaten unterlaufen werden. „Arbeitsplatzbezogen“ ist nicht auf den konkreten Arbeitsplatz, der mit einem Leiharbeitnehmer besetzt ist, zu beziehen, sondern auf die Zahl der Arbeitsplätze, die mit Leiharbeitnehmern besetzt sind.

II. Aktiengesellschaft 1. Vertretung der AG durch den Aufsichtsrat, Urt. v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, NJW 2019, 1677 = AG 2019, 298 Sachverhalt: 47

Die Klägerin, eine AG, schloss am 18.9.2013 mit der Beklagten einen „Geschäftsanteilskauf- und Übertragungsvertrag“ über deren Geschäftsanteile an der D. GmbH. Nach der Präambel des Vertrages sollte der Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Beklagten D. eine Führungsposition bei der Klägerin oder einem mit ihr verbundenem Unternehmen übernehmen. Die Abtretung der Geschäftsanteile war nach den vertraglichen Vereinbarungen u.a. durch den Abschluss von Vorstandsdienstverträgen der Klägerin mit D. aufschiebend bedingt, die ihrerseits wiederum nur bei fristgemäßer Zahlung des Basiskaufpreises in Kraft treten sollten. Bei Abschluss des Geschäftsanteilskaufvertrages wurde die Klägerin durch einen Bevollmächtigten ihres Vorstands vertreten.

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Ebenfalls am 18.9.2013 wurde in einer Aufsichtsratssitzung der Klägerin die Bestellung von D. zum Vorstand der Klägerin beschlossen und der Aufsichtsratsvorsitzende ermächtigt, die Vorstandsdienstverträge zu den in vorgelegten Vertragsentwürfen festgehaltenen Konditionen abzuschließen. Die Unterzeichnung der Vorstandsdienstverträge fand noch am selben Tag statt.

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Nach fristgerechter Leistung des Basiskaufpreises wurde die Klägerin als Gesellschafterin in die Gesellschafterliste der D. GmbH aufgenommen. Die Klägerin nimmt die Beklagte mit der Begründung, der Geschäfts-

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anteilskaufvertrag vom 18.9.2013 sei wegen Verstoßes gegen § 112 Satz 1 AktG nichtig, auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch. Rechtliche Würdigung: Die AG war bei Vertragsschluss nicht richtig vertreten. § 112 Satz 1 50 AktG (Vertretung durch den Aufsichtsrat) ist auf Verträge mit Gesellschaften, deren Alleingesellschafter ein Vorstandsmitglied ist, anwendbar. Nach dem Wortlaut vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft zwar nur gegenüber dem Vorstandsmitglied selbst. Aber auch in anderen Zusammenhängen kommt es zu Erweiterungen auf Unternehmen, an denen eine Person maßgeblich beteiligt ist. Für die Erweiterung spricht der Schutzzweck, eine unbefangene, von sachfremden Erwägungen unbeeinflusste Vertretung sicherzustellen. Dagegen spricht zwar der Aspekt der Sicherheit und Klarheit des Rechtsverkehrs, der aber bei Einpersonengesellschaften nicht so problematisch erscheint. Offengelassen wurde, wie bei einer Mehrheitsbeteiligung des Vorstandsmitglieds an einer Gesellschaft zu entscheiden ist, und, ob Folge eines Vorstandshandelns entgegen § 112 AktG die Nichtigkeit des Vertrags nach § 134 BGB oder eine Vertretung ohne Vertretungsmacht nach § 177 BGB mit der Möglichkeit der Genehmigung durch den Aufsichtsrat ist.

2. Neuwahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Entsprechenserklärung, Urt. v. 9.10.2018 – II ZR 78/17, NJW 2019, 669 = AG 2019, 176 Sachverhalt: In der Einladung zur Hauptversammlung der Beklagten, einer börsen- 51 notierten AG, am 13.8.2014 war die Neuwahl von zwei Mitgliedern des Aufsichtsrats im Wege der Einzelabstimmung vorgesehen. Der Aufsichtsrat schlug K. und einen weiteren Kandidaten zur Wahl vor. Die Beklagte wies in der Einladung darauf hin, dass K. bei vier näher bezeichneten Aktiengesellschaften Mitglied des Aufsichtsrats und bei drei davon Aufsichtsratsvorsitzender sei. K. war zudem Verwaltungsratsvorsitzender einer börsennotierten AG schweizerischen Rechts. Nach ihrer Erklärung im Mai 2014 entsprach die Beklagte den Empfehlungen zum Deutschen Corporate Governance Kodex in Nr. 5.4.5. Die Einladung enthielt unter der Überschrift „Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts“ die Angabe, dass nach § 17 der Satzung zur Teilnahme an der

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Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts nur diejenigen Aktionäre berechtigt sind, die sich vor der Hauptversammlung in Textform anmelden und die der Gesellschaft einen in Textform erstellten besonderen Nachweis ihres Anteilsbesitzes übermitteln, und dass Anmeldung und Nachweis des Anteilsbesitzes der Gesellschaft mindestens sechs Tage vor der Hauptversammlung, somit spätestens bis zum Ablauf des 6.8.2014, 24.00 Uhr, zugehen müssen. Mehrere Aktionäre, so u.a. K., meldeten sich erst danach zur Hauptversammlung an oder legten erst danach den Nachweis ihres Anteilsbesitzes vor. K erschien zur Hauptversammlung und wurde von der Beklagten zugelassen. 53 In der Hauptversammlung schlug ein Aktionär vor, F. in den Aufsichtsrat zu wählen. Der Versammlungsleiter erklärte, dass über die Wahlen zum Aufsichtsrat in der Weise abgestimmt werden solle, dass nacheinander einzeln über die zu besetzenden Aufsichtsratsposten abgestimmt werde, und zwar in einem ersten Wahlgang zunächst zwischen K. und F. Gegen das vorgesehene Wahlverfahren erklärten mehrere Aktionäre und Aktionärsvertreter, u.a. auch der Kläger zu 1, Widerspruch zur Niederschrift. Die Abstimmung ergab 5.909.445 Ja-Stimmen für K. und 5.732.174 JaStimmen für F., wobei K. mit den von ihm vertretenen 587.719 Stimmen für seine Wahl zum Aufsichtsrat stimmte. Der Versammlungsleiter stellte die Wahl des K. fest, dieser nahm sie an. Anschließend stimmte die Hauptversammlung über die Wahl des anderen vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidaten über das zweite Aufsichtsratsmandat ab, für das F. nicht mehr antrat. 54 Die Kläger haben gegen den Wahlbeschluss Anfechtungs- und Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben. Rechtliche Würdigung: 55 Die Zulassung von Aktionären nach Ablauf der Anmeldefrist bzw. Nachweisfrist verstieß gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil in der Einladung ausdrücklich darauf hingewiesen war, dass die Fristen zwingend einzuhalten seien. Dadurch werden Aktionäre, die vom Verzicht auf Frist nichts wissen können, von einer Nachmeldung abgehalten. Die fehlerhafte Zulassung führt zur Nichtigkeit des Wahlbeschlusses, wenn die nachträglich zugelassenen Stimmen für den Wahlbeschluss kausal waren, also das Abstimmungsergebnis rechnerisch beeinflusst haben. Die sog. Relevanztheorie gilt insoweit nicht.

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Dagegen führt der mögliche Verstoß gegen die Entsprechenserklärung 56 zum Deutschen Corporate Governance Kodex durch die Aufsichtsratswahl nicht zur Anfechtung. Der Verstoß gegen den Deutschen Corporate Governance Kodex ist kein Gesetzes- oder Satzungsverstoß. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur unterjährigen Aktualisierung der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG liegt weder im Wahlvorschlag noch in der Bekanntmachung des Wahlvorschlags, weil die Aktualisierung der Entsprechenserklärung erst nach dem Wahlbeschluss der Hauptversammlung möglich ist. Auch eine Informationspflichtverletzung liegt nicht vor. Die Entsprechenserklärung ist keine spezifische Information für die Hauptversammlung. Sie enthält auch nur generelle Erklärungen und keine personenbezogenen Informationen. Die Informationspflichten für die Aufsichtsratswahl sind in § 124 Abs. 2 und 3, § 125 AktG abschließend geregelt. Das Wahlverfahren war fehlerfrei. Die Auswahl eines sachgerechten Ver- 57 fahrens ist Sache des Versammlungsleiters (hier auch nach Satzung). Das vom Versammlungsleiter gewählte Verfahren mindestens einer Alternativwahl zwischen einem vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidaten und dem von einem Aktionär vorgeschlagenen Kandidaten war sachdienlich. Bei diesem Verfahren war mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass es im Gegensatz zu einem Alternativverfahren mit drei Kandidaten jeweils bereits im ersten Wahlgang zu einer Mehrheitsentscheidung kommen würde, da lediglich die Aktionäre, die beide Kandidaten ablehnten, mit „Nein“ stimmen würden.

3. Verjährung der Aufsichtsratshaftung, Urt. v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, NJW 2019, 596 = AG 2018, 893 Sachverhalt: Die Klägerin ist eine börsennotierte AG, die ein Softwareunternehmen 58 betreibt. Der Beklagte erwarb am 2.9.2002 27,4 % des Grundkapitals der zu diesem Zeitpunkt insolvenzreifen Klägerin und war von Oktober 2002 bis August 2013 Vorsitzender des Aufsichtsrats. Außerdem verfügte er in den Jahren 2005 bis 2011 über die Mehrheit der Stimmrechte in den Hauptversammlungen. Die Klägerin hat den Beklagten mit einer 2012 eingereichten Klage auf Rückerstattung eines an ihn ausgekehrten Kaufpreisanteils aus einer Vereinbarung vom September 2002 von 1,38 Mio. t und einer Darlehens-

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Drescher – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

rückzahlung von 133.000 t in Anspruch genommen, die beide Einlagenrückzahlungen sein sollten. Rechtliche Würdigung: 60 Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den Aufsichtsrat wegen unterlassener Verfolgung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Vorstand beginnt erst mit der Verjährung des Ersatzanspruchs der AG gegen den Vorstand. Dabei konnte offen gelassen werden, ob die Unterlassung eine Dauerhandlung ist oder ein wiederholtes Unterlassen vorliegt. In beiden Fällen begann die Verjährung erst mit der Verjährung des Ersatzanspruchs gegen den Vorstand. Es besteht keine Vergleichbarkeit mit der Haftung des Geschäftsführers einer GmbH wegen einer Auszahlung aus dem gebundenen Vermögen an den Gesellschafter, für das die Verjährung mit der Zahlung beginnt. Die besondere Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungs- und Kontrollorgan ist nicht mit der des Geschäftsführers vergleichbar. 61 Dass der Aufsichtsrat zugleich Begünstigter der Handlung des Vorstands war, kann nicht zu einem früheren Verjährungsbeginn führen. Die Pflicht, vorbeugend Pflichtenverstöße des Vorstands zu verhindern, ist von der Verfolgungspflicht nach einem Verstoß zu unterscheiden. Das Aufsichtsratsmitglied, das begünstigt wird, wäre sonst gegenüber einem anderen Aufsichtsratsmitglied im Vorteil. 62 Ein Selbstbezichtigungsverbot besteht nicht. Das Eigeninteresse muss wegen des besonderen Pflichtenverhältnisses des Aufsichtsrats zurückstehen. Hinzukommt, dass bei einem Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschrift nicht nur die Interessen der AG, sondern auch die ihrer Gläubiger verletzt werden.

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Bericht über die Diskussion des Referats Drescher Dr. Stephan Beth, M.C.L. (Mannheim/Adelaide) Richter am AG, Ludwigshafen/Karlsruhe Rz. I. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . .

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Rz. II. Aktienrecht. . . . . . . . . . . . . .

10

Der Diskussionsleiter J. Vetter dankte Drescher für das Referat und eröff- 1 nete die Diskussion, die sich sodann auf die von Drescher vorgestellten Entscheidungen aus den Bereichen des GmbH-Rechts und des Aktienrechts erstreckte.

I. GmbH-Recht J. Wertenbruch (Universität Marburg) bezog sich auf das Urteil vom 2 26.3.20191 und stimmte der Einordnung des Fremdgeschäftsführers als Arbeitnehmer i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG zu. Dass allerdings die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit bejaht worden sei, weil der Arbeitnehmerbegriff des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht mit demjenigen des AGG übereinstimme, überzeuge nicht. Das BAG habe einige Wochen zuvor im Fall einer schwerbehinderten Krankenhausgeschäftsführerin die Zuständigkeit der ArbG bejaht. Dabei sei er von einer arbeitgeberähnlichen Stellung ausgegangen. Zur Begründung könne auch das Weisungsrecht der GmbH-Gesellschafter herangezogen werden. Dieses sei mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers vergleichbar, da es gesetzlich nicht eingeschränkt werde. Dem EuGH habe es in seiner Danosa-Entscheidung ebenfalls ausgereicht, dass das Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft einem Weisungsrecht eines anderen Organs unterlegen habe, wenn es darin über keine Mehrheit verfüge. Wenn der GmbH-Fremdgeschäftsführer unionsrechtlich als Arbeitnehmer einzuordnen sei, müsse er auch im nationalen Prozessrecht als solcher behandelt werden. Das Prozessrecht diene der Durchsetzung des materiellen Rechts. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff umfasse daher das Recht des Arbeitnehmers, sein Recht vor demjenigen Gericht durchset1 BGH, Urt. v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, ECLI:DE:BGH:2019:260319IIZR244.17.0, ZIP 2019, 960 = GmbHR 2019, 659 m. Anm. Kothe-Heggemann.

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zen zu können, das im nationalen Recht normalerweise für Arbeitnehmer zuständig sei. Drescher verwies indes auf die feinsinnige Unterscheidung des BAG, wonach für Geschäftsführer nur dann der Rechtsweg zu den ArbG eröffnet sei, wenn das Vertragsverhältnis der Parteien als Arbeitsvertrag qualifiziert werden könne. Er sehe insoweit keine Differenzen. Im Übrigen bejahe das BAG die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit regelmäßig auch bei Rechtsstreitigkeit im Zusammenhang mit dem Geschäftsführerdienstvertrag. 3 M. Pöschke (Universität Freiburg) nahm zu dem Urteil des Senats vom 8.1.20192 Stellung und stimmte dem Senat insoweit zu, dass einer analogen Anwendung der § 179a AktG auf die GmbH die Strukturunterschiede beider Gesellschaftsformen entgegenstünden. Auch der Überlegung des Senats, eine aus der Anwendung von § 179a AktG folgende Unwirksamkeit im Außenverhältnis vertrage sich nicht mit dem Grundsatz, wonach die organschaftliche Vollmacht im Außenverhältnis unbeschränkt und unbeschränkbar sei, könne restlos zugestimmt werden. Problematisch sei jedoch der zweite Teil der Entscheidung in dem sich der Senat zu den Voraussetzungen des Missbrauchs der Vertretungsmacht geäußert habe. Ob ein Mangel der innergesellschaftlichen Kompetenz wegen des fehlenden Zustimmungsbeschlusses auf das Außenverhältnis durchschlagen könne, werde schon länger diskutiert. Dabei bestehe – trotz Abweichungen in der dogmatischen Begründung – im Ergebnis seit langem Einigkeit zwischen Schrifttum und BGH, dass über die Fälle eines kollusiven Zusammenwirkens hinaus auch dann ein Durchschlagen anzunehmen sei, wenn eine Evidenz des Missbrauchs festgestellt werden könne. Insoweit reiche es nicht, dass der Kompetenzmangel vom Gegenüber nur für möglich gehalten werde, sondern dieser müsse sich regelrecht aufdrängen. Ebenso wie vom Senat in der Entscheidung vom 8.1.2019 ausgeführt, könne von einer Evidenz ausgegangen werden, wenn das ganze Unternehmen veräußert werde. Der Senat habe aber weiter ausgeführt, es könne auch genügen, wenn nur ein Vermögensgegenstand veräußert werde, der möglicherweise das gesamte oder einen bedeutenden Teil des Vermögens ausmache. Den Vertragspartner treffe eine Erkundigungspflicht, wenn er wisse, dass ein maßgeblicher Gesellschafter mit der Veräußerung nicht einverstanden sei. Insoweit stelle sich die Frage, ob der Senat das Erfordernis der Evidenz aufgegeben habe und nunmehr schon bei Zweifeln den Mangel der Zustimmung im Innenverhältnis auf das Außenverhältnis 2 BGH, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 = AG 2019, 422 = GmbHR 2019, 528 m. Anm. Ulrich.

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durchschlagen lassen wolle. Denn bei den genannten Fällen sei das Vorliegen einer Evidenz zu bezweifeln. Es handele sich um Fälle in denen der Geschäftspartner allenfalls damit rechnen könne, dass eine Zustimmung erforderlich ist und ggf. fehlt. Drescher stellte heraus, dass die beanstandeten Passagen der Entscheidung bewusst im Konjunktiv formuliert seien. Ihr könne lediglich entnommen werden, dass der Mangel möglicherweise ins Außenverhältnis durchschlage. Die Ausführungen seien als Mahnung an die Instanzrechtsprechung zu sehen, nicht vorschnell eine Evidenz zu verneinen, wenn von den Parteien eine Unwissenheit behauptet werde. Im konkreten Fall habe der Gesellschafter, der keine Veräußerung wollte, mitbekommen, an wen die Veräußerung erfolgen solle. Er habe daraufhin dem Kaufinteressenten einen Brief geschrieben und auf die fehlende Befugnis des anderen Liquidators hingewiesen. Darüber hinaus habe er den Notar schriftlich über die Notwendigkeit eines Zustimmungsbeschlusses in Kenntnis gesetzt. Das Schicksal des Schreibens an den Notar sei unbekannt, merkwürdigerweise habe aber nicht der Notar, sondern sein Vertreter die Beurkundung durchgeführt. Auch der angeschriebene Kaufinteressent habe nicht selbst das Grundstück gekauft, sondern dessen Bruder. Aus Dreschers Sicht müsse die Praxis die Umstände des Einzelfalls genau betrachten und dürfe sich nicht mit oberflächlichem Vortrag zur Annahme einer fehlenden Evidenz verleiten lassen. T. Schmuck (RA, Frankfurt) begrüßte die Entscheidung, hätte sich aber 4 auch eine Aussage zur grundsätzlichen Analogiefähigkeit des § 179a AktG gewünscht. So sei weiterhin unklar, ob die Norm auf die Kommanditgesellschaft Anwendung finde. Es komme in der Praxis häufig vor, dass eine Projektgesellschaft in der Rechtsform der GmbH&Co KG ihren einzigen Vermögengegenstand veräußere. Dabei bestehe Unsicherheit, ob ein Beschluss der Kommanditgesellschaft notwendig sei und ob dieser beurkundet werden müsse. Drescher verwies auf etwas unglückliche Entscheidungen des Senats aus den 90er-Jahren, in denen ohne nähere Begründung eine analoge Anwendung angenommen worden sei. Die Frage einer analogen Anwendung des § 179a AktG in Bezug auf Personengesellschaften habe der Senat bei der Entscheidung vom 8.1.2019 bewusst offengelassen, um die weitere Diskussion abzuwarten.

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5 A. Heidinger (Deutsches Notarinstitut, Würzburg) lenkte die Betrachtung des Urteils vom 8.1.20193 auf den Aspekt der notariellen Beurkundung. Diesbezüglich werde momentan alles Mögliche in der Literatur vertreten. In der Praxis stelle sich für Notare die Frage auch außerhalb von § 179a AktG, wenn es sich um ein Grundlagengeschäft handele. Insoweit sei unklar, ob eine Beurkundung in Analogie zum Auflösungs- oder Satzungsänderungsbeschluss erforderlich sei, jedenfalls wenn es durch die Veräußerung zu einer Änderung des Unternehmensgegenstandes komme. Gehe man von einer Beurkundungsbedürftigkeit aus, würde es über den Umweg des Missbrauchs der Vertretungsmacht eventuell wieder zur Außenwirkung kommen. Ob also durch die Ablehnung der analogen Anwendung des § 179a AktG tatsächlich das Haftungsrisiko der Notare minimiert werde, wie im Urteil ausgeführt, sei zweifelhaft. Drescher stimmte zu, dass mit der Ablehnung der Anwendbarkeit des § 179a AktG noch keine Aussage über die Notwendigkeit der Beurkundung getroffen sei. Insoweit müsse man nach allgemeinen Grundsätzen fragen, ob ein Beschluss der Gesellschafterversammlung beurkundungsbedürftig sei, weil es sich vielleicht um eine Satzungsänderung handele. Die Diskussion in der Literatur sei hierzu leider sehr diffus. Da es im entschiedenen Fall nicht auf diese Problematik angekommen sei, habe sich der Senat mit ihr bewusst nicht vertieft befasst. Es könne jedoch Fälle geben, in denen ein Beschluss mittelbar zu einer Änderung des Unternehmensgegenstandes führe. In so einem Fall werde darüber gestritten, ob eine notarielle Beurkundung erforderlich sei. Andererseits gebe es auch Fälle, bei denen sicher keine Änderung des Unternehmensgegenstands vorliege; beispielsweise wenn eine Projektgesellschaft ein Grundstück oder fertiggestellte Wohnungen verkaufe. Diese Fälle dürften einen großen Teil ausmachen und wären unproblematisch zu lösen. Hinsichtlich der verbleibenden, rechtlich unsicheren Fälle müsse der Senat im Bedarfsfall ausloten, wie zu entscheiden sei. 6 U. Noack (Universität Düsseldorf) warf einen kritischen Blick auf das Urteil vom 20.11.2018.4 Es sei zu hinterfragen, ob es dabei bleiben könne, dass gegen die Beschlussverkündungen des zu Unrecht tätigen Versammlungsleiters die Anfechtungsklage erhoben werden müsse. In der Konsequenz bedeute diese Rechtsprechung, der zu Unrecht agierende Ver3 BGH, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 = AG 2019, 422 = GmbHR 2019, 528 m. Anm. Ulrich. 4 BGH, Urt. v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335 m. Anm. Wachter.

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sammlungsleiter prozessiere auf die Kasse der Gesellschaft, denn diese sei Passivpartei bei der Anfechtungsklage. Der Gesellschafter, der sich zu Unrecht zum Versammlungsleiter erklärt habe – so die Prämisse –, nähme für sich die Gesellschaft in Anspruch. Es sei wie im Wilden Westen. Wer sich zuerst zum Versammlungsleiter erkläre, habe die Gesellschaft im Sack. Wer zuerst in den Versammlungssaal hereinkomme und erkläre, er sei der Versammlungsleiter, der könne Beschlüsse feststellen, die nur mit der Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft angegriffen werden könnten. Ob das durchzuhalten sei, zweifelte Noack an. Die Prozessführung auf Kosten der Gesellschaftskasse, so Drescher, sei die Konsequenz daraus, dass man die gefassten Beschlüsse der Gesellschaft zurechne. Ob die Gesellschaft für die Kosten im Endergebnis aufkommen müsse, sei nicht ausgemacht. Trage in einer Zweipersonengesellschaft ein Gesellschafter dazu bei, dass ein nichtiger Beschluss zustande komme, und müsse die Gesellschaft deswegen die Prozesskosten tragen, könne man jedenfalls diskutieren, ob die Gesellschaft Regress nehmen könne. Hierzu gebe es auch einen vor ein paar Jahren in der GmbHR erschienen Aufsatz.5 Das müsse dann entsprechend für ein fehlerhaftes Vorgehen des Versammlungsleiters gelten. Andere Lösungswege überzeugten nicht, soweit sie dazu führten, dass im Ergebnis überhaupt keine Versammlungsleitung vorhanden sei. Es sei vorzugswürdig, einen festgestellten Beschluss, also einen klar umrissenen Gegenstand des Streits zu haben. Ansonsten würde eine vollkommen unübersichtliche Situation entstehen. Komme es zur Durchführung zweier konkurrierender Versammlungen, müsse bestimmt werden, wer der richtige Versammlungsleiter sei. Zu einem solchen Fall gäbe es eine ältere Entscheidung des Senats,6 die einen Fall betroffen habe, bei dem sich der Versammlungsleiter seiner Abwahl verweigert habe. Daraufhin seien die Gesellschafter in einen Nebenraum gegangen und hätten dort die Versammlung fortgesetzt. Der Entscheidung vom 20.11.2018 habe indes ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Dort habe ein Gesellschafter die Versammlungsleitung übernommen und der andere habe sich dem gebeugt. In einer solchen Situation inhaltlich ordnungsgemäße Beschlüsse (bspw. die Feststellung des Jahresabschlusses) nur deshalb für nichtig zu erklären, weil diese der falsche Versammlungsleiter festgestellt habe, sei nicht richtig.

5 Meyer, GmbHR 2010, 1081. 6 BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 230/08, ZIP 2010, 1640 = GmbHR 2010, 977 m. Anm. Münnich.

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7 Zur Entscheidung vom 6.11.20187 wies H. Anzinger (Universität Ulm) darauf hin, es sei nicht ganz ungewöhnlich, wenn eine Gesellschaft in der Krise, vielleicht kurz vor Eintritt der Insolvenzantragspflicht, durch Verschmelzung mit einer gesunden Gesellschaft geräuschlos beseitigt werde. Dabei werde nicht selten in Folge der Verschmelzung die gesunde Gesellschaft mit in den Abgrund gerissen. Eine parallele Fallgestaltung habe der BGH bereits in seiner Entscheidung vom 6.12.2011 für die Aktiengesellschaft behandelt. Die Ablehnung des Differenzhaftungsanspruchs sei zu begrüßen, da ansonsten auch die überstimmten Gesellschafter haften müssten. Es stelle sich indes die Frage, wie der Schaden zu bemessen sei, wenn ein Anspruch aus Existenzvernichtungshaftung bejaht werde. Zwar könne der vernichtete Wert der ursprünglich gesunden Gesellschaft herangezogen werden, aber die Existenzvernichtungshaftung solle doch die Gläubiger schützen. Sollten diese mit ihren Forderungen schadlos gehalten werden, stelle sich das Problem, dass die Forderungen zum Zeitpunkt der Verschmelzung nicht mehr werthaltig gewesen seien. Vor diesem Hintergrund könnte auch überlegt werden, auf den werthaltigen Teil der Forderungen unter Berücksichtigung der ersparten Kosten des Insolvenzverfahrens abzustellen. Drescher erwog, die Belastung des übernehmenden Rechtsträgers mit den Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers als Schaden anzusehen. Dabei sei der negative Wert zu ersetzen, jedenfalls bis zur Höhe der im späteren Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen. 8 R. Wilhelmi (Universität Konstanz) begehrte zum Teilurteil vom 6.11.20188 Auskunft, warum der BGH Ansprüche aus §§ 30, 31 GmbHG nur inzident geprüft habe. Drescher wies darauf hin, dass bekanntlich die Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG in der Existenzvernichtungshaftung aufgehe. Der Senat habe vor diesem Hintergrund davon abgesehen, die komplexen Verhältnisse und Diskussionen zur Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG aufzugreifen, solange das Berufungsgericht noch keine abschließenden Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen der Existenzvernichtungshaftung getroffen habe.

7 BGH, Teilurteil v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, ECLI:DE:BGH:2018: 061118UIIZR199.17.0, BGHZ 220, 179 = AG 2019, 302 = GmbHR 2019, 172 m. Anm. Kleindiek. 8 BGH, Teilurteil v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, ECLI:DE:BGH:2018: 061118UIIZR199.17.0, BGHZ 220, 179 = AG 2019, 302 = GmbHR 2019, 172 m. Anm. Kleindiek.

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Mit dem Urteil vom 16.7.20199 beschäftigte sich T. Drygala (Universität 9 Leipzig) und zeigte sich von der Grenzziehung des Senats nicht überzeugt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum eine satzungsüberlagernde Wirkung nicht bereits bei einer Gewinnabführung von 20 % an einen gesellschaftsexternen Dritten angenommen werde. Zumeist finde sich in der Satzung der Gesellschaften eine Regelung wonach nur Gesellschafter gewinnbezugsberechtigt seien. Werde vor diesem Hintergrund ein Rechtsgeschäft abgeschlossen, das einem gesellschaftsexternen Dritten einen Teil des Gewinns zuweise, handele es sich um eine klare Satzungsdurchbrechung mit Dauerwirkung. In so einem Fall sei es angezeigt, dass eine Beschlussfassung mit 3/4-Mehrheit und eine notarielle Beurkundung erfolge, wenn die Gesellschafter der Teilgewinnabführung zustimmen wollten. Eine Handelsregistereintragung sei wohl verzichtbar, da der Teilgewinnabführungsvertrag die gesellschaftsinternen Verhältnisse betreffe und die Öffentlichkeit kaum berühre. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen einer faktischen Satzungsänderung vor, und zwar nicht erst bei einer Gewinnabführung von 50 %, sondern schon dann, wenn überhaupt Gewinn an gesellschaftsexterne Dritte dauerhaft abgeführt werde. Drescher entgegnete, die ausgeführten Argumente seien dem Senat bekannt gewesen, er sei dieser Ansicht aber aus den im Urteil niedergelegten Gründen nicht gefolgt. Gewinn- bzw. ergebnisabhängige Zahlungen an Dritte, die auf einer schuldrechtlichen Vereinbarung beruhten, seien nicht als Gewinnverteilung i.S.d. § 29 GmbHG zu qualifizieren, sondern als normale Geschäftsverbindlichkeiten. Es sei nicht richtig, diese einer Beurkundung zu unterwerfen. Wir müssten sicher sagen, der vollständigen Gewinnabführung kommt es gleich, wenn 98 % abgeführt werden. Dann bleibt für die Gesellschafter nichts mehr übrig und man kann von einer satzungsüberlagernden Wirkung sprechen. Bleibt indes der Großteil für die Gesellschafter übrig, ist es eher so, als wenn die Gesellschaft ein ungünstiges Geschäft abschließt.

II. Aktienrecht E. Vetter (RA, Köln) richtete den Blick auf die Entscheidung vom 10 9.10.201810 mit der für die Hauptversammlung zwar geklärt sei, dass ein Verstoß gegen die Entsprechenserklärung nicht als Beschlussmangel gel9 BGH, Urt. v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, AG 2019, 828 = ZIP 2019, 1857 = GmbHR 2019, 1176. 10 BGH, Urt. v. 9.10.2018 – II ZR 78/17, BGHZ 220, 36 = AG 2019, 176 = ZIP 2019, 322.

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Beth – Bericht über die Diskussion des Referats Drescher

tend gemacht werden könne. Für Beschlussfassungen im Aufsichtsrat sei die Situation aber weiterhin unbefriedigend. E. Vetter bildete zur Begründung den Beispielsfall einer Aufsichtsratssitzung, in der ein Beschluss über einen Wahlvorschlag an die Hauptversammlung gefasst werde, der der Entsprechenserklärung widerspreche. Weise ein Aufsichtsratsmitglied auf die fehlende Übereinstimmung mit der Entsprechenserklärung hin und werde der Beschluss gleichwohl gefasst, ohne dass die Entsprechenserklärung geändert werde, führe dies zu einer problematischen Rechtslage. Das dissentierende Aufsichtsratsmitglied könne lediglich einen Widerspruch zu Protokoll geben oder eine Feststellungsklage erheben mit dem Ziel, die Änderungsbedürftigkeit der Entsprechenserklärung feststellen zu lassen. Ein rechtskräftiges Urteil sei aber erst nach mehreren Jahren zu erwarten. Bis dahin habe sich der Aufsichtsrat in jedem Fall neu konstituiert, möglicherweise wäre das dissentierende Aufsichtsratsmitglied nicht mehr im Amt. Dies sei ein unbefriedigender Befund und eine Schwächung des „comply or explain“-Prinzips. Darauf entgegnete Drescher, der Aufsichtsrat habe bei der Entscheidung vom 9.10.2018 tatsächlich nicht im Fokus gestanden. Er sei aber zuversichtlich, dass sich die weit überwiegende Zahl der Aufsichtsräte ordnungsgemäß verhielten und zutreffende Entsprechenserklärungen veranlassten. Wenn Aufsichtsratsmitglieder eine notwendige Änderung der Entsprechenserklärung behinderten, könne dies im Rahmen der Entlastungsentscheidung sanktioniert werden. Er begrüße es grundsätzlich, wenn der DCGK von den Gerichten nicht wie ein Gesetz ausgelegt werden müsse und ein Bereich für eigenverantwortliche Lösungen bei den Unternehmen verbliebe. In dem entschiedenen Fall sei im Übrigen auch unsicher gewesen, ob überhaupt ein Verstoß gegen den DCGK vorgelegen habe. So sei fraglich, ob der Verwaltungsratsvorsitzende einer schweizerischen AG einem deutschen Vorstand gleichstehe. Auch sei nicht klar gewesen, ob alle Gesellschaften börsennotiert im Sinne des DCGK gewesen wären. 11

Abschließend bedankte sich Diskussionsleiter J. Vetter bei Drescher und den anderen Teilnehmern für die spannende und ertragreiche Diskussion.

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Praxis und Regulierung von Stimmrechtsberatern Eine nicht bewältigte systemische Herausforderung Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider

Rz.

Rz. I. Fragestellung. . . . . . . . . . . . .

1

II. Die Ausgangslage . . . . . . . . .

2

III. Auf dem Weg in den Staatsfond- und Pensionskassenkorporatismus. . . . . . . . . . . .

4

IV. Die ausländischen institutionellen Anleger . . . . . . . . .

5

V. Stimmrechtsberatung – ein globales Geschäftsmodell. . .

6

VI. Wer sind die Stimmrechtsberater? . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

VII. Die rechtspolitischen Herausforderungen . . . . . . . 1. Kein Handlungsbedarf? . . . . 2. Die unzulängliche gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . VIII. Ein systemisches Risiko . . . 1. Institutionelle Missbrauchsaufsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalmarktrechtliche Transparenz . . . . . . . . . . . . .

13 14 15 22 25 26

I. Fragestellung Es gibt in zunehmendem Maße heftige Erfahrungen mit Stimmrechts- 1 beratern auf der Hauptversammlung, etwa bei der Deutsche Bank AG, bei der Deutsche Börse AG, bei der Bayer AG, bei der Norma AG und vielen anderen. Wenn man dies aus der Nähe verfolgt hat, fragt man sich: Sind Stimmrechtsberater wirklich machtlos, wie dies von der Beratungsindustrie unterwürfig behauptet wird1 oder sind sie die neuen „activist organizations“? Was ist dran am Brandbrief von Stefan Quandt2, dem glücklichen Miteigentümer von BMW, veröffentlicht am 23.6.2019? Dort heißt es, die Abstimmungsergebnisse auf den Hauptversammlungen seien zunehmend davon abhängig, ob der jeweilige Tagesordnungspunkt den internen Richtlinien der Stimmrechtsberater entspreche. Er – nämlich Stefan Quandt – halte daher die von den Stimmrechtsberatern veranlasste 1 v. Oehsen, HV-Magazin, Heft 4 2018, 13; s. auch Strenger, BZ vom 6.2.2018, S. 13; dagegen aber anstelle vieler: Vaupel, AG 2011, 63. 2 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 23.9.2019, S. 13.

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Uwe H. Schneider – Praxis und Regulierung von Stimmrechtsberatern

Stimmrechtsausübung – Zitat – „schlichtweg für intellektuell absurd und bedenklich“. –

Da lohnt es sich, näher hinzuschauen: Was ist geschehen? Was ist das Geschäftsmodell der Stimmrechtsberater? Beschränkt sich ihre Beratung auf gute Corporate Governance oder ist die Beratung auch auf Strukturfragen ausgeweitet? Handelt es sich bei den Investoren, die blind den Stimmrechtsempfehlungen folgen, um Teilnehmer an einem vielfach nicht offengelegten acting in concert?



Wer verbirgt sich hinter den Stimmrechtsberatern?



Ist die Regelung zu den Stimmrechtsberatern in der Zweiten Aktionärsrechterichtlinie und im Umsetzungsgesetz ausreichend oder höchst unzulänglich?



Was ist von den gerade überarbeiteten und veröffentlichten Best Practice Principles for Providers of Shareholder Voting Research & Analysis 2019 und den neuen Guidance Regarding Proxy Voting Responsibilities der US-amerikanischen Securities and Exchange Commission vom August 20193 zu halten?



Und endlich gute Nachricht: Für Anwälte besteht neuer Beratungsbedarf; denn es gibt jede Menge ungeklärter Rechtsfragen.4

Davon handelt der folgende Beitrag.

II. Die Ausgangslage 2 Was ist geschehen? Bei vielen börsennotierten Unternehmen herrscht Unsicherheit aufgrund des wachsenden Einflusses der Stimmrechtsberater. Drei Beispiele stehen für viele. Erster Fall: Institutional Shareholder Services, kurz ISS, ein weltweit führender Stimmrechtsberater, hat den Anteilseignern der Deutsche Börse AG geraten, auf der Hauptversammlung 2018 dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Carsten Kengeter die Entlastung zu verweigern. Mit Erfolg. Begründet wurde diese Empfehlung mit dem damals laufenden Ermittlungsverfahren gegen Herrn Kengeter wegen des Verdachts des Insiderhandels. Dagegen empfahl ISS die Entlastung und Wiederwahl des Aufsichtsratsvorsitzenden Joachim Faber, der

3 17 CFR PARTS 271, 276. 4 Hüffer/Koch, 13. Aufl. 2018, § 76 AktG Rz. 36: Praxis und Wissenschaft „tun sich mit der rechtlichen Erfassung des Phänomens privater Stimmrechtsberater deutlich schwerer …“.

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wegen des Vergütungsprogramms, das die Insidertransaktion zur Folge hatte, in der Kritik stand. Mit Erfolg. Zum zweiten Fall: Norma, ein börsennotiertes Unternehmen aus dem 3 MDAX, hat böse Überraschungen erlebt. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Dr. Stefan Wolf, wurde durch die Hauptversammlung 2018 abberufen. Den Ausschlag für Wolfs spektakuläre Abwahl gaben einflussreiche Stimmrechtsberater, die u.a. dessen Ämterhäufung kritisierten. Der Stimmrechtsberater Glass Lewis monierte, dass Herr Dr. Wolf vor der Neuwahl des Aufsichtsrats nicht einmal den Nominierungsausschuss des Gremiums einberufen hatte. Dritter Fall: Bei der Henkel AG sollte auf der Hauptversammlung 2019 der Vorschlag unterbreitet werden, 43,8 Mio. neue Vorzugsaktien auszugeben. Wegen des angekündigten Widerstands eines Stimmrechtsberaters wurde der Vorschlag von der Tagesordnung genommen.5 Im Vorstand der Henkel AG herrschte eine gewisse Betroffenheit. Was zeigen die Beispiele? In vielen Unternehmen geht nichts mehr gegen das Votum der Stimmrechtsberater.

III. Auf dem Weg in den Staatsfond- und Pensionskassenkorporatismus Was ist der Hintergrund für die wachsende Bedeutung der Stimmrechts- 4 berater und die hieran anknüpfende auch im Ausland lebhaft geführte Diskussion? Ernst & Young untersucht regelmäßig die Struktur der Anteilseigner bei den deutschen börsennotierten Aktiengesellschaften. Hierbei ergibt sich, dass 55 % der Aktien der DAX-Unternehmen bei ausländischen Investoren liegen, und zwar vorrangig bei institutionellen Anlegern. Berichtet wird, dass der Staatsfond von Norwegen an rund 9.000 börsennotierten Gesellschaften6 und manche US-amerikanischen Pensionsfonds an mehr als 5.000 Aktiengesellschaften beteiligt sind.7 Das bedeutet: Wir sind im Staatsfond- und Pensionskassenkorporatismus angelangt. Und als Folge davon sehen wir die Herrschaft der Stimmrechtsberater.

5 BörsenZ vom 9.4.2019, S. 13. 6 FAZ vom 21.8.2019, S. 23. 7 Schockenhoff/Nußbaum, ZGR 2019, 163 Fn. 1.

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IV. Die ausländischen institutionellen Anleger 5 Das sind neben den Staatsfonds zum einen etwa BlackRock und Vanguard. Sie alle haben einen großen Stab an Research Mitarbeitern und deshalb eigene Expertise bei Wahrnehmung der Stimmrechte. Zu den institutionellen Anlegern gehören zum anderen aber auch eine Vielzahl kleinerer und kleinster Fonds, wie etwa der Virginia Retirement System Fund oder der Teachers’ Retirement System of Louisiana. Allgemein formuliert: Sie stehen für die vielen Pensionsfonds der amerikanischen, kanadischer und anderer Lehrer, Krankenschwestern und Feuerwehrleute.

V. Stimmrechtsberatung – ein globales Geschäftsmodell 6 Da gibt’s eine nur schwer verständliche Definition in Art. 2g der Zweiten Aktionärsrechterichtlinie 20178. Die Definition lautet wie folgt: „Stimmrechtsberater bezeichnet eine juristische Person, die gewerbsmäßig und entgeltlich Offenlegungen durch Gesellschaften und gegebenenfalls andere Informationen börsennotierter Gesellschaften analysiert, um Anleger für ihre Abstimmungsentscheidungen zu informieren, indem sie Recherchen, Beratungen oder Stimmempfehlungen in Bezug auf die Ausübung von Stimmrechten erteilt.“ Etwas einfacher formuliert: Im Vordergrund des Geschäftsmodells steht die Beratung der institutionellen Anleger bei der Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung, teilweise aber auch die Vertretung der Anleger bei der Wahrnehmung der Stimmrechte. 7 Zu diesem Zweck werden von den Stimmrechtsberatern in Absprache mit den Investoren im zeitlichen Abstand vor der Hauptversammlung Richtlinien zur Ausübung der Stimmrechte (Voting Guidelines9) erarbeitet. Sie sind in ganz allgemeiner Form, schematisch, ohne Rücksicht auf branchenspezifische Besonderheiten oder das einzelne Unternehmen. Dabei ist zu unterscheiden:

8 Richtlinie EU 2017/828 vom 17.5.2017, ABl. Nr. L 132 v. 20.5.2017, S. 1. 9 S. exemplarisch die Richtlinien zur Ausübung der Stimmrechte 2019 der EthosStiftung, 18. Ausgabe.

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Im Vordergrund stehen Fragen der Corporate Governance10, die Angemessenheit der Vergütung der Vorstände11, die Qualifikation und Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder, die Cooling-Off-Periode, die Dauer der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder usw. Man könnte fast sagen, insoweit werden die Stimmrechtsberater zur „Corporate-Governance-Polizei“.



Hinzu kommen zweitens Empfehlungen über Beschlüsse über die Kapitalstruktur, Anti-Takeover-Maßnahmen, Entscheidungen über Unternehmenszusammenschlüsse usw.12 Insoweit werden Stimmrechtsberater zur „Struktur-Polizei“.



Weitgehend bei den Empfehlungen ausgeklammert sind Fragen der konkreten Unternehmenspolitik und bedeutsame Maßnahmen des Tagesgeschäfts. Nur im Rahmen der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat werden Einzelfragen aufgegriffen, wie etwa in der Hauptversammlung der Bayer AG die Bedeutung der Prozessrisiken. Mit dieser Begründung wurde empfohlen, die Entlastung zu verweigern. Ohje, was geschieht, wenn sich dies im Jahr 2020 wiederholt?

Soweit die Anlagen der institutionellen Anleger aktiv gemanagt sind 8 und über eigene Abstimmungsrichtlinien verfügen, werden ihnen die allgemeinen Abstimmungsrichtlinien der Stimmrechtsberater kommuniziert. Hieraus werden sodann von den großen Investoren die Abstimmungsentscheidungen abgeleitet. Ob das allerdings breitflächig geschieht, ist zweifelhaft. Anders ist die Lage bei den passiv gemanagten Anlagen und solchen institutionellen Anlegern, denen eigene Expertise fehlt. Sie folgen, wie es 10 Zschorn, Leiterin der Analyseabteilung von IVOX Glass Lewis, in Finance vom 9.8.2018: „Es sind meistens Formfehler, die dazu führen, dass wir Kritik üben müssen.“ 11 S. dazu: Favoccia/Siepelt, BZ vom 20.8.2019, S. 8. 12 Kritisch dazu Institute for Governance, The Troubling Case of Proxy-Advisors, Policy Paper Nr. 7, erstellt von Yvan Allaire, 2013, S. 25: „Whenever proxy advisors get involved in takeover situations, they are recommending in effect that their institutional clients sell, or not sell, their shares to a would-be acquirer. In those circumstances, they should be subjected to regulations put in place for financial advisers and investment bankers giving an „opinion“ to a board about a merger or acquisition transaction. Any such advice given by proxy advisors should inform all parties concerned as to whether the proxy advisor has acted as consultant in any way for any of the parties involved in the transaction over the last two years.“

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in einem Bericht von BlackRock vom Juli 2018 mit dem Titel „Investment Stewardship Ecosystem“13 heißt, blind den Abstimmungsempfehlungen der Stimmrechtsberater. 10 Eine weitere zu einem schweren Interessenkonflikt führende Tätigkeit von Stimmrechtsberatern besteht darin, dass sie – man kann es nicht glauben – unmittelbar oder über Tochtergesellschaften die Emittenten über ihre Governance beraten und sich in den USA an class actions beteiligen. Exemplarisch ist die Beratungstätigkeit von ISS Corporate Solutions, einer Tochtergesellschaft von ISS. Zum Unternehmenszweck heißt es: „ISS Corporate Solutions provides corporate governance and executive compensation, benchmarking and analytical tools and advisory services to corporate issues and professional services firms.“ Das hindert ISS nicht daran, Abstimmungsempfehlungen auch über Gegenstände vorzulegen, die zuvor bei den betreffenden Unternehmen beraten wurden. Ein wunderbares, höchst einträgliches Geschäftsmodell!

VI. Wer sind die Stimmrechtsberater? 11

Da lohnt es sich, darüber nachzudenken, wer sich hinter den Stimmrechtsberatern verbirgt. Im Wesentlichen handelt es sich um zwei große, weltweit tätige Unternehmen. Das größere dieser Unternehmen, nämlich ISS mit Sitz in New York und mit ihrer Tochtergesellschaft ISS Europe SA mit Sitz in Brüssel, gehören seit 2017 zu einem Private Equity Unternehmen, nämlich Genstar Capital.14 ISS analysiert jährlich 42.000 Unternehmen weltweit und hat zu diesem Zweck mehr als 370 research and/or data professionals.15 Das zweite große Unternehmen ist Glass Lewis, deren Tochtergesellschaft IVOX Glass Lewis in Europa tätig ist.16 Glass Lewis gehört heute dem Brontario Teachers’ Pension Plan 13 BlackRock, Investment Stewardship Ecosystem, 2018, S. 5: Andere Investoren stützen sich bei ihrer Abstimmungsentscheidung wiederum zu einem höheren Maß bzw. ausschließlich auf die Empfehlungen von Stimmrechtsberatern. 14 Zur Tätigkeit und Bedeutung von ISS s. das Schreiben von Retelny, President and CEO von ISS vom 30.5.2018 an den Chairman des Subcommittee on Securities, Insurance and Investment, Senate Banking, United States Senate. 15 ISS hat 2019 erklärt: „Neither Genstar nor their employees are informed of the contents of any of ISS analyses or recommendations prior to their publication.“ 16 Zur Tätigkeit von Glass Lewis s. die Stellungnahme von Katherine Rabin vom 22.8.2019, abzurufen unter www.glasslewis.com/glass-lewis-ceo-Katheri ne-rabin-issues-statement-regarding-SEC-guidance.

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Board und der Alberta Investment Corporation. Nach eigenen Angaben hat Glass Lewis 360 Mitarbeiter und betreut 1.300 Kunden. Daneben gibt es eine Reihe kleinerer Unternehmen, wie etwa ProxInvest, ein französischer „conseiller en vote“ und Ethos, eine schweizerische Stiftung, die nach eigenen Angaben mehr als 220 schweizerische Pensionskassen zusammenschließt. Über eine Tochtergesellschaft werden Beratungs- und Vermögensverwaltungsmandate betreut.

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VII. Die rechtspolitischen Herausforderungen Was sind die rechtspolitischen Herausforderungen, die sich aus der wach- 13 senden Bedeutung der Stimmrechtsberater ergeben? Dabei geht es zum einen um das Verhältnis zwischen dem Aktionär und dem Stimmrechtsberater. Davon handelt die neue Guidance der SEC vom August 2019. Dabei geht es um die Erwartungen an den Investor, das Stimmrecht auszuüben.17 Darauf will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Und zum anderen geht es um das Verhältnis der Anleger und der Stimmrechtsberater zu den Emittenten. Da gibt es – etwas vereinfacht formuliert – drei Positionen. Erstens, es bestehe kein Handlungsbedarf. Zweitens, es gebe nur punktuell die Notwendigkeit, die Dinge zu regeln. Und drittens, das Verhalten der Stimmrechtsberater sei „intellektuell absurd“, wirtschaftsverfassungsrechtlich ein großes Unglück und ein systemisches Risiko.

1. Kein Handlungsbedarf? Der im Jahr 2013 von der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, 14 nämlich der ESMA, vorgelegte Bericht18 sieht die Entwicklung unkritisch. Es gebe keine klaren Anhaltspunkte für Marktversagen. Eine gesetzliche Regelung sei nicht erforderlich. Erarbeitet werden sollte nur ein Verhaltenskodex zur Information der Anleger.

17 Stephan Sturm, Vorsitzender des Vorstands der Fresenius SE: Kein Anspruch auf Dividende, wenn das Stimmrecht nicht ausgeübt wird. 18 ESMA, The Proxy Advisor Industry, Febr. 2013; ESMA, Follow-Up Report on the Development of the Best Practice Principles for Providers for Shareholder Voting Research & Analysis, 2015; sowie schon ESMA, Discussion Paper, An Overview of the Advisory Industry: Considerations on Possible Policy Options, 22.3.2012; Corocole, ECFR 2016, 106; Balp, ECFR 2017, 1.

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2. Die unzulängliche gesetzliche Regelung 15

Überzeugend ist das nicht. Unberücksichtigt bleiben dabei all die Vorbehalte, die zum Aufreger wurden. Übersehen wird, dass etwa in den USA19 und in Kanada20, eine überaus streitige Diskussion geführt wird. Nur in Deutschland ist die Diskussion bisher überschaubar.21 Die in der Praxis geäußerte Kritik am Geschäftsmodell der Stimmrechtsberater ist eher zurückhaltend. Das hat seinen Grund wohl darin, dass die Unternehmen fürchten, die Sympathie von ISS und Glass Lewis zu verlieren. Vor allem werden kritisiert: –

die nicht offengelegten Ziele der Stimmrechtsberater und ihrer Empfehlungen. So wird die Frage gestellt, ob ISS und Glass Lewis auch die Geschäftsinteressen ihrer jeweiligen Holding-Gesellschaften verfolgen.



die fehlende Transparenz hinsichtlich der Unternehmen, die den Empfehlungen folgen,



die schematischen Empfehlungen, die für alle Unternehmen identisch sind,

19 S. etwa: SEC, Staff Legal Bulletin No. 20, Proxy Voting: Proxy Voting Responsibilities of Investment Advisers and Availability of Exemptions from the Proxy Rules for Proxy Advisory Firms (30.6.2014), verfügbar unter https:// www.sec.gov/interps/legal/cfslb20.htm; ferner der „Corporate Governance Reform and Transparency Act of 2017“, der im Dezember 2017 vom Repräsentantenhaus verabschiedet und derzeit vom Senat geprüft wird, s. H.R. 4015, 115th Congress. S. ferner Zhoi/Fisch/Kahan, The Power of Proxy Advisors, 59 Emory L.J. 869 (2010); Gallagher, Outsized Power and Influence: The Role of Proxy Advisors, Washington Legal Foundation Critical Legal Issues, Working Paper Series, 2014. 20 Canadian Securities Regulators, Public Guidance for Proxy-Advisory Firms, 2015. 21 Uwe H. Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88; Vaupel, AG 2011, 63; Kocher/ Heydel, AG 2011, 543; Fleischer, ZGR 2011, 155; Fleischer, AG 2012, 2; Klöhn/ Schwarz, ZIP 2012, 149; Langenbucher in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 733; Seibert in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1101, 1112; Schwarz, Institutionelle Stimmrechtsberatung, 2013; Zetzsche/Preiner, AG 2014, 685; Dörrwächter/ Kramarsch/Siepmann, ZfgK 2017, 685; Schockenhoff/Nussbaum, ZGR 2019, 163; Heinen, Die Rolle institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater in der deutschen Corporate Governance, 2019; zur Lage in der Schweiz: Reutter in Reutter/Heerlen, Kapitalmarktrecht, 2016, S. 229. Nach Drucklegung dieses Beitrags wurde noch veröffentlicht: Uwe H. Schneider in Liber amicorum Giuseppe B. Portale, 2019, S. 223 und Velte, AG 2019, 893.

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die im zeitlichen Abstand vor der Hauptversammlung erstellten Richtlinien, die neue Entwicklungen unberücksichtigt lassen. So waren die institutionellen Anleger auf der Hauptversammlung 2019 der Bayer AG ohne Empfehlung, sprich sprachlos, als Christian Strenger den Antrag auf eine Sonderprüfung stellte.22



die methodisch unzulänglichen Bewertungen,



die fehlende Haftung bei fehlerhafter Beratung und



die schwere Interessenkollision, vor allem bei gleichzeitiger Beratung und Stimmrechtsempfehlung.

Berücksichtigt wird dies teilweise in der Zweiten Aktionärsrechterichtlinie 201723. Im Erwägungsgrund Nr. 26 heißt es dazu: „Angesichts ihrer Bedeutung sollten Stimmrechtsberater Transparenzanforderungen unterliegen. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass Stimmrechtsberater, für die ein Verhaltenskodex gilt, über ihre Anwendung dieses Kodex wirksam Bericht erstatten. Sie sollten auch bestimmte wichtige Informationen im Zusammenhang mit der Vorbereitung ihrer Recherchen, Beratungen und Stimmempfehlungen offenlegen, sowie tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte oder Geschäftsbeziehungen, die die Vorbereitung von Recherchen, Beratungen und Stimmempfehlungen beeinflussen könnten.“

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Umgesetzt ist dies nun in § 134d EAktG. Im Wesentlichen enthält die Vorschrift drei Regelungen.

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Erstens: Stimmrechtsberater haben jährlich zu erklären, dass sie den Vorgaben eines Verhaltenskodex entsprochen haben.



Zweitens: Stimmrechtsberater veröffentlichen jährlich Informationen u.a. zu den wesentlichen Merkmalen der eingesetzten Methoden und Modelle sowie ihre Hauptinformationsquellen, Informationen zur Vermeidung und zur Behandlung von potentiellen Interessenkonflikten eingesetzten Verfahren, zu den wesentlichen Merkmalen der verfolgten Stimmrechtspolitik und wie und wie oft das Gespräch mit den betroffenen Gesellschaften und den Interessenträgern gesucht wird.



Drittens: Stimmrechtsberater haben ihre Kunden unverzüglich über Interessenkollisionen zu informieren.

22 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.8.2019. 23 Richtlinie EU 2017/828 vom 17.5.2017, ABl. Nr. L 132 v. 20.5.2017, S. 1.

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18 Und was sind die Rechtsfolgen bei Verletzung dieser Pflichten? Vaupel24 hat schon im Jahr 2011 untersucht, ob der Gesellschaft gegenüber den Stimmrechtsberatern Schadenersatzansprüche zustehen „wenn diese empfehlen gegen einen Beschluss der Tagesordnung zu stimmen, dies aber im Interesse der Gesellschaft steht“. Die Überlegungen sind, von Extremfällen abgesehen, wenig ergiebig; denn die Stimmrechtsberater haben breites Ermessen. Vorgesehen ist aber in § 405 Abs. 2a AktG ein Bußgeld, wenn die genannten Informationen nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig gegeben werden. 19

Ein erster Kodex wurde bereits im Jahr 2014 vorgelegt.25 Er wurde nun im Juli 2019 durch die Best Practice Principle Group, einer kleinen Gruppe von Stimmrechtsberatern, neu gefasst. Diese Best Practice Principles for Providers of Shareholder Voting Research & Analysis beschränken sich auf drei magere Prinzipien, die nur die Vorgaben der zweiten Aktionärsrechterichtlinie 2017 wiederholen. Die Principles lauten etwas vereinfacht: –

Erstens: Die Stimmrechtsberater sollen sich an Weisungen der Investoren halten und sie sollten ihre Recherche-Methoden und ihre Abstimmungsrichtlinien offenlegen.



Zweitens: Sie sollten ihre Grundsätze zur Vermeidung oder im Umgang mit Interessenkonflikten offenlegen.



Und drittens: Sie sollten ihre Informationspolitik im Verhältnis zu den Emittenten offenlegen.

20 Und die Stimmrechtsberater sollen nach dem Prinzip „apply and explain“ im jährlichen „Statement of Compliance“ erklären, dass sie den Prinzipien folgen. Eingerichtet werden soll zudem ein besonderes „Oversight Committee“. 24 Vaupel, AG 2011, 63; S. dazu Institute for Governance, The Troubling Case of Proxy-Advisors, Policy Paper Nr. 7, erstellt von Yvan Allaire, 2013, S. 25: „In cases of proxy contests and other litigious matters, Canadian regulators should adopt the suggestion made by Wachtell, Lipton, Rosen and Katz in their submission to the SEC: ‚Proxy advisory firms should be required to disclose in their recommendations whether the advisor has, currently or within the recent past, been engaged by any participant in the relevant proxy contest, whether any of the interested parties in a contest subscribe to the proxy advisory firm’s services, and the aggregate fees paid by the interested parties to the proxy firm‘.“ 25 Zetzsche/Preiner, AG 2014, 685.

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Das ist alles. Im Ergebnis ist der Kodex wenig hilfreich. Es wird nur wie- 21 derholt, was ohnehin schon in der Zweiten Aktionärsrechterichtlinie vorgesehen ist. Die wirklichen Probleme werden nicht angesprochen. Nicht gefordert ist etwa die Offenlegung des Inhalts des Auftrags der Investoren, nicht gefordert ist eine zeitnahe Diskussion mit den Emittenten über die Stimmempfehlungen26, nicht gefordert ist eine Vermeidung von Interessenkonflikten oder ihr Verbot, wie etwa die gleichzeitige Beratung der Unternehmen zu Corporate Governance Fragen und die nachfolgenden Stimmrechtsempfehlungen. Daher könnte man auch sagen: „Heiße Luft füllt nicht die Teller, sie vernebelt uns das Hirn“ (Traudel Zölffel).

VIII. Ein systemisches Risiko Da fragt man sich: Sind die neuen Regelungen im Aktiengesetz und die neuen Principles nur Symbolpolitik, die das Grundsätzliche übersehen? Was ist von der Ansicht zu halten, die Tätigkeit der Stimmrechtsberater sei ein systemisches Risiko und eine grobe Fehlentwicklung?

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Überraschend ist, dass die ordnungspolitische Diskussion in Deutschland nur hinter verschlossenen Türen geführt wird. Sie ist ziemlich hilflos, um nicht zu sagen, kritiklos und ratlos.

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Dabei sind die systemischen Risiken nicht zu übersehen. Zum einen: 24 Die neue Wirklichkeit hat nur noch wenig mit der traditionellen Vorstellung vom Aktionär als Eigentümer zu tun, der verantwortlich sein Stimmrecht wahrnimmt. Eigentum und Entscheidungsmacht sind weit auseinandergefallen, nicht normiert, nicht kontrolliert, keinem System des Comply or Explain unterworfen, für den Stimmrechtsberater ohne eigenes Risiko und ohne handfeste Haftung.27 Zum zweiten: Die breitflächig aufgebaute Macht des globalen Duopols der Stimmrechtsberater führt bei Fehlentscheidungen zu Kumulrisiken. Sie verwirklichen sich bei allen Unternehmen in gleicher Weise. Ob dies zum dritten mit einem transnationalen Konflikt verbunden ist, ist nicht empirisch untersucht. Offenkundig sind jedenfalls zum vierten – in den Worten der Monopolkommission28 – wettbewerbspolitische Bedenken, in dem ein Parallelverhalten der Portfoliounternehmen wesentlich vereinfacht wird sowie Inte26 S. dazu Strenger, BZ vom 6.2.2018, S. 13. 27 S. auch Dörrwächter/Kramarsch/Siepmann, ZfgKW 2017, 856, 860. 28 Monopolkommission, 21. Hauptgutachten, 2016, Rz. 682.

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ressenkonflikte bei Wettbewerbsunternehmen, bei grenzüberschreitenden Sachverhalten und bei gleichzeitiger Beratung der Emittenten und der Stimmrechtsempfehlung. All dies erinnert an die Diskussion zum Vollmachtsstimmrecht der Kreditinstitute und die Diskussion in der Studienkommission Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft im Jahr 1979.29 Anders formuliert: „Der Einfluss der Stimmrechtsberater ist das Versagen der Investoren“.30

1. Institutionelle Missbrauchsaufsicht 25

Warum werden diese systemischen Herausforderungen nicht offen diskutiert? Das dürfte daran liegen, dass die Stimmrechtsberater bisher vor allem Fragen der Corporate Governance, im letzten Jahr vor allem der Managementvergütung aufgerufen haben, in der Regel aber nicht die konkrete Geschäftspolitik der Unternehmen oder wesentliche Fragen der laufenden Geschäftsführung. Die Stimmrechtsempfehlungen beziehen sich aber auch auf Strukturfragen. Und damit hat sich ein Zustand verwirklicht, indem ebenso wie bei Rating Agenturen auch die Stimmrechtsberater einer Registerpflicht und vor allem einer institutionellen Missbrauchsaufsicht durch die ESMA oder durch die BaFin unterworfen werden sollten, um „die Integrität, Transparenz, Verantwortung, gute Unternehmensführung und Unabhängigkeit zu fördern“.31 Genau das ist auch in den USA gefordert.32 Damit können auch bestimmte bereits zuvor beschriebene Interessenkonflikte nämlich die grob missbräuchliche gleichzeitige Corporate Governance-Beratung und die Stimmrechtsberatung eingefangen werden.33

2. Kapitalmarktrechtliche Transparenz 26

Verbunden ist dies mit der Forderung nach kapitalmarktrechtlicher Transparenz. Aussagen über die wirkliche Stimmrechtsmacht sind kaum 29 Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft – Bericht der Studienkomission, 1979, S. 101 ff. 30 Kramarsch, BörsenZ vom 29.10.2019, S. 8. 31 Art. 14 EU VO Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, sowie EU VO Nr. 462/2013. 32 Senate Bill on Proxy Advisors vom 14.11.2018, (4015); s. dazu Harvard Law School Forum of Corporate Governance and Financial Regulation vom 27.11.2018; Dörrwächter/Kramarsch/Siepmann, ZfgKW 2017, 865, 867. 33 Uwe H. Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88; ablehnend: Fleischer, AG 2012, 29; Klöhn/Schwarz, ZIP 2012, 149, 157.

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mehr möglich, wenn nicht offen gelegt wird, welche neuen Machtstrukturen sich bilden. Was ist geltendes Recht? Nach § 34 Abs. 2 WpHG werden Stimmrechte eines Dritten dem Meldepflichtigen zugerechnet, mit dem der Meldepflichtige sein Verhalten in Bezug auf den Emittenten aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt. Infrage steht somit nicht die Zurechnung der Stimmrechte beim Stimmrechtsberater, wie gelegentlich angenommen wird.34 Vielmehr geht es um die Zusammenrechnung der Stimmrechte der Konzertanten, nämlich der beratenen Investoren.35 Gegebenenfalls folgt daraus bei einer Schwelle von 3 % die Pflicht zur Offenlegung gegenüber dem Emittenten und der BaFin und wenn die Offenlegung unterlassen wird, der Verlust der Stimmrechte und der Dividende. Das ist kein Vergnügen! Die Dividende ist nur dann nicht verloren, wenn der Meldepflichtige nicht vorsätzlich gehandelt hat und die Meldung nachgeholt wurde. Die Aufsicht sieht bisher das Verhalten der beratenden Investoren nicht als acting in concert an. Überzeugt das?

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Voraussetzung für ein „acting in concert“ ist es, dass sich die Konzertan- 28 ten aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise über die Ausübung von Stimmrechten verständigen. Eine Vereinbarung zwischen dem Konzertanten liegt in der Regel nicht vor,36 wohl aber eine Verhaltensabstimmung in sonstiger Weise. Dem wird entgegengehalten, dass die Investoren selbständig und unabhängig voneinander über den Inhalt der Stimmabgabe entscheiden würden. Es fehle daher an einer Verständigung also einem Zusammenwirken37 über die gemeinsame Ausübung von Stimmrechten. Das mag für die großen Investoren wie BlackRock, Vanguard und StateStreet zutreffen. Sie entscheiden selbständig. Anders ist die Lage aber bei den vielen kleinen und mittleren Investoren, wie etwa dem Pensionsfond der Feuerwehrleute von Wisconsin. Sie haben sich in sonstiger Weise über die Ausübung der Stimmrechte verständigt. Eine empirische Untersuchung des American Council for Capital Formation vom Oktober 201838 hat ergeben, dass 95 bzw. 99 % der Investo34 So aber wohl missverständlich Schockenhoff/Nußbaum, ZGR 2019, 163, 170. 35 Zum Sinn und Zweck der Offenlegung: BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 246/09, AG 2011, 786 Rz. 32. 36 Zu eng: Kocher/Heydel, AG 2011, 543. 37 Kocher/Heydel, AG 2011, 543, 544. 38 S. auch Dörrwächter/Kramarsch/Siepmann, ZfgKW 20147, 865.

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ren den Empfehlungen der Stimmrechtsberater blind folgen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Untersuchung der OECD wonach 80 % der ausländischen Investoren dem Rat der Proxy Advisors folgen.39 Das ist Robovoting. Entsprechende empirische Untersuchungen fehlen zwar für deutsche Unternehmen. Die Lage ist aber nicht anders. Dieses Stimmverhalten der Investoren ist nicht nur ein gleichförmiges Abstimmungsverhalten, sondern eine bewusste durch einen Dritten koordinierte abgestimmte Wahrnehmung der Stimmrechte. Ausreichend für ein Zusammenwirken ist es, dass eine gemeinsame dritte Stelle den Inhalt der Abstimmungen koordiniert und die Konzertanten sich bewusst sind, dass sie sich wie die Lemminge verhalten. Nur die Abstimmung selbst erfolgt durch den Vertreter der Investoren.40 Und Gegenstand der Abstimmung ist nicht nur die Durchsetzung hoher Standards für gute Unternehmensführung, sondern auch von Strukturmaßnahmen etwa zur Kapitalerhöhung oder über den Abschluss eines Beherrschungsvertrages und damit geschäftspolitischer Entscheidungen.41 30

Die Verständigung beschränkt sich auch nicht auf einen Einzelfall – hierfür ist in § 34 Abs. 2 WpHG – eine Ausnahme vorgesehen, sondern sie ist auf Dauer angelegt. Die Stimmrechte werden bei ganz formaler Betrachtung – und dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung42 – langfristig wiederholend von Hauptversammlung zu Hauptversammlung nach Maßgabe der Stimmrechtsberater ausgeübt. Das alles spricht für ein acting in concert – und nicht nur „in wenigen Ausnahmefällen“.43

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Folgt man dem, so ergeben sich eine Reihe von schwierigen praktischen Fragen für die Investoren, den Emittenten und für den Leiter der Hauptversammlung. Denn wie können sich der Emittent und der Leiter der

39 OECD, The Role of Institutional Investors in Promoting Good Corporate Governance, OECD Publishing, S. 121 (4.3.3.). 40 A.A. Kocher/Heydel, AG 2011, 543. 41 Ebenso Uwe H. Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88, 94; Vaupel, AG 2011, 63, 75; Klöhn/Schwarz, ZIP 2012, 149, 151; differenzierend Schockenhoff/ Nuszbaum, ZGR 2019, 163, 170: bei gemeinsamer Beauftragung; a.A. Kocher/ Heydel, AG 2011, 543. 42 BGH, Urt. v. 25.9.2018 – II ZR 190/17, AG 2019, 37; zustimmend Brellochs, AG 2019, 29. 43 So aber Seibert in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1101, 1116; Langenbucher in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 733, 740: Ein Acting-in-concert liegt nur vor, wenn der „Stimmrechtsberater die verbindliche Durchsetzung gemeinsamer Zielsetzung verspricht“.

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Hauptversammlung über die Konzertanten und den Umfang ihrer Stimmrechte informieren? Für den Leiter der Hauptversammlung ist die Frage leicht zu beantworten. Er muss nur in der Hauptversammlung die entsprechende Frage stellen. Der Vertreter des Investors ist zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet – wenn er eine wahrheitsgemäße Aussage machen kann. Die Frage ist nur, wie sich dies mit der heutigen Praxis von Weisungsspiegeln, Sammelstimmkarten, usw. verträgt. Was aber sollen die beratenen Investoren tun? Sie können sich nur über den Stimmrechtsberater über die Konzertanten und deren Stimmrechte informieren. Der Stimmrechtsberater seinerseits muss sich Gewissheit darüber verschaffen, wie hoch die Stimmrechte der Investoren sind und ob diese den Empfehlungen folgen. Die Lage ist nicht anders als in den Fällen, in denen die Stimmrechtsberater auch für die Investoren die Stimmrechte ausüben.

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Bericht über die Diskussion des Referats Schneider Prof. Dr. Heribert M. Anzinger Universität Ulm

I. 1 Die von Gregor Bachmann geleitete Diskussion über die von Uwe H. Schneider formulierten 14 Thesen zu Praxis und Regulierung und Stimmrechtsberatern eröffnete Mathias Habersack. Er unterstrich die von Uwe H. Schneider aufgeworfene Frage nach dem von Stimmrechtsberatern ausgehenden systemischen Risiko und teilte im Grundsatz die vom Referenten formulierten Bedenken hinsichtlich Transparenz und möglicher Interessenkollisionen. Die vom Referenten aus dem Tatbestand des Acting in Concert entwickelten Rechtsfolgen verdienten eine vertiefte Reflexion. Das gelte insbesondere für These 13, nach der dem Stimmverhalten der beratenen Investoren nicht nur ein gleichförmiges Abstimmungsverhalten, sondern eine bewusste, durch einen Dritten koordinierte abgestimmte Wahrnehmung der Stimmrechte zu entnehmen sein solle, weshalb die Stimmrechte der institutionellen Anleger zusammenzurechnen seien, die blind den Abstimmungsempfehlungen folgen würden. Hierauf bezogen warf Habersack die Frage auf, ob die Folgerung, die Koordinierung durch den Stimmrechtsberater würde eine Stimmrechtszurechnung begründen, nicht voraussetzen würde, dass der Konzertant wisse, wer neben ihm beraten würde. Habersack bezweifelte, dass sich diese Feststellung in der Praxis mit den herkömmlichen Zurechnungsgrundsätzen begründen ließe. Die im Referat aufgezeigte Rechtsfolge des Stimmrechtsverlustes würde überdies das Risiko von Zufallsmehrheiten deutlich erhöhen. 2 Habersack schlug deshalb vor, beim Stimmrechtsberater selbst anzusetzen und die Grundsätze der Girmes-Rechtsprechung (BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = AG 1995, 368 = GmbHR 1995, 665) zur Eigenhaftung des Stimmrechtsvertreters nach § 179 Abs. 1 BGB analog heranzuziehen. Eine so begründete Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen des Stimmrechtsberaters helfe zwar nicht in allen Fällen, etwa nicht bezogen auf den Entlastungsbeschluss. Durch die Empfehlung, eine Sanierungsmaßnahme nicht zu vollziehen, würde das Unternehmen

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Anzinger – Bericht über die Diskussion des Referats Schneider

aber geschädigt und in diesen Fällen könnte sich eine Eigenhaftung des Stimmrechtsberaters für pflichtwidriges Verhalten begründen lassen.

II. Wie Mathias Habersack stellte auch Katja Langenbucher in Frage, ob die 3 Anwendung der für Acting in Concert entwickelten Zurechnungsgrundsätze mit den im Gesetz formulierten Rechtsfolgen des Rechteverlustes der richtige Hebel sei, um den von Stimmrechtsberatern ausgehenden Risiken zu begegnen. Die wachsende Bedeutung der Stimmrechtsberater hätte ihren Ursprung in einem Versagen der Investoren. Die Europäische Union habe in der Entwicklung ihrer Regulierungsstrategie auf die Wahrnehmung der mit Stimmrechten verbundenen Verantwortung durch die institutionellen Investoren gesetzt, weil Streubesitzaktionäre rational apathisch seien. Allerdings würde es sich auch für institutionelle Investoren nicht rechnen, ihre Stimmrechte auf der Grundlage individuell entwickelter Stimmausübungsentscheidungen wahrzunehmen. Die damit fortbestehende Lücke füllten Stimmrechtsberater. Es sei davon auszugehen, dass mit der Nachfrage nach Stimmrechtsberatung auch das Geschäftsmodell der Stimmrechtsberater und damit die Unternehmen, die sich diesem Geschäftsmodell widmen, dauerhaft bestehen bleiben werden. Einzufordern sei Transparenz. Eine weitergehende Regulierung würde sich derzeit nicht umsetzen lassen. Zu erforschen sei der Einfluss der Stimmrechtsberatung auf die Entwicklung der Corporate GovernanceGrundsätze. Zweifelhaft sei, ob sich die Grundsätze der Girmes-Rechtsprechung auf Berater ausdehnen lassen, um eine Eigenhaftung der Stimmrechtsberater gegenüber den Emittenten zu begründen.

III. Michael Nietsch unterstrich die Relevanz der im Referat adressierten 4 Fragestellungen. Es sei wesentlich, die Probleme herauszuarbeiten, die sich aus der wachsenden Verbreitung der Stimmrechtsberatung ergeben. Stimmrechtsberatung würde durch neue Anlagestrukturen, insbesondere die Verbreitung von Exchange Traded Funds (ETF) noch an Bedeutung gewinnen. Zu erwarten sei mit dieser Marktentwicklung ein weiter wachsendes Maß der rationalen Apathie, auch der institutionellen Investoren. Der mit der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (Richtlinie (EU) 2017/828 v. 17.5.2017, ABl. EU Nr. L 132 v. 20.5.2017, S. 1) eingeschlagene Weg, Stimmrechtsberater in aktienrechtlichen Bestimmungen zu

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regulieren, könnte sich als wenig erfolgreich erweisen. Wie sich aus Erwägungsgrund 27 der Richtlinie ergebe, könnten Stimmrechtsberater nur dann wirksam der europäischen Regulierung unterworfen werden, wenn sie ihre Tätigkeiten über eine Niederlassung in der Union ausüben. Zahlreiche Stimmrechtsberatungsunternehmen würden allerdings nur in London über eine Niederlassung verfügen. Nach dem Brexit stelle sich die Frage, ob die bedeutsamsten, in London ansässigen Anbieter überhaupt noch einer europäischen Regulierung unterliegen würden. Mit dem gewählten aktienrechtlichen Regulierungsansatz seien die Regeln des internationalen Gesellschaftsrechts zur Anwendung zu bringen.

IV. 5 Den vornehmlich kritischen Anmerkungen seiner Vorredner stellte Carsten Hollweg kurz und prägnant positive Aspekte entgegen. Er vertrat die Einschätzung, dass die Existenz der Stimmrechtsberater eine Bereicherung darstellen würden. Sie würden zur Stärkung der Aktionärsdemokratie beitragen.

V. 6 Uwe H. Schneider eröffnete seine Stellungnahme zu den ersten vier Wortbeiträgen mit einem Hinweis auf das internationale Schrifttum. Verfolge man die akademische und rechtspolitische Diskussion in den USA, Großbritannien und in Brüssel, zeige sich eine breitflächige Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Stimmrechtsberatung und eine Verunsicherung bei den Unternehmen. Es seien zwei Interessenkreise zu unterscheiden: das Verhältnis der Stimmrechtsberatungsunternehmen zu den beratenen institutionellen Investoren und das Verhältnis dieser Kapitalsammelstellen zu den passiven Anlegern. Letztere würde sich ebenso wie die Emittenten zurückhalten. Investoren und Anlegern fehle der Anreiz, die Stimmrechtsausübung selbst zu übernehmen. Die Unternehmen hielten sich mit Kritik zurück, aus Sorge, die guten Beziehungen zu den Stimmrechtsberatern zu verspielen. Demgegenüber dürften Hochschullehrer sagen, was sie denken. Deshalb schlage er vor, bei fehlender eigenverantwortlicher Wahrnehmung des Stimmrechts über einen Verlust des Dividendenanspruchs nachzudenken. Die bisherigen Vorschläge würden den von Stimmrechtsberatern ausgehenden systemischen Risiken nicht ausreichend Rechnung tragen.

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Dem Vorschlag von Habersack, über eine Haftung der Stimmrechts- 7 berater gegenüber den Emittenten nachzudenken, begegnete Uwe H. Schneider mit Skepsis. Die dazu im Schrifttum bereits angestellten Überlegungen, etwa von Vaupel (Christoph F. Vaupel, Ansprüche von Aktiengesellschaften gegen Stimmrechtsempfehlungen institutioneller Stimmrechtsberater, AG 2011, 63), seien nicht weitreichend genug. Die daraus abzuleitenden Haftungsregelungen würden keine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten und auch die Transparenz nicht stärken. Sie würden auch ein zentrales Defizit nicht beheben können: Wichtige unternehmensindividuelle Fragen würden von den Stimmrechtsberatern gerade nicht aufgegriffen. Unklar bliebe auch, wie informellen Einflüssen der Stimmrechtsberater auf die Geschäftspolitik zu begegnen sei. Den Anmerkungen von Langenbucher stimmte Uwe H. Schneider im Forschungsbedarf über die Auswirkungen der Stimmrechtsberatung auf die Corporate Governance der Unternehmen ausdrücklich zu, hielt aber im Übrigen an seinen Vorschlägen einer strengen Regulierung fest.

VI. Die zweite Diskussionsrunde eröffnete von Nussbaum. Bezogen auf die von Uwe H. Schneider aufgeworfene Frage nach dem Einfluss der Stimmrechtsberatung auf die Geschäftspolitik sei an die Organisationsverfassung der deutschen Aktiengesellschaft zu erinnern. Die Geschäftspolitik sei kein Gegenstand der Hauptversammlung. Beratene Investoren sollten auch nicht vorschnell als Lemminge oder Konzertanten bezeichnet werden. Investoren würden den Stimmrechtsempfehlungen der Berater in aller Regel nicht blind folgen. Die meisten würden prüfen und selbst entscheiden. Man dürfe in den Anforderungen an eine eigenverantwortliche Stimmrechtspolitik nicht zu streng mit den Investoren umgehen. Zuzustimmen sei dem Hinweis von Habersack auf die Girmes-Rechtsprechung des BGH. Eine Haftung des Aktionärs für sein Abstimmungsverhalten und damit auch des Stimmrechtsberaters für seine Empfehlungen könne danach nur unter sehr engen Voraussetzungen angenommen werden. Eine Ausweitung der Aktionärshaftung für das Abstimmverhalten im Sinne einer Zustimmungsklage der Gesellschaft gegen den Aktionär weise rechtspolitisch in die falsche Richtung. Schließlich seien auch die positiven Effekte der Stimmrechtsberatung wahrzunehmen. Mit ihnen sei teilweise auch eine Verbesserung der Diskussionskultur in der Hauptversammlung einhergegangen. Heute würden viel mehr auch institutionelle Aktionäre in der Hauptversammlung mitdiskutieren. Stimmrechts-

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berater seien zwar keine „Governance-Heiligen“, aber sie würden zumindest einen Beitrag zur Lösung des Problems der rationalen Apathie leisten. Sie erfüllten eine nicht unwichtige Funktion, indem sie Beschlussempfehlungen analysieren und daraus Handlungsempfehlungen entwickeln würden.

VII. 9 Jens Koch griff die rhetorische Frage von Uwe H. Schneider auf, ob in der Regulierung der Stimmrechtsberatung durch die zweite Aktionärsrechterichtlinie nicht mehr als bloße Symbolpolitik zu erkennen sei. Er unterstrich diese Frage mit deutlicher Zustimmung. Seinem Eindruck nach bestehe sowohl im rechtspolitischen als auch im rechtswissenschaftlichen Diskurs eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Bedeutung und der Beschäftigung mit dem Thema Stimmrechtsberatung. Speziell die mit dem ARUG II eingefügten Vorschriften seien im Schrifttum kaum auf Resonanz gestoßen, da das neue Regelungsregime zu halbherzig und zahnlos sei. Der europäische Gesetzgeber vertraue zu sehr auf den Transparenzgrundsatz. Nicht jedes Problem lasse sich aber „wegberichten“. Überdies sei der Sanktionskatalog unwirksam. Eine Maximalbuße von 25 Tt sei zu gering, um eine effektive Verhaltenssteuerung zu bewirken. Es sei deshalb gerechtfertigt, wie Uwe H. Schneider, im Kontext der jüngsten Regulierungsmaßnahmen von „Heißer Luft“ zu sprechen.

VIII. 10

Ein nicht namentlich gekennzeichneter Wortbeitrag zeigte Regulierungsmöglichkeiten im Kartellrecht auf. Missbrauchsaufsicht im Kartellrecht könne ein effektives Instrument darstellen, um der sich abzeichnenden Monopolbildung auf dem Markt der Stimmrechtsberater entgegenzuwirken und die Einhaltung von Sorgfaltspflichten durchzusetzen. Der Diskutant warf die Frage auf, ob die Kommission nicht längst die marktbeherrschende Stellung eines führenden Anbieters von Stimmrechtsberatungsleistungen hätte verfolgen müssen.

IX. 11

Lasse Pütz bestätigte den Ausgangsbefund von Uwe H. Schneider zur wachsenden Bedeutung der Stimmrechtsberatung. In vielen Unternehmen könnten wichtige Entscheidungen nicht mehr gegen den Willen der

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Stimmrechtsberater getroffen werden. Für diese sei die Beratung ein Massengeschäft, in dem unternehmensindividuelle Überlegungen an Bedeutung verlören. Dadurch würde das Gefüge der Corporate Governance in Deutschland verschoben. Daran würden die neuen Regeln der zweiten Aktionärsrechterichtlinie nichts ändern. Transparenz sei zwar gut, aber nicht ausreichend. Insgesamt erhöhe die zweite Aktionärsrechterichtlinie den Einfluss von Investoren und Stimmrechtsberatern.

X. Die von Uwe H. Schneider gegenüber Stimmrechtsberatern formulierte 12 Skepsis teilte auch E. Vetter. Der Ausgangsbefund und die Kritik an den Regulierungsvorschlägen erinnerten ihn an die vorangegangene Diskussion des Einflusses und der Regulierung von Ratingagenturen. Reflektiert zu hinterfragen sei aber die in These 14 formulierte Umsetzung der Rechtsfolge des Stimmrechtsverlustes bei blind folgenden Aktionären. Wenn erst in der Hauptversammlung vom Versammlungsleiter die Frage gestellt werde, wer den Empfehlungen der Stimmrechtsberater unreflektiert folge, um daraus einen Stimmrechtsverlust abzuleiten, sei das zu spät. Vielmehr müsse die Sondierung bereits im Vorfeld der Hauptversammlung stattfinden, um den betroffenen Aktionären wie auch der Gesellschaft Reaktionsmöglichkeiten offenzuhalten.

XI. Martin Schockenhoff äußerte Sympathien für die von Uwe H. Schneider 13 vorgeschlagenen Sanktionen. Sie seien hinreichend abschreckend. Er bezweifelte aber, dass sich der zugrunde liegende Gedanke umsetzen ließe, über den Verweis auf Acting in Concert die Stimmrechtsanteile der beratenen Aktionäre wechselseitig zuzurechnen. Dazu sei für jeden beratenen Aktionär erforderlich zu wissen, wer sich weiter beraten lasse und wie viele Stimmrechtsanteile damit zuzurechnen seien. Jeder beratene Aktionär müsse dann auch erforschen, ob er zusammen mit den anderen beratenen Aktionären die Schwelle von 30 % für ein Pflichtangebot überschreite. Die Sanktion des Stimmverbots würde schließlich nur diejenigen treffen, die offenlegten, dass sie den Empfehlungen der Stimmrechtsberater blind folgten. Es sei gewiss nicht sicher, ob angesichts der drohenden Rechtsfolgen, die Frage nach der unreflektierten Übernahme der Stimmrechtsempfehlungen stets aufrichtig beantwortet würde.

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XII. 14

Den Ausgangsbefund der wachsenden Bedeutung der Stimmrechtsberatung bestätigte auch Franz Enderle. Die zunehmende Relevanz der Stimmrechtsberatung erkenne man bereits daran, dass sich Unternehmen mit diesem Phänomen intensiv befassen würden. Neben den bereits diskutierten Aspekten sei zu untersuchen, inwieweit der Vorstand über die Stimmrechtsberater auf die Stimmrechtsausübung der Aktionäre Einfluss nehmen könne. Bezogen auf die von Uwe H. Schneider vorgeschlagenen Rechtsfolgen sei zudem an die §§ 133 ff. AktG zu denken. Die praktische Relevanz der vom Referenten formulierten Thesen sei hoch.

XIII. 15

In seiner abschließenden Stellungnahme erinnerte Uwe H. Schneider zuerst an die früheren Überlegungen im Corporate Governance Committee der OECD. Dort war die Rolle institutioneller Investoren intensiv diskutiert worden – und auch das Problem der rationalen Apathie. Wolle man, dass Aktionäre Verantwortung übernehmen, könne die Lösung nicht allein in der Überwälzung der Stimmrechtsverantwortung auf Stimmrechtsberater bestehen. Bezogen auf die Regulierung der Stimmrechtsberatung müsse zuerst das Problem adressiert werden, dass Corporate Governance-Beratung des Unternehmens und Stimmrechtsberatung der Aktionäre vom selben Unternehmen durchgeführt werden könnten. Die Emittenten trauten sich nicht von den Stimmrechtsberatern mehr Unabhängigkeit einzufordern. Deshalb sei eine wirksame Missbrauchsaufsicht einzurichten, die dieses Zusammenfallen von Beratung und Kontrolle reguliert und unterbindet. Den Zweifeln von E. Vetter an der wahrheitsgemäßen Auskunft der Aktionäre über den Einfluss der Stimmrechtsberater entgegnete Uwe H. Schneider, dass ein Aktionär, der nicht wahrheitsgemäß über die Beratung informiere, seine Auskunftspflichten verletzen würde. Nicht zu unterschätzen sei, entgegen von Nussbaum, der mögliche Einfluss auf das Tagesgeschäft. Die Geschäftspolitik sei Gegenstand der Aussprache vor dem Entlastungsbeschluss. Schließlich teilte Uwe H. Schneider den Eindruck, dass das Thema Stimmrechtsberatung in der rechtspolitischen Diskussion lange vernachlässigt worden sei. Er schloss mit dem positiven Ausblick, dass sich dies nun ändern würde.

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Der Deutsche Corporate Governance Kodex 2020 Ein Blick aus der Praxis Dr. Claudia Mayfeld Rechtsanwältin, Dortmund Rz.

Rz. I. Einleitung – derzeitige Rechtslage und Umsetzungshorizont. . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Wesentliche Neuerungen des Kodex . . . . . . . . . . . . . . .

4

III. Leitung und Überwachung (A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

IV. Besetzung des Vorstands (B) .

14

V. Vorstandsvergütung (G) . . . .

17

VI. Zusammensetzung des Aufsichtsrats (C) . . . . . . . . .

21

VII. Arbeitsweise im Aufsichtsrat (D) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 VIII. Interessenskonflikte (E) . . . .

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IX. Vergütung im Aufsichtsrat (G) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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X. Transparenz und Berichterstattung (F) . . . . . . . . . . . .

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XI. Zusammenfassung. . . . . . . .

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I. Einleitung – derzeitige Rechtslage und Umsetzungshorizont Noch gilt derzeit der Deutsche Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 7.2.2017 und ist Grundlage für die Entsprechenserklärung. Die Regierungskommission hat am 23.1.2020 die am 16.12.2019 beschlossene neue Fassung des Kodex 2020 dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Prüfung übermittelt. Mit der dann folgenden Veröffentlichung durch das Ministerium im elektronischen Bundesanzeiger wird der neue Kodex in der Fassung vom 16.12.2019 (nachfolgend: „Kodex 2020“) in 2020 in Kraft treten. Die ursprünglich am 9.5.2019 beschlossene und am 22.5.2019 veröffentlichte Fassung des Kodex 2020 hatte die Regierungskommission an das Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie, des sog. ARUG II, geknüpft, um mit der Finalisierung des Kodex 2020 eventuelle Änderungen des Gesetzgebungsverfahrens abzuwarten. Das ARUG II ist nun mit Wirkung zum 1.1.2020 in Kraft getreten. Änderungen an den

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Bestimmungen der Vorstandsvergütung wurden im Kodex 2020 nachgezogen; materielle Änderungen des Kodex 2020 waren hingegen nicht notwendig. 2 Grundlage für die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ist aktuell noch der Deutsche Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 7.2.2017. Wegen der frühzeitigen, noch vor Inkrafttreten erfolgten Veröffentlichung des Kodex 2020 hatten die Unternehmen aber die Möglichkeit, sich mit den neuen Empfehlungen und Anregungen des Kodex 2020 zu befassen und ggf. erforderlich werdende Anpassungen unternehmensintern vorzubereiten. 3 Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit den wesentlichen Neuerungen des Kodex 2020 mit Schwerpunkt auf die Themen Vorstand, insbesondere Clawback, und Aufsichtsrat, insbesondere Unabhängigkeit, Altersgrenze, Selbstevaluierung des Aufsichtsrats sowie Interessenkonflikte.

II. Wesentliche Neuerungen des Kodex 4 In der Präambel Abs. 3 des Kodex 2020 begründet die Regierungskommission die Neuerungen des Kodex mit dem Ziel, „das duale deutsche Corporate Governance System transparent und nachvollziehbar zu machen.“ Der Kodex will „das Vertrauen der Anleger, der Kunden, der Belegschaft und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften fördern“, vgl. Präambel Abs. 3 des Kodex 2020. Letztlich soll ein moderner, praxisgerechter Kodex, der internationalen Standards entspricht, erreicht werden. 5 Zur Verbesserung des Verständnisses des Kodex wurde der Aufbau des Kodex 2020 grundlegend geändert und insbesondere nach den Organen Vorstand und Aufsichtsrat gegliedert. Die Gliederung des Kodex 2020 ergibt sich wie folgt: –

A. Leitung und Überwachung



B. Besetzung des Vorstands



C. Zusammensetzung des Aufsichtsrats



D. Arbeitsweise des Aufsichtsrats



E. Interessenkonflikte

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F. Transparenz und externe Berichterstattung



G. Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat

Erstmalig werden nun auch Grundsätze eingeführt. Sie sind den Empfeh- 6 lungen, die durch die Verwendung des Wortes „soll“ gekennzeichnet sind, und Anregungen, die durch die Verwendung des Wortes „sollte“ bezeichnet werden, vorangestellt. Die Grundsätze dienen als Basis der Empfehlungen und Anregungen. Sie geben „wesentliche rechtliche Vorgaben verantwortungsvoller Unternehmensführung wieder und dienen hier der Information der Anleger und weiterer Stakeholder“, vgl. Abs. 4 der Präambel. Damit geben sie Anlegern und weiteren Stakeholdern ein Grundverständnis für die Rahmensetzung der Unternehmensführung. Bei Abweichungen von Empfehlungen bleibt es – wie bisher – dabei, diese jährlich offenzulegen und zu begründen („comply or explain“). Dabei kann selbstverständlich – ebenfalls wie bisher – eine gut begründete Abweichung von einer Kodexempfehlung durchaus im Interesse des Unternehmens und einer guten Unternehmensführung liegen. Erstmals werden die Anforderungen an die Unabhängigkeit ausschließlich auf die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat bezogen und durch Indikatoren konkretisiert. Die Regelungen zur Vorstandsvergütung werden fast vollständig neu gefasst, entsprechen den Anforderungen des ARUG II und spiegeln die internationale Best Practise wieder.

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Neu wird auch die Erklärung zur Unternehmensführung als zentrales In- 8 strument der Corporate Governance-Berichterstattung eingeführt. Das bisherige Nebeneinander von Corporate Governance-Bericht und Lagebericht wird mit Inkrafttreten des Kodex 2020 aufgehoben. Letztlich wird die Lesbarkeit des Kodex 2020 dadurch verbessert, dass auf die Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen, die nicht die Qualität von Grundsätzen haben, verzichtet wird.

III. Leitung und Überwachung (A) Der Kodex 2020 legt für die Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands neu nunmehr Grundsätze fest. Diese Grundsätze entsprechen den aktienrechtlichen Bestimmungen, u.a. betreffen sie die Leitung des Unternehmens im Unternehmensinteresse, die Koordinierung der Arbeit der Vorstandsmitglieder durch den Vorsitzenden, die Entwicklung der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und Abstimmung mit dem Aufsichtsrat, die Festlegung eines Frauenanteils auf den Führungsebenen un-

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terhalb des Vorstands, der Etablierung eines geeigneten und wirksamen internen Kontroll- und Risikomanagementsystems sowie die Einhaltung von Compliance, vgl. Grundsätze 1 bis 5 des Kodex 2020. 10 Auch die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, die letztlich die aktienrechtlichen Bestimmungen wiedergibt, wird in den Grundsätzen 6 und 7 des Kodex 2020 festgelegt. Es handelt sich um die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder, die Beratung des Vorstands, die Einbindung des Aufsichtsrats bei wesentlichen Entscheidungen des Vorstands. Neu ist die Anregung, dass der Aufsichtsratsvorsitzende Gespräche mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen führen sollte. 11 Die Funktion der Hauptversammlung wird in Grundsatz 8 des Kodex 2020 beschrieben. Die Aktionäre üben ihre Mitgliedschaftsrechte regelmäßig in der Hauptversammlung aus. Es werden wesentliche Maßnahmen benannt, über die die Hauptversammlung beschließt (insbesondere Gewinnverwendung, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, Wahl der Anteilseignervertreter in den Aufsichtsrat, Wahl des Abschlussprüfers, Satzungen, Kapitalmaßnahmen, Unternehmensverträge, Umwandlungen etc.). Ergänzt wird dies durch die explizite Nennung des Beschlusses der Hauptversammlung mit beratendem Charakter über die Billigung des vom Aufsichtsrat vorgelegten Vergütungssystems für die Vorstandsmitglieder, über die konkrete Vergütung des Aufsichtsrats und mit empfehlendem Charakter über die Billigung des Vergütungsberichts für das vorausgegangene Geschäftsjahr entsprechend ARUG II. 12 Die Anregung A.4 des Kodex 2020, dass der Versammlungsleiter dafür sorgen soll, dass eine ordentliche HV nach 4 bis 6 Stunden beendet sein soll, wurde wieder in den Kodex 2020 aufgenommen und führt damit zu einer Stärkung der Position des Versammlungsleiters, Hauptversammlungen zügig durchzuführen. 13 Wieder eingefügt ist auch die Anregung A.5 des Kodex 2020, im Fall eines Übernahmeangebots eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen, in der die Aktionäre über das Übernahmeangebot beraten und ggf. über gesellschaftsrechtliche Maßnahmen beschließen. Die Streichung dieser Anregung im Vorentwurf des Kodex 2020 war richtigerweise aufgrund verbreiteter rechtspraktischer und rechtspolitischer Kritik gerechtfertigt worden. Welche Hintergründe es nun für die Wiedereinfügung der Anregung A.5 des Kodex 2020 gibt, bleibt bedauerlicherweise unklar. In der Praxis jedenfalls ist die Einberufung und Durchführung ei-

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ner außerordentlichen Hauptversammlung in der Übernahmesituation sowohl aus zeitlichen Gründen als auch der kurzfristig zu lösenden Themen kaum praktikabel und angesichts der einzuhaltenden Fristen des Aktiengesetzes und des Wertpapier-Übernahmegesetzes (WpÜG) nicht wirklich handhabbar. Im Hinblick auf § 27 WpÜG gilt, dass die begründete Stellungnahme durch Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft im Regelfall innerhalb von zwei Wochen veröffentlicht werden muss, nachdem der Bieter das öffentliche Übernahmeangebot übermittelt hat. Demgegenüber bedarf die Frist zur Einberufung einer Hauptversammlung nach § 123 Abs. 1 AktG mindestens 30 Tage. Damit wird das Ziel der Anregung, in der Hauptversammlung das Übernahmeangebot und eventuelle Maßnahmen mit den Aktionären zu diskutieren, zeitlich überholt, denn Vorstand und Aufsichtsrat haben ihre Stellungnahme zum Zeitpunkt der Hauptversammlung bereits veröffentlicht. Zudem wird in der Übernahmesituation unterschätzt, dass eine außerordentliche Hauptversammlung eine enorme unternehmensinterne Vorbereitung bedingt, während Vorstand und Aufsichtsrat parallel die Strategie und Stellungnahme in Bezug auf das Übernahmeangebot festlegen müssen. Aufgrund dieser mangelnden Praktikabilität läuft aus Sicht der Verfasserin diese Anregung in der Praxis letztlich leer und sollte wieder gestrichen werden.

IV. Besetzung des Vorstands (B) Der Aufsichtsrat soll gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen; die Vorgehensweise soll in der Erklärung zur Unternehmensführung beschrieben werden (Empfehlung B.2 des Kodex 2020).

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Statt der bisherigen Anregung, dass fünf Jahre für eine Erstbestellung ei- 15 nes Vorstandsmitglieds nicht die Regel sein sollten, empfiehlt nun der Kodex 2020 die Begrenzung der Erstbestellung von Vorstandsmitgliedern auf längstens drei Jahre (Empfehlung B.3 des Kodex 2020); diese Empfehlung ist bei der Neubesetzung von Vorstandsposten zukünftig zu berücksichtigen. Ferner soll die vom Aufsichtsrat festgelegte Altersgrenze für Vorstandsmitglieder in der Erklärung zur Unternehmensführung angegeben werden (Empfehlung B.5 des Kodex 2020).

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V. Vorstandsvergütung (G) 17

Die Regelungen zur Vorstandsvergütung sind weitestgehend neu gefasst worden und berücksichtigen insbesondere auch die Vorgaben des am 1.1.2020 in Kraft getretenen ARUG II. Es geht vor allem darum, „ein klares und verständliches“ Vorstandsvergütungssystem festzulegen, „damit die Aktionäre, die übrigen Stakeholder und die Öffentlichkeit nachvollziehen können, nach welchen Regeln die Vorstandsmitglieder vergütet werden“, vgl. Begründung der Regierungskommission zu Grundsatz 23. Dabei ist die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften „auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten. Die Vergütung der Vorstandsmitglieder hat zur Förderung der Geschäftsstrategie und zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen“, vgl. Grundsatz 23 des Kodex. Klargestellt wird, dass die Änderungen des Kodex nicht in laufenden Vorstandsverträgen, sondern erst bei deren Verlängerung nach Inkrafttreten des Kodex 2020 berücksichtigt werden müssen.

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Nachfolgend werden die Empfehlungen des Kodex 2020 exemplarisch zusammengefasst: –

Festlegung des Vergütungssystems für den Vorstand (Empfehlung G.1 des Kodex 2020) –

Bestimmung der Ziel- und Maximalvergütung für Vorstandsmitglieder,



relativer Anteil der Festvergütung einerseits sowie kurzfristig variable und langfristig variable Vergütungsbestandteile andererseits an der Ziel-Gesamtvergütung,



maßgebliche finanzielle und nichtfinanzielle Leistungsindikatoren für die Gewährung variabler Vergütungsbestandteile,



Zusammenhang zwischen der Erreichung der Leistungskriterien und der variablen Vergütung



Form und Zeitpunkt der Gewährung der relevanten Beträge



Festlegung einer konkreten Ziel- und Maximal-Gesamtvergütung für jedes Vorstandsmitglied (Empfehlung G.2 des Kodex 2020)



Beurteilung der Üblichkeit der Gesamtvergütung durch Heranziehung eines Peer-Group-Vergleichs anderer Unternehmen und Offenlegung der Zusammensetzung der Peer-Group (Empfehlung G.3 des Kodex 2020)

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Berücksichtigung des Verhältnisses der Vorstandsvergütung zur Vergütung des oberen Führungskreises und der Belegschaft insgesamt sowie der zeitlichen Entwicklung zur Beurteilung der Üblichkeit (Empfehlung G.4 des Kodex 2020)



Unabhängigkeit eines Vergütungsexperten vom Vorstand und Unternehmen, sollte dieser hinzugezogen werden (Empfehlung G.5 des Kodex 2020)



Anteil der langfristigen variablen Vergütung soll den Anteil der kurzfristigen variablen Vergütung übersteigen (Empfehlung G.6 des Kodex 2020)



Festlegung der Leistungskriterien für alle variablen Vergütungsbestandteile nach operativen und vor allem an strategischen Zielsetzungen (Empfehlung G.7 des Kodex 2020)



Keine nachträgliche Änderung der Zielwerte oder Vergleichsparameter (Empfehlung G.8 des Kodex 2020)



Anhand der vorher festgelegten Ziele und deren Erreichung durch die jeweiligen Vorstandsmitglieder soll nach Ablauf des Geschäftsjahres die Höhe der individuell zu gewährenden Vergütungsbestandteile festgelegt werden (Empfehlung G.9 des Kodex 2020)



Langfristig variable Bezüge sollen überwiegend in Unternehmensaktien oder entsprechend aktienbasiert gewährt werden mit einer Haltedauer von 4 Jahren; Erläuterung im Vergütungsbericht bei Zufluss von Zuwendungen in einem späteren Jahr (Empfehlung G.10 des Kodex 2020)



Claw-Back-Option in begründeten Fällen (Empfehlung G.11 des Kodex 2020)



Auszahlung noch offener variabler Bestandteile bei Beendigung des Vertrags nach ursprünglich definierten Zielen (Empfehlung G.12 des Kodex 2020)



Abfindungs-Cap bei vorzeitiger Vertragsbeendigung sollen den Wert von zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten (Empfehlung G.13 des Kodex 2020)



Keine Vereinbarung von Zahlungen bei Change of Control (Empfehlung G.14 des Kodex 2020)



Anrechnung der Vergütung eines Vorstandsmitglieds aus konzerinternen Aufsichtsratsmandaten auf dessen Festvergütung (Empfehlung G.15 des Kodex 2020)

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Entscheidung des Aufsichtsrats über eine etwaige Anrechnung bei konzernfremden Aufsichtsratsmandaten (Empfehlung G.16 des Kodex 2020).

19 Beleuchtet man die vorgenannten Empfehlungen, die zukünftig Gegenstand der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG sein sollen, näher, wird deutlich, dass der Regierungskommission vor allem eine zeitlich und inhaltlich nachhaltige Vorstandsvergütung wichtig zu sein scheint. Dennoch bleibt für die Praxis festzuhalten, dass die Regierungskommission durch den Umfang und Inhalt der Empfehlungen denkbare und mögliche Vergütungsmodelle stark eingrenzt. Zudem ist anzumerken, dass in der Praxis oft noch keine konkrete jährliche Ausrichtung an die strategischen Ziele erfolgt, auch wenn die entsprechenden Empfehlungen grundsätzlich beachtet werden. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass eine erhebliche Anzahl an Unternehmen eine Abweichung zum Kodex wird wohl erklären müssen. 20 Besondere Bedeutung wird in der Praxis auch die Umsetzung der sog. Clawback-Klauseln bekommen, bei denen in begründeten Fällen variable Vergütungskomponenten von Vorstandsmitgliedern zurückgefordert werden sollen (sog. Clawback, Empfehlung G.11 des Kodex 2020). Die Umsetzung des Clawback wird sowohl rechtspolitsch als auch technisch intensiv diskutiert. Aktuell existiert weder in Deutschland ein Marktstandard noch international ein gültiger Standard für Clawback. Besonders zu betonen ist dabei, dass es keine aktienrechtliche Pflicht für börsennotierte Unternehmen in Deutschland gibt, Clawback-Klauseln in Vorstandsverträgen aufzunehmen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich aufgrund der Empfehlung des Kodex 2020 und sicherlich auch der Abstimmrichtlinien der Stimmrechtsberater der faktische Druck auf die börsennotierten Gesellschaften erhöhen wird. Festzuhalten ist, dass Clawback-Klauseln zwar aktienrechtlich zulässig sind, AGB-rechtlich aber wegen der möglicherweise mangelnden Einhaltung des Transparenzgebots je nach ihrer Gestaltung durchaus kritisch bewertet werden können. Insofern scheint zumindest die Regelung einer sog. PerformanceClawback-Klausel in Vorstandsverträgen in Betracht zu kommen. Danach wäre eine Rückzahlung denkbar, wenn sich später herausstellt, dass die Tätigkeit des Vorstandsmitglieds nicht der nachhaltigen Entwicklung folgte und entsprechend vereinbarte und ursprünglich erreichte Ziele im Nachhinein nicht als erreicht gelten, so dass die maßgeblichen Abschlüsse für die LTI-Gewährung nachträglich korrigiert werden müssen. Die

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Rückforderung würden in einem solchen Fall an ein objektiv feststellbares Ereignis anknüpfen. Das Thema ist sehr komplex und kann in diesem Beitrag nur angerissen werden. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Aufsatz von Dr. Georg Seyfarth in WM 2019, 521 ff. und 569 ff.

VI. Zusammensetzung des Aufsichtsrats (C) In den Grundsätzen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats wird neben 21 den bereits allgemein gültigen Anforderungen wie Kompetenz der Mitglieder des Aufsichtsrats, Erfordernis ausreichender Zeit zur Wahrnehmung der Aufgaben im Aufsichtsrat und Geschlechterquote empfohlen, dass der Aufsichtsrat bei der Benennung von Zielen und bei der Erarbeitung eines Kompetenzprofils auch auf die Diversität des Aufsichtsrats achten soll, vgl. Empfehlung C.1 des Kodex 2020. Zusätzlich zu der Definition der Diversität wie Alter, Geschlecht, Bildung- oder Berufshintergrund, wird nun auch in der Begründung des Kodex 2020 die Internationalität als Kriterium festgelegt. Es soll eine Altersgrenze für die Mitglieder im Aufsichtsrat festgelegt 22 und in der Erklärung zur Unternehmensführung angegeben werden, vgl. Empfehlung C.2 des Kodex 2020. Aus Sicht der Verfasserin ist der rechtspolitische Umgang mit dieser Empfehlung unklar. Vergleicht man diese Anforderung mit der Praxis in den USA, so bleibt festzuhalten, dass es dort jedenfalls keine Altersgrenze gibt. Die derzeitige Diskussion um das Renteneintrittsalter dauerhaft Beschäftigter von 63 auf 67 und nun auf 69 Jahre in Deutschland zeigt, dass die gesellschaftliche Akzeptanz einer längeren Beschäftigung der arbeitenden Bevölkerung angesichts der gesteigerten Vitalität der Gesellschaft steigt. Wo soll dann die Altersgrenze für Mitglieder im Aufsichtsrat liegen, wenn man bedenkt, dass das Amt des Aufsichtsrats nach Ansicht des Aktiengesetzes ein Nebenamt ist. Die Praxis sieht in einer Vielzahl von Fällen in der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat eine Altersgrenze von 72 Jahren vor. Dies dürfte angesichts der derzeit geführten Diskussion um die Anhebung des Renteneintrittsalters jedenfalls eine parallele Anhebung für die Gremienbetreuung auf sicherlich 75 Jahre rechtfertigen. Neu ist die Empfehlung, dass die Dauer der Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat offengelegt werden soll, vgl. Empfehlung C.3 des Kodex 2020. Die Regierungskommission macht in der Begründung deutlich, dass der Kodex 2020 weder eine Obergrenze für die Dauer der Zugehörigkeit fest-

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legt noch eine Empfehlung für eine Regelgrenze ausspricht. Letztlich kommt in der Praxis eine Verkürzung der Dauer der Zugehörigkeit im Aufsichtsrat für Anteilseignervertreter gegenüber den Arbeitnehmervertretern nicht in Betracht. Insgesamt kann man sich aus Sicht der Verfasserin dem Thema auch durch die Einführung eines sog. „Staggered Board“ annähern, in dem die Amtsdauer im Aufsichtsrat unter den verschiedenen Mitgliedern gestuft rolliert. Dieser Prozess einer gestaffelten Amtsdauer der Aufsichtsratsmitglieder würde zwei Ziele verfoglen: Zum einen ist es ein Mittel gegen eine feindliche Übernahme, wenn im Rahmen einer Hauptversammlung die Anteilseignerbank komplett ausgetauscht werden soll. Zum anderen bringt natürlich ein ständiger Wechsel auch frischen Wind in den Aufsichtsrat. In 2016 hat Airbus sein Kontrollgremium nach diesem Prinzip neu besetzt. In Deutschland hat sich das Prinzip der „Staggered Boards“ noch nicht breiter durchgesetzt. Dies mag daran liegen, dass sich die Unternehmen angesichts des Beschlussmängelrechts ungern jährlich in der Hauptversammlung mit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern befassen wollen. Dennoch wäre dies eine vernünftige Lösung, die neuen Kondexanforderungen zu erfüllen. 24 Vielfach diskutiert wird neu auch das Thema Overboarding, d.h. die Mandatsbegrenzung für die Aufsichtsratsmitglieder, vgl. Empfehlung C.4 des Kodex 2020. Dabei geht der Kodex 2020 weiter als die Beschränkung des Aktiengesetzes in Bezug auf die Mandatshöchstzahl, s. § 100 Abs. 2 AktG. 25 Ein Mitglied im Vorstand eines börsennotierten Unternehmens soll zukünftig nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbaren Funktionen und keinen Aufsichtsratsvorsitz in einer konzernexternen börsennotierten Gesellschaft wahrnehmen, vgl. Empfehlung C.5 des Kodex 2020. 26 Ist ein Aufsichtsratsmitglied nicht zugleich Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft, so soll es insgesamt nicht mehr als fünf Aufsichtsratsmandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbare Funktionen wahrnehmen, wobei ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt zählt, vgl. Empfehlung C. 4 des Kodex 2020. Nach der derzeitigen Praxis in Aufsichtsräten börsennotierter Gesellschaften wird eine Vielzahl von Abweichungen in der Entsprechenserklärung erklärt werden müssen. Zudem kann die Befolgung dieser Kodexempfehlung in der Praxis durchaus zu Veränderungen in der Zusammensetzung von Aufsichts-

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räten börsennotierter Gesellschaften führen, soweit es sich nicht um Berufsaufsichtsräte handelt. Erstmals wird im Kodex 2020 die Empfehlung zur angemessenen Anzahl 27 unabhängiger Mitglieder explizit auf die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner beschränkt, wobei es bei der Kodexempfehlung zur Unabhängigkeit selbst bleibt. So soll dem Aufsichtsrat auf Anteilseignerseite eine nach deren Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören; dabei soll die Eigentümerstruktur berücksichtigt werden, vgl. Empfehlung C.6 des Kodex 2020. Die Regierungskommission trägt damit der Kritik Rechnung, dass Arbeitnehmervertreter schon deshalb wohl nicht als unabhängig gelten, weil sie als abhängig Beschäftigte dem Direktionsrecht des Vorstands unterliegen und Interessenvertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat sind. Die Einschätzung, welches die angemessene Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder ist, soll allein von den Anteilseignervertretern selbst abgegeben werden. Die Festlegung muss nicht durch das Plenum des Aufsichtsrats erfolgen, eine Beteiligung des Plenums erscheint in der Praxis aber zielführend.

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Ein Aufsichtsratsmitglied ist im Sinne dieser Empfehlung als unabhän- 29 gig anzusehen, wenn es unabhängig von der Gesellschaft, deren Vorstand und von einem kontrollierenden Aktionär ist. Die Regierungskommission führt in ihrer Begründung zu der Empfehlung C.6 aus: „Damit ist zum einen eine Anzahl an Mitgliedern festzulegen, die unabhängig vom Vorstand bzw. der Gesellschaft sind, und zum anderen eine Anzahl, die unabhängig vom kontrollierenden Aktionär sind“. Somit sind zwei Quoten festzulegen und in der Erklärung zur Unternehmensführung anzugeben, wenn ein kontrollierender Aktionär im Aufsichtsrat vertreten ist. Eine allgemeine Festsetzung wie „2/3 des Gesamtgremiums sind unabhängig“ genügt der Empfehlung des Kodex 2020 nicht mehr. Unabhängig von Gesellschaft und deren Vorstand: Ein Aufsichtsrats- 30 mitglied ist unabhängig von der Gesellschaft und deren Vorstand, wenn es in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann, vgl. Empfehlung C.7 Satz 2 des Kodex 2020. Wie bisher, genügt bereits die abstrakte Gefahr eines Interessenkonflikts für die Annahme der Abhängigkeit.

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31 Erstmals enthält der Kodex 2020 einen nicht abschließenden Kriterienkatalog, wonach die Abhängigkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder auf der Anteilseignerbank indiziert sein könnte, vgl. C.7 Abs. 2 des Kodex 2020. Die Regierungskommission verweist darauf, dass es international üblich sei, mit der Definition der Unabhängigkeit einen Katalog konkreter Tatbestände zu verbinden, die entweder (i) die Unabhängigkeit ausschließen, (ii) eine widerlegbare Vermutung darstellen, oder (iii) Indikatoren für fehlende Unabhängigkeit darstellen, die einer pflichtgemäßen Würdigung unterliegen. Sie hat den Ansatz des Kriterienkatalogs favorisiert, weil aus objektiven Umständen in der Tat nicht ohne weiteres auf die Abhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds geschlossen werden kann. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Ansatz größere Unsicherheiten mit Blick auf die Auslegung und folglich auf die Entsprechenserklärung in der Praxis mit sich bringt. 32 Dementsprechend ist der Katalog mit Indikatoren, die gegen die Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds von der Gesellschaft und vom Vorstand sprechen (vgl. Empfehlung C.7 Abs. 2) auszuwerten und einer pflichtgemäßen Ermessensentscheidung zuzuführen. Es handelt sich um folgende Indikatoren: –

Vorstandsmitglied in den letzten zwei Jahren vor der Ernennung,



wesentliche geschäftliche Beziehung mit der Gesellschaft oder einem abhängigen Unternehmen (Lieferant, Kunde, Kreditgeber oder Berater),



naher Familienangehöriger eines Vorstandsmitglieds,



Aufsichtsratszugehörigkeit seit mehr als zwölf Jahren.

33 Wenn ein Aufsichtsratsmitglied trotz einschlägiger Indikatoren als unabhängig angesehen wird, soll die Ermessensentscheidung der Anteilseignerbank in der Erklärung zur Unternehmensführung begründet werden (Transparenz über die Ermessensentscheidung), vgl. Empfehlung C.8 des Kodex 2020. Die Regierungskommission gibt in ihrer Begründung ausdrücklich an, dass es „gute Gründe“ geben könne, die Unabhängigkeit trotz Erfüllung eines der vorgenannten Kriterien zu bestätigen. Entscheidend sei dann die Transparenz über die getroffene Ermessensentscheidung. 34 Unabhängig von kontrollierendem Aktionär: Im Fall eines kontrollierenden Aktionärs sollen mindestens ein Anteilseignervertreter bei Aufsichtsräten mit weniger als sechs Mitgliedern bzw. zwei Anteilseigner-

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vertreter bei Aufsichtsräten mit mehr als sechs Mitgliedern unabhängig sein, vgl. Empfehlung C.9 des Kodex 2020 bzw. Ziff. 5.4.2 Kodex 2017. Erstmalig formuliert die Regierungskommission in der Begründung zu der Empfehlung C.6 des Kodex 2020 eine eigene Definition des kontrollierenden Aktionärs. „Kontrolle ist beim Aktionär nach dem Verständnis der Regierungskommission gegeben, wenn ein Beherrschungsvertrag mit dem Aktionär besteht, der Aktionär über die absolute Mehrheit der Stimmen oder zumindest über eine nachhaltige Hauptversammlungsmehrheit verfügt.“ Ein Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig von dem kontrollierenden Ak- 35 tionär, wenn es selbst oder ein naher Familienangehöriger weder (i) kontrollierender Aktionär ist noch dem geschäftsführenden Organ des kontrollierenden Aktionärs angehört, oder (ii) in einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zum kontrollierenden Aktionär steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann, Empfehlung C.9 Abs. 2 des Kodex 2020. Diese Empfehlung soll sicherstellen, dass ein kontrollierender Aktionär im Aufsichtsrat angemessen repräsentiert, aber nicht überrepräsentiert ist, und auch die Minderheitsaktionäre angemessen berücksichtigt werden. Anders als bei der Beurteilung der Unabhängigkeit von Gesellschaft und Vorstand wurde hier kein Kriterienkatalog implementiert, den die Anteilseignerbank bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen könnte, so dass auch hier Unsicherheiten nicht gänzlich ausgeschlossen sind.

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Neu ist die Empfehlung der Ziffer C.10 des Kodex 2020, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende, der Prüfungsausschussvorsitzende sowie der Vorsitzende des mit der Vergütung des Vorstands befassten Ausschusses unabhängig von der Gesellschaft und vom Vorstand sein sollen. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll zudem auch unabhängig vom kontrollierenden Aktionär sein.

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Wie bisher sollen dem Aufsichtsrat nicht mehr als zwei ehemalige Mit- 38 glieder des Vorstands angehören, vgl. Empfehlung C.11 des Kodex 2020. Neu ist die Empfehlung (C.12 des Kodes 2020), dass Aufsichtsratsmitglieder nicht in einer persönlichen Beziehung zu einem wesentlichen Wettbewerber stehen sollen. Diese Anforderung dürfte in der Praxis ohnehin schon berücksichtigt werden und oftmals dazu führen, dass betroffene Mitglieder im Aufsichtsrat nicht an der Beratung und Beschlussfassung solcher, den Wettbewerb betreffender Tagesordnungspunkte teilnehmen.

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VII. Arbeitsweise im Aufsichtsrat (D) 39 Das Erstellen und die Veröffentlichung einer Geschäftsordnung des Aufsichtsrats auf der Internetseite der Gesellschaft, wie in der Empfehlung D.1 des Kodex 2020 vorgesehen, einem verbreiteten Anliegen, wie es in der Begründung der Regierungskommission heißt, wird mittlerweile verbreitet praktiziert. 40 Die allgemeinen Anforderungen einer guten Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, aber auch im Vorstand und Aufsichtsrat, wie der Grundsatz 13 des Kodex 2020 festschreibt, sind aus Praktikersicht eine Selbstverständlichkeit einer guten Unternehmensführung. Dennoch darf man nicht verkennen, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats hier eine entscheidende Rolle spielt. 41 Hierzu gehören auch die Bildung von fachlich qualifizierten Ausschüssen des Aufsichtsrats, wie z.B. – nur überblicksartig – der Prüfungsausschuss, der Strategieausschuss, das Präsidium, der Personalausschuss und zukünftig neu auch sicherlich vermehrt der Third Party Transaction Ausschuss, in denen sich Experten mit spezifischen aufsichtsratsrelevanten Themen auseinandersetzen. Neu ist, dass der Ausschussvorsitzende und die -mitglieder namentlich in der Erklärung zur Unternehmensführung genannt werden sollen, vgl. die Empfehlung D.2 des Kodex 2020. 42 Prüfung der Rechnungslegung durch den Aufsichtsrat: Der Prüfungsausschuss soll weiterhin die Rechnungslegung und den -prozess prüfen. Wie schon das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) und der Kodex 2017 festgelegt hat, umfasst der Prüfungskatalog des Prüfungsausschusses die Prüfung der Rechnungslegung, die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie die Überwachung der Abschlussprüfung und von Compliance. Nach der Empfehlung D.3 S. 2 des Kodex 2020 umfasst die Rechnungslegung insbesondere den Konzernabschluss, den Konzernlagebericht (einschließlich CSR-Berichterstattung), unterjährige Finanzinformationen und den Einzelabschluss nach HGB. Dies wird ohnehin verbreitet praktiziert. 43 Der Prüfungsausschuss soll zudem regelmäßig die Qualität der Abschlussprüfung beurteilen (vgl. Empfehlung D.11 des Kodex 2020). Diese Pflicht der Überwachung der Abschlussprüfung durch den Prüfungsausschuss ergibt sich bereits aus § 107 Abs. 2 Satz 2 AktG. Das bedeutet, dass

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sich der Prüfungsausschuss, wie in der Begründung ausgeführt wird, ein Bild von der Wirksamkeit der Abschlussprüfung macht und mit der Wirksamkeit bereits durchgeführter Prüfungen beschäftigt. Die Beurteilung durchgeführter Prüfungen soll sich dabei auf die Würdigung objektiv beurteilbarer Indikatoren (sog. Audit Quality Indicators) und, soweit verfügbar, auf Ergebnisse der Inspektion durch die Abschlussprüferaufsicht beschränken. Anforderungen an Vorsitzenden des Prüfungsausschusses: Neben den 44 aus Ziff. 5.3.2 Kodex 2017 bekannten Anforderungen soll der Vorsitzende des Prüfungsausschusses mit der „Abschlussprüfung vertraut“ sein, vgl. Empfehlung D.4 des Kodex 2020. Ferner soll der Aufsichtsrat regelmäßig ohne den Vorstand tagen (statt 45 bisher „bei Bedarf“; vgl. Empfehlung D.7 des Kodex 2020). Dies entspricht nicht nur der Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats, wie es in der Begründung der Regierungskommission heißt, sondern schafft auch für eine aufsichtsratsinterne Erörterung zusätzliches Vertrauen im Aufsichtsrat. Die Sitzungsteilnahme der Aufsichtsratsmitglieder soll individuell im Bericht des Aufsichtsrats offengelegt werden (statt bisher bei Teilnahme an der Hälfte der Sitzungen oder weniger; vgl. Empfehlung D.8 des Kodex 2020). Die entsprechenden Informationen enthält der Bericht des Aufsichtsrats der meisten Unternehmen bereits in Form einer Tabelle.

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Selbstbeurteilung der Wirksamkeit bzw. Effektivität der Arbeit des Auf- 47 sichtsrats (bisher „Effizienzprüfung“) soll neu auch die Ausschüsse umfassen. In der Erklärung zur Unternehmensführung soll berichtet werden, ob und wie die Selbstbeurteilung durchgeführt wurde (vgl. Empfehlung D.13 des Kodex 2020). Die Ergebnisse der Selbstbeurteilung sind vertraulich. In der Praxis erfolgt die Selbstbeurteilung des Aufsichtsrats und seiner 48 Ausschüsse bereits regelmäßig, oft jährlich, und ist in der Regel auch in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats festgelegt. Sie erfolgt entweder unternehmensintern aufgrund eines eigens dafür entwickelten Fragebogens des Unternehmens oder durch dafür eingeschaltete Berater, die Interviews mit allen Aufsichtsratsmitgliedern, Vorstandsmitgliedern sowie dem Corporate Office führen. Regelmäßig geht es um Fragen in Bezug u.a. auf die Beurteilung der Zusammenarbeit im Aufsichtsrat sowie in seinen Ausschüssen selbst, der Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Auf-

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sichtsrat, der Informationspolitik durch den Vorstand, der Rechtzeitigkeit und Qualität der eingereichten Aufsichtsratsunterlagen sowie Themen, bei denen Verbesserungsbedarf gesehen wird. 49 Entscheidend ist aus Sicht der Verfasserin eine selbstkritische Auseinandersetzung der Mitglieder des Aufsichtsrats individuell und des Aufsichtsrats insgesamt mit der Erledigung der Aufgaben des Aufsichtsrats. Dieses Ziel im Vordergrund wird es aus Sicht der Verfasserin Aufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat sein, festzulegen, ob der selbstkritischen Auseinandersetzung am zielführendsten intern oder unter Zuhilfenahme externer Berater nachgekommen wird. Letztlich wird aber entscheidend sei, wie der Aufsichtsrat mit Kritik und Optimierungsbedarf umgeht. Es ist die Aufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden die im Rahmen der Selbstbeurteilung identifizierten Themenfelder oder To Do’s umzusetzen, entweder im Aufsichtsrat (ggf. auch unter den Bänken) selbst oder in Richtung Vorstand. Entscheidend für eine gute Unternehmensführung ist letztlich auch eine gute Diskussionskultur und Offenheit im Aufsichtsrat und in seinen Ausschüssen sowie auch zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. 50 Die Ergebnisse der Beurteilung sind nach der Begründung der Regierungskommission allerdings vertraulich und somit nicht zu veröffentlichen, was angesichts der Sensitivität einer Vielzahl von Themen vollkommen richtig ist. Die in der Konsultationsfassung noch vorgesehene Empfehlung, dass die Selbstbeurteilung alle x Jahre extern unterstützt werden solle, wurde richtigerweise aufgegeben.

VIII. Interessenskonflikte (E) 51

Grundsatz 19 schreibt noch einmal den Grundsatz für die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat fest, dass sie dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind. Sie dürfen bei ihren Entscheidungen weder persönliche Interessen verfolgen noch Geschäftschancen für sich nutzen, die dem Unternehmen zustehen.

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In Bezug auf die Aufsichtsratsmitglieder gilt u.a. generell, dass Doppelmandate, also ein Aufsichtsratsmandat in der Obergesellschaft wie auch in der abhängigen Tochtergesellschaft, zulässig sind. Es gilt aber die sog. „Zwei-Hüte-Theorie“, wonach das betroffene Aufsichtsratsmitglied grundsätzlich im Interesse desjenigen Unternehmens handeln muss, für das es gerade tätig ist. Es liegt auf der Hand, dass das Vorliegen eines Inte-

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ressenkonflikts in jedem Fall besonders sorgfältig überprüft werden muss. Diese Verpflichtung trifft zunächst das betroffene Aufsichtsratsmitglied selbst. Wenn die Konfliktsituation auftritt, muss das betroffene Aufsichtsratsmitglied den Konflikt als solchen selbst bewerten und gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden offenlegen. Dies ist in der Praxis ohnehin de facto der Fall. Unter Umständen bietet sich in solchen Fällen auch eine eigene rechtliche Beratung des Aufsichtsrats oder einzelner Mitglieder des Aufsichtsrats an. Besondere Bedeutung hat die sorgfältige Beurteilung eines potentiellen 53 Interessenkonflikts, weil die Gefahr droht, dass die Business Judgement Rule für Entscheidungen des Gesamtaufsichtsrats nach der herrschenden Meinung verloren geht, wodurch der gesamte Aufsichtsrat konfligiert wird, falls der Interessenkonflikt tatsächlich besteht und nicht gegenüber dem Gesamtgremium offengelegt wird. Nachfolgender Kanon von Verhaltensweisen bietet sich an, je nachdem, ob nur ein vorübergehender oder endgültiger Interessenkonflikt besteht: –

Klärung von Interessenkonflikten als genereller TOP in jeder Sitzung des Aufsichtsrats



keine Teilnahme an der Beratung und Beschlussfassung eines oder mehrerer Tagesordnungpunkte(s)



Ruhenlassen des Mandats



Niederlegung des Mandats als ultima ratio.

Die Empfehlung E.1 des Kodex 2020 bekräftigt noch einmal, dass der Ansprechpartner für Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aufsichtsratsvorsitzende ist.

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Entsprechend der Regelung für den Aufsichtsrat sieht die Empfehlung 56 E.2 des Kodex 2020 vor, dass jedes Vorstandsmitglied Interessenkonflikte unverzüglich gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorstandsvorsitzenden offenlegen und die anderen Mitglieder des Vorstands hierüber informieren soll. Es soll zukünftig ausreichen, dass der Vorstandsvorsitzende (neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden) unterrichtet wird und dieser nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ob und ggf. wann und wie die anderen Vorstandsmitglieder zu informieren sind (vgl. Kodex-Begründung zu der Empfehlung E.2).

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IX. Vergütung im Aufsichtsrat (G) 57

Im Rahmen der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder sollen der höhere zeitliche Aufwand des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats sowie derjenige von Vorsitzenden und Mitgliedern von Ausschüssen angemessen berücksichtigt werden (vgl. Empfehlung G.17 des Kodex 2020). Klargestellt wird, dass die auch bisher vorgesehene Differenzierung an den höheren Zeitaufwand anknüpfen soll. Die Vergütung des Aufsichtsrats sollte in einer Festvergütung bestehen. Wird den Aufsichtsratsmitgliedern dennoch eine erfolgsorientierte Vergütung zugesagt, soll diese auf eine langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet sein. Vorstand und Aufsichtsrat müssen zudem jährlich nach den gesetzlichen Bestimmungen (ARUG II) einen Vergütungsbericht erstellen (Grundsatz 25 des Kodex 2020).

X. Transparenz und Berichterstattung (F) 58

Auch die Berichterstattung über die Corporate Governance wurde einer Neuerung unterzogen. Für mehr Klarheit und Verständlichkeit bietet die Neufassung eine vereinfachte Lösung in Grundsatz 22 des Kodex 2020: „Aufsichtsrat und Vorstand berichten jährlich in der Erklärung zur Unternehmensführung über die Corporate Governance der Gesellschaft“. Die bisherige Empfehlung zum Corporate Governance Bericht nach Ziff. 3.10 DCGK 2017 wird abgeschafft und die Erklärung zur Unternehmensführung im Lagebericht nach § 289f HGB wird zum wesentlichen Instrument der Corporate Governance Berichterstattung gemacht. Für die Erklärung zur Unternehmensführung ist primär der Vorstand verantwortlich. Die Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat kann aber dadurch gewahrt werden, dass beide Organe die Erklärung zur Unternehmensführung gemeinsam erstatten, jeweils für den sie betreffenden Teil.

XI. Zusammenfassung 59

Aus der praxisorientierten Sicht der Verfasserin schaffen die Neuerungen des Kodex 2020 ein erhöhtes Maß an Klarheit, insbesondere für den Adressatenkreis von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, aber auch von Investorenvertretern und anderen Stakeholdern. Die Verständlichkeit insbesondere für Nicht-Juristen erscheint erheblich gesteigert, was in der Praxis zu schnelleren und klareren Entscheidungen führen dürfte. Auch für ausländische Investoren und Stakeholder, die ganz überwie-

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gend aus der Logik des „one tier board“ kommen, schafft der Kodex 2020 mehr Klarheit für das duale Corporate Governance System. Am Ende konnte das Maximalziel, mit dem Kodex 2020 sämtliche Unsicherheiten auszuräumen, nicht erreicht werden. So wird auch für die Zukunft erforderlich sein, einzelne Fragestellungen im Expertenkreis zu diskutieren. Dies wird Basis für spätere Anpassungen des Kodex 2020 sein. Die frühe Veröffentlichung des Kodex 2020 noch vor dessen Inkrafttre- 60 ten ermöglicht eine frühzeitige Überprüfung und Umstellung der Praxis auf die Änderungen des Kodex 2020, sofern nicht im Einzelfall eine Abweichung erklärt werden soll. Vor dem Hintergrund, dass der Corporate Governance-Bericht zukünftig 61 in der Erklärung zur Unternehmensführung aufgehen wird, können die Unternehmen vor allem die geänderten Berichtspflichten prüfen und, sofern nötig, ihre internen Prozesse anpassen. Alles in allem geht der Kodex 2020 in die richtige Richtung.

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Bericht über die Diskussion des Referats Mayfeld Samy G. Sharaf Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-MaximiliansUniversität München Rz.

Rz. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Beitrag Hopt . . . . . . . . . . . . .

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II. Beitrag Bachmann . . . . . . . . .

2

IV. Beitrag Kremer . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung 1 Nach dem lebendigen und strukturierten Referat von Dr. Claudia Mayfeld, ehemalige General Counsel und Head of Legal & Compliance der innogy SE, übernahm Prof. Dr. Katja Langenbucher von der Goethe-Universität Frankfurt die Moderation und dankte zunächst für den kenntnisreichen und wohlabgewogenen Vortrag. Im Fokus der anschließenden Diskussion standen wie auch im Vortrag selbst, die streitbare Anregung A.5 des Entwurfs des neuen Deutschen Corporate Governance Kodizes (DCGK)1 zur Abhaltung einer außerordentlichen Hauptversammlung im Falle eines Übernahmeangebots auf Seiten der zu übernehmenden Gesellschaft sowie die Aufgabe des Erfordernisses der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder auf Seiten der Arbeitnehmervertreter. Auch wurde in Frage gestellt, inwiefern die umfangreiche Reform des DCGK überhaupt notwendig gewesen sei. An der Diskussion beteiligten sich Prof. Dr. Gregor Bachmann, Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt und Dr. Thomas Kremer.

1 Deutscher Corporate Governance Kodex wie von der Regierungskommission am 9.5.2019 beschlossen; abrufbar unter https://www.dcgk.de/files/dcgk/user content/de/Konsultationen/2019/DCGK%202019/190522%20DCGK%202019. pdf (zuletzt aufgerufen am 20.2.2020); inzwischen liegt die aktualisierte Fassung vom 16.12.2019 vor, die am 23.1.2020 beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingereicht worden ist; abrufbar unter https://dcgk.de/ files/dcgk/usercontent/de/download/kodex/DCGK%202020%20Vorlage%20BM JV%20FINAL.pdf (zuletzt aufgerufen am 20.2.2020).

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Sharaf – Bericht über die Diskussion des Referats Mayfeld

II. Beitrag Bachmann Zunächst ergriff Prof. Dr. Gregor Bachmann von der Humboldt-Univer- 2 sität zu Berlin das Wort und beschrieb, dass er das Unverständnis über die Beibehaltung der Anregung A.5 zunächst geteilt hätte. Bachmann erinnerte, dass die Referentin die Anregung kritisiert hätte, 3 eine außerordentliche Hauptversammlung bei einem Übernahmeangebot einzuberufen. Sie hielte dies nicht für händelbar und verstünde nicht, warum diese Anregung im Kodex geblieben sei. Er hätte sich genau dieselbe Frage gestellt, da die Kommission diese Anregung ursprünglich hätte streichen wollen und diese nun ja im Entwurf geblieben sei. Es hätte zudem schon zur alten Fassung viel Kritik von emittentenberatenden Anwälten dahingehend gegeben, dass dies theoretisch schön, aber praktisch kaum machbar sei. Daraufhin habe Bachmann die Stellungnahmen der Konsultationen ausgewertet und festgestellt, dass hauptsächlich institutionelle Anleger, beispielsweise die DWS, aber auch ausländische institutionelle Anleger und Aktionärsschützer wie die DSW2 die Beibehaltung der Anregung A.5 gefordert hätten. Ihre Argumente seien gewesen, dass es erstens kritisch zu sehen sei, wenn durch die Streichung Aktionärsrechte beschnitten würden. Hierzu merkte Bachmann an, dass dies wohl eher ein bloßer Reflex gewesen sei, gerade von ausländischen Akteuren, für die es kritisch klinge, dass hier die außerordentliche Hauptversammlung gestrichen werden soll. Er sei sich nicht sicher, inwiefern diese Akteure reflektiert hätten, wie die deutsche Hauptversammlung funktioniert und was für ein Aufwand mit ihr verbunden ist. Zweites Argument sei gewesen, dass eine außerordentliche Hauptversammlung bei einem Übernahmeangebot „international good practice“ sei. Auch hier bezweifelte Bachmann die Validität des Arguments, da dies in anderen Jurisdiktionen so sein möge, aber die deutsche Hauptversammlung wegen ihrer Schwerfälligkeit hierfür nur bedingt tauge.

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Drittes Argument sei gewesen, dass aktuelle Beispiele die Notwendigkeit 5 der Anregung belegen würden. Bachmann fragte sich, welche aktuellen Fälle damit gemeint sein könnten und mutmaßte, dass dies solche Transaktionen sein könnten, in denen die Hauptversammlung aktuell gar nicht gefragt werden würde. Er habe die Stellungnahmen dabei so verstanden, dass dies eventuell ein Hinweis sei, die Hauptversammlung doch bitte 2 Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V.

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auch dann einzuberufen, wenn dies gar nicht gesetzlich vorgeschrieben sei. Auch dieses Argument hielt Bachmann nicht für überzeugend und teilte somit die Kritik der Referentin Mayfeld. Dennoch sei die Kommission nicht zu tadeln, wenn sie dem Wunsch namhafter institutioneller Anleger und Aktionärsschützer nachkommt, die Anregung A.5 beizubehalten, wobei zu bezweifeln sei, ob dies wirklich durchdacht ist. Im Ergebnis teilte Bachmann die Einschätzung, dass der Kompromiss in diesem Fall sei, dass es sich nur um eine Anregung handele, deren Nichtbefolgung nicht einmal erklärt werden müsse. Mit dieser Kompromissformel könne man diese Anregung wohl stehen lassen. 6 Die Referentin Mayfeld stimmte Bachmann zu, dass die Abweichungsmöglichkeit die Anregung A.5 für die Praxis verschmerzbar mache.

III. Beitrag Hopt 7 Als nächstes wurde Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt vom MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg aufgerufen, der gleich zu Beginn herausstellte, mit der Referentin bezüglich des Kodex ganz weitgehend übereinzustimmen. Der neue DCGK sei eine schwere Geburt gewesen, doch sei es sehr anzuerkennen, dass sich die Kommission bereit gezeigt habe, sehr viele Dinge, die im Entwurf auf Kritik gestoßen sind, zu ändern. Diese Bereitschaft sei nicht selbstverständlich und daher explizit anerkennenswert. Insgesamt sei der neue Kodex international gesehen ein Schritt nach vorne. In vielen Einzelheiten könne man zwar anderer Meinung sein bzw. könne die Änderungen bisweilen auch beklagen. 8 Ob die Gesamtänderung des Kodex wirklich nötig gewesen ist, sei zu bezweifeln. Der jetzige Kodex sei schließlich nicht so schlecht gewesen. 9 Bezüglich der Einzelheiten sei zunächst auf die Anregung A.5 einzugehen. Hier ist Hopt der Ansicht, dass diese durchaus erhaltenswert sei, obwohl sie praktisch nicht einfach zu händeln sei und daher Schwierigkeiten aufwerfe. Er verwies aber auf die Tatsache, dass die außerordentliche Hauptversammlung bei einem Übernahmeangebot etwa im Vereinigten Königreich gängige Praxis sei und dort auch laufe. Notfalls müsse man sich überlegen, wie man dies bezüglich der Fristen für die Hauptversammlung machen würde, aber nichtsdestotrotz handele es sich um ein wichtiges Instrument für Anleger und zur Disziplinierung des Vorstands.

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Sharaf – Bericht über die Diskussion des Referats Mayfeld

Insofern sei man international betrachtet eher auf dieser Schiene und somit diese Anregung völlig in Ordnung. Die Referentin Mayfeld dankte Herrn Hopt und betonte den Charakter 10 einer Anregung. Aus ihrer Erfahrung konnte sie die Impraktikabilität dieser Anregung anschaulich anhand des Übernahmeangebots 2018 bei der innogy SE erläutern. Dabei sei das öffentliche Übernahmeangebot kurz nach der ordentlichen Hauptversammlung der innogy SE 2018 eingegangen, so dass das Unternehmen nicht in der Lage gewesen sei, zu diesem Angebot in der Hauptversammlung Stellung zu nehmen. Hintergrund sei, dass die Ankündigung des öffentlichen Übernahmeangebots am 12.3.2018 erfolgte, dann die entsprechenden Fristen des WpÜG liefen und das Übernahmeangebot zwei Tage nach der ordentlichen Hauptversammlung am 26.4.2018 überhaupt erst vorgelegt worden sei. Dies bedeute, dass eine sorgfältige Stellungnahme auf der ordentlichen Hauptversammlung der innogy SE gar nicht möglich gewesen wäre, – wenn man dies getan hätte –, dann aber präkludierend für die begründete Stellungnahme nach dem WpÜG gewirkt hätte, wo man natürlich sehr sorgfältig agieren müsse. Eine Einberufung einer weiteren Hauptversammlung der innogy SE mit 30-Tagesfrist wäre nicht zielführend gewesen, denn das Ziel, in der Hauptversammlung über das Übernahmeangebot und eventuelle Maßnahmen mit den Aktionären zu diskutieren, sei zeitlich überholt gewesen. Vorstand und Aufsichtsrat hätten zu diesem Zeitpunkt ihre begründete Stellungnahme bereits veröffentlicht gehabt. Im Ergebnis handele es sich nur um eine Anregung, was somit unschädlich sei. Bei der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter zeigte sich Hopt sehr 11 kritisch, diese sei gar nicht einzusehen, da Arbeitnehmer nie unabhängig sein könnten und selbst wenn man eine Unabhängigkeit annehmen würde, seien zumindest Interessenkonflikte da. Diese einfach auszunehmen aus der Unabhängigkeit hielte Hopt aber für verfehlt. Bezüglich der Unabhängigkeit von den kontrollierenden Aktionären ginge der Kodex in die richtige Richtung, obgleich damit noch nicht der internationale Standard erreicht sei. Der Meinungsstand in Deutschland hierzu sei wohl anders, aber man müsse sich langsam auf den internationalen Standard zubewegen. Mayfeld mahnte davor, alle internationalen Standards blind zu übernehmen, sondern zuvor die deutsche Praxis zu betrachten und sich kritisch zu fragen, ob die Übernahme des Standards wirklich Sinn ergebe.

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13 Zudem merkte Hopt an, dass zumindest eine Anregung, alle drei Jahre die Evaluation unter Heranziehung eines externen Beraters durchzuführen – dem internationalen Standard folgend – sinnvoll wäre. Natürlich entstünden hierdurch Kosten, aber ein solcher Blick von außen wäre schlichtweg anders, was seine eigenen Erfahrungen aus einem Aufsichtsratsmandat unterstreichen würden. 14 Mayfeld pflichtete aus ihrer Erfahrung bei, dass die Zusammenarbeit mit externen Beratern bei der Evaluation durchaus sinnvolle Impulse geben könne, welche Fragen man zusätzlich stellen könnte, auch wenn die Grundrichtung der Fragen ohnehin weitgehend übereinstimme. Auch werde das Verfahren selbstverständlich objektiviert durch externe Berater, doch nütze dies letztlich auch nicht, wenn man sich um die richtigen Schlüsse aus der Evaluation später nicht ausreichend kümmere. Insofern stimmte die Referentin grundsätzlich zu, dass der Einsatz externer Berater gut sein könne, betonte aber die Verantwortung des Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Umsetzung und sprach die zusätzliche Kostenbelastung für die Gesellschaften durch externe Berater bei der Evaluation an. 15 Schließlich ging Hopt auf die Regelungen zur Vorstandsvergütung ein, die nach einiger Kritik inzwischen deutlich verbessert worden seien. Ihn interessierte, inwiefern die Referentin aus ihrer praktischen Erfahrung heraus berichten könne, ob die recht starren Empfehlungen zur Vorstandsvergütung – unterstellt sie würden wie aktuell geplant in Kraft treten – nicht immer noch viele Abweichungserklärungen provozieren würden. Diese Frage zielte darauf ab, ob man nicht einige der Empfehlungen besser als Anregungen formuliert hätte. 16 In Bezug auf die Provokation von Abweichungserklärungen konnte Mayfeld nur für ihr Haus sprechen, wo wohl keine Abweichungserklärungen zu erwarten seien, da viele der Themenfelder wie etwa Peer Group-Vergleich und Vertikalvergleich bereits durchgeführt und wahrgenommen würden. Viele Unternehmen hätten sich das Thema auch vor dem Hintergrund der ständigen Diskussionen auf der Hauptversammlung bereits angeschaut und entschieden sich dann häufig zur Beachtung dieser Standards, um sich vor der Hauptversammlung eben keinen dahingehenden kritischen Nachfragen stellen zu müssen. Insofern war die Referentin der Ansicht, dass wohl keine allzu große Zahl an Abweichungserklärungen nötig werden dürfte, um einen HV-GAU zu vermeiden.

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IV. Beitrag Kremer Schließlich rief Langenbucher Herrn Dr. Thomas Kremer aus dem Vorstand der Deutschen Telekom AG auf, der sich sogleich auch als Mitglied der Kommission des Deutschen Corporate Governance Kodex vorstellte.

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Zunächst wollte Kremer auf die in der Diskussion geäußerte These ein- 18 gehen, wonach der bestehende Kodex nicht so schlecht gewesen sei und somit kein Reformbedarf bestanden hätte. Kremer pflichtete bei, dass der DCGK nicht schlecht gewesen sei, jedoch die Kommission vor einem strategischen Problem stünde. Dieses bestünde darin, dass der Einfluss des alten DCGK auf die Unternehmensleitung im Laufe der Zeit deutlich zurückgegangen sei, obwohl gleichzeitig das Thema Corporate Governance bei Aktionären und ihren Beratern in der Praxis vielmehr Bedeutung gewonnen habe – schon die Diskussionen der diesjährigen VGR-Tagung belegten dies doch. Die Frage, die sich vor diesem Hintergrund stelle, sei, wie es gelinge, dass man mit solch einem Kodex wieder mehr Einfluss auf die Praxis bekomme. Könnten Praxis und Kodex nicht wieder näher zusammengeführt werden, so dass die Unternehmen sich jedenfalls im Wesentlichen wieder an einen Maßstab halten würden? Diese Herausforderung sei aus Sicht Kremers das entscheidende Thema für den neuen Kodex. Ob dies gelungen sei, werde man erst sehen, wenn er in Kraft getreten sein werde. Die Reaktionen in der Praxis seien geteilt gewesen, jedoch sei die Kommission des DCGK nicht ohne positive Grundstimmung in dieser Frage. Bezüglich der Unabhängigkeit von Arbeitnehmervertretern forderte Kre- 19 mer, sich ehrlich zu machen und einzugestehen, dass die Begründung einer Unabhängigkeit enorm verkünstelt gewesen sei, für zahlreiche Diskussionen gesorgt habe, die aber ehrlicherweise nicht zielführend gewesen seien. Die Kommission habe also gleichsam gesagt, wie es ist: Arbeitnehmervertreter würden zahlreichen gesetzlichen Regelungen unterfallen, die in Deutschland sehr ausdifferenziert gestaltet seien und dabei könne man es dann doch auch belassen. So sei klar, dass es beim Thema Unabhängigkeit um die Anteilseignervertreter ginge. Diesen Gedankengang könne man trefflich kritisieren, aber nicht leugnen. Zu dem Thema außerordentliche Hauptversammlung bei Übernahme- 20 angeboten räumte Kremer schließlich ein, dass dies deswegen eine Anregung sei, weil sie eben nicht sonderlich praktikabel sei, aber auch wie

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bereits genannt zu unterstreichen sei, dass eine Vielzahl von Investoren immer wieder auf die Kommission zugekommen wäre, mit der Bitte, die Anregung nicht zu streichen. Dies würde laut der Investoren die falsche Botschaft übermitteln. Die Kommission teile im Ergebnis diese Einschätzung und verweise darauf, dass die Anregung schon viele Jahre im Kodex gestanden hätte. Der Kodex habe dies überlebt und der neue werde das auch tun. 21 Die Referentin Mayfeld dankte für den hilfreichen Einblick in den Gedankengang der Kommission und zog das Fazit, dass sie, wie die Diskussion gezeigt habe, offensichtlich nicht die Einzige im Saal sei, die der Ansicht ist: „Verkehrt ist der Kodex nicht.“

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Interne Ermittlungen Aktuelle Rechtsfragen und praktische Herausforderungen Dr. Christoph Klahold Rechtsanwalt, Wuppertal Rz.

Rz. I. Einleitung und Rechtsrahmen II. Praktische Aspekte . . . . . . . . 1. Vorbereitung einer Internen Untersuchung . . . . . . . . . . . . 2. Durchführung einer Internen Untersuchung . . . . . . . . . . . . III. Ausgewählte (offene) Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spannungsfeld Konzern: Trennungsprinzip vs. wirtschaftliche Einheit . . . . . . . . 2. Spannungsfeld Strategie: Kooperation mit den Ermittlungsbehörden . . . . . . . . . . . .

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3. Spannungsfeld: Whistleblower-Schutz/Unschuldsvermutung vs. datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch . . 4. Spannungsfeld „Zero Tolerance“: konsequente Sanktionierung vs. Arbeitsrecht . . . . 5. Spannungsfeld Organpflichten: Die Rolle des Aufsichtsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick: Der aktuelle Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes. . . . . . . .

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I. Einleitung und Rechtsrahmen Interne Untersuchungen1 haben in der deutschen Unternehmenspraxis in den letzten Jahren erheblich an Relevanz gewonnen. Sie sind fester Bestandteil von Compliance Programmen bzw. Compliance Management Systemen (CMS) und werden in der Öffentlichkeit insbesondere dann wahrgenommen, wenn ein Unternehmen in den Fokus behördlicher Ermittlungen gerät und sich entschließt, interne Aufklärungsarbeit zu leisten.

1 Im Folgenden wird der Begriff Interne Untersuchung oder Untersuchung für unternehmensinterne Aufklärungsmaßnahmen verwendet, während der Begriff Ermittlungen ausschließlich für behördliche, also staatliche Eingriffe verwandt wird.

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2 In Deutschland gibt es bislang2 weder eine eindeutige Definition des Begriffs Interne Untersuchungen noch einen belastbar abgesteckten Rechtsrahmen. Allerdings haben sich in den vergangenen 10–15 Jahren in der Unternehmens- und Beratungspraxis einheitliche Standards entwickelt, die sich zunehmend – mit entsprechend verfestigender Wirkung in der Praxis – auch in der Rechtsprechung widerspiegeln. Die Parallele zum übergeordneten Thema Compliance ist offensichtlich, wobei beide Themen durch internationale, insbesondere US-amerikanische Rechtspraxis und -anwendung geprägt und beeinflusst werden.3 3 Bei Internen Untersuchungen geht es darum, unternehmensintern Hinweisen auf Rechtsverstöße nachzugehen, den zugrunde liegenden Sachverhalt aufzuklären und auf dieser Basis unternehmerische Entscheidungen zum Umgang mit den gewonnenen Erkenntnissen zu treffen. Bevor diese grobe Beschreibung konkretisiert wird, ist zunächst eine Einordnung in das übergeordnete Thema Compliance vorzunehmen. 4 Compliance als Maßnahmen zur Sicherstellung rechtskonformen Handelns ist Rechtspflicht und eine Leitungsaufgabe des Vorstands einer Aktiengesellschaft.4 Compliance bezieht sich sowohl auf die Pflicht zur Einhaltung der anwendbaren Gesetze und internen Reglungen (Legalitätspflicht) als auch auf die zu treffenden erforderlichen organisatorischen Maßnahmen, diesen Zustand im gesamten Unternehmen dauerhaft her- bzw. sicherzustellen (Legalitätskontrollpflicht). Zur Erfüllung dieser Pflichten definiert der Vorstand in Ausübung eines weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraums in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung geeignete Compliance Programme für relevante Rechtsgebiete bzw. Risikofelder, die sich in ihrer Gesamtheit zu einem Compliance Management System (CMS) zusammenfügen. Das CMS des Unternehmens wird proportional risikobasiert aufgesetzt und erstreckt sich nach dem in der

2 Vgl. Rz. 48 zum aktuell in der Diskussion befindlichen Entwurf eines Verbandssanktionengesetz, mit dem Rechtssicherheit beim Thema Interne Untersuchungen geschaffen werden soll. 3 Vgl. zu den Ursprüngen Interner Ermittlungen sowie zum US-Recht: Momsen/ Helms/Washington in Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 3.E, Deferred Prosecution Agreements und Non-Prosecution Agreements, Rz. 6 ff. 4 Vgl. Ziff. 4.1.3 Deutscher Corporate Governance Kodex (künftig: Kodex-Grundsatz Nr. 5).

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Praxis bewährten „Prevent, Detect, Respond“-Ansatz sowohl auf präventive als auch auf risikoermittelnde bzw. aufklärende und schließlich reaktive Maßnahmen, die in ein geeignetes (Aufbau- und Ablauforganisation erfassendes) Organisationsmodell5 eingebettet sind. Compliance Programme werden in der Regel konzernweit aufgesetzt. So technisch dies klingen mag, so wichtig ist es in der Praxis für den Vorstand und die nachgeordnet für Compliance zuständigen Abteilungen, diese Maßnahmen mit den Unternehmenszielen und den zugrunde liegenden Unternehmenswerten zu verknüpfen, um auf dieser Basis eine wertorientierte Compliance Kultur vorzuleben und das CMS im gesamten Unternehmen glaubhaft zu implementieren.6 Auf dieser Basis sind Interne Untersuchungen wesentlicher Bestandteil 5 der unternehmensinternen detection und Grundlage für respond. Ziel einer Internen Untersuchung ist die interne objektive Aufarbeitung eines Sachverhalts unter Berücksichtigung sowohl belastender wie entlastender Umstände.7 Sie grenzt sich von Prüfungshandlungen der internen Revision dadurch ab, dass die Revision auf System- und Prozessschwächen fokussiert ist, während eine Interne Untersuchung Lebenssachverhalte aufklärt, diese rechtlich bewertet und dadurch individuelle Verantwortlichkeiten – sei es für aktive Rechtsverstöße durch den Vorstand, andere Leitungspersonen oder sonstige Mitarbeiter, sei es aufgrund von Verstößen gegen Organisations- und Aufsichtspflichten – herausarbeitet. Diese Bewertung ist sodann Grundlage, um eine Risiko- und Schadensanalyse (etwa in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit von Bußgeldern gegen das Unternehmen) vorzunehmen und weitergehende unternehmerische Entscheidungen (etwa zur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden) abzuwägen und zu treffen. Interne Untersuchungen sind Pflicht und nicht Kür.8 Die Unternehmens- 6 leitung trifft als Teil ihrer Legalitätskontrollpflicht die Verpflichtung, Hinweisen auf Rechtsverstöße im Unternehmen nachzugehen, laufende Verstöße abzustellen und die Verantwortlichen angemessen zu sanktio-

5 Vgl. dazu Klahold/Lochen in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 37. 6 Vgl. als aktuelles Beispiel aus der Unternehmenspraxis der Telekom: Kremer, DB, Sonderausgabe Compliance 2020, 5 ff. 7 Vgl. auch VerSanG, Begründung zu § 18 Ziff. 2. 8 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.7 ff. m.w.N.

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nieren, sog. Pflichtentrias.9 Diese grundsätzliche Ermittlungspflicht findet allenfalls dort eine Grenze, wo es um bloße Gerüchte oder ausschließlich um Bagatellvorwürfe geht, wobei die Abgrenzung in der Praxis, insbesondere vor der Untersuchung alles andere als trivial ist. Auch Hinweise auf sonstiges Fehlverhalten, d.h. schlechtes Management oder unzureichende Führung in Abgrenzung zum vorgeworfenen Rechtsverstoß, unterliegen keiner Ermittlungspflicht in diesem Sinne,10 sollten aber, um die Effektivität eines Hinweisgebersystems nicht zu unterminieren, an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden. Interne Untersuchungen sind Geschäftsführungsaufgabe i.S.v. § 77 AktG und damit sowohl horizontal als auch vertikal delegationsfähig. Der Vorstand kann also – wie auch bei anderen Compliance Maßnahmen – grundsätzlich einem einzelnen Vorstandsmitglied die Verantwortung zur Durchführung Interner Ermittlungen zuweisen und die Umsetzung auf geeignete Fachabteilungen (etwa die Rechts- oder Compliance Abteilung, mit Abstrichen11 auch die Revision) delegieren.12 Etwas anderes im Sinne einer Leitungsaufgabe gilt allerdings in Ausnahme- oder Krisensituationen, etwa bei erheblichem finanziellen Schadenspotential, konkreten und im Grundsatz bestätigten Hinweisen auf systemische Verstöße oder die Involvierung von Leitungspersonen oder gar Vorstandsmitgliedern,13 massivem behördlichem Zugriff und/oder drohendem erheblichem Reputationsschaden.

9 LG München, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, NZG 2014, 345 = NZWiSt 2014, 183 (m. Anm. Rathgeber) = ZIP 2014, 570 (m. Anm. Bachmann) = BB 2014, S. 850 (m. Anm. Grützner); Fleischer, NZG 2014, 321 ff.; vgl. auch unten Rz. 33 zur Abwägung zwischen konsequenter Sanktionierung und Handeln im Unternehmensinteresse. 10 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.13 ff. m.w.N. 11 S.o. zur grds. unterschiedlichen Zielsetzung der Tätigkeit der Internen Revision. In der Praxis empfiehlt sich gleichwohl eine intensive Zusammenarbeit von Revision und Compliance oder Rechtsabteilung, um das im Unternehmen vorhandene Know-how zur Aufarbeitung potentiell deliktischer Sachverhalte zu nutzen und die jeweiligen Wissens- und Erkenntnisquellen optimal zu verzahnen. 12 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.7 ff.; Klahold/Lochen in Hauschka/Moosmayer/ Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 37 Rz. 47. 13 Vgl. unter Rz. 38 ff. zur Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat bei Vorstandsinvolvierung.

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Bei der konkreten Ausgestaltung einer Internen Untersuchung besteht 7 ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum, den der Vorstand in Anwendung der Business Judgement Rule ausnutzen kann. Allerdings sind die in der Praxis sowie nunmehr auch in der Judikatur entwickelten anerkannten Standards zur Durchführung einer Internen Untersuchung zu berücksichtigen.14 Treten Hinweise auf Fehlverhalten auf, darf der Vorstand zur Entscheidung über Umfang, Eindringtiefe sowie die einzelnen Methoden zur Erstbewertung zunächst die erforderlichen Informationen unter Abwägung geeigneter Faktoren, wie Eilbedürftigkeit sowie Kosten-Nutzen-Verhältnis beschaffen. Ergibt sich auf dieser Basis eine Notwendigkeit zur Internen Untersuchung sind für die konkrete Durchführung einer angemessenen Untersuchung sodann weitere Aspekte zu berücksichtigen. Dazu zählt u.a. die Frage, ob es um bereits länger zurückliegende beendete oder möglicherweise noch andauernde Verstöße geht. Ferner ist das Schadenspotential und die Schwere des Vorwurfs, der Verdachtsgrad und seine Konkretisierung sowie eine eventuelle Konzerndimension zu beachten. Schließlich stellt sich die Frage, ob Interne Untersuchungen nur bei Vor- 8 liegen eines konkreten Verdachts zu veranlassen sind oder auch (stichprobenartig) anlassunabhängig durchgeführt werden sollen oder müssen, sog. Compliance Audits.15 Letzteres wird jedenfalls dann zumindest sorgfältig abzuwägen sein, wenn in einzelnen Geschäftsfeldern oder Einheiten bereits relevante Rechtsverstöße identifiziert wurden oder diese überwiegend wahrscheinlich sind und andere Geschäftseinheiten ein vergleichbares Risikoprofil (Länderrisiko, Geschäftsmodell, Zusammenarbeit mit kritischen Geschäftspartnern, Anzeichen für bevorstehende behördliche Ermittlungen etc.) aufweisen. Auch zur Prüfung der Implementierung und Wirksamkeit des CMS können anlassunabhängige Audits eingesetzt werden.

14 Vgl. dazu OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, GmbHR 2019, 1060 = BeckRS 2019, 14258. 15 Vgl. Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 25.40 ff.

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9 Interne Untersuchungen sind im Unternehmensinteresse und dienen einer Vielzahl vernünftiger Ziele. Dazu zählt die bereits beschriebene Pflicht, bei Hinweisen auf Rechtsverstöße zur Wiederherstellung bzw. Sicherstellung rechtskonformen Handelns tätig zu werden. Dies beinhaltet zugleich Maßnahmen zur Schadensabwendung oder zumindest -minimierung, etwa in Bezug auf Bußgeldrisiken oder Schadensersatzansprüche von Geschäftspartnern. In Sonderfällen kann dies auch mit einem Amnestieprogramm verzahnt werden, bei dem das Unternehmen Mitarbeitern den Verzicht auf Sanktion zusagt, sofern sie kritische Sachverhalte offenlegen und unternehmensinterne Aufklärung ermöglichen.16 In generalpräventiver Hinsicht sind sie Bestandteil einer gelebten und glaubwürdigen Compliance Kultur im Unternehmen; in Bezug auf Maßnahmen zur Verhinderung künftigen Fehlverhaltens Teil und Voraussetzung einer effektiven Risikoanalyse und zielgerichteter Präventionsmaßnahmen. Im rechtlichen Sinne sind sie Voraussetzung einer vergaberechtlichen Selbstreinigung und können zur Vorbereitung kartellrechtlicher Kronzeugenanträge und anderer Kooperationsbeiträge gegenüber Ermittlungsbehörden dienen. Schließlich dienen sie der Vorbereitung zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen, etwa gegenüber deliktisch handelnden Mitarbeitern oder Geschäftspartnern. All diese Ziele können ohne eine sachgerechte interne Aufarbeitung potentiellen Fehlverhaltens nicht erreicht werden. 10 Interne Untersuchungen tangieren eine Vielzahl von Rechtsgebieten und relevanten Personengruppen. Eine vollständige Analyse der jeweiligen rechtlichen Fragestellungen sowie der Interessen und Rechtspositionen der einzelnen Stakeholder würde den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen. Stattdessen erfolgt hier nur die nachfolgende graphische Illustration, um auf dieser Basis wichtige praktische Aspekte und Herausforderungen bei der Vorbereitung und Durchführung Interner Ermittlungen (Rz. 12, 17 ff.) sowie ausgewählte Rechtsfragen (Rz. 20 ff.) aufzuzeigen.

16 Grützner in Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 4.A, Interne Ermittlungen, Rz. 491 ff.m.w.N.

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II. Praktische Aspekte 11

Graphik 1: Übersicht über betroffene Rechtsgebiete und Stakeholder

1. Vorbereitung einer Internen Untersuchung Aufgrund der Vielzahl der relevanten Themen und Schnittstellen bedarf es zur erfolgreichen Durchführung Interner Ermittlungen einer intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung und organisatorischen Vorbereitung. Dazu zählen insbesondere die folgenden Punkte: –

Grundlegend ist zunächst, das CMS des Unternehmens zu entwickeln sowie regelmäßig zu überprüfen bzw. bei Bedarf anzupassen und es im Unternehmen auszurollen.



Dazu gehört, die relevanten Themenfelder (jedenfalls auf Basis einer Risikoanalyse zu prüfen für Korruptionsdelikte, Kartellrecht, Datenschutz, Geldwäsche, Exportkontrolle/Finanzsanktionen, Steuern, branchenspezifische Regelungen, technische Compliance usw.) sowie

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den Anwendungsbereich des CMS (grundsätzlich konzernweit17) festzulegen. –

Ferner ist eine Compliance Organisation einzurichten und die jeweiligen Rollen und Verantwortlichkeiten sind horizontal wie vertikal auf Ebene Vorstand, Fachabteilung und im operativen Geschäft zu definieren und zu kommunizieren. Dabei hat es sich auf Ebene der Fachabteilung jedenfalls in größeren Unternehmen in der Praxis bewährt, die Rolle des beratenden Compliance Officers/Juristen von der des für Interne Untersuchungen zuständigen Mitarbeiters zu trennen, um mögliche Interessenkonflikte zwischen Beratung und Aufklärung bereits organisatorisch zu vermeiden.18 Allerdings darf diese Maßnahme zur Verhinderung von „Non-Compliance der Compliance Abteilung“ bei aller gebotenen Vorsicht nicht auf Kosten einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der jeweiligen Abteilungen und Mitarbeiter führen. Stattdessen bedarf es einer abgestimmten Vorgehensweise, in der die Prävention von den Erfahrungen und Fällen der Investigation profitiert und die Interne Untersuchung auf den Erkenntnissen der Beratung aufsetzt.



Ein weiterer wichtiger Punkt bezieht sich auf die Ausstattung und Qualifikation der zuständigen Compliance oder Rechtsabteilung: Interne Untersuchungen stellen für die betroffenen Unternehmenseinheiten und ihre Mitarbeiter eine nicht zu unterschätzende zeitliche, organisatorische sowie emotionale Belastung dar, bis hin zur Sorge, Opfer einer (ggf. falsch verstandenen) Zero Tolerance Kultur des Unternehmens zu werden. Aus diesem Grund bedarf es – jedenfalls bei Unternehmen mit entsprechendem Risikoprofil – einer entsprechend ausgestatteten und qualifizierten Abteilung mit Zuständigkeit für Interne Untersuchungen.19 Rolle und Aufgaben des Investigators sind dabei so vielfältig wie das Thema selbst. Erforderlich sind nicht nur Kenntnisse der relevanten (in- und ausländischen) Rechtsgebiete, sondern z.B. auch technisches- und Organisationsvermögen, Know-how und Erfahrung bei der Durchführung von (sensiblen) Mitarbeitergesprächen, bis hin zu verhörähnlichen Situationen, Einfühlungsvermögen im Umgang mit Dilemmasituationen sowie die Fähigkeit zur Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen auf Basis der ge-

17 Siehe dazu näher Rz. 21 ff. 18 Vgl. dazu Klahold/Lochen in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 37 Rz. 47. 19 Vgl. dazu Moosmayer/Petrasch, ZHR 2018, 504, 518 m.w.N.

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wonnenen und an die Gremien berichteten Erkenntnisse. Schließlich ist die Schnittstelle zu externen Experten (Forensiker oder spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien) zu besetzen und das Untersuchungsteam ist zu führen.20 Auch in der Ablauforganisation bedarf es einer Reihe vorbereitender 13 Maßnahmen: –

So ist zunächst ein geeignetes Hinweisgebersystem einzurichten und zu betreiben.



Ferner ist das konkrete Konzept zur Prüfungsdurchführung – ggf. differenziert in anlassbezogene und anlassunabhängige Interne Untersuchungen – zu definieren und intern21 abzustimmen.

Neben relevanten Prozessthemen22 sollten wichtige spezifische Fragen 14 im Unternehmen verbindlich geklärt sein: –

So sind sowohl Hinweisgeber/Whistleblower vor Benachteiligung ausschließlich aufgrund eines gutgläubigen Hinweises (sog. No-Retaliation-Policy) wie auch betroffene Mitarbeiter im Sinne einer Unschuldsvermutung zu schützen.



Wichtig sind auch interne Regeln zur Durchführung von Interviews. So empfiehlt es sich etwa, eine Hinweispflicht festzulegen, sollten Mitarbeiter sich durch ihre Aussage selbst belasten und – jedenfalls in diesem Fall – aktiv die Beiziehung eines anwaltlichen Beistands oder

20 Die Einschaltung geeigneter externer Experten ist in der Praxis – häufig bereits aus Kapazitätsgründen oder mit Blick auf technische oder rechtliche Expertise – ein wichtiger Faktor. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass sie als Externe nicht in gleicher Weise die Organisation des Unternehmens kennen und das Vertrauen der Mitarbeiter genießen, wie die internen Ermittler. Zumindest die Steuerung und Gesamtverantwortung sollte daher In-House liegen und eine vollständige Übertragung der Ermittlungstätigkeit auf Externe sollte die absolute Ausnahme bleiben. Sollte die Compliance Abteilung selbst im Fokus möglichen Fehlverhaltens stehen, ist die Aufgabe der internen Koordination auf andere Abteilungen (etwa Recht oder Revision) zu übertragen. 21 Vgl. Rz. 15 zur Rolle des Betriebsrates. 22 Derartige interne Festlegungen können in der Praxis ohne weiteres die Stärke eines Handbuchs erreichen. In Frage kommen etwa: Festlegung von Zuständigkeiten und Abläufen in den einzelnen Ermittlungsphasen, Erstellen von wesentlichen Mustern und Vorstücken, etwa im Bereich Datenschutz oder zur Information der Mitarbeiter über den Ablauf von Interviews.

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des Betriebsrats anzubieten.23 Teilweise hat sich in der Praxis auch die grundsätzliche Teilnahme eines sog. Witness Counsel an Mitarbeitergesprächen bewährt, der im Auftrag des Unternehmens ein faires Verfahren zugunsten der Mitarbeiter sicherstellen soll. Auch sollten Regeln zur Kostentragung anwaltlichen Beistands und zum Versicherungsschutz etc. definiert werden.24 –

Ferner bietet es sich an, Grundsätze zur angemessenen Sanktionierung zu verabschieden. Diese enthalten allgemeingültige Regeln, welche Maßnahmen grundsätzlich in Betracht kommen und welche Umstände im Fall von Compliance Verstößen mildernd oder schärfend berücksichtigt werden.25 Dadurch kann dem Eindruck willkürlich wirkender Sanktionsentscheidungen vorgebeugt werden bzw. – positiv formuliert – es soll sichergestellt werden, dass vergleichbare Sachverhalte vom Unternehmen jeweils gleich behandelt werden.



Zudem sind Regelungen und Prozesse für den Fall festzulegen, indem sich ein Compliance Verdacht gegen einen oder mehrere Vorstandsmitglieder (oder Mitarbeiter der für Interne Untersuchungen zuständigen Abteilung) richtet. Dabei geht es sowohl um die Frage der Berichtslinie von unten nach oben, als auch um die Rolle des Aufsichtsrates und des (direkten) Zugriffs auf dem Vorstand nachgeordnete Mitarbeiter von oben nach unten.26



Ein weiteres wesentliches Themenfeld, das unbedingt „vor die Klammer“ gezogen werden muss, ist die Frage, ob die private Nutzung der dienstlichen E-Mail-Adresse im Unternehmen erlaubt oder untersagt ist.27 Damit im Verdachtsfall das Interesse des Unternehmens an ei-

23 Vgl. dazu etwa die sog. BRAK-Empfehlungen, Stellungnahme des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, abrufbar unter http://www. brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/ 2010/november/stellungnahme-der-brak-2010-35.pdf. 24 Grützner in Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 4, Interne Ermittlungen, Rz. 561. 25 Maßnahmen können bei leichteren bzw. individuell nicht vorwerfbaren Verstößen auf Schulungen oder organisatorische Maßnahmen gerichtet sein. Bei schwereren Verstößen sollte die gesamte Bandbreite arbeitsrechtlicher Sanktionen oder auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen zur Verfügung stehen. 26 Vgl. Klahold/Lochen in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 37 Rz. 53 sowie unten Rz. 38 ff. zur Rollenverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. 27 Vgl. Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.38 ff.

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ner reibungslosen und zügigen Aufklärung des Sachverhalts, inklusive Zugriff auf die (elektronische) dienstliche Korrespondenz von Mitarbeitern nicht an berechtigten Interessen der Mitarbeiter scheitert, empfiehlt es sich dringend, ein entsprechendes Verbot zu regeln. –

Schließlich gehört dazu auch die Festlegung von Auditrechten bei relevanten Geschäftspartnern28 und Joint Venture Gesellschaften bzw. Minderheitsbeteiligungen, damit im Verdachtsfall der Zugriff auf wichtige Informationen nicht an gesellschaftsrechtlichen Hürden oder am Verweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Partners scheitert29.

Im Kontext von Internen Untersuchungen kommt dem Betriebsrat in 15 vielen Unternehmen eine besondere Rolle zu. Ein generelles Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in Bezug auf Compliance oder speziell auf Interne Untersuchungen besteht nicht.30 § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist in der Regel nicht einschlägig, soweit die Prüfung auf dienstliche Unterlagen bezogen ist, weil damit das Arbeits- und nicht das Ordnungsverhalten der Mitarbeiter betroffen ist. Allerdings wird sich ein Mitbestimmungsrecht häufig aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergeben, wenn – etwa bei der Durchführung einer E-Search – (erstmals) technische Einrichtungen eingesetzt werden. Unabhängig von diesen rechtlichen Aspekten ist der Betriebsrat – je nach Mitbestimmungsstatut und Unternehmenskultur – ein wesentlicher Stakeholder und bereits deshalb ist zu empfehlen, ihn frühzeitig zumindest über das CMS des Unternehmens, einschließlich über die vorgesehenen Maßnahmen zur Aufklärung möglicher Verdachtsfälle durch Interne Untersuchungen zu informieren und grundsätzlich Einvernehmen über die Zielsetzung und die Maßnahmen zum Schutz des Unternehmen und seiner Mitarbeitern zu erzielen, Prozesssicherheit zu schaffen und umgekehrt Misstrauen und im schlimmsten Fall eine Frontenstellung zu vermeiden. 28 Etwa solchen, die als Absatzmittler in Risikoregionen für das Unternehmen tätig sind und auf Provisionsbasis vergütet werden. 29 Interessengerecht wird in diesen Fällen die Durchführung des Audits durch berufsmäßig zur Verschwiegenheit Verpflichteter sein, also etwa durch einen Rechtsanwalt oder einen Wirtschaftsprüfer, der dann nur über relevante Feststellungen bzw. Ergebnisse berichtet. 30 Vgl. dazu Grützner in Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 4, Interne Ermittlungen, Rz. 199 ff., 218 ff.; Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.36 ff.

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Graphik 2: Prozessdarstellung zum Ablauf einer Investigation

2. Durchführung einer Internen Untersuchung 17

Die Durchführung einer Internen Untersuchung bedarf sorgfältiger Planung auf Basis abgestimmter klarer Prozesse. Sofern das Unternehmen keine anlassunabhängigen Prüfungen durchführt, werden Interne Untersuchungen in der Praxis entweder durch Hinweisgeber bzw. andere interne Quellen oder durch behördliche Untersuchungsmaßnahmen ausgelöst. Es liegt auf der Hand, dass der behördliche Eingriff deutlich nachteiliger ist, weil er das Unternehmen in der Regel unvorbereitet trifft, Zeitdruck, Öffentlichkeit und Komplexität mit sich bringt und die potentielle Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit je nach Vorwurf deutlich ansteigen. Auch wenn sich eine Vielzahl komplexer rechtlicher wie strategischer Fragen, etwa in Bezug auf eine Kooperation mit den Behörden, den Umgang mit Untersuchungsergebnissen und das Verhältnis zwischen Aufklärung und Verteidigung insbesondere bzw. ausschließlich im Falle zeitgleicher behördlicher Ermittlungen und Interner Untersuchungen ergeben,31 ist die Grundkonstellation in Bezug auf Interne Untersuchungen in beiden Szenarien gleichwohl dieselbe: –

Zu Beginn ist der eingehende Hinweis im Sinne einer rechtlichen und tatsächlichen Einordnung zu plausibilisieren.32

31 Vgl. Rz. 26 zu den strategischen Fragestellungen und Maßnahmen im Fall behördlicher Ermittlungen als Auslöser einer Internen Untersuchung. 32 Das gilt grundsätzlich auch für den Fall einer parallelen behördlichen Ermittlung. Die Hürden zur Annahme eines Anfangsverdachtes und zur Einleitung eines Verfahrens sind nicht nur in Deutschland niedrig und nicht immer fin-

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Zuständig für die Untersuchung ist die Rechts- oder Compliance Abteilung.

Ergibt sich Anlass zur Durchführung einer Untersuchung sind wichtige Vorbereitungen zu treffen: –

Dazu gehört – je nach Schwere und Relevanz des Vorgangs – die Information des Vorstands und ggf. weiterer Stakeholder, wie Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer oder auch anderer Fachabteilungen (etwa Revision, IT oder Steuern) oder Führungskräfte, wobei – wie insgesamt während der gesamten Untersuchung – strikt nach dem „need-to-know-Prinzip“ vorzugehen ist, um weder den Untersuchungserfolg durch Einbindung potentiell Beteiligter zu gefährden, noch durch das Verbreiten von Wasserstandsmeldungen über potentielle Verstöße Unruhe im Unternehmen zu verbreiten und Aktionismus auszulösen und um die Interessen Betroffener zu schützen.



Anschließend sind Untersuchungsgegenstand und -umfang festzulegen, das weitere Vorgehen im Sinne eines Projekt- und Zeitplans zu definieren und das Untersuchungsteam zu bestimmen. Dabei wird bei relevanten, insbesondere auch internationalen Sachverhalten häufig die Einschaltung qualifizierter externer Rechtsanwälte und weiterer externer Experten, wie Forensiker, IT-Experten etc. geboten sein. Die Leitung der Untersuchung sollte dabei stets33 durch die Rechts- oder Compliance Abteilung erfolgen, um ein zielgerichtetes koordiniertes Vorgehen auf Basis fundierter Kenntnis des eigenen Unternehmens sicherzustellen und den von der Untersuchung betroffenen Mitarbeitern ein möglichst hohes Maß an Vertrauen in ein faires Verfahren zu geben.



Sodann ist der Rechtsrahmen der Untersuchung zu klären. Der Schwerpunkt wird häufig auf datenschutzrechtlichen Aspekten, der Prüfung ausländischer Rechtsordnungen sowie – insbesondere soweit die Untersuchung parallel zu behördlichen Ermittlungen erfolgt – Verfahrensfragen liegen.

det sich im Unternehmen ein „Packende“ zur Überprüfung eines behördlichen Vorwurfs. 33 Zu möglichen Ausnahmen von diesem Grundsatz bei Vorwürfen gegen Vorstandsmitglieder Rz. 41, 46.

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19 Für die Durchführung der Internen Untersuchung gibt es naturgemäß kein starres Korsett.34 Allerdings hat sich im Grundsatz folgendes Vorgehen bewährt: –

Zunächst sind die zum Untersuchungsgegenstand verfügbaren Informationen zusammenzuziehen. Dazu gehören allgemeine Informationen über den betroffenen Unternehmensteil, Zuständigkeiten/Organigramme, das Geschäftsmodell, frühere Vorfälle, operative Akten (Verträge, Korrespondenz, Gremien- und Besprechungsprotokolle etc.) und zum Vorgang vorhandene Rechtsberatung/Prüfungen etc.



Auf dieser Basis sind dann erste Sachaufklärungsgespräche mit Wissensträgern zu führen, die dann in der Regel erste Arbeitshypothesen zum möglichen Geschehen und den Beteiligten ermöglichen.



Diese sind sodann anhand der Aktenlage weiter zu konkretisieren. Soweit geeignet und erforderlich, sind dazu auch Massendaten aus der Buchhaltung sowie aus elektronischen Akten, einschließlich E-Mails etc. heranzuziehen und zu durchsuchen. Datenschutzrechtliche Vorgaben und Limitierungen sind zu beachten: § 26 BDSG erlaubt in Satz 1 die Verarbeitung personenbezogene Mitarbeiterdaten, soweit dies zur Entscheidung über die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Satz 2 statuiert – allerdings ohne nach h.M. eine Sperrwirkung auf die Eingriffsbefugnis nach Satz 1 zu begründen –, gesonderte Voraussetzungen für die Datenverarbeitung zur Aufdeckung von Straftaten. Erforderlich ist danach ein konkreter Verdacht und die Maßnahme muss zur Aufdeckung der Straftat erforderlich sein. In beiden Varianten wird die vorzunehmende Güterabwägung einen Eingriff rechtfertigen, wenn die Interne Untersuchung aus Risikoaspekten erforderlich ist. Dabei ist ein schrittweises Vorgehen geboten, d.h. die Dokumentendurchsicht umfasst im ersten Schritt allgemeine Geschäftskorrespondenz, Buchhaltungsunterlagen oder Projektakten und wird erst in einem zweiten Schritt nach entsprechender Risikobeurteilung auf persönliche (elektronische) Korrespondenz und Postfächer, soweit erforderlich auch im Wege der E-Search, ausgeweitet. Letzteres ist deutlich komplexer, wenn im Unternehmen die private Nutzung der dienstlichen E-Mail-Adresse erlaubt ist. Zwar ist das Unternehmen nach h.M. kein Anbieter von Telekommunikationsdiensten im Sinne des TKG, weil der Schutzzweck der Norm auf eine entgeltliche Kun-

34 Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere im Kontext der arbeitsrechtlichen 2-Wochen Frist des § 626 Abs. 2 BGB s. Rz. 35 ff.

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den-/Anbieter-Beziehung schützen und nicht auf das Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer gerichtet ist, so dass sich insoweit kein absolutes Verbot aus § 88 Abs. 3 TKG und keine Strafbarkeit nach § 206 StGB ergibt.35 Allerdings sind an die Güterabwägung und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs und die schutzwürdigen Interessen des Unternehmens nach § 26 BDSG deutlich strengere Anforderungen zu stellen. So wird im Einzelnen auch zu begründen sein, dass kein milderes Mittel zur Verfügung steht, warum die Schwere des Vorwurfs und der Verdachtsgrad einen Eingriff verlangen und welche technischen Sicherungsmaßnahmen ergriffen wurden, um Eingriffe in private Daten zu verhindern.36 –

Im Anschluss an die Daten- und Aktenanalyse sind weitere Gespräche zu führen, die dann auch konkrete Vorhalte zur Klärung individueller Verantwortlichkeiten beinhalten. Insbesondere, wenn es in den Gesprächen um eine potentielle strafrechtliche- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortung geht, sind die im Unternehmen festgelegten Interview Regeln zu befolgen.37



Laufend während der Untersuchung ist zu prüfen, ob Bedarf für ad hoc Maßnahmen besteht. Dazu zählen etwa die notwendigen Maßnahmen, um bereits identifizierte laufende Rechtsverstöße zu stoppen. Dazu können sowohl arbeitsrechtliche Maßnahmen (etwa Kündigung, Freistellung, Versetzung) gehören, als auch die Verhängung eines Zahlungsstopps gegenüber verdächtigen Geschäftspartnern und/ oder die Beendigung kritischer Verträge. Aber auch weitergehende rechtliche Schritte sind abzuwägen, wie etwa die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden, die Vorbereitung eines kartellrechtlichen Kronzeugenantrags, das Festlegen einer angemessenen Kommunikationsstrategie oder sogar die Prüfung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten.



Auf Basis der durchgeführten Sachverhaltsanalyse erfolgt schließlich die rechtliche Bewertung der identifizierten Sachverhalte, wobei häu-

35 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.42 ff. m.w.N.; vgl. auch LAG Hessen, Urt. v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, NZA-RR 2019, 130. 36 Die Herausforderungen für effektive Investigations in diesem Bereich steigen kontinuierlich, da die Bedeutung von Chatrooms etc. als Plattform des Informationsaustausches mit geringerer Eingriffsbefugnis der Unternehmen zunimmt. 37 S. Rz. 14.

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fig mit Arbeitshypothesen und Eintrittswahrscheinlichkeiten für Verstöße gearbeitet wird, soweit der Sachverhalt nicht vollumfänglich aufgeklärt werden konnte. –

Schließlich sind die empfehlenswerten bzw. erforderlichen Maßnahmen zu definieren und für die zuständigen Entscheidungsgremien aufzubereiten. Ziel ist zum einen der gebotene Umgang mit dem festgestellten bzw. angenommenen Sachverhalt (etwa durch angemessene Sanktionierung verantwortlicher Mitarbeiter und die finale Umsetzung weiterer Maßnahmen, wie etwa Beendigung kritischer Geschäftsbeziehungen, notwendige Korrektur unrichtiger Steuererklärungen/Abschlüsse, Bildung bilanzieller Rückstellungen, Geltendmachung von Ersatzansprüchen sowie weiterer – bereits im Rahmen der ad hoc Maßnahmen erwogener oder vorbereiteter Maßnahmen, wie z.B. zur Kooperation mit den Behörden). Zum anderen geht es darum, die Wiederholungsgefahr zu reduzieren und Schritte mit generalpräventiver Wirkung einzuleiten (etwa organisatorische Maßnahmen, Stärkung der Compliance Kultur und der unternehmerischen Verantwortung für Compliance, konkrete Schulungs- und Beratungsmaßnahmen etc.). Schließlich gehört auch die erforderliche (Gremien-) Berichterstattung in diesen Bereich.

III. Ausgewählte (offene) Rechtsfragen 20

Interne Untersuchungen bringen als Querschnittsthema eine Vielzahl praxisrelevanter Rechtsfragen mit sich. Neben die im Kern zu untersuchenden materiellen Rechtsthemen, wie Kartellrecht, Korruptionsdelikte, Steuerrecht etc. rücken zunehmend Verfahrens- sowie organisationsund haftungsrechtliche Fragen in den Mittelpunkt. Nachfolgend sollen aus der zweitgenannten Gruppe einige ausgewählte Aspekte näher beleuchtet werden, bei denen es in jüngerer Zeit durch gerichtliche Entscheidungen, sich wandelnde Behördenpraxis oder schlichte praktische Entwicklungen neue Tendenzen und Entwicklungen gibt.

1. Spannungsfeld Konzern: Trennungsprinzip vs. wirtschaftliche Einheit 21

Compliance Programme werden in der Praxis häufig konzernweit aufgesetzt. Interne Untersuchungen sind dementsprechend ebenfalls entweder auf Ebene der Muttergesellschaft gebündelt, d.h. es wird zentral eine konzernweite Zuständigkeit für Investigations geschaffen oder es gibt

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von der Konzernmutter zentrale Vorgaben zur lokalen Durchführung Interner Untersuchungen und zur Berichterstattung über die Ergebnisse nach „oben“. In beiden Fällen werden Erkenntnisse über Compliance Verstöße im Konzern bei der Muttergesellschaft mit dem Ziel gesammelt und ausgewertet, das CMS zentral auf Basis der vorhandenen Daten zu steuern und weiterzuentwickeln, einen einheitlichen Umgang mit Verstößen sicherzustellen, wesentliche Vorgänge aufzuarbeiten bzw. zumindest zentral zu begleiten und an Vorstand und Aufsichtsrat zu berichten. Es stellt sich die Frage, ob ein derartiges Vorgehen aus rechtlicher Sicht 22 erforderlich ist, mit anderen Worten, ob die Mutter38 eine Pflicht für konzernweite Compliance Maßnahmen und insbesondere konzernweit durchzuführende Interne Untersuchungen trifft und ihr Vorstand auch Compliance Hinweise aus einem verbundenen Unternehmen in gleicher Weise aufklären, abstellen und sanktionieren muss, wie in der eigenen Gesellschaft. Ausgangspunkt ist die nach h.M. im Grundsatz konzernweite Geltung der Legalitätskontrollpflicht, wonach der Vorstand der Muttergesellschaft zur Erfüllung der gegenüber seinem Unternehmen bestehenden Pflichten auch Compliance Maßnahmen in den Tochtergesellschaften durchzuführen hat und damit auf eine konzernweite Compliance „hinwirkt“.39 Bei der Ausgestaltung dieser Pflicht, insbesondere auch im Bereich aufklärender Maßnahmen, steht ihm aber ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu, wobei auch die jeweilige Konzernstruktur, inklusive begrenzter tatsächlicher und rechtlicher Zugriffsmöglichkeiten im faktischen Konzern, bei Joint Venture Gesellschaften oder ausländischen Tochterunternehmen zu berücksichtigen ist. Grundsätzlich zulässig sind demnach dezentrale Organisationsformen, bei denen Interne Untersuchungen auf Basis einheitlich abgestimmter Untersuchungskonzepte und -prozesse von den jeweils betroffenen Rechtsträgern bzw. geeigneten Zwischenholdings oder Spartenleitungsgesellschaften durchgeführt werden. Für das Berichtswesen können Materialitätsgrenzen eingezogen werden, so dass nicht jeder Hinweis bzw. jeder festgestellte Verstoß nach oben zu berichten ist. Dabei besteht allerdings je nach Unternehmensstruktur die Herausforderung, dass dezentrale Investigatoren ausreichend von der lokalen Geschäftsleitung unabhängig sind. Daraus folgt auch, dass mit zunehmender Dezentralität der Compliance Organisation der Anspruch und die Intensität von Effek38 Unstreitig besteht dieser Pflichtentrias für die Geschäftsleitung der jeweils betroffenen Gesellschaft, auf die sich der Verdacht bezieht. 39 Vgl. Ziff. 4.1.2 DCGK.

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tivitätsprüfungen durch die Konzernmutter steigt. Gerade wenn nicht sämtliche Verstöße auf Konzernebene transparent werden, ist sicherzustellen, dass gleichwohl systematische Verstöße, die erst in ihrer Summe zu einem relevanten Problem aus Konzernsicht werden, erkannt werden. Zudem dürften auch Stichproben angezeigt sein, um zu prüfen, ob die vereinbarten Regeln und Prozesse zur Durchführung Interner Untersuchungen im Einzelfall eingehalten wurden. 23 In diesem Zusammenhang ganz wesentlich ist eine Entscheidung des OLG München aus dem Jahr 2014 zur Reichweite der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG.40 Danach ist – im Einklang mit der h.M.41 – eine generelle konzernweite Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG abzulehnen. Stattdessen kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an und es besteht ein Gleichlauf zwischen der Reichweite der Aufsichtspflicht jenseits der Grenzen der juristischen Person und einer negativer Einflussnahme durch konkrete Weisungen, die das Handeln der Tochter beeinflussen und dadurch die Gefahr der Verletzung betriebsbezogener Pflichten erhöhen. Im Umfang dieser konkreten Einflussnahme besteht eine gesellschaftsrechtliche Aufsichtspflicht der Konzernmutter. Die Festlegung eines allgemeinen Kontrollrahmens im Konzern, etwa über die Einrichtung eines konzernweiten Risiko- oder Compliance Management Systems ist indes nicht ausreichend, um eine konzernweite Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG zu begründen. Ein Bußgeld- bzw. Haftungsrisiko42 bei relevanten Rechtsverstößen in einer Tochter ergibt sich daraus nicht. 24 Gleichwohl sprechen gewichtige Gründe dafür, Interne Untersuchungen – jedenfalls bei relevanten Themen mit hohem Schadenspotential – zentral durchzuführen. Neben rein praktischen Erwägungen, etwa analog zur Konzernrevision ein zentrales qualifiziertes Team aufzubauen, und allgemeinen Aspekten, wie etwa der Verlustausgleichspflicht gem. § 302 AktG im Vertragskonzern oder der Tatsache, dass ein relevanter Compliance Verstoß in aller Regel der Reputation und damit dem Marktwert des gesamten Unternehmens schadet, sollen hier insbesondere die beiden folgenden Punkte erwähnt werden: Zunächst ist zu berücksichti40 OLG München, Urt. v. 23.9.2014 – 3 Ws 599, 600/14, BB 2015, 2004. 41 Vgl. Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rz. 27 m.w.N. 42 Vgl. Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 25.9 m.w.N. zum Gleichlauf zwischen § 130 OWiG und § 93 AktG.

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gen, dass Bußgelder zunehmend nicht nur in Bezug auf ihre Obergrenze, sondern auch bei der konkreten Berechnungsmethodik auf Basis des Konzernumsatzes ermittelt werden und damit ohne weiteres die finanzielle Leistungsfähigkeit einzelner Konzernunternehmen übersteigen können. Eindrucksvoll kommt dies im sog. Konzernmultiplier der Bußgeldleitlinien des BKartA43 zum Ausdruck. Auch der jüngst veröffentlichte Bußgeldkatalog der Deutschen Datenschutzkonferenz44 führt rein rechnerisch für Unternehmen mit Milliardenumsätzen zu Bußgeldern in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe. Ferner wurde im Kartellrecht mit der 9. GWB Novelle das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip auch nach deutschem Recht durchbrochen und in § 81 Abs. 3a GWB eine schuldunabhängige akzessorische Haftung der Mutter analog der Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit nach Europäischem Kartellrecht eingeführt, so dass Bußgelder auch dann gegen die Mutter verhängt werden (können), wenn sie bzw. ihre Leitungspersonen oder Mitarbeiter gar nicht am Verstoß beteiligt waren oder Kenntnis davon hatten. Ausreichend ist bereits ein bestimmender Einfluss der Mutter auf die Tochter im Sinne einer nach allgemeinen Kriterien zu bestimmenden Ausübung ihrer Funktion als Leitungs- und Koordinierungsinstanz. Nach der Skanska Rechtsprechung ist nunmehr der europäische Unternehmensbegriff der wirtschaftlichen Einheit i.S.d. Art. Art. 101 AEUV als autonomer Begriff des Unionsrechts unmittelbar auch im Kartellschadensersatzrecht anzuwenden.45 Ein wichtiger praktischer Aspekt zur Organisation einer Internen Untersuchung im Konzern ergibt sich in Bezug auf Mandatsverhältnisse zum externen anwaltlichen Unternehmensvertreter aus der Jones Day Entscheidung des BVerfG.46 Ein Beschlagnahmeverbot anwaltlicher Untersuchungsdokumente kommt danach nur in Frage, wenn das Mandatsver43 Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren (Bußgeldleitlinien) vom 25.6.2013, Ziff. 13, abrufbar unter https://www.bundes kartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Leitlinien/Bekanntmachung%20%20Bußgeldleitlinien-Juni%202013.html. 44 Konzept der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder zur Bußgeldzumessung in Verfahren gegen Unternehmen vom 14.10.2019, abrufbar unter: https://www.datenschutzkonferenz-online.de/me dia/ah/20191016_bußgeldkonzept.pdf. 45 EuGH, Urt. v. 14.3.2019 – C-724/17, ECLI:EU:C:2019:204 Rz. 47, AG 2019, 607 = EuZW 2019, 374; vgl. Wagener, NZKart 2019, 535. 46 BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385, 2391 Rz. 102 ff.

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hältnis konkret mit der Gesellschaft besteht, die sich als potentieller Bußgeldschuldner nach § 30 OWiG in einer beschuldigtenähnlichen Stellung befindet. Ein Mandatsverhältnis zur Konzernmutter reicht demnach nicht aus, wenn der Verstoß auf Ebene der Tochter begangen wurde. Die Relevanz dieser Entscheidung mag in der Praxis grundsätzlich erheblich sein, insbesondere, wenn sich der Ursprungsverdacht nicht konkret einer Gesellschaft zuordnen lässt. Sie wird zum Nachteil der Unternehmen allerdings dadurch abgemildert, dass nach der Jones Day Entscheidung geklärt sein dürfte, dass Dokumente aus einer Internen Untersuchung ohnehin nicht dem Schutz des § 97 StPO unterliegen, soweit das Unternehmen keine beschuldigtenähnliche Stellung innehat.47

2. Spannungsfeld Strategie: Kooperation mit den Ermittlungsbehörden 26

Gerät ein Unternehmen in den Fokus eines staatsanwaltschaftlichen Verfahrens gehört der Satz „wir kooperieren vollumfänglich mit den Ermittlungsbehörden“ zum medialen Standardrepertoire. So nachvollziehbar diese Aussage im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit ist, um sich wenigstens nachträglich als „Good Corporate Citizen“ zu zeigen, so wichtig ist es, einen derartig weitreichenden Ansatz im Unternehmensinteresse abzuwägen.48 Im Ausgangspunkt dürfte jedes betroffene Unternehmen ein großes Interesse haben, behördliche Ermittlungen in dem Sinne zu unterstützen, dass etwa eine Durchsuchungsmaßnahme so minimalinvasiv wie möglich abläuft und den Behörden sowohl die Durchsicht physischer wie auch elektronischer Akten im Rahmen des Durchsuchungsbeschlusses ohne Hindernisse ermöglicht wird. Inwieweit eine Kooperation darüber hinaus im Unternehmensinteresse ist, bedarf gleichwohl sorgfältiger Abwägung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen grundsätzlich nicht verpflichtet sind, den Behörden Erkenntnisse über (mögliche) Straftaten anzuzeigen.49 Vielmehr sind für die Frage der Kooperation die maßgeblichen Umstände und Argumente als unternehmerische Ent47 BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385, 2391 Rz. 95. 48 Ausführlich dazu Klahold/Berndt in Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 3.A, Das Unternehmen als Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen, Rz. 107 ff. 49 Ausnahmen ergeben sich nicht nur im unwahrscheinlichen Fall des § 138 StGB, sondern auch im Steuerrecht aus § 153 AO oder bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen im Falle einer ad hoc Veröffentlichungspflicht von kapitalmarktrelevanten Informationen über Compliance Verstöße sowie

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scheidung gegeneinander abzuwägen. Das gilt sowohl für die grundsätzliche Entscheidung im Sinne einer selbstbindenden „voluntary disclosure Policy“ des Unternehmens, sich bei internen Kenntnissen über strafrechtlich relevante Taten stets an die zuständigen Behörden zu wenden, als auch bei jeder Einzelfallentscheidung. Sind bereits behördliche Ermittlungen anhängig, kann die Offenlegung der internen Untersuchungsergebnisse Dauer und Ausmaß des Verfahrens reduzieren und als positives Nachtatverhalten bußgeldmindernd wirken. Auch bevor Behörden eigene Ermittlungen aufgenommen haben, gehen Unternehmen zunehmend dazu über, interne Erkenntnisse über Compliance Verstöße gegenüber den Behörden offenzulegen. Im Bereich der Korruptionsdelikte ergeben sich maßgebliche Argumente aus einem Zusammenspiel zwischen Straf- und Steuerrecht, insbesondere durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG. Danach sind die Finanzbehörden verpflichtet, der Staatsanwaltschaft ihnen vorliegende Hinweise auf eine Korruptionsstraftat mitzuteilen. Muss das Unternehmen aufgrund dieser gesetzlichen Mitteilungspflicht mithin davon ausgehen bzw. damit rechnen, dass der Vorgang bei der nächsten Betriebsprüfung ohnehin an die Staatsanwaltschaft übergeben würde, kann es sich empfehlen, diesen Schritt besser koordiniert und selbsttätig zu veranlassen, zumal erkannte unrichtige Steuererklärungen nach § 153 AO zu berichtigen sind. Jenseits dieser „harten“ vom Einzelfall abhängigen rechtlichen Faktoren rückt auch ein gesamthaftes Compliance Verständnis bei der Abwägung mehr und mehr in den Fokus. Der Vorstand kann durch Kooperation mit den Behörden nach innen wie außen deutlich machen, dass er sein Compliance Commitment ernst meint und die Compliance Kultur im Unternehmen durch konsequentes Handeln im Sinne vollständiger Transparenz stärken möchte. Zudem wird die Verwendung und Verwertung der intern gewonnenen Erkenntnisse, etwa in der internen Compliance Kommunikation und Prävention, aber auch bei arbeitsrechtlichen Maßnahmen und Verfahren deutlich erleichtert. Die Komplexität des Abwägungsvorgangs zum Handeln im Unterneh- 27 mensinteresse ist gleichwohl erheblich und lässt sich gut am Beispiel des Kartellrechts im Spannungsfeld zwischen Bußgeld und Private Enforcement illustrieren. Dabei ist mittlerweile davon auszugehen, dass sich Bußgeld und Schadenersatz grundsätzlich in derselben Größenordnung bewegen können. Einerseits ergibt sich für Unternehmen durch In-

in Bezug auf den Data Breach als mitteilungspflichtiger Vorgang im Datenschutz.

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anspruchnahme der bestehenden Kronzeugenregelungen50 und der damit verbundenen Offenlegung von intern gewonnenen Erkenntnissen über wettbewerbswidriges Verhalten die Aussicht auf vollständigen oder teilweisen Bußgelderlass. Es gibt also einen klaren Anreiz zur Kooperation im Wettlauf mit potentiell ebenfalls zur Kooperation bereiten Wettbewerbern. Andererseits werden häufig erst durch das öffentliche Verfahren und die Einsicht in die Verfahrensunterlagen Schadensersatzklagen und ihre Substantiierung durch geschädigte Kunden ermöglicht. Die Rechte potentieller Schadensersatzkläger wurden dabei durch die 9. GWB Novelle massiv ausgeweitet und gestärkt,51 auch wenn Kronzeugen, etwa im Bereich der Akteneinsicht52 oder der gesamtschuldnerischen Haftung53 teilweise privilegiert werden. 28

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der BGH54 die Bußgeld mildernde Wirkung effizienter bzw. effektiver Compliance Maßnahmen – und zwar sowohl vor, als auch im Nachtatverhalten – mittlerweile anerkannt hat. Damit werden die Aussichten auf eine positive Wirkung von Aufklärungsbeiträgen durch das Unternehmen auch jenseits formaler Kronzeugenprogramme weiter gestärkt.

29 Praktische Auswirkungen ergeben sich auch hier durch die Jones DayEntscheidung des BVerfG.55 Danach dürfte bis auf Weiteres geklärt sein, dass Dokumente aus Internen Untersuchungen, einschließlich anwaltlicher Arbeitsprodukte grds. nicht nach § 97 StPO beschlagnahmefrei sind, soweit das Unternehmen keine beschuldigtenähnliche Stellung innehat.56 Für (insoweit nicht geschützte) Interne Untersuchungen ergibt sich dadurch ein erheblicher Zeitdruck, damit diese als Basis für eine Ent50 Vgl. nur die Bonusregelungen der Europäischen Kommission (Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen vom 8.12.2006) und des BKartA (Bekanntmachung über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen – Bonusregelung – vom 7.3.2006). 51 § 33a ff. GWB. 52 § 33g Abs. 4 Ziff. 1 GWB. 53 § 33e GWB. 54 BGH, Urt. v. 9.5.2017 – 1 StR 265/17, BB 2017, 1931 = NJW 2017, 3798 (Ls.) = NZG 2018, 36 (Ls.), vgl. auch Jenne, CCZ 2017, 285. 55 BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385, 2391 Rz. 102 ff. = NStZ 2019, 159 (m. Anm. Knauer) = NZG 2018, 1112 = BB 2018, 1673. 56 Eine solche dürfte sich erst dann ergeben, wenn bereits gegen eine Leitungsperson ermittelt wird und damit eine konkrete Wahrscheinlichkeit besteht,

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scheidung „pro/contra Kooperation“ und die damit verbundene Aussicht auf Bußgeldreduzierung dienen kann. Denn der Vorstand ist bei relevanten Hinweisen auf Compliance Verstöße zur Aufklärung verpflichtet. Eine ausreichende Informationsbasis zur Herbeiführung einer im Einklang mit § 93 AktG stehenden Entscheidung über die Frage, ob und wenn ja, gegenüber welchen in- und/oder ausländischen Behörden und auf Basis welchen Sachverhalts das Unternehmen auf zuständige Ermittlungsbehörden zugeht, wird gerade bei komplexen Vorgängen, etwa mit Auslandsbezug, nicht in kurzer Zeit zu erlangen sein. In dieser Phase steigt, nicht zuletzt aufgrund der Internen Untersuchung und ihrer Sichtbarkeit innerhalb und außerhalb des Unternehmens, das Risiko, das Behörden von dritter Seite auf den Sachverhalt aufmerksam werden und Ermittlungen einleiten. Daher ist zielgerichtetes zügiges Handeln auf Basis einer guten Vorbereitung unerlässlich. Insgesamt gibt es in der Praxis eine eindeutige Tendenz, dass Unternehmen ihre Erkenntnisse aus Internen Untersuchungen mit den zuständigen Behörden teilen und damit zur Aufklärung möglicher Straftaten beitragen. Zusätzlich zu den bereits genannten Abwägungskriterien kooperieren Unternehmen nicht nur aufgrund eines in Deutschland gestiegenen öffentlichen Erwartungsdrucks mit entsprechend negativer Auswirkung auf die Reputation im Falle einer Verweigerungshaltung, sondern häufig auch vor dem Hintergrund ausländischer Ermittlungen und den dort – etwa in den USA57 – gegebenen Rahmenbedingungen für einvernehmliche Verfahrensbeendigungen und Interne Untersuchungen.

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3. Spannungsfeld: Whistleblower-Schutz/Unschuldsvermutung vs. datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch Beim Umgang mit Hinweisen auf Compliance Verstöße besteht nicht nur zu Behörden eine wesentliche Schnittstelle, sondern es ergeben sich auch Auswirkungen auf Rechtspositionen der betroffenen natürlichen Personen. Der – ggf. zu Unrecht beschuldigte – Mitarbeiter oder Manager kann getreu dem Motto „irgendetwas bleibt immer hängen“ auch nach

dass gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG, ggf. i.V.m. § 130 OWiG ein Bußgeld verhängt wird. 57 Vgl. dazu Momsen/Helms/Washington in Momsen/Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 3.E, Deferred Prosecution Agreements und Non-Prosecution Agreements, Rz. 1 ff.; Karami, NZWiSt 2019, 383, jeweils m.w.N.

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Abschluss der Untersuchung durch „Freispruch“, also Feststellung, dass sich die Hinweise auf Fehlverhalten nicht bestätigt haben, benachteiligt bleiben, wenn Vorwürfe und Gerüchte über Umstände und Ausmaß angeblicher Verstöße im Unternehmen kursieren. Gleiches gilt für den Whistleblower, der schnell als Nestbeschmutzer oder Denunziant gebrandmarkt wird, auch wenn er im besten Interesse des Unternehmens Hinweise auf mögliches Fehlverhalten an die zuständige Stelle gegeben hat. Das Risiko, als Hinweisgeber Nachteile zu erleiden, steigt erfahrungsgemäß, wenn Fehlverhalten Vorgesetzter oder hochrangiger Führungskräfte angezeigt wird. Aus diesem Grund sind die Unschuldsvermutung und eine aktive No-Retaliation Policy wesentliche Eckpfeiler der Compliance Kultur eines Unternehmens und Grundprinzipien Interner Untersuchungen,58 deren Einhaltung u.a. durch einen strikten need to know-Informationsansatz abgesichert wird. Dieses wichtige Grundverständnis fairer Interner Untersuchungen wird nun durch ein Urteil des LAG Baden-Württemberg59 in der Praxis auf die Probe gestellt, weil dem betroffenen Mitarbeiter arbeits- und datenschutzrechtliche Einsichtsund Auskunftsrechte eingeräumt werden, die den Schutz des Hinweisgebers und seiner Identität deutlich erschweren. Das Urteil erstreckt den individualrechtlichen Einsichtsanspruch in die Personalakte nach § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch auf Angaben in einem Hinweisgebersystem. Vom Anwendungsbereich der Norm seien sämtliche Aufzeichnungen, die sich mit der Person des Arbeitnehmers sowie dem Inhalt und der Entwicklung seines Arbeitsverhältnisses befassen, erfasst. Danach weise auch die Fallakte aus einem Hinweisgebersystem einen ausreichenden inneren Bezug zum Arbeitsverhältnis auf.60 Das Gericht setzt sich in seinem Urteil explizit mit dem Spannungsverhältnis der Interessen des Arbeitnehmers und dem gebotenen Schutz des Hinweisgebers auseinander61 und kommt zu dem Ergebnis, dass die Existenz eines vom Unternehmen betriebenen Hinweisgebersystems nicht zu Lasten des Einsichtsrechts des Arbeitnehmers gehen dürfe. Die Anonymität des Whistleblowers müsse nötigenfalls durch Schwärzung der relevanten Abschnitte gewahrt werden. Daneben nimmt das Gericht zugunsten des 58 S. Rz. 14. 59 LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA-RR 2019, 242 = ZD 2019, 276 (m. Anm. Wybitul) = NZA 2019, 711 (Ls.) (n.rk., allerdings wurde in Bezug auf das Einsichtsrecht trotz der Reichweite der Entscheidung die Revision nicht zugelassen). 60 LAG Baden Württemberg, Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, Rz. 159 ff. 61 LAG Baden Württemberg, Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, Rz. 181 ff.

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Mitarbeiters ein datenschutzrechtliches Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO und ein Recht auf Kopiegabe nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO an, d.h. der Mitarbeiter kann von seinem Arbeitgeber eine Kopie seiner personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten, die Gegenstand der von ihm vorgenommenen Verarbeitung sind, fordern. An Einschränkungen dieser Ansprüche, etwa zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen oder zum Schutz des Hinweisgebers, seien hohe Anforderungen zu stellen. Bei aller bestehenden rechtlichen Unsicherheit über Voraussetzungen und Reichweite der genannten Ansprüche aus Art. 15 DSGVO ist offensichtlich, dass das Urteil des LAG Baden-Württemberg weitreichende praktische Auswirkungen auf die Compliance Arbeit der Unternehmen und den Schutz von Whistleblowern hat. Dabei werden wesentliche Fragen zum Verhältnis von § 83 BetrVG zu Art. 15 DSGVO nicht beantwortet, obwohl die schützenswerten datenschutzrechtlichen Interessen der Hinweisgeber im Rahmen einer Gesamtabwägung unter Einbeziehung europarechtlicher Datenschutzprinzipien (etwa aus Art. 5 Abs. 1 lit. a und Art. 88 Abs. 2 DSGVO) zu berücksichtigen sind. Die weitere Rechtsentwicklung in diesen Kollisionsfällen bleibt abzuwarten, wobei Impulse nicht nur aus der Positionierung der Datenschutzbehörden als auch durch die Umsetzung der europäischen Whistleblower-Richtlinie62 zu erwarten sind.

4. Spannungsfeld „Zero Tolerance“: konsequente Sanktionierung vs. Arbeitsrecht Die Glaubwürdigkeit eines Compliance Programms lebt ganz entschei- 32 dend davon, wie das Unternehmen im Falle festgestellter Verstöße mit den identifizierten Tätern umgeht und ob es gelingt, Fehlverhalten eigener Mitarbeiter konsequent und angemessen zu sanktionieren. Sowohl die Verhängung einer angemessenen Sanktion, als auch deren rechtliche Umsetzung können in der Praxis jedoch Schwierigkeiten bereiten. Dabei ist die Lösung der ersten Frage nicht nur davon abhängig, ob im 33 Einzelfall im Hinblick auf den betroffenen Mitarbeiter die Voraussetzungen für Ermahnung, Abmahnung, Kündigung oder Schadensersatz vorliegen, sondern es bedarf auch einer Einordnung des Vorgangs in die „Compliance Situation“ des Unternehmens, weshalb sich – jedenfalls 62 Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABl. EU Nr. L 305 v. 26.11.2019, S. 1 v. 26.11.2019; vgl. dazu Dilling, CCZ 2019, 214.

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bei größeren Unternehmen mit entsprechendem Risikoprofil – die Einführung einer Sanktionsleitlinie63 sowie eines beratenden Gremiums unter Teilnahme der relevanten Stabsabteilungen, wie Compliance, Personal, Recht, interne Revision (Sanktionsausschuss) empfiehlt, um eine einheitliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte sicherzustellen. Bei der Frage, ob und wie ein schwerwiegender Compliance Verstoß durch (fristlose) Kündigung sanktioniert werden kann und soll, steckt das Unternehmen nicht selten in einem Dilemma, weil es je nach Fallkonstellation zur erfolgreichen Kooperation mit den Ermittlungsbehörden mangels eigener Sachverhaltskenntnis auf Informationen des beschuldigten Mitarbeiters angewiesen ist. Gleichwohl ist zwingend darauf zu achten, dass festgestellte Verstöße gegen das Compliance Programm auch angemessen sanktioniert werden.64 Die Ahndung festgestellter Verstöße ist nicht nur Rechtspflicht, sondern auch zur Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit der Compliance im Unternehmen zwingend erforderlich. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Compliance Bemühungen des Unternehmens als willkürlich bzw. als bloße Lippenbekenntnisse aufgefasst werden und das Programm seine Wirkung verliert, und zwar sowohl im Hinblick auf seine Abschreckungswirkung als auch in seiner Präventivwirkung zur Stärkung einer Compliance und Integritätskultur und damit letztlich in Bezug auf den strategischen Mehrwert von Compliance für nachhaltig erfolgreiches unternehmerisches Handeln. 34 Bei der rechtssicheren Umsetzung der Sanktion werden Unternehmen mitunter von den Realitäten des deutschen Arbeits- und Kündigungsschutzrechts eingeholt, etwa weil die Entscheidung, verantwortlichen Mitarbeitern/Führungskräften wegen festgestellter Rechtsverstöße zu kündigen, nachgelagert von deutschen Arbeits- oder (bei Organmitgliedern) LG korrigiert wird. Dabei geht es nicht nur um materiell-rechtliche Anforderungen65 an die (außerordentliche) Kündigung wegen schwerer 63 Vgl. Rz. 14. 64 Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 25.50; Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 8 Rz. 48. 65 Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Kündigung entstehen aus Unternehmenssicht vor allem, wenn sich der Arbeitnehmer darauf berufen kann, er habe annehmen dürfen, die Rechtsverletzungen seien vom Vorgesetzten und damit vom Unternehmen geduldet oder gar angeordnet gewesen. In einigen (nicht veröffentlichten) Entscheidungen wird von den Gerichten darauf verwiesen, dass für die Wirksamkeit einer Kündigung nicht die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens entscheidend sei, sondern ein Verstoß gegen ver-

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Pflichtverletzung oder an die Verdachtskündigung und damit verbundene Beweisfragen, sondern auch um die Herausforderungen, im Rahmen einer Internen Untersuchung die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten. Beide Aspekte werden in einer aktuellen Entscheidung des OLG Hamm66 thematisiert. Die materiell-rechtlichen Ausführungen sollen hier nur schlaglichtartig kurz erwähnt werden: So stellt das Gericht u.a. fest, (i) dass die Kündigung aus wichtigem Grund wegen gravierender Compliance Verstöße eines Geschäftsführers keine Abmahnung voraussetzt,67 (ii) auch ein Verstoß gegen verfahrensrechtliche Compliance Regeln eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen kann68 und (iii) die Pflichtverletzung dadurch verschärft wird, dass der Geschäftsführer durch den Compliance Verstoß nicht nur seine eigene Vorbildfunktion („Tone from the Top“) untergräbt, sondern durch sein Verhalten die Compliance Regeln gegenüber den Mitarbeitern in Frage gestellt werden.69 Für Interne Untersuchungen sind die Feststellungen des Gerichts zur 35 Fristberechnung bedeutsamer. Neben dem bereits beschriebenen Dilemma, dass das Wissen rund um einen Compliance Sachverhalt nicht selten „in den Köpfen“ der mutmaßlichen Täter steckt, so dass das Unternehmen Gefahr läuft, sich durch eine vorschnelle Beendigung des Arbeitsverhältnisses der maßgeblichen Informationsquelle zu berauben, besteht eine weitere Herausforderung darin, die Interne Untersuchung so durchzuführen, dass eine möglicherweise gebotene Kündigung aus wichtigem Grund nicht an der kurzen Frist des § 626 Abs. 2 BGB scheitert. Dabei geht es im Kern um die Frage des Fristbeginns, d.h. ab wann das Unternehmen Kenntnis vom zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Lebenssachverhalt hat, welche Aufklärungsmaßnahmen ergriffen werden dürfen, bevor die Frist zu laufen beginnt und um wessen Kenntnis es geht. Mit diesen Fragen beschäftigt sich die o.g. Entscheidung des OLG Hamm und kommt dabei zu wichtigen Feststellungen, die für die Durch-

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tragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der damit einhergehende Vertrauensbruch. OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 = GmbHR 2019, 1060 (Zusammenfassung) = ZIP 2019, 2464 (Ls.) = NZG 2019, 1180 (Ls.); vgl. dazu auch Kuhlmann, CCZ 2019, 310; Backhaus/Brand, jurisPA-HaGesR 1/2020, Anm.4; Weberndörfer/Mangels, Newsdienst Compliance 2019, 220010; Leinekugel, EWiR 2019, 749; Köster, GWR 2019, 347; Sudbrock, IR 2019, 257. OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 60. OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 46. OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 47.

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führung einer Internen Untersuchung Prozess- und Entscheidungssicherheit geben sollten. Danach wird die 2-Wochen Frist nicht durch Interne Untersuchungen in Gang gesetzt, soweit diese nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind.70 Das beinhalte mit der gebotenen Eile durchgeführte Ermittlungen, die dem Unternehmen eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhaltes verschaffen sollen. Das sei der Fall, wenn alles in Erfahrung gebracht worden ist, was als notwendige Grundlage für eine Entscheidung über Fortbestand oder Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen sei. Im konkreten Fall hielt das Gericht eine mehrwöchige interne Aufklärung für zulässig, ohne die Frist des § 626 Abs. 2 BGB in Gang zu setzen. 36

Abzustellen ist auf die Kenntnis des Sachverhaltes durch Unterbreiten gegenüber dem entscheidungsbefugten Kollegialorgan, bei der Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers also der Gesellschafterversammlung.71 Die Kenntnis eines einzelnen Gesellschaftervertreters reiche nicht aus, da nur das Organ über die erforderlichen Konsequenzen beraten und entscheiden könne.72 Allerdings dürfe die Unterbreitung des relevanten Sachverhaltes nicht unangemessen verzögert werden73 und zur Beurteilung dieser Frage seien die Grundsätze zum Beginn der 2-Wochen Frist des § 626 Abs. 2 maßgelblich. Dazu stellt das OLG Hamm klar, dass es nicht Aufgabe der Gerichte sei, ex post die optimale Ermittlungsstrategie festzulegen oder die Zweckmäßigkeit jedes Verfahrensschrittes zu überprüfen.74 Vielmehr sei dem Unternehmen insoweit eine Einschätzungsprärogative zuzubilligen. Das Interesse an gründlicher Aufklärung durch (interne oder externe) unabhängige Ermittler und am Gebot umsichtiger Ermittlungen sei anzuerkennen. Aus ex ante Perspektive kommt das Ge70 OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 72 ff.; vgl. auch BAG, Beschl. v. 27.6.2019 – 2 ABR 2/19, NZA 2019, 1415 Rz. 23; BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12, NZA-RR 2013, 515 Rz. 27; BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, GmbHR 2013, 645 m. Anm. Brötzmann = NJW 2013, 2425 Rz. 15; Naber/Schulte, NZA 2019, 1626, 1629. 71 OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 75 unter Verweis auf die st. Rsp., etwa BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, GmbHR 2013, 645 m. Anm. Brötzmann = NJW 2013, 2425 Rz. 12; vgl. aber BAG, Beschl. v. 27.6.2019 – 2 ABR 2/19 = NZA 2019, 1415 Rz. 19. 72 OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 75; BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, GmbHR 1998, 827 = NZG 1998, 634 f. 73 OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 72; BAG, Urt. v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92 = NJW 1994, 1891, 1892. 74 OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 83.

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richt sodann zum Ergebnis, dass eine Aufklärung planvoll, zielgerichtet und schlüssig erscheint, wenn die mit der internen Untersuchung beauftragten Experten sich zunächst selbst ein Bild machen und dazu die relevanten Unterlagen heranziehen und sichten, um erst auf dieser Basis in die Phase der Zeugenbefragung einzutreten.75 Zu Letzterem führt das Gericht aus, dass es aus ex ante Sicht naheliegend und nicht sachfremd erscheine, wenn aus untersuchungstaktischen Gründen, sämtliche Zeugen an einem Tag befragt werden sollen, auch wenn es dadurch aus organisatorischen Gründen zu einer zeitlichen Verzögerung komme.76 Das Urteil enthält damit eine ganze Reihe erfreulich klar formulierter Ausführungen, die nicht nur Rechtssicherheit bei der Durchführung Interner Untersuchungen geben, sondern auch helfen sollten, praktische Herausforderungen zur Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgreich zu meistern.77

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5. Spannungsfeld Organpflichten: Die Rolle des Aufsichtsrates Die Rollen von Vorstand und Aufsichtsrat bei Compliance und Internen 38 Untersuchungen sind im Ausgangspunkt klar verteilt: Der Vorstand klärt auf, stellt ab und ahndet und der Aufsichtsrat bzw. sein Prüfungsausschuss überwachen die Angemessenheit des CMS und lassen sich wesentliche Einzelfälle und deren Aufklärungs- und Abhilfemaßnahmen berichten.78 Dabei besteht eine abgestufte Überwachungspflicht, die sich mit zunehmender abstrakter oder (in Form festgestellter Verstöße und/ oder behördlicher Ermittlungsverfahren) konkreter Risikolage intensiviert.79 Dagegen sind eigene Ermittlungen, die über die dem Aufsichtsrat stets zur Verfügung stehenden Kontrollrechte nach § 90 Abs. 3 AktG und § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG hinausgehen, grundsätzlich unzulässig, es sei 75 OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 83 unter Verweis auf Standards interner Ermittlungen, vgl. Moosmayer, Compliance, 3. Aufl. 2015, Rz. 313 ff.; Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374, 2375; vgl. auch Wessing in Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, Rz. 103 ff.; Grützner in Momsen/ Grützner, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 4, Interne Ermittlungen, Rz. 161. 76 OLG Hamm, Urt. v. 29.5.2019 – 8 U 146/18, BeckRS 2019, 14258 Rz. 84. 77 So auch Kuhlmann, CCZ 2019, 310, 312. 78 Vgl. Habersack, AG 2014, 1, 5. 79 Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 25.18; Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.18.

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denn, der Vorstand kommt seiner Pflicht zur Durchführung einer Internen Untersuchung (in hartnäckiger Weise) nicht nach und unterlässt eine erforderliche Sachverhaltsaufklärung.80 39

Was passiert aber, wenn sich ein Compliance Verdacht unmittelbar gegen ein oder mehrere Vorstandsmitglieder richtet? Diese Fallkonstellation und ihre Auswirkungen auf die Organpflichten ist rechtlich umstritten und – nicht zuletzt aufgrund zunehmender Häufigkeit – in ihrer rechtlichen Beurteilung mit Tendenz hin zu einer aktiveren Rolle des Aufsichtsrates „im Fluß“.

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In der Literatur haben sich im Wesentlichen drei Ansichten herausgebildet: Teilweise wird vertreten, der Vorstand bleibe für die Durchführung der Untersuchung zumindest solange zuständig, wie nur einzelne bzw. nicht die Mehrheit der Vorstandsmitglieder vom Compliance Verdacht betroffen sind.81 Dagegen sieht die Gegenmeinung ausschließlich den Aufsichtsrat in der Pflicht, Verdachtsmomente gegen ein Vorstandsmitglied zu untersuchen.82 Eine vermittelnde und vorzugswürdige Ansicht verweist zu Recht darauf, dass die vollständige Verdrängung der Vorstandskompetenz nicht mit § 76 Abs. 1, § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG vereinbar wäre und spricht sich für eine nebeneinander bestehende Zuständigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat für die Interne Untersuchung aus. Während der Vorstand den Vorgang und eine mögliche Involvierung oberster Führungskräfte und Bereichsleiter gesamthaft aufzuarbeiten hat, übernimmt der Aufsichtsrat die Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf die möglicherweise compliance-widrig handelnden Vorstandsmitglieder als Ausfluss seiner Überwachungsfunktion und seiner Pflicht, ggf. Ersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder geltend zu machen.83

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Bevor diese von der Rechtsprechung noch nicht behandelte Frage sowie sich daraus ergebende Folgeaspekte, insbesondere die Zulässigkeit von Direktkontakten zwischen Aufsichtsrat und Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene, näher beleuchtet werden, möchte ich auf einige praxis80 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.19 f. 81 Arnold, ZGR 2014, 76, 100 ff.; Wagner, 2009, 8, 15; Kort in FS Eberhard Vetter, 2019, S. 341, 354. 82 Fuhrmann, NZG 2016, 881, 883; Hugger, ZHR 179 (2015), 214, 217 f. 83 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.21; Fleischer in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, 2006, § 8 Rz. 7 ff.; Habersack, AG 2014, 1, 6.

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relevante Aspekte hinweisen: zunächst dürfte sich das Thema in der Praxis vor allem dann kritisch auswirken, wenn die Vorwürfe gegen noch aktive Vorstandsmitglieder gerichtet sind. Sind (nur) ehemalige Vorstandsmitglieder betroffen, sollte es – unabhängig von den Rechtspflichten im Einzelnen – aufgrund der geringeren Wahrscheinlichkeit der Befangenheit bzw. eines Interessenkonfliktes deutlich einfacher sein, den Sachverhalt einvernehmlich aufzuarbeiten. Ferner darf nicht unterschätzt werden, dass Interne Untersuchungen, insbesondere wenn auch Verstöße des Vorstands im Raum stehen, für Führungskräfte und Mitarbeiter eine mitunter erhebliche Belastung und einen massiven Eingriff in die Organisation darstellen und Unsicherheit bzw. Unruhe im Unternehmen auslösen. Deshalb ist ein im Unternehmen anerkanntes internes Untersuchungsteam, das nicht nur die Organisation und ihre Abläufe kennt, sondern auch über das Vertrauen der Mitarbeiter verfügt, unter Effektivitäts- und Effizienzgründen besonders wichtig.84 Dass dieses interne Team rechtlich und faktisch aber eine vom Aufsichtsrat beauftragte Interne Untersuchung begleiten kann, erscheint indes nur umsetzbar, wenn Vorstand und Aufsichtsrat einvernehmlich agieren. In diesem Kontext ist zu beachten, dass die Diskussion um die Rolle des Aufsichtsrats durch die außerordentlich hohen Anforderungen des § 130 OWiG weiter an Bedeutung gewinnt. Der Aufsichtsrat hat bei Bejahung einer Pflicht zur Durchführung einer eigenen Internen Untersuchung nicht nur den Sachverhalt im Kontext einer möglichen Aktivtäterschaft eines Vorstandsmitglieds, also etwa die Beteiligung an einer Kartell- oder Korruptionstat, sondern auch als Grundlage einer Organisations- und Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG bzw. einer damit regelmäßig einhergehenden Pflichtverletzung nach § 93 AktG85 zu untersuchen. Eine mögliche Verletzung von § 130 OWiG durch den Vorstand steht aber bei schwerwiegenden aus dem Unternehmen heraus begangenen Compliance Verstößen fast automatisch in Rede und die entsprechende Prüfung kann schnell auf eine inzidenter vorzunehmende umfassende Überprüfung der Ordnungsgemäßheit des CMS sowie der § 130 OWiG zugrunde liegenden Einzelverstöße nachrangiger Mitarbeiter hinauslaufen. Woraus ergibt sich nun die Rechtsmacht des Aufsichtsrates in Bezug auf 42 die Durchführung einer eigenen Internen Untersuchung bei Verdacht 84 Vgl. Rz. 12 sowie Moosmayer/Petrasch, ZHR 2018, 504, 518. 85 Zum Gleichlauf zwischen § 130 OWiG und § 93 AktG vgl. Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 25.9 m.w.N.

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von Compliance Verstößen des Vorstands? Ausgangspunkt ist, dass eine vom Aufsichtsrat durchzuführende Interne Untersuchung im hier unterstellten Begriffsverständnis86 mehr ist, als die Ausübung der in §§ 109, 111 Abs. 2 AktG statuierten Rechte, also mehr ist, als die Hinzuziehung von Mitarbeitern des Unternehmens als Auskunftspersonen im Rahmen der Beratung über einzelne Gegenstände einer Aufsichtsratssitzung oder als Einsicht und Prüfung der Bücher und Schriften der Gesellschaft und der dazu erfolgenden Beauftragung besonderer Sachverständiger.87 Daher kann sich eine Befugnis des Aufsichtsrates zur Durchführung einer eigenen Internen Untersuchung nur als Ausfluss seiner allgemeinen Überwachungsfunktion aus § 111 Abs. 1 AktG unter Berücksichtigung der Pflicht zur Prüfung möglicher Ersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder ergeben.88 Das bedeutet: Gibt es konkrete Hinweise auf Compliance Verstöße von Vorstandsmitgliedern (und damit auf entsprechende Haftungsansprüche) kann es zur Bestimmung der Organpflichten des Aufsichtsrates nicht darauf ankommen, ob nur einzelne oder mehrere Vorstandsmitglieder betroffen sind. Vielmehr steht dem Aufsichtsrat in diesen Fällen grundsätzlich das gesamte Arsenal Interner Untersuchungsmaßnahmen zur Verfügung, um diesen Verdacht aufzuklären. Dazu gehört auch die Befugnis, Mitarbeiter unterhalb der Vorstandsebene (am Vorstand vorbei) zu befragen, soweit dies zur Aufklärung des Verdachts gegen den Vorstand erforderlich ist.89 Andernfalls wird, insbesondere in den diesen Konstellationen immanenten Extremlagen, in denen das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat regelmäßig bereits belastet bzw. gestört sein wird, keine effektive Wahrnehmung der Überwachungspflicht möglich sein. 43 Unter Haftungsaspekten ist zu beachten, dass ein Aufsichtsratsmitglied zwar als „sonstige Person“ unter § 30 Abs. 1 Ziff. 5 OWiG zu subsumieren ist – ordnungswidriges Handeln des Aufsichtsrates also zu einer Unternehmensgeldbuße führen kann, als Anknüpfungstat aber nicht § 130 86 Vgl. Rz. 16 ff. zu den verschiedenen Phasen einer Internen Untersuchung. 87 Vgl. dazu Kort in FS Eberhard Vetter, 2019, S. 341, 345 ff. 88 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.21. 89 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.25 f.; Klahold/Lochen in Hauschka/Moosmayer/ Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 37 Rz. 53 ff.; so auch Kort in FS Eberhard Vetter, 2019, S. 341, 360, für den Fall einer hohen Wahrscheinlichkeit und konkreter Anhaltpunkte, dass mehrere oder alle Vorstandsmitglieder sich erheblicher Pflichtverletzungen schuldig gemacht haben.

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OWiG in Frage kommt, da Aufsichtsratsmitglieder mangels Unternehmerstellung keine tauglichen Täter der Aufsichtspflichtverletzung des § 130 OWiG sind.90 Unterlässt der Aufsichtsrat also die gehörige Aufsicht des Vorstands, handelt er zwar aktienrechtlich pflichtwidrig, aber nicht nach § 130 OWiG ordnungswidrig. Dagegen besteht grundsätzlich keine Untersuchungskompetenz des Auf- 44 sichtsrates zur Durchführung verdachtsunabhängiger Prüfungen oder Compliance Audits ohne konkreten Anlass, da sich die Compliance Aufgabe des Aufsichtsrates im Kern darauf bezieht, die Angemessenheit des CMS sicherzustellen und keine Pflicht besteht, Einzelelemente oder Maßnahmen zu überprüfen.91 Bestehen aus Sicht des Aufsichtsrates Zweifel an der Wirksamkeit des CMS, so kann er eine Systemprüfung veranlassen und den damit beauftragten internen oder externen Experten als Sachverständigen anhören. Bestehen zur Überprüfung eines Compliance Verdachts gegen Vorstands- 45 mitglieder Recht und Pflicht des Aufsichtsrates, eine Internal Investigation zu veranlassen, wird er sorgfältig abzuwägen haben, ob und inwieweit tatsächlich eigene aktive Maßnahmen erforderlich sind (oder inwieweit er Maßnahmen und Berichtselemente des Vorstands heranziehen kann) und wie diese Schritte mit den vom Vorstand ergriffenen Untersuchungshandlungen effektiv und effizient verzahnt werden können. Der Aufsichtsratwird in einer solchen Konstellation unter Berücksichti- 46 gung der konkreten Umstände des Einzelfalls vor allem die folgenden Überlegungen anstellen, um jeweils zu gewährleisten, dass seine Maßnahmen im Unternehmensinteresse und verhältnismäßig sind: –

Ist ausreichend sichergestellt, dass er überhaupt von wesentlichen Compliance Verdachtsfällen, insbesondere von Hinweisen gegen Vorstandsmitglieder erfährt?



Wie kann angesichts der beschriebenen Gemengelage nebeneinander bestehender Zuständigkeiten und der gegebenen faktischen Komplexität Interner Untersuchungen die Pflicht zur Überwachung der Geschäftsleitung effektiv und effizient wahrgenommen werden, ohne

90 Vgl. Rogall in KK/OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rz. 26 unter Verweis auf § 9 OWiG und den gesetzlichen Vertreter. 91 Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 25.18; Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.18.

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das Unternehmen unverhältnismäßig durch mehrere parallele Untersuchungen zu belasten? –

Bedarf es einer eigenen Untersuchungsstrategie des Aufsichtsrates,92 um Vorwürfe gegen den Vorstand aufzuklären? Wer entwickelt diese und wie soll sie umgesetzt werden? Bestandteil einer Untersuchungsstrategie sollte auch eine Abstimmung bzw. Vereinbarung zwischen den Organen sein, wie die Zusammenarbeit konkret erfolgen soll, wer welche Prüfungshandlungen vornimmt, wie die Berichterstattung erfolgt und ggf. wie und unter welchen Umständen der Aufsichtsrat auf Mitarbeiter unterhalb des Vorstands – sei es zur Unterstützung der Internen Untersuchung des Aufsichtsrates, sei es als Auskunftspersonen – zugreifen kann.93 Ferner: Wie kann sichergestellt werden, dass die Untersuchung des Aufsichtsrates nicht vom Vorstand bzw. von dessen Untersuchung beeinflusst oder behindert wird. Je stärker der Aufsichtsrat eine aktive Rolle im Sinne eigener Untersuchungshandlungen wahrzunehmen beabsichtigt, desto eher wird er bereits in dieser vorbereitenden Phase auf (externen) Expertenrat zurückgreifen.



Reicht es aus, sich über die Ergebnisse einer vom Vorstand durchgeführten Untersuchung berichten zu lassen und auf dieser Basis dann über eventuell erforderliche weitergehende eigene Maßnahmen, etwa in Bezug auf die Prüfung der Ordnungsgemäßheit des CMS und möglicher Aufsichtspflichtverletzungen zu entscheiden? Jedenfalls sollte der Aufsichtsrat die internen und externen Leiter der Untersuchung, also etwa den Chief Compliance Officer und externe (anwaltliche) Experten, im Rahmen der Berichterstattung persönlich hinzuziehen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Bei konkreten Hinweisen auf Aufsichtspflichtverletzungen amtierender Vorstandsmitglieder, insbesondere CEO, CFO oder durch das für Compliance zuständige Vorstandsmitglied, wird der Aufsichtsrat regelmäßig zudem auch eigene externe Berater zur Vermeidung von Interessenkollisionen auf Beraterseite einschalten. Insgesamt besteht in dieser Konstellation für den Aufsichtsrat allerdings zumeist ein geringerer Zeitdruck, weil er zunächst die Vorlage des Berichts des Vorstands abwarten kann.



Sind eigene Untersuchungshandlungen erforderlich? Je stärker die Verdachtsmomente, insbesondere auf Aktivverstöße von Vorstandsmitgliedern jenseits von § 130 OWiG und/oder schwerwiegende Fälle,

92 Vgl. Habersack, AG 2014, 1, 6. 93 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.22.

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und je mehr amtierende Vorstandsmitglieder betroffen sind, desto stärker wird der Aufsichtsrat eine aktive Rolle übernehmen. In diesem Fall sind Berater auszuwählen und konkrete Maßnahmen festzulegen, die mit einer parallel laufenden Untersuchung durch den Vorstand zu verzahnen sind. –

Inwieweit können Vorstand und Aufsichtsrat auf dieselben Berater zurückgreifen? Dies wird auf Basis entsprechender Vereinbarungen regelmäßig möglich sein bei technischen oder forensischen Beratern (etwa zur Durchführung einer E-Search und zum Dokumente-Screening).94 Besteht ein konkreter Compliance Verdacht gegen ein Vorstandsmitglied, der nur mit Hilfe von Schlüsselpersonen, etwa dem Chief Compliance Officer als Leiter der Untersuchung des Vorstands oder einem zentralen Zeugen, der über die Involvierung eines Vorstands Auskunft geben kann, aufgeklärt werden kann, werden entsprechende Interviews nur durch einen vom Aufsichtsrat mandatierten Berater durchgeführt werden können.



Welche eigenen Untersuchungshandlungen sind tatsächlich erforderlich und wie werden diese konkret umgesetzt? Sind die Berater bzw. Untersuchungsleiter des Aufsichtsrates mit eigenem Fragerecht bei Interviews mit Schlüsselpersonen anwesend oder sind sogar separate Interviews zusätzlich zu den Gesprächen erforderlich, die im Rahmen der vom Vorstand beauftragten Untersuchung durchgeführt werden? Die zweite Variante mag rechtlich zulässig und in Ausnahmesituationen – etwa aus untersuchungstaktischen Gründen, wenn die Stoßrichtung der Untersuchung gegenüber dem Vorstand nicht transparent werden soll – auch erforderlich sein, sie sollte aber nur in wenigen ausgewählten Einzelfällen zum Einsatz kommen, weil andernfalls nicht nur das Unternehmen durch parallele und ggf. ungesteuert durchgeführte Interne Untersuchungen gelähmt wird, sondern auch nicht zu erwarten ist, dass Mitarbeiter unter dem (Ein-)Druck dieser Situation zur besseren Aufklärung kritischer Sachverhalte beitragen werden.



Schließlich und in Abhängigkeit der Reichweite und Eingriffstiefe der eigenen Aufsichtsratsaufklärung: wie werden dessen Maßnahmen organisatorisch umgesetzt, wie und durch wen werden externe Berater gesteuert und deren Kosten kontrolliert? Bedarf es eines eige-

94 Wilsing/Goslar in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 15.25.

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nen Project Office des Aufsichtsrates oder kann die Organisation durch die Rechts- oder Compliance Abteilung erfolgen? 47 Diese ausgewählten Aspekte illustrieren eindringlich, wie sehr parallele Untersuchungshandlungen von Vorstand und Aufsichtsrat komplexitätserhöhend wirken. Auch wenn eine eigene Interne Untersuchung des Aufsichtsrates (bzw. seines Prüfungsausschusses) grundsätzlich rechtlich zulässig und in Einzelfällen auch zwingend geboten sein kann, erscheint es daher ratsam, von den zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Instrumenten nach sorgfältiger Abwägung nur (stufenweise anhand der vorstehenden Abschichtung) Gebrauch zu machen, soweit diese im Unternehmensinteresse und unter Verhältnismäßigkeitsaspekten erforderlich sind, um die bestehenden Hinweise auf Compliance Verstöße durch Vorstandsmitglieder aufzuklären und ggf. angemessen zu sanktionieren. Das erscheint auch deshalb besonders wichtig, weil die Praxisrelevanz eigener Aufsichtsratsuntersuchungen im Falle von Hinweisen gegen Vorstandsmitglieder tendenziell stetig zunimmt.

IV. Ausblick: Der aktuelle Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes 48

Das Thema Interne Untersuchungen ist nicht zuletzt aufgrund aktueller rechtspolitischer Entwicklungen in aller Munde. Konkret wird derzeit intensiv über einen (noch nicht veröffentlichten) (Referenten-)Entwurf für ein Verbandssanktionengesetz (VerSanG-E) diskutiert, der einen entsprechenden Passus des Koalitionsvertrages aus 201895 umsetzen und in diesem wichtigen Compliance Bereich für Rechtssicherheit sorgen soll. Der VerSanG-E sieht die Schaffung eines „Sonderordnungswidrigkeitenrechts“96 zur Sanktionierung von Verbänden vor. Vorausgegangen sind diverse andere Vorschläge zur Modernisierung des Unternehmenssanktionenrechts, die jeweils auch eine – mal mehr mal weniger stark ausgeprägte – Kodifizierung der Anforderungen an Compliance Programme bzw. Interne Untersuchungen und die sanktionsmildernde Wirkung guter Compliance vorsehen.97 Soweit öffentlich bekannt, soll durch das Ver95 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode v. 14.3.2018, 126. 96 Baur/Holle, ZRP 2019, 186, 189. 97 Etwa Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden (VerbStrG-E) (dazu: Kutschaty, ZRP 2013, 74 f.) sowie den Kölner Entwurf eines Verbandssanktions-

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SanG auf Tatbestandsebene im Wesentlichen das Regelungssystem der §§ 30, 130 OWiG übernommen werden, um auf dieser Basis den Sanktionsrahmen für Compliance Verstöße, die im vermeintlichen Unternehmensinteresse begangen werden, deutlich auszuweiten und zu erhöhen. Das Gesetz sieht zudem die Schaffung eines eigenen Verfahrensrechts für Unternehmen und andere Verbände vor. Kernregelungen sind die Einführung des Legalitätsprinzip, flankiert von verschiedenen Einstellungsoptionen analog §§ 153, 153a StPO. Das Gesetz erhöht den Sanktionsrahmen für Unternehmen ab einem Jahresumsatz i.H.v. 100 Mio. t auf bis zu 10 % vom Konzernumsatz (5 % bei Fahrlässigkeit) und ermöglicht zusätzlich die Einziehung rechtswidrig erlangter Vermögensgegenstände nach §§ 73 ff. StGB. Compliance, und zwar sowohl ein zum Tatzeitpunkt bestehendes CMS, als auch als Nachtatverhalten, kann mildernd bei der Sanktionsbemessung berücksichtigt werden, wobei weder Gesetz noch Begründung Vorgaben oder Hinweise zu Anforderungen an effektive Compliance Programme enthalten.98 In Bezug auf Interne Untersuchungen sieht der Entwurf eine Absenkung 49 des Sanktionsrahmens auf die Hälfte vor, wenn (i) durch die Untersuchung ein wesentlicher Aufklärungsbeitrag geleistet wird, (ii) die Untersuchung unabhängig ist, d.h. u.a. Investigator und Unternehmensverteidiger personenverschieden sind, (iii) das Unternehmen uneingeschränkt kooperiert und Untersuchungsergebnisse, inklusive Abschlussbericht und wesentlicher Dokumente, offenlegt, (iv) das Unternehmen fair mit betroffenen Mitarbeitern umgeht, d.h. die Mitarbeiter belehrt, die Hinzuziehung des Betriebsrats bzw. anwaltlichen Beistands ermöglicht und ihnen ein Schweigerecht im Falle möglicher Selbstbezichtigung einräumt sowie (v) die Untersuchung rechtskonform durchgeführt wird. Konsequenterweise sollen Unterlagen aus Internen Untersuchungen nicht vor Beschlagnahme geschützt sein, sondern ein i.S.v. § 97 StPO schutzfähiges Vertrauensverhältnis soll nur zwischen dem beschuldigten Unternehmen und seinem Verteidiger, nicht aber dem personenverschiedenen Investigator anzuerkennen sein. Behördliche Ermittlungen und Interne Untersuchungen sind im Ver- 50 SanG-E in verschiedenen Verfahrensphasen miteinander verzahnt. So gesetzes (dazu Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1 ff.) und die Vorschläge der Verbände BUJ (dazu: Beulke/Moosmayer, CCZ 2014, 146 ff.) und DICO (dazu Dierlamm, CCZ 2014, 194 ff.). 98 Vgl. Ott/Lüneborg, NZG 2019, 1361, 1363.

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kann für die Dauer der Investigation nach § 42 VerSanG-E von der Verfolgung abgesehen werden. Zudem steigen durch Kooperation und Interne Untersuchung die Aussichten auf eine Verfahrenseinstellung nach §§ 36, 37 Abs. 1 VerSanG-E i.V.m. §§ 153, 153a StPO bzw. auf eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktions- (teil) vorbehalt (§§ 10, 11 VerSanG-E). Ferner wird die Sanktion unter den Voraussetzungen der §§ 17, 18 VerSanG-E, also bei ordnungsgemäßer Investigation, im Höchstmaß um die Hälfte reduziert und die Anordnung der Verbandsauflösung und der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung sind als Sanktion ausgeschlossen (§ 19 i.V.m. §§ 14, 15 VerSanG-E). Mit Zustimmung des Verbands kann schließlich nach § 51 Abs. 3 i.V.m. § 19 VerSanG-E ein Sanktionsbescheid erlassen und das Verfahren damit ohne öffentliche Hauptverhandlung beendet werden. 51 Auch wenn der Entwurf des VerSanG in der bisherigen öffentlichen Diskussion zumindest teilweise grundsätzlich positiv gewürdigt wird, weil der Zustand der Rechtsunsicherheit des Unternehmenssanktionsrechts, insbesondere im Verfahrensrecht in vielen Bereichen beseitigt oder zumindest reduziert werden könnte, werden die Regelungen zu Internen Untersuchungen doch häufig als zu starr und weitgehend bewertet. Drei Punkte aus den kritischen Einschätzungen sollen hier betont werden: Zunächst wird befürchtet, dass das VerSanG letztlich zu einer Verletzung des auch für Unternehmen geltenden „nemo tenetur-Grundsatzes“ führen wird, weil durch die Herabsetzung des Sanktionsrahmens ein faktischer Zwang zur Einleitung einer Untersuchung geschaffen wird, ohne dass den Unternehmen (oder auch den Organmitgliedern/Mitarbeitern) in Bezug auf die Untersuchungsergebnisse irgendein strafprozessualer Schutz eingeräumt wird, auch wenn bereits bekannt oder sehr wahrscheinlich ist, dass die Untersuchung Hinweise auf Straftaten bestätigen wird.99 Zudem wird das den Mitarbeitern eingeräumte Schweigerecht im Falle drohender Selbstbelastung die Effektivität der Untersuchung stark einschränken, weil sich das belastende Wissen über Compliance Verstöße häufig nur in den Köpfen der Mitarbeiter, nicht aber in Dokumenten befindet. Hier hat sich der Entwurf gegen andere ausgewogenere

99 Vgl. Baur/Holle, ZRP 2019, 186, 188; vgl. § 17 des Kölner Entwurfs. Vgl. dazu jetzt auch §§ 59, 59b, 81m des Referentenentwurfs zur 10. GWB-Novelle: kein Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit für Unternehmen, sondern Auskunftspflicht, soweit kein Geständniszwang erfolgt.

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Lösungen, wie etwa ein Verwertungsverbot analog § 97 InsO entschieden.100 Schließlich wird die Maßgabe einer vollständigen Rechtskonformität der Investigation als zu starr empfunden, weil – unabhängig von Schwere und Auswirkung, aber auch davon ob und wie eine zuständige Behörde diese Rechtsverletzung ahnden würde – etwa bereits ein einzelner Datenschutzverstoß im Rahmen der Untersuchung die Herabsetzung des Sanktionsrahmens verhindern könnte.101 Bei aller Unsicherheit über Status und mögliche Änderungen am Inhalt der geplanten Neuregelungen ist offensichtlich, dass Interne Untersuchungen im Falle einer Verabschiedung des VerSanG noch weiter an Bedeutung zunehmen und deutlich stärker verrechtlicht würden.

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Aber auch unabhängig vom Schicksal des VerSanG ergeben sich weiterhin eine Reihe derzeit noch offener Rechtsfragen im Zusammenhang mit Internen Untersuchungen. Einige werden durch diesen Beitrag näher beleuchtet. Andere werden sich nebst damit einhergehender Haftungsfragen erst in Zukunft mit Unterstützung der Wissenschaft durch Entwicklungen in der Praxis ergeben und die Arbeit der Ermittlungsbehörden, Gerichte, der Compliance Officer, Rechtsabteilungen und externen Experten sowie vieler weiterer Stakeholder einer Internen Untersuchung prägen.

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100 Vgl. etwa Moosmayer/Petrasch, ZHR 2018, 504, 511, 525; weniger skeptisch in Bezug auf die Auswirkungen: Vgl. Ott/Lüneborg, NZG 2019, 1361, 1367. 101 Vgl. Ott/Lüneborg, NZG 2019, 1361, 1367.

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Bericht über die Diskussion des Referats Klahold Dr. Theresa Lauterbach Rechtsanwältin, München 1

Die Diskussion im Anschluss an das Referat von Herrn Dr. Klahold zu aktuellen Fragen interner Untersuchungen wurde von Frau Dr. Roßkopf geleitet. Zunächst wurden in einer ersten Runde Diskussionsbeiträge und Fragen aus dem Auditorium gesammelt, zu denen der Referent anschließend Stellung nahm.

2 Die Diskussion eröffnete Herr Prof. Dr. Hopt. Er bedankte sich für den sehr gelungenen Vortrag und stellte fest, dass der Entwurf des Verbandssanktionengesetzes ein hohes Maß an Klarheit schaffen könne. Er bat den Referenten um eine Einschätzung, an welchen Stellen Verbesserungsbedarf bestehe. Zudem stellte Herr Prof. Dr. Hopt die Frage in den Raum, ob der Gesetzesentwurf der Rechtslage in den USA und der UK entspreche und inwieweit er durch angloamerikanische Einflüsse geprägt sei. Im Hinblick auf den im Gesetzesentwurf verankerten Grundsatz der Angemessenheit interner Ermittlungen bat Herr Prof. Dr. Hopt den Referenten um eine Stellungnahme zur Erforderlichkeit der in der Praxis verursachten hohen Kosten. Herr Prof. Dr. Hopt warf sodann die Frage auf, inwiefern ausländische Behörden in der Praxis Einfluss auf interne Ermittlungen nehmen würden, insbesondere inwieweit eine Einmischung in Unternehmensinterna zu beobachten sei. Seinem Eindruck nach würden europäische Unternehmen von US-Behörden besonders streng ins Visier genommen, was auf wirtschaftspolitischen Druck zurückzuführen sein könnte. Herr Prof. Dr. Hopt bat den Referenten diesbezüglich um eine praxisbezogene Einschätzung. 3 Als zweiter Redner kommentierte Herr Prof. Dr. Nietsch den Entwurf des Verbandssanktionengesetzes. Er gab zu bedenken, dass durch den Gesetzesentwurf Mitarbeiterrechte gestärkt würden, obwohl die Arbeitnehmer bereits hinreichend geschützt seien. Herr Prof. Dr. Nietsch verwies darauf, dass trotz fehlenden Selbstbelastungsverbots die Kooperation zwischen Unternehmen und Mitarbeitern in der Praxis derzeit sehr gut funktioniere. 4 Am Ansatz des Referenten zur Kompetenz des Aufsichtsrats äußerte Herr Prof. Dr. Nietsch insofern Zweifel, als die Kompetenz des Aufsichtsrats

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seiner Ansicht nach bereits dann eröffnet und damit eine Pflicht zum Tätigwerden begründet sei, wenn und sobald der Vorstand betroffen sei. Empirischen Untersuchungen zufolge werde der Aufsichtsrat allerdings nur in 33 % der Fälle über interne Untersuchungen informiert. Diese würden zudem nur bei schweren Vorwürfen eingeleitet. Zur konzernweiten Kontrollpflicht bemerkte Herr Prof. Dr. Nietsch, dass 5 der Beschluss des OLG München v. 23.9.2014 – 3 Ws 599, 600/14 große Aufmerksamkeit verdiene. Wie vom Gericht richtigerweise herausgestellt, erfordere im Wesentlichen nur eine zentrale Organisation auch eine zentrale Kontrollpflicht. Die zentrale operative Konzernführung sei zugleich Funktionsbedingung für eine wirksame Konzern-Compliance. Im Anschluss adressierte Herr Dr. Backhaus das im Referat erwähnte 6 Urteil des OLG Hamm v. 29.5.2019 – 8 U 146/18. Dem zugrunde liegenden Sachverhalt zufolge seien die Beteiligten nur wenige Tage abwesend gewesen, so dass die internen Ermittlungen dadurch kaum verzögert worden seien. Es sei daher fraglich, ob das Urteil, dem ein Aufklärungszeitraum von zehn Wochen zugrunde lag, tatsächlich dazu beitragen werde, dass für interne Untersuchungen angemessene und ausreichende Zeit eingeräumt werde. Er äußerte zudem Bedenken, ob das Urteil aufgrund der klaren Sachlage als Beleg für ein Ende der „Zero-Tolerance“Politik gewertet werden könne. Abschließend gab Herr Dr. Backhaus zu bedenken, dass durch den Entwurf für ein Verbandssanktionenrecht die Praxis interner Untersuchungen das staatliche Gewalt- und Strafmonopol privatisiert werde. Die Funktion der Unternehmen als „Büttel der Staatsanwaltschaft“ sei dabei geeignet, die hergebrachte Corporate Governance durcheinanderzubringen und müsse daher stärker zum Gegenstand von Diskussionen im Gesellschaftsrecht gemacht werden. Herr Dr. Klahold nahm zu den aufgeworfenen Fragen und Kommentaren 7 zusammenfassend Stellung. Zur Frage von Herrn Prof. Dr. Hopt, inwiefern er Verbesserungsbedarf des 8 Entwurfs zum Verbandssanktionengesetzes sehe, bemerkte Herr Dr. Klahold, dass der Bußgeldrahmen im Falle der Kooperation mehr Flexibilität bieten sollte. Zudem sollte aus Sicht des Referenten das Beschlagnahmeverbot gestärkt werden, wobei der Zielkonflikt mit dem Prinzip effektiver Strafverfolgung berücksichtigt werden müsse. Im Gesetzesentwurf sei zudem das Verhältnis zum Datenschutz bislang noch nicht adressiert. Insbesondere sei die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen

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Whistleblower-Schutz auf der einen und Datenschutz auf der anderen Seite durch den Gesetzgeber wünschenswert. Geklärt werden müsse zudem die Anwendbarkeit des Telekommunikationsgesetzes. 9 Der Einschätzung von Herrn Prof. Dr. Nietsch, dass Mitarbeiterrechte nach geltender Rechtslage bereits effektiv geschützt seien, stellte Herr Dr. Klahold die hohe Praxisrelevanz des im Entwurf des Verbandssanktionengesetzes vorgesehenen Schweigerechts für Mitarbeiter entgegen. Zwar würden Mitarbeiter seiner Erfahrung nach stets auf die mit einer Aussage verbundenen Gefahren hingewiesen. Da sie nach derzeit geltender Rechtslage aber arbeitsrechtlich zur Aussage verpflichtet seien, würde die Statuierung eines Schweigerechts den Schutz der Arbeitnehmer enorm stärken. Da die Äußerungen der Mitarbeiter in der Praxis für die Aufklärung von höchster Wichtigkeit seien, müsse ein schonender Ausgleich zwischen dem gebotenen Schutz der Arbeitnehmer vor Selbstbelastung und dem Aufklärungsinteresse der Unternehmen gefunden werden. 10

Zur Frage nach der Angemessenheit der durch interne Ermittlungen verursachten Kosten stellte Herr Dr. Klahold fest, dass in der Praxis in der Tat immense Kosten verursacht würden; doch sei zu bedenken, dass eine flächendeckende Untersuchung mit extrem hohem Aufwand verbunden sei. Der Untersuchungsrahmen müsse daher angemessen definiert werden: Auf der einen Seite dürfe nicht ohne Not jeder Stein umgedreht werden, auf der anderen Seite müssten Sachverhalte effektiv zur (Wieder-)Herstellung des Legalitätsgebots untersucht werden. Hierbei spiele die unternehmensinterne Compliance-Abteilung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

11 Zur Frage nach dem Einfluss ausländischer Behörden in interne Unternehmensuntersuchungen erläuterte der Referent, dass dies grundsätzlich sehr von der Jurisdiktion abhänge. Die zunehmende Kodifizierung von Compliance führe als internationaler Trend aber dazu, dass Untersuchungen stärker multijurisdiktional und damit komplexer würden. Zu DOJ geführten US-Ermittlungen sagte der Referent mangels eigener Erfahrungen nichts. 12 Bezüglich der Rolle des Aufsichtsrats führte Herr Dr. Klahold aus, dass der Aufsichtsrat leider oft außen vor gelassen werde. Seiner Meinung nach dürfe dieses Gremium bei Verdachtsmomenten aber nicht „am Spielfeldrand“ stehen bleiben. Insbesondere um den Vorstand zu schützen, müsse sichergestellt werden, dass der Aufsichtsrat angemessen informiert und

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mit entsprechender Dokumentation versorgt werde. Gäbe es Hinweise auf Verstöße von Vorstandsmitgliedern verlasse sich der Aufsichtsrat in der Tendenz nicht auf die vom Vorstand in Auftrag gegebenen Ermittlungen. Vielmehr würden in der Praxis vom Aufsichtsrat eigene Ermittlungen durch eine selbständig beauftragte Rechtsanwaltskanzlei durchgeführt. Zum Punkt der Legalitätskontrollpflicht äußerte Herr Dr. Klahold eine gewisse Sympathie für die Position des OLG München im Beschluss v. 23.9.2014 – 3 Ws 599, 600/14. Im Kartellrecht werde die schuldunabhängige akzessorische Haftung des Mutterunternehmens bisher als verfassungsmäßig angesehen. In Korruptionssachverhalten sei aber empfehlenswert, am sog. Trennungsprinzip festzuhalten.

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Zu dem diskutierten Umgang mit Arbeitnehmern bemerkte der Referent, 14 dass die Arbeitsgerichte erfahrungsgemäß sehr arbeitnehmerfreundlich seien. Das Ende der „Zero-Tolerance“-Politik sei seiner Ansicht nach nicht erreicht. Richtigerweise müsse der Prozess von Anfang an aktiv gestaltet werden. „Zero-Tolerance“ bedeute nicht, dass in jedem Fall zwingend eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden müsse. Es müsse für Arbeitnehmer aber unmissverständlich sein, dass Compliance-Verstöße sanktioniert werden. Unter Umständen könnten bereits organisatorische Maßnahmen wie beispielsweise Schulungen oder die Erstellung interner Strafzumessungskataloge und Guidelines ausreichend sein. Zudem müssten Kompetenzen und Kriterien nachvollziehbar und eindeutig definiert werden. Auch sollten bei der Festlegung der konkreten Sanktionen die Erfolgsaussichten vor den Arbeitsgerichten mitberücksichtigt werden. Allerdings dürfe nicht deshalb von Sanktionen abgesehen werden, weil diese zu einem Rechtsstreit führen könnten. Die zweite Fragerunde wurde von Herrn Prof. Dr. Habersack eröffnet. Er 15 nahm Bezug auf das Spannungsverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Er teile den Ausgangspunkt des Referenten, dass beide Organe bei Verdachtsmomenten jeweils eine eigene Entscheidung treffen müssten, die allein am Unternehmensinteresse auszurichten sei. Die organschaftliche Pflicht zur Kooperation bleibe in der Praxis oft nur Theorie, so dass zwei getrennte Untersuchungen manchmal unumgänglich seien. Bezüglich der Pflicht des Aufsichtsrats vertrete er im Gegensatz zum Referenten einen weniger zurückhaltenden Ansatz. Wenn den Aufsichtsrat eine Überwachungspflicht treffe, müsse er dieser auch nachkommen können. Entsprechend sei ihm beispielsweise die Kompetenz zuzubilligen, den Leiter Recht bzw. den Compliance-Officer unmittelbar und nicht nur ver-

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mittelt über den Vorstand einbestellen und befragen zu können. Unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten gegen den Vorstand müsse dem Aufsichtsrat das Recht zustehen, Arbeitnehmer zu befragen. Zwar komme dem Aufsichtsrat kein Weisungsrecht zu; doch seien Lösungen über § 109 Abs. 1 Satz 2 oder § 111 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG denkbar. 16 Herr Dr. Kremer schloss sich den Ausführungen seines Vorredners ausdrücklich an. Er betonte, dass eine Sachverhaltsaufklärung durch den Aufsichtsrat in der Praxis vor nicht unerhebliche Hindernisse gestellt werde. Ein Aufsichtsrat, der aus 20 Personen unterschiedlichster Qualifikation bestehe, sei nicht für die Überwachung von Compliance-Verstößen konzipiert. Um die Aufklärung zu erleichtern, könne eine Vorbereitung der Ermittlungen durch den Prüfungsausschuss ratsam sein. Zudem sei in der Praxis die Mandatierung einer Rechtsanwaltskanzlei für eine effektive Sachverhaltsaufklärung oft unumgänglich. Gleichzeitig sei fraglich, ob der Aufsichtsrat seiner Überwachungspflicht durch die Beauftragung einer (zweiten) Anwaltskanzlei hinreichend nachkomme oder zusätzlich selbst aktiv werden müsse. 17 Zu den letzten beiden Wortmeldungen äußerte sich Herr Dr. Klahold wie folgt: In jedem Falle sei der Aufsichtsrat bei konkreten Verdachtsmomenten gegen den Vorstand zum Handeln verpflichtet. Eine verdachtsunabhängige Pflicht, Mitarbeiter unmittelbar zu befragen, bestehe hingegen nicht. Insbesondere würde man die Anforderungen an die Aufsichtspflicht überspannen, verlangte man stichprobenartiges Tätigwerden ohne konkreten Anlass. Vor dem Hintergrund der offenen Formulierung des § 130 OWiG sei maßgeblich, ob der Vorstand bereits alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, auch wenn Gerichte in der Praxis aus § 130 OWiG äußerst hohe Anforderungen ableiten. Je konkreter der Vorwurf gegenüber dem Vorstand sei, desto eindeutiger bestehe die Pflicht des Aufsichtsrats, sich selbst aktiv an Aufklärungsmaßnahmen zu beteiligen. Entscheidend für eine effektive Aufklärung sei dabei ein starkes unternehmensinternes Team, welches unterstützend und vorbereitend tätig werden könne. Zusätzlich könne es insbesondere in Fällen, in denen eine Kooperation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat scheitere, erforderlich sein, ein oder zwei externe Rechtsanwaltskanzleien mit eingehenden Untersuchungen zu betrauen.

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Aktuelle Entwicklungen im Gesellschafterdarlehensrecht Die Entscheidung des BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16 und ihre Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung Prof. Dr. Christoph Thole* Universität zu Köln Rz.

Rz. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Der Meinungsstand vor dem Urteil vom 14.2.2019. . . . . . .

4

III. Die Argumentation des BGH

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IV. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Folgerungen für die Unternehmensfinanzierung . . . . . . 1. Ausgangspunkt: Anfechtungsgefahr im Zehn-JahresPeriode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gesicherte Forderung: Ab wann liegt eine darlehensgleiche Forderung vor? . . . . . 3. Warenkredite und Besicherung bei Austauschgeschäften a) Regress als darlehensgleiche Forderung . . . . . . . . . . b) Die Begleitproblematik der Umwandlung in ein Absonderungsrecht . . . . . . . . c) Der einfache Eigentumsvorbehalt und die Frage der Gläubigerbenachteiligung nach § 129 InsO. . . . . . . . .

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d) Die Besicherung beim unechten Factoring . . . . . e) Gesetzliche Sicherheiten . f) Darlehensgleiche Finanzierung durch Verzicht auf Sicherheiten? . . . . . . . 4. Übertragung der Sicherheit . 5. Das Urteil des BGH vom 27.6.2019 . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die zunehmende Bedeutung des § 135 Abs. 2 InsO . . . . . . a) Maßgeblichkeit der Beziehung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft b) Doppelsicherung . . . . . . . 7. Besicherung durch mittelbare Gesellschafter und Dritte. . . 8. Cash-Pool . . . . . . . . . . . . . . . 9. Der Restrukturierungsrahmen als Ausweg aus der Anfechtung? . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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* Die Vortragsform wurde teilweise beibehalten.

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Thole – Aktuelle Entwicklungen im Gesellschafterdarlehensrecht

I. Einleitung 1 Am 14.2.2019 hat der IX. Zivilsenat des BGH ein Urteil mit maßgeblicher Bedeutung für die Besicherung von Gesellschafterdarlehen erlassen.1 Das folgende Referat unternimmt es, dieses Urteil zu analysieren und es auf seine Auswirkungen auf die Praxis der Unternehmensfinanzierung, insbesondere auch in Konzernkonstellationen, abzuklopfen. Die Entscheidung vom 14.2.2019 erscheint schon deshalb gewichtig, weil sie mit insgesamt 108 Randziffern eine erhebliche Länge aufweist und eine ganze Reihe von Fragen der Insolvenzanfechtung im Allgemeinen und der Anfechtung bei Gesellschafterdarlehen im Speziellen adressiert. Im folgenden Beitrag geht es indes nicht um eine allgemeine Paraphrase des Urteils, sondern er konzentriert sich auf zentrale Aspekte der Entscheidung. Zugleich sind weitere neuere Entscheidungen, insbesondere das Urteil vom 27.6.2019 – IX ZR 167/18 und das Urteil vom 11.7.2019 – IX ZR 210/18, einzubinden. 2 Nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Besicherungen von Gesellschafterdarlehen und darlehensgleichen Rechtshandlungen aus dem Gesellschaftsvermögen anfechtbar, wenn die Besicherung innerhalb von zehn Jahren vor dem Insolvenzantrag erfolgte. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO gilt Entsprechendes für die Befriedigung solcher Forderungen innerhalb der Jahresfrist vor dem Insolvenzantrag. Der BGH versteht diese Tatbestände – insoweit in Übereinstimmung mit den allgemeinen Lehren des Anfechtungsrechts2 – mit Recht als selbständige Tatbestände. Er hatte bereits in der Entscheidung vom 18.7.20133 eine anfechtungsrechtliche Sekundärhaftung auf Wertersatz für die fünf Jahre vor Antragstellung erfolgte Verwertung der Sicherheit und die damit eintretende Unmöglichkeit der Rückgewähr der anfechtbaren Sicherheit bejaht, obwohl der Befriedigungstatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO in zeitlicher Hinsicht nicht einschlägig war. 3 Noch nicht geklärt war, ob das sog. Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO im Anwendungsbereich des § 135 InsO zum Tragen kommt. Nach § 142 InsO in der seit 5.4.2017 geltenden Fassung ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Ver1 BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16, GmbHR 2019, 460 = ZIP 2019, 666. 2 BGH v. 9.10.2008 – IX ZR 138/06, BGHZ 178, 171 = NJW 2009, 225 Rz. 25; BGH v. 12.7.2007 – IX ZR 235/03, NJW-RR 2008, 434 Rz. 11. 3 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742 = NJW 2013, 3035 Rz. 13.

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mögen gelangt, nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung gegeben sind und zusätzlich der Anfechtungsgegner erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte. In seinem Urteil vom 14.2.2019 hat der BGH nunmehr – wenig überraschend, da von Senatsmitgliedern bereits zuvor in diesem Sinne vertreten4 – entschieden, dass Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen, die nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar sein können, nicht mithilfe des § 142 InsO vor der Anfechtung gerettet werden können. § 142 InsO sei im Rahmen des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht anwendbar. Damit klärt der BGH einen Meinungsstreit, der sich seit dem mit dem MoMiG vollzogenen Wechsel zu dem insolvenzrechtlichen Schutzregime entwickelt hatte. Die Folgen dieser für die Praxis hinzunehmenden Entscheidung, insbesondere ihre Auswirkungen auf die Insolvenzfestigkeit von Finanzierungsstrukturen mit Gesellschafterbeteiligung, sollen im Vordergrund des Referats stehen.

II. Der Meinungsstand vor dem Urteil vom 14.2.2019 Vor der Entscheidung des BGH hatten sich im Schrifttum zwei Lager ge- 4 bildet. Eine durchaus verbreitete Auffassung hatte angenommen, dass § 142 InsO auch den Tatbestand des § 135 InsO erfasst,5 wobei wohlgemerkt damit nicht etwa die Prüfung des Bargeschäfts mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen entbehrlich werden, sondern lediglich die Möglichkeit eines Bargeschäfts nicht a priori ausgeschlossen sein sollte. Auch unter dieser Prämisse war daher etwa die Entscheidung des BGH vom 7.5.20136 richtig, nach der die Rückzahlung eines Darlehens kein Bargeschäft ist. In der Tat fehlt es dann schon an der Gegenleistung; in der Erfüllungswirkung bezüglich des Anspruchs kann sie nicht liegen. Die Diskussion hat sich innerhalb dieser Meinungsgruppe vor allem auf anfängliche Sicherheiten konzentriert, bei denen im Gegenzug zur Gewährung des Darlehens und jedenfalls in dem für das Bargeschäft relevanten zeitlichen Zusammenhang eine Sicherheit aus dem Gesellschaftsver-

4 Gehrlein in FS Kübler, 2015, S. 181. 5 Schröder in HambKomm/InsO, 6. Aufl. 2016, § 135 InsO Rz. 29, 35; Borries/ Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 142 InsO Rz. 8 f. m.w.N.; Ganter/Weiland in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 142 InsO Rz. 11; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 407 ff.; Thole, ZHR 176 (2012), 513, 542 f.; Bitter, ZIP 2013, 1497, 1503; Marotzke, ZInsO 2013, 641, 644; Thiessen, ZGR 2015, 396, 437 ff.; Hiebert, ZInsO 2016, 1679. 6 BGH v. 7.5.2013 – IX ZR 271/12, NZI 2013, 816 Rz. 2.

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mögen bestellt wird.7 Mit unterschiedlichen Begründungen wurde für diese Fälle ein Bargeschäft als möglich erachtet, wobei mitunter nicht nur § 142 InsO als rechtlicher Ansatzpunkt, sondern teils auch das Fehlen einer Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 InsO herangezogen wurde.8 Teils wurde darauf hingewiesen, dass auch im US-amerikanischen Recht eine Deckung eines antecedent debt verlangt wird, an der es gerade fehlt, wenn die in der Besicherung liegende Deckung mit der Begründung der Verbindlichkeit zusammenfällt.9 Es wurde die systematische Zusammengehörigkeit von § 135 InsO zur Deckungsanfechtung nach § 130 InsO hervorgehoben, bei der die Anwendbarkeit des § 142 InsO unzweifelhaft ist, auch soweit nahestehende Personen des Schuldners Befriedigung oder Besicherung ihrer Forderungen erhalten.10 6 Die wohl überwiegende Auffassung hatte dagegen die Anwendbarkeit des Bargeschäftsprivilegs verneint, wobei vor allem die Kontinuität zum alten Eigenkapitalersatzrecht sowie verschiedene Wertungsgesichtspunkte, insbesondere auch die Unvereinbarkeit mit einer ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung, ins Feld geführt wurden.11 7 Die so skizzierte Streitfrage hatte bei Einführung des MoMiG zunächst noch wenig Aufmerksamkeit erfahren, weil manche dem Irrtum unterlagen, eine nachrangige Forderung, namentlich hier die gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangige Darlehensrückzahlungsforderung des Gesellschafters, sei per se undurchsetzbar. Erst langsam hat sich die richtige Erkenntnis durchgesetzt, dass es eine echte Verstrickung nicht mehr gibt und der in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, aber auch in den anderen Fällen des § 39 InsO angeordnete Nachrang ein verfahrensrechtlicher, also erst nach In7 Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2015, Anh. § 64 GmbHG Rz. 147, 12. Aufl. 2020, Anh § 64 GmbHG Rz. 46 ff.; Bitter, ZIP 2013, 1497, 1503 f., 1506; Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 569. 8 Bitter in Scholz, 11. Aufl. 2018, Anh. § 64 GmbHG Rz. 128, 12. Aufl. 2020, Anh § 64 GmbHG Rz. 51; Bitter, ZIP 2013, 1497, 1503 f., 1506; Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 569. 9 Thole, NZI 2013, 745, 746. 10 Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 407. 11 Kirchhof in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2014, § 142 InsO Rz. 22; Kleindiek in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 135 InsO Rz. 16; Schmidt in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 135 InsO Rz. 16; K. Schmidt/Uhlenbruck/Brinkmann, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 2128; Brinkmann, ZGR 2017, 708, 719 ff.; Henkel, ZInsO 2009, 1577; Spliedt, ZIP 2009, 149, 151; Hölzle, ZIP 2013, 1992; Gehrlein in FS Kübler, 2015, S. 181, 185 f.; Köth, ZGR 2016, 541, 565 ff.; Haas, ZIP 2017, 545, 549.

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solvenzeröffnung geltender Nachrang der schuldrechtlichen Forderung ist.12 Die allgemeine Frage nach der Besicherbarkeit nachrangiger Forderungen ist freilich nach wie vor nicht vollständig geklärt,13 aber im Ergebnis nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich zu bejahen.14 Entgegen dem früheren Eigenkapitalersatzrecht kennt das seit dem MoMiG geltende Recht der Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz keine Durchsetzungssperre bzw. kein präventives Auszahlungsverbot mehr. Auch der Nachrang bedeutet allein einen Nachrang für das eröffnete Insolvenzverfahren, soweit er nicht kraft privatautonomer Gestaltung zu einer vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre erweitert worden ist. Entsprechendes gilt dann auch für die dafür bestellten Sicherheiten. Die vom Gesetz vorgesehene Anfechtbarkeit der Rückzahlung bedeutet indirekt gerade, dass kein vorinsolvenzliches Auszahlungsverbot oder Leistungsverweigerungsrecht der Schuldnerin besteht. Es entspricht dem Wesen des Anfechtungsregimes, dass es nur im Insolvenzverfahren zur Anfechtung der Besicherung und der Rückzahlung des Gesellschafterdarlehens kommen kann. Der BGH erkennt die Besicherbarkeit nachrangiger Forderungen im Grundsatz auch an, weil er, wie bemerkt, in seiner neueren Rechtsprechung sauber zwischen dem Tatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO und dem Tatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO differenziert.15 Er lässt erkennen, dass eine Besicherung nach zehn Jahren, d.h. nach Ablauf der in § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO normierten Suspektsperiode unangreifbar sein kann.16 Daher kommt es sehr wohl auch auf die Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO an. Die insbesondere von Altmeppen vertretene Auffassung, maßgeblich sei allein die Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO und Sicherheiten für den Gesellschafter seien generell hinfällig oder sie würden mit Eintritt in den Jahreszeitraum und Stehenlassen des Darlehens in diese Zeit hinein hinfällig,17 widerspricht dem auch bei den anderen Anfechtungstatbeständen verfolgten Konzept, mit der Begrenzung 12 Bitter, ZIP 2013, 1497, 1502; Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 49 InsO Rz. 5; Thole NZI 2013, 745, 746; anders beiläufig noch Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 395. 13 Zum Meinungsstand Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2018, Anh. § 64 GmbHG Rz. 140 f. 14 Ebenso Bitter, ZIP 2013, 1497, 1501 ff.; Thole in K. Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 49 InsO Rz. 5; Thole, NZI 2013, 745 f.; Bloß/Zugelder, NZG 2011, 332 m.w.N. 15 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742. 16 Tendenziell BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742 Rz. 14. 17 Altmeppen, ZIP 2013, 1745 ff.; Altmeppen, ZIP 2019, 1985, 1990; vgl. auch Hölzle, ZIP 2013, 1992.

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der Suspektsperiode eine in zeitlicher Hinsicht klare Abgrenzung zu ermöglichen. Wenn Altmeppen meint, vor Eintritt in die Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO gebe es gar kein nachrangiges Darlehen und deswegen sei die Zehn-Jahres-Frist für die Anfechtung der Besicherung obsolet, beruht dies m.E. auf mangelnder Differenzierung. Außerhalb der Jahresfrist gibt es keine Anfechtung der Darlehensrückzahlung; sehr wohl aber ein Darlehen, das in einem gedachten Insolvenzverfahren nachrangig wäre. Dass dabei der Nachrang tatsächlich erst im Insolvenzverfahren greift, spielt schon deshalb keine Rolle, weil sonst auch § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO obsolet wäre; im Übrigen wird auch bei §§ 130, 131 InsO der „Insolvenzgläubiger“ danach bemessen, ob der befriedigte Gläubiger Insolvenzgläubiger gewesen wäre in einem für diesen Zeitpunkt gedachten Insolvenzverfahren.

III. Die Argumentation des BGH 8 Ist damit § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO keineswegs praktisch irrelevant, kommt der Anwendbarkeit des § 142 InsO in der Tat eine entscheidende Bedeutung zu. Der BGH führt für seine Auffassung mehrere Argumente an:18 9 Die Bargeschäftsregeln führten zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung verschiedener Situationen. Wenn die Sicherheit lange vor Darlehensauszahlung bestellt würde, würde es an einem Bargeschäft fehlen, obwohl die Situation nicht anders zu behandeln sei als die Ausreichung der Sicherheit im zeitlichen Zusammenhang mit der Darlehensauszahlung. Es fehle der Bargeschäftseinwand im AnfG, obwohl § 6 AnfG eine Parallelvorschrift zu § 135 InsO enthalte. Vor allem aber könne aus der Gesetzeshistorie und den Materialien zum MoMiG nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber neben der Abschaffung des Merkmals der Krise eine Kompensation durch Anwendbarkeit des § 142 InsO habe schaffen wollen. Sinn und Zweck des § 135 InsO sprächen gegen dessen Anwendbarkeit, weil die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters weiterhin die entscheidende Prämisse der § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO bilde. Durch die Vergabe gesicherten Kredits würden Fehlanreize geschaffen. Der Gesellschafter, der sich abgesichert habe, können zu unangemessenen Wagnissen verleitet werden; dies sei mit einer ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung nicht vereinbar. Im Kern ar18 BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16, ZIP 2019, 666 Rz. 40 ff. = GmbHR 2019, 460.

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gumentiert der BGH, der Gesellschafter sei einer „insolvenzrechtlichen Sonderbehandlung“ gegenüber den gewöhnlichen Gläubigern unterworfen, das Gesellschafterdarlehen werde faktisch wie Eigenkapital behandelt. Bei der Besicherung handele es sich nicht um ein übliches Umsatzgeschäft, das § 142 InsO dem Schuldner noch ermöglichen soll. Dadurch könne es zum Abfluss der letzten noch werthaltigen Sicherheiten aus dem Gesellschaftsvermögen kommen, obwohl das operative Geschäft dadurch nicht unmittelbar befördert werde. Zudem könne ein gesicherter Gesellschafter dann durch die Verwertung der insolvenzfesten Sicherheit Rückzahlung eines Darlehens erlangen, obwohl diese Rückzahlung isoliert betrachtet nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar sein könnte.

IV. Würdigung Das Urteil ist für die Praxis so zu nehmen, wie es gefällt ist. Es ergibt, 10 wenn es um die praktischen Folgerungen geht, wenig Sinn, in eine fruchtlose Diskussion darüber einzutreten, ob es geglückt ist. Vom Standpunkt meiner früher mehrfach vertretenen Auffassung ist es das nicht. Näher gelegen hätte eine Lösung, die § 142 InsO anwendet, dann aber die Vergabe des besicherten Darlehens nicht als Bargeschäft ansieht (weil auch besicherter Kredit ein Kredit ist),19 wohl aber es zulässt, dass ein Bargeschäft z.B. dann vorliegt, wenn der Gesellschafter für die Rückzahlung des Darlehens oder der darlehensgleichen Forderung (z.B. der gestundeten Kaufpreisforderung) nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine neue Gegenleistung (z.B. Freigabe einer bereits seit zehn Jahren bestehenden und damit ihrerseits insolvenzfesten Sicherheit) erbringt.20 Das erkennt die Rechtsprechung außerhalb des § 135 InsO auch durchaus an.21 Auch das Argument, ein gesicherter Gesellschafter könne dann durch die Verwertung der insolvenzfesten Sicherheit Rückzahlung eines erst innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgereichten Darlehens erlangen, ist fragwürdig, wenn der BGH damit – die Passage im Urteil bleibt unklar22 – ausdrücken wollte, die Befriedigung durch Verwertung sei dann nicht anfechtbar. Das stimmt aber nicht, weil die Befriedigung durch Verwertung auch Befriedigung i.S.d. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist. Es würde dann ledig19 Vgl. auch Thole in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 142 InsO Rz. 3. 20 Zu der Frage, ob der BGH überhaupt eine Aussage über § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO hinaus machen wollte, Bitter, ZIP 2019, 737, 745 f. 21 BAG v. 21.2.2008 – 6 AZR 273/07, ZIP 2008, 1184 Rz. 48. 22 BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16, ZIP 2019, 666 Rz. 52 = GmbHR 2019, 460.

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lich an der Gläubigerbenachteiligung fehlen, wenn die Sicherheit insolvenzfest ist. 11 Wenn Bitter dem BGH vorhält, der Gesellschafter sei nur ein begrenztes Insolvenzrisiko eingegangen,23 weil er nur besichert finanziert habe, geht das freilich am Punkt eher vorbei, denn welches Insolvenzrisiko der Gesellschafter eingeht, hängt gerade von den Anfechtungsrisiken ab24; anders formuliert kann man die Insolvenzfestigkeit nicht damit begründen, dass der Gesellschafter genau dies erreichen wollte. Zudem weist Altmeppen mit Recht darauf hin, dass der Gesellschafter die Anfechtung tragen muss, gerade weil er unabhängig von der Besicherung kein reelles Risiko mit der Darlehensgewährung eingeht, da er sich rechtzeitig vor der Insolvenzreife Rückzahlung verschaffen kann.25 12

Dennoch ist schon der Hinweis des BGH auf die üblichen Umsatzgeschäfte einigermaßen fragwürdig, weil er das Bargeschäftsprivileg schwer abgrenzbar macht, zumal auch Warenkredite von § 135 InsO erfasst sind und sehr wohl „üblich“ sind.26 Vor allem vermischt der BGH die Frage der generellen Anwendbarkeit des § 142 InsO mit der konkreten Frage, ob ein Bargeschäft besteht. Zuzugeben ist, dass eine Differenzierung zwischen anfänglichen und nachträglichen Sicherheiten schwierig ist und dies auch die Instanzgerichte mitunter überfordert hätte. Prima facie hat es auch etwas für sich, dass ein Kreditgeschäft eben kein Bargeschäft ist. Dieser Logik kann man – das ist einzuräumen – nur schwer entkommen.

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Insgesamt erkennt man deutlich, dass der BGH den blutarmen Topos von der Finanzierungsfolgenverantwortung durch den Topos von der ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung abzulösen scheint. Das kann man für richtig halten, nur bleibt die Konkretisierung gleichfalls blass,27 weil der BGH die mangelnde Ordnungsgemäßheit der Finanzierungshilfe aus der insolvenzrechtlichen Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen und den gesetzlichen Regeln des § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO abzuleiten scheint, deren Reichweite es gerade zu klären gilt. Das ist nah an der petitio principii. Wenn überhaupt, trägt der Gesichtspunkt von Fehlanreizen und Missbrauchsgefahren, der indes eher behauptet denn bewiesen wird. So wird im Schrifttum angenommen, der Gesellschafter, dessen 23 24 25 26 27

Bitter, ZIP 2019, 737, 739. So Brinkmann, ZGR 2017, 709, 722, der Bitter einen Zirkelschluss vorhält. Altmeppen, ZIP 2019, 1985, 1988. Bork, EWIR 2019, 241, 242 = GmbHR 2019, 460. Vgl. auch Kleindiek in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 135 InsO Rz. 20.

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persönliche Rückzahlungsforderung jedenfalls nachrangig ist, habe oft ein Interesse daran, die Sicherheit zu erhalten, und dies könne er nur dann, wenn er sich nicht gegen die rasche Eröffnung des Insolvenzverfahrens wehrt.28 Welche verhaltenssteuernden Wirkungen die kritische Grundhaltung des BGH zur Besicherbarkeit von Gesellschafterdarlehen hat, ist daher noch nicht in alle Richtungen ausgeleuchtet.

V. Folgerungen für die Unternehmensfinanzierung 1. Ausgangspunkt: Anfechtungsgefahr im Zehn-Jahres-Periode Interessanter als die Frage, ob der BGH richtig entschieden hat, sind die 14 Auswirkungen des Judikats auf die Unternehmensfinanzierung, die weiteren Anfechtungsgefahren sowie mögliche Ausweichstrategien von finanzierungswilligen Gesellschaftern. Der Ausgangspunkt ist klar beschrieben: Der BGH versteht § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO als scharfen Anfechtungstatbestand. Auf die Ausreichung der Sicherheit in der Krise kommt es nicht mehr an. Die Besicherung ist generell in einem späteren Insolvenzverfahren anfechtbar (also aus Sicht des Gesellschafters wertlos), und selbst bei bereits erfolgter Verwertung bleibt es bei der Sekundärhaftung des § 143 Abs. 1 Satz 2, § 818 Abs. 2, 4, §§ 819, 292, 989 BGB, es sei denn, der Zehn-Jahres-Zeitraum ist bereits verstrichen. Das immerhin lässt sich dem Urteil doch deutlich entnehmen. Der BGH folgt mit Recht nicht den eben beschriebenen Versuchen des Schrifttums, aus § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine Undurchsetzbarkeit der Sicherheit auch für solche Fälle abzuleiten, in denen seit der Besicherung zehn Jahre verstrichen sind, ohne dass es zum Insolvenzantrag gekommen ist. Auf einem anderen Blatt steht, dass die Unterteilung zwischen Besicherung und Befriedigung bei § 135 InsO generell nicht gelungen ist; das ist indes de lege lata nicht zu ändern. Nun sind die Vorgaben des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO in einem einfachen 15 Fall ohne weiteres nachzuvollziehen. Der Gesellschafter gewährt ein Darlehen und lässt sich dafür eine Sicherheit aus dem Gesellschaftsvermögen geben. In praxi sind Finanzierungsstrukturen indes oft komplexer. Für die Praxis muss das Urteil ein Weckruf sein, gerade komplexere Strukturen im Hinblick auf mögliche Anfechtungsgefahren auf den Prüfstand zu stellen, jedenfalls dann, wenn eine Krise oder Insolvenz des Unternehmens zu erwarten steht. Eine Sicherheit i.S.d. § 135 InsO ist nicht 28 Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 570.

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anders zu verstehen als bei §§ 130, 131 InsO.29 Der Begriff ist weit auszulegen.30 Der BGH spricht sogar von Sicherheiten „im weitesten Sinne“.

2. Die gesicherte Forderung: Ab wann liegt eine darlehensgleiche Forderung vor? 16

Nicht nur die „Sicherheit“ gehört auf den Prüfstand, sondern auch die gesicherte Forderung. Denn es ist ein Grundmanko des Gesellschafterdarlehensrechts, dass es nicht sämtliche Forderungen des Gesellschafters einbezieht, sondern nur solche mit darlehensähnlichem Charakter.31 Dazu gehört wegen des systematischen Zusammenhangs nach richtiger Auffassung des BGH nicht die Nutzungsüberlassung als solche, die in § 135 Abs. 3 InsO eine Sonderregelung erfahren hat.32 Wohl aber können die Forderungen aus der Nutzungsüberlassung, also die Mietforderungen, ihrerseits kreditiert sein.

17 Was den Darlehenscharakter einer Rechtshandlung angeht, ist anerkannt, dass jede Kreditierung erfasst ist. Nicht überzeugend ist es, wenn im Schrifttum angenommen wird, kurzfristige Kreditierungen bzw. Überlassungen von Liquidität, etwa im Cash-Pool, könnten nicht zu Risikoverzerrungen führen und seien deshalb (grundsätzlich) ausgenommen; dadurch werde nur Liquidität, kein Kapital zugeführt.33 Das wirft heikle Abgrenzungsfragen auf. Schon die Prämisse, zwischen Liquiditätszufuhr und (Fremd-)Kapitalzufuhr unterscheiden zu wollen, leuchtet nicht ein. Der BGH hat mit Recht auch Überbrückungskredite entgegen dem früheren Recht in das Regime der § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO einbezogen.34 Allerdings hat er jetzt im Urteil vom 27.6.201935 angenommen, dass dann, wenn Gesellschafter und Gesellschaft taggleiche, kontokorrentähnliche Hin- und Herzahlungen im Rahmen des gleichen darlehensähn29 Kleindiek in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 135 InsO Rz. 22. 30 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR, 164/13, ZIP 2014, 584 Rz. 14 = GmbHR 2014, 417. 31 Kleindiek in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 39 InsO Rz. 36; Preuß in Kübler/Prütting/Bork, 80. EL 2019, § 39 InsO Rz. 81. 32 M.w.N. BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, ZIP 2015, 589 Rz. 65 ff. = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann. 33 Brinkmann, ZGR 2017, 708, 712. Mit Recht demgegenüber Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh § 64 GmbHG Rz. 61. 34 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 Rz. 9 = GmbHR 2013, 464 m. Anm. Bormann. 35 BGH v. 27.6.2019 – IX ZR 167/18, GmbHR 2019, 1058 = NJW 2019, 2923.

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lichen Verhältnisses ohne wirksamen anderen Rechtsgrund vornehmen, eine darlehensgleiche Forderung nur in Höhe des Saldos in Betracht kommt. Entscheidend ist der tatsächliche Finanzierungsbetrag; im konkreten Fall war insbesondere aus Verschleierungsgründen hin- und hergezahlt worden. Darauf kam es nicht an. Das könnte insbesondere für das Cash-Pooling relevant sein. Folglich ist es nur insoweit anfechtbar, als der im Anfechtungszeitraum bestehende höchste Saldo endgültig zurückgeführt worden ist. Solange die kontokorrentähnliche Handhabung eingehalten wird, kommt es allein auf den Vergleich zwischen dem Höchststand des Darlehens und dem Stand am Ende des Anfechtungszeitraums an. Von der Frage der Darlehensgleichheit zu unterscheiden ist, dass es ge- 18 wissermaßen „normale“, also eindeutig nicht darlehensähnliche Forderungen gibt, die erst durch Kreditierung darlehensähnlich und sodann bei entsprechender Besicherung auch zum Anknüpfungspunkt für die Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO (und naturgemäß jener nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO) werden können. Zu diesen Forderungen gehören Forderungen aus Austauschverträgen wie insbesondere Kaufpreisforderungen des Gesellschafters, die sodann durch Stundung oder Stehenlassen zu darlehensgleichen Forderungen werden. Gleiches gilt für gestundete Zinsforderungen aus Darlehen, wie der BGH in der Entscheidung vom 27.6.2019 ebenfalls angenommen hat36. Allerdings sind die Maßstäbe dafür, wann eine Stundung zeitlich noch als 19 unschädlich gilt, nicht vollständig geklärt. Das OLG Schleswig hat beispielsweise die Grundsätze, die sonst im Rahmen des § 142 InsO für die Einordnung als Bargeschäft gelten, auf die Frage der wirtschaftlich einem Darlehen entsprechenden Forderung übertragen und die dort für Dienstleistungen übliche 30-Tage-Frist angewendet.37 Andere sprechen von einer marktunüblichen oder vom Verkehrsüblichen abweichenden Fälligkeitsfrist, wollen insoweit aber mehrheitlich auf die 30-Tage-Frist des § 286 Abs. 3 BGB abstellen, u.a. Gehrlein.38 36 BGH v. 27.6.2019 – IX ZR 167/18, NJW 2019, 2923 Rz. 44 = GmbHR 2019, 1058. 37 OLG Schleswig v. 29.5.2013 – 9 U 15/13, NZI 2013, 936, 937; so auch Preuß in Kübler/Prütting/Bork, 80. EL, 2019, § 39 InsO Rz. 81, 53; Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 208 ff. 38 Gehrlein in Gehrlein/Ekkenga/Simon, 2. Aufl. 2015, Vor. § 64 GmbHG Rz. 126; für § 286 Abs. 3 BGB Thiessen in Bork/Schäfer, 4. Aufl. 2019, Anh. § 30 GmbHG Rz. 16; Fedke, NZG 2009, 928, 930; für Verkehrsüblichkeit und die

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20 Manche wollen ermitteln, ob der Gesellschaft für die Erbringung der ihr obliegenden Leistung ein späterer Zeitpunkt zugestanden wird, als es üblicherweise einem gesellschaftsfremden Dritten gegenüber der Fall wäre.39 21

Der BGH ging bisher davon aus, dass grundsätzlich jede Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirke.40 Eine Ausnahme machte er bei einem Baraustausch. In der Entscheidung vom 29.1.2015 hatte der BGH für den Fall eines Mietvertrags Folgendes ausgeführt:41 „Wird ein Baraustausch durchgeführt, handelt es sich nicht um eine stehen gelassene und damit einem Darlehen wirtschaftlich entsprechende Forderung, die gem. § 135 Absatz 1 Nummer 2 InsO der Anfechtung zugänglich ist.“

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Der Senat hatte sodann angenommen, ein Baraustausch liege „bei länger währenden Vertragsbeziehungen in Anlehnung an § 286 Abs. 3 BGB vor, wenn Leistung und Gegenleistung binnen eines Zeitraums von 30 Tagen abgewickelt werden.“42 Diese Rechtsprechung kann man nach der zitierten Passage so verstehen, dass tatsächlich ein Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO vorliegen muss. Gleichwohl dürfte mit dieser Rechtsprechung nur der Versuch verbunden sein, die Frage der Verkehrsüblichkeit oder Marktüblichkeit in einen normativen Rahmen einzubetten. Käme es nämlich auf den tatsächlichen Austausch von Leistung und Gegenleistung an, gäbe es keine offene Forderung mehr, deren Finanzierungscharakter unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu beurteilen wäre. Es erscheint auch in der Sache gerechtfertigt, nicht allein auf eine etwaige Marktüblichkeit von Zahlungszielen abzustellen, sondern diese Marktüblichkeit normativ zu flankieren. Es erschiene widersprüchlich, wenn der Gesellschafter sich auch dann noch auf die Verkehrsüblichkeit und die „Unverdächtigkeit“ der Rechtshandlung berufen könnte, wenn er bewusst der Gesellschaft mehr

39 40 41 42

Berücksichtigung des § 142 InsO sowie des § 286 Abs. 3 BGB Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 30 GmbHG Rz. 56; Darstellung bei Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 208 ff. T. Fleischer in Henssler/Strohn, 4. Aufl. 2019, § 39 AktG Rz. 16. BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NZI 2015, 331 Rz. 70 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann. BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NZI 2015, 331 Rz. 70 f. = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann. BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, NZI 2015, 331 Rz. 71 = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann.

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Zeit zur Zahlung einräumt, als es dem gesetzlichen Regelfall entspricht. Auch wäre es nicht überzeugend, bei einem Austausch von Leistung und Gegenleistung im Bereich des § 142 InsO von einem Kreditgeschäft auszugehen und deshalb dessen Anwendung zu versagen, gleichzeitig aber unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO den Kreditcharakter wieder zu verneinen. Eine stimmige Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO muss deshalb in der Tat mit den gesetzlichen Maßstäben in Einklang gebracht werden. Nur insoweit könnte man fragen, ob es wertungsmäßig stimmig ist, 23 30 Tage bei Austauschverträgen anzusetzen, sonstige eindeutig als Darlehensgeschäfte zu charakterisierende Finanzierungshilfen schon bei wenigen Tagen als darlehensgleich zu behandeln. Das ist indes kein Widerspruch, denn im ersten Fall geht es nur darum, ab wann die rechtliche Qualität der Forderung wechselt, während im zweiten Fall der Kreditierungscharakter unbestritten ist. Allerdings ist fraglich, ob der BGH an den genannten Grundsätzen fest- 24 hält. Im jüngsten Urteil vom 11.7.201943 scheint der BGH wieder großzügiger zu sein. Er meint, nicht jede Stundung über den für einen Baraustausch unschädlichen Zeitraum von 30 Tagen führe dazu, dass eine Forderung aus einem sonstigen Austauschgeschäft als Darlehen zu qualifizieren ist. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob eine rechtliche oder faktische Stundung den zeitlichen Bereich im Geschäftsleben gebräuchlicher Stundungsvereinbarungen eindeutig überschreitet. Das sei in der Regel anzunehmen, wenn eine Forderung länger als drei Monate stehen gelassen werden. Der Schluss auf die Kreditgewährung müsse sich unzweifelhaft aufdrängen. Die Entscheidung ist abzulehnen. Sie ist offenbar getrieben von dem Ge- 25 danken, die normalen Austauschgeschäfte möglichst nicht vorschnell in den Bereich des Gesellschafterdarlehensrechts zu bringen. Damit lässt es aber der BGH zu, dass ein Geschäft, das nach den Regeln des § 142 InsO (in Abgrenzung zum Bargeschäft) als Kreditgeschäft qualifiziert und deshalb dort nicht erfasst würde, kein Kreditgeschäft i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO sein muss. Das leuchtet nicht ein. Zugleich scheint sie mir nur bezogen auf das nachträgliche Stehenlassen, nicht auf die anfängliche Kreditierung. Wer von Anfang an 80 Tage Ziel gibt, gibt Kredit. Es geht dem BGH in erster Linie darum zu verhindern, dass der Gesellschafter 43 BGH v. 11.7.2019 – IX ZR 210/18, ZIP 2019, 1675 = GmbHR 2019, 1051 m. Anm. Blöse.

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nicht schon nach einem Monat harte Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen muss, um den Nachrang zu verhindern. Darauf sollte man das Urteil begrenzen.44

3. Warenkredite und Besicherung bei Austauschgeschäften 26

Die vorstehenden Überlegungen haben gerade in Konzernsituationen Bedeutung. In Konzernstrukturen ist es durchaus möglich, dass beispielsweise ein Gesellschafter eine Ankaufsfinanzierung für die Warenbeschaffung der Gruppen- oder Tochtergesellschaften vornimmt. Man denke an eine Zentralregulierung durch eine Holding oder Muttergesellschaft, die gegenüber den Lieferanten der Tochter die rasche Zahlungsabwicklung übernimmt oder entsprechende Garantien gegenüber den Lieferanten abgibt. Die Tochter bestellt im eigenen Namen bei den Lieferanten. Die Mutter bezahlt die Lieferantenforderungen. Sodann nimmt sie Regress bei der Tochter und lässt sich diesen Aufwendungsersatzanspruch besichern durch, z.B., eine Sicherungsabtretung von Kundenforderungen der Tochter oder durch Sicherungsübereignung der erworbenen Ware. Es mag sogar eine direkte Übereignung der unter Eigentumsvorbehalt an die Tochter übereigneten Ware vom Lieferanten an die zahlende Mutter erfolgen (§§ 929, 931 BGB), wobei dann darüber hinaus mit dem Lieferanten vereinbart ist, dass auch die Kaufpreisforderung gegen die Tochter auf die Holding übergeht, so dass die Kaufpreisforderung gerade nicht erfüllt und folglich die Bedingung für den Eigentumserwerb der Tochter noch nicht eingetreten ist.

a) Regress als darlehensgleiche Forderung 27

In solchen Fällen einer Regressbeziehung ist der Aufwendungsersatzanspruch richtigerweise schon per se eine darlehensgleiche Forderung, weil die Finanzierungswirkung auf der Hand liegt. Es kommt nicht darauf an, ob die Mutter der Tochter mehr als 30 Tage zum Ausgleich des Regressanspruchs Zeit lässt. Das gilt richtigerweise auch für den Anspruch aus übergegangenem Recht, also aus der Kaufpreisforderung des Lieferanten, denn auch insoweit ändert sich der Charakter als Finanzierungsforderung nicht bzw. dieser Übergang hat letztlich ebenfalls nur Sicherungswirkung, weil dadurch die Befriedigung des originären Aufwendungsersatzanspruchs abgesichert werden soll. Das aber bedeutet, dass sämtliche Sicherheiten, die von der Tochter an die Mutter bzw. all44 Kritisch auch Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh § 64 GmbHG Rz. 209a.

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gemeiner: an den Gesellschafter, gegeben werden, „auf der Kippe“ stehen, d.h. nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar sein können.

b) Die Begleitproblematik der Umwandlung in ein Absonderungsrecht Das gilt richtigerweise unabhängig von einer Problematik, die in diesem 28 Kontext ebenfalls Beachtung erfordert. Wenn der Lieferant das vorbehaltene Eigentum an der Ware an den letztlich den Erwerb durch die Gesellschaft vorfinanzierenden Gesellschafter überträgt, sichert der Eigentumsvorbehalt nunmehr den Aufwendungsersatzanspruch des Gesellschafters. Dann ist fraglich, ob aus dem Aussonderungsrecht des Lieferanten (bei Beendigung des Kaufvertrags mit der kaufenden Gesellschaft) ein bloßes Absonderungsrecht des Gesellschafters wird, unterstellt, es wäre nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 27.3.200845 angenommen, wenn der Vorbehaltsverkäufer das Eigentum an der Kaufsache auf eine Bank, die für den Käufer den Erwerb finanziert, überträgt, könne die Bank das vorbehaltene Eigentum in der Insolvenz des Käufers nicht aussondern. Sie sei vielmehr wie ein Sicherungseigentümer lediglich zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Maßgebend war die Überlegung, dass der Eigentumsvorbehalt einen Be- 29 deutungswandel erfahre. Gesichert werde nicht mehr der Warenkredit, sondern der Geldkredit. Von diesem Urteil hat sich der BGH in einer weiteren Entscheidung vom 8.5.2014 abgegrenzt.46 Hier ging es um die Übertragung auf einen echten Factor im Rahmen eines Factoringvertrags. Für diesen Fall will der BGH das Aussonderungsrecht weiterhin anerkennen, wenn dem Erwerber des vorbehaltenen Eigentums auch das Rücktrittsrecht aus dem Kaufvertrag übertragen wurde und deshalb der Rücktritt vom Kaufvertrag noch erfolgen kann. Eine weitere Entscheidung des OLG München vom 18.11.201447 betrifft den Fall, dass ein Dritter aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit dem Verkäufer den Erwerb der Sache finanziert. Das OLG München nahm in Anwendung der Grundsätze des BGH an, nach Überleitung des vorbehaltenen Eigentums auf den finanzierenden Dritten werde weiterhin der Warenkredit gesichert, weil im konkreten Fall ausweislich einer Rahmenvereinbarung insbesondere 45 BGH v. 27.3.2008 – IX ZR 220/05, NJW 2008, 1803. 46 BGH v. 8.5.2014 – IX ZR 128/12, NJW 2014, 2358 Rz. 15. 47 OLG München v. 18.11.2014 – 5 U 1454/14, ZInsO 2014, 2504.

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auch das Recht, bei Zahlungsverzug des Kunden vom Kaufvertrag zurückzutreten, sowie Schadensersatz-, Herausgabe- und Nutzungsentschädigungsansprüche abgetreten worden waren. Damit habe der übergeleitete Eigentumsvorbehalt weiterhin den Zweck gehabt, einen durch Rücktritt vom Kaufvertrag aufschiebend bedingten Herausgabeanspruch gem. § 449 Abs. 2 BGB zu sichern. 30 Einer Umwandlung in diesem Sinne vom Aussonderungs- zum Absonderungsrecht steht es daher nur entgegen, wenn dem Gesellschafter auch das Rücktrittsrecht abgetreten wird, also die Befugnis, auf den Kaufvertrag zwischen Lieferanten und Gesellschaft einzuwirken und damit den Eigentumsvorbehalt bzw. das Anwartschaftsrecht der Gesellschaft zu vernichten. Davon wird regelmäßig nicht auszugehen sein, denn solche Gestaltungsrechte verbleiben grundsätzlich und vorbehaltlich abweichender Vereinbarung beim Zedenten. 31 Die Anfechtbarkeit der Besicherung hat für Eigentumsvorbehalte von Gesellschaftern und die so skizzierte Umwandlungsproblematik weitreichende Konsequenzen. Greift § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch, kommt es auf diese Problematik gar nicht mehr an.

c) Der einfache Eigentumsvorbehalt und die Frage der Gläubigerbenachteiligung nach § 129 InsO 32

Eine generelle Frage bleibt freilich, ob § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO überhaupt auf Aussonderungsrechte anwendbar ist. Das betrifft letztlich den einfachen Eigentumsvorbehalt bzw. den verlängerten und erweiterten Eigentumsvorbehalt, soweit der Verlängerungs- oder Erweiterungsfall noch nicht eingetreten ist, es also um den Zugriff des Gesellschafters auf die Sache selbst geht bzw. beim erweiterten Eigentumsvorbehalt die primäre Kaufpreisforderung noch nicht bezahlt ist. Auch insoweit liegt der Grundfall des einfachen Eigentumsvorbehalts vor. Bei der Sicherungsabtretung etwa der Weiterveräußerungsforderungen stellt sich das Problem nicht, wenn und soweit sie aus dem Vermögen der Gesellschaft erfolgt oder ein Durchgangserwerb eintritt.48

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Unter dem früheren Eigenkapitalersatzrecht war nach h.M. der Sicherungsübereignung auch der einfache Eigentumsvorbehalt gleichge48 Gegen eine Benachteiligung aber Mylich, ZIP 2019, 2233, 2236 f.; bei der Vorausabtretung ist aber schon allgemein unklar, ob ein Durchgangserwerb eintritt, siehe Stürner in Jauerning, 17. Aufl. 2018, § 398 BGB Rz. 9.

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stellt.49 Das wird auch für das seit dem MoMiG geltende Recht weiter vertreten,50 wenngleich teils, u.a. von Kleindiek, in Zweifel gezogen.51 Bitter zieht dies allerdings nur deshalb in Zweifel, weil er bei anfänglichen Besicherungen eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs anerkannt,52 was der BGH aber im Urteil vom 14.2.201953 gerade verworfen hat. Die Frage lautet also allgemein, ob das Erfordernis der Gläubigerbenach- 34 teiligung nach § 129 InsO der Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegensteht. Bei Sicherungsübereignungen ist dieses Erfordernis ohne weiteres erfüllt, beim einfachen Eigentumsvorbehalt zweifelhaft, weil sich das Volleigentum an der Sache nie im Vermögen der Gesellschaft befunden hatte. Typischerweise wird aber das Eigentum an der Ware in der Hand des Ge- 35 sellschafters auch noch andere Forderungen sichern. Dann jedenfalls ist eine Gläubigerbenachteiligung eindeutig, weil nunmehr auch diese weiteren Forderungen ausgelöst werden müssen, um das Eigentum an der Ware zu erhalten und den Bedingungseintritt herbeizuführen. Die Gläubigerschaft steht insoweit schlechter als vor dem Übergang des vorbehaltenen Eigentums auf den Gesellschafter. Ist damit der erweiterte oder verlängerte Eigentumsvorbehalt weniger 36 problematisch, ist aber auch beim einfachen Eigentumsvorbehalt wertungsmäßig die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung plausibel. Denn wenn die Umwandlung des Aussonderungsrechts in ein Absonderungsrecht auf der Überlegung beruht, die Konstellation stehe einer Sicherungsübereignung gleich, so ist damit implizit beschrieben, dass aus dem Vermögen der Schuldnerin ein Recht an ihren Vermögenswerten ausgeschieden ist. Es kann jedenfalls bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung keinen Unterschied machen, ob die Vertragslieferanten zu49 OLG Celle v. 14.7.1998 – 16 U 3/98, NZG 1999, 75, 76 f. = GmbHR 1999, 350; OLG Karlsruhe v. 16.12.1988 – 14 U 26/86, ZIP 1989, 588, 591 = GmbHR 1990, 128. 50 Jaeger-Henckel in Jaeger, 2010, § 135 InsO Rz. 10; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 135 InsO Rz. 13. 51 Kleindiek in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 135 InsO Rz. 22; Neußner in GrafSchlicker, 5. Aufl. 2019, § 135 InsO Rz. 10. 52 Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 220. 53 BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16, ZIP 2019, 666 = NJW 2019, 1268 Rz. 40 ff. = GmbHR 2019, 460.

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nächst unbedingt an die Schuldnerin übereignen und die Schuldnerin eine juristische Sekunde später zur Sicherheit für die Finanzierungsforderungen die Ware an den Gesellschafter überträgt (echte Sicherungsübereignung mit Gläubigerbenachteiligung), oder ob durch die Übertragung vorbehaltenen Eigentums von den Lieferanten an den Gesellschafter und die Umwandlung des Sicherungscharakters („fingierte“ Sicherungsübereignung) das gleiche Ergebnis erzielt wird. 37 Kommt es nicht zur Umwandlung, gilt Gleiches: Die h.M. zum früheren Eigenkapitalersatzrecht beruhte auf der Prämisse, dass der Eigentumsvorbehalt wirtschaftlich einer Kreditierung des Kaufpreises gegen Sicherungsübereignung gleichsteht.54 Auf diese Weise wird im Ergebnis fingiert, dass der erworbene Gegenstand für eine juristische Sekunde in das Vermögen der Gesellschaft übergegangen ist. Das Argument ist zwar nicht zweifelsfrei, weil das Insolvenzrecht die Gleichstellung zwischen Sicherungseigentum (Absonderungsrecht) und Eigentumsvorbehalt (grundsätzlich Aussonderungsrecht) gerade nicht vollzogen hat. Hier nun könnte aber der vom BGH im Urteil vom 14.2.2019 betonte Gedanke der ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung tragen. Im Ergebnis will das Gesellschafterdarlehensrecht nach diesen Prämissen umfassend erreichen, dass der Gesellschafter mit seinen darlehensgleichen Forderungen nur nachrangig befriedigt wird, weil diese Finanzierung durch den Gesellschafter nicht einer ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung entspricht. Wenn man – wie der BGH – die Sonderbehandlung des Gesellschafters als Leitmotiv erkennen will, trägt sie auch beim Eigentumsvorbehalt. 38 Den einzigen Ausweg könnte eine Nutzungsüberlassung durch den Gesellschafter an die Gesellschaft begründen,55 solange die daraus folgende Entgeltforderung nicht ihrerseits kreditiert wird, denn die Nutzungsüberlassung als solche kann nach der gesetzlichen Systematik, so fragwürdig sie auch sein mag, nicht schon als solche als darlehensähnlich angesehen werden.56 Auch das wirft schwierige Fragen auf, denn dann stellt sich die Frage, ob es noch eine Nutzungsüberlassung ist, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft zwar zeitweilig den Gebrauch überlässt, 54 OLG Celle v. 14.7.1998 – 16 U 3/98, NZG 1999, 75, 76 f. = GmbHR 1999, 350. 55 So Bitter, ZIP 2019, 737, 740. 56 BGH v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, ZIP 2015, 589 Rz. 65 ff. = GmbHR 2015, 420 m. Anm. Bormann.

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aber doch ein Übergang in das Vermögen der Gesellschaft angestrebt ist. Denkbar erschiene das wohl nur, wenn zunächst der Gesellschafter Volleigentum vom Lieferanten erwirbt, also selbst die Sache erwirbt; das wird aber aus verschiedenen Gründen häufig nicht in Betracht kommen. Es bleibt dabei: Ankaufs- und Vorfinanzierungen durch den Gesellschafter, die mit seiner Besicherung verbunden werden, sind für den Gesellschafter mit Blick auf eine drohende Anfechtung brandgefährlich.

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d) Die Besicherung beim unechten Factoring Darüber hinaus ist im Schrifttum aufgrund des BGH-Urteils das Ende des 40 unechten Factorings durch eine Muttergesellschaft bzw. einen Gesellschafter angenommen worden.57 Das gilt, wenn der Gesellschafter sich für das unechte Factoring, das ein Kreditgeschäft ist, durch eine Sicherungsabtretung der einzuziehenden Forderungen der Tochter gegen die Kunden oder sonstige Dritte absichern lässt. In der Tat ist hier vor allem die anfechtungsrechtliche Wertersatzhaftung zu beachten. Ist die Sicherungsabtretung nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, wurde aber die abgetretene Forderung durch die Mutter eingezogen, führt dies nach den Grundsätzen des BGH-Urteils vom 18.7.2013, das ebenfalls eine Sicherungsabtretung betraf, zu der Sekundärhaftung wie bei einem bösgläubigen Bereicherungsschuldner gem. § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 818 Abs. 4, §§ 819, 292, 989 BGB; für diese Verwertung der Sicherheit ist Wertersatz (richtig: Schadensersatz58) zu leisten. Fraglich kann allein das notwendige Verschulden des Gesellschafters sein. Bereits in der Entscheidung vom 18.7.2013 fand sich zum Verschulden des Gesellschafters bezogen auf die Unmöglichkeit der Rückgewähr der Sicherheit kein Wort.59 Mit der späteren Anfechtung der Befriedigung oder Besicherung lässt sich dies ohne Zirkelschluss jedenfalls nicht begründen. Beim Verschulden scheint man gewöhnlich großzügig zu sein, wenn und weil es in der Annahme der anfechtbaren Leistung gesehen wird und weil der Anfechtungsgegner gerade als bösgläubig anzusehen ist (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO).60 Dies bedeutet, 57 Bitter, ZIP 2019, 737, 742. 58 Zur Genese der Vorschrift und zur Frage der Exklusivität des Schadensersatzanspruchs Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 532 ff. 59 Kritisch zu BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742, insoweit Thole, NZI 2013, 745, 746; vgl. auch Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 534. 60 Jacoby in Kübler/Prütting/Bork, 80. EL. 2019, § 143 InsO Rz. 60; Kirchhof/Piekenbrock in MünchKomm/InsO, § 143 InsO Rz. 106.

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dass der Gesellschafter für die damit bewirkte Deckung seines Darlehens von der Zehn-Jahres-Frist und nicht, wie man prima facie vermuten könnte, nur von der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgehen muss. 41 Überlegen ließe sich, ob dies gleichermaßen gilt, wenn die Tochter, d.h. die Sicherungsgeberin, die an die Mutter sicherungsabgetretenen Forderungen kraft der vertraglich gewährten Einziehungsbefugnis selbst einzieht. Gemeint ist damit insbesondere auch der Fall des verlängerten Eigentumsvorbehalts mit Einziehungsbefugnis für die Forderungen. Ist nun diese Sicherheit nicht nur in Form des vorbehaltenen Eigentums an der Sache, sondern auch die Sicherungsabtretung anfechtbar und sind die abgetretenen Forderungen bereits eingezogen worden, kann der Gesellschafter die abgetretenen Forderungen, d.h. die Sicherheit, nicht an die Masse zurückführen. Bei der Selbsteinziehung durch die Tochter ist allerdings der Verwertungserlös zunächst in das Schuldnervermögen geflossen, stand also dem Gläubigerzugriff offen. Erst durch die Tilgung der Kreditverbindlichkeiten, also echte „Befriedigung“ aus dem gesamten Schuldnervermögen und insoweit nicht unmittelbar aus der Sicherheit, sind die Verbindlichkeiten gegenüber der Mutter reduziert worden. Das dürfte nach dem Konzept des BGH, der sauber zwischen der Besicherung und der Darlehensverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter trennt, indessen die Sekundärhaftung für die Unmöglichkeit der Rückgewähr der Sicherheit nicht ausschließen. Lohnenswert erscheint insofern allenfalls ein Blick auf das Verschulden des § 989 BGB und die Kausalitätsfrage. Ist wirklich die Rückabtretung der sicherungszedierten Forderungen durch ein Verschulden der Mutter als Anfechtungsgegnerin unmöglich geworden bzw. liegt das Verschulden in der Gewährung der Einziehungsbefugnis, obwohl damit der Handlungsspielraum der Tochter/Insolvenzschuldnerin nur erweitert worden war? Anders gefragt: Kann die Insolvenzschuldnerin sub specie Insolvenzanfechtung Erfüllungsgehilfin der Mutter sein?61 Will man dem Verschulden als vom InsO-Gesetzgeber bewusst eingeführten Regulativ einen Anwendungsbereich erhalten, spricht manches dagegen.

61 Bei Einschaltung sonstiger Dritter für den Forderungseinzug wäre dies naturgemäß ohne weiteres der Mutter zuzurechnen.

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e) Gesetzliche Sicherheiten Auch gesetzliche Sicherheiten können anfechtbar sein;62 hier wäre die 42 Annahme eines Bargeschäfts ohnedies schwierig. Erbringt der Gesellschafter oder gesellschaftergleiche Dritte Werkleistungen und kreditiert den Werklohnanspruch, ist auch sein Werkunternehmerpfandrecht anfechtbar.63 Dabei kommt es nicht darauf an, dass und ob das Werkunternehmerpfandrecht bereits entstanden oder die Sache in den Besitz des Gesellschafters übergegangen war, als die Werklohnforderung noch nicht kreditiert war. Es entspricht gerade der Logik der Entscheidung vom 14.2.2019, dass es nicht auf die Reihenfolge von Besicherung und Forderungsentstehung ankommt. Dem steht nicht der Wortlaut des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen, nach dem für die darlehensgleiche Forderung Sicherung gewährt werden muss. Zum Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung war es zwar noch eine Werklohnforderung.64 Darauf kann es nicht ankommen, denn sonst könnte man sich für Austauschforderungen wie z.B. Kaufverträge problemlos Sicherheiten geben lassen und erst nachträglich stunden. Beim Vermieterpfandrecht stellt sich demgegenüber die Frage zum Ver- 43 hältnis zu § 135 Abs. 3 InsO. Die Nutzungsüberlassung als solche ist kein Darlehensgeschäft und deshalb nicht von § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO erfasst, wenn mithin die Mietforderung nicht gestundet wird. Der Mietgegenstand kann ausgesondert werden, wenn der Mietvertrag beendet ist. Wird nun Miete nicht rechtzeitig gezahlt und lässt der Gesellschafter den Anspruch stehen bzw. stundet tatsächlich oder rechtlich, verwandelt sich die Mietforderung in einen darlehensgleichen Anspruch, für den folglich auch das Vermieterpfandrecht anfechtbar sein kann. Die Frage ist nur, ob das Pfandrecht für im Zeitpunkt der Kreditierung bereits eingebrachte Sachen insolvenzfest, d.h. vor einer Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO geschützt ist – auch das muss man nach der Konzeption des BGH verneinen.

62 Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 574. 63 A.A. Mylich, ZHR 176 (2012), 547, 574, allerdings auf der Grundlage seines Konzepts, dass eine Besicherung in zeitlichem Zusammenhang mit der Kreditgewährung nicht anfechtbar sei. 64 Das klingt an bei Altmeppen, ZIP 2013, 1745, 1746.

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f) Darlehensgleiche Finanzierung durch Verzicht auf Sicherheiten? 44

Die Entscheidung des BGH wirft die spannende Frage auf, ob nicht auch der Verzicht auf eine Sicherheit durch den Gesellschafter eine darlehensähnliche Finanzierung i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sein kann. Angenommen, der Gesellschafter verzichtet bei der Nutzungsüberlassung auf eine Kaution, obwohl dies üblich ist, um der Gesellschaft den damit verbundenen Liquiditätsabfluss zu ersparen.65 Damit wird sicher der Abschluss des Mietvertrags gefördert – bedeutet dies, dass die Mietzahlungen in den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO fallen, also aus der Mietforderung eine darlehensgleiche Forderung wird? Das erscheint prima facie natürlich seltsam. Auch wenn die Insolvenzanfechtung eine Besicherung gerade nicht verbietet, würde damit ein zu § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO konträres Signal gesendet. Indes: die Mietforderung ist als solche noch nicht darlehensähnlich (kann es aber durch Stehenlassen rasch werden). Dennoch kann der Verzicht auf Sicherheiten trotz der unbestreitbaren Finanzierungswirkung nicht den „Umwandlungseffekt“ zu einer darlehensgleichen Forderung herbeiführen, denn es fehlt m.E. die rechtliche Verknüpfung zwischen der Mietforderung und dem Verzicht auf die Sicherheiten. Das Unterlassen der Besicherung ist ein Nullum, die Transaktion so zu würdigen, wie sie vorgenommen wurde.

4. Übertragung der Sicherheit 45

Nur versteckt wird im Urteil vom 14.2.2019 auf die naheliegende Frage eingegangen, ob der Gesellschafter die Anfechtbarkeit der Sicherheit umgehen kann, indem er entweder die Darlehensforderung oder die Sicherheit oder beides an einen Nichtgesellschafter überträgt. Der BGH hatte bereits in der sog. Karibik-Entscheidung von 2013 entschieden, dass das Nachrangrisiko gem. § 404 BGB auch dem Erwerber der Forderung entgegengehalten werden kann, sofern allerdings die Übertragung innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgte. Was bedeutet das für die Übertragung der Sicherheit? Der BGH äußert sich dazu nicht abschließend.66 Erfolgte etwa die Übertragung von Sicherheit und Darlehensforderung mehr als ein Jahr vor dem Insolvenzantrag, ist die Darlehensforde65 Für den Hinweis auf diese mögliche Konstellation danke ich dem Kollegen Bitter. 66 BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16, ZIP 2019, 666 Rz. 86 = GmbHR 2019, 460.

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rung vom Nachrangrisiko befreit. Gilt das dann auch für die Sicherheit, obwohl insoweit prima vista die Wertung des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO mit der Zehn-Jahres-Frist greifen müsste? Dagegen kann man einwenden, dass es dann eben keine Sicherheit mehr für eine nachrangige Forderung ist.67 Davon unberührt bleibt aber, dass der übertragene Gesellschafter eine anfechtungsrechtliche Sekundärhaftung zu gewärtigen hat, wenn er die Sicherheit nicht mehr zurückgeben kann. Aber auch insoweit kann natürlich nur eine Sekundärhaftung bestehen, wenn es den primären Anfechtungsanspruch noch gibt. Das ist die entscheidende Frage: Soll die Sicherheit auch über die Jah- 46 resfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO hinaus, also länger als die zugrunde liegende Forderung, mit dem Nachrangrisiko bzw. genauer: dem Anfechtungsrisiko (nachrangig ist nicht die Sicherheit, sondern nur die Forderung) belastet bleiben? Der BGH hat das ausdrücklich offengelassen. Überträgt also der Gesellschafter im Jahre 5 vor dem Insolvenzantrag Grundschuld und Darlehensrückzahlungsforderung an einen Nichtgesellschafter, wären dann die Grundschuld und das damit verbundene Absonderungsrecht weiter anfechtbar, nicht aber wäre die Darlehensforderung nachrangig. Kommt es ein halbes Jahr vor dem Antrag zur Rückzahlung des Darlehens, wäre § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht erfüllt. Kommt es zur Rückzahlung durch Verwertung der Grundschuld, wäre dagegen über § 135 Abs. 1 Nr. 1 die Sekundärhaftung ausgelöst, weil die Grundschuld noch in diesem Sinne „verstrickt“ war. Nun sind Sicherheit und Forderung zwei Paar Schuhe und sie werden 47 vom BGH mit Recht grundsätzlich getrennt. M.E. spricht gegen eine Anwendbarkeit der Zehn-Jahres-Frist, dass es eben keine echte Verstrickung mehr gibt. Bis zur Insolvenzbeantragung sind die Dinge veränderlich. Rechtfertigen ließe sich die Weitergeltung des Nachrangs bzw. der Anfechtung über die Jahresfrist hinaus nur mit Umgehungsgesichtspunkten, denn der Gesellschafter könnte veranlasst sein, das zu tun, was nach Auffassung des BGH gegen die ordnungsgemäße Unternehmensfinanzierung verstößt. Er lässt sich anfänglich besichern, zieht die Vermögensgegenstände aus dem Gesellschaftsvermögen ab und kann dann, wenn er einen

67 Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 85; Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, Anh. § 30 GmbHG Rz. 102. So jetzt auch Mylich, ZIP 2019, 2233, 2240.

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Erwerber68 findet, die Forderung und Sicherheit übertragen und sich ablösen lassen, ohne dass die Gesellschaft über die Sicherheit neu disponieren könnte. Der Übertragungsakt erfolgt (i.d.R.) ohne ihre Zustimmung. Folgt man dem, wäre es konsequent, die Zehn-Jahres-Frist auf die Sicherheit abzuwenden und damit auch der gesetzlichen Wertung des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO Rechnung zu tragen. Aber: Faktisch würde das bedeuten, dass jemand, der vom Gesellschafter eine Sicherheit im Wege des Zweiterwerbs erwirbt (und nicht unmittelbar von der Gesellschaft) bis zu zehn Jahre in der Schwebe hinge. Zudem ist die nur dienende Funktion der Sicherheit zu berücksichtigen, denn nunmehr wird eben eine nicht mehr nachrangige Forderung abgesichert.

5. Das Urteil des BGH vom 27.6.2019 48

Eine besondere Aufmerksamkeit verdient auch das Urteil des BGH vom 27.6.2019.69 Es hatte eine – in Konzernsituationen häufige – Konstellation einer Doppelinsolvenz von Gesellschafter und Gesellschaft zum Gegenstand. Der BGH entschied, in der Insolvenz des Gesellschafters könne die Ausreichung des Gesellschafterdarlehens nach § 133 Abs. 4 InsO (§ 133 Abs. 2 InsO a.F.) anfechtbar sein, wenn der Rückzahlungsanspruch bereits in diesem Zeitpunkt nicht voll werthaltig war. Das begründe über § 146 Abs. 2 InsO auch eine Einrede gegen die vom Verwalter der Gesellschaft ausgebrachte Anfechtung der Rückzahlung des Darlehens über § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Insofern „sticht“ die Anfechtung des Gesellschafter-Verwalters die Anfechtung durch den Gesellschaftsverwalter. Das Urteil ist auch auf Besicherungen übertragbar, die ein Gesellschafter seiner Gesellschaft zur Absicherung von Drittdarlehen zur Verfügung stellt. Ist die Rückzahlung des Drittdarlehens gefährdet, besteht also die Gefahr einer Inanspruchnahme der Sicherheit, kann dessen Gewährung in der Insolvenz des Gesellschafters nach § 133 Abs. 4 InsO anfechtbar sein, wenn und weil damit eine unmittelbare Benachteiligung verbunden ist.

68 Dies könnte auch eine ihm nahestehende Person sein, solange sie nicht ihrerseits als der Gesellschaft nahestehende Person gesellschaftergleicher Dritter wäre. 69 BGH v. 27.6.2019 – IX ZR 167/18 Rz. 68 ff., GmbHR 2019, 1058, mit Anm. Klinck, DB 2019, 2729.

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6. Die zunehmende Bedeutung des § 135 Abs. 2 InsO Der Blick auf die Folgen der BGH-Entscheidung vom 14.2.2019 zum Bargeschäftsprivileg wäre nicht vollständig ohne die Einbeziehung des § 135 Abs. 2 InsO, der m.E. eine besonders große Bedeutung im Bereich von Konzernstrukturen hat und zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.70

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Nach § 135 Abs. 2 InsO ist es auch, und zwar gegenüber dem Gesellschafter, anfechtbar, wenn ein außenstehender Darlehensgläubiger innerhalb der Jahresfrist befriedigt wird, wenn der Gesellschafter für dieses Darlehen bzw. die wirtschaftlich entsprechende Forderung eine Sicherheit gestellt hatte.

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a) Maßgeblichkeit der Beziehung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft Für das Verständnis dieses Tatbestands ist es wichtig, dass damit im 51 Grunde der Tatbestand des § 135 Abs. 1 InsO nur deklaratorisch wiederholt wird. Es wird nicht die Sicherheit als solche angefochten, sondern die Befreiung von der Sicherheit. Denn in der Sache geht es hier um die Deckung des Freistellungsanspruchs, den der Gesellschafter kraft der Sicherheitenübernahme gegen die Gesellschaft hat; mit der Besicherung erbringt der Gesellschafter eine Finanzierungsleistung.71 Dieser Anspruch wird gedeckt, indem die Gesellschaft das Drittdarlehen 52 zurückführt. Deshalb ist aus Gesellschaftersicht stets darauf zu achten, das Risiko zu begrenzen. Selbst wenn die Bank nur standard- und formularmäßig auf der Mithaftung des Gesellschafters besteht, sollte beispielsweise eine Höchstbetragshaftung oder eine Begrenzung des Sicherheitenumfangs festgelegt werden, um zu vermeiden, dass der Gesellschafter in vollem Umfang mit seinem privaten Vermögen haftet, wenn es zur Rückzahlung des Darlehens aus Gesellschaftsmitteln kommt. Gerade für diese Fälle des § 135 Abs. 2 InsO wäre ein Bargeschäft im Ver- 53 hältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft nicht ausgeschlossen gewesen, wenn der Gesellschafter die Sicherheit gewährt und dafür im Gegenzug etwas von der Gesellschaft bekommt. Wenn man aber von dem Grundsatz ausgeht, dass in der Besicherung die Finanzierungsleistung des Gesellschafters liegt, wird man aus dem Urteil vom 14.2.2019 ableiten 70 Zur Entwicklung Thole, ZIP 2015, 1609. 71 Thole, ZIP 2015, 1609, 1611.

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müssen, dass auch im Bereich des § 135 Abs. 2 InsO eine Anwendung des § 142 InsO nicht in Betracht kommt. 54 Erst recht kommt es deshalb, wie der BGH bereits mit Recht entschieden hat,72 bei § 135 Abs. 2 InsO nicht darauf an, ob die Darlehensrückzahlung gegenüber dem externen Gläubiger anfechtbar ist. Folgerichtig ist es auch unerheblich, ob diese Rückzahlung ggf. ein Bargeschäft sein kann. Allerdings zeigt sich erneut, dass das Gesellschafterdarlehensrecht leider nicht der damals vorgeschlagenen Konzeption gefolgt ist, alle Gesellschafterforderungen einzubeziehen.73 Stellt ein Gesellschafter eine Sicherheit für eine „normale“ Forderung, ist dies kein Fall des § 135 Abs. 2 InsO, weil dieser Tatbestand nach seinem Wortlaut verlangt, dass die abgesicherte Forderung eine Darlehensforderung bzw. eine darlehensgleiche Forderung ist. Wenn aber der externe Gläubiger die „normale“ Forderung aus dem Austauschvertrag stehen lässt, wird z.B. aus der Kaufpreisforderung eine Kreditforderung. Ohne sein Zutun gerät der Gesellschafter in den Anwendungsbereich von § 135 Abs. 2 InsO, obwohl er auf dieses Stehenlassen keinen Einfluss hatte. Das kann man rechtfertigen, weil er bereits mit der Besicherung finanziert hat, erscheint aber gleichwohl als seltsame Inkonsequenz. Festzuhalten ist, dass die Praxis, bei externen Finanzierungen alle möglichen Gesellschafter oder mittelbaren Gesellschafter in eine Mithaftung zu bringen, die Anfechtungsgefahren erheblich ausdehnt, auch wenn § 135 Abs. 2 InsO nur auf die Jahresfrist begrenzt ist. Jede Besicherung auch von gewöhnlichen Austauschverträgen durch einen Gesellschafter oder mittelbaren Gesellschafter genügt, um in den Dunstkreis des § 135 Abs. 2 InsO zu gelangen.

b) Doppelsicherung 55

Unerheblich ist bei § 135 Abs. 2 InsO anerkanntermaßen auch, dass die Gesellschaft ggf. dem Gläubiger selbst eine Sicherheit gewährt hat.74 Das Gesellschafterdarlehensrecht beruht insoweit auf der Prämisse, dass im Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter die Gesellschaftersicherheit vorrangig heranzuziehen ist. Daraus folgt, dass der 72 BGH v. 13.7.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632 = GmbHR 2017, 1028 m. Anm. Blöse; dazu Thole ZIP 2017, 1742. 73 Huber/Habersack, BB 2006, 1, 2. 74 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, ZIP 2011, 2417 = GmbHR 2012, 86 m. Anm. Blöse; BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 229/12, ZIP 2013, 1629 = GmbHR 2013, 1034 m. Anm. Farian und BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584 = GmbHR 2014, 417.

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Gesellschafter erst recht auch dann nicht auf Besicherung seines Regressanspruchs bestehen darf, wenn er selbst in Anspruch genommen wird. War etwa eine Bank mit einer Grundschuld an einem der Gesellschaft gehörenden Grundstück besichert und hat sich der Gesellschafter zusätzlich für den Kredit verbürgt und zahlt freiwillig an die Bank aufgrund seiner Bürgschaft, um sich im Gegenzug die Darlehensforderung der Bank mitsamt der Grundschuld abtreten zu lassen, ist diese Besicherung seines Regressanspruchs nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar.

7. Besicherung durch mittelbare Gesellschafter und Dritte Bei allen hier vorgestellten Konstellationen ist zu berücksichtigen, dass sowohl im Anwendungsbereich des § 135 Abs. 1 InsO als auch des § 135 Abs. 2 InsO die allgemeinen Regeln für die Einbeziehung Dritter gelten. Erfasst sind nach den bisher bekannten Maßstäben daher auch Sicherheiten durch mittelbare Gesellschafter, Sicherheiten, die über Strohmänner und auf Veranlassung des Gesellschafters gewährt werden sowie bekanntlich auch solche Sicherheiten, die von vertikal oder horizontal mit der Schuldnerin verbundenen Gesellschaften ausgereicht werden.75 Auf die einschlägigen Judikate des BGH sei verwiesen, und zwar auch auf das Urteil vom 5.5.2008, das bekanntlich die Ausreichung durch eine Schwestergesellschaft dann nicht einbeziehen will, wenn es sich um eine AG handelt, deren Vorstand folglich in eigener Verantwortung über die Finanzierung oder Besicherung entscheidet.76

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Auf ein Problem auf Rechtsfolgenseite ist noch einzugehen. Neuerdings wird im Schrifttum vereinzelt vertreten, wenn ein Fall des § 135 InsO vorliege, also die Besicherung oder bei § 135 Abs. 2 InsO das Freiwerden

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75 Für Strohmannfälle und Veranlassungsfälle exemplarisch BGH v. 26.11.1979 – II ZR 104/77, GmbHR 1980, 28 = NJW 1980, 592; vgl. auch BGH v. 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168 = NJW 1988, 3143, 3145 = AG 1989, 27; ferner Lüdtke in HambKomm/InsO, 6. Aufl. 2016, § 39 InsO Rz. 34; Kleindiek in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 39 InsO Rz. 49; vgl. ferner BGH v. 14.2.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 263; BGH v. 26.11.1979 – II ZR 104/77, GmbHR 1980, 28 = NJW 1980, 592 f.; BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, NJW 1982, 383, 384 = AG 1982, 72; BGH v. 6.4.2009 – II ZR 277/07, NZG 2009, 782 Rz. 9 = GmbHR 2009, 876 m. Anm. Bormann/Hösler; für Übernahme ins neue Recht Lüdtke in HambKomm/InsO, 6. Aufl. 2016, § 39 InsO Rz. 39; U. Huber in FS Priester, 2007, S. 259, 279 f. 76 BGH v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, NZI 2008, 767 Rz. 9 = AG 2008, 541 = GmbHR 2008, 758 m. Anm. Blöse; vgl. BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220, 225 ff. = ZIP 2013, 582 Rz. 20 f. = GmbHR 2013, 410.

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von der Sicherheit anfechtbar sei, würden, und zwar ganz unabhängig von festgestellten Strohmann- oder Treuhandgeschäften oder einer Veranlassung, auch Konzerngesellschaften haften können, die mittelbar Gesellschafter des besichernden Gesellschafters bzw. gleichgestellten Dritten sind.77 58

Hierzu ist Folgendes zu sagen: Richtig erscheint es nach den bisher geltenden Maßstäben der Rechtsprechung, die sich am früheren Eigenkapitalersatzrecht orientieren, dass auch eine Besicherung durch eine horizontal oder vertikal mit der Schuldnerin verbundene Gesellschaft eine Besicherung i.S.d. § 135 Abs. 2 InsO sein kann. Die Frage ist aber, ob das bedeutet, dass ggf. neben der besichernden Gesellschaft auch alle übergeordneten Gesellschafter dieser sicherungsgebenden Gesellschaft bis hin zur Konzernspitze Anfechtungsgegner sind, weil sie mittelbar durch das Freiwerden der besichernden Gesellschaft von der Einstandspflicht über den Beteiligungswert profitieren. Die Frage ist eindeutig zu verneinen. Anfechtungsgegner kann nur sein, aus wessen Vermögen die Sicherheit gewährt wurde, wer also tatsächlich finanziert hat. Eine Konsolidierung der Vermögensmassen findet nicht statt. Eine Sippenhaft gibt es im Anfechtungsrecht grundsätzlich nicht, und auch der Begriff des einem Gesellschafter gleichgestellten Dritten rechtfertigt es nicht, allein aufgrund der Konzernverbindung eine solche zu begründen.

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Für die Sicherheitengabe muss man daher unterscheiden. Hat z.B. die Muttergesellschaft ebenfalls eine Sicherheit gestellt, haftet sie deshalb nach § 135 Abs. 2 InsO, und zwar ggf. gesamtschuldnerisch neben anderen Sicherungsgebern. Der Umstand allein, dass sie verbundenes Unternehmen ist, reicht aber für sich genommen nicht aus, um diese Gesellschaft oder die Mutter oder sonstige Zwischengesellschaften in die Anfechtungshaftung zu bringen. Anders wäre das, wenn die Besicherung durch eine andere Gesellschaft, z.B. die Schwestergesellschaft der Insolvenzschuldnerin und Darlehensnehmerin durch die Mutter veranlasst oder auf ihre Rechnung erfolgte.

77 Zur Besicherung durch die Schwestergesellschaft Bitter in Scholz, 12. Aufl. 2020, Anh. § 64 GmbHG Rz. 357 mit Fn. 1231, Rz. 332 ff.; Skauradszun, KTS (im Erscheinen); wohl auch (aber ohne Hinweis auf § 135 Abs. 2 InsO) Herwig, Das Gesellschafterdarlehensrecht im Unternehmensverbund, 2015, S. 241 ff., 280 ff., 355.

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8. Cash-Pool Nur beiläufig angesprochen worden sind bisher die allgemeinen Fragen 60 des Cash-Poolings, weil sie mit der Besicherung nicht im unmittelbaren Zusammenhang stehen. Die früher vereinzelt vertretene Auffassung, beim Cash-Pool handele es sich um eine Sicherheit, weil durch die Gutschrift in das Kontokorrent nur eine Aufrechnungslage entstehe,78 hat sich nicht durchsetzen können.79 Stattdessen ist bei einer Rückzahlung stets § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO einschlägig mit der Jahresfrist. Dennoch lässt sich aus der BGH-Entscheidung vom 14.2.2019 doch recht eindeutig ableiten, dass die in der Saldenrückführung auf dem Masteraccount liegende Rückführung des Darlehens nicht über § 142 InsO mit der folgenden Neuausreichung eines erneuten Darlehens gerettet werden kann. Das ändert jedoch nichts daran, dass auch der BGH eine Aufsummerierung aller Zahlungsvorgänge zu vermeiden sucht, wie er dies bekanntlich in der Staffelkreditentscheidung vom 7.3.201380 in Anlehnung an die Kontokorrentmaßstäbe demonstriert hat. Die Anfechtung sei der Höhe nach auf die Verringerung des Schuldsaldos im Anfechtungszeitraum begrenzt, also den höchsten zurückgeführten Darlehensbetrag.81 Das hat der BGH mit der fehlenden Gläubigerbenachteiligung durch einzelne Kreditrückführungen begründet, weil mehr als die ausgeschöpften Kreditmittel nie im Schuldnervermögen vorhanden gewesen seien. Das findet jetzt in der Entscheidung vom 11.7.2019 eine Bestätigung.82 Weniger bekannt ist, dass die Darlehensausreichung vom Masteraccount 61 des Gesellschafters an die Gesellschaft auch aus einem anderen Grund zu einer Anfechtung gegenüber dem Gesellschafter führen kann, wenn dieser Gesellschafter das Masteraccount gegenüber der kontoführenden Bank besichert hatte. Denn dann wird er bei der späteren Rückführung des Darlehens auf das Masteraccount von seiner Sicherheit befreit, so dass § 135 Abs. 2 InsO greift. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Konto im Zeitpunkt der Rückführung debitorisch war, also der Darlehensrückzahlungs-

78 Klinck/Gärtner, NZI 2008, 457. 79 Brinkmann, ZGR 2017, 708, 713; Thole, ZInsO 2011, 1425, 1340; Hamann, NZI 2008, 667 ff.; Reuter, NZI 2011, 921, 924; Kleindiek in HK/InsO, 9. Aufl. 2018, § 135 InsO Rz. 36. 80 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 = GmbHR 2013, 464. 81 Im Einzelnen Brinkmann, ZGR 2017, 708, 713 ff., auch zur Frage, ob der Saldo bei Antragstellung abzuziehen ist. 82 Dazu oben V. 2. Rz. 24.

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anspruch der kontoführenden Bank entstanden war.83 Auch hierfür müsste der BGH aber wohl die Grundsätze der Staffelkredit-Entscheidung heranziehen.

9. Der Restrukturierungsrahmen als Ausweg aus der Anfechtung? 62

Alles in allem erscheint das Anfechtungsrisiko für Gesellschafter daher nach dem bisherigen Stand der Dinge recht hoch. Auf der sicheren Seite ist der Gesellschafter nur, wenn seit der Besicherung als der maßgeblichen Rechtshandlung zehn Jahre vergangen sind, bevor der Insolvenzantrag erfolgt. Noch besser ist es naturgemäß, die Insolvenz zu vermeiden. Das wirft die Frage auf, ob sich zukünftig ein weiterer Ausweg ergeben könnte, wenn aufgrund der Richtlinie über den präventiven Restrukturierungsrahmen vom 20.6.201984 ein insolvenzvermeidendes vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren eingeführt wird. Die Details der Umsetzung dieser Richtlinie sind allerdings bekanntlich noch unklar.

63 Hier stellen sich weitere Probleme, die bisher, soweit ersichtlich, noch gar nicht gesehen wurden. Denn für den präventiven Restrukturierungsrahmen ist eine Anfechtung von Sicherheiten nicht vorgesehen, es gibt keine Anwendung der §§ 129 ff. InsO. Das aber muss bedeuten, dass nach dem insolvenzrechtlichen Regelungskonzept die Besicherung des Gesellschafterdarlehens weiterhin anzuerkennen ist, denn die Anfechtung wirkt gerade anders als das frühere Eigenkapitalersatzrecht reaktiv und vernichtet die Sicherheit nur nachträglich, wenn und nur wenn es zur Eröffnung kommt. Der Gesellschafter wird dann wohl, soweit es seine Sicherheit für das Gesellschafterdarlehen betrifft, als gesicherter Gläubiger (als – prospektiver – Absonderungsberechtigter) einzugruppieren sein. Anders ist dies nur, wenn man mit der vom BGH angedeuteten Wertung ernst macht, es handele sich um Quasi-Eigenkapital. Dann müsste er eher als Anteilseigner zu behandeln sein. Auf den künftigen Nachrang der Darlehensforderung kann man dagegen nicht abstellen, da die Sicherheit eben auch für nachrangige Forderung möglich ist und es zudem für

83 Thole, ZIP 2015, 1609, 1614. 84 Richtlinie 2019/1023/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie, ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019, S. 18.

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die Sicherheitenstellung gar nicht auf die persönliche Forderung ankommt (bzw. es auch Absonderungsrechte am Schuldnervermögen ohne persönliche Forderung gegen den Schuldner geben kann). Der Gesellschafter hat also, im Ausgangspunkt, für Zwecke der präventiven Restrukturierung eine valide Sicherheit, für Zwecke des Insolvenzverfahrens aber nicht. Im Rahmen des Obstruktionsverbots, also beim sog. cross-class cram down, und bei der Vergleichsrechnung wird man allerdings wieder die hypothetische Anfechtung berücksichtigen müssen, jedenfalls wenn die zu ermittelnde Situation ohne den vorgesehenen Restrukturierungsplan der Eintritt in das Insolvenzverfahren wäre, denn dort wäre – hypothetisch – die Sicherheit anfechtbar. Das aber bedeutet, dass man doch in die Rechte des Gesellschafters in seiner Stellung als Sicherungsnehmer eingreifen und ihm die Sicherheit mehr oder weniger entreißen könnte, wenn und weil bei seiner fehlenden Zustimmung die Sicherheit im Insolvenzverfahren wertlos würde.

VI. Fazit Insgesamt ist die Entscheidung des IX. Senats vom 14.2.2019 zwar im 64 Ergebnis und vor allem mit einem pragmatischen Blickwinkel nachvollziehbar. Rechtsdogmatisch und rechtssystematisch überzeugt sie nicht, wenn und weil § 142 InsO damit gänzlich und a priori ausgeschlossen wird. Auch der zunehmend bemühte Topos von der ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung bedürfte noch der Konkretisierung und Absicherung, aber das gilt natürlich für die gesamte Normzweckdebatte. Zugleich ergeben sich viele Anwendungsprobleme, die nicht zuletzt auch mit der bemerkenswerten Inkonsequenz des MoMiG-Gesetzgebers zu tun haben, nicht sämtliche Gesellschafterforderungen dem Nachrang und der besonderen Anfechtungsregel zu unterstellen. Im Grunde zeigt sich eine interessante Entwicklung. Gegenüber dem Gesellschafter bleibt die Anfechtung scharf, nicht zuletzt durch den zunehmend erkannten § 135 Abs. 2 InsO, aber auch die Sekundärhaftung bei bereits erfolgter Verwertung der Sicherheit. Demgegenüber haben der BGH und der Gesetzgeber die übrigen Anfechtungstatbestände, insbesondere §§ 133, 134 InsO, in jüngerer Zeit zurechtgestutzt. Die vom BGH beschriebene insolvenzrechtliche Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen wird damit umso augenfälliger.

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Bericht über die Diskussion des Referats Thole Ass. iur. Wilhelm Wucherer, B.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ludwig-MaximiliansUniversität München

I. 1 Die Leitung der Diskussion übernahm Holger Altmeppen (Universität Passau), der einleitend unter Bezugnahme auf die von Christoph Thole (Universität zu Köln) in seinem Referat gemachten Ausführungen konstatierte, dass nach dessen Einschätzung die Frage, ob auch das von Anfang an besicherte Gesellschafterdarlehen nicht nach § 142 InsO privilegiert sei, angesichts der jüngsten Entscheidung des BGH, der zufolge eine entsprechende Privilegierung ausscheide,1 jedenfalls mit Blick auf die Rechtspraxis als geklärt angesehen werden müsse. Dabei verlieh Altmeppen seiner Vermutung Ausdruck, dass die Entscheidung des BGH insbesondere Georg Bitter (Universität Mannheim) nicht erfreuen dürfte, habe dieser doch insoweit eine dezidiert andere Auffassung kundgetan, wobei er an sich eine sehr interessante These entworfen und konsequent durchgehalten habe. Nach dieser Einleitung eröffnete Altmeppen die allgemeine Diskussion.

II. 2 Zunächst meldete sich Jochen Vetter (Rechtsanwalt, München) mit einer Frage zur Reichweite der Finanzierungsfolgenverantwortung zu Wort. Die Finanzierungsfolgenverantwortung sei, so J. Vetter, im Hinblick auf die Anfechtung von Rechtshandlungen, welche mit Gesellschafterdarlehen im Zusammenhang stehen, stets das maßgebliche Argument. Vor diesem Hintergrund ergebe sich aus seiner Sicht die Frage, ob nicht unter dem Gesichtspunkt der Finanzierungsfolgenverantwortung auch die Entnahme thesaurierter Beträge aus den Rücklagen der Gesellschaft durch einen Gesellschafter innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar sei. Diese Frage werde seines Wissens selten diskutiert. Zwar stelle es sicher kein Darlehen dar, wenn ein Gesellschafter Eigenkapital1 BGH, Urt. v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16, GmbHR 2019, 460 = ZIP 2019, 666 m. Bespr. Bitter, ZIP 2019, 737.

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beträge in der Gesellschaft stehen lasse. Unter dem Gesichtspunkt der Finanzierungsfolgenverantwortung erscheine es seines Erachtens indes als denkbar, das Stehenlassen von Eigenkapital wie eine Darlehensgewährung zu behandeln: Übernehme derjenige eine Finanzierungsfolgenverantwortung, der der Gesellschaft Fremdkapital zur Verfügung stelle, so ließe sich im Sinne eines Erst-recht-Schlusses argumentieren, dass derjenige, der der Gesellschaft sogar Eigenkapital überlasse, erst recht eine Finanzierungsfolgenverantwortung übernehme. Folglich sei zu überlegen, ob auch Entnahmen aus dem Eigenkapital innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterlägen. Thole erklärte hierzu, dass die Anwendung des § 135 InsO im Hinblick 3 auf derartige Thesaurierungsfälle in der Tat diskutiert werde. So existierten nach seiner Kenntnis zwei obergerichtliche Entscheidungen, welche sich – bei leicht unterschiedlichen Sachverhalten – mit dieser Frage beschäftigt hätten. Gegen eine Anwendung des § 135 InsO spreche jedoch – und in diesem Sinne habe zumindest ein OLG seines Wissens auch entschieden –, dass es sich bei diesen Konstellationen denn letztlich doch um Eigenkapital und nicht um Fremdkapital handle, was freilich ein sehr formales Argument sei. Ferner werde diskutiert, ob in diesen Fällen eine sog. Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO in Betracht komme; auch dies dürfte indes im Ergebnis nicht der Fall sein, so Thole, zumal der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des BGH die Insolvenzanfechtung nach § 134 InsO in letzter Zeit generell ein wenig eingeschränkt habe. Festzuhalten sei damit, dass die von J. Vetter angesprochene Thematik zwar diskutiert werde, diese den BGH aber – jedenfalls nach seiner Kenntnis – bislang noch nicht erreicht habe.

III. Der nächste Wortbeitrag stammte von André Görner (Notar, Hamburg), 4 der sich zu zwei Aspekten äußerte, die Thole in seinem Referat thematisiert hatte. Zunächst nahm Görner auf die von Thole geschilderte Konstellation Bezug, in welcher der Gesellschafter seinen gegen die Gesellschaft gerichteten Darlehensrückzahlungsanspruch an einen Nichtgesellschafter abtritt und auf diesen zudem die von der Gesellschaft hierfür bestellte Sicherheit überträgt. Im Rahmen seines Referats habe Thole diesbezüglich erläutert,

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Wucherer – Bericht über die Diskussion des Referats Thole

dass Zedent und Zessionar nach Auffassung des BGH2 innerhalb der Jahresfrist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 143 InsO gesamtschuldnerisch auf Rückgewähr einer gegenüber dem Zessionar erfolgten Darlehenstilgung durch die Gesellschaft hafteten, die Frage, ob in Bezug auf die Anfechtung der Sicherheit möglicherweise die Zehnjahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Anwendung komme, jedoch bislang höchstrichterlich nicht entschieden sei. Mit Blick auf letztere, noch ungeklärte Frage gab Görner zu bedenken, dass Ausgangspunkt für das gesamte Regelungsregime des § 135 InsO doch stets der Charakter des jeweiligen Darlehens als Gesellschafterdarlehen sei. Dieser Charakter gehe indes ein Jahr nach der Abtretung des Darlehensrückzahlungsanspruchs vom Zedenten an den Zessionar verloren. Liege dann aber der Sache nach kein Gesellschafterdarlehen mehr vor, müsse dies seines Erachtens auch auf die übertragene Sicherheit durchschlagen, so dass sich der Zessionar im Ergebnis auch der Gefahr der Anfechtung der Sicherheit nur für die Dauer eines Jahres (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ausgesetzt sehen dürfe. 6 Thole äußerte sich hierzu im Grundsatz zustimmend. So gehe es in der Tat um die Frage, wie lange man einen Nichtgesellschafter, an den ein Darlehensrückzahlungsanspruch nebst Sicherheit abgetreten wurde, an das Gesellschafterdarlehensrecht binden könne, obwohl dieser gerade nicht die Einflussmöglichkeiten eines Gesellschafters besitze. Der Sache nach habe es im Hinblick auf Abtretungskonstellationen letztlich um die Verhinderung einer Umgehung des Anfechtungsrechts und des Nachrangs zu gehen; zu diesem Zweck reiche – auch bezogen auf die Sicherheit – die Heranziehung der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO vermutlich aus. Dabei gab Thole gleichwohl zu bedenken, dass diese Lösung keineswegs zwingend sei: So schließe es die nach Auffassung des BGH mit Ablauf der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO in Bezug auf den Darlehensrückzahlungsanspruch eintretende Befreiung des Zessionars nicht von vornherein aus, die übertragene Sicherheit als für den längeren Zeitraum von zehn Jahren gem. § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO verhaftet anzusehen, zumal die ungleiche Behandlung von Sicherung und Befriedigung in der Trennung zwischen § 135 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO und den dort vorzufindenden unterschiedlichen Fristen wertungsmäßig gerade angelegt sei. Auch ließ Thole nicht unerwähnt, dass mit der Anwendung der kurzen Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf die Anfechtung der an den Zessionar abgetretenen Sicherheit eine gewisse Missbrauchsgefahr einher2 BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, GmbHR 2013, 410 = NZI 2013, 308.

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zugehen droht: So könne sich ein Gesellschafter von der Gesellschaft eine Sicherung für seine Forderung gewähren lassen und sodann die Forderung und die Sicherheit auf einen Zessionar übertragen mit der Folge, dass sich auf diese Weise die Zehnjahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO bezogen auf die Sicherheit relativ leicht aushebeln ließe. Abschließend gab Thole zu bedenken, dass sich bei Anwendung der kurzen Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf die an den Zessionar abgetretene Sicherheit des Weiteren die Frage stelle, ob dann nicht vielleicht der Gesellschafter als Zedent insolvenzanfechtungsrechtlich noch weiter in der Haftung bleibe. Die zweite Anmerkung Görners bezog sich auf die von Thole im Rahmen 7 seines Referats thematisierte Konzernsituation, in welcher einem Nichtgesellschafter, der der Insolvenzschuldnerin ein Darlehen gewährte, von Seiten der Schwestergesellschaft der Insolvenzschuldnerin – nicht jedoch von deren Muttergesellschaft – eine Sicherheit für dessen Forderung auf Darlehensrückzahlung bestellt wurde. Görner stimmte Thole diesbezüglich zu, dass – anders als in der Literatur teilweise vertreten – in einer solchen Konstellation die Muttergesellschaft, die selbst keine Sicherheit bestellt habe, nicht in die insolvenzanfechtungsrechtliche Haftung nach § 135 Abs. 2, § 143 Abs. 3 InsO genommen werden dürfe. Es sei, so Görner, schließlich nicht Sinn und Zweck der § 135 Abs. 2, § 143 Abs. 3 InsO, das konzernrechtliche Trennungsprinzip zu durchbrechen und weitere Anfechtungsgegner zu schaffen. Thole pflichtete ihm bei und bekräftigte insoweit nochmals seine bereits 8 im Rahmen des Referats dargelegte Auffassung, indem er betonte, dass in Deutschland kein echtes Konzerninsolvenzrecht existiere und dementsprechend keine Konsolidierung der Massen stattfinde, weshalb es in der genannten Konstellation nach seinem Dafürhalten nicht möglich sei, über die verschiedenen Rechtsträger hinweg zu einer Haftung der Muttergesellschaft nach § 135 Abs. 2, § 143 Abs. 3 InsO zu kommen. Ergänzend wies er darauf hin, dass – entgegen manchen Stimmen im Schrifttum – eine insolvenzanfechtungsrechtliche Alleinhaftung der Muttergesellschaft seiner Ansicht nach auch dann ausscheide, wenn diese selbst ebenfalls eine Sicherheit bestellt habe; in diesem Fall sähen sich vielmehr grundsätzlich beide, d.h. sowohl die Mutter- als auch die Schwestergesellschaft der Insolvenzschuldnerin, gesamtschuldnerisch der Gefahr einer insolvenzrechtlichen Anfechtung ausgesetzt, da beide als Sicherungsgeber fungierten.

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IV. 9 Sodann meldete sich H.F. Müller (Universität Trier) mit zwei Fragen zu dem in der neuen Restrukturierungsrichtlinie3 vorgesehenen präventiven Restrukturierungsrahmen zu Wort. Dabei wies Müller zunächst darauf hin, dass die Richtlinie Zwischenfinanzierungen schützen wolle, indem sie diese auch dann für anfechtungsfrei erkläre, wenn eine Sanierung letztlich scheitere. Da die Richtlinie in diesem Zusammenhang indes keinen Unterschied zwischen der Finanzierung durch gesellschaftsfremde Dritte einerseits und der Finanzierung durch die Gesellschafter andererseits mache, sei die Frage aufgeworfen, ob hieraus tatsächlich die Schlussfolgerung gezogen werden könne, dass Gesellschafterdarlehen in Bezug auf Zwischenfinanzierungen nicht diskriminiert werden dürften. Und falls dem so sei, so Müller hierauf aufbauend weiter, stelle sich aus seiner Sicht die weitere Frage, ob dies dann nicht auch Konsequenzen für das Recht der Gesellschafterdarlehen insgesamt haben müsse, existiere doch, wenn sich das präventive Verfahren nach Umsetzung der Richtlinie in der Praxis durchsetze, ein weiter Bereich, in welchem Gesellschafterdarlehen wie Drittdarlehen behandelt würden, so dass zu überlegen sei, ob die beiden Bereiche überhaupt wirklich völlig getrennt voneinander betrachtet werden könnten. 10 Thole bestätigte zunächst, dass der in der Richtlinie vorgesehene Anfechtungsschutz für Zwischen- und Neufinanzierungen – jedenfalls nach dem Text der Richtlinie – in der Tat nicht zwischen Finanzierungsleistungen von Gesellschaftern und solchen von Drittgläubigern differenziere. Dabei gab Thole jedoch zu bedenken, dass dieser Aspekt erst in einer etwaigen Insolvenz, die sich im Falle des Scheiterns von Sanierungsmaßnahmen an die präventive Restrukturierung anschließe, zum Tragen komme: Scheitere eine Sanierung, so stelle sich erst in einem dann eröffneten Insolvenzverfahren die Frage, ob die Anfechtung ausgeschlossen sei, wie weit also der in der Richtlinie enthaltene Anfechtungsschutz reiche. Ob und gegebenenfalls inwieweit diesbezüglich im deutschen Insolvenzrecht Umsetzungsbedarf aufgrund der Richtlinie bestehe, werde man noch sehen müssen, so Thole. Die Richtlinie mache insoweit lediglich 3 Richtlinie 2019/1023/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2017/1132/EU, ABl. EU Nr. L 172 v. 26.6.2019, S. 18 ff.

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die Vorgabe, dass nicht allein deswegen angefochten werden dürfe, weil die Gläubigergesamtheit benachteiligt werde. Angefochten werden dürfe jedoch, wenn zusätzliche Voraussetzungen vorlägen; als solche kämen etwa die Gesellschafterstellung des Darlehensgebers im Falle des § 135 InsO oder Vorsatz im Falle des § 133 InsO in Betracht. Er äußerte daher die Vermutung, dass diesbezüglich im deutschen Insolvenzrecht kein wesentlicher Umsetzungsbedarf generiert werde, da die Richtlinie insoweit bewusst flexibel gehalten sei. Thole wies zudem darauf hin, dass keine Anfechtungsregelungen innerhalb des präventiven Restrukturierungsrahmens als solchem durch die Richtlinie geschaffen würden, etwaige vor dem präventiven Rahmen erfolgte Rechtshandlungen mithin nicht innerhalb desselben der Anfechtung unterlägen; eine anfechtbare Rechtshandlung könne es daher auch nach der Restrukturierungsrichtlinie erst im Falle eines eröffneten Insolvenzverfahrens geben, ein eröffnetes präventives Verfahren sei hingegen nicht geeignet, eine Anfechtbarkeit zu begründen. Zusammenfassend konstatierte Thole, dass die Richtlinie möglicherweise Rückwirkungen auf § 135 InsO entfalten könne, jedoch zunächst deren konkrete Umsetzung durch den Gesetzgeber abzuwarten bleibe, um die weiteren Folgen für das Gesellschafterdarlehensrecht einschätzen zu können.

V. Abschließend meldete sich Altmeppen mit einer Anmerkung zur Gel- 11 tung bzw. Sinnhaftigkeit der Zehnjahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu Wort. Nach seinem Verständnis habe die Zehnjahresfrist, anders als von Thole im Rahmen seines Referats vertreten, mit Inkrafttreten des MoMiG4 ihren Sinn verloren, da der Tatbestand des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO das Vorliegen eines subordinierten Gesellschafterdarlehens voraussetze, eine solche Subordination aber überhaupt nur innerhalb der kürzeren Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliege. Die Besicherung eines Gesellschafterdarlehens könne daher nach seiner Auffassung jenseits der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO keinen Anfechtungstatbestand begründen, sei ein solches Darlehen doch außerhalb der Jahresfrist noch gar nicht subordiniert. Die aus dem alten Eigenkapitalersatzrecht übernommene Zehnjahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei aus diesem Grund, so Altmeppen weiter, im heutigen Recht der Gesellschafterdarlehen sinn4 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, S. 2026.

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los; es handle sich bei der Zehnjahresfrist mithin um einen Fehler des Gesetzgebers, der die Sinnlosigkeit seiner eigenen Regelung schlicht übersehen habe. Die an Thole gerichtete Frage Altmeppens, ob er gleichwohl an der Geltung der Zehnjahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Bezug auf die Anfechtbarkeit der Besicherung von Gesellschafterdarlehen festhalte, wurde von jenem unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut der Norm bejaht. Altmeppen, der sich anschließend bei Thole für das interessante Referat und bei allen Teilnehmern für die spannende Diskussion bedankte, entgegnete hierauf, dass er sich – wenn selbst erstklassige Juristen ihm nicht folgten – immer mit dem folgenden Satz aus dem Urfaust von Goethe tröste: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.“

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Praxisrelevante Fragen des Transparenzregisters Ulf Krause Abteilungsleiter Transparenzregister, Bundesanzeiger Verlag GmbH Rz.

Rz. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Informationen zum Transparenzregister. . . . 1. Gesetzlicher Hintergrund . . . 2. Konzeption als Auffangregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgestuftes Einsichtnahmekonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aktuelle praxisrelevante Fragen zum Transparenzregister 1. Fragen aus Sicht der Verpflichteten . . . . . . . . . . . . . . . a) Erweiterung des Verpflichtetenkreises bei Rechtsanwälten . . . . . . . . . . . . . . b) Einsichtnahmepflicht nach § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE? . . . . . . . . . . . . c) Unstimmigkeitsmeldungen nach § 23a GwG-RegE 2. Fragen aus Sicht der Eintragungspflichtigen . . . . . . . . . . a) Auskunftsrechte und -pflichten bei Beteiligungen nach § 20 Abs. 3 ff. GwG-RegE. . . . . . . . . . . . .

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b) Reichweite und Grenzen der Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 GwG . . . aa) GmbH ohne elektronische Gesellschafterliste . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nicht-börsennotierte AG . . . . . . . . . . . . . . . cc) KG (inklusive GmbH & Co. KG) . . . dd) Nicht-registerlich geführte Mutterunternehmen und Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . ee) Mutterunternehmen und Anteilseigner aus dem Ausland . . . . . . . 3. Fragen aus Sicht der wirtschaftlich Berechtigten. . . . . a) Beschränkung der Einsichtnahme nach § 23 Abs. 2 GwG . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffnung des Transparenzregisters für die Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Der nachfolgende Vortrag beschäftigt sich mit aktuellen praxisrelevanten 1 Fragen des Transparenzregisters. Ein Schwerpunkt wird dabei auf solche Fragen gelegt, die im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Praxis von ho-

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her Bedeutung sind. Zugleich sollen bereits absehbare Neuerungen durch die anstehende Novelle des Geldwäschegesetzes1 (im Folgenden: GwG) genauer untersucht werden.

II. Allgemeine Informationen zum Transparenzregister 1. Gesetzlicher Hintergrund 2 Im Rahmen der Umsetzung der 4. Europäischen Anti-Geldwäscherichtlinie2 (im Folgenden: 4. GWRL) wurde durch die Novellierung des Geldwäschegesetz zum 26.6.2017 das Transparenzregister3 geschaffen. Es handelt sich hierbei um ein amtliches Register, in dem die wirtschaftlich Berechtigten von Rechtseinheiten und Rechtsgestaltungen erfasst werden. Sinn und Zweck des Transparenzregisters ist die Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. 3 Die Schaffung von zentralen Registern über die wirtschaftlich Berechtigten geht auf eine europäische Initiative zurück und ist in der 4. GWRL für alle Mitgliedstaaten zwingend vorgeschrieben. Der deutsche Gesetzgeber ist dieser Umsetzungsverpflichtung mit den §§ 18 ff. GwG fristgerecht nachgekommen. Eintragungen in das deutsche Transparenzregister sind seit dem 27.6.2017 über die Webseite www.transparenzregister.de möglich.4 Die Einsichtnahme kann seit dem 27.12.20175 ebenfalls über die Webseite des Transparenzregisters beantragt werden. Zukünftig sollen die nationalen Transparenzregister auf europäischer Ebene verknüpft

1 Geldwäschegesetz vom 23.6.2017 (BGBl. I 2017, 1822), das durch Art. 23 des Gesetzes vom 23.6.2017 (BGBl. I 2017, 1822) geändert worden ist. 2 Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 141 vom 5.6.2015, S. 73. 3 Vgl. §§ 18–26 GwG. Mit der Führung des Transparenzregister ist die Bundesanzeiger Verlag GmbH als registerführende Stelle gem. § 25 Abs. 1 GwG i.V.m. § 1 Transparenzregisterbeleihungsverordnung (TBelV) beliehen worden. 4 Nach § 59 Abs. 1 GwG mussten transparenzpflichtigen Rechtseinheiten Mitteilungen an das Transparenzregister erstmals bis spätestens zum 1.10.2017 vornehmen. 5 Vgl. § 59 Abs. 3 GwG.

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werden, so dass die Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten europaweit verfügbar sind. Kurz nach Ablauf der Umsetzungsfrist der 4. GWRL hat der europäische 4 Richtliniengeber bereits eine Nachfolgerichtlinie, die sog. 5. Europäische Anti-Geldwäscherichtlinie6 (im Folgenden: 5. GWRL) erlassen. Diese Richtlinie muss bis zum 10.1.2020 in nationales Recht umgesetzt werden. Das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der 5. GWRL läuft derzeit noch. Am 20.5.2019 wurde durch das Bundesministerium der Finanzen ein erster Referentenentwurf (im Folgenden: GwG-RefE) zur Umsetzung der 5. GWRL veröffentlicht.7 Zwischenzeitlich liegt seit dem 9.8.2019 der leicht abgewandelte Regierungsentwurf (im Folgenden: GwG-RegE) vor.8 Am 6.11.2019 fand die abschließende Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages statt.9

2. Konzeption als Auffangregister Das Transparenzregister wurde vom Gesetzgeber als sog. Auffangregister konzipiert. Dies bedeutet, dass Mitteilungen an die registerführende Stelle und damit Eintragungen im Transparenzregister nur dann notwendig 6 Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EU, ABl. EU Nr. L 156 v. 19.6.2018, S. 43.Die korrekte Bezeichnung ist daher eigentlich Änderungsrichtlinie zur 4. GWRL. Jedoch wird die Richtlinie mittlerweile sowohl vom europäischen Richtliniengeber als auch vom deutschen Gesetzgeber als 5. GWRL bezeichnet, so dass diese Bezeichnung auch hier genutzt werden soll. 7 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie [Richtlinie (EU) 2018/843], abrufbar unter: https://www.bundesfinanz ministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abtei lungen/Abteilung_VII/19_Legislaturperiode/2019-12-19-Gesetz-4-EU-Geldwae scherichtlinie/0-Gesetz.html. 8 Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 352/19. 9 Zum Zeitpunkt des Vortrages war das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Mittlerweile wurde das Geldwäschegesetz novelliert. Das Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie wurde am 19.12.2019 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I 2019, 2602) veröffentlicht und ist am 1.1.2020 in Kraft getreten.

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sind, wenn sich die Daten zu den wirtschaftlich Berechtigten nicht bereits aus anderen öffentlichen Registern ergeben. 6 Voraussetzung der sog. Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 GwG ist, dass sich die Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten nach § 19 Abs. 1 GwG bereits aus den in § 22 Abs. 1 GwG aufgeführten Dokumenten und Eintragungen10 ergeben, soweit diese Dokumente und Eintragungen in den genannten Registern11 elektronisch abrufbar sind. Die Abrufbarkeit i.S.d. § 20 Abs. 2 GwG ist nach den BVA-FAQ12 auch dann gegeben, wenn sich die Daten nur in einer Zusammenschau mehrerer Dokumente und Eintragungen, auch über mehrere verbundene Rechtseinheiten hinweg, ergeben. Ist dies der Fall, gilt die Pflicht zur Mitteilung an das Transparenzregister als erfüllt und eine gesonderte Mitteilung ist nicht erforderlich. 7 Die Auffangregisterlösung wurde seitens des Gesetzgebers gewählt, um die eintragungspflichtigen Vereinigungen nach § 20 Abs. 1 GwG zu entlasten und keine zusätzlichen bürokratischen Aufwände entstehen zu lassen. Diese Entlastung der Eintragungspflichtigen führt allerdings dazu, dass der Aufwand für die Verpflichteten nach § 2 GwG steigt. Liegt keine Eintragung im Transparenzregister vor, so erhält der Einsichtnehmende von der registerführenden Stelle im Rahmen der Einsichtnahme eine Bestätigung nach § 18 Abs. 4 GwG (das sog. „Negativattest“). Dies bedeutet, 10 Folgende Dokumente und Eintragungen können nach § 22 Abs. 1 GwG i.V.m. § 20 Abs. 2 GwG fiktionsbegründend sein: Bekanntmachungen des Bestehens einer Beteiligung nach § 20 Abs. 6 AktG, Stimmrechtsmitteilungen nach den §§ 40 und 41 WpHG, Listen der Gesellschafter von Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Unternehmergesellschaften nach § 8 Abs. 1 Nr. 3, § 40 GmbHG sowie Gesellschafterverträge gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1a Satz 2 GmbHG, sofern diese als Gesellschafterliste gelten, nach § 2 Abs. 1a Satz 4 GmbHG, Eintragungen im Handelsregister, Eintragungen im Partnerschaftsregister, Eintragungen im Genossenschaftsregister sowie Eintragungen im Vereinsregister. 11 Abschließend aufgezählt sind: das Handelsregister (§ 8 HGB), das Partnerschaftsregister (§ 5 PartGG), das Genossenschaftsregister (§ 10 GenG), das Vereinsregister (§ 55 BGB) und das Unternehmensregister (§ 8b Abs. 2 HGB). 12 Die Rechts- und Fachaufsicht über die registerführende Stelle übt nach § 25 Abs. 6 GwG das Bundesverwaltungsamt aus. In diesem Zusammenhang veröffentlicht das Bundesverwaltungsamt auf seiner Internetseite Fragen und Antworten zum Transparenzregister (im Folgenden BVA-FAQ), abrufbar unter: https://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Aufgaben/ZMV/Trans parenzregister/Transparenzregister_FAQ.pdf.

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dass der Verpflichtete in den anderen Registern den wirtschaftlich Berechtigten recherchieren muss. Informationsgehalt des Negativattestes ist, dass es keine abweichenden, von den aus den anderen Registern ersichtlichen wirtschaftlich Berechtigten eingetragen wurden. Diese Information ist notwendig und von den Verpflichteten einzuholen, weil diese bei einer reinen Ermittlung über die anderen Register nicht sicher wissen können, dass es keine abweichenden, aus den anderen Registern nicht ersichtlichen, wirtschaftlich Berechtigten gibt. Im Ergebnis können die wirtschaftlich Berechtigten, bei Vorliegen eines Negativattestes, nur durch eine Zusammenschau der Eintragung im Transparenzregister und der anderen Register ermittelt werden. Von den Verpflichteten wird deswegen zunehmend die Einführung eines Vollregisters gefordert, in welchem immer eine Eintragung, unabhängig von den Informationen in anderen Registern, vorhanden sein muss. Das Transparenzregister folgt zusätzlich dem „One-Stop-Shop“-Prinzip. 8 Aufgrund dieses Prinzips sind über das Transparenzregister alle potentiell zum wirtschaftlich Berechtigten führenden Eintragungen und Dokumente zugänglich. Über die Webseite des Transparenzregisters können neben den Eintragungen im Transparenzregister selber, die Eintragungen und Dokumente der in § 20 Abs. 2 GwG genannten Register abgerufen werden. Über das Transparenzregister ist es daher für den Nutzer möglich, ohne einen Wechsel der Plattform, alle notwendigen Informationen an einer zentralen Stelle zu erhalten.

3. Abgestuftes Einsichtnahmekonzept Das Transparenzregister ist ein Register über Rechtseinheiten. Es ermöglicht daher gem. § 23 Abs. 4 GwG die Suche nach Vereinigungen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 GwG und Rechtsgestaltungen nach § 21 GwG. Eine Suche nach wirtschaftlich Berechtigten ist dem Transparenzregister fremd.

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Für die Einsichtnahme in die zu einer Rechtseinheit im Transparenzregister eingetragenen Daten, gilt gem. § 23 GwG ein abgestuftes Einsichtnahmekonzept. Dies bedeutet, dass je nach Einsichtnehmenden verschiedene Voraussetzungen für die Einsichtnahme erfüllt werden müssen und der Einsichtnehmende verschiedene Daten zur Verfügung gestellt bekommt.

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11 Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG erhalten die dort abschließend aufgeführten Behörden13 Einsicht in das Transparenzregister, wenn diese zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist. Behörden erhalten dabei immer alle im Transparenzregister verfügbaren Informationen. Beschränkungen nach § 23 Abs. 2 GwG entfalten gem. § 23 Abs. 2 Satz 4 GwG keine Wirkung. 12

Verpflichtete nach § 2 GwG erhalten gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GwG Einsicht in das Transparenzregister, wenn sie der registerführenden Stelle darlegen, dass die Einsichtnahme zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten in einem der in § 10 Abs. 3 GwG genannten Fälle erfolgt. Grundsätzlich werden auch Verpflichteten alle im Transparenzregister verfügbaren Informationen zugänglich gemacht. Allerdings muss bei Vorliegen einer Beschränkung nach § 23 Abs. 2 GwG gem. § 23 Abs. 2 Satz 4 GwG differenziert werden. Gegenüber sog. privilegierten Verpflichteten14 entfaltet die Beschränkung keine Wirkung, alle anderen Verpflichteten erhalten nur die gemäß der Beschränkung reduzierten Informationen.

13 Im Einzelnen sind dies: die Aufsichtsbehörden, die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, die gem. § 13 AWG zuständigen Behörden, die Strafverfolgungsbehörden, das Bundeszentralamt für Steuern sowie die örtlichen Finanzbehörden nach § 6 Abs. 2 Nr. 5 AO und die für Aufklärung, Verhütung und Beseitigung von Gefahren zuständigen Behörden. 14 Die privilegiert Verpflichteten sind: Kreditinstitute nach § 1 Abs. 1 KWG, mit Ausnahme der in § 2 Abs. 1 Nr. 3–8 KWG genannten Unternehmen, und im Inland gelegene Zweigstellen und Zweigniederlassungen von Kreditinstituten mit Sitz im Ausland; Finanzdienstleistungsinstitute nach § 1 Abs. 1a KWG, mit Ausnahme der in § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3–10 und 12 und Abs. 10 KWG genannten Unternehmen, und im Inland gelegene Zweigstellen und Zweigniederlassungen von Finanzdienstleistungsinstituten mit Sitz im Ausland; Zahlungsinstitute und E-Geld-Institute nach § 1 Abs. 3 ZAG und im Inland gelegene Zweigstellen und Zweigniederlassungen von vergleichbaren Instituten mit Sitz im Ausland; Versicherungsunternehmen nach Art. 13 Nr. 1 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. Nr. L 335 vom 17.12.2009, S. 1) und im Inland gelegene Niederlassungen solcher Unternehmen mit Sitz im Ausland, soweit sie jeweils a) Lebensversicherungstätigkeiten, die unter diese Richtlinie fallen, anbieten, b) Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr anbieten, c) Darlehen i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG vergeben oder d) Kapitalisierungsprodukte anbieten sowie Notare.

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Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GwG kann zudem jeder, der der registerführenden Stelle darlegt, dass er ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme hat, Einsicht in das Transparenzregister nehmen. Das berechtigte Interesse muss einen engen Bezug zur Geldwäsche- und Terrorismusfinanzierungsverhinderung aufweisen. Rein „private“ Interessen, wie z.B. die Durchsetzung bestehender Forderungen, sind nicht ausreichend. Im Rahmen der Einsicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GwG erhält der Einsichtnehmende grundsätzlich nur einen nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GwG reduzierten Datensatz.15 Beschränkungen nach § 23 Abs. 2 GwG entfalten immer Wirkung.

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Das abgestufte Einsichtnahmekonzept dient dem Schutz der wirtschaft- 14 lich Berechtigten. Es soll dem Datenschutz Rechnung getragen und Informationen nur im notwendigen Maß verfügbar gemacht werden. Neben den zuvor dargestellten inhaltlichen Voraussetzungen muss der Einsichtnehmende sich zunächst auf der Webseite des Transparenzregisters registrieren.16 Nach § 3 TrEinV muss die registerführende Stelle den Antragsteller im Rahmen der Registrierung oder im Rahmen des ersten Einsichtnahmeantrags identifizieren.17 Für einen Auszug aus dem Transparenzregister wird gem. § 24 Abs. 2 Satz 1 GwG eine Gebühr erhoben.18

III. Aktuelle praxisrelevante Fragen zum Transparenzregister Die Auseinandersetzung der aktuellen praxisrelevanten Fragen zum Transparenzregister soll aus Sicht der mit dem Transparenzregister in 15 Bei einer Einsichtnahme nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GwG werden gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 GwG Tag der Geburt und der Wohnort des wirtschaftlich Berechtigten grundsätzlich nicht beauskunftet. Ergeben sich diese Daten jedoch bereits aus einem anderen öffentlichen Register, erfolgt auch eine Auskunft auf dem Auszug aus dem Transparenzregister. 16 Vgl. § 23 Abs. 3 GwG. 17 Nach derzeitiger Rechtslage erfolgt diese Identifizierung gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 TrEinV bei natürlichen Personen durch die Vorlage einer Kopie eines amtlichen Ausweises mit Lichtbild, z.B. ein Personalausweis oder Reisepass. Ab dem 1.7.2020 sieht § 3 Abs. 2 Nr. 1 lit. c. TrEinV zudem vor, dass die registerführende eine der in § 12 Abs. 2 Nr. 2–4 GwG genannten Verfahren anbieten kann. Zusätzlich kann die registerführende Stelle nach § 3 Abs. 4 Satz 2 TrEinV auch eine Videoidentifizierung anbieten. 18 Derzeit beträgt die Gebühr 4,50 t (Die Gebühr wurde zwischenzeitlich auf 1,65 t abgesenkt.).

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Kontakt kommenden verschiedenen Gruppen, namentlich den Verpflichteten nach § 2 GwG, den eintragungspflichtigen Vereinigungen und Rechtsgestaltungen nach §§ 20, 21 GwG sowie den wirtschaftlich Berechtigten, erfolgen. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die für die gesellschaftsrechtliche Praxis wichtigen Fragen gelegt. 16 Das Transparenzregister hat im Wesentlichen drei Adressatenkreise. Es richtet sich an die Verpflichteten i.S.d. § 2 GwG als Einsichtnehmende nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GwG, an die transparenzpflichtigen Rechtseinheiten nach §§ 20, 21 GwG in Bezug auf die Eintragung von wirtschaftlich Berechtigten und an die wirtschaftlich Berechtigten selbst, als zu beauskunftende Personen und mögliche Antragsteller von Anträgen nach § 23 Abs. 2 GwG. In der gesellschaftsrechtlichen Praxis dürften alle diese Adressatenkreise eine Rolle spielen. 17 Zum einen sind die Praktiker, zumindest wenn sie beratend als Rechtsanwälte im Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG tätig sind, selber Verpflichtete. Sie sind somit direkt und selber zur Erfüllung von geldwäscherechtlichen Sorgfaltspflichten verpflichtet und damit unmittelbar von den Regelungen des GwG betroffen. 18 Zum Zweiten werden im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Praxis Rechtseinheiten beraten. In diesem Zusammenhang ist auch die Beratung in Bezug auf die Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten und der Mitteilung dieser an das Transparenzregister notwendig. 19 Zum Dritten dürften auch die wirtschaftlich Berechtigten, z.B. wenn sog. „family offices“ eingerichtet sind, in der gesellschaftsrechtlichen Praxis eine wichtige Rolle spielen.

1. Fragen aus Sicht der Verpflichteten a) Erweiterung des Verpflichtetenkreises bei Rechtsanwälten 20

Rechtsanwälte, Kammerbeistände, Patentanwälte sowie Notare sind nach § 2 Abs. 1 GwG bereits jetzt zur Erfüllung von geldwäscherechtlichen Sorgfaltspflichten verpflichtet. Es besteht allerdings keine generel-

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le Verpflichtung,19 sondern die Verpflichtung hängt im Einzelfall von der Erbringung bestimmter Katalogtätigkeiten20 ab. Diese Konzeption behält der Gesetzgeber auch im Rahmen der GwG- 21 Novelle bei, erweitert jedoch den Katalog der zur Verpflichteteneigenschaft führenden Tätigkeiten. Neu hinzukommen nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 lit. c)–e) GwG-RegE als Kataloghandlungen: die Beratung des Mandanten im Hinblick auf dessen Kapitalstruktur, dessen industrielle Strategie oder damit verbundener Fragen (lit. c)), Erbringung von Beratung oder Dienstleistung im Zusammenhang mit Zusammenschlüssen oder Übernahmen (lit. d)) und geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen (lit. e)). Die Aufnahme der ersten beiden neuen Katalogtätigkeiten dient der Umsetzung von Art. 3 Abs. 2 lit. a. i.V.m. Nr. 9 des Anhangs zur 5. GWRL. Hierdurch sollen Tätigkeiten, welche typischerweise im Bereich von Mergers & Acquisition erbracht werden, bei den erbringenden Rechtsanwälten bzw. Notaren die Verpflichtung zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten herbeiführen.21

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Lit. e) wiederum basiert nicht auf der 5. GWRL, sondern wurde aufgenommen, um eine bestehende Gesetzeslücke im Hinblick auf die per se bestehende Verpflichteteneigenschaft von Steuerberatern und eine damit verbundene Ungleichbehandlung von Rechtsanwälten zu schließen. Rechtsanwälte sind nach § 3 StBerG berechtigt steuerberatend tätig zu werden, so dass hier eine Umgehung der gesetzlich vorgesehenen geld-

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19 Im Unterschied zu dieser handlungsbezogenen Verpflichteteneigenschaft sind z.B. gem. § 2 Abs. 1 Nr. 12 GwG Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte generell zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach dem GwG verpflichtet. Bei diesen kommt es nicht auf die Erbringung einer bestimmten Tätigkeit an, sondern die Sorgfaltspflichten müssen bei jeder geschäftlichen Handlung erfüllt werden. 20 Derzeit müssen Rechtsanwälte Sorgfaltspflichten nur einhalten, wenn sie für den Mandanten an der Planung oder Durchführung von folgenden Geschäften mitwirken: aa) Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben, bb) Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen Vermögenswerten, cc) Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder Wertpapierkonten, dd) Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel, ee) Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften, Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen oder im Namen und auf Rechnung des Mandanten Finanz- oder Immobilientransaktionen durchführen. 21 Vgl. BT-Drucks. 352/19, S. 75.

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wäscherechtlichen Sorgfaltspflichterfüllung im Rahmen steuerberatender Tätigkeit, möglich wäre.22 Diese Lücke wird durch die Aufnahme der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen in den Katalog des § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG-RegE geschlossen.

b) Einsichtnahmepflicht nach § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE? 24

Bisher müssen Verpflichtete im Rahmen der Sorgfaltspflichterfüllung nicht zwingend Einsicht in das Transparenzregister nehmen. Sie müssen vielmehr nach dem risikobasierten Ansatz selber entscheiden, ob eine Einsichtnahme als erforderlich angesehen wird.

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Nach § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE müssen Verpflichtete nunmehr jedoch „bei Begründung einer neuen Geschäftsbeziehung mit einer Vereinigung nach § 20 oder einer Rechtsgestaltung nach § 21 […] einen Nachweis der Registrierung nach § 20 Absatz 1 oder § 21 oder einen Auszug der über das Transparenzregister zugänglichen Daten“ einholen. Diese Regelung dient der Umsetzung von Art. 1 Nr. 9 lit. a der 5. GWRL. Fraglich ist, ob durch diese Regelung eine Einsichtnahmepflicht in das Transparenzregister geschaffen wurde.

26 § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE sieht zwei verschiedene Tatbestandsalternativen vor. Zum einen können Verpflichtete einen Nachweis der Registrierung und zum anderen einen Auszug der über das Transparenzregister zugänglichen Daten einholen. Der Gesetzgeber hat sich hierbei für eine 1-zu-1 Umsetzung der 5. GWRL entschieden, welche diese beiden Möglichkeiten vorsieht.23 Der Auszug der über das Transparenzregister zugänglichen Daten kann durch den Verpflichteten gem. § 23 Abs. 1 Nr. 2 GwG im Rahmen der Einsichtnahme in das Transparenzregister erlangt werden. Insofern ist eindeutig, welche Handlung seitens des Verpflichteten vorgenommen werden muss. 27 Unklar ist jedoch, was der Verpflichtete tun muss, um einen Nachweis der Registrierung zu erhalten. Einen solchen sieht das GwG nicht vor. Im Rahmen der Mitteilung von wirtschaftlich Berechtigten an die registerführende Stelle erhält der Mitteilende eine Auftragsbestätigung mit einer Zusammenfassung der übermittelten Daten. Diese Auftragsbestätigung erhält jedoch keine Information zu der Frage, ob die übermittel22 Vgl. BT-Drucks. 352/19, S. 75. 23 Art. 1 Nr. 9 lit. a) 5. GWRL.

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ten Daten tatsächlich in das Transparenzregister eingetragen wurden. Der Mitteilende kann den Auftrag nach der Übermittlung noch verändern24 oder stornieren. Die Auftragsbestätigung kann daher nicht als Nachweis der Registrierung angesehen werden.25 Ein anderer Nachweis der Registrierung ist nicht ersichtlich. Im Ergebnis ist daher der Auszug aus dem Transparenzregister auch der Nachweis der Registrierung und insofern eine Einsichtnahme zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE als verpflichtend anzusehen.26 In Art. 1 Nr. 9 lit. a der deutschen Sprachversion der 5. GWRL heißt es, 28 dass die Verpflichteten gegebenenfalls einen Auszug aus dem Register einholen.27 In § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE findet sich diese Einschränkung nicht, sondern ein Auszug aus dem Transparenzregister ist obligatorisch einzuholen. Es handelt sich insofern jedoch nicht um Goldplating des deutschen Gesetzgebers, da diese Einschränkung sich nicht in den anderen Sprachversionen28 der 5. GWRL findet und die deutsche Version 24 In diesem Fall erhält er eine „neue“ Auftragsbestätigung mit einer Zusammenfassung der nunmehr übermittelten Daten. 25 Sinn und Zweck der Auftragsbestätigung ist, dass der Mitteilende einen Nachweis für die Erfüllung seiner Pflicht aus § 20 GwG bzw. § 21 GwG, nämlich der Mitteilung der wirtschaftlich Berechtigten an das Transparenzregister, hat. 26 Die Umsetzung ist insofern zukunftsoffen. Sofern zukünftig ein Nachweis der Registrierung eingeführt werden sollte, könnte mit diesem die Anforderungen des § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE erfüllen. 27 Der vollständige Wortlaut ist: „Zu Beginn einer neuen Geschäftsbeziehung mit einer Gesellschaft oder einer anderen juristischen Person oder einem Trust oder einer Rechtsvereinbarung, die in ihrer Struktur oder ihren Funktionen Trusts ähnelt (im Folgenden „ähnliche Rechtsvereinbarung“), über deren wirtschaftlichen Eigentümer gem. Art. 30 oder 31 Angaben registriert werden müssen, holen die Verpflichteten gegebenenfalls den Nachweis der Registrierung oder einen Auszug aus dem Register ein.“ 28 Im Folgenden beispielhaft einige Sprachversionen: EN: „Whenever entering into a new business relationship with a corporate or other legal entity, or a trust or a legal arrangement having a structure or functions similar to trusts („similar legal arrangement“) which are subject to the registration of beneficial ownership information pursuant to Article 30 or 31, the obliged entities shall collect proof of registration or an excerpt of the register.“; FR: „Lorsqu’elles nouent une nouvelle relation d’affaires avec une société ou une autre entité juridique, une fiducie/un trust ou une construction juridique présentant une structure ou des fonctions similaires à celles d’une fiducie/ d’un trust (ci-après dénommée „construction juridique similaire“) pour les-

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von den anderen Sprachversionen abweicht. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass die deutsche Sprachversion der 5. GWRL fehlerhaft übersetzt wurde.

c) Unstimmigkeitsmeldungen nach § 23a GwG-RegE 29

Die Verpflichteten nach § 2 GwG sind nach § 23a GwG-RegE zukünftig zur Abgabe von Unstimmigkeitsmeldungen bei der registerführenden Stelle verpflichtet. Eine Unstimmigkeit besteht nach § 23a Abs. 1 Satz 4 GwG-RegE, wenn Eintragungen nach § 20 Abs. 1 und 2 GwG sowie nach § 21 Abs. 1 und 2 GwG fehlen, einzelne Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten nach § 19 Abs. 1 GwG abweichen oder wenn abweichende wirtschaftlich Berechtigte durch den Verpflichteten ermittelt wurden. Der Verpflichtete muss dabei nach § 23a Abs. 1 Satz 5 GwG-RegE bei der Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten die gesetzliche Ermittlungsmethode nach § 3 GwG zugrunde legen. Abweichende Ermittlungsmethoden, z.B. aufgrund von Unternehmenspolicies, sind nicht zulässig.

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Die Unstimmigkeitsmeldung muss über die Internetseite des Transparenzregisters abgegeben werden. Nach § 23a Abs. 2 GwG-RegE hat die registerführende Stelle dazu auf der Internetseite des Transparenzregister quels des informations sur les bénéficiaires effectifs doivent être enregistrées en vertu de l’article 30 ou 31, les entités assujetties recueillent la preuve de l’enregistrement ou un extrait du registre.“; IT: „Al momento dell’avvio dei rapporti d’affari con una società o un altro soggetto giuridico, o un trust o un istituto giuridico avente un assetto o funzioni affini al trust („istituto giuridico affine“) soggetto alla registrazione delle informazioni sulla titolarità effettiva ai sensi degli articoli 30 o 31, i soggetti obbligati acquisiscono la prova di detta registrazione o un estratto del registro.“; ES: „Al entablar una nueva relación de negocios con una sociedad u otra entidad jurídica, o con un fideicomiso (del tipo „trust“) o un instrumento jurídico de estructura o funciones análogas a las de este último (en lo sucesivo, „instrumento jurídico análogo“), que deban registrar la información relativa a la titularidad real con arreglo al artículo 30 o 31, las entidades obligadas recabarán la prueba del registro o un extracto de este.“; NL: „Bij het aangaan van een nieuwe zakelijke relatie met een vennootschap of andere juridische entiteit, of een trust of een juridische constructie met een soortgelijke structuur of soortgelijke functies als een trust („soortgelijke juridische constructie“) waarvan op grond van artikel 30 of 31 informatie over de uiteindelijk begunstigden moet worden geregistreerd, verzamelen de meldingsplichtige entiteiten een bewijs van registratie of een uittreksel uit het register.“;

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deutlich sichtbar eine Vorkehrung einzurichten, über die Unstimmigkeitsmeldungen abgegeben werden können. Die registerführende Stelle muss Unstimmigkeitsmeldungen unverzüglich prüfen und versuchen die Unstimmigkeit aufzulösen.29 Hierzu kann sie gem. § 23a Abs. 3 Satz 2 GwG-RegE vom Erstatter der Meldung – dem Verpflichteten – und der betroffenen Vereinigung nach § 20 bzw. Rechtsgestaltung nach § 21 GwG die zur Aufklärung der Unstimmigkeit erforderlichen Informationen und Unterlagen verlangen. Kann die registerführende Stelle die Unstimmigkeit aufgrund unklarer Sachlage nicht auflösen, übergibt sie die Unstimmigkeitsmeldung an das Bundesverwaltungsamt als zuständige Ordnungsbehörde.30 Das Bundesverwaltungsamt soll dann, auch mit den Mitteln des Ordnungswidrigkeitsverfahrens, eine Auflösung der Unstimmigkeit herbeiführen.

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Nach Abschluss der Prüfung muss der Erstatter der Unstimmigkeitsmel- 32 dung gem. § 23a Abs. 5 Satz 1 GwG-RegE über das Ergebnis der Prüfung unverzüglich informiert werden. Wann das Prüfungsverfahren als abgeschlossen gilt, regelt § 23a Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE: Abgeschlossen ist das Verfahren, wenn die registerführende Stelle oder das Bundesverwaltungsamt aufgrund (1) der nach § 23a Abs. 3 GwG-RegE erlangten Erkenntnisse oder (2) aufgrund einer neuen Mitteilung der betroffenen Vereinigung nach § 20 GwG oder Rechtsgestaltung nach § 21 GwG zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Unstimmigkeit ausgeräumt ist. Eine laufende Unstimmigkeitsprüfung ist nach § 23a Abs. 6 Satz 1 GwGRegE durch die registerführende Stelle durch einen Vermerk auf dem Auszug aus dem Transparenzregister kenntlich zu machen. Der Abschluss der Prüfung ist ebenfalls auf dem Auszug zu vermerken.31

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2. Fragen aus Sicht der Eintragungspflichtigen a) Auskunftsrechte und -pflichten bei Beteiligungen nach § 20 Abs. 3 ff. GwG-RegE Für die Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten ist es von essentieller Bedeutung, dass die transparenzpflichtige Rechtseinheit von ihren Anteilseigner – über alle Beteiligungsebenen hinaus – die zur Ermittlung 29 § 23a Abs. 3 Satz 1 GwG-RegE. 30 Vgl. § 23a Abs. 4 Nr. 2 GwG-RegE i.V.m. § 56 Abs. 5 Satz 2 GwG. 31 § 23a Abs. 6 Satz 2 GwG-RegE.

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notwendigen Informationen erhält. Ist dies nicht gewährleistet, so ist es der transparenzpflichtigen Rechtseinheit gegebenenfalls nicht möglich, die eigenen wirtschaftlich Berechtigten zu ermitteln. 35 Die derzeitige gesetzliche Regelung in § 20 Abs. 3 Satz 1 GwG legt Anteilseignern nur dann eine Mitteilungspflicht an die transparenzpflichtige Rechtseinheit auf, wenn diese entweder selber wirtschaftlich Berechtigte sind oder von dem wirtschaftlich Berechtigten unmittelbar kontrolliert werden. Alle anderen Anteilseigner – z.B. auf der ersten und zweiten Beteiligungsebene, wenn der wirtschaftlich Berechtigte erst auf der vierten Beteiligungsebene steht – sind nicht zur Mitteilung an die transparenzpflichtige Rechtseinheit verpflichtet. In diesem Fall trifft die Verpflichtung nach § 20 Abs. 3 Satz 5 GwG den wirtschaftlich Berechtigten selbst, wenn dieser mittelbare Kontrolle auf den Anteilseigner ausüben kann. Auskunfts- oder Nachfragerechte der transparenzpflichtigen Rechtseinheit bestehen derzeit nicht. Durch diese Regelung kann es zu Wissenslücken bei der transparenzpflichtigen Rechtseinheit kommen, durch die eine Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten nicht möglich ist. 36 Diese potentiell bestehende Lücke soll durch die neuen § 20 Abs. 3 ff. GwG-RegE geschlossen werden. Die Auskunftsrechte und -pflichten innerhalb von Beteiligungsstrukturen werden durch diese Regelungen ausgebaut. Zunächst wird durch den neu geschaffenen § 20 Abs. 3 Satz 1 GwG-RegE die Mitteilungspflicht auf alle wirtschaftlich Berechtigten ausgeweitet. Es kommt also für das Bestehen einer Mitteilungspflicht des wirtschaftlich Berechtigten nicht mehr darauf an, dass dieser mittelbare Kontrolle auf den Anteilseigner ausüben kann. Hierfür wurde der vormals bestehende § 20 Abs. 3 Satz 5 GwG als „neue“ Grundregel dem Absatz vorangestellt. Die bereits zuvor bestehenden Mitteilungspflichten der Anteilseigner auf erster Beteiligungsebene32 bleiben unverändert in § 20 Abs. 3 Satz 2 GwG-RegE bestehen. 37

§ 20 Abs. 3a GwG legt den transparenzpflichtigen Rechtseinheiten eine neue Verpflichtung auf. Diese müssen zukünftig, falls sie keine Angaben nach § 20 Abs. 3 GwG-RegE erhalten haben, von den ihnen bekannten Anteilseignern in angemessenem Umfang Auskunft zu den wirtschaftlich Berechtigten verlangen. Die Verpflichtung beschränkt sich dabei nicht auf die Anteilseigner auf der ersten Beteiligungsebene, sondern die transparenzpflichtige Rechtseinheit muss grundsätzlich alle ihr be32 Vormals in § 20 Abs. 3 Satz 1 GwG.

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kannten Anteilseigner – also auch auf höheren Beteiligungsebenen – um Auskunft ersuchen. Die Anteilseigner sind gem. § 20 Abs. 3a Satz 2 GwG-RegE dazu verpflichtet Auskunftsersuchen der transparenzpflichtigen Rechtseinheiten zu beantworten. Ein Auskunftsersuchen kann dann unterbleiben, wenn der transparenzpflichtigen Rechtseinheit die wirtschaftlich Berechtigten bereits anderweitig bekannt sind.33 Diese Ausnahmeregelung soll unnötigen Bürokratieaufwand auf Seiten der transparenzpflichtigen Rechtseinheiten verhindern. Zusätzlich zur vorgenannten Verpflichtung der transparenzpflichtigen 38 Rechtseinheiten, werden durch § 20 Abs. 3b GwG-RegE die Anteilseigner zur selbständigen Mitteilung der Daten der wirtschaftlich Berechtigten an die transparenzpflichtige Rechtseinheit verpflichtet. Diese Pflicht muss immer dann erfüllt werden, wenn der Anteilseigner zu der Erkenntnis gelangt, dass sich die wirtschaftlich Berechtigten geändert haben. Auch von dieser Verpflichtung gibt es eine Ausnahme, so dass nach § 20 Abs. 3b Satz 2 GwG-RegE eine Mitteilung unterbleiben kann, wenn die geänderten wirtschaftlich Berechtigte bereits über das Transparenzregister zugänglich sind oder der Anteilseigner anderweitig positive Kenntnis davon hat, dass der transparenzpflichtigen Rechtseinheit die geänderten wirtschaftlich Berechtigten bereits bekannt sind.34 Es ist zudem herauszustellen, dass auch die Dokumentationspflichten 39 erhöht werden. Die transparenzpflichtige Rechtseinheit muss zukünftig dokumentieren, dass sie eine Anfrage an ihre Anteilseigner gestellt hat und welche Antwort sie erhalten hat.35 Der Anteilseigner seinerseits muss die Mittteilung an die transparenzpflichtige Rechtseinheit dokumentieren und aufbewahren. In diesem Zusammenhang dürfte es aus Nachweiszwecken für den Anteilseigner sinnvoll sein, dass er auch eine ausgebliebene Mitteilung und die Begründung hierfür dokumentiert. Anderenfalls wird er in einem möglicherweise durchzuführenden Ordnungswidrigkeitenverfahren in Nachweisprobleme geraten. Werden die zuvor 33 Vgl. § 20 Abs. 3a Satz 3 GwG-RegE. 34 Dies ist z.B. in folgender Konstellation denkbar: Eine oberste Konzernmutter wird verkauft und hierdurch ändern sich die wirtschaftlich Berechtigten. Die oberste Konzernmutter nimmt nunmehr eine Mitteilung an alle – unmittelbare und mittelbare – Tochterunternehmen vor. In diesem Fall dürfte eine eigene Mitteilung einer Zwischenholding an ihre eigenen Tochterunternehmen entbehrlich sein, da die geänderten wirtschaftlich Berechtigten bereits bekannt sind und die Zwischenholding hierüber auch positive Kenntnis hat. 35 Vgl. § 20 Abs. 3a Satz 4 GwG-RegE.

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genannten Pflichten nicht eingehalten, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar.36

b) Reichweite und Grenzen der Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 GwG 40

Gemäß § 20 Abs. 2 GwG sind Vereinigungen nach § 20 GwG von ihrer Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 GwG befreit, wenn sich die Daten nach § 19 Abs. 1 GwG zu den wirtschaftlich Berechtigten bereits aus den in § 22 Abs. 1 GwG aufgeführten Dokumenten ergeben, soweit diese elektronisch aus den in § 20 Abs. 2 GwG aufgeführten Registern37 abrufbar sind. In diesen Fällen gilt die Mitteilungspflicht als erfüllt (sog. Mitteilungsfiktion). Es ist hierbei zwingend notwendig, dass sich alle Daten nach § 19 Abs. 1 GwG aus den zuvor genannten Dokumenten ergeben. Fehlen einzelne Datenfelder greift die Mitteilungsfiktion nicht und eine gesonderte Mitteilung an das Transparenzregister muss abgegeben werden.

41 Es ist jedoch zu beachten, dass das Greifen der Mitteilungsfiktion lediglich von der Pflicht zur Mitteilung an die registerführende Stelle befreit. Die transparenzpflichtige Vereinigung ist nach § 20 Abs. 1 Satz 1 GwG weiterhin verpflichtet, die in § 19 Abs. 1 GwG aufgeführten Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten einzuholen, aufzubewahren und auf aktuellem Stand zu halten. Dies ist konsequent, weil die weiterhin bestehenden Pflichten, die Grundlage für eine Bewertung, ob sich die Daten aus den fiktionsbegründenden Registern und Dokumenten ergeben, darstellen. Nur wenn die Rechtseinheit ihre wirtschaftlich Berechtigten ermittelt und deren Daten vorliegen hat, kann sie bewerten, ob eine Mitteilung an das Transparenzregister ausnahmsweise ausbleiben kann. 42 Unter Berücksichtigung der zuvor genannten Punkte werden nun einige praxisrelevante Fallgruppen vorgestellt.

36 Vgl. § 56 Abs. 1 Nr. 54 GwG sowie § 56 Abs. 1 Nr. 54a und 54b GwG-RegE. 37 Das Transparenzregister selber zählt nicht zu den fiktionsbegründenden Registern.

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aa) GmbH ohne elektronische Gesellschafterliste GmbH-Gesellschafterlisten müssen erst seit 200738 elektronisch beim Handelsregister eingereicht werden. Soweit bei einer Gesellschaft seitdem kein Wechsel der Gesellschafter stattgefunden hat, war diese nicht verpflichtet eine neue elektronische Gesellschafterliste beim Handelsregister einzureichen. Wurde eine solche nicht freiwillig an das Handelsregister übermittelt, ist die vorhandene sog. „Altliste“ in der Regel nicht elektronisch verfügbar39 und erfüllt deswegen die Voraussetzungen der Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 GwG nicht.

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In diesem Fall muss die jeweilige GmbH, um die Transparenzpflichten 44 zukünftig zu erfüllen, entweder eine Mitteilung an das Transparenzregister vornehmen oder eine elektronische Gesellschafterliste im Handelsregister einreichen. Es ist davon auszugehen, dass diese Fallgruppe nicht in unerheblicher Zahl vorkommt und vor allem kleinere GmbHs betrifft. Das Bundesverwaltungsamt als zuständige Ordnungsbehörde übt mittlerweile einen erheblichen Verfolgungsdruck auf solche Gesellschaften aus.

bb) Nicht-börsennotierte AG Bei einer nicht-börsennotierten AG kann grundsätzlich die Mitteilungs- 45 fiktion des § 20 Abs. 2 GwG greifen, wenn sich die wirtschaftlich Berechtigten der AG aus den fiktionsbegründenden Registern ergeben. Einziges zu diesem Zweck in Frage kommendes Dokument ist die Mitteilung nach § 20 Abs. 6 AktG an das Unternehmensregister. Nach § 20 Abs. 6 AktG muss eine Mitteilung durch die AG erfolgen, 46 wenn mehr als ein Viertel der Aktien sich im Besitz eines Unternehmens befinden. Eine Nennung natürlicher Personen erfolgt in dieser Meldung nicht, so dass auch hier nur durch eine Zusammenschau mit den weiteren Dokumenten aus den fiktionsbegründenden Registern der wirtschaftlich Berechtigte ermittelt werden kann. Sofern sich die AG in Streubesitz befindet, daher keine natürliche Person ausreichend Kontrolle hat und deswegen der Vorstand als (fiktiver) wirtschaftlich Berechtigter nach § 3 Abs. 2 Satz 5 GwG gilt, kann sich dieser wiederum aus dem aktuellen Ab38 In 2006 wurde das Gesetz über das elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG, BGBl. 2006 I, 2553 ff.) erlassen und ist zum 1.1.2007 in Kraft getreten. 39 Einige wenige Registergerichte haben „Altlisten“ digitalisiert und stellen diese auch elektronisch zur Verfügung.

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druck des Handelsregisters ergeben und insofern die Voraussetzungen der Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 GwG erfüllt sein. 47 Gibt es jedoch einen (tatsächlichen) wirtschaftlich Berechtigten, weil eine oder mehrere Personen mehr als 25 % der Aktien kontrollieren, und ergeben sich diese nicht aus der Meldung nach § 20 Abs. 6 AktG, so ist immer eine Mitteilung an das Transparenzregister notwendig.

cc) KG (inklusive GmbH & Co. KG) 48

Bezüglich der KG muss bei der Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten und bezüglich der Frage, ob von der Mitteilungsfiktion des § 20 Abs. 2 GwG Gebrauch gemacht werden kann, zwischen Komplementären und Kommanditisten unterschieden werden.

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Natürliche Personen die Komplementäre sind, sind grundsätzlich bereits aufgrund ihrer organschaftlichen Stellung und der damit verbundenen Befugnisse als wirtschaftlich Berechtigte gem. § 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GwG anzusehen.40 Ein Komplementär ist nur dann nicht als wirtschaftlich Berechtigter zu sehen, wenn er nach dem Handelsregistereintrag der KG vollständig von der Vertretung der KG ausgeschlossen ist. Die Mitteilungsfiktion des § 20 Abs. 2 GwG greift daher, wenn Komplementäre natürliche Personen und die einzigen wirtschaftlich Berechtigten sind und Name, Wohnort sowie das Geburtsdatum im aktuellen Abdruck des Handelsregisters vorhanden sind. Falls juristische Personen des Privatrechts oder eingetragene Personengesellschaften Komplementäre sind und soweit diese von natürlichen Personen beherrscht werden, greift die Mitteilungsfiktion des § 20 Abs. 2 GwG nur, wenn sich die Angaben der beherrschenden Personen nach § 19 Abs. 1 GwG sowie die beherrschende Stellung dieser Personen aus den fiktionsbegründenden Dokumenten und Eintragungen ergeben.

50 Wenn neben den Komplementären auch Kommanditisten als wirtschaftlich Berechtigte anzusehen sind, kann in aller Regel kein Gebrauch von der Mitteilungsfiktion gemacht werden.41 Ein Kommanditist ist z.B. als wirtschaftlich Berechtigter anzusehen, wenn er mehr als 25 % der Kapi40 Vgl. II. 1.7 BVA-FAQ: Wenn im Handelsregister eine gemeinschaftliche Vertretung für mehrere Komplementäre eingetragen ist, bleibt die besondere Stellung des Komplementärs als geschäftsführender Gesellschafter und somit wirtschaftlich Berechtigter bestehen. 41 Vgl. bezüglich möglicher Ausnahmen II. 18. BVA FAQ.

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talanteile hält. Dies ist aus dem aktuellen Abdruck des Handelsregisters nicht ersichtlich, weil dort nur gem. § 171 HGB, § 40 Nr. 5 lit. c HRV die Haftsumme einzutragen ist. Die Haftsumme lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Einlage des Kommanditisten und damit auf dessen Kapitalanteile zu. Zwischen Pflichteinlage und Haftsumme können erhebliche Abweichungen bestehen. Zusätzlich wird im Handelsregister auch die Einlage des Komplementärs nicht erfasst, so dass, selbst bei Übereinstimmen von Haftsumme und Einlage des Kommanditisten, die prozentuale Beteiligung des Kommanditisten aus den Eintragungen im Handelsregister nicht erkennbar ist.

dd) Nicht-registerlich geführte Mutterunternehmen und Anteilseigner Sofern ein nicht-registerlich geführtes Mutterunternehmen42 oder ein Anteilseigner existieren, muss eine genaue Prüfung der Mitteilungspflicht durchgeführt werden. Wichtig ist hierbei, dass der jeweilige Anteilseigner relevant ist. Dies ist er dann, wenn eine natürliche Person durch diesen Anteilseigner bzw. mit anderen Anteilseignern zusammen genügend Kapitalanteile kontrolliert, dass diese Person als wirtschaftlich Berechtigter des Tochterunternehmens anzusehen ist.43

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In diesen Fällen kann die Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 GwG niemals zur Anwendung kommen, weil die relevanten Anteilseigner nicht in einem fiktionsbegründenden Register44 geführt werden. Liegt ein solcher Fall vor, ist immer eine Mitteilung an das Transparenzregister notwendig.

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42 Ein typisches Beispiel für einen solchen Fall ist die unternehmenstragende Stiftung. 43 Dies ist z.B. der Fall, wenn Person A über die „Familie A Stiftung“ mehr als 25 % oder über die „Familie A Stiftung 15 % und über die „Familie A Beteiligungsgesellschaft mbH“ weitere 15 % an dem Tochterunternehmen kontrolliert. Sofern Person A beherrschenden Einfluss auf die „Familie A Stiftung“ ausübt, ist diese Person wirtschaftlich Berechtigter des Tochterunternehmens. 44 Hierbei muss unbedingt beachtet werden, dass sowohl die Stiftungsverzeichnisse der Länder als auch das Transparenzregister selber keine fiktionsbegründenden Register nach § 20 Abs. 2 GwG sind.

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ee) Mutterunternehmen und Anteilseigner aus dem Ausland 53

Sind ausländische Vereinigungen Mutterunternehmen oder Anteilseigner eines deutschen Unternehmens, scheidet die Mittteilungsfiktion des § 20 Abs. 2 GwG grundsätzlich45 aus, wenn die ausländischen Vereinigungen für die Ermittlung des wirtschaftlich Berechtigten relevant sind. Dies ist dann der Fall, wenn der wirtschaftlich Berechtigte hinter der ausländischen Vereinigung steht, er also über diese bzw. gegebenenfalls zusammen mit anderen „Strängen“, mehr als 25 % der Kapitalanteile an dem deutschen Unternehmen kontrolliert.

54 Eine Eintragung in einem ausländischen Register kann die Mitteilungsfiktion nicht begründen, da nach § 20 Abs. 2 GwG nur die dort aufgeführten (deutschen) Register fiktionsbegründend sind.

3. Fragen aus Sicht der wirtschaftlich Berechtigten a) Beschränkung der Einsichtnahme nach § 23 Abs. 2 GwG 55

Die durch das Transparenzregister gesteigerte Transparenz bezüglich der wirtschaftlich Berechtigten kann diese einem erhöhten Risiko aussetzen. Zum Schutz der wirtschaftlich Berechtigten und um dem durch die Transparenzpflichten gegebenenfalls entstehenden Risiko zu begegnen, hat der Gesetzgeber in § 23 Abs. 2 GwG einen Beschränkungsantrag vorgesehen.46 Es handelt sich dabei um eine Ausnahmeregelung, welche in besonderen Einzelfällen Anwendung finden soll.

56 Nach § 23 Abs. 2 GwG ist eine Beschränkung dann möglich, wenn der Einsichtnahme im Einzelfall überwiegende schutzwürdige Interessen des wirtschaftlich Berechtigten entgegenstehen. Die registerführende Stelle muss diese Bewertung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände vornehmen und kann die Daten des wirtschaftlich Berechtigten 45 In wenigen Ausnahmefällen kann eine Mitteilung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 GwG dennoch entbehrlich sein, wenn die ausländische Vereinigung an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 11 WpHG notiert ist oder dem Gemeinschaftsrecht entsprechenden Transparenzanforderungen im Hinblick auf Stimmrechtsanteile oder gleichwertigen internationalen Standards unterliegt und die „Beteiligungskette“ zum deutschen Unternehmen aus den fiktionsbegründenden Registern nach § 20 Abs. 2 GwG ersichtlich ist. 46 Vgl. Art. 30 Abs. 9 4. GWRL. Von dieser Möglichkeit haben nicht alle Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht. In vielen Mitgliedstaaten ist eine Beschränkung der Daten im nationalen „Transparenzregister“ daher nicht möglich.

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vollständig oder teilweise beschränken. Ihr steht dabei ein Ermessen hinsichtlich des „ob“47 und des „wie“48 der Beschränkung zu. Soweit eine Beschränkung durch die registerführende Stelle eingetragen wird, sind die jeweiligen Daten für die Öffentlichkeit und einen Teil der Verpflichteten nicht mehr ersichtlich.49 Erste Tatbestandsvoraussetzung der Beschränkung ist das Vorliegen von 57 schutzwürdigen Interessen des wirtschaftlich Berechtigten. Wann schutzwürdige Interessen vorliegen ist in § 23 Abs. 2 Satz 2 GwG definiert. Dies ist zum einen der Fall, wenn der wirtschaftlich Berechtigte minderjährig oder geschäftsunfähig ist. Zum anderen dann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Einsichtnahme den wirtschaftlich Berechtigten der Gefahr aussetzen würden, Opfer einer der abschließenden Katalogstraftaten50 zu werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Gefahr durch die Einsichtnahme in das Transparenzregister ausgelöst bzw. erhöht wird. Der Beschränkungsantrag nach § 23 Abs. 2 GwG soll den wirtschaftlich Berechtigten vor den „neuen“ Gefahren des Transparenzregisters schützen und insofern in Ausnahmefällen einen Ausgleich für die erhöhten Transparenzpflichten bieten. Eine grundsätzlich bereits vor der Eintragung im Transparenzregister bestehende Gefährdungslage ist daher für das Bestehen von schutzwürdigen Interessen nach § 23 Abs. 2 GwG nicht ausreichend.

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Zweite Tatbestandsvoraussetzung ist, dass kein Ausschluss nach § 23 59 Abs. 2 Satz 3 GwG vorliegt. Sofern sich die Daten des wirtschaftlich Berechtigten bereits aus den in § 22 Abs. 1 GwG genannten Registern ergeben, liegen keine schutzwürdigen Interessen des wirtschaftlich Berechtigten vor. Hier zeigt sich erneut, dass der Beschränkungsantrag vor den 47 Eintragung oder keine Eintragung einer Beschränkung. 48 Vollständige oder teilweise Beschränkung. 49 Die Daten werden in diesem Fall nicht mehr auf dem Auszug aufgeführt. Stattdessen wird ein Hinweis auf das Bestehen einer Beschränkung nach § 23 Abs. 2 GwG auf dem Auszug eingefügt. 50 Der wirtschaftlich Berechtigte müsste der Gefahr ausgesetzt werden, Opfer eines Betrugs (§ 263 StGB), eines erpresserischen Menschenraubs (§ 239a StGB), einer Geiselnahme (§ 239b StGB), einer Erpressung oder räuberischen Erpressung (§§ 253, 255 StGB), einer strafbaren Handlung gegen Leib oder Leben (§§ 211, 212, 223, 224, 226, 227 StGB) oder einer Nötigung (§ 240 StGB), einer Bedrohung (§ 241 StGB) zu werden.

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„Gefahren“ des Transparenzregisters schützen soll. Sind die Daten z.B. bereits im Handelsregister erfasst, dann kann auch im Transparenzregister keine Beschränkung erfolgen, weil keine „Gefahr“ durch das Transparenzregister begründet wird. 60 Dritte Tatbestandsvoraussetzung der Beschränkung ist das Überwiegen der schutzwürdigen Interessen gegenüber dem Transparenzinteresse. Hierbei muss durch die registerführende Stelle bewertet werden, ob eine – gegebenenfalls auch teilweise – Beschränkung im konkreten Einzelfall geboten ist. Eine Beschränkung ist nicht per se angebracht, wenn schutzwürdige Interessen bestehen, sondern diese müssen überwiegen. 61 Sofern alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, wird durch die registerführende Stelle eine befristete51 Beschränkung der Daten des wirtschaftlich Berechtigten eingetragen.52

b) Öffnung des Transparenzregisters für die Öffentlichkeit 62

Die 5. GWRL sieht vor, dass das Transparenzregister für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Es handelt sich um einen Fall der Vollharmonisierung, so dass der deutsche Gesetzgeber diese Anforderung umsetzen muss. Die Umsetzung beabsichtigt der Gesetzgeber mit § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GwG-RegE, in dem er das berechtigte Interesse entfallen lässt und stattdessen „allen Mitgliedern der Öffentlichkeit“ ein Recht zur Einsichtnahme zubilligt. Ab Inkrafttreten der GwG-Novelle muss der Einsichtnehmende somit kein berechtigtes Interesse mehr gegenüber der registerführenden Stelle nachweisen.

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Das abgestufte Einsichtnahmekonzept sowie die Pflicht zur Registrierung und Identifizierung der Einsichtnehmenden bleiben jedoch bestehen. Jedes Mitglied der Öffentlichkeit wird in Zukunft weiterhin einen Antrag auf Einsichtnahme stellen und die formalen Voraussetzungen der Einsichtnahme einhalten müssen. Auch wird weiterhin eine Gebühr für die Einsichtnahme durch die registerführende Stelle erhoben. Die Möglichkeit, auch für den öffentlichen Zugang eine Registrierung und die Zahlung einer Gebühr beizubehalten, wurde durch die 5. GWRL ex51 Vgl. § 14 Abs. 3 TrEinV: Bei Minderjährigen wird die Beschränkung bis zur Erreichung der Volljährigkeit befristet. In allen anderen Fällen wird die Beschränkung auf drei Jahre befristet, wobei der Zeitraum der vorläufigen Beschränkung – also der Zeitraum der Entscheidung über den Antrag – einberechnet wird. 52 § 14 Abs. 2 TrEinV.

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plizit vorgesehen.53 Mit der Öffnung des Transparenzregisters nach der 5. GWRL wurde demnach keine freie und offene Zugänglichkeit, sondern vielmehr eine Zugänglichkeit ohne inhaltliche Voraussetzungen beabsichtigt. Dies plant der Gesetzgeber entsprechend umzusetzen.54

IV. Fazit (1) Durch die Erweiterung der Katalogtätigkeiten in § 2 Nr. 10 GwG-RegE werden Rechtsanwälte und Notare häufiger als Verpflichtete im Sinne des GwG anzusehen sein und somit vermehrt Sorgfaltspflichten erfüllen müssen. Durch die GwG-Novelle wird jedoch keine generelle Verpflichteteneigenschaft der Rechtsanwälte begründet, vielmehr wird weiterhin an der Notwendigkeit definierter Kataloggeschäft festgehalten.

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(2) Die Anforderungen des § 11 Abs. 5 Satz 2 GwG-RegE können (derzeit) nur durch einen Auszug aus dem Transparenzregister erfüllt werden, so dass faktisch eine Einsichtnahmepflicht in das Transparenzregister statuiert wird.

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(3) Verpflichtete müssen ab Januar 2020 Unstimmigkeitsmeldungen nach § 23a GwG-RegE bei der registerführenden Stelle vornehmen. Gemeldete Unstimmigkeiten werden durch die registerführende Stelle aufgelöst und das Ergebnis der Prüfung an den Erstatter der Meldung übermittelt sowie auf dem Auszug aus dem Transparenzregister vermerkt. Sinn und Zweck der Unstimmigkeitsmeldung ist die Steigerung der Datenqualität im Transparenzregister, diese wird für die Verpflichteten durch den Prüfungsvermerk sichtbar.

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(4) Die Auskunftsrechte und -pflichten innerhalb von Beteiligungs- 67 strukturen werden durch die neu geschaffenen § 20 Abs. 3 ff. GwG-RegE erweitert. In Zukunft müssen Anteilseigner Anfragen der transparenzpflichtigen Rechtseinheit in angemessener Frist beantworten bzw. eigene Erkenntnisse der transparenzpflichtigen Rechtseinheit in angemessener Frist mitteilen. Die transparenzpflichtigen Rechtseinheiten und Anteilseigner müssen die Auskunftsersuchen und die erhaltenen Informationen dokumentieren bzw. die Mitteilung dokumentieren.

53 Art. 1 Nr. 15 lit. d) 5. GWRL. 54 Vgl. BT-Drucks. 352/19, S. 98.

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(5) Reichweite und Grenzen der Mitteilungsfiktion nach § 20 Abs. 2 GwG können nur im konkreten Einzelfall bewertet werden und sind maßgeblich abhängig von der jeweils transparenzpflichtigen Rechtseinheit. Das Eingreifen der Mitteilungsfiktion befreit die jeweilige transparenzpflichtige Rechtseinheit nicht von der Verpflichtung, die Daten zu den wirtschaftlich Berechtigten einzuholen, aufzubewahren und auf dem aktuellen Stand zu halten, sondern diese Verpflichtungen sind vielmehr die Grundlage für die Prüfung, ob von der Mitteilungsfiktion Gebrauch gemacht und deshalb auf eine Mitteilung an die registerführende Stelle verzichtet werden kann.

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(6) Maßgebliche Tatbestandsvoraussetzung für die Beschränkung nach § 23 Abs. 2 Satz 1 GwG ist, dass die Gefahr durch die Einsichtnahme entsteht oder zumindest erhöht wird.

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(7) Die Öffnung des Transparenzregisters für alle Mitglieder der Öffentlichkeit nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 GwG-RegE wird keine umfassenden Auswirkungen auf den Prozess der Einsichtnahme haben, da die Registrierung und Gebührenpflicht weiter bestehen bleiben. Allerdings wird durch den Wegfall der rechtlichen Bedingung – das Vorliegen eines berechtigten Interesses – der Kreis der Einsichtnahmeberechtigten umfassend ausgeweitet. Öffentlicher Zugang bedeutet insofern nicht, dass freier und voraussetzungsloser Zugang gewährt werden muss.

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Bericht über die Diskussion des Referats Krause Katharina Schell Ass. iur., Transparenzregister, Bundesanzeiger Verlag GmbH Rz.

Rz. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . II. Meldepflicht nach § 20 GwG/ Ermittlung des wirtschaftlich Berechtigten gem. § 3 GwG . III. Auskunftsrechte, § 20 Abs. 3 a GwG-RegE . . . . . . . .

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IV. Bußgelder/Schwellenwerte .

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V. Datenschutz/Einsichtnahme in das Transparenzregister . .

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VI. Erfüllung von Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Die Diskussion im Anschluss an das Referat von Herrn Ulf Krause, 1 dem Abteilungsleiter des Transparenzregisters, über aktuelle praxisrelevante Fragen zum Transparenzregister wurde von Herrn Dr. Joachim Tebben geleitet. An der Diskussion beteiligt waren Herr Dr. Daniel Könen, Rechtsanwalt Dr. Christian Rosner, Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider, Herr Franz Enderle, Herr Martin Bergmann, Herr Carsten Hollweg und Dr. Daniel Schillerwein. Die Beiträge und Antworten werden zur besseren Übersicht thematisch untergliedert wiedergegeben. Diskussionsgegenstand waren neben der Meldepflicht die Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten, deren Auskunftsrechte sowie die Erfüllung von Sorgfaltspflichten. Im Fokus standen zudem der Erlass von Bußgeldern, der Datenschutz und die Einsichtnahme in das Transparenzregister im Allgemeinen.

II. Meldepflicht nach § 20 GwG/Ermittlung des wirtschaftlich Berechtigten gem. § 3 GwG Herr Dr. Daniel Könen (Universität zu Köln) nahm Bezug auf die Meldepflicht der Rechtseinheiten. In diesem Zusammenhang warf er die Frage auf, ob Gesellschaften bürgerlichen Rechts bereits oder in Zukunft unter die Meldepflicht des § 20 Abs. 1 GwG fallen. Herr Krause erwiderte, dass derzeit nur juristische Personen des Privatrechts sowie eingetra-

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gene Personengesellschaften zur Meldung an das Transparenzregister verpflichtet seien. Eine Änderung bringe auch die 5. Geldwäscherichtlinie nicht mit sich. 3 Im Rahmen der Meldepflicht stellte Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider in den Raum, ob § 20 Abs. 2 GwG mit dem § 33 WpHG vergleichbar sei. Zudem warf er die Problematik eines Konzernregisters auf, welches von der Rechtspolitik nicht aufgenommen werde. Er fragte, ob bei einem Konzern mit 200 bis 10.000 Gesellschaften jede Gesellschaft gemeldet werden müsse und wer alles als wirtschaftlich Berechtigter anzusehen sei. Herr Krause erläuterte, dass die Meldepflicht des § 20 Abs. 1 GwG in Verbindung mit dem § 3 GwG zu sehen sei. Danach bestimme sich, wer wirtschaftlich Berechtigter sei. Wirtschaftlich Berechtigter sei jede natürliche Person, die unmittelbar oder mittelbar mehr als 25 % der Kapitalanteile halte, mehr als 25 % der Stimmrechte kontrolliere oder auf vergleichbare Weise Kontrolle ausübe. Auf der zweiten Beteiligungsebene müsse beherrschender Einfluss ausgeübt werden. Beherrschender Einfluss werde z.B. dann ausgeübt, wenn eine natürliche Person mehr als 50 % der Kapitalanteile halte oder mehr als 50 % der Stimmrechte kontrolliere. Herr Krause führt weiter aus, dass die Idee eines Konzernregisters sicherlich interessant sei. Dies sei auch für das Transparenzregister von Relevanz, um verflechtete Konzernstrukturen besser verstehen und durchdringen zu können. Als wirtschaftlich Berechtigter sei lediglich die natürliche Person anzusehen, welche mehr als 25 % der Kapitalanteile halte oder Stimmrechte kontrolliere. Sei diese Person nicht zu ermitteln, sei der sog. fiktive wirtschaftlich Berechtigte maßgeblich und damit der gesetzliche Vertreter. Außerdem sei gerade aufgrund der intransparenten Konzernstrukturen ein Sanktionsapparat geschaffen worden und zwar in Form der künftig vorzunehmenden Unstimmigkeitsmeldungen. 4 Herr Rechtsanwalt Franz Enderle (Bub, Gauweiler und Partner) stellte die Frage, wie die Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten bei einer ausländischen Rechtseinheit vorzunehmen sei. Er bildete das Beispiel einer Schweizer Gesellschaft, welche 70 % einer deutschen GmbH halte. Zudem warf er die Frage auf, worauf im Rahmen der Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten bei einer Kommanditgesellschaft abzustellen sei, die Kapitalbeteiligung oder den Einfluss der wirtschaftlich Berechtigten. Herr Krause entgegnete, dass bei der Beteiligung einer ausländischen Gesellschaft, wie z.B. einer luxemburgischen unternehmenstragenden Stiftung, immer versucht werden müsse, die wirtschaftlich Berechtigten

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nach deutschem Recht zu ermitteln. Gelingt dies nicht, greife die sog. Meldefiktion. Hinsichtlich der Frage, worauf abzustellen sei, wenn eine natürliche Person sowohl Kapitalanteile halte, als auch Stimmrechte kontrolliere, stellte Herr Krause klar, dass es ausreichend sei, eine der beiden Varianten dem Transparenzregister zu melden. Hinsichtlich weiterer Aspekte zu Kommanditgesellschaften verwies Herr Krause auf die umfangreichen Ausführungen des Bundesverwaltungsamts in dessen FAQ.

III. Auskunftsrechte, § 20 Abs. 3 a GwG-RegE Herr Rechtsanwalt Dr. Christian Rosner bezog sich auf den Auskunfts- 5 anspruch der transparenzpflichtigen Rechtseinheit gegenüber allen Anteilseignern aus § 20 Abs. 3a GwG-RegE. Er erkundigte sich, ob es eine turnusmäßige Nachforschungspflicht der transparenzpflichtigen Rechtseinheit gebe. Darüber hinaus ergänzte er, ob es eine verbindliche Auskunft, wie im Steuerrecht, gebe. Herr Krause erwiderte, dass das Transparenzregister lediglich mit dem Betrieb und der Führung betraut sei und die Rechtsaufsicht in die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamtes falle. Wie die konkrete Praxis gelebt werde, bleibe abzuwarten. Jedenfalls ergebe sich hieraus eine weitere Compliance-Pflicht. Eine verbindliche Auskunft, wie im Steuerrecht, gebe es nicht. Die Meldung liege im Verantwortungsbereich der jeweiligen Rechtseinheit. Eine überobligatorische Eintragung sei unschädlich und mit keinen Kosten verbunden.

IV. Bußgelder/Schwellenwerte Herr Martin Bergmann (Profunda Verwaltungs-GmbH) fragte, ob es eine 6 Bußgeldpraxis gebe und inwieweit eine Unstimmigkeit geheilt werden könne. Darüber hinaus bat er um eine Stellungnahme hinsichtlich der Diskussion, die Schwellenwerte von mehr als 25 % Kapitalanteile bzw. Stimmrechte auf 10 % abzusenken. Herr Krause merkte an, dass die Verhängung von Bußgeldern nicht in die Zuständigkeit des Transparenzregisters falle. Mit der Verhängung von Bußgeldern sei das Bundesverwaltungsamt, als zuständige Ordnungsbehörde, betraut. Die Bußgeldpraxis hänge davon ab, inwieweit das Bundesverwaltungsamt vom Opportunitätsprinzip Gebrauch mache. Den FAQs und dem veröffentlichten Bußgeldkatalog des Bundesverwaltungsamtes seien nähere Informationen zu entnehmen, wie z.B. die Berechnung der Geldbuße. Eine Heilung gehe mit den Unstimmigkeitsmeldungen nicht einher. Im Gegenteil sei zu vermuten, dass es durch die Unstimmigkeitsmeldungen zu vermehrten

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Meldungen beim Bundesverwaltungsamt komme. Eine Weitergabe an das Bundesverwaltungsamt sei nämlich nicht nur dann vorgesehen, wenn eine Unstimmigkeit nicht aufgelöst werden könne, sondern auch dann, wenn die Eintragung vormals falsch gewesen sei. Inwieweit das Bundesverwaltungsamt vor dem Hintergrund der Unstimmigkeitsmeldungen von der Verhängung von Bußgeldern Gebrauch machen wird, werde sich noch zeigen. Letztlich stellte Herr Krause klar, dass man sich im Rahmen des Erlasses der 5. Geldwäscherichtlinie gegen eine Senkung der Schwellenwerte von mehr als 25 % auf 10 % entschieden habe.

V. Datenschutz/Einsichtnahme in das Transparenzregister 7 Herr Carsten Hollweg (innogy SE) merkte an, dass der deutsche Gesetzgeber zurückhaltend sei, was die Datenübermittlung der Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten angehe. Z.B. sei in Polen oder anderen europäischen Ländern nicht nur der Wohnort der wirtschaftlich Berechtigten aus dem Transparenzregister ersichtlich, sondern deren vollständige Adresse. Er warf die Frage auf, welche Pflichten Unternehmensjuristen im Rahmen der M&A-Beratung treffen. In diesem Zusammenhang sei interessant, ob gegebenenfalls alle 200 Juristen eines Unternehmens verpflichtet seien, eine Registrierung vorzunehmen, Anträge zu stellen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu dokumentieren. Schließlich stellte er die Frage, wie gemeldet werde müsse und welche Gebühren bei der Einsichtnahme in das Transparenzregister anfallen. Zunächst stimmte Herr Krause der These zu, dass in Deutschland der Datenschutz hinsichtlich der Angaben der wirtschaftlich Berechtigten restriktiver gehandhabt werde als in anderen Ländern. Hinsichtlich der Vorgehensweise der Unternehmensjuristen verwies er auf die Auslegungs- und Anwendungshinweise der Rechtsanwaltskammern. Was die Einsichtnahme in das Transparenzregister angehe, so führte Herr Krause aus, dass diese über die Webseite des Transparenzregisters möglich sei. Dafür bedürfe es einer einmaligen Registrierung, gegebenenfalls eines Nachweises der Verpflichteteneigenschaft sowie einer Begründung im jeweiligen Einzelfall.

VI. Erfüllung von Sorgfaltspflichten 8 Herr Dr. Daniel Schillerwein (OPPENLÄNDER Rechtsanwälte) griff vor dem Hintergrund der geplanten Erweiterung der Kataloggeschäfte, der Pflichten bei Identifizierung des Mandanten sowie bei der Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten die Problematik des Übergangsrechts auf.

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Er fragte, ob die erweiterten Kataloggeschäfte und die höheren Anforderungen bei Identifizierung des Mandanten und bei Ermittlung der wirtschaftlich Berechtigten ausschließlich bei Begründung einer Geschäftsbeziehung gelten würden oder auch bei Inkrafttreten der GWG-Novelle bei bestehenden Mandanten zu berücksichtigen seien, d.h. dort faktisch nachgeholt werden müssten. Herr Krause erwiderte, dass Sorgfaltspflichten grundsätzlich auch innerhalb einer bestehenden Geschäftsbeziehung aufgrund risikobasierter Grundlage zu erfüllen seien. Dabei seien dann die jeweils aktuell geltenden Vorschriften maßgeblich. Herr Krause machte abschließend auf die Beachtung der Auslegungs- und Anwendungshinweise der Rechtsanwaltskammern, als zuständige Aufsichtsbehörden, aufmerksam.

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Stichwortverzeichnis Die Angaben beziehen sich auf die Seitenzahlen. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – Fremdgeschäftsführer 2 f., 19 f. Arbeitsrecht – Compliance 99 ff. Aufsichtsrat – Aktiengesellschaft, Vertretung 14 f. – Compliance 103 ff. – DCGK, Arbeitsweise 62 ff. – DCGK, Interessenskonflikte 64 ff. – DCGK, Vergütung 66 – DCGK, Zusammensetzung 57 ff. – GmbH, Öffnungsklausel 7 ff. Aufsichtsratsmitglied – Haftung, Verjährung 17 f. – Neuwahl 15 ff., 25 f. Compliance – Interne Ermittlungen 75 ff. Corporate Governance – Deutscher Corporate Governance Kodex 49 ff., 68 ff. Darlehen – Gesellschafterdarlehen 119 ff. Deutscher Corporate Governance Kodex – Entsprechenserklärung 15 ff., 25 f. – Neufassung 2020 50 ff., 68 ff. – Praxis 49 ff., 68 ff. Entsprechenserklärung – Neuwahl Aufsichtsratsmitglieder 15 ff., 25 f. Existenzvernichtender Eingriff – und Verschmelzung 11 f., 24 Formwechsel – und Teilabführungsvertrag 12 f. Fremdgeschäftsführer – Arbeitnehmereigenschaft 2 f., 19 f.

Geldwäsche – Transparenzregister 157 ff., 181 ff. Geschäftsführer – s. Fremdgeschäftsführer Gesellschafterdarlehen – Aktuelle Entwicklungen 119 ff., 150 ff. – Unternehmensfinanzierung 127 ff., 150 ff. Gesellschafterliste 4 ff. Gesellschaftsvermögen – Übertragung 3 f., 20 ff. Gesellschafterversammlung – Versammlungsleiter 4 ff., 22 f. GmbH – Aufsichtsrat 7 ff. Insolvenz – Gesellschafterdarlehen 142 ff. Institutionelle Anleger – Stimmrechtsberatung 27 ff., 42 ff. Interne Ermittlungen 75 ff., 114 ff. – Praxis 81 ff. – Rechtsfragen 90 ff. – Rechtsrahmen 75 ff. Kapitalmarkt – Transparenz 38 ff. Konzern – Cash-Pool 147 f. – Compliance 90 ff. – Darlehen 132 ff. Leiharbeitnehmer – und Mitbestimmung 13 f. Mitbestimmung – und Leiharbeitnehmer 13 f. Stimmrechtsberater – Praxis und Regulierung 27 ff., 42 ff.

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Stichwortverzeichnis Teilgewinnabführungsvertrag – und Formwechsel 12 f. Transparenzregister – Praxis 163 ff., 181 ff. – Rechtsrahmen 157 ff., 181 ff. Unternehmensfinanzierung – Gesellschafterdarlehen 119 ff., 150 ff. Verbandssanktionengesetz – Entwurf 110 ff.

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Vermögensübertragung 3 f., 20 ff. Verschmelzung – und Existenzvernichtender Eingriff 11 f., 24 Vorstand – DCGK, Besetzung 53 f. – DCGK, Interessenskonflikte 64 ff. – DCGK, Leitung und Überwachung 51 ff. – DCGK, Vergütung 54 ff. Whistleblower 97 ff.

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Tiefe

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 1 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 1999, 146 S., brosch. 29,80 7. ISBN 978-3-504-62701-0 Bd. 2 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2000, 281 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62702-7 Bd. 3 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2000 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 200 S., brosch. 38,– 7. ISBN 978-3-504-62703-4 Bd. 4 – Umwandlungen in den neuen Bundesländern nach der Rechtsprechung des BGH Von RiLG Dr. Guido Wißmann, RiLG Dr. Markus Märtens und VorsRiLG Dr. Enno Bommel. Herausgegeben von der Vereinigung. 2001, 171 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62704-1 Bd. 5 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2001 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2002, 205 S., brosch. 42,80 7. ISBN 978-3-504-62705-8 Bd. 6 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 204 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62706-5 Bd. 7 – Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash Pooling Von RA Dr. Jochen Vetter und RA Dr. Christoph Stadler. Herausgegeben von der Vereinigung. 2003, 168 S., brosch. 34,80 7. ISBN 978-3-504-62707-2

Bd. 8 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2004, 195 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62708-9 Bd. 9 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2005, 187 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62709-6 Bd. 10 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 179 S., brosch. 47,80 7. ISBN 978-3-504-62710-2 Bd. 11 – Die GmbH-Reform in der Diskussion Sondertagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2006, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62711-9 Bd. 12 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2007, 226 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62712-6

Tiefe

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) Bd. 13 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2008, 196 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62713-3 Bd. 14 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2009, 206 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62714-0 Bd. 15 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2010, 182 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62715-7 Bd. 16 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2011, 254 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62716-4 Bd. 17 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2012, 215 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62717-1 Bd. 18 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2013, 205 S., brosch. 54,80 7. ISBN 978-3-504-62718-8 Bd. 19 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2014, 166 S., brosch. 44,80 7. ISBN 978-3-504-62719-5 Bd. 20 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2015, 244 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62720-1 Bd. 21 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2016, 192 S., brosch. 49,80 7. ISBN 978-3-504-62721-8 Bd. 22 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2017, 252 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62722-5 Bd. 23 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2018, 226 S., brosch. 64,80 7. ISBN 978-3-504-62723-2 Bd. 24 – Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung. Herausgegeben von der Vereinigung. 2019, 208 S., brosch. 59,80 7. ISBN 978-3-504-62724-9